Giesskanne (Sprenzhafen)

Andreas Heege, 2020

Keramische Giesskannen sind seit dem späten Mittelalter bzw. der frühen Neuzeit bekannt. Sie stellen gleichwohl grosse Seltenheiten dar und sind bis heute nicht zufriedenstellend monographisch bzw. in ihrem funktionalen Kontext bearbeitet (vgl. z.B. eine Giesskanne aus Lüneburg: Kühlborn 1996; Kröll 2002; Kröll 2012, 68-70, Taf. 47,1.2 mit umfassenderer Literatur. Auch: Pearce/Vince/Jenner 1985, Fig. 77; Gross 2007, S. 39 Abb. 4; Moorhouse 1991, 106-108; Salesch 1999a, Abb. 7). Das liegt vermutlich daran, dass zerbrochene Objekte oft nicht als solche erkannt werden oder die Funktion der Objekte nicht richtig gedeutet wird. Dies dürfte auch damit zusammenhängen, dass die altertümlichen Giesskannen sich in ihrem äusseren Erscheinungsbild grundlegend von dem unterscheiden, was wir heute als Giesskanne bezeichnen würden, nämlich ein Gefäss mit Tragebügel oder massivem Henkel und röhrenförmigem, vorne oft siebförmig gestaltetem Ausguss, meist aus Metall oder heute aus Plastik und nur sehr selten auch aus Keramik (Hillenbrand/Spies 1965, Abb. 100 Taf. XXXVII; Scheufler 1972, Taf. V, Nr. 97-99 und Abb. 75; Böhmer 2006, 99, Abb. 101-102; Moorhouse 1991, Fig. 9,6,B).

Es gibt jedoch im elsässisch-baden-württembergischen Raum eine weitere Giesskannenform aus engobierter und bemalter Irdenware, “Sprenzhafe” genannt, deren Funktion nach den vorliegenden Berichten nicht oder nicht nur zum Bewässern der Blumen gedacht war. Vielmehr verwendete man solche Gefässe innerhalb des Hauses zur Befeuchtung der Stubenfussböden vor dem Kehren.  Das Wasser, das aus zwei Löchern im Boden des Gefäßes abfloss, diente als Bindemittel für den feinen Staub, den der zertretene Sand bildete, mit dem die Fußböden nach der Reinigung neu eingestreut wurden. Aus dem Elsass sind einige bemalte Objekte mit Malhorndekor und Sprüchen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt (Klein 1976, 121-122, Abb. 6,1; Klein 1989, 263, Taf. 173:  “Arrosoir de chambre – Pot en forme de mamelle de vache et d’entonnoir avec un trou d’écoulement à la base pour arroser la chambre avant de balayer afin de ne pas faire lever la poussière”). Eines dieser Stücke trägt passende Aufschriften:

Mädchen steht auf
und koch die sub (Suppe)
melk die kuh
und feg die Stub

Sieh an das mädchen
von wunder an
wie es die stube fegen kann
es fegt alle winkel aus
und tragt auch den träk (Dreck) hinaus.

Erstaunlicherweise fehlen “Sprenzhäfen” in den bebilderten Verkaufskatalogen aus Soufflenheim, Elsass (Legendre/Maire 1996 und 2010), ohne, dass der Grund dafür erkennbar wäre.

Ein formal identisches Objekt verwahrt das MAHN (Inv. MAHN AA 3277, siehe Titelbild). Es dürfte ebenfalls aus dem Elsass stammen, auch wenn es schon 1910 in Biel als bernische Keramik verkauft wurde (Blaettler/Ducret/Schnyder 2013, 200 Pl. 79,2). Jedenfalls haben sich bis heute in keinem weiteren schweizerischen Museum solche Sprenzhäfen gefunden, deren Dekor eindeutig als bernisch oder heimbergisch eingestuft werden könnte.

Aus dem baden-württembergischen Oppenau stammt möglicherweise ein Sprenzhafen aus kobaltblau bemaltem Steinzeug “Westerwälder Art” (Blanc 2013, 45 Abb. 27). Es ist also damit zu rechnen, dass es weitere Produktionsorte dieser Gefässform mit Spezialfunktion gegeben haben sollte.

Frz.: Arrosoir pour la maison

Engl.:  Watering pot

 

Bibliographie:

Blanc 2013
Eva Blanc, Die Steinkrugfabrik in Oppenau (1824–1878/80). Geschichte und Erzeugnisse (online-publikation: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-68999), Tübingen 2013.

Böhmer 2006
Herbert Böhmer, Die Ilzer Hafner. Schwarzgeschirr aus Passau vom Ende des 16. bis Ende des 19. Jahrhunderts, Grafenau 2006.

Gross 2007
Uwe Gross, Nochmals zur “Rotbemalten Buocher Feinware”, in: Buocher Hefte, 27. Jahrgang, 2007, 34-48.

Hillenbrand/Spies 1965
Karl Hillenbrand/Gerd Spies, Hafnerware in Südwestdeutschland (Der Museumsfreund. Aus Heimatmuseen und Sammlungen in Baden-Württemberg 6), Stuttgart 1965.

Klein 1976
Georges Klein, Formgebung, Schmuckmotive und Sinnbilder der elsässsischen volkstümlichen Keramik in Bezug auf Brauchtum im Jahres- und Lebenslauf, in: Ingolf Bauer, Volkstümliche Keramik aus Europa: Zum Gedenken an Paul Stieber, München 1976, 114-128.

Klein 1989
Georges Klein, Poteries populaires d’Alsace, Strassburg 1989.

Kröll 2002
Karola Kröll, Scheinbar wider die Schwerkraft (eine Giesskanne), in: Denkmalpflege in Lüneburg 2002, 2002, 50-51.

Kröll 2012
Karola Kröll, Die frühneuzeitliche Gefässkeramik der Lüneburger Töpferei “Auf der Altstadt 29” (Archäologie und Bauforschung in Lüneburg 8), Rahden 2012.

Kühlborn 1996
Marc Kühlborn, Keramik und Glasfunde der Fundstelle “Auf der Altstadt 29”, in: Frank Andraschko/Hilke Lamschus/Christian Lamschus u.a., Ton, Steine, Scherben (De Sulte 6), Lüneburg 1996, 41-70.

Legendre/Maire 1996
Jean-Pierre Legendre/Jean Maire, La céramique de Soufflenheim (Bas-Rhin) du milieu du XIXe siècle au début du XXe siècle. Typologie de la production et éléments de chronologie, in: Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 39, 1996, 139-170.

Legendre/Maire 2010
Jean-Pierre Legendre/Jean Maire, Nouveaux éléments pour la chronologie de la céramique de Soufflenheim au XIXe et auch XXe siècle, in: Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 53, 2010, 161-175.

Moorhouse 1991
Stephen Moorhouse, Ceramics in the medieval garden, in: Anthony E. Brown, Garden archaeology (CBA Research Report 78), London 1991, 100-117.

Pearce/Vince/Jenner 1985
Jacqueline Pearce/Alan G. Vince/M. Anne Jenner, A dated type-series of London Medieval pottery Part 2: London-Type Ware (London and Middlesex Archaeological Society, Special Paper 6), London 1985.

Salesch 1999a
Martin Salesch, Gartenarchäologie in Westfalen, in: Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 9/C, 1999, 231-244.

Scheufler 1972
Vladimír Scheufler, Lidové hrnčířstvi v českých zemích – Volkstümliche Töpferei in den böhmischen Ländern, Prag 1972.