Unterengadiner Museum
Museum d’Engiadina bassa Scuol
Plaz 66B
7550 Scuol
Tel.: +41 79 438 36 64 (Herr Peter Langenegger)
E-Mail: info@museumscuol.ch
Translation in preparation
Andreas Heege, 2021
Keramik des Museum d’Engiadina bassa in CERAMICA CH
Das Unterengadiner Museum ist ein regionales Heimat- und Volkskundemuseum in Scuol. Es wurde 1954 gegründet und 1960 eröffnet. Es wird von einem Verein getragen. Das eindrückliche, herrschaftlich wirkende Museumsgebäude mit seinen Renaissance-Arkaden wird im Volksmund „chà gronda“ (grosses Haus) genannt. Seine heutige imposante Erscheinung datiert von 1704. Auf dem Rundgang durch die zahlreichen Räumlichkeiten des Hauses erkennt man dann allerdings bald, dass man sich in einem echten Engadiner Bauernhaus befindet. Nebst dem Einblick in die einfache Lebensweise unserer Vorfahren lässt der Besuch aber auch deren besonderen Sinn für Schönheit und Kultur erleben. Dies zeigt sich z. B.in der Ausstellung zu den prähistorischen Funden im Unterengadin, wie auch in der Museumsbibliothek mit Werken der romanischen Literatur von den ersten Bibelübersetzungen bis zur Gegenwart.
Beim Rundgang durch das wunderschöne Haus wird der Besucher in eine Zeit zurückversetzt, in der es noch keine Motoren gab. Zu Wohlstand ist das Engadin als Durchgangstal und durch den Tourismus gekommen. Die ursprünglichen Bewohner des Unterengadins waren Selbstversorger. Die meisten Gegenstände und Gerätschaften, die man in der Landwirtschaft und zum Leben benötigte, wurden selbst hergestellt.
Die Haushaltskeramik wurde jedoch auf dem lokalen Markt oder beim Hausierer eingekauft. Insgesamt handelt es sich in der Museumssammlung um 62 Objekte. Davon gehören 36 zur Irdenware, 3 zur Fayence, 17 zum Steingut, 2 zum Steinzeug und 4 zum Porzellan. Leider fehlen zu den Keramikobjekten die Inventardaten, sodass wir nur annehmen können, dass die Masse der Objekte aus dem Unterengadin stammt. Die Zusammensetzung der Sammlung entspricht den Erwartungen für Lokalmuseen in Graubünden, nur die Vielfalt des Geschirrs aus Steingut ist auffällig.
Aus der Region Berneck SG stammt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts typischerweise die überwiegende Zahl der Keramik “Heimberger Art”, Milchtöpfe, Schüsseln und Röstiplatten mit roter, beiger und schwarzer Grundengobe, Malhorn- und Springfederdekor. Eine Reihe von Keramiken wurde auch mit Farbkörpern in der Grundengobe verziert. Kombinationen mit farbigen Malhornstreifen kommen vor.
Eine einzelne Röstiplatte könnte aufgrund des Dekors auch direkt aus der Region Heimberg-Steffisburg im Kanton Bern stammen.
Ungewöhnlich ist das Vorkommen einer einzelnen Tasse aus mährischer Produktion des späten 19. Jahrhunderts. Sie entstand in der Manufaktur Johann Muck in Znaim-Leska (heute Znojmo). Eine zweites Stück dieses Herstellers steht im Heimatmuseum Davos.
Manganglasiertes Geschirr der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das wohl überwiegend in der Deutschschweiz, vor allem Kilchberg-Schooren, hergestellt wurde, ist mit den üblichen Formen vertreten. Es sind keine gemarkten Stücke vorhanden.
Bislang singulär ist ein Doppelhenkeltopf mit Wellenlinienzier und dunkelbrauner Glasur, den man gerne irgendeiner Töpferei in Graubünden zuschreiben würde. Aufgrund des starken Ammoniakgeruchs wurde er wohl als Färbetopf mit einer kalten Indigo-Urin-Küpe verwendet.
Als Form singulär ist bislang auch die Dreibeinpfanne mit Stülpdeckel aus einem hellbrennenden Ton, die wohl im süddeutschen Raum hergestellt wurde. Aus dieser Region stammen in Liechtenstein und Graubünden sonst meist Töpfe mit Deckel oder Bräter.
Fayence ist in der Sammlung sehr selten, jedoch ist der vorhandene Boccalino für das Engadin eine normale und zu erwartende Form, legt man z.B. die Sammlung des Museum Engiadinais in St. Moritz zugrunde.
