Roland Blaettler, 2019
Die Stadt Nyon war von jeher Heimat vieler Töpfer, Ziegelmacher und Ofenbauer. Am bekanntesten waren offensichtlich die Mitglieder der Familie Bezençon: Samuel I (gest. 1787), wohnhaft in Nyon seit 1738, sein Sohn Samuel II (gest. 1802) und sein Enkel Isaac, dessen Tätigkeit als Töpfer bis 1832 nachgewiesen ist (Pelichet 1985/2, 11 und 12; Kulling 2001, 238-240).
Pelichet schrieb Isaac Bezençon eine Reihe von Gefässen aus engobierter Irdenware zu: einen Krug von 1796 (MHPN MH-FA-4061) sowie Platten und Teller, ausgeführt für den ortsansässigen Schiffer Jacques Popelu in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts (MHPN MH-FA-521; MHPN MH-FA-520; MHPN MH-FA-519; MHPN MH-FA-536).
In einem Artikel mit dem Titel «Nyon und seine Industrien» stellte der Conteur vaudois vom 2. April 1881, S.1 lapidar fest, dass «die gewöhnlichen Töpferwaren […] zahlreich seien», eine Aussage, die etwas rätselhaft bleibt. Gemäss unserer Kenntnisse über das ausgehende 19. Jahrhundert wissen wir, dass neben der Manufacture de poterie fine ein weiterer Keramikbetrieb in der Rue de la Poterie 7 existierte, der offensichtlich keine «gewöhnlichen Töpferwaren» herstellte. Die “Poterie commune” widmete sich der Produktion von Irdenware. Durch ihren Namen unterschied sie sich auch von der Manufacture de poterie fine, die edles Steingut produzierte. Pelichet vermutete, dass die Einrichtung um 1896 von einem gewissen Boehler gegründet wurde (Pelichet 1985/2, 43).
Witwe Philippe, 1883-1885
Tatsächlich findet sich aber schon 1883 eine Erwähnung der Poterie commune im offiziellen Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) unter dem Firmennamen «Veuve Philippe». Der Betrieb wurde zu dieser Zeit von Marie Madeleine Pauline, geborene Musset aus Moens im Departement Ain, geleitet. Sie war die Witwe von Jean Christ Philippe. Die im Handelsamtsblatt angezeigte Tätigkeit bestand in der Herstellung und dem Verkauf von Alltagsgeschirr, d.h. von engobierter und glasierter Irdenware (SHAB Bd. 1, 1883, 355). Es ist zu vermuten, dass die Töpferei zuvor vom verstorbenen Jean Christ geleitet wurde, aber der Eintrag im SHAB weist nicht auf eine Namensänderung hin, sondern erscheint als Ersteintrag. Wie dem auch sei, zwei Jahre später heiratete die Witwe Philippe einen gewissen Jean Bœhler, vielleicht einen ehemaligen Mitarbeiter, aus Soufflenheim, dem berühmten elsässischen Töpferzentrum. Das Unternehmen wurde danach unter dem Namen des Ehemanns weitergeführt (SHAB, Bd. 3, 1885, 582).
Jean Bœhler, 1885-1902
1890 erhielt Bœhler einen Preis für seine Keramiken, die er auf der Gartenbauausstellung in Nyon zeigte (La Revue, 27. September 1890, 1). 1893 findet man ihn erneut unter den Preisträgern (La Revue, 22. September 1893, 2). 1896 beteiligte er sich an der Nationalen Ausstellung in Genf (Genf 1896/1, 408, Ausstellernummer 4163). Bei dieser Gelegenheit gab er dem Publikum mittels öffentlicher Vorführungen auf der Drehscheibe kostenlos Einblick in seine Arbeit (Courrier de la Côte vom 19. Juli 1896). Die ausgestellten Produkte wurden als «glasierte Töpferware, Typ Majolika» beschrieben.
