Lentigny FR, Fabrik für Feinkeramik (1945-1953) und Porzellan (1954-1961)

Alfred Gasser (Foto aus dem Reisepass vom 12.12.1951).
Archiv von M. Gonzalez Gasser. Photo: M. Maggetti.

Marino Maggetti, 2021

Das Langenthaler Porzellan und die Firma Rössler in Matzendorf sind den meisten ein Begriff – aber eine Porzellanmanufaktur im tiefsten Kanton Freiburg? Tatsächlich gab es eine solche Manufaktur von 1954 bis 19611.

Alfred Henri Gasser (1918–20112) war das zweite Kind von Ernst Gasser (1887–1972) und Emma, geborene Gonet (1889–1978). Sein Vater, der aus einer Dynastie von Ziegelmachern aus Rüschegg (Kanton Bern) stammte, war von 1918 bis zur Schliessung des Betriebs im Jahr 1931 der technische Leiter der Ziegelei und Brikettfabrik in Lentigny3. Die örtlichen Lehmvorkommen, die bereits in den Jahren 1865 oder 1869 abgebaut wurden, waren zu diesem Zeitpunkt erschöpft. Ernst Gasser baute eine neue Fabrik in Corbières, verlegte die Maschinen dorthin und nahm 1932 die Produktion auf.

Über Alfred Gassers beruflichen Werdegang ist wenig bekannt, da beim Brand seiner Fabrik im Jahr 1962 nicht nur alles, was sich in den Räumlichkeiten befand (Maschinen, Produktion usw.), sondern auch das Firmenarchiv zerstört wurde. Der Familientradition zufolge soll er an der Schweizer Keramikschule in Chavannes-près-Renens (VD) ein Diplom erworben haben. Anschliessend schuf er sich während des Zweiten Weltkriegs ein kleines Vermögen durch den Abbau des Torfmoors von Lentigny, das er 1941 erworben hatte. Der Torf ersetzte ausländische Kohle zum Heizen der Häuser und wurde zum Antrieb von gasbetriebenen Fahrzeugen verwendet. Mit diesem Geld gründete er 19454 in den grossflächigen Räumen der ehemaligen Ziegelei und Brikettfabrik in Lentigny eine Töpfermanufaktur, der er den Namen «Industrie de céramique fine» (ICF)5 gab.

Abb. 1 Beispiele aus der Produktion von Alfred Gasser zwischen 1945 und 1953: Kaffeekanne, Irdenware, braune Engobe auf Innen- und Aussenseite, transparente Bleiglasur. Blindmarke LENTIGNY. Höhe 16 cm. Privatbesitz; Dose aus Fayence, gemalter Dekor. Blindmarke ICF LENTIGNY. 12,7 x 8,7 x 6,7 cm. Aus privater Sammlung.  Fotos: M. Maggetti.

Gasser stellte Irdenware, Fayencen6 und sogar Keramik für industrielle Zwecke7 her. Der Ton wurde mit Lastwagen aus der Gegend von Hauteville8 angeliefert. Die Produktion umfasste Alltagsgeschirr (Dosen, Kaffeekannen, Aschenbecher als Werbemittel, Krüge für Brennereien, Likörflaschen, runde und rechteckige Platten, Milchkannen, Tassen, Blumenvasen) und künstlerische Keramiken (Abb. 1). Der Scherben weist eine ziegelrote Farbe auf. Die Irdenware ist oft mit einer weisslichen Engobe überzogen, ihre bleihaltigen, transparenten Glasuren sind in einem monochromen Braunton gehalten. Eine kleine Gruppe von Objekten zeigt schwarz gemalte Dekore, feine Verzierungen mit Gold sind jedoch häufig. Die Fayencen sind mit Spritzdekoren (mit opaken, einfarbigen Glasuren in Blau, Grün oder Violett) oder sehr einfachen gemalten Dekoren versehen, vor allem grüne und rote Blumenmotive (Abb. 1). Die Unterglasur-Blindmarke LENTIGNY oder ICF LENTIGNY ist sehr selten.

