Langnau BE, Johann Martin Labhardt

Keramik von Johann Martin Labhardt in der Bilddatenbank

Andreas Heege, Andreas Kistler 2019

Aus unbekannten Gründen verkaufte Samuel Herrmann (1797–1845, Langnau, Werkstatt  5, «Hand 17c»?) die Liegenschaft Langnau Wiederbergstrasse 5 mit Nutz und Schaden auf 1. Mai 1842 an Peter Herrmann (1809–1871), den ältesten der vier Söhne von Peter Herrmann (1785–1840) aus der Hafnerei Höheweg 1, der sich damit als Hafner selbstständig machte (vgl. Langnau, Stammbaum Herrmann). Aus der Zeit zwischen 1842 und 1853 kennen wir keine Objekte die Peter (1809–1871) zugeordnet werden könnten. Dies ändert sich erst mit dem Arbeitsbeginn des Gesellen Johann Martin Labhardt aus Steckborn, Kanton Thurgau, in seiner Werkstatt (Langnau, Werkstatt 6, «Hand 22»). Die Lebensdaten von Johann Martin Labhardt sind bislang unbekannt (vgl. Früh 2005, 532, wobei unklar ist, ob es sich dabei um unseren Hafner oder einen Verwandten handelt).

Johann Martin hatte vorher, d. h. vom 26. Januar 1849 bis zum 29. April 1853, bei Johannes Krähenbühl (1828–?) in der Werkstatt Langnau, Dorfstrasse 30 gearbeitet (StAB Bez Signau B 19. GAL 671). Möglicherweise entstand dort die  oben abgebildete, ungewöhnliche, von ihm auch signierte Terrine, deren Blumen-Blättchengirlande unverkennbar Wurzeln in der Region Heimberg-Steffisburg und nicht in Langnau hat (MAHN AA 2055). Die Produktion könnte aber auch in Peters Werkstatt erfolgt sein oder in der von Johannes Herrmann (1802–1867) am Sonnweg 1. Dort arbeitete Martin Labhardt zwischen November 1853 und Oktober 1854 ebenfalls, bevor er Langnau endgültig den Rücken kehrte.

Die Terrine (MAHN AA 2055) trägt ungewöhnlich umfangreiche und ansonsten in Langnau unbekannte Sprüche: «Wenn dich die Lästerzunge sticht, so lass es dir zum Troste sagen, die schlechtesten Früchte sind es nicht, woran die Wespen nagen. Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reih, von schönen Tagen.» Auf dem Rand des Deckels steht: «Frisch und fröhlich, fromm und ehrlich, frei von Gemüth, ehrlich von Geblüt, diese Tugend, ziehrt die Jugend. // Vorgethan und nachgedacht, hat manchen in groß Leid gebracht.» Und am Deckelknauf liest man: «Rede wenig, mach es wahr, borge wenig, zahl es baar, sagt ein Sprichwort.» Den ersten Teil hat der Schreiber aus zwei unterschiedlichen Quellen zusammengefügt. Gottfried August Bürger (1747–1794), ein deutscher Dichter der Aufklärung und Autor der «Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen», veröffentlichte 1787 im Göttinger Musenalmanach das Gedicht «Trost», das den Passus mit der Lästerzunge enthält. Der zweite Teil stammt von Johann Wolfgang Goethe und erschien 1815 in einer Gedichtsammlung unter dem Motto «Sprichwörtlich». Für den Spruch auf dem Rand der Terrine und unter dem Knauf haben sich nur volkskundliche Nachweise aus Hausinschriften im Elsass, jedoch kein eindeutiges literarisches Zitat beibringen lassen. Die Zitate werfen gleichwohl ein Schlaglicht auf die Belesenheit und Bildung von Johann Martin Labhardt, der seinen Goethe offenbar gut kannte.

Dies zeigt auch ein ungewöhnliches und herausragendes Butterfass, das aufgrund der Signatur durch Johann Martin Labhardt in der Werkstatt von Peter Herrmann (1809–1871) gefertigt wurde (FWMC C.1911-1928). Leider hat jemand die Datierung ausgekratzt, jedoch lässt sich ansatzweise die Jahreszahl 1853 noch entziffern. Das Butterfass BU 7 wurde seitlich mit der alten Griffmulde 2 versehen, die sich von 1781 bis 1825 in der «Werkstatt 3, Hand 5, 6 oder 8» nachweisen lässt. Möglicherweise erbte Peter (1809–1871) den Model also von seinem Vater Peter (1785–1840) und nahm ihn 1842 mit in die neue Hafnerei Wiederbergstrasse 5.

