Cornol JU, Fayencemanufaktur (1760-1824)

Ursule Babey 2019

Die archäologische Erforschung

Über die Fayencemanufaktur in Cornol wussten wir bis zum Beginn des 3. Jahrtausends nur das, was Gustave Amweg, Kunsthistoriker für die Region Jura veröffentlicht hatte (Amweg 1941). 2003 ereignete sich am Rande der ehemaligen Fabrik (heute ein Restaurant) ein Erdrutsch, und wir kamen auf die Idee, den Inhalt der ausplanierten Erdschichten zwischen dem Gebäude und einem davor verlaufenden Bach zu untersuchen. Die Schichten quollen über von Keramikfragmenten jeglicher Art. Die archäologischen Grabungen, die in drei Etappen durchgeführt wurden (2003, 2004, 2007), erbrachten ein Inventar von etwa 100.000 Scherben aus der Abfallhalde der Werkstatt. Sie bildeten die Arbeitsgrundlage für neue Erkenntnisse zur Produktion der Fayencefabrik Cornol-Lion d’Or. Neben der verwendeten technischen Keramik (Brennkapseln, Brennhilfen usw.) brachte die Deponie eine beträchtliche Anzahl von Schrühbränden zum Vorschein, die Rückschlüsse auf Formen und Verzierungen ermöglichten, sowie Fragmente von weisser Fayence, bemalt und unbemalt, Tafelgeschirr mit manganschwarz glasierter Rückseite («à cul noir») oder mit manganviolettem Spritzdekor («moucheté»). Ausserdem gab es Fragmente aus Pfeifenton (Steingut) und Ofenkacheln.

Die Ausgrabung förderte jedoch keine Strukturen zutage, die mit dem Betrieb der Manufaktur in Zusammenhang standen.

Weihwasserbecken mit Rocaillenmotiv und Strahlendekor. Gemodelter Schrühbrand. Höhe: 16,3 cm, um 1760-1770. Ausgrabungen von Cornol-Lion d’Or (Foto: OCC-SAP, B. Migy). Ref. CAJ 37, Pl.40.389.

Fragment eines Tellers mit fassoniertem Rand, gemodelter Schrühbrand. Relief einer Blumengirlande. Durchmesser: ca. 32 cm, spätes 18. oder frühes 19. Jahrhundert. Ausgrabung von Cornol-Lion d’Or. (Foto: OCC-SAP, B. Migy). Ref. CAJ 37, Pl. 39.375.

Henkel oder Griff(?) in Form eines plastischen Satyrs , gemodelter Schrühbrand. Höhe: 3 cm, spätes 18. Jahrhundert. Ausgrabung von Cornol-Lion d’Or. (Foto: OCC-SAP, B. Migy). Ref. CAJ 37, Pl.26.225.

Die Untersuchung der Abfallhalde wurde durch die Auswertung relevanter Auszüge aus Archiven mehrerer öffentlicher Sammlungen ergänzt. Die historischen Quellen ermöglichten es, die verschiedenen Akteure, die mit der Fayencemanufaktur verbunden waren (Gründer, Besitzer, Produktionsleiter, Töpfer, Maler, Arbeiter, Händler), genauer zu beschreiben wie auch ihre wirtschaftlichen Strategien, ihr soziales Umfeld, ihre Geschäftstätigkeit sowie die Geschäftsübergabe. Anhand einer Beschreibung der Produktionswerkzeuge, nebst einer Erwähnung von gewissen technischen und kommerziellen Aspekten, konnte man Rückschlüsse auf die Produktion selbst ziehen. Schriftliche Unterlagen der Manufaktur sowie das Firmenarchiv fehlen jedoch vollständig.

 

Rasierbecken mit weisser Fayenceglasur, das Cornol, dank eines Vergleichs mit einem Schrühbrandexemplar zugeschrieben werden kann. Der Schrühbrand hat die gleichen Merkmale: Form des Randes, Lage der Haltevertiefung für den Daumen, Form des halbkreisförmigen Ausschnitts für den Hals. Museum der Kulturen, Basel, Inv. VI.4411. (Foto: OCC-SAP, B. Migy). Ref. CAJ 37, S. 182, Abb. 128.

Allgemeiner Kontext

Die Geschichte der Keramik aus Cornol beginnt schon Ende des 17. Jahrhunderts. Vermutlich stellten die Töpfer Tafelgeschirr aus lokalen Rohstoffen, wie den blauen Oxford-Mergeln, her, die sich vor etwa 160 Millionen Jahren auf dem Grund eines flachen Meeres bildeten und grosse, äusserst dichte Ablagerungen aus einem homogenen, sehr feinen und kompakten Ton enthielten. Dieser ist in der Ajoie sehr verbreitet und in der letzten Jurafalte auf dem Gebiet von Cornol leicht zugänglich. Die in der Ortschaft bereits etablierte Töpfertradition gab sicherlich den Ausschlag, in Cornol die einzige Fayencemanufaktur im alten Bistum von Basel zu gründen.

