Spielzeugtiere und Dragoner

Andreas Heege 2019

Spielzeugtiere und Dragoner in CERAMICA CH

Von der Produktion von Kinderspielzeug in Form von Tieren und Soldaten, genauer berittenen Dragonern, erfahren wir im Kanton Bern erstmals aus einem 1873 erschienenen Fremdenführer für «Thun und seine Umgebungen» (Roth 1873, 119). Abraham Roth schrieb: «… und lassen die Manns-, Weibs- und Tierfiguren des Heimbergs sehr viel an richtiger Modellierung, die blauen, grünen und violetten Rosse an naturgetreuem Kolorit zu wünschen übrig, so haben sie darum nicht weniger, ja vielleicht gerade mittelst dieser Verhöhnung der Natur, schon unzählige Kinder entzückt…».

Produktion von Tieren und Dragonern in Heimberg in der Hafnerei Reusser, Schulgässli im Jahr 1917.

Wann die Produktion dieser Figuren in der Region Heimberg/Steffisburg begann  und wo solche Figuren überall produziert wurden, entzieht sich weitgehend unserer Kenntnis. Archäologisch lassen sich die ersten Funde solcher Tierfiguren unter den Stadtmüllfunden aus der bernischen Brunngasshalde (vor 1832) nachweisen (Heege  2010, 99 Abb. 92).

Christian Lötscher aus St. Antönien fertigte in der Mitte des 19. Jahrhunderts zumindest auch Katzen und Soldatenfiguren in zweiteiligen Formen (Heege 2019, 338-339; RMC H1970.228, SNM LM-010996, SNM LM-010992). Tierfiguren lassen sich ausserdem als Fehlbrände in einer vor 1869 aufgegebenen Hafnerei in Büren an der Aare im Kanton Bern nachweisen (Boschetti-Maradi 2006, Taf. 80, K64 und K65). Etwa zeitgleich sind die Bodenfunde aus dem Verbrauchermilieu im Graben von Schloss Hallwil AG (Lithberg 1932, Taf. 42,F), in Därstetten im Simmental (Roth-Rubi/Schnyder/Egger/Fehr2000, Umschlag hinten) oder Olten im Kanton Solothurn einzuordnen (Frey 2018). Und auch aus dem Ortsmuseum in Berneck stammt ein Bärchen (OMB  2009_1063; Frey 2018, Abb. 8).

Aus der Hafnerei am Sonnweg 1 in Langnau stammt als Bodenfund der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein keramischer Model für eine sitzende Katze (Heege/Kistler  2017b, 177-178 Abb. 214). Das Museum in Trubschachen verwahrt einen keramischen Model für ein Eichhörnchen (ohne Inv.).

Wesentlich häufiger sind jedoch zweiteilige Gipsmodel für Tiere und Figuren überliefert. So haben sich grössere Modelbestände u. a. aus der Hafnerei Röthlisberger in Langnau (RML und Privatbesitz Langnau), aus einer Töpferei in Steffisburg (im SMT) bzw. aus der Hafnerei Kohler in Schüpbach erhalten (Privatbesitz Schüpbach bzw. Grosshöchstetten). Viele dieser Formen waren bis ins 20. Jahrhundert in Gebrauch. Die Herstellung der Figuren war normalerweise Kinderarbeit (Schwab 1921, 80; Schnellmann 1949, 266).

  

Das Interesse an diesem einfachen Spielzeug war bei den Volkskundeforschern bereits sehr früh vorhanden. Die grösste Sammlung trug zwischen 1898 und ca. 1920 der Ethnograph Prof. Théodore Delachaux (1879–1949) in der Region Heimberg-Steffisburg zusammen (Delachaux 1914; Delachaux 1915). Sie befindet sich heute im Musée d’art et d’histoire in Neuchâtel und umfasst alle Typen (Blaettler/Ducret/Schnyder 2013, 158–183), die auch im Musée Ariana in Genf vorkommen (Heege/Kistler 2017a,  502-508). Eine kleine Kollektion, die aus verschiedenen Heimberger Hafnereien bzw. Baden-Württemberg (Kandern, Schwaben) stammen soll, erwarb auch das Museum der Kulturen in Basel zwischen 1906 und 1983 (unveröffentlicht). Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass wir mit der Produktion solcher Figuren nicht nur in Heimberg sondern im gesamten Kanton Bern, der Deutschschweiz und Südwestdeutschland  und Bayern (Bauer/Wiegel 2004, 558) rechnen müssen. Eine Zuweisung der unsignierten Spielzeuge zu einer spezifischen Töpferei ist daher ohne weitere Herkunftsangaben nicht möglich.

Bibliographie:

Bauer/Wiegel 2004
Ingolf Bauer/Bert Wiegel, Hafnergeschirr aus Franken (Kataloge des Bayerischen Nationalmuseums München 15,2), München 2004.

Boschetti-Maradi 2006
Adriano Boschetti-Maradi, Gefässkeramik und Hafnerei in der Frühen Neuzeit im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 8), Bern 2006.

Delachaux 1914
Théodore Delachaux, Jouets rustiques Suisses, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 18, 1914, 101-112.

Delachaux 1915
Théodore Delachaux, Das Spielzeug, in: Das Werk 2, 1915, Heft 11, 173-184.

Frey 2018
Jonathan Frey, Gummibärchen oder Eichhörnchen? Ein neuzeitliches Kinderspielzeug aus Olten, in: Archäologie und Denkmalpflege im Kanton Solothurn 23, 2018, 51-54.

Heege 2010
Andreas Heege, Keramik um 1800. Das historisch datierte Küchen- und Tischgeschirr von Bern, Brunngasshalde, Bern 2010.

Heege/Kistler 2017
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Lithberg 1932
Nils Lithberg, Schloss Hallwil Bd. 3. Die Funde, Stockholm 1932.

Roth 1873
Abraham Roth, Thun und seine Umgebungen, Bern 1873.

Roth-Rubi/Schnyder/Egger u.a. 2000
Kathrin und Ernst Roth-Rubi/Rudolf Schnyder/Heinz und Kristina Egger u.a., Chacheli us em Bode… Der Kellerfund im Haus 315 in Nidfluh, Därstetten – ein Händlerdepot, Wimmis 2000.

Schnellmann 1949
Paul Werner Schnellmann, Besuch in einer ländlichen Töpferei, in: Der Hochwächter. Blätter für heimatliche Art und Kunst 5, 1949, 254-266.

Schwab 1921
Fernand Schwab, Beitrag zur Geschichte der bernischen Geschirrindustrie (Schweizer Industrie- und Handelsstudien 7), Weinfelden/Konstanz 1921.