Dose mit Perldekor, Heimberg 1816 (Musée Ariana, Genève, MAG R 178).
Langnauer Perldekor in CERAMICA CH
Langnauer Art 2, Perldekor in CERAMICA CH
Heimberger Perldekor in CERAMICA CH
Andreas Heege 2019
Zur Keramik «Heimberger Art» gehört auch der sog. «Perldekor». Die Frage nach Ursprung, Datierung und Entwicklung dieser Gruppe der Keramik «Heimberger Art» ist nur in Ansätzen beantwortbar. Dies liegt unter anderem daran, dass es bislang keine Bodenfunde von Gefässen mit Perldekor in irgendeinem archäologischen Fundkomplex des 19. Jahrhunderts im Kanton Bern gibt. Auch unter den Produktionsabfällen von Steffisburg, Höchhus (Baeriswyl 2008) oder Langnau, Sonnweg 1 (Heege/Kistler 2017/2, 154–183) fehlt der Dekor.
Dose mit Perldekor, Heimberg 1816 (Musée Ariana, Genève, MAG R 178)
Von daher ist eine Dose aus dem Jahr 1816 (MAG R 178) ein herausragendes Objekt. Sie nennt nicht nur ein Datum, sondern gleichzeitig auch noch den Namen des Hafners Friedrich Gfeller und als potenziellen Herkunftsort «ÿm Heimberg». Der Hafner lässt sich bislang ein einziges Mal im Jahr 1829 nachweisen. Zu diesem Zeitpunkt wohnte er in Oppligen «beir Rotachen Brügg», also in unmittelbarer Nachbarschaft von Heimberg. Dort hatte zwischen 1827 und 1829 auch ein Hans Gfeller seine Hafnerwerkstatt (StAB Bez Konolfingen B 1434). Die aus dieser Lokalisierung resultierende Zuweisung des Perldekors zur Region Heimberg-Steffisburg deckt sich mit den Angaben von Karl Huber, dem Stadtarchivar von Thun. Dieser äusserte sich 1906 zur Geschichte der Heimberger Hafnerei im «Illustrierten Fremdenblatt Thun und Umgebung» u. a. folgendermassen: «Im Anfang des 19. Jahrhunderts begann im Heimberg ein neues Leben. Eine neue, eigenartige Dekorationsweise wurde eingeführt: Kleine Kügelchen wurden in Reihen, Bögen oder andern Gruppen aufgeklebt. Als Farben figurierten auf dem grünlich-weissen Aufguss Smaragdgrün, Ziegelrot und ein sattes Gelb, zuweilen ein Braun […]» (Huber 1906, 278).
Dose aus Langnau BE, Werkstatt 3, Hand 5, 1783 (Regionalmuseum Langnau RML A-426).
Offenbar ist diese Aussage jedoch nur ein Teil – wenn auch ein sehr wichtiger – der Entstehungsgeschichte des Perldekors. Erneut gilt es den Blick auf Langnau zu richten. Zu Dekorzwecken aufgelegte Tonperlen finden sich erstmals 1783 am Volutengriff des Deckels einer Langnauer Dose (RML A-426), 1798 an der ungewöhnlichen Füsschendose (MAG AR 2016-352) und 1799 am Volutengriff eines typischen Langnauer Terrinendeckels (MAHN AA-1178). Quasi zeitgleich, d. h. in den Jahren 1800 und 1801, bilden Perlen den Abschluss der Standringe der Langnauer «Hochzeitsschüsseln» (SMB IV-12; MAHN AA-3317) und stilistisch eng verwandter Terrinen (vgl. MAG R 232). Dosen dieses Zeithorizonts tragen Perldekor auch in der Halskehle des Unterteils oder am Deckelrand (MAG AR 908b). Und auch an den Rändern der Kronengriffe von Terrinendeckeln lässt sich Perldekor zwischen 1802 (RML A163) und 1822 (SNM LM-009739) nachweisen (MAHN AA 1180; MAHN AA 1182, MAHN AA 1304).
Terrine Schweiz, Kanton Bern Langnau, Werkstatt 3, um 1803 (Musée Ariana, Genève MAG AR 927).