Als das Unternehmen 1760 gegründet wurde, dominierte die Stahlindustrie den Wirtschaftssektor. Diese Holzkohle verschlingende Industrie, die für das finanzielle Gleichgewicht des Staates, der die gesamte Betriebs- und Absatzkette kontrollierte, notwendig war, wurde vom Fürstbischof Jakob Christoph Blarer von Wartensee gefördert. Er erkannte all ihre Vorteile und nutzte sie bereits 1575, um die schwankende Wirtschaft des Basler Bistums wieder anzukurbeln. Sie überschattete die Entwicklung anderer holzbasierter Industrien, insbesondere die Keramik-produktion.

Geschichte der Fayencemanufaktur

Georges Humbert Triponez (1727-1767), ein junger Jurist am fürstbischöflichen Hof, war erst 33 Jahre alt und ohne beruflichen Hintergrund in der Keramikherstellung, als er am 25. Juni 1760 die Erlaubnis zur Gründung einer Fayencemanufaktur in Cornol beantragte. Wir wissen nichts über seine Beweggründe: Weder seine Herkunft, noch seine juristische Ausbildung, noch sein Familienkreis haben ihn zu diesem unternehmerischen Abenteuer gedrängt, das im wirtschaftlichen Kontext des Ancien Régime eine avantgardistische Dimension annahm. Tatsächlich gab es damals in der Region noch sehr wenige Unternehmer im modernen Sinne des Wortes.

Die einzige plausible Erklärung für diesen Schritt ist die allgemeine Begeisterung für Fayence in der Mitte des 18. Jahrhunderts in ganz Ostfrankreich, insbesondere in der Region Comté, sowie die Tatsache, dass Triponez in Besançon Jura studierte. Zufällig traf er in der Stadt Pruntrut zwei Fayencler, die einen Standort für die Einrichtung einer Werkstatt suchten. Er beschloss, nicht nur nach einem geeigneten Ort zu suchen, sondern auch gleich selber alles aus dem Nichts aufzubauen. Die Genehmigung wurde ihm problemlos erteilt, man gewährte ihm ein Herstellungsmonopol, das Recht, Rohstoffe zu nutzen und Holz zu kaufen, sowie das Recht, ausländische Spezialisten einzustellen, die sogar von der Ausreisegebühr befreit wurden. Triponez stieg gut ins Keramikgeschäft ein, denn seine Fayencemanufaktur befand sich in der Ajoie, weit entfernt von den Stahlwerken, dem Monopol und dem Haupteinkommen der Staatskasse. Doch diese vielversprechenden Anfänge waren nur von kurzer Dauer. In Wirklichkeit wurde er von der Gemeinde Cornol als Fremder betrachtet, der zudem ausländische Arbeitskräfte ins Dorf brachte. Und neben den endlosen finanziellen Problemen, mit denen er zu kämpfen hatte, war er ständig Opfer von Scherereien, sogar von körperlicher Aggression. 1766 war er gezwungen, sich mit Charles Exchaquet  von Court zusammenzuschliessen, der das Ziel hatte, in seinem Dorf selbst eine Fayencefabrik zu eröffnen. Die Zusammenarbeit fand ein jähes Ende durch den plötzlichen Tod von Triponez im Alter von kaum 40 Jahren. Der durch Schulden belastete Betrieb wurde sukzessive von verschiedenen Gläubigern entweder allein oder in Konsortien übernommen. Bis zum Ende des Ancien Régime wurde das Unternehmen niemals profitabel. Abgesehen von der anfänglichen Unterstützung durch den Fürstbischof erhielt die Fayencemanufaktur keine weitere Hilfe, weder von der Korporation noch von der lokalen Bevölkerung, Letztere entwickelte sogar eine offene Feindseligkeit ihr gegenüber.

Die Französische Revolution und die Eingliederung der Region nach Frankreich war eine harte Zeit für das kleine Unternehmen, das seine Produktion auf Dachziegel umstellte, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Region noch sehr wenig verbreitet waren. Ausserdem verschwand die Herstellung von Fayence im ersten Viertel dieses Jahrhunderts vollständig, während die Ziegelproduktion bis 1861 überlebte. In jenem Jahr wurde das Gebäude von einem Gastwirt übernommen, der eine Töpferei mit zwei Öfen einrichtete. Seine Werkstatt produzierte etwa zehn Jahre lang.

