Abb. 1 Zwiebeltopf mit Reliefauflagen und wohl originaler Kettenaufhängung, 17. Jh. (Museum der Kulturen Basel Inv. VI-47473, Foto Andreas Heege)
Andreas Heege, 2019
Den Zwiebeltopf kennt selbst in der Volkskunde heute kaum noch jemand, geschweige denn, dass er ihn benutzt. Dabei lässt sich mit diesem Topf in der Winterszeit hervorragend Vitamin C-haltiges Zwiebelgrün als Nahrungsergänzung und für die Suppe produzieren. Eine grössere Anzahl von museal erhaltenen Zwiebeltöpfen besteht aus Zinn oder Kupferblech, ohne das es hierzu bis heute umfassendere Sammlungen oder Literaturstudien gäbe. Es ist daher unklar, ab wann und in welcher Region diese Methode der Erzeugung von „Grünzeug“ in der Winterszeit eigentlich einsetzte. Wie so oft wurde das teure Zinn durch Hafner kopiert. Archäologische Bodenfunde sind selten, belegen aber die Existenz von Zwiebeltöpfen in der Deutschschweiz spätestens ab etwa 1700. Heute sind ausserdem 35 Zwiebeltöpfe aus schweizerischen Museen und Privatsammlungen bekannt, die den Zeitraum vom 17. Jahrhundert bis um 1900 umfassen. Eine Produktion in den Kantonen Bern, Zürich, St. Gallen und Graubünden lässt sich begründet vermuten. Ob es diese Gefässform auch in weiten Teilen Süddeutschland oder dem elsässischen Raum gab, entzieht sich unserer Kenntnis, lediglich ein Exemplar aus der Fayencemanufaktur Nürnberg ist bekannt In den Bestellkatalogen aus Soufflenheim kommt exakt diese Gefässform nicht vor, dafür finden sich dort im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ähnlich durchlochte Krokus- und Petersilientöpfe.
Im Ufzug hangt en Böllekorb
vo altem Zinn rundum;
i gibe n-en keim Antiquar
und zahlt er Silber drum.
D’Grossmuetter hät z’Martini all,
zwölf Zwiebel ine gsteckt,
und am Neujahr händ s‘ wie im Mai
die grüene Arme g’reckt.
Und z’mittst im Winter hämmer Grües
uf üssi Suppe gha;
drum: häst en alte Böllekorb
gang g’schwind und pflanz‘ en a.
Mit diesem Gedicht erinnerte das „Liechtensteinische Volksblatt“ im Jahr 1929 an ein altes Hausgerät – den Zwiebeltopf (Abb. 1) oder auf Schweizerdeutsch „Böllechorb“ oder „Böllechruech“ und seine Funktion. Ob damit aber dasselbe bezeichnet wurde, wie die «Zibelenkrüge», die 1689 der Berner Hafner Hans Heinrich Hess herstellte, lässt sich leider nicht belegen (Boschetti-Maradi 2006, 85; Morgenthaler 1951, 106). Heute kennt kaum noch jemand diese Gefässform, geschweige denn, dass sie benutzt wird (Wildhaber 1962, 24; Klever 1979, 110). Auch der Begriff für das Objekt wird heute üblicherweise falsch verstanden. Ein Blick in die Internet-Verkaufskataloge zeigt, dass „Zwiebeltopf“ derzeit einen verschlossenen Aufbewahrungstopf bzw. Lagerungsbehälter für trockene Küchenzwiebeln meint, die eben gerade nicht austreiben sollen.
Die Frage, was passiert, wenn man den Zeitungsartikel als Pflanzanleitung verwendet, konnte in einem kleinen Experiment im Frühjahr 2016 mit Hilfe eines Original-Zwiebeltopfes aus dem 18. oder frühen 19. Jahrhundert überprüft werden (Ich danke Yvonne Greisler, Burgdorf, sehr herzlich für die Überlassung eines Zwiebeltopfes.).