Vor allem bei meist rot und seltener weiss engobierten Terrinen- und Zuckerdosendeckeln mit Volutengriffen (vgl. MAG AR 927, MAG AR 921) lässt sich diese eher untergeordnete, randlich orientierte Dekorationsart nachweisen. Anders als in Heimberg greift sie quasi nie in Form von Girlanden in die Fläche aus. In allen Fällen handelt es sich aufgrund der Gefässformen und des Dekors um typische Langnauer Produkte. Das jüngste datierte Stück aus eindeutiger Langnauer Produktion stammt aus dem Jahr 1834 (Galerie Bischofberger, Männedorf, 9077, Heege/Kistler 2017/2, Abb. 483,2). Geht die Entwicklung des Perldekors in Heimberg also auf Langnauer Anregungen zurück?
Dose Schweiz, Kanton Bern Langnau oder Region Heimberg-Steffisburg, Werkstatt Langnauer Art 2, um 1800-1830 (Musée Ariana, Genève MAG 07304).
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch die Herstellung von Perldekor im Zusammenhang mit der Keramikgruppe “Langnauer Art 2” (z.B. MAG 07304), die aufgrund datierter Stücke zwischen 1809 und 1818 gefertigt wurde und mit dem unbekannten auswandernden Töpfer (Johannes Lehmann?) auch nach Pennsylvania, USA, gelangte.
Perldekor ist unter der Keramik «Heimberger Art» museal umfangreich überliefert und findet sich bei beidseitig weiss engobierten Dosen, Terrinen, Spardosen, Vasen, Milch- und Kaffeekannen. Diese datieren vermutlich alle in das erste und zweite Drittel des 19. Jahrhunderts (MAG R 178, MAG 16698, MAG AR 2015-364, MAG N 850, MAG AR 2015-366, MAG N 196).
Terrine auf hohem Standfuss (Standring) Schweiz, Kanton Bern, Heimberg-Steffisburg (Region), Keramik “Heimberger Art”, etwa 1830-1860 (Musée Ariana, Genève MAG 16698) und Dose auf hohem Standring Schweiz, Kanton Bern, Heimberg-Steffisburg (Region), um 1830-1860 (Museé Ariana, Genève MAG AR 2015-364)
Die Dose MAG R 178 ist mit der Jahresangabe 1816 eines von zwei bekannten Stücken dieser Dekortechnik, die eine Datierung tragen. Eine Spardose mit Perldekor aus dem Regionalmuseum in Langnau ist 1859 datiert (RML A306).
Dose auf niedrigem Pokalfuss, Schweiz, Kanton Bern, Heimberg-Steffisburg (Region), um 1840-1860 (Musée Ariana, Genève MAG N 196).
Die zusätzlich aufgelegte Lorbeerblattgirlande und der unterhalb des Randes angebrachte Perlrollstempel sind möglicherweise als Hinweise auf eine etwas jüngere Zeitstellung von MAG N 196 aufzufassen, jedoch lässt sich diese Annahme nicht mit datierten Stücken untermauern.
Dose Langnau BE, Werkstatt 5, Hand 21, um 1830-1840 (Musée d’art et d’histoire, Neuchâtel, MAHN AA-1186) und Dose Langnau BE, Werkstatt 5, Hand 20, um 1830 (Musée d’art et d’histoire, Neuchâtel MAHN AA-1196).
Erst in die 1830er- und 1840er Jahre gehört eine weitere Gruppe von beidseitig weiss engobierten Dosen, die jetzt neben Perldekorgirlanden auch verschiedene Auflagen tragen (vgl. z. B. MAHN AA 1196, MAHN AA 1202, MAHN AA 1451). Für diese Auflagen haben sich allerdings in Langnau Patrizen und Matrizen, d. h. Arbeitsmodel, erhalten (Privatbesitz Langnau). Sie stammen aus der Töpferei «Im Gräbli» (Langnau-Werkstatt 5, Hand 20; Langnau-Werkstatt 5, Hand 21; Heege/Kistler 2017/2, 378–381) und beweisen auf diesem Wege die auch lokale Langnauer Produktion von Geschirr mit girlandenförmigem Perldekor. Eine einzige Dose dieser Gruppe ist 1831 datiert (SNM LM-009255). Repräsentieren also die offenbar in Langnau «Im Gräbli» produzierten Dosen im Gegenzug die Übernahme einer erfolgreichen Heimberger Dekortechnik in den 1830er-Jahren?
