Keramik «Langnauer Art 1», Kanton Bern

Keramik «Langnauer Art 1» in CERAMICA CH

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Andreas Heege, 2019

Die im Folgenden zu besprechende Keramikgruppe wurde aus der Bearbeitung der Langnauer Keramik bewusst herausgetrennt. Sie besteht aus Irdenware mit weisser Grundengobe, Ritz- und Malhorndekor in Rot, Grün und Dunkelbraun. Insgesamt liegen 17 Gefässe unterschiedlicher Typen vor (Giessfass, Schälchen mit einbiegendem Rand, Schüsseln, Terrinen mit Stülpdeckel, Rasierbecken und Breitrandteller). Sechs Objekte tragen Datierungen zwischen 1739 und 1742, weshalb die gesamte Gruppe wohl in die Zeit um 1740 datiert werden kann.

Für die Bearbeiter bernischer Irdenwaren und der Langnauer Keramik wie Emil Aeschlimann und Robert L. Wyss, bestand kein Zweifel daran, dass diese Keramikgruppe zur Langnauer Keramik gehört (Aeschlimann 1928, 27; Wyss 1966, Taf. VII. Vgl. auch Boschetti-Maradi 2006, 132 Abb. 174). In Kenntnis von knapp 2000 Langnauer Objekten, die mit guten Gründen der Langnauer Produktion der verschiedenen Hafner Herrmann zugewiesen werden können, stellt sich diese Situation heute jedoch etwas anders dar (Heege/Kistler 2017/2). Wiederholte Sortierungen der Langnauer Keramik liessen die vorliegende Gruppe vor allem aufgrund der Dekormotive immer wieder durch die angelegten Raster fallen. Die Dekorfarbigkeit und die Verwendung eines Stechzirkels für die Dekoration entsprechen jedoch dem, was man auch von einem Teil der Langnauer Produktion dieses Zeithorizontes kennt. Andererseits sind die Gefässformen dem üblichen Typenspektrum der Keramik des Kantons Bern und Langnaus eng verwandt, so dass man wohl eine Herstellung im Kantonsgebiet erwarten kann.

Das älteste Stück aus dem Jahr 1739 ist eine typische, kleine Stülpdeckelterrine mit glatten, mit dem Malhorn verzierten Grifflappen aus dem Museum der Kulturen in Basel (MKB HM-1901-175). Die Terrine ist sowohl auf er Innen- als auch der Aussenseite datiert. Die Deckelinnenseite zeigt Bogenmotive, wie sie ähnlich auch bei Langnauer Keramik auftreten. Die Aussenkante des Deckels ist ebenfalls gekerbt, jedoch nicht in derselben Art, wie wir dies normalerweise bei den Langnauer TE 1 finden (Heege/Kistler 2017/2, Kap. 10, TE 1). Die Gestaltung der Blumenmotive weicht deutlich von den sonstigen Langnauer Keramiken dieses Zeithorizontes ab. Zwei weitere Stülpdeckelterrinen aus dem Regionalmuseum Langnau können angeschlossen werden (RML A165, RML A166). Die erste weist für Langnauer Verhältnisse untypische Ansätze der Grifflappen und eine rot engobierte Innenseite auf. Die zweite wirkt mit dem merkwürdigen Blumendekor des Deckels und dem Springfederdekor, wie eine zeitgenössische «Langnau-Kopie».

In das Jahr 1740 sind zwei Breitrandteller datiert. Der erste und zugleich eindrucksvollste stammt aus dem Bernischen Historischen Museum (BHM 4972). Seine Vorderseitengliederung orientiert sich mit grosser Wahrscheinlichkeit an chinesischen Porzellanvorbildern oder niederländischen bzw. deutschen Fayencen mit Chinoiserien (Piereth/Ulrichs 2010, CD Seite 106, Ansbach um 1730; vgl. auch Blaettler/Ducret/Schnyder 2013, Taf. 151,8, Delft 1750-1785). Die kreis- und bogenförmigen Linien sind mit einem Stechzirkel eingeritzt, was sehr an die zeitgliche Langnauer Zirkelschlagornamentik erinnert (vgl. Heege/Kistler 2017/2, Kap. 4). Den Spiegel ziert eine kleine Vase mit einem grossem Blumenbouquet und dem Datum 1740. Die Rückseite nennt den Besitzer des Tellers «Jost Bracher». Familien mit dem Namen Bracher waren um 1800 im Kanton Bern in Affoltern im Emmental, Bannwil, Hasle bei Burgdorf, Heimiswil, Langenthal, Lyssach, Lützelflüh, Madiswil, Rüegsau und Wynigen heimatberechtigt. Die Rückseite trägt ein singuläres Motiv. Zwei Bären mit langen Zungen haben sich an einem grossen Baum aufgerichtet (zwei Ungeheuer, die an den Wurzeln der Weltenesche, des Lebensbaumes, nagen?). Von den Seiten kommen Hunde oder Füchse gelaufen. Am oberen Rand der Fahne sind zwei Löcher eingestochen. Es war also angedacht, dass man den Teller als Wandschmuck aufhängen konnte.