Abb. 2 Zwiebeltopf des 18. Jahrhunderts im Versuch im Jahr 2016, ohne M. (Privatbesitz, Foto Andreas Heege)
Es funktionierte perfekt (Abb. 2). Nur Zwiebelspitzen, die nicht ganz passgenau vor dem Loch positioniert waren, fanden keinen Weg für den Austrieb. Die Zwiebeltriebe liessen sich zweimal hintereinander abschneiden und zum Kochen brauchen. Im Frühjahr konnte man die Zwiebeln sogar noch in den Garten auspflanzen, sie bildeten jedoch nur noch einen neuen Nottrieb mit einer sehr kleinen Zwiebelblüte. Wir können also festhalten: Der klassische Zwiebeltopf diente zur Produktion von Vitamin C-haltigem Grünzeug als Suppenbeilage in der dunklen und kalten Jahreszeit.
Abb. 3 Zwiebeltöpfe aus Zinn und Keramik im Toggenburgmuseum in Lichtensteig, ohne M. (TML Inv. 521, 1020, Foto Andreas Heege)
Das Gedicht zitiert ausserdem richtig: Eine grössere Anzahl von Zwiebeltöpfen bestand aus Zinn unterschiedlicher Form (Abb. 3). Es gibt Stücke mit einem sehr ausgeprägten Rand und solche, die kugelig gestaltet sind (Beispiele: Bernisches Historisches Museum Inv. 4179, 7086, 37216; Schaffhausen, Museum Allerheiligen Inv. H20490; Toggenburgmuseum Lichtensteig Inv. 1020; Schweizerisches Nationalmuseum Inv. LM-23541). Ein Zwiebeltopf aus Kupferblech ist mir bisher einmal begegnet (Schaffhausen, Museum Allerheiligen Inv. H54524). Umfassendere Sammlungen oder Literaturstudien zu diesem Zinnobjekt gibt es meines Wissens nicht. So ist auch unklar, wo solche Zwiebeltöpfe aus Zinn überall hergestellt wurden. Wie so oft wurde das teure Zinn durch Hafner kopiert. Jedoch haben wir zur Zeit kaum eine Vorstellung, wann dieser Prozess genau begann, da die bis heute bekannten keramischen Zwiebeltöpfe oft nicht datiert sind. Auch ist unklar, ob es sich um eine ausschliesslich deutschschweizerische Funktionsform handelt oder ob wir auch mit der Herstellung im benachbarten Süddeutschland oder Elsass rechnen müssen. Üblicherweise tragen Zwiebeltöpfe auf der Innenseite keine Grundengobe oder Glasur.
Archäologische Bodenfunde sind selten und können aufgrund ihres fragmentarischen Charakters oft nicht zweifelsfrei zugeordnet oder bestimmt werden. Es gibt unsichere Stücke momentan aus dem Alten Bärengraben in Bern (vor 1765, Boschetti-Maradi 2006, Taf. 40, G44), dem jüngsten Gebäude 4 der Glashütte Court-Chaluet im Kanton Bern (vor ca. 1840, Frey 2015, Taf. 96,673, beidseitig über Engobe glasiert und grosse Löcher) und undatiert aus einer Bauuntersuchung in der Oberaltstadt 3/4 in Zug (Abb. 4,1; Roth Heege/Thierrin-Michael 2016, Kat. 287).
Abb. 4 Archäologische Bodenfunde von Zwiebeltöpfen in der Schweiz. 1 Zug, Oberaltstatdt 3-4 (Kantonsarchäologie Zug, Foto Andreas Heege). 2 Burgdorf, Kornhausgasse (Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Fnr. 46122, Foto Badri Redha). 3 Court, Pâturage de l’Envers (Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Fnr. 70185, Foto Jonathan Frey). 4 Burgdorf, Kornhaus (Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Fnr. 30517, Foto Badri Redha).