Es muss allerdings festgehalten werden, dass keine der Langnauer Dosen mit Perldekor, einen mit MAG R 178 vergleichbaren Ritz- und Malhorndekor in Form von einfachen Blüten-/Blättchenmotiven oder schwarzbraunen Pünktchenlinien trägt. Beide Motive sind jedoch bei den übrigen Museumsstücken mit Perldekorgirlanden, z. B. des MAG, ausserordentlich häufig belegt (vgl. MAG 16698, MAG AR 2015-364, MAG AR 2015-366, MAG N 196). Dort kommen zum Motivschatz dunkelbraune Pünktchenrauten oder Dreiecke sowie schmale Blütenrispen hinzu (vgl. MAHN AA 1254).
Teekanne mit Perldekorgirlanden, Schweiz, Kanton Bern, Heimberg-Steffisburg (Region), um 1830-1850 (Musée d’art et d’histoire, Neuchâtel MAHN AA 1254.
Die Wurzeln dieser Motive liegen eindeutig in der Heimberger Keramik. Blütenrispen werden auf Keramik «Heimberger Art» mit dunkler oder roter Grundengobe ab 1806 kontinuierlich gemalt (ältestes Stück BHM 6485). Zwischen 1827 (MKW 229) und 1863 (SMT 4896) finden sie sich dann auch auf Keramik «Heimberger Art» mit weisser Grundengobe. Geritzte und dann ausgemalte Blüten-/Blättchenmotive auf weisser Grundengobe begegnen zum ersten Mal auf einem 1813 datierten Rasierbecken des Regionalmuseums Langnau (RML A78) und kommen danach regelmässig auf Keramik «Heimberger Art» vor.
Da ein grösserer Teil der Deckel der weissen Dosen und Terrinen mit Perldekorgirlanden aber zugleich Reduktionsformen oder Weiterentwicklungen von typischen Langnauer Volutengriffen aufweist (MAG AR 2015-364, MAG N 850, MAG N 196), bleibt zu fragen, was sich denn hier im ersten und zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts nun mischt oder was von wem übernommen wird: Heimberger Produkte mit älteren Langnauer Dekorelementen und Griffvarianten oder Langnauer Produkte mit Heimberger Dekormotiven? Offenbar werden in der Keramik mit Perldekor wechselseitige Austauschbeziehungen manifest, die das Ende des Langnauer Stils und die zunehmende Dominanz von Heimberger Dekoren auch in der Langnauer Produktion ankündigen.
Die Frage nach der Herstellungsregion wird ohne neue Ausgrabungsfunde aus dem Milieu der Produzenten auch in Zukunft nur bedingt zu beantworten sein. Die aus dem MAG vorliegenden Dosen und Terrinen (MAG R 178; MAG 16698, MAG AR 2015-364, MAG N 850, MAG AR 2015-366, MAG N196) sind wohl der Heimberger Produktion zuzurechnen. Ein sicherer Nachweis für die Langnauer Produktion dieser Art Geschirr mit Perldekor und geritzten Blüten-/Blättchenmotiven steht aus.
Frz.: décor de perles
Engl.: beaded decoration
Bibliographie
Heege/Kistler 2017/1
Andreas Heege/Andreas Kistler, Poteries décorées de Suisse alémanique, 17e-19e siècles – Collections du Musée Ariana, Genève – Keramik der Deutschschweiz, 17.-19. Jahrhundert – Die Sammlung des Musée Ariana, Genf, Mailand 2017, 457-469.
Heege/Kistler 2017/2
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.
Huber 1906
Karl Huber, Thuner Majolika, in: Illustriertes Fremdenblatt von Thun und Umgebung, 1906, 258-259, 278-279, 294-296.