Wie viele seiner Kollegen in der Genferseeregion, die die Technik der engobierten Irdenware anwendeten, bot Bœhler vor allem Töpferwaren ohne Dekor für den täglichen Gebrauch an. Seine Unterschrift erscheint am unteren Rand des «Tableau des mesures de poterie cuite adoptées par la Fédération des ouvriers tourneurs de la région de Genève, Ferney, Renens, Annecy et zones environnantes et de Messieurs les patrons soussignés» (wiedergegeben in: Ferney-Voltaire 1984, 264-265). Siehe auch das Kapitel «Les poteries engobées de la région lémanique».
Der vom Journalisten des Courrier de la Côte verwendete Begriff «Typ Majolika» deutet darauf hin, dass der Töpfer von Nyon auch raffinierter verarbeitete Töpferwaren herstellte, die er mit farbigen Glasuren veredelte. Sehr wahrscheinlich waren seine Produkte nie mit einer Marke gekennzeichnet. Wir sind aber dennoch versucht, drei verzierte, kegelstumpfförmige Krüge mit gleichem Henkeltypus Boehler zuzuschreiben; alle drei Objekte sind in ihrem Dekor mit «Nyon» bezeichnet, zwei davon sind datiert. Das erste Exemplar, das im Musée du Château de Nyon aufbewahrt wird, zeigt ein Muster aus weisser und grüner Marmorierung auf rotbraunem Grund. Die Kanne ist mit dem Datum «2. Oktober 1888» und den Initialen «E. M.» versehen (MHPN MH-1996-73).
Wir hatten das Stück zunächst der Töpferei Knecht aus Colovrex zugeschrieben, bis wir im Musée de la vigne, du vin et de l’étiquette in Aigle eine zweite, formal sehr ähnliche Kanne entdeckten, die jedoch mit einem applizierten Reliefdekor aus Weinranken verziert ist und die Jahreszahl «1888» sowie die Initialen «A:R» trägt. (MVVE 1515). Das Design der Ornamente ist dem der berühmten «Willkommenskannen» der Familie Knecht aus Colovrex (GE) sehr ähnlich, aber die Verarbeitung ist deutlich anders. In diesem Fall wurden die Blätter gemodelt, aber die Trauben und Stiele wurden von Hand gefertigt, bevor sie appliziert wurden, während bei der Töpferei Knecht nicht nur die Blätter, sondern auch die Trauben gemodelt wurden. In der Amoudruz-Sammlung des Musée d’ethnographie in Genf befindet sich eine dritte Kanne, die unsere Zuschreibung an die Werkstatt in Nyon zu bestätigen scheint: Gekennzeichnet mit der Inschrift «Nyon», aber ohne Datum, hat sie die gleiche Form und das gleiche Marmorierungsmuster wie das Beispiel aus dem Museum in Nyon. (ETHEU 103238).
Jean Bœhler meldete 1902 Konkurs an (Feuille d’avis de Lausanne vom 16. Mai 1902, 16 – SHAB, Bd. 20, 1902, 1042).
Poterie commune de Nyon S. A., 1905-1909
Die neuen Besitzer der Firma, Robert Matthey und Robert de Rham, legten 1902 der Stadtverwaltung Pläne für den Wiederaufbau der Töpferei vor (Archives communales de Nyon [ACN], Bleu A-69, Sitzung vom 19. November 1902). Im Dezember 1905 gründeten sie eine Aktiengesellschaft, die «Poterie commune de Nyon S. A.», mit dem Zweck, «den unter diesem Namen bekannten Betrieb, die Herstellung und den Verkauf von gewöhnlichen Töpferwaren sowie alle auf diesem Gebiet tätigen oder damit zusammenhängenden Unternehmungen zu erwerben und zu betreiben.» Der Vorstand bestand aus drei Mitgliedern: Robert de Rham, Präsident, wohnhaft in Lausanne, Robert Matthey und Georges André, beide in Nyon ansässig (SHAB, Bd. 23, 1905, 2027).