Ein gut einzuordnender Fund fand sich in der bernischen Glashütte von Court, Pâturage de l’Envers, die von 1699 bis 1714 produzierte (Abb. 4,3). Der Topf ist auf der Aussenseite ohne Grundengobe grün glasiert (Frey 2015, Kat. 282). Ein Schrühbrand stammt aus dem Stadtbrand des Jahres 1715 in Burgdorf und kann dort mit der Produktion der Hafnerei Vögeli in Verbindung gebracht werden (Abb. 4,4; Baeriswyl/Gutscher 1995, Abb. 79,17; Boschetti-Maradi 2006, Taf. 27,E2; zur Geschichte der Hafnerei Vögeli: Heege 2015). Bei einer Ausgrabung auf der unmittelbar benachbarten Strassenseite der Burgdorfer Kornhausgasse konnten Fragmente eines weiteren Zwiebeltopfes geborgen werden. Dieser darf aufgrund der Handschrift der eingeritzten Zahl mit grosser Wahrscheinlichkeit ebenfalls der Töpferei Vögeli zugeordnet werden (Abb. 4,2; Heege 2015, Abb. 8). Uhrmacher Henzi aus Burgdorf verkaufte dem dortigen Museum im Jahr 1900 einen vollständigen in das Jahr 1696 datierten Zwiebeltopf, vermutlich desselben Herstellers, der einen guten Eindruck von einem vollständigen Objekt vermittelt (Abb. 5,1). Mit diesem Stück befinden wir uns mitten in der Diskussion um Herkunft und Datierung der Zwiebeltöpfe, da der Burgdorfer Topf derzeit das älteste inschriftlich datierte Exemplar darstellt.
Abb. 5 Die ältesten inschriftlich datierten Zwiebeltöpfe der Schweiz bzw. Zwiebeltopf mit Reliefdekor. 1 1696, (Rittersaalverein Burgdorf, Inv. IV-0618, Foto Andreas Heege). 2 1720 (Fahrländer-Müller-Stiftung, Inv. K164, Foto Andreas Heege). 3 frühes 17. Jahrhundert (Schweizerisches Nationalmuseum, Inv. HA-3002, Foto Donat Stuppan).
Aus schweizerischen Museen und in Privatbesitz sind ansonsten bis heute 35 Zwiebeltöpfe mit einfacher Blei- oder Fayenceglasur bekannt geworden, von denen die meisten in diesem Aufsatz abgebildet werden. Die Dimensionen der Zwiebeltöpfe sind relativ variabel. Die Randdurchmesser schwanken zwischen 10,6 und 24 cm, wobei Durchmesser über 20 cm eher die Ausnahme sind. Die Höhen betragen zwischen 10,6 und 22 cm. In der Regel ist die Höhe etwas grösser als der Randdurchmesser. Die ältesten beiden Stücke sind 1696 und 1720 (Abb. 5,1.2) datiert und über weisser Grundengobe grün glasiert. Das Stück von 1720 kann der Burgdorfer Produktion nicht sicher zugeschrieben werden. Zwei Exemplare aus dem Museum der Kulturen in Basel (Abb. 1) bzw. dem Schweizerischen Nationalmuseum in Zürich (Abb. 5,3) sind mit Reliefauflagen verziert und gehören wohl in die nordostschweizerische Produktion des späten 17. Jahrhunderts. Eine Herstellung in Winterthur im Kanton Zürich kann nicht ausgeschlossen werden (Heege/Kistler 2017b, 96–99). Aufgrund der Datierung wären diese beiden Stücke zeitgleich oder wenig älter als die bernischen Exemplare aus Burgdorf.
Abb. 6 Zwiebeltöpfe mit grüner Glasur. 1 1791 (Toggenburgmuseum Lichtenstein Inv. 2025, Foto Andreas Heege). 2 1807 (Museum der Kulturen Basel, Inv. VI-3128). 3 18. Jahrhundert (Rittersaalverein Burgdorf, Inv. IV-1024, Foto Andreas Heege). 4 spätes 18. Jahrhundert (Privatbesitz, Foto Andreas Heege). 5 18. oder 19. Jahrhundert (Museum der Kulturen Basel, Inv. VI-2729, Foto Andreas Heege). 6 18. oder 19. Jahrhundert (Schweizerisches Nationalmuseum Zürich, Inv. LM-004564, Foto Donat Stuppan). 7 18. oder 19. Jahrhundert (Museum Allerheiligen, Schaffhausen, Inv. H17398).
