Lausanne, Kantonales Museum für Archäologie und Geschichte (MCAHL)

Musée cantonal d’archéologie et d’histoire
Palais de Rumine
Place de la Riponne 6
CH-1005 Lausanne
Tel. +41 (0)21 316 34 30

Die Keramiksammlung in CERAMICA CH

Roland Blaettler 2019

In der Waadtländer Sektion unseres Inventars nehmen Porzellan und Steingut aus Nyon viel Platz ein. Den reichhaltigsten Bestand in diesen beiden Bereichen besitzt selbstverständlich das Schloss Nyon (Geschichts- und Porzellanmuseum, Musée historique et des porcelaines). Doch das war nicht immer so. Beim Porzellan wurde der erste Museumsbestand in der Waadt, der diesen Namen auch verdiente, Anfang des 20. Jahrhunderts gebildet. Später ging dieser in das Kantonale Museum für Archäologie und Geschichte in Lausanne über, während das Museum in Nyon nur einige seltene Objekte behielt.

Für das Porzellan aus Nyon interessierte sich das Lausanner Museum insbesondere wegen Aloys de Molin (1861–1914), der wohl einer der wichtigsten Kuratoren dieser Objekte war. Die Anfänge des Lausanner Bestands fielen in die Zeit, in der De Molin sein erstes Werk verfasste, den ersten wissenschaftlichen Beitrag zur Historiografie der Manufaktur von Dortu und Müller. Die 1904 erschienene «Histoire documentaire de la manufacture de porcelaine de Nyon» stellt bis heute ein Referenzwerk dar (De Molin 1904).

1852 wurde das Musée des antiquités de Lausanne gegründet, das in die Räumlichkeiten der Académie zog. Im Laufe der Zeit wechselte das Museum mehrmals seinen Namen: Musée archéologique im Jahr 1877 und Musée historique im Jahr 1908 (zwei Jahre nach der Einweihung des Palais de Rumine). Seit 1955 trägt es den Namen «Musée cantonal d’archéologie et d’histoire».

Aloys de Molin leitete das Museum von 1893 bis 1912. Auf seine Initiative hin versuchte das Museum aktiv, die neu entstehenden Sammlungen auszubauen und kämpfte damit gegen die Abwanderung von Antiquitäten aus der Waadt und aus der Schweiz über den Kunstmarkt an. Einem Zeitungsartikel aus dem Nouvelliste vaudois vom 18. Juli 1900 (S. 2) zufolge haben «Besitzer in den letzten Jahren viele Wertgegenstände aus dem Kanton ins Ausland verkauft». Zudem sei das kantonale Museum für Archäologie immer an der Übernahme interessanter Objekte interessiert. Neben den archäologischen Artefakten erwähnt der Artikel auch das Porzellan aus Nyon. Die Bürger, die sich von alten Gegenständen trennen wollten, wurden gebeten, sich an den Kurator zu wenden.

Soweit wir beurteilen können, erwarb das Museum ab 1901 erste Keramikgegenstände, hauptsächlich Porzellan aus Nyon, aber auch einige Steingutobjekte aus Carouge oder aus England. De Molins Interesse für «Vieux-Nyon» sollte sich nachhaltig in den Sammlungen seines Museums manifestieren, während er gleichzeitig an seiner Monografie zu diesem Thema arbeitete. Der Originalbestand an Porzellan aus Nyon umfasste rund zweihundert Objekte und wurde mehr oder weniger zwischen 1901 und 1906 zusammengestellt.

Dazu gehören meist Alltagsgegenstände – mit einem Geflechtmotiv in einer violetten Borte (z. B. MCAHL 29401), blauen Unterglasurmotiven (MCAHL 29495), verschiedenen Blumen, Bouquets und einer schönen Auswahl an Verzierungen ohne Vergoldungen aus der jüngsten Periode (z. B. MCAHL 29403, MCAHL 29819, MCAHL 31647, MCAHL 29398) –, aber auch einige besondere Stücke wie diese seltenen Motivbeispiele, die ein Blau unter der Glasur mit mehrfarbigen Glasuren kombinieren (MCAHL 28702, MCAHL 29370), das Kühlgefäss aus dem Service von Von Roll (MCAHL 30021), ein Korb mit zugehörigem Untersatz mit einem seltenen Motiv aus einem chinesischen Bestand (MCAHL 30877A und 30877B), die Tasse mit den Wappen der Familie Testuz, die wir nun mit einer bunten Persönlichkeit aus der Revolutionszeit in Verbindung bringen können, mit Pfarrer Beat Ferdinand Testuz (MCAHL 30061), eine seltene mit Trophäen geschmückte «Kamingarnitur» (MCAHL HIS 55-3310, MCAHL HIS 55-3311, MCAHL HIS 55-3312) oder ein interessantes Kühlgefäss, das vermutlich die nach 1795 geschaffenen «neuen Formen» aufweist (MCAHL HIS 3841).

