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Kilchberg-Schooren, Zürcher Porzellanmanufaktur (1763-1790)

Die Zürcher Porzellanmanufaktur in Kilchberg-Schooren (Original Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung).

Zürcher Porzellan in CERAMICA CH

Zürcher Fayence in CERAMICA CH

Die Zürcher Porzellanmanufaktur

Geschichte des Betriebs

Elisabeth Lott, 2023

In dem vom gehobenen Bürgertum getragenen Stadtstaat Zürich ging eine Gruppe von Politikern, Unternehmern und Intellektuellen ein kühnes Wagnis ein: Sie gründeten 1763 eine Porzellanmanu­faktur in einem Land, das nicht auf die Gunst und Repräsentationsmöglichkeiten sowie die Finanz­kraft eines fürstlichen Hofes abstellen konnte. Inspiriert von den Ideen der Aufklärung, hegten die Gründer vor allem kulturelle Absichten. Sie wollten beweisen, dass es möglich ist, in Zürich ein ehr­geiziges künstlerisches Werk aufzubauen. Sie verfolgten aber auch ökonomische und philanthropi­sche Interessen. Einerseits sollte zürcherisches Kapital für den Kauf von Porzellan nicht ins Ausland abfliessen, andererseits sollten verarmte Landleute und junge Menschen im Betrieb eine künstle­rische Ausbildung und einen Arbeitsplatz erhalten.

Die Initiative zur Gründung einer Porzellanmanufaktur ergriff aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen der spätere Zürcher Bürgermeister Johann Conrad Heidegger (1710-1778). Er bildete 1763 zusam­men mit seinen beiden Neffen, dem berühmten Dichter und Maler Salomon Gessner (1730-1788) und dem Verleger Heinrich Heidegger vom Kiel (1738-1823) sowie den beiden Neffen seiner Frau, dem Seidenhändler und Bankier Hans Martin Usteri (1738-1790) und Stadtschreiber Heinrich Lavater (1731-1818), ein Konsortium mit dem klaren Ziel, Porzellan herzustellen. Am 10. August 1763 kaufte Heinrich Heidegger im Namen dieser Societät von der Witwe Holzhalb ein im Schooren bei Kilchberg-Bendlikon am See gelegenes Haus samt Land. Ebenfalls im August 1763 trat Adam Spengler (1726-1790) als Direktor und technischer Leiter in den Dienst des neuen Unternehmens. Er nahm zielstrebig die Einrichtung der Manufaktur in Angriff, und bereits im Frühling 1764 konnte der Verkauf von Fayence angekündigt werden, einer Keramikart, deren Herstellung und Verarbeitung Spengler aus seiner Tätigkeit bei den Berner Fayencemanufakturen vertraut war.

Noch vor Ende 1764 gelang der Manufaktur die Herstellung von Porzellan, und bereits 1770 verfügte sie über ein breites Spektrum an Geschirrstücken, Gebrauchsgegenständen und Figuren. Das Wissen um die Herstellung von Porzellan dürfte aus Ludwigsburg überliefert worden sein.

Schlichte Teekanne in klassizistischem Stil links (CFMH_Bö_0469) und Kanne in alter Form rechts (CFMH_Bö_0248).

Während unter qualitativem Aspekt unzweifelhaft ein beachtlicher Erfolg zu verzeichnen war und durchaus das Niveau namhafter ausländischer Porzellanmanufakturen erreicht wurde, traf dies in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht leider nicht zu. Schon kurz nach Aufnahme der Tätigkeit kämpfte das Unternehmen mit Liquiditätsproblemen und ungenügenden Erträgen. Der Absatzmarkt war begrenzt und die ausländische Konkurrenz gross. Massnahmen wie das Erproben von kosten­günstigeren Keramikmassen ohne grossen Kaolinanteil oder die Durchführung einer Porzellan-Lotterie (1773) sowie die Bestellung des umfangreichen Einsiedler-Service durch den Zürcher Rat (1775) brachten keine Besserung. Wegen fehlender Mittel konnte die Manufaktur auch nicht in neue Formen investieren, um so dem moderneren klassizistischen Kunstgeschmack des ausgehenden 18. Jahrhunderts entsprechen zu können – sie blieb dem Stil des Rokoko verhaftet.

1788 starben Salomon Gessner und 1790 Hans Martin Usteri sowie der Direktor Adam Spengler. Damit verlor die Manufaktur ihre Leitung. Nach nur 27 Betriebsjahren beschlossen die verbliebenen Teilhaber wegen der katastrophalen finanziellen Lage die Stilllegung der Produktion und die Liquidation des Unternehmens.

Die Erfassung der finanziellen Lage und die Liquidation zogen sich dann über längere Zeit hin. Die verbindliche Liquidationsurkunde konnte deshalb erst auf den 31. Dezember 1791 erstellt werden. Sie zeigte neben dem entstandenen Verlust in Höhe von 225.000 Gulden (was heute einem zwei­stelligen Millionenbetrag entspräche) auch das Obligo jedes einzelnen Teilhabers. Die Gebäude und das Land wurden verkauft und dienten in den folgenden Jahrzehnten neuen Kilchberger Unterneh­men (Manufaktur Neeracher, 1792-1802Manufaktur Nägeli, 1802-1858Manufaktur Staub, 1858-1906) zur Herstellung von Fayence und Steingut.