Zahlreiche weitere Zwiebeltöpfe sind ebenfalls mit grüner Glasur versehen. Sie können unterschiedlich ausgeformte Aufhängevorrichtungen in Form von Henkeln, Voluten, Ösen oder Löchern unter dem Rand aufweisen. Sie sind eher kugelig gestaltet und lassen ein ausgeprägtes Halsfeld vermissen. Häufig haben die Töpfe unten eine Art Auslauf in Form einer kurzen Röhre. Diese kann jedoch auch fehlen (Abb. 6). Zwei 1791 und 1807 datierte Stücke belegen (Abb. 6,1.2), dass diese Form bis ins 19. Jahrhundert produziert wurde. Die starke formale Variabilität dokumentiert zugleich, dass wir es vermutlich mit zahlreichen Herstellern in der ganzen Deutschschweiz zu tun haben.
Abb. 7 Zwiebeltopf mit blauem Unterglasur-Pinseldekor, erste Hälfte 18. Jahrhundert (Schweizerisches Nationalmuseum Zürich, Inv. HA-4111, Foto Donat Stuppan).
Drei Zwiebeltöpfe gehören in die grosse bernische Keramikgruppe mit blauem Unterglasur-Pinseldekor. Der schönste befindet sich heute im Schweizerischen Nationalmuseum (Abb. 7). Aufgrund seines Dekors mit Akanthusblättern, die man sonst auch häufiger bei Kachelöfen in der Region antrifft und der Darstellung des Bären, würde ich gerne eine Produktion im bernischen Mittelland in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Erwägung ziehen (Heege/Kistler 2017b, 114–125).
Abb. 8 Zwiebeltöpfe mit blauem Unterglasurpinseldekor oder Fayenceglasur. 1 erste Hälfte 18. Jahrhundert (Privatbesitz, Foto Andreas Heege). 2 erste Hälfte 18. Jahrhundert (Schweizerisches Nationalmuseum Zürich, Inv. HA-4052 Foto Donat Stuppan). 3 spätes 18. oder 19. Jahrhundert (Schweizerisches Nationalmuseum Zürich, Inv. LM-003620, Foto Donat Stuppan).
Ein zweiter Zwiebeltopf (Abb. 8,1) befindet sich in Privatbesitz. Aufgrund seiner Bemalung steht er möglicherweise der Hafnerwerkstatt Bleuler nahe, die im 18. Jahrhundert am Zürichsee arbeitete (Heege/Kistler 2017b, 100–105). Auch ein dritter Zwiebeltopf trägt blauen Unterglasur-Pinseldekor (Abb. 8,2). Eine Zuweisung zu einer der beiden genannten Produktionsregionen scheint momentan jedoch nicht möglich. Gleiches gilt für den einzigen Zwiebeltopf mit Fayenceglasur und blauer Inglasurmalerei (Abb. 8,3), der möglicherweise etwas jünger ist, als die gerade besprochenen Zwiebeltöpfe. Anders verhält es sich mit einem weiteren Fayence-Zwiebeltopf, der erst nach Schluss des Manuskriptes bekannt wurde. Er wird stilistisch der Nürnberger Fayencemanufaktur zugewiesen und soll in die Zeit zwischen 1720 und 1770 datieren (Glaser 2017, Kat. 361).
Abb. 9 Zwiebeltöpfe mit Spritzdekor oder Springfederdekor, möglicherweise aus der Produktion von Langnau, Kanton Bern. 1 spätes 18. oder 19. Jahrhundert (Bernisches Historisches Musum, Inv. 8415, Foto Christine Moor). 2 erste Hälfte 19. Jahrhundert (Rittersaalverein Burgdorf, Inv. IV-0195, Foto Andreas Heege).
Zumindest für zwei der museal überlieferten Zwiebeltöpfe besteht der Verdacht, dass sie in Langnau im Emmental im Kanton Bern produziert worden sein könnten. Der erste Zwiebeltopf (Abb. 9,1) weist einen aussen gerillten Rand auf, wie er bei Langnauer Bügelkannen (BÜK 1) und Töpfen (TO 1a bzw. TO 3a) vorkommt (Heege/Kistler 2017a, 767–768). Der Dekor der Aussenseite mit roter Grundengobe und dunkelbraunem Spritzdekor entspricht ebenfalls sehr gut Langnauer Gepflogenheiten. Die Aufhängung erfolgt mit seitlichen Ösen, wie wir sie auch von der Rückseite von Rasierbecken kennen. Der einzige Anhaltspunkt für eine Datierung ist der Dekor, der mit wenigen datierten Stücken in Langnau zwischen 1785 und 1864 vorkommt. Der zweite Topf trägt auf der Aussenseite dagegen eine weisse Grundengobe und Springfederdekor, darüber eine gelbe Glasur und dunkelbraunen Spritzdekor (Abb. 9,2). Die Aufhängung erfolgt mittels Löchern im Rand, in die ursprünglich vermutlich Haken einer Kettenaufhängung eingehängt waren. Eine Datierung kann nicht gegeben werden, da es sich um das einzige, leider undatierte Exemplar dieses Dekors in Langnau handelt. Dekor dieser Art ist jedoch zwischen 1800 und 1850 problemlos denkbar (Heege/Kistler 2017a, 767–768).