Es ist davon auszugehen, dass De Molin bei den Steingutobjekten ebenfalls versuchte, die Produktionen aus Nyon zu dokumentieren, die er einleitend auch in seiner Arbeit zum Porzellan behandelte. Da damals nur sehr lückenhafte Kenntnisse vorhanden waren – Thérèse Boissonnas-Baylon veröffentlichte 1918 die erste dokumentierte Studie zu diesem Thema –, erwarb er effektiv mehrheitlich Gegenstände aus Carouge, die mit den Markierungen «Baylon» oder «Dortu, Veret et Ce» versehen waren. Es war zu der Zeit noch schwieriger, die Produktion aus der Fabrik von Baylon in Nyon zu identifizieren, als heute. De Molin kaufte sogar englisches Steingut mit Kornblumendekor im Glauben, es handle sich um Erzeugnisse aus Nyon (MCAHL 30095, MCAHL 30094, MCAHL 30100, MCAHL 30110, MCAHL 30098, MCAHL 30101). Der Bestand in Lausanne umfasst übrigens einige Objekte, die sich nur schwer einordnen lassen und die man als mögliche Produkte der Manufaktur Baylon aus Nyon einstufen könnte: zwei relativ rustikale Kompottschalen aus Steingut (MCAHL 30105) sowie einige Fayencen mit Blei-Zinn-Glasur – zwei Schalen und drei Teller mit Kornblumendekor (MCAHL 29384, MCAHL 29385, MCAHL 29310).

Aloys de Molins Akquisitionsstrategie, die klar auf die Produkte aus Nyon ausgerichtet war, wurde nach seinem Abgang nicht weitergeführt. Von nun an legte der Keramikbestand nur punktuell und zufallsbedingt zu, mithilfe von Legaten und Schenkungen.

Etwa 1913, als die Sammlung Marie de Seigneux, geborene Guex, aus Genf (1942–1913), Witwe von Georges de Seigneux (1837–1912), einem herausragenden Juristen und nebenberuflichen Komponisten, in den Bestand aufgenommen wurde. Wie eine Zeitungsnotiz aus der Tribune de Lausanne vom 9. Dezember 1913 (S. 4) präzisierte, bestand das Legat zu drei Vierteln aus Porzellan aus Nyon, «ursprünglich im Besitz von Herrn Giral, einem der Verwalter der Fabrik». Die rund 160 Stücke aus Nyon widerspiegeln vor allem die übliche Produktion der Manufaktur: blaue und weisse Dekore, Kornblumen- und Streublumenmotive. Bemerkenswerter sind das Teeservice mit Balustermotiven (MCAHL 30805A, MCAHL 30805B, MCAHL 30805C, MCAHL 30805D, MCAHL 30805E, MCAHL 30805F) und die Überreste eines Trinkservices, das mit einem Blumenkranz auf schwarzem Hintergrund verziert ist (MCAHL 30804A, MCAHL 30804B). Das Legat umfasste zudem mehrere Beispiele späterer Porzellanobjekte, die wahrscheinlich aus Frankreich stammen, mit Verzierungen, die das «Vieux-Nyon» nachahmten (MCAHL 30792D, MCAHL 30792E, MCAHL 30802A, MCAHL 30802B, MCAHL 30802C).

