Roland Blaettler 2019 (deutsche Originalfassung)
Graf Heinrich von Brühl (1700–1763) war eine der mächtigsten und einflussreichsten Persönlichkeiten des Fürstentums Sachsen und des Königreichs Polen unter der Herrschaft von August dem Starken und seinem Nachfolger Friedrich August II. Er hatte das volle Vertrauen des Königs. Dieses ging so weit, dass August II. Brühl mit öffentlichen Ämtern buchstäblich überschüttete. Nach dem 1733 erfolgten Tod von August dem Starken vermochte Brühl unter dessen eindeutig schwächerem Nachfolger seine Stellung noch auszubauen und wurde 1746 Premierminister. Zu den vielen Funktionen, die er während seiner Karriere ausübte, gehörte die Direktion der Porzellanmanufaktur Meissen.
Graf von Brühl zeichnete sich auch als Kunstsammler aus. In seinem Palais in Dresden und in den Bauten des Brühl’schen Gartens richtete er eine Bibliothek und eine Gemäldegalerie ein. Brühl war ein typischer Vertreter des Absolutismus; er achtete darauf, seine Macht mittels eines überaus prunkvollen Lebensstils zur Schau zu stellen. Das Meissener Porzellan spielte bei der Prachtentfaltung in seinen verschiedenen Schlössern eine entscheidende Rolle. Unter den vielen Aufträgen, die er in Meissen ausführen liess, gibt es zwei grosse Services, die in der Geschichte des europäischen Porzellans Furore machten: zum einen das berühmte Schwanenservice von 1737–1742, zum anderen das «Brühl’sche Allerlei», so genannt nach seinem alle Teile schmückenden Reliefdekor. Dieses Service, das am Ende mehr als 2000 Stücke zählte, beschäftigte die Manufaktur von 1742 bis 1747 (Lessmann 2000). Die Formen sind hauptsächlich das Werk von Johann Friedrich Eberlein (1695–1749), dem zweiten Modelleur neben Johann Joachim Kändler. Mitarbeiter war Johann Gottlieb Ehder (1716/17–1750). Der gemalte Dekor kombiniert «deutsche Blumen», Früchte und Gemüse nach Kupferstichen, unter anderem aus den vier Bänden Phytanthoza Iconographia von Wilhelm Weinmann, welche zwischen 1737 und 1745 in Regensburg herauskamen. Die Weinmann’schen Vorlagen wurden vornehmlich für Früchte und Gemüse verwendet. Wie alle grossen Ensembles dieser Art bestand das Gedeck ursprünglich aus einem Speise- und Dessertservice. Die Stücke des Dessertservice trugen in der Regel die «Conditorey»-Marke «C» (siehe HMO 8766).
Von diesem Service findet man heute nur noch verhältnismässig wenige und meist nur vereinzelte Stücke in öffentlichen Sammlungen (Cassidy-Geiger 2008, 462–465, zwei Teller und eine Terrine). Das grösste Konvolut hütet die Ermitage in St. Petersburg mit 38 Objekten. Weitere Teile befinden sich in amerikanischem Privatbesitz oder wurden öffentlich versteigert, wie beispielsweise 1977 in London bei Sotheby’s und 2012 in New York bei Christie’s. Vier Teller befinden sich heute im Historischen Museum in Olten (HMO 8565, HMO 8566, HMO 8765 und HMO 8766). Sie gelangten dorthin im Jahr 1959 mit dem Legat Maria Christen-Faesch (Felchlin 1961, 12). Einen fünften Teller bewahrt das Château de Nyon (MHPN MH-PO-4382).
Bibliographie
Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2014, 282.
Bodinek 2019
Claudia Bodinek, Ein Meissener Porzellanservice für den Grafen – Das Brühl’sche Allerlei. Keramos 235/236, 2017 (erschienen 2019), 4–134.
Cassidy-Geiger 2008
Maureen Cassidy-Geiger, The Arnold Collection of Meissen Porcelain 1710-1750. New York/London 2008.
Felchlin 1961
Maria Felchlin, Die Bedeutung der Porzellansammlung Maria Christen-Faesch im Historischen Museum Olten (Sonderdruck aus Heimat und Volk, Beilage zum Oltner Tagblatt), Olten 1961.