Abb. 10 Zwiebeltöpfe mit Spritzdekor, unbekannte Herstellungsorte. 1 19. Jahrhundert (Rittersaalverein Burgdorf, Inv. 0-5430). 2 19. Jahrhundert (Musée d’art et d’histoire, Neuchâtel, Inv. AA-3284). 3 19. Jahrhundert (Bernisches Bistorisches Museum, Inv. 8416, Foto Christine Moor). 4 19. Jahrhundert (Musée d’art et d’histoire, Neuchâtel, Inv. AA-1256).
Die übrigen vier Zwiebeltöpfe mit dunkelbraunem Spritzdekor sind typologisch sehr vielgestaltig (Abb. 10,1–4). Da der Dekor sehr einfach herzustellen ist, lässt sich keine regionale Zuordnung vornehmen. Eine zeitliche Einordnung in das späte 18. oder die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts dürfte wohl am ehesten zutreffend sein.
Abb. 11 Zwiebeltöpfe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, unterschiedliche Hersteller. 1 19. Jahrhundert (Rittersaalverein Burgdorf, Inv. 0-5428, Foto Andreas Heege). 2 zweite Hälfte 19. Jahrhundert (Museum im Kornhaus Wiedlisbach, Inv. 211, Foto Andreas Heege). 3 zweite Hälfte 19. Jahrhundert (Regionalmuseum Langnau, Inv. A320, Foto Andreas Heege). 4 spätes 19. Jahrhundert (Museum Alt-Falkenstein, Kanton Solothurn, Foto Roland Blaettler). 5 letztes Viertel 19. Jahrhundert, Thuner Majolika (Schweizerisches Nationalmuseum Zürich, Inv. LM-071495, Foto Jonas Hänggi). 6 letztes Viertel 19. Jahrhundert, Thuner Majolika (Schlossmuseum Thun, ohne Inv., Foto Andreas Heege). 7 frühes 20. Jahrhundert (Schlossmuseum Thun, Inv. 2338, Foto Andreas Heege).
Weitere Zwiebeltöpfe würde ich aufgrund der Glasur oder des Dekors gerne ins 19. Jahrhundert datieren. Teilweise dürften sie aus der Töpfereiregion Heimberg/Steffisburg im Kanton Bern stammen. Eine Zuweisung ist für die ersten beiden Objekte jedoch nicht möglich, da sie zu uncharakteristisch verziert sind bzw. nur rote Grundengobe unter der Glasur tragen (Abb. 11,1–2). Der dritte Zwiebeltopf (Abb. 11,3) trägt sogenannten Perldekor, der in der Region Heimberg/Steffisburg im frühen 19. Jahrhundert entwickelt wurde und bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts in Produktion blieb. Die Kombination von dunkelbrauner Bemalung und kräftig gelber Glasur spricht im Kanton Bern für eine Datierung in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts (Heege 2008, Abb. 2–3). Dies gilt auch für einen weiteren Zwiebeltopf (Abb. 11,4) mit seinem typischen schwarzbraunen Horizontalstreifendekor (zur Datierung: Baeriswyl/Heege 2008, 168.– Heege 2012, 168–169.– Heege/Kistler 2017a, 177). Aus der Region Heimberg/Steffisburg stammen auch die Exemplare mit Edelweissdekor, die möglicherweise der Produktion der 1878 gegründeten Manufaktur Wanzenried oder mit dieser zusammenarbeitenden Heimberger Hafnern zugeordnet werden können (Abb. 11,5 und 6). Das Edelweiss fand erst ab den späten 1870er- bzw. frühen 1880er-Jahren zunehmend Gefallen beim alpenbegeisterten, oft französischen oder englischen Touristen-Publikum und kann daher gut als chronologischer Anhaltspunkt gelten (Messerli 1995; Roth-Rubi/Schnyder/Egger u.a. 2000; Heege 2008, Abb. 5). Ein weiterer Zwiebeltopf mit Spritzdekor (Abb. 11,7) kann nur versuchsweise ins frühe 20. Jahrhundert datiert werden.
