Andreas Heege 2019
Gabeldekor ist eine Variante des Ritzdekors. Als Gabeldekor wird eine spezifische Dekortechnik des Steinzeugs „Westerwälder Art“ bezeichnet, bei der mit einem mehrzinkigen Gerät (Gabel) lineare Rillenbänder, Ranken und Blütenstiele in die Gefässoberfläche meist von Kugelbauchkrügen, frühen Birnbauchkrügen oder Humpen eingeritzt wurden. Am Ende der Rillenbänder sitzt meist eine florale, blüten- oder blattartige Relief-Auflage. Zusätzlich können die Gefässe mit Kobaltsmalte geblaut oder manganviolett bemalt sein.
«Gabeldekor» und Birnbauchkrüge gehören zu keramischen Neuerungen des späten 17. Jahrhunderts, die auch unter den Funden vom Waisenhausplatz in Bern belegt sind (Heege 2009, Abb. 39, vgl. dort auch Liste 4 mit weiteren bernischen Belegen). Gabeldekor ist insgesamt auf den relativ kurzen Zeitraum von etwa 1675 bis 1710/15 begrenzt. Es fällt auf, dass der Dekor unter den Funden von Steinzeug „Westerwälder Art“ von Altenrath bei Köln, die etwa 1680/1690 enden sollen, nicht vertreten ist (Francke 1999, 96; Büttner 1997, 57 und 76).
Eine Reihe von Keramiken mit datierten Reliefauflagen unterstützt den Datierungsansatz des Gabeldekors: Koetschau 1924, Taf. 71 , auflagendatiert 1680; Falke 1908, Bd. 2, 112 Abb. 258, auflagendatiert 1685; Reinhold 1990, 42, auflagendatiert 1687; Solon 1892, 107 Fig. 183 und Pl. XXV bzw. 114 Fig. 190, auflagendatiert 1687 und 1691; Seewaldt 1990, Kat. Nr. 371, 392a, auflagendatiert 1689 und 1691; Strauss/Aichele 1992, Kat. Nr. 85, auflagendatiert 1710, 86, auflagendatiert 1687; Hume 2001, 105 Fig. V.14, auflagendatiert 1700; Gaimster 1997, Kat. 120, 122, 123, auflagendatiert 1679, 1680, 1683, 1687, 1687 und 1691; Skerry/Hood 2009, 41-51, auflagendatiert vor 1702, vor 1714; Keramikmuseum Westerwald Inv. A 3401, auflagendatiert 1676; D 5644, auflagendatiert 1693; St 0303, auflagendatiert vor 1702; Reineking von Bock 1986, Kat. 531, 533, 538, 539, auflagendatiert 1680, 1687, 1693, 1699.
Steinzeug “Westerwälder Art”, Ritzliniendekor (später Gabeldekor) und Knibisdekor.
In der Spätphase des Dekors (frühes 18. Jahrhundert) wurde die Anzahl der parallelen Ritzlinien auf zwei reduziert, was die Ritzung lockerer, verschlungener Linien erleichtert (Skerry/Hood 2009, 49, auflagendatiert 1724).
Der Keramikentwicklung der Zeit um 1700 entspricht in der Schweiz die Zusammensetzung eines Winterthurer Kloakeninventars vom Areal Glocke besonders gut: Neben inschriftlich datierter Irdenware der Jahre 1678–1700, fand sich ein 1697 auflagendatierter Westerwälder Steinzeughumpen mit Gabeldekor und Rosettenauflagen, kobaltblau und manganviolett bemalte Humpen und Krüge, ein Kugelbauchkrug mit streifenförmigen, vertikalen Auflagen, Humpen mit Diamantbuckelfriesen und ein Kugelbauchkrug mit Gabeldekor. Birnbauchkrüge fehlen dagegen noch (Frascoli 1997, Taf. 42, 58 und 60).