Es ist nicht bekannt, ob die 1902 angekündigten Arbeiten durchgeführt wurden, aber 1906 wurden neue Pläne von der Aktiengesellschaft vorgelegt (ACN, Bleu A-70, Sitzung vom 5. Februar 1906). Von 1907 bis 1909 erwähnt der Indicateur vaudois die Manufacture de poterie commune in der Rue de la Poterie 7, mit einem gewissen Billon als Direktor. Das Unternehmen gewann einen Preis auf der Gartenbauausstellung 1908 in Nyon (La Revue vom 10. September, 2). Im selben Jahr nahm die Stadtverwaltung zur Kenntnis, dass die «Société anonyme de la Poterie commune» fortan dem Fabrikgesetz unterstand, da sie 15 Personen beschäftigte (ACN, Bleu A-71, Sitzung vom 12. Oktober 1908). Etwa ein Jahr später erhielt das Unternehmen die Erlaubnis, seine Lagerbestände zu liquidieren (ACN, Bleu A-72, Sitzung vom 8. November 1909).
Henriette Morello, 1910-1912
Théophile Thomas-Morello, 1912-1916
1910 meldete der Indicateur vaudois einen neuen Direktor der Firma: Jules Meylan. In seiner Sitzung vom 7. Oktober 1910 erfuhr der Gemeindevorstand, dass die «Poterie commune» von jetzt an «Henriette Morello, poterie» heissen würde (ACN, Bleu A-72). Marthe-Henriette Morello, ursprünglich aus Turin (SHAB, Bd. 28, 1910, 662), ist im Handelsregister als Geschäftsführerin eingetragen (ACN, Orange P-1). Es ist wahrscheinlich, dass sie Mieterin der Einrichtungen war, die sich noch im Besitz der Aktiengesellschaft befanden. Ein Leumundszeugnis wurde ausgestellt für «Fräulein Henriette Morello, geboren in Ferney-Voltaire am 31. Januar 1878, italienischer Abstammung, Töpferin, die seit dem 1. Januar 1910 in Nyon wohnt und sich schon früher für längere Zeit dort aufgehalten hat» (ACN, Bleu A-73, Sitzung vom 19. Februar 1912).
Kurze Zeit später heiratete Henriette Morello den aus Paris stammenden Théophile Thomas. Die Töpferei ging im November 1912 auf den Namen des Ehemannes über (SHAB, Bd. 30, 1912, 2060). Die Verbindung währte nicht lange, am 8. November 1914 verkündete die Gazette de Lausanne (S. 3) die traurige Nachricht: «Herr Thomas-Morello, der Vorsteher der Poterie commune de Nyon […] ist Anfang September in der Schlacht an der Marne auf dem Feld der Ehre gefallen». Henriette führte die Töpferei, offenbar ohne Änderung des Firmennamens, bis 1916 weiter. Am 8. September 1916 wurde der Firmenname definitiv gelöscht (SHAB, Bd. 34, 1916, 1394). Im Mai desselben Jahres informierte Henriette die Gemeinde über ihre Absicht, das Haus ihres verstorbenen Mannes umzubauen, sehr wahrscheinlich, um sich dort zur Ruhe zu setzen (ACN, Bleu A-75, Sitzung vom 8. Mai 1916).
Laut den Aufzeichnungen der Einwohnerkontrolle von Nyon wurde Henriette Morello 1910 von ihren drei Brüdern begleitet: Abel, ausgebildeter Töpfer, wurde 1882 in Vanchy (Ain) geboren, er liess sich 1921 in Bonneville (Haute-Savoie) nieder; Louis und Charles, die als Arbeiter eingetragen waren, beide 1893 bzw. 1894 in Renens (VD) geboren, verliessen Nyon 1920, der erste zog nach Ferney-Voltaire, der zweite nach Marseille.
Die Morellos sind ein typisches Beispiel für ausgewanderte Töpferfamilien – in diesem Fall aus Italien –, die weit weg von ihrer Heimat auf der Suche nach Arbeit waren. Irgendwann liess sich der Vater der Morellos in Ferney-Voltaire nieder (Geburt von Henriette), einige Jahre später in Vanchy (Geburt von Abel), einem Ort mit ebenfalls langjähriger Töpfertradition. Später fanden sich die Morellos in Renens wieder, wo die letzten beiden Söhne geboren wurden. Die Geschichte erinnert natürlich an das harte Schicksal dieser ewig entwurzelten Menschen, aber sie zeigt auch die unvermeidlichen persönlichen Verbindungen auf, die zwischen den verschiedenen Töpferzentren der Genferseeregion im weitesten Sinne geknüpft wurden.