Drei weitere undatierte Breitrandteller sind aufgrund der Vorderseitendekoration eng verwandt, jedoch mit ihrem rückseitigen Blumendekor der Fahne jeweils etwas einfacher gestaltet (RSB IV-0212, ZHdK-KGS-01098, Privatbesitz). Die sternförmig oder als Dreier- bzw. Vierergruppe angeordneten Spiegelbilder mit tulpenförmigen Blüten, erinnern an zeitgleiche, stark stilisierte Langnauer Blumenmotive. Die Motive der Fahnendekoration erinnern an Granatapfeldekore , die sich auf Künersberger  und Schrezheimer Fayencen finden (Fröschner 1992, Kat. 194, 195, 197; Bayer 1995, Kat. 48-51; Erdner/Nagel 1972,  Kat. 292).

Einen weiteren ungewöhnlichen Teller ziert ein springendes, möglicherweise gesatteltes Pferd (RML A005), das in seiner Art deutlich von den üblichen Langnauer Pferdedarstellungen abweicht (vgl. Heege/Kistler 2017/2, Kap. 6). Unter dem Pferd steht die Datierung 1740. Die Blumen auf der Fahne entsprechen ganz denen der übrigen Teller dieser Keramikgruppe, die auch keine Aufhängevorrichtung aufweisen.

Mit dem Stechzirkel eingeritzte Bögen auf der Fahne und die typischen Blumen mit rosettenförmigen Blüten verbinden zwei weitere Teller mit den vorhergehenden Stücken (RML A001, BHM 8020). Anders als wir das sonst von der Langnauer Keramik kennen, sind die Blumen im Spiegel jetzt als Spirale angeordnet.

Aus dem Jahr 1741 stammt ein weiterer aufwendig verzierter Teller mit wellenförmig zusammengekniffenem Rand und zwei abgedrehten, flachen Standringen, ohne Aufhängevorrichtung. Er ist auf Vorder- und Rückseite flächig verziert (MKB HM-1881-0028). Im Spiegel befindet sich ein schlossartiges Architekturmotiv mit Türmen, Dachreitern, Gartenanlage und Fahnenstange, darunter ein springender Hirsch und die Datierung 1741. Die Wandung trägt ein gereihtes Fischblasenmotiv, wie es auch bei einzelnen der anderen Keramiken vorkommt. Der Rückseitendekor passt zur Vorderseite und zeigt in der Mitte einen kleinen Vogel auf einem Blumenzweig sowie den Namen «Verena Kneübüler». Familien mit dem Namen Kneubühler waren vor 1800 zwar auch in Affoltern im Emmental, Bleienbach und Frauenkappelen heimatberechtigt, wesentlich häufiger erscheint der Name jedoch im Kanton Luzern (Altishofen, Buttisholz, Egolzwil, Gettnau, Grossdietwil, Hergiswil bei Willisau, Menznau, Reiden, Ufhusen, Willisau Stadt und Land, Zell).

Der jüngste Breitrandteller ist 1742 datiert, wobei die Schreibweise der Jahreszahl gut mit der des vorhergehenden Stückes übereinstimmt. Der Verbleib des Tellers ist unbekannt (Unbekannt 02; Aeschlimann 1928, 27).

Im Herbst 2018 wurde ein bislang unbekannter flacher Teller dieser Keramikgruppe aus der Sammlung der bernischen Antiquitätenhändlerin Elsa Bloch-Diener versteigert (Auktionshaus Stuker, Sammlung Bloch-Diener, Herbst 2018, Los 259, heute GBC 12121).  Der Spiegel zeigt eine zweigeschossige Häusergruppe mit grossen bogenförmigen Einfahrtstoren und spitzen Dächern mit kreuzförmigen Dachreitern. Auf der Fahne wechseln sich Vögel mit Blumenzweigen und rechtwinklig zum Rand stehende Dekorgruppen aus eierstabartigen Ornamenten und Ranken ab. Im Spiegel steht zusätzlich der Spruch «Ein ÿeder der mich aufricht der gedänck sin nicht, denn Gedänck er sin so vergäβ ehr min». Rückseitig hat der Teller eine keramische Aufhängeöse, wie wir sie auch bei der Langnauer Keramik ab dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts kennen.