Das Butterfass zeigt bei der Dekoration in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Neuheiten, die es so vorher in Langnau nicht gegeben hat. Zum einen wurde die weisse Grundengobe über einer schwarzbraunen Grundengobe aufgetragen, was nach dem Brand schwarzbraune, stärker hervortretende Ritzlinien ergab (Dekor 10). Zum anderen wurde der Lochdeckel des Butterfasses nicht nur mit einem Spruch von Goethe verziert, sondern zusätzlich mit manganviolettem Schwämmeldekor versehen (Dekor 03h). Der Spruch lautet: «Zwischen heut und morgen, liegt eine lange Frist – drum lerne schnell besorgen, da du noch munter bist.» Die Dekortechnik 10 lässt sich erst ab den späten 1830er-Jahren erstmals in der Region Heimberg/Steffisburg beobachten und gelangte möglicherweise dann, wie der Schwämmeldekor, mit Martin Labhardt nach Langnau (vgl. Heege/Kistler 2017/1, Kat. 164). Zusätzlich wurden dem Butterfass plastische Eicheln, Eichen- und Akanthusblätter auf der Aussenseite aufgelegt. In der oberen geritzten Zierzone finden sich vier Motive. Zum einen handelt es sich um zwei Landsknechte zu Fuss oder zu Pferd, zum anderen um eine in ihrer Art ganz ungewöhnliche Darstellung einer Steinbockjagd. Zwischen den Szenen befindet sich über den Griffmulden einmal die Darstellung eines Paares, das sich umarmt. Handelt es sich um den Gesellen (mit Ballonmütze auf dem Kopf und Pfeife im Mund) und seine Herzallerliebste, der man ihre harte landwirtschaftliche(?) Arbeit am Kopftuch und dem Zustand des Rocks ansehen kann?

Auf der anderen Seite sitzt ein schon etwas kahlköpfiger Mann (ein Narr?) auf einer Art fliegendem Teppich und zieht in spätmittelalterlicher Manier eine Grimasse. Eine unmittelbar vergleichbare Darstellung eines Grimassenschneiders findet sich auf einem anonymen, flämischen Dyptichon von 1520–1530, das das Universitätsmuseum in Lüttich verwahrt. Ein sehr ähnlicher Grimassenschneider bildet einen Teil eines mittelalterlichen Chorgestühls in der Abteikirche St. Pierre von Solignac (Limousin) in Frankreich. Eine intensive Literaturrecherche würde sicher noch mehr Beispiele zutage fördern. Hat Johann Martin Labhardt auf seiner Gesellenwanderung irgendeine dieser Darstellungen gesehen? Sollte der Grimassenschneider wirklich auf einem fliegenden Teppich sitzen, so müsste er auch eines der im frühen 19. Jahrhundert erstmals erschienen Bücher mit den «Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht» gelesen oder von diesen Geschichten gehört haben.

Der Sinn dieser einzelnen Darstellungen erschliesst sich nicht, auch nicht im Zusammenhang mit den übrigen. Möglicherweise zeigt der Geselle hier vor allem, was er kann! Dies wird deutlicher bei der Weinranke mit Trauben darunter und erst recht bei der Alpfahrt eines Küherhaushalts im unteren Teil des Butterfasses. Der Alpaufzug, vom gemieteten Winterquartier im Tal auf die hochgelegenen Sommerweiden, galt den Kühern als schönste Zeit des Jahres überhaupt. Die Schweine wurden typischerweise dem Herdenzug voran auf die Alp getrieben. Dann folgten wie üblich die Schafe oder Ziegen, die meist von Kindern oder Knechten oder Mägden geleitet wurden. Erst einige Zeit später brach der Küher mit dem eigentlichen Zug auf. Am Anfang ging immer die besonders geschmückte und erfahrene Leitkuh, der man manchmal den einbeinigen Melkstuhl verkehrt herum auf den Kopf band und mit Blumen schmückte. Anschliessend kamen die erfahrenen Kühe mit grossen Treicheln an breiten ledernen Halsriemen. Es folgten die jüngeren Glockentiere mit weiteren Treibern. Den Abschluss bildete der «Plunderwagen» (Gestellwagen, Leiterwagen oder Bernerwägeli), auf dem nicht nur der ganze Hausrat inklusive des hölzernen Milchgeschirrs, sondern oft auch Schweine und Hühner oder ein älteres Küherpaar Platz hatten.