Die Poterie commune beteiligte sich 1913 an der Gartenbauausstellung in Nyon mit «Kunstkeramik und Gebrauchskeramik» (Feuille d’avis de Lausanne vom 12. September 1913, 3). Bei der Gebrauchskeramik handelte es sich mit Sicherheit um eine undekorierte und relativ standardisierte Produktion, wie sie von den meisten Werkstätten in der Genferseeregion ausgeführt wurde (z.B. MHPN MH-1996-78; MHPN MH-FA-4427A; MHPN MH-1996-77; MHPN MH-2013-32). Aber welche Stücke wurden der Kunstkeramik zugeordnet?
Das Musée du Pays-d’Enhaut in Château-d’Œx bewahrt einen Teller, der mit einem äusserst bescheidenen Blumenmuster verziert und auf der Rückseite mit «Nyon 1913» markiert ist (MPE 2995).
Die Zuschreibung «künstlerisch» wäre passender für diese flache Platte aus dem Musée du Château de Nyon, die mit einem Sgraffitodekor mit vertieftem Hintergrund verziert ist und von einer in Nyon nie gesehenen Modernität zeugt (MHPN MH-2011-30). Sie stammt ebenfalls aus dem Jahr 1913, mit eingravierter Marke «Gervais Abel – Noviodunum (der römische Name der Stadt Nyon, eine Marke, die Régis Richard einige Jahre später durchsetzte)».
Gemäss Pelichet arbeiteten die Brüder Morello eine gewisse Zeit für die Nachfolger ihrer Schwester, die Brüder Richard (Pelichet 1985/2, 43). Hatte Abel Morello zwei Vornamen, Abel Gervais? In den Dokumenten der Einwohnerkontrolle findet man keine entsprechende Erwähnung. In diesem Fall scheint «Gervais» ein Familienname zu sein, der in Frankreich weit verbreitet war, ganz zu schweigen von dem alteingesessenen Zweig in Cartigny GE. Das Museum von Nyon besitzt zwei weitere Stücke, die in der gleichen dekorativen Technik wie die Platte von 1913 hergestellt wurden und beide die Ritzmarke «AG» (wahrscheinlich die Initialen von Abel Gervais) tragen: eine Schale mit zwei weiteren Ritzmarken – «Noviodunum» und «Lebrane L» (MHPN MH-1999-105) und eine ebenfalls mit «Nyon» bezeichnete Vase (MHPN MH-2015-348).
Durch seine Form und seinen Dekor nimmt die Vase eindeutig ein Modell vorweg, das typisch für die Produktion der Brüder Richard sein wird, die 1916 die Nachfolge von Henriette Morello antraten (MHPN MH-2015-432; MHPN MH-FA-4041, HPN MH-2015-432; MHPN MH-FA-4041).
Der damaligen Presse (siehe unten) entnehmen wir, dass Régis Richard bereits 1915 erste Versuche in diese neue Richtung in Angriff nahm. Die beiden mit «AG» gekennzeichneten Objekte gehören vielleicht zu dieser experimentellen Phase, die Richard mithilfe des Töpfers Abel Gervais in der Werkstatt von Morello ausführte. Was die Platte von 1913 betrifft, so ist sie wahrscheinlich zu früh datiert, um mit Richard in Verbindung gebracht zu werden, auch wenn sie seinen eingravierten Namen trägt. Daher diese andere Hypothese: Abel Gervais, ein besonders begabter Töpfer, führte unter den Thomas-Morello den innovativen Stil ein, der später von den Richards weiterentwickelt wurde. Derselbe Gervais (oder sein Chef Théophile Thomas) wäre auch der Erfinder der Marke «Noviodunum».