Kugelbauchkrug mit Gabeldekor und achteckiger Reliefauflage, datiert 1688 und 1694, (Bernisches Historisches Museum H2299)
Das Bernische Historische Museum besitzt ein besonders schönes Exemplar dieses Dekortyps mit achteckigem Reichsadlerwappen, signiert G.R. und datiert 1688. Der Kugelbauchkrug trägt eine zusätzliche kleine Auflage in Form eines zweihenkeligen Topfes mit eingeschriebenem Putto, datiert 1694. «G.R.» steht in diesem Fall aufgrund der beigefügten Jahreszahl also sicher nicht für Georg Rex (erst ab 1714 Georg I. König von England) sondern bezeichnet wie die auch bei anderen Reichsadlerauflagen belegten Buchstaben «W.R.», den unbekannten Töpfer bzw. Modelschneider aus dem Westerwald.
Kugelbauchkrug mit “GR” (Georg Rex)-Auflage, zweizinkigem Ritzdekor zur Einfassung der Auflage und einfachem, einlinigem Ritzdekor für die übrigen Dekorflächen, ca. 1720/1730
Der Gabeldekor leitet zum charakteristischen Ritzdekor (im Westerwald «Reddekor») des späten 17. vor allem aber des 18. und 19. Jahrhunderts über, bei dem einfache Ritzlinien geblaute und ungeblaute Flächen trennen und das Verlaufen der Farbe verhindern.
Engl.: incised decoration made with a forklike tool
Frz.: décor à la fourchette
Bibliographie:
Büttner 1997
Andreas Büttner, Steinzeug Westerwälder Art des ausgehenden 16. Jh. bis 1800 in Lüneburg (Archäologie und Bauforschung in Lüneburg Band 3), Lüneburg 1997.
Falke 1908
Otto von Falke, Das rheinische Steinzeug, Osnabrück 1908.
Francke 1999
Ursula Francke, Kannenbäcker in Altenrath. Frühneuzeitliche Steinzeugproduktion in Troisdorf-Altenrath, Siegburg 1999.
Frascoli 1997
Lotti Frascoli, Handwerker- und Kaufmannshaushalte im frühneuzeitlichen Winterthur. Untersuchungen zu vier Liegenschaften in der Altstadt (Monographien der Kantonsarchäologie Zürich 29), Zürich/Egg 1997.
Gaimster 1997
David R. M. Gaimster, German Stoneware 1200-1900. Archaeology and cultural history, London 1997.
Heege 2009
Andreas Heege, Steinzeug in der Schweiz (14.–20. Jh.). Ein Überblick über die Funde im Kanton Bern und den Stand der Forschung zu deutschem, französischem und englischem Steinzeug in der Schweiz, Bern 2009.
Hume 2001
Ivor Noël Hume, If these pots could talk. Collecting 2000 years of British household pottery, Milwaukee, WI 2001.
Koetschau 1924
Karl Koetschau, Rheinisches Steinzeug, München 1924.
Reineking-von Bock 1986
Gisela Reineking-von Bock, Steinzeug (Kataloge des Kunstgewerbemuseums Köln 4), Köln 1986.
Reinhold 1990
Harald Reinhold, Zur Geschichte des Keramikmuseums Westerwald, in: Keramikmuseum Westerwald. Deutsche Sammlung für historische und zeitgenössische Keramik Höhr-Grenzhausen (Museum), Braunschweig 1990, 18-67.
Seewaldt 1990
Peter Seewaldt, Rheinisches Steinzeug. Bestandskatalog des Rheinischen Landesmuseums Trier, Trier 1990.
Skerry/Findlen Hood 2009
Janine E. Skerry/Suzanne Findlen Hood, Salt-Glazed stoneware in early America, Williamsburg 2009.
Solon 1892
Marc Louis Emmanuel Solon, The Ancient Art Stoneware of the Low Countries and Germany or ‘Grès de Flandres’ and ‘Steinzeug’ : Its Principal Varieties and the Places Where it Was Manufactured During the XVIth and XVIIth Centuries, London 1892.
Strauss/Aichele 1992
Konrad Strauss/Frieder Aichele, Steinzeug (Battenberg Antiquitäten-Kataloge), Augsburg 1992.