Abb. 2 Porzellan von Alfred Gasser (1954–1961). Krug, polychromer Dekor. Unterglasur-Stempelmarke LENTIGNY SWITZERLAND 55. Höhe 16,6 cm. Aus privater Sammlung. Foto M. Maggetti.

1953–19549 wandelte Alfred sein Unternehmen in eine Porzellanmanufaktur um, die einzige in der Westschweiz. Diese Umstellung erfolgte aus wirtschaftlichen Erwägungen, da diese Art von Keramik in Mode war, zudem hygienisch und wesentlich stossfester als herkömmliche Töpferware. Der höhere Preis von Porzellan war nicht mehr so ausschlaggebend, denn um 1950–1960 konnte sich die Mehrheit der Bevölkerung einen solchen Luxus leisten. Alfred sah einen zusätzlichen Absatzmarkt in der Elektroindustrie (Schalter, Sicherungen, Isolatoren), in Laboratorien (Laborporzellan) und anderen industriellen Anwendungen. Der 30 Meter lange Ofen wurde von Fachleuten aus Deutschland installiert. Es waren auch deutsche Arbeiter, die ihm bei der Aufnahme der Produktion halfen. Im oberen Stockwerk der Fabrik wurden diesen und anderen Arbeitern elf Zimmer zur Verfügung gestellt. Doch die Arbeitskräfte bestanden nicht nur aus diesen Fachkräften, sondern auch aus Alfreds vier Kindern, die von ihrem Vater immer wieder hartnäckig angehalten wurden, ihm zu helfen. Die verwendete Tonpaste war die klassische Mischung für Hartporzellan, wie es in Langenthal hergestellt wurde: 50 Prozent tschechisches Kaolin, 25 Prozent weisser Sand und 25 Prozent Kalifeldspat. Die Produktion umfasste eine breite Palette von Gegenständen10: Babyteller, Preisteller, Erinnerungsstücke, Bonbonnièren, Aschenbecher, Eierbecher, Sahnekännchen für Restaurants, Krüge, Schnapsflaschen, kleine Krüge, Wappenschalen, Fischplatten, Milchkannen (Inhalt 1, 1,5 und 2 Liter), Salzstreuer, Tassen und Vasen (Abb. 2–4).

Abb. 3 Porzellan von Alfred Gasser (1954–1961). Ein Salzstreuer, ein Eierbecher mit Golddekor und ein Sahnekrug für ein Restaurant, verschiedene Arten von kleinen Vasen. Stempelmarken LENTIGNY oder LENTIGNY SWITZERLAND. Höhe des Sahnekrugs 5,5 cm. Aus privater Sammlung. Foto M. Maggetti

Bedeutende Freiburger Betriebe wie die Schokoladenfabrik Villars gaben grosse Bestellungen für die Weihnachtsfeiertage auf. Andere Aufträge kamen von den Sport-, Wirtschafts- und Kunstvereinen des Kantons. Die Produkte der Manufaktur wurden entweder von Unternehmen aus der Region oder durch Vertreterbesuche von Dorf zu Dorf vertrieben11 Bereits 1955 stellte die «Manufacture de porcelaine, Lentigny» ihre Waren auf der 39. Schweizer Mustermesse in Basel aus12. Laut Aussagen seiner Kinder geriet Alfred Gasser zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. Die beiden anderen Schweizer Porzellanfabriken waren sicherlich nicht sehr glücklich über die Existenz einer Konkurrentin in der Westschweiz. Gerüchten zufolge soll Langenthal sogar Arbeiter geschickt haben, um Sabotage zu betreiben. Die Produktion wurde 196113 eingestellt. In der Folgezeit wurde ein Teil der Räumlichkeiten für die Aufzucht von Küken oder die Mast von Kälbern genutzt14. Am 12. August 1962 brannte die Fabrik nieder15. In den 1970er-Jahren beherbergten die wiederaufgebauten Gebäude einen prominenten Mieter: den Freiburger Autorennfahrer Jo Siffert, der hier seine Rennwagen lagerte und seine Motoren testete16. Sein Mechaniker André Marti betrieb in den angrenzenden Räumlichkeiten eine Garage.