Abb. 12 Zwiebeltöpfe «Heimberger Art», möglicherweise aus der Töpfereiregion Berneck, Kanton St. Gallen. 1 spätes 19. Jahrhundert (Haus zum Torggel-Ortsmuseum Berneck, Inv. 2010_1586, Foto Andreas Heege). 2 spätes 19. Jahrhundert (Fahrländer-Müller-Stiftung, Inv. K087, Foto Andreas Heege). 3 spätes 19. Jahrhundert (Privatbesitz, Foto Claire Hauser-Pult).
Es gibt eine weitere Produktionsregion in der Deutschschweiz in der im fortgeschritteneren 19. Jahrhundert Zwiebeltöpfe hergestellt worden sein dürften. Es handelt sich um die Hafnereien in der Region Berneck im Kanton St. Gallen (zu diesem Töpfereistandort: Heege 2016, 28–36; Heege/Kistler 2017b, 369–373). Das Ortsmuseum Berneck im Haus zur Torggel verwahrt einen Zwiebeltopf (Abb. 12,1) mit typischem Malhorndekor und einem gelochten Rand für die Aufhängung. Sehr gute Vergleichsstücke finden sich im Toggenburgmuseum Lichtensteig (vgl. Abb. 3) und in der Keramiksammlung der Fahrländer-Müller-Stiftung (Abb. 12,2) sowie in Privatbesitz in Graubünden (Abb. 12,3). Zusätzlich zum Malhorndekor tragen die beiden letztgenannten Töpfe einen Dekor aus manganviolett ausgeschmolzenen Farbkörpern in der Grundengobe. Diese Dekortechnik wurde um 1800 in Langnau im Emmental im Kanton Bern entwickelt und verbreitete sich sehr schnell in der ganzen Deutschschweiz (Heege/Kistler 2017a, 167–168 und Abb. 369,2).
Abb. 13 Zwiebeltöpfe, hergestellt in der Werkstatt von Christian Lötscher (1826-1880) in St. Antönien im Prättigau, Kanton Graubünden. 1 datiert 1872 (Privatbesitz, Foto Andreas Heege). 2 spätes 19. Jahrhundert, gekauft vom letzten Hafner Andreas Lötscher (Rätisches Museum Chur, Inv. H1970-206, Foto Andreas Heege).
Möglicherweise erhielt auch der Hafner Christian Lötscher (1822–1880) in St. Antönien im Kanton Graubünden die Anregung zur Produktion dieser Gefässform, durch Stücke aus Berneck, die er auf irgendeinem der lokalen Jahrmärkte zu Gesicht bekam. Oder es war eine Kundin, die ihn um die Anfertigung eines solchen Stücks bat. Aus dem «Haus Valär», in Jenaz stammt ein solcher Zwiebeltopf (Abb. 13,1), der 1872 von Christian Lötscher für Katharina Valär-Bardill (1847–1930) oder Katharina Bardill-Valär (1813–1886) angefertigt wurde (Heege 2019, 400 Abb. 383). Er hat eine gedrückt bauchige Form mit rund nach aussen verdicktem Rand. Nach dem Engobieren und Glasieren wurden neun Löcher in die Wandung eingestochen. Unter dem Rand befinden sich zwei kleinere Löcher für die Aufhängung. Den Dekor bildet ein regelmässig verteiltes Rosettenmotiv. Einen zweiten, sehr ähnlich verzierten Zwiebeltopf (Abb. 13,2) kaufte das Rätische Museum Chur 1907 direkt bei Andreas Lötscher d. J., dem letzten Hafner in St. Antönien-Ascharina im Hafnerhaus, was die dortige Produktion der Zwiebeltöpfe zusätzlich absichert (Heege 2019, 400 Abb. 384).