Betrachtet man die Bilder, so könnte man fast meinen, dass ein zweites Butterfass, ebenfalls aus dem Jahr 1853, als Fortsetzung der Bildergeschichte gedacht war (MKGH 1910-401). Wir sehen die Alp oder ein Maiensäss mit Gebäuden. Auf der Alpweide steht eine stattliche Kuh, im Hintergrund sehen wir die Alphütte, vor der der Senn sein kurzes Alphorn bläst. Ein Hund als treuer Bewacher oder Hilfstreiber, oft ein Entlebucher oder Appenzeller, darf natürlich nicht fehlen. In der nächsten Szene wird eine Kuh gemolken und anschliessend wird der Rahm im Stossbutterfass zu Butter verarbeitet. Das Butterfass trägt ebenfalls manganvioletten Schwämmeldekor mit unterschiedlich zugeschnittenen Musterschwämmchen, kombiniert mit einem umlaufenden Rollstempel im oberen Teil. Dazu findet sich eine Blumengirlande, die auch Trauben und Weinblätter enthält, die dem vorhergehenden Butterfass entsprechen. In der zweiten Zierzone mit den tordierten Griffmulden finden sich zwei Sprüche, die man auch heute noch gut beherzigen kann: «Lass einen jeden, wer er ist, so bleibst du auch, wer du bist» und «Auf Freund nicht bau, nicht jedem trau, auf dich selbst schau, sei nicht zu gnau.» Die leider ausgekratzte und überschmierte Datierung lässt sich nach einer restauratorischen Freilegung wieder als «1853» lesen. Die Blumengirlande in der unteren Zierzone findet gute Entsprechungen auf der schon beschriebenen Terrine (MAHN AA 2055). Das ungewöhnliche Butterfass gelangte 1910 als Geschenk von Heinrich Angst, dem ersten Direktor des Schweizerischen Landesmuseums, an das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, nachdem es 1909 in Zürich auf einer Auktion als «Bern, Langnau, Museumsstück, Anfang XIX. Jahrh.» angeboten worden war.

  

Zur Thematik der Alp und der Alptiere passt auch ein Nidlenapf auf Pokalfuss, den Johann Martin Labhardt am 1. Juni 1853 dekorierte und durch Einritzen seiner Initialen auf der Unterseite des Fusses signierte (BHM 6408). Im Inneren des Napfs sehen wir zwei Ziegen im spielerischen Kampf und darunter die Ortsangabe «Langnau». Die Umschrift lautet: «Ich kleiner Napf, ich armer Narr, ich wurd gemacht am halben Tag den 1. Juni 1853 // Christen Gerber im Stadel war Alpmeister zu Gmünden im Jahr 1853.» «Im Stadel» ist ein Bauernhof im Gohlgraben südlich unweit der Alp Gmünden.

Hat man Johann Martin Labhardts Handschrift und Dekorationstechnik erst einmal erkannt, dann lassen sich ihm und damit vermutlich auch der Werkstatt Peter Herrmanns weitere Keramiken zuordnen, die ein besonderes Licht auf seine Persönlichkeit oder die des Hafnermeisters werfen. Hierzu gehört vor allem ein 1853 datierter und «P H» signierter Teller TAS 4 mit Abtropfsieb (Privatbesitz). In Kenntnis der Signatur von Johann Martin (vgl. BHM 6408) könnte man das «H» zusätzlich auch als Ligatur der Buchstaben «JML» lesen. Auf dem Rand finden wir die typische Blumengirlande, die Rückseite trägt den üblichen Langnauer Spritzdekor 04b. Etwas ganz Besonderes bietet die Dekoration des Spiegels. Wir sehen einen eher bürgerlich gekleideten, glatzköpfigen alten Mann mit erwartungsvoll aufgerissenem Mund, der dabei ist, mit Messer und Gabel ein geschlachtetes Schwein zu verzehren. Seitlich finden wir Geräte der Landwirtschaft, links einen Pflug, ein Käsereff, eine Giesskanne für den Bauerngarten und ein Kornsieb, rechts Sichel, Sense, Rechen und Mistgabel. Zwei Sprüche ober- und unterhalb erläutern gesellschaftskritisch die Szene:

«Lass dir rathen liebes Herz,
Quäle nie ein Thier zum Scherz»

und

«Ein ieder kennt den Nähr, den Lehr= und Wehrstand,
Es sind in aller guter Dinge drei,
Doch reimet sich auf alle auch der Zehrstand.
Wann ist es denn mit dem einmal vorbei?»