Der Umfang der Produktion

Tischgeschirr, Geschirr zum Auftragen und Servieren, Hygienegeschirr und Ofenkacheln, die Produkte von Cornol unterschieden sich in Bezug auf ihre Funktion nicht von zeitgleichen anderen Fayencemanufakturen. Das Unternehmen nutzte alle Marktlücken und Nischenprodukte, die damals in Mode waren, im Rahmen seiner Ressourcen und technischen Möglichkeiten.

Auf der formalen und dekorativen Ebene wurden zahlreiche Stile miteinander vermischt, sie waren Ausdruck der historischen Veränderungen und existenziellen Schwierigkeiten, mit denen die Manufaktur zu kämpfen hatte. Es gab dementsprechend nicht einen «Cornol»-Stil, sondern mehrere.

 

Kleiner Fayenceteller mit flachem geradem Rand und blauer Inglasurmalerei ohne schwarze Einfassungslinien («qualité non contournée»). Durchmesser: 19,6 cm, Anfang 19. Jahrhundert. Ausgrabung von Cornol-Lion d’Or. (Foto: OCC-SAP, B. Migy). Ref. CAJ 37, Pl. 57.484.

Flacher, Fayenceteller mit gekehltem, fassoniertem Rand, Inglasurmalerei mit Einfassungslinien «en qualité contournée». Manganviolett gemalter Blumenstrauss im Spiegel, bestehend aus Nelken und Glockenblumen, und vier verschiedenen Blumenzweigen auf der Fahne. Überfeuerter und reduzierend gebrannter Fehlbrand. Durchmesser: 26 cm, um 1760-1770. Ausgrabungen von Cornol-Lion d’Or. (Foto: OCC-SAP, B. Migy). Ref. CAJ 37.

Einige intakte Stücke aus Schweizer Museen konnten mit den gefundenen Fehlbränden in Verbindung gebracht werden, darunter eine Suppenschüssel, die früher Lenzburg zugeschrieben wurde, und eine Reihe von flachen Tellern mit vielpassigem Rand, die auf der Rückseite mit einem «C» gemarkt sind.

Es war nicht möglich, die bei der Ausgrabung gefundenen Gegenstände mit den Namen von Handwerkern, die im Archiv gefunden wurden, in Verbindung zu bringen, da keine signierten Gegenstände vorlagen. Einzig ein Reisepass für Fayenceverkäufer, der den Stempel der Fayencemanufaktur aus dem Jahr 1770 trug, ermöglichte es, die mit einem «C» gekennzeichneten Stücke mit Jean-Baptiste Snamenatzky, Fayencler und damaliger Direktor und Pächter der Fayencemanufaktur, in Verbindung zu bringen. Sehr wahrscheinlich stammte Snamenatzky aus einem osteuropäischen Land. Seine Anwesenheit in Cornol ist von April 1769 bis zu seinem Tod 1795 bezeugt. Verheiratet war mit einer Bürgerin von Bassecourt, mit der er sieben Kinder hatte, darunter drei Söhne, die ebenfalls später Fayence herstellten.

Fayenceteller mit Nelkendekor und blauer Pinselmarke «C» auf der Rückseite, Inglasurmalerei. Das «C» für Cornol nimmt einen grossen Teil des Siegels der Manufaktur ein. Die Motive mit der Nelke und den Glockenblumen ähneln Dekoren, die unter den Fragmenten der Ausgrabung des Lion d’or gefunden wurden. Um 1770. Museum der Kulturen, Basel, inv. VI.3385. (Photo : OCC-SAP, B. Migy). Réf. CAJ 37, p. 194, Fig. 144.

 

Siegel aus rotem Siegellack mit dem Wappen der Fayencemanufaktur von Cornol. In der Mitte steht der Buchstabe C in Blumenform, umringt von stilisierten Zweigen und der Inschrift: «FAYANCERIE DE CORNOL 1770». Durchmesser: 2,8 cm. Archiv des ehemaligen Bistums Basel, Pruntrut, GHFAM 4, Reisepass vom 7. April 1770. Ref. CAJ 37, S. 134, Abbildungen 63 und 64.

 

Bibliographie :

Amweg Gustave, Les arts dans le Jura bernois et à Bienne. II. Arts appliqués. Chez l’auteur, Porrentruy 1941.

Babey Ursule, Johann Jacob Frey. Le faïencier qui aimait trop la porcelaine – deux essais d’implantation dans le Jura méridional. Revue des Amis suisses de la céramique 123, 2010, 29-49.

Babey Ursule, Archéologie et histoire de la terre cuite en Ajoie, Jura, Suisse (1750-1900). Les exemples de la manufacture de faïence de Cornol et du centre potier de Bonfol. Office de la culture et Société jurassienne d’Emulation. Cahier d’archéologie jurassienne CAJ 37. Porrentruy 2016.  Pour se procurer un exemplaire : https://www.jura.ch/fr/Autorites/Archeologie-2017/Publications/Les-cahiers-d-archeologie-jurassienne-CAJ.html