Abschliessend sei darauf hingewiesen, dass es aus England auch Steingutgeschirr in Form von Bienenstöcken und Igeln mit charakteristischen Löchern gibt, die dort jedoch als „Crocus-pots“ bezeichnet werden. Sie datieren ab ca. 1815 und dienten also offenbar als Spezialtöpfe für Frühlingskrokusse oder ähnliche Blumen mit Zwiebeln (Reilly 1995, 124).
Abb. 14 Krokustöpfe, Töpferei Lehmann-Söhne, Soufflenheim, Elsass, Preisliste ca. 1920/30 (Reproduktion Andreas Heege).
Ähnliche Funktion scheinen auch zwei Topftypen zu haben, die sich im Warenkatalog der Keramikfirma Lehmann-Söhne, Soufflenheim, Elsass, aus der Zeit um um 1920/30 finden (Abb. 14). In älteren Soufflenheimer Katalogen begegnen diese nicht (vgl. Legendre/Maire 1996; Legendre/Maire 2010; ich danke Jean-Pierre Legendre für die Überlassung von Katalogkopien Soufflenheimer Hersteller).
Abb. 15 Petersilientopf, Töpferei Emil Scheydecker, Soufflenheim, Elsass, Preisliste um 1900 (Reproduktion Andreas Heege).
Dagegen findet sich dort im späten 19. Jahrhundert einmal ein „Petersilientopf“, der wohl für die Anzucht von Petersilie auf dem Fensterbrett gedacht war (Abb. 15).
Abb. 16 Petersilientopf, Bodenfund aus Basel (Historisches Museum Basel, Inv. 1963-87, Foto Andreas Heege)
Da zahlreiche Soufflenheimer Keramiken ebenfalls kleine, gebogene Grapenfüsse aufweisen, möchte ich annehmen, dass es sich bei einem angeblichen Bodenfund aus der Aeschenvorstadt in Basel, der heute im Historischen Museum in Basel verwahrt wird, um einen solchen Petersilientopf handelt (Abb. 16; MKB 1963.87).
Dieser Aufsatz wurde auch publiziert:
Heege 2022
Andreas Heege, Zwiebeltöpfe, eine ungewöhnliche Gebrauchsform des 16. bis 20. Jahrhunderts in der Schweiz, in: Karla Roşca, Ceramica rituală, Ceramica utilitară – Ritualkeramik, Gebrauchskeramik, Sibiu 2022, 237-248.
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Silvia Glaser, Nürnberger Fayencen. Geschichte und Erzeugnisse einer Manufaktur in der Reichsstadt, Nürnberg 2017.
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Andreas Heege, Bern, Engehaldenstrasse 4. Funde aus einer Latrinen- oder Abfallgrube des späten 19. Jahrhunderts., in: Archäologie Bern/Archéologie bernoise. Jahrbuch des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern, 2008, 197–215.
Heege 2012
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Andreas Heege, Die Ausgrabungen auf dem Kirchhügel von Bendern, Gemeinde Gamprin, Fürstentum Liechtenstein. Bd. 2: Geschirrkeramik 12. bis 20. Jahrhundert, Vaduz 2016.
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Andreas Heege/Andreas Kistler, Poteries décorées de Suisse alémanique, 17e-19e siècles – Collections du Musée Ariana, Genève – Keramik der Deutschschweiz, 17.-19. Jahrhundert – Die Sammlung des Musée Ariana, Genf, Mailand 2017b.
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Kathrin und Ernst Roth-Rubi/Rudolf Schnyder/Heinz und Kristina Egger u.a., Chacheli us em Bode… Der Kellerfund im Haus 315 in Nidfluh, Därstetten – ein Händlerdepot, Wimmis 2000.
Roth Heege/Thierrin-Michael 2016
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Robert Wildhaber, Küchengeräte. Basel , Museum für Völkerkunde und Schweizerisches Museum für Volkskunde. Sonderaustellung 15. Dezember 1962 – 15. Mai 1963, in: Schweizer Volkskunde. Korrespondenzblatt der Schweiz. Gesellschaft für Volkskunde 52, 1962, Heft 5/6.