Abb. 4 Porzellan von Alfred Gasser (1954–1961). Teller mit Aufglasur-Dekorproben (in Polychromie und russbrauner Monochromie, zentrales schwarzes Medaillon schlecht lesbar). Unterglasur-Stempelmarke LENTIGNY SWITZERLAND 55. Durchmesser 19,8 cm. Aus privater Sammlung.  Foto M. Maggetti.

Die Dekore des Porzellans sind vielfältig. Hervorzuheben sind transparente farblose oder blaue Glasuren, Glanzglasuren in verschiedenen Farben, Unterglasurdekore, florale Farbabzüge und feine Goldverzierungen. Eine Stempelmarke ist auf fast allen Objekten zu sehen. Sie wurde mit Chromgrün auf den unteren Teil des Schrühbrands angebracht, der oft von der Glasur bedeckt war.

Abb. 5 Tabelle der bislang erfassten Marken des Lentigny-Porzellans. Sieben mit Stempel gesetzte Marken und eine Blindmarke (unten rechts). Fotos M. Maggetti.

Die Markenvielfalt ist erstaunlich gross, wenn man die kurze Dauer der Herstellung bedenkt: LENTIGNY, LENTIGNY 59, LENTIGNY SWITZERLAND (mit oder ohne horizontalem Strich unter SWITZERLAND), LENTIGNY SWITZERLAND 54, LENTIGNY SWITZERLAND 55 und Porzellan LENTIGNY 61 (Abb. 5). Nur ein Objekt trägt die eingetiefte Marke LENTIGNY.

Das Werk von Alfred Gasser ist leider in Vergessenheit geraten. Seine Objekte sind weder in den Sammlungen der Schweizer Museen noch im Inventar CERAMICA CH zu finden. Dieser kurze Artikel soll die Neugier der Mitglieder unserer Gesellschaft wecken und die Aufmerksamkeit der Sammler auf diesen so wenig bekannten Freiburger lenken. Der Autor dieser Zeilen hat sich vorgenommen, einen Katalog der Werke von Alfred Gasser zu erstellen. Er wäre sehr dankbar, wenn er auf Keramiken von Alfred Gasser aufmerksam gemacht würde17.

Ich möchte der Schwester von Alfred Gasser, Nelly Anna Tschanz Gasser, den beiden Töchtern von Alfred, Madeleine Gonzalez Gasser und Elisabeth Boscacci Gasser, sowie seiner Nichte Claudine Buchs Gasser meinen herzlichen Dank für ihren herzlichen Empfang in diesen Zeiten der Pandemie und die wertvollen Informationen aussprechen, die sie mir über das Leben und die keramische Tätigkeit ihres berühmten Verwandten gegeben haben. Mein Dank gilt auch Patrick Dietsche für seine bibliografischen Recherchen, Roland Blaettler für seine kritische Lektüre des Textes und Daniel Diezi für das sorgfältige Layout.

Online-Veröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis der Keramikfreunde der Schweiz, 2021.

