Dendritischer Dekor

Dendritischer Dekor in CERAMICA CH

Andreas Heege, Pierre-Yves Tribolet 2019

Die Bezeichnung des Dekors geht auf das griechische Wort «dendros» für Baum zurück und beschreibt damit das bäumchenartige bzw. pflanzliche Erscheinungsbild des Dekors. In England bzw. Amerika wird der Dekor unter dem Begriff «mocha» bzw. «mochaware» geführt (Brooks 2005, 40; Rickard 1993; Rickard 2006). Letzteres soll sich auf den über den jemenitischen Hafen el Mukha exportierten Moosachat-Stein beziehen, der ähnlich aussah. In Frankreich wird der Dekor als «le décor herborisé», «décor d’herborisation» oder «deuil à la Reine» bezeichnet (Maire 2008, 50 und 278–281). Der Name „Deuil à la Reine“ entstand aus dem Glauben, dass diese Dekoration während der Restaurationszeit zum Gedenken an Ludwig XVI. und Marie-Antoinette geschaffen wurde und dass die Profile des Königs und der Königin zwischen den dendritischen Dekoren – die als Trauerweiden angesehen wurden – versteckt seien (Blondel 2001, 226).

In Deutschland finden sich zusätzlich die Bezeichnungen «Zerfliess-Technik» oder «Diffusions-Technik». Diese Bezeichnungen werden von der chemischen Reaktion abgeleitet, die dem Ganzen zugrunde liegt. Dabei bilden feuchte Engoben eine alkalische Grundlage, auf die eine saure Farbstoffmischung aufgeträufelt, mit dem Pinsel aufgetragen oder aufgespritzt wird. Diese verzweigt sich unmittelbar nach dem Auftrag in das dendritische Muster (Storr-Britz 1977, 128; Storr-Britz 1982, 93; Blondel 2001, 226; Maire 2008, 278–281). Für die aufgetragene saure Farbemulsion gibt es verschiedenste Rezepturen auf der Basis von Essig/Apfelessig, Urin, Teeblättern und Tabak sowie Braunstein (Hume 1969, 131; Turnbull 1974; Brooks 2005, 40).

Klassischerweise handelt es sich um eine Dekortechnologie der zunächst englischen, dann auch französischen und deutschen Steingutproduktion, wobei manganviolette oder schwarze Dekore überwiegen. Aber auch blaue und gelbe Muster kommen selten vor. Als Beginn der Produktion in Montereau/Creil, Frankreich, wird 1803/1804 angegeben, nachdem die Produktion in England spätestens in den 1790er Jahren einzusetzen scheint (Hume 1969, 131; Rickard 1993; Carpentier/Rickard 2001, 122). Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde die Dekortechnik dann auch in die Irdenware-Dekoration verschiedener Regionen der Deutschschweiz (z.B. in St. Antönien, Kanton Graubünden bzw. in der Region Heimberg-Steffisburg im Kanton Bern) aufgenommen (Heege 2010, Abb. 64,2; Heege 2012, Abb. 11,2 und Abb. 12; Heege 2016, 87–88;  Roth-Rubi/Schnyder/Egger u.a. 2000, Abb. 26; Stolle 1981, 47 und Kat. 221; Klein 1989, Taf. 31; Hillenbrand/Spies 1965, Taf. VIII,25; Hafnergeschirr Pustertal 2017, Kat. 167, 173).

Synonyme: Zerfliess-Technik, Diffusions-Technik

Frz.: décor herborisé,  décor d’herborisation, deuil à la Reine

Engl.: dendritic decoration, mocha, mochaware, seaweed decoration

Bibliographie:

Blondel 2001
Nicole Blondel, Céramique: vocabulaire technique, Paris 2001.

Brooks 2005
Alasdair Brooks, An Archaeological Guide to British Ceramics in Australia, 1788-1901, Sydney 2005.

Carpentier/Rickard 2001
Donald Carpentier/Jonathan Rickard, Slip Decoration in the Age of Industrialization, in: Ceramics in America, 2001, 115-134.

Hafnergeschirr Pustertal 2017
Dietenheim Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde/Universität Innsbruck Institut für Archäologien (Hrsg.), Hafnergeschirr aus dem Pustertal. Formen und Dekore des 18. bis 20. Jahrhunderts (Nearchos 22), Innsbruck 2017.

Heege 2010
Andreas Heege, Keramik um 1800. Das historisch datierte Küchen- und Tischgeschirr von Bern, Brunngasshalde, Bern 2010.

Heege 2012
Andreas Heege, Drei neuzeitliche Grubeninventare von Jegenstorf, in: Archäologie Bern/Archéologie bernoise. Jahrbuch des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern, 2012, 159-196.

Heege 2016
Andreas Heege, Die Ausgrabungen auf dem Kirchhügel von Bendern, Gemeinde Gamprin, Fürstentum Liechtenstein. Bd. 2: Geschirrkeramik 12. bis 20. Jahrhundert, Vaduz 2016.

Heege 2019
Andreas Heege, Keramik aus St. Antönien. Die Geschichte der Hafnerei Lötscher und ihrer Produkte (1804-1898) (Archäologie Graubünden – Sonderheft 7), Glarus/Chur 2019,  191-193.

Hillenbrand/Spies 1965
Karl Hillenbrand/Gerd Spies, Hafnerware in Südwestdeutschland (Der Museumsfreund. Aus Heimatmuseen und Sammlungen in Baden-Württemberg 6), Stuttgart 1965.

Hume 1969
Ivor Noël Hume, A guide to artifacts of Colonial America, Philadelphia 1969.

Klein 1989
Georges Klein, Poteries populaires d’Alsace, Strassburg 1989.

Maire 2008
Christian Maire, Histoire de la faïence fine francaise 1743-1843, Le Mans 2008.

Rickard 1993
Jonathan Rickard, Mocha Ware. Slip-decorated refined earthenware, in: Antiques, 1993, 182-189.

Rickard 2006
Jonathan Rickard, Mocha and Related Dipped Wares, 1770-1939, Hanover 2006.

Roth-Rubi/Schnyder/Egger u.a. 2000
Kathrin und Ernst Roth-Rubi/Rudolf Schnyder/Heinz und Kristina Egger u.a., Chacheli us em Bode… Der Kellerfund im Haus 315 in Nidfluh, Därstetten – ein Händlerdepot, Wimmis 2000.

Stolle 1981
Walter Stolle, Volkstümliche Keramik aus Hessen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart dargestellt an Beispielen aus Mittel- und Südhessen. Ausstellung des Hessischen Museumsverbandes 1981, Kassel 1981.

Storr-Britz 1977
Hildegard Storr-Britz, Ornamente und Oberflächen in der Keramik, Düsseldorf 1977.

Storr-Britz 1982
Hildegard Storr-Britz, Keramik dekorieren. Neue und alte handwerkliche Techniken, Ravensburg 1982.

Turnbull 1974
Margaret E. Turnbull, Mochaware in: The Antiques Journal, 1974, 42-43.