Richard Frères et Cie, 1916-1917 – Richard Frères, 1917-1921
Der Firmenname «Richard Frères et Cie» wurde am 29. Mai 1916 im offiziellen Schweizerischen Handelsamtsblatt eingetragen, wo zu lesen ist, dass Régis und Auguste Richard (Albert, der dritte Bruder, erscheint zu diesem Zeitpunkt noch nicht) sich mit Camille Schultz aus Genf zusammenschlossen (SHAB, Bd. 34, 1916, 870). Am 5. September verzeichnete dieselbe Quelle das Ausscheiden von Régis, der durch seinen Bruder Albert als Teilhaber ersetzt wurde (SHAB, Bd. 34, 1916, 1383). Und erst am 19. September nahm die Stadtverwaltung eine Mitteilung der Präfektur zur Kenntnis, die besagte, dass der Name der ehemaligen Töpferei Thomas-Morello fortan «Poterie de Nyon – Richard Frères et Cie» lautete und dass das Unternehmen dem Fabrikgesetz unterstand (ACN, Bleu A-75). Am selben Tag bat Régis Richard um die Nutzung des Salons im zweiten Stock des Lancaster-Gebäudes, um zwischen dem 1. und 15. Oktober mithilfe von «Professor [Georges] Vallotton und M. Monod, Aquarellist» eine Ausstellung von Malerei, Keramik und Goldschmiedekunst zu veranstalten.
Von Anfang an scheint Louis-Régis Richard (1893-1940) der Künstler dieser jungen Geschwister gewesen zu sein (der Jüngste war kaum zwanzig Jahre alt). Seine Eintragung bei der Einwohnerkontrolle qualifizierte ihn als «Maler-Dekorateur». Albert (geboren 1895) wurde als Industrieller registriert, ebenso Auguste (1896-1938). Die Richards stammten ursprünglich aus Nyon VD und Coinsins VD.
Unter der neuen Leitung blieb die Töpferei der traditionellen Technik der engobierten Irdenware treu, aber in einer Form, die raffinierter sein sollte und die mit ihren relativ modernistischen Sgraffitodekoren mit vertieftem Hintergrund (Champlevé) offen künstlerische Ambitionen zeigte. Zu Beginn des Unternehmens unterscheiden wir zwei Produktionslinien: Diejenige mit technischer und ästhetischer Raffinesse war wahrscheinlich Régis’ persönliche Arbeit, von ihm entworfen und dekoriert, aber in der Werkstatt des Unternehmens gebrannt. Diese Linie trägt generell eine Marke mit dem Monogramm «RR» (MHPN MH-2015-347; MHPN MH-2015-412; MHPN MH-FA-251A; MHPN MH-FA-251B; MHPN MH-2000-113; MHPN MH-2015-184; MHPN MH-2015-352; MHPN MH-2015-351; MHPN MH-2015-185).4; MHPN MH-2015-352; MHPN MH-2015-351; MHPN MH-2015-185).
m ersten Jahr veröffentlichte die Familie Richard in der Presse zwei Arten von Werbeanzeigen, aus denen eine klare Unterscheidung zwischen der Basisproduktion und der persönlicheren Produktion hervorging. Die Absicht von Régis war, diese zwei Linien in den Köpfen zu verankern. Eine Anzeige verwies auf die «Poterie de Nyon – Richard Frères & Cie – Spécialité de poterie artistique – Poterie commune et fantaisie» (z.B. in Lausanne artistique vom 17. Juni 1916). Die zweite Anzeige stellte die «Poteries artistiques Novio Dunum – Régis Richard, céramiste, Nyon – Spécialités de vases, cache-pots, bibelots, suspensions, plats décorés» ins Zentrum (Lausanne artistique vom 9. Juli 1916). Es sieht so aus, dass Régis sich eine Zeit lang die Marke «Noviodunum» angeeignet hat. Erstaunlich ist, dass diese Marke nur selten auf den Stücken in Verbindung mit dem Monogramm «RR» erscheint (MHPN MH-FA-251A; MHPN MH-FA-251B), während sie manchmal neben der Blindmarke von «Richard Frères et Cie» zu finden ist (MHPN MH-1999-106; MHPN MH-2015-432; MHPN MH-2015-346). Im letzten Fall könnten diese Doppelmarken auf Modelle hinweisen, die Régis für die Firma entworfen hatte.