Das Vorhandensein eines Historismus-Fayencetellers (nach 1891 vor 1930) aus der Faïencerie d’art von Alfred Renoleau in Angoulême, Nouvelle-Aquitaine, Dép. Charente, kann nicht erklärt werden. Der Teller trägt das Stadtwappen von Angoulême und rückseitig die Signatur des Werkstattbesitzers.
Steinzeug liegt mit zwei typischen Doppelhenkeltöpfen vor, von denen der kleinere eine grosse Überraschung darstellt ist er doch mit der Marke von Mario Mascarin aus Muttenz im Kanton Basel Landschaft versehen. Bislang war zwar bekannt, dass Mascarin auch Steinzeug mit importierten Tonen fertigte, dass er jedoch nach 1946 in Muttenz auch Vorratsgeschirr produzierte, war unbekannt.
Auch die Gruppe des Porzellans ist wenig umfangreich. Eine leider ungemarkte Kaffeekanne mit tiergestaltigem Ausguss könnte eventuell aus Deutschland oder auch aus Frankreich stammen.
Zum üblichen Importstrom aus den Porzellanfabriken des östlichen Teils des deutschen Kaiserreichs gesellt sich vor etwa 1880 in Scuol erstmals auch Porzellan aus der Berliner Firma von Friedrich Adolph Schumann.
Unbekannt war bisher, dass die Porzellanfabrik der Gebrüder Bauscher aus Weiden in der Oberpfalz nach 1900 auch eine Dependance in Luzern unterhielt, die bei schwerem Hotelporzellan eigene Aufglasurmarken verwendete.
Das Steingut ist mit auffällig vielen unterschiedlichen Herstellern vertreten.
Hersteller aus Hornberg in Baden-Württemberg, Carouge bei Genf (Degrange & Cie.) oder Luneville (Keller & Guérin) sind ebenso vorhanden, wie Utzschneider & Cie. aus Sarreguemines.
Während Keramiken aus Schramberg in der ganzen Deutschschweiz als gängig gelten können, ist dies für ähnliche Produkte aus Villingen nicht der Fall. Gemarkte Keramiken dieses Produktionsortes in Baden-Württemberg sind grosse Seltenheiten.
Ganz ungewöhnlich ist die grosse Zahl von Steingutgeschirr aus der Manufaktur von Johannes Scheller in Kilchberg-Schooren (1846-1869). Neben eigenen Umdruckmustern, die sich oft an Villeroy & Boch orientieren (z.B. Muster BRYONIA), gibt es auch geschwämmelte Dekore, die ganz eindeutig von Produkten aus Schramberg inspiriert sind und sich mit diesem Stück erstmals für Scheller nachweisen lassen.
Wie schon im Museum Engiadinais in St. Moritz gibt es daneben weitere Keramiken, die aufgrund von Form und Dekor sowohl aus Kilchberg-Schooren als auch aus einer der süddeutschen Manufakturen (Schramberg, Hornberg, Zell am Harmersbach) stammen können.
Utzscheider & Cie. in Sarreguemines lieferte sowohl pinseldekoriertes, preiswertes Kaffeegeschirr als auch Tassen, die mit einem Musterschwamm oder einem Gummistempel dekoriert wurden (rechts). Optisch lassen sich die beiden Dekortechniken kaum auseinanderhalten. Beim Pinseldekor fällt die optische Nähe zu den Mustern der übrigen süddeutschen und schweizerischen Steinguthersteller auf.
Aus Davenport in Staffordshire stammen zwei Kaffeekannen unterschiedlicher Grösse mit einem bislang in England nicht registrierten Umdruck-Muster.
Waschgeschirr aus Mailand kommt ebenfalls vor.
Aus der Porzellan- und Steingutfabrik AG Ludwig Wessel in Bonn, stammt eine für die Schweiz ungewöhnliche und aufwändig mit Goldfolien belegte Käseglocke.
Dank
Die CERAMICA-Stiftung dankt den Verantwortlichen des Museums, allen voran Herrn Peter Langenegger, herzlich für die gute Unterstützung des Inventarisationsprojektes.
Bibliographie :
Florin 1977
Luzi Florin, Kleiner Führer durch das “Museum d’Engiadina Bassa” in Scuol, Scuol 1977.
Rauch 1954
J.O. Rauch, Museum d’Engiadina bassa, Scuol, in: Bündner Monatsblatt : Zeitschrift für Bündner Geschichte, Landeskunde und Baukultur, 1954, 56-57.
Rauch 1997
Lüzza Rauch, Museum d’Engiadina Bassa Scuol – Guida-Führer-Guida, Scuol 1997.