Das relativ lose Ganze vermittelt nicht den Eindruck einer eigentlichen Sammlung, sondern kommt eher als zufällige Kombination von mutmasslichen Gebrauchsgegenständen und Vitrinenobjekten daher. Neben dem Porzellan aus Nyon finden sich einige englische Steingutobjekte, ein paar Porzellanobjekte aus Deutschland und insbesondere zwei kleine Gruppen von hochwertigen Porzellangegenständen aus Frankreich: ein Dutzend Sossentöpfchen aus Weichporzellan aus Mennecy aus den Jahren 1760–1765 (MCAHL 30810A, 30810B, 30810C und 30810D, MCAHL 30810K und 30810L, MCAHL 30810I und 30810-J, MCAHL 30810G und 30810H, MCAHL 30810E und 30810F) sowie zwölf Teller und eine Vase, die das Beste widerspiegeln, was in den Pariser Werkstätten zu Beginn des 19. Jahrhunderts an reich verziertem Porzellan hergestellt wurde (MCAHL 30811-1, MCAHL 30811-2, MCAHL 30811-3, MCAHL 30811-4, MCAHL 30811-5, MCAHL 30811-6, MCAHL 30811-7, MCAHL 30811-8, MCAHL 30811-9, MCAHL 30811-10, MCAHL 30811-11, MCAHL 30811-12, MCAHL 30824).

Das Museum erwarb 1922 und 1931 noch einige Steingutobjekte, meist Produkte der Manufaktur Baylon aus Carouge. 1936 gelangten im Gefolge des Legats Zourbroude einige Keramiken ins Museum (die unglaubliche Geschichte der Schwestern Zourbroude wird von Herrn Bezençon erzählt, «La solitaire d’Éclépens», in: Feuille d’avis de Lausanne, 12.–14. November 1936, 6, 12 und 6).

Seit den 1930er-Jahren hat das kantonale Museum für Archäologie und Geschichte kaum mehr Keramiken gekauft. 2022 stiessen 17 Stücke aus engobierter Berner Irdenware zum Bestand, die von der neuen Fondation du Château de Chillon als Nachfolgeorganisation des gleichnamigen Vereins, der 1887 gegründet wurde, dem Staat vermacht wurden. Die Charge umfasst interessante Beispiele aus der Produktion von Abraham Marti aus Blankenburg (MCAHL PM 4321, MCAHL PM 4322, MCAHL PM 4330, MCAHL PM 4329, MCAHL PM 4328), Tonwaren aus Langnau (MCAHL PM 4326, MCAHL PM 4325), darunter eine wegen ihrer politischen Ikonografie hervorstechende Platte, die eine wahrhafte Ode an die 1798 hergestellte republikanische Ordnung darstellt (MCAHL PM 4318), relativ klassische Werke aus Heimberg (MCAHL PM 4331, MCAHL PM 4324, MCAHL PM 4336, MCAHL PM 4334, MCAHL PM 4335, MCAHL PM 4332, MCAHL PM 4333) sowie eine Platte noch unbekannter Herkunft, die nach Langnauer Technik gestaltet und dekoriert wurde, jedoch von einem in Bäriswil ausgebildeten Töpfer (MCAHL PM 4327 – Mitteilung von Andreas Heege).

Diese Berner Stücke wurden 1905 für die Räume erworben, die die Berner Periode im historischen Museum des Kantons Waadt illustrieren sollten, das der Verein im Schloss Chillon einrichten wollte. Nach zahlreichen Unwägbarkeiten gerät das Museumsprojekt jedoch in Vergessenheit (Huguenin 2010, 34).

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

La presse vaudoise, consultée sur le site Scriptorium de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne.

Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 12-13.

 Boissonnas-Baylon 1918
Thérèse Boissonnas-Baylon, Faïenceries et faïenciers de Lausanne, Nyon et Carouge. Nos Anciens et leurs œuvres. Recueil genevois d’art VIII, 1918, 55-112.

De Molin 1904
Aloys de Molin, Histoire documentaire de la manufacture de porcelaine de Nyon, 1781-1813, publiée sous les auspices de la Société d’histoire de la Suisse romande et de la Société vaudoise des beaux-arts. Lausanne 1904.

Huguenin 2010
Claire Huguenin (éd.), Patrimoines en stock. Les collections de Chillon. Une exposition du Musée cantonal d’archéologie et d’histoire de Lausanne en collaboration avec la Fondation du château de Chillon, Espace Arlaud, Lausanne et Château de Chillon. Lausanne 2010.