Was die «kollektive» Produktion der Töpferei betrifft, so trägt sie zunächst eine eingestempelte, fischförmige Blindmarke mit dem abgekürzten Firmennamen «R. F. & Cie» und der Erwähnung «Déposé» (eingetragenes Warenzeichen, gesetzlich geschützt) (MHPN MH-199-106; MHPN MH-2015-432; MHPN MH-2015-401; MHPN MH-FA-4248). Es ist anzumerken, dass diese Marke noch bis 1920 erscheint, ungeachtet der Änderung des Firmennamens im Jahr 1917 (siehe unten und MHPN MH-1998-94). Es gibt auch mehrere Varianten von Marken, die nur aus dem Nachnamen «Richard» bestehen, entweder eingeritzt (MHPN MH-2015-519; MHPN MH-2015-399; MHPN MH-2015-395; MHPN MH-2015-180; MHPN MH-FA-4040) oder eingestempelt (MHPN MH-2011-25).
Nach der Gründung der Firma, die er in der ersten Zeit präsidierte, distanzierte sich Régis Richard ziemlich schnell von ihr, um sich ganz seinen persönlichen Kreationen zu widmen. Im Rahmen der von L’Œuvre zwischen Mai und November 1916 organisierten «Exposition des arts du feu» mit Stationen in Genf, La Chaux-de-Fonds, Neuchâtel, Zürich und Lausanne erschien Régis Richard im Katalog unter seinem persönlichen Namen, ohne Erwähnung der Firma. Er wurde als «Keramiker, av. Viollier 3 in Nyon» beschrieben. An der Ausstellung präsentierte er 29 Stücke, darunter grosse und mittlere Urnen (zu Preisen von 54 und 35 Franken); eine Vase mit Fischdekor (7.–); eine Vase, Storch und Fuchs (7.50); Vasen mit grünen und blauen Sternen (6.50); eine Vase, Stier (5.–); eine Vase, fliegende Störche (4.50); eine Vase, Eichhörnchen (4.–); eine Vase, Reiher (4.–); Bonbondosen, griechischer oder Renaissance-Dekor (2.–); Vasen, Windhunde (7.-); eine rauchschwarze Vase (7.–); Pétronelle (1.70) und dekoratives Geschirr (Les arts du feu 1916, S. 42). In seiner der Ausstellung gewidmeten Chronik äusserte sich der damalige Kunstkritiker und Sekretär von L’Œuvre, Paul Perret, erbarmungslos über diese Kreationen: «Das merkwürdige Verfahren von Herrn Régis Richard, der seine Töpferwaren mit Engoben verziert und danach die Farbe des darunterliegenden Scherbens freikratzt, hat etwas Trockenes und Armseliges an sich und scheint mir die schönsten Eigenschaften des Materials zu missachten. Dieses Defizit wird durch die solide Zeichnung nicht immer wettgemacht» (Gazette de Lausanne, 27. Mai 1916, 3).
Noch im selben Jahr nahmen die Richards am «Comptoir d’échantillons de Lausanne» teil. Der Journalist von Lausanne artistique (22. Juli 1916, 1) hebt in seinem Bericht die «gekratzten Stücke» von Régis hervor: «Dieses Verfahren ist in der Schweiz völlig neu […] Seine ersten Versuche stammen aus dem Jahre 1915 und nach einer schwierigen Phase gelang es Herrn Richard letzten Endes, Stücke von gutem Geschmack und nicht zu teuer herzustellen. Die Formen werden vom Haus Richard Frères et Cie hergestellt […] Er übernimmt die Anfertigung von Kunstkeramik jeglicher Art auf Bestellung. Seine Dekorationswerkstätten befinden sich in Nyon, rue de Rive Nr. 26, wo Besucher immer eine interessante Auswahl all seiner Artikel vorfinden.»
Im November 1916 beantragte die Firma die Genehmigung zur Installation eines Elektromotors und einer Strangpresse in den «zu der Société anonyme de Poterie commune gehörenden Räumlichkeiten». Wir erfahren dabei auch, dass die Firma über ein Geschäft in der Rue de la Gare 34 verfügte (ACN, Bleu A-75, Sitzung vom 27. November 1916). Der Name der Töpferei wurde im Mai des folgenden Jahres, nach dem Ausscheiden des Teilhabers Camille Schultz, geändert: Sie hiess nun «Richard Frères» (SHAB, Bd. 35, 1917, 962).