Zur Gruppe gehört ein Giessfass bzw. Wandbrunnen. Das hausförmige, eher hohe Giessfass mit abgeschrägten Ecken trägt auf den beiden Schmalseiten eine in der Schrift gut übereinstimmende Datierung 1742 (BHM 6796). Die Ecken zeigen denselben Chinoiseriedekor, wie wir ihn schon bei den Tellern gesehen haben. Weitere verbindende Elemente sind die schräg gestreiften, zwiebelartigen Blüten. Die aufgelegten bogenförmig ausgeschnittenen Leisten erinnern an Langnauer Giessfässer dieses Zeithorizontes (vgl. Heege/Kistler 2017/2, Kap. 10, GF 1, BHM 7234a), jedoch bleibt das vorliegende Giessfass erkennbar ein Einzelstück.

Zwei Schüsseln und ein kleines Schälchen (RSB IV-0227, RSB IV-0072, MKB HM-1911-0065) passen mit ihrem einfachen Blumen- und Streifendekor gut zur vorstehenden Keramikgruppe. Einfache einbiegende oder verkröpfte Ränder sowie glatte, nur bemalte Grifflappen sind auch für die Langnauer Produktion der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts typisch (vgl. Heege/Kistler 2017/2, Kap. 10, SCH 1 und SCH 2).

Aufgrund seiner grünen Glasur der Ansichtsseite fällt das einzige Rasierbecken dieser Gruppe (Privatbesitz) etwas aus dem Rahmen. Betrachtet man jedoch die Rückseite mit ihrem randlichen Fischblasenmotiv und die Form der schraffierten Flächen sowie die Motive der geritzten Blumen der Vorderseite, dann kann an der Zugehörigkeit dieses Stücks kein Zweifel bestehen. Die grüne Glasur über dunklen Malhornverzierungen der Vorderseite verbindet das Stück zudem mit der grün glasierten Keramik der Langnauer Werkstatt 1, Hand 1, die zur selben Zeit ebenfalls mit dieser Farbigkeit arbeitete (Heege/Kistler 2017/2, 262–263). Form und Aufhängeöse entsprechen darüber hinaus den typischen Rasierbecken RB 1 der Langnauer Produktion (Heege/Kistler 2017/2, 653–654).

Zusammenfassung

Unter Berücksichtigung der Datierungen dieser Keramikgruppe (1739–1742) und der typologischen Nähe zu den Produkten der Hafner Herrmann (Langnau, Werkstatt 1, Sonnweg 15) bliebe in Langnau eigentlich nur ein Familienmitglied der Hafner Jost (Hafnerei Bärenplatz 1) als Produzent übrig (vgl. Heege/Kistler 2017/2, Kap. 2.2.1 und 3.4). Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die produzierende Werkstatt auch an einem anderen Ort, z. B. in Huttwil, Langenthal oder Burgdorf tätig war. Archäologische Bodenfunde dieser Keramikart, die uns einen Hinweis auf den Produktionsort geben würden, fehlen derzeit. Die beiden auf der Keramik überlieferten Familiennamen verweisen auf das Emmental, die Randbereiche des bernischen Oberaargaus und das westliche Gebiet des Kantons Luzern. Die Gruppenbezeichnung Keramik «Langnauer Art 1» ist auch in Zukunft nur als «Arbeits- bzw. Hilfsbegriff» zu verstehen, bis der Produktionsort lokalisiert ist.

Zugeordnete Stücke:

BHM 04972, BHM 06796, BHM 08020, MKB HM-1881-0028, MKB HM-1901-0175, MKB HM-1911-0065, RML A001, RML A005, RML A165, RML A166, RSB IV-0072, RSB IV-0212, RSB IV-0227, Unbekannt 02 (Aeschlimann 1928, 27), ZHdK KGS-01098, GBC 12121, Privatbesitz (2 Stück)

Bibliographie

Aeschlimann 1928
Emil Aeschlimann, Alt-Langnau-Töpferei. Ein Beitrag zur Volkskunde. Bern 1928.

Bayer 1995
Hans-Wolfgang Bayer, “Muffelbrand und Scharfes Feuer”. 250 Jahre Künersberger Fayencen, Weissenhorn 1995.

Boschetti-Maradi 2006
Adriano Boschetti-Maradi, Gefässkeramik und Hafnerei in der Frühen Neuzeit im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 8). Bern 2006.

Erdner/Nagel 1972
Hans Erdner/Gert K. Nagel, Die Fayencefabrik zu Schretzheim 1752-1865. Ein Beitrag zur Geschichte der Deutschen Keramik, völlig neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe, Ellwangen 1972.

Fröschner 1992
Stephanie Fröschner, Künersberger Fayencen. Die Geschichte der Manufaktur. Untersuchung der Schaffeuerdekore und der Muffeldekore, Bonn 1992.

Heege/Kistler 2017
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13). Bern 2017, Beilagen DVD, Ordner ergänzende Texte.

Piereth/Ulrichs 2010
Uta Piereth/Friederike Ulrichs, Museum Deutscher Fayencen in Schloss Höchstädt, München 2010.

Wyss 1966
Robert L. Wyss, Berner Bauernkeramik (Berner Heimatbücher 100–103). Bern 1966.