In diesem Gedicht ist der altertümliche Begriff «Zehrstand» für die meisten heutigen Leser wohl unverständlich. Johann Christoph Friedrich Haug (1761–1829, deutscher Lyriker) setzte den Zehrstand in seinen 1807 in Zürich gedruckt erschienenen «Epigrammatischen Spielen» mit den «Advocaten» gleich. Der Lehrstand sind entsprechend die Priester, der Wehrstand Soldaten und Adel, der Nährstand der Acker- und Kaufmann. In einem Buch, das 1798 Kaiser Joseph II. gewidmet wurde, wird der Zehrstand mit den Beamten gleichgesetzt. In einem weiteren, 1817 verfassten Artikel wird der Zehrstand mit der «vermöglichen Geistlichkeit» identifiziert, und in einer 1784 erschienen bayerischen Abhandlung werden Geistliche und Beamte, vor allem Gerichts- und Verwaltungsbeamte, mit diesem Begriff assoziiert. Und die «Allgemeine deutsche Bürgerzeitung No. 28 vom 5. April 1832», setzt den Niederen Adel, der nach Staatsstellen strebt, mit dem Zehrstand gleich. Offenbar beschäftigt sich der Teller also mit einem uneinheitlich definierten Begriff, bei dem im Einzelnen nicht klar ist, ob es nun um die Kirche und ihre Priester, Pastöre und Ordensleute oder um den Staat und seine Beamten geht. Das Bild in der Mitte des Tellers impliziert letzteres. Der Teller nimmt also Stellung zu einem immer wieder aktuellen Thema, der Frage nach dem richtigen Mass staatlicher Verwaltung. Heute würden wir die aufgeworfene, so pauschal auch damals sicher nicht gerechtfertigte Frage, wohl als «Verwaltungs-Bashing» bezeichnen. Über wen in Langnau oder Bern haben sich Johann Martin Labhardt und Peter Herrmann 1853 wohl geärgert?

Dem Dekorations- und Zeichenstil nach gehören zur Produktion von Martin Labhardt auch drei weitere Keramiken, zwei Teller TLR 3c und ein Teller TAS 7 mit Abtropfsieb (MAHN AA 1170, MKB VI-02218, SNM LM-040724,). Alle drei zeichnet aus, dass sie aus unbekannten Gründen falsche Datierungen tragen: 1777, 1502 und 1620. Selbst in Unkenntnis der Arbeitszeit Labhards in Langnau (1849–1854) wäre heute aufgrund der gewählten Gefässformen und der Dekorationstechnologie klar, dass die Datierungen nicht stimmen können. Aber ob dies zu Lebzeiten der Hersteller den potenziellen Kunden der Hafner auch klar war? Oder sollten hier die Daten ein höheres Alter vortäuschen, um auf diesem Weg unerfahrene Kunden – eventuell die ersten englischen Touristen und Andenkensammler oder gar die ersten «Langnau-Sammler» – zum Kauf zu animieren? Der Teller von «1777» zeigt eine aufregende Wildschweinjagd (MKB VI-02218). Die Rückseite trägt den klassischen Langnauer Dekor 06d. Der Teller von «1502» überliefert den Spruch: «Mehr wert als Geld und Gut, ist doch ein froher Mut» (SNM LM-040724). Der stärker beschädigte Teller von «1620» trägt in einer Kartusche den Spruch «Die Zeit die fällt mir gar zu schwer, Ach wenn mir bald die Mahlzeit wer». Darunter befindet sich ein von Blumenzweigen eingefasster Hahn (MAHN AA 1170). Pfarrer Karl Ludwig Gerster (1848–1923) aus Kappelen bei Aarberg hielt den Teller jedenfalls für echt und bezeichnete ihn 1911 als «älteste Langnauer Platte» (Gerster 1911, 141).

Stammbaum Hafner Herrmann, Langnau

Bibliographie

Früh 2005
Margrit Früh, Steckborner Kachelöfen des 18. Jahrhunderts, Frauenfeld 2005.

Gerster 1911
Ludwig Gerster, Sprüche und Inschriften auf Bauerngeschirr und Glas, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 15, 1911, 138-147, 204-213.

Heege/Kistler 2017/1
Andreas Heege/Andreas Kistler, Poteries décorées de Suisse alémanique, 17e-19e siècles – Collections du Musée Ariana, Genève – Keramik der Deutschschweiz, 17.-19. Jahrhundert – Die Sammlung des Musée Ariana, Genf, Mailand 2017.

Heege/Kistler 2017/2
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017, 380-386