Der Indicateur vaudois aus dem Jahr 1917 unterscheidet noch zwei Firmennamen, allerdings mit ein und derselben Adresse: «Poterie Noviodunum – Régis Richard» und «Richard Frères». Die Unterscheidung wurde in den folgenden Jahren nicht beibehalten und erschien nie im Schweizerischen Handelsamtsblatt.
In Wirklichkeit war Régis Richard eben dabei, sich von Nyon zu lösen, um ein neues Unternehmen aufzubauen. Im Oktober 1917 gründete er zusammen mit Oscar-Joseph Bairiot, einem in Nyon lebenden Belgier, eine offene Handelsgesellschaft mit Sitz in Genf (2, rue de la Tour-Maîtresse), die sich der Herstellung und dem Handel von Kunst- und Gebrauchskeramik widmete (SHAB, Bd. 35, 1917, 1749). Um ihre Pläne zu verwirklichen, übernahmen Richard und Bairiot im Januar 1918 die bekannte Töpferei der Söhne von Alexandre Liotard in Ferney-Voltaire (Ferney-Voltaire 1984, 287 – Clément 2000, 71, der Autor der Publikation bezeichnet Richard als «erbärmlichen Keramiker»). Bereits im Dezember zog sich Bairiot aus dem Geschäft zurück, der Genfer René Nicole kaufte seine Anteile, der Hauptsitz des Hauses «R. Nicole et R. Richard» wurde daraufhin nach Plainpalais in Nicoles Haus verlegt (SHAB, Bd. 36, 1918, 1986). Im Februar 1920 verkaufte Régis Richard seinerseits seine Anteile an Nicole, der damit Alleininhaber eines Unternehmens wurde, das bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs einen gewissen Erfolg haben sollte (Clément 2000, 71-75; Rivollet 1998).
Régis wagte ein letztes Abenteuer, als er sich mit dem Architekten Henri Miège aus Ferney zusammentat, um gemeinsam mit ihm «La Grande Poterie artistique R. M. C. de Ferney-Voltaire» auf die Beine zu stellen, ein ambitioniertes, angeblich grandioses Projekt, von dem man nie wieder hören sollte … (Ferney-Voltaire 1984, 287).
Während dieser Zeit hatten Auguste und Albert Richard in Nyon die Pläne für eine neue Fabrik in Martinet, im Quartier En Prélaz an der Strasse nach Saint-Cergue, hinterlegt (ACN, Bleu A-76, Sitzung vom 23. September 1918). Im Januar des folgenden Jahres wurden die Arbeiten auf Wunsch des Staatsrats unterbrochen (ACN, Bleu A-77, Sitzung vom 6. Januar 1919); trotz dieses Zwischenfalls wurde das Bauvorhaben abgeschlossen, denn im August erhielten die Eigentümer die Genehmigung, ihren Elektromotor in die neuen Räumlichkeiten zu verlegen (ACN, Bleu A-77, Sitzung vom 18. August 1919). Das Kommunalarchiv von Nyon besitzt Pläne der neuen Fabrik, auf denen die Anordnung von zwei grossen Öfen zu sehen ist (ACN, Bleu K-315.52). Die Räumlichkeiten waren für die Unterbringung von etwa zwanzig Arbeitern ausgelegt. Der neue Aufschwung der Fabrik sollte nur von kurzer Dauer sein: Am 5. September 1921 nahm die Stadtverwaltung den Konkurs von Richard Frères zu Protokoll (ACN, Bleu A-78); laut dem Schweizerischen Handelsamtsblatts wurde das Unternehmen im August aus dem Register gestrichen (SHAB, Bd. 39, 1921, 1611).
Albert Richard wanderte 1922 nach Frankreich aus und Auguste verliess im folgenden Jahr die Ufer des Genfersees Richtung Compiègne.1929 kehrte er nach Nyon zurück, wo er bis zu seinem Tod blieb. Was Régis betrifft, so verliess er Nyon 1924, er liess sich in Marseille nieder, verstarb aber in Vence.