Übersetzung Stephanie Tremp

Anmerkungen:

  1. Rolle 2006. L’article de Kim de Gottrau «Tuiles, porcelaines … et même poulets» (La Liberté, 21.8.2019, contient des précieux renseignements sur la tuilerie et les entreprises céramiques d’Alfred Gasser.
  2. Maggetti/Galetti 2020, 68, avaient, en se basant sur la communication orale de ses enfants du 17.9.2020, mis 2014. Depuis lors, nos recherches ont retrouvé l’avis mortuaire de La Liberté du 14.10.2011, selon lequel Alfred Gasser s’est endormi le vendredi 14 octobre 2011, dans sa 94e année.
  3. La tuilerie portait le nom du proche village de Lentigny, malgré son implantation sur le sol de la commune d’Autigny.
  4. La plaquette qu’Alfred Gasser avait fait graver et fixer sur une machine nous renseigne sur le début de ses activités céramiques à Lentigny: «Batteuse à pâte/pour la manufacture de porcelaine dure (1420°C)/a été en usage de/1953 à 1961/Vestige de la fabrique de céramique ici à Lentigny/1945-1961.» Cette batteuse se trouve aujourd’hui dans le jardin de la maison qu’habitait la famille Gasser.
  5. La Liberté, 9.10.1953: «La fabrique de céramique de Lentigny» (signé E. M.): «C’est dans les locaux spacieux […] qu’a pris naissance […] l’Industrie de céramique fine (ICF)». Selon cet article, la manufacture aurait été créée vers 1948, ce qui est faux (cf. note 4). Le nom de cette manufacture apparaît aussi dans les annonces publicitaires (La Liberté 23.5.1947, 21.7.1948, 24.9.1948).
  6. Rappelons qu’une faïence est une terre cuite recouverte d’une glaçure plombifère opaque et stannifère.
  7. Annonce publicitaire dans La Liberté, 23.5.1947: «Les isolateurs pour parcs électriques, garantis en matière extrêmement dure, d’une durée illimitée, résistant à toutes les intempéries, sont fabriqués et livrés par Industrie de céramique fine, Lentigny-Fribourg. Téléphone 3.71.24. Conditions spéciales pour dépositaire.»
  8. Probablement le gisement Le Rux qu’exploitait la tuilerie de Corbières, dirigée par son père Ernst (Maggetti/Galetti 2020, 69).
  9. La Liberté, 18 et 19.12.1954: «Une manufacture de porcelaine à Lentigny» (signé E. M.) nous dévoile qu’Alfred Gasser avait commencé la transformation de sa manufacture en 1953 et que ces travaux avaient duré une année. La production de porcelaine a donc démarré en 1954 et non pas en 1953 comme indiqué sur la plaquette de la batteuse à pâte (cf. note 4).
  10. L’article de La Liberté du 26.10.1955: «Une visite à la manufacture de porcelaine de Lentigny» (signé E. M.) en énumère quelques-uns.
  11. note 1 (La Liberté).
  12. La Liberté, 18.4.1955: «À Bâle. La 39e Foire suisse d’échantillons a ouvert ses portes» (signé F. B.).
  13. La Liberté, 13.8.1862, «Un gros incendie à Lentigny»; Freiburger Nachrichten, 13.8.1962, «Brand»; La Sentinelle, 13.8.1962, «Incendie d’une ancienne fabrique».
  14. notes 1 et 13.
  15. note 13. Les dégâts étaient estimés à 250 000 francs. Le Nouvelliste valaisan («Incendie») et le Journal de Sierre et du Valais Central (sous la rubrique «En quelques lignes») rapportèrent ce sinistre le 13.8.1962 respectivement le 14.8.1962.
  16. note 1 (La Liberté).
  17. Si possible avec photo à l’adresse courriel suivante: marino.maggetti@unifr.ch.

Bibliographie :

Marino Maggetti / Giulio Galetti (2020): Dachziegel der freiburgischen Ziegeleien Düdingen, Le Mouret und Corbières – chemische, geologische und historische Aspekte. In: Bulletin de la Société fribourgeoise des Sciences Naturelles, 109, 40-104.

Marino Maggetti (2021): Alfred Henri Gasser- manufactures de céramique fine (1945-1953) et de porcelaine  (1954-1961) à Lentigny. Bulletin Keramikfreunde der Schweiz 97, 2021, 5-12.

Rolle, Marianne (2006): Lentigny. In: Dictionnaire historique de la Suisse.