In seinen Arbeitsnotizen, die im Musée du Château de Nyon aufbewahrt werden, vermerkt Pelichet, dass die Firma, nach Informationen, die ihm von der Witwe von Auguste Richard gegeben wurden, 1923 von Hermann Kaeppeli übernommen wurde. Aus den Protokollen der Stadtverwaltung erfahren wir jedoch, dass Gustave Besson, der «neue Besitzer der Töpferei Richard Frères En Prélaz» im April 1923 um einen Aufschub der Zahlung seiner Grundsteuern bat, da «die Fabrik erst in den letzten Tagen in Betrieb genommen werden konnte» (Bleu A-79, Sitzung vom 29. April 1923). Im Schweizerischen Handelsamtsblatt ist Besson am 12. Mai als Leiter der Keramikfabrik an der route de Trélex eingetragen (Bd. 41, 1923, 976). Im folgenden Monat meldete die Präfektur, dass der Betrieb von Besson, elf Arbeiter beschäftigte und somit dem Fabrikgesetz unterstand (Bleu A-79, Sitzung vom 14. Mai 1923). Am 2. Oktober 1924 verkündete die Feuille d’avis de Lausanne (S. 8) den Konkurs des Betriebs. Er erscheint namentlich zum letzten Mal im Indicateur vaudois von 1925. Das Gebäude «neueren Datums, mit Töpferwerkstatt, Wohn- und Büroräumen» wurde am 6. April 1925 zum öffentlichen Verkauf ausgeschrieben (SHAB, Bd. 43, 1925, 502).
Im darauffolgenden Jahr wird im selben Verzeichnis zum ersten und letzten Mal ein gewisser E. Besson, Töpfer, rue de la Poterie (wahrscheinlich in den Räumlichkeiten der ehemaligen Poterie commune) erwähnt.
Die Marke «Noviodunum» erscheint auch – diesmal ohne weitere Fabrikmarke –auf einer bisher unbekannten Produktion, deren Zuordnung etwas problematisch bleibt. Es handelt sich um eine Art feines Steingut mit sehr weissem Scherben, bedeckt mit einer Farbschicht (einer Art Engobe?) und verziert mit der gleichen Technik des Sgraffitodekors mit vertieftem Hintergrund (MHPN MH-2015-393; MHPN MH-2012-60; MHPN MH-2015-394; MHPN MH-2015-396; MHPN MH-FA-4045; MHPN MH-2015-470; MHPN MH-FA-4632).
Gewisse stilistische Ähnlichkeiten mit der Produktion der engobierten Irdenware veranlassen und dazu, diese Kategorie von Objekten den Brüdern Richard zuzuschreiben, jedoch ohne absolute Gewissheit. Die gleiche Technik findet sich auf Objekten mit der Marke «Kaeppeli und Rüegger», allerdings sind die Dekore sowie die Verarbeitung von minderer Qualität (siehe MHPN MH-2015-405; MHPN MH-2015-494; MHPN MH-2000-85A und das Kapitel «Nyon, Kaeppeli et Rüegger»)
Übersetzung Stephanie Tremp
Quellen:
Archives communales de Nyon [ACN], Série Bleu A, Registres de la Municipalité – Série Bleu K – Orange P1, Registre des commerçants
La presse et les annuaires vaudois, consultés sur le site Scriptorium de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne
Bibliographie:
Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 60–64.
Clément 2000
Alain Clément, La poterie de Ferney: deux siècles d’artisanat. Yens-sur-Morges/Saint-Gingolph 2000.
Ferney-Voltaire 1984
Ferney-Voltaire. Pages d’histoire. Ferney-Voltaire/Annecy 1984.
Genève 1896/1
Exposition nationale suisse Genève 1896. Catalogue de l’art ancien. Groupe 25. Genève 1896.
Kulling 2001
Catherine Kulling, Poêles en catelles du Pays de Vaud, confort et prestige. Les principaux centres de fabrication au XVIIIe siècle. Lausanne 2001.
Pelichet 1985/2
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. Nyon 1985.
Rivollet 1998
Karin Rivollet, La poterie René Nicole à Ferney-Voltaire, 1919-1939. Genève 1998.