Betriebsablauf und Personal

Die Produktion in der Zürcher Porzellanmanufaktur wurde mit ungefähr 30 Personen aufgenommen. Für damalige Verhältnisse war dies eine ansehnliche Betriebsgrösse. Das 1763 erworbene Wohnhaus mit seinen 25 Zimmern wurde in einen kunsthandwerklichen Fabrikationsbetrieb umgewandelt, diente aber bis 1766 dem Direktor gleichzeitig als Wohnhaus. Für die wesentlichen Arbeitsgänge standen getrennte Räume zur Verfügung, ähnlich wie dies auch bei anderen Manufakturen üblich war: Erwähnenswert sind die Schlämmstube, wo die Rohmaterialien gereinigt, bearbeitet und gemischt wurden; sodann die Dreherstube, in welcher sämtliche auf der Drehscheibe zu verfertigenden Formstücke bearbeitet wurden; die Former- und Bossiererstube, wo die zu schaffen­den Stücke resp. Einzelteile mittels Gipsformen hergestellt und zu einem Ganzen zusammengefügt, d.h. bossiert wurden. Der Qualitätskontrolle nach dem Glattbrand diente die Sortierstube, während die weitere künstlerische Bearbeitung der Erzeugnisse anschliessend in der Malerstube oder der Druckerstube stattfand. Anfänglich befanden sich die Brennöfen, die in ihrer Konstruktion vermutlich dem Ringler-Ofen aus Wien oder für die Fayence den üblichen stehenden Öfen vom Typ Picollpasso entsprachen, noch im ehemaligen Wohnhaus, doch schon vor 1771 richtete man ein separates Brennhaus ein.

Abgesehen von der Glasurmühle in Thalwil war kein von der Technik unterstützter Arbeitsablauf vorhanden; jeder Arbeitsgang musste von Hand ausgeführt werden. Erschwert wurde ein rationeller Betriebsablauf auch durch die gleichzeitige Herstellung von Porzellan und von Produkten aus einheimischer Tonerde.

Von Salomon Gessner eigenhändig bemalter Teller mit Landschaftsdekor (CFMH_Bö_0498).

Doch die Zürcher Manufaktur hatte das Glück, mit Salomon Gessner und Adam Spengler von Anfang an über zwei sehr kompetente Künstlerpersönlichkeiten zu verfügen. Trotzdem musste man mehrere qualifizierte Mitarbeiter aus dem Ausland kommen lassen, die sich in den verschiedenen Produktionstechniken auskannten und die Porzellanmalerei beherrschten. Die meisten stammten aus Lothringen und aus Süddeutschland. Unter ihnen seien die Maler Johannes Leopold Daffinger aus Wien und Johannes Bonlander aus Memmingen sowie die deutschen Bildhauer und Modelleure Joseph Nees und Johann Valentin Sonnenschein erwähnt.

Zu den ausländischen Spezialisten gesellte sich eine Reihe einheimischer Arbeitskräfte, die meist aus Zollikon kamen und sich in der Former- und Malerstube der Fabrik ausbilden liessen, bevor sie anerkannte Künstler auf dem Gebiet der Porzellanplastik oder der Keramikmalerei wurden. Wie es die Gründer der Zürcher Manufaktur gewünscht hatten, spielte das Unternehmen also durchaus auch die Rolle einer Kunstschule. Mehrere bekannte Zürcher Kleinmeister, darunter Heinrich Füssli, Heinrich Thomann und Johann Heinrich Bleuler, erhielten ihre künstlerische Ausbildung in der Porzellanmanufaktur. Als Modelleur, der seine Ausbildung der Manufaktur verdankte, ist Johann Jakob Willhelm Spengler, der Sohn Adam Spenglers, zu nennen.

Verarbeitete Materialien

Anfangs wurden ausschliesslich inländische Tone verarbeitet, und hauptsächlich Fayence produziert, da sich der Direktor Adam Spengler in dieser Materie sehr gut auskannte. Schon wenige Monate später aber gelang die Produktion von Porzellan. Nicht zuletzt aus Kostengründen wurde mit der Zusammensetzung der Keramikmassen in der Zürcher Manufaktur immer wieder experimentiert. Das für Porzellan erforderliche Kaolin musste nämlich zuerst aus Gruben im Bayrischen Wald, später aus Kaolingruben von St. Yrieix bei Limoges beschafft werden, was sehr kostspielig war. Und weil Porzellan im Vergleich mit Fayence wesentlich höhere Brenntemperaturen erforderte, schlugen letztlich auch die für den Brand der Keramiken benötigten Brennholzkosten zu Buche.

Abgesehen von Fayence und Porzellan produzierte man in Kilchberg-Schooren auch noch Steingut und  Weichporzellan (aus den Anfängen der Manufaktur: Angst 1905; zur abweichenden Spätdatierung des Weichporzellans nach ca. 1777 siehe Schnyder 2009, 13-14). Zur Diskussion um die produzierten Waren und ihre Definitionen vgl. unbedingt auch die Bearbeitungen von Annamaria Matter (2012, 39-48) und Maire (2008, 29-36). Beim Steingut aus Kilchberg-Schooren scheint es sich nach chemischen Analysen (Matter 2012, Tab. 1-3) um eisenarmes calciumreiches Kalksteingut gehandelt zu haben, das sowohl eine Blei- als auch eine Fayenceglasur tragen konnte, was heute zu definitorischen Abgrenzungsproblemen führt (Steingut oder Fayence?). Diese Art Geschirr wurde in CERAMICA-CH als “Fayence” aufgenommen.

Keramikformen und Dekore

Formen

Sowohl beim Figurenwerk wie im Segment der Geschirrkeramik und sonstiger Formstücke für den täglichen Gebrauch verfügte die Zürcher Manufaktur über eine enorme Vielfalt. Ziel war es, der Kundschaft ein breites Spektrum an Formen anbieten zu können, wie das auch bei der ausländischen Konkurrenz der Fall war.

Allerdings war man im Gegensatz zu deutschen und französischen Betrieben bestrebt, weniger üppi­ges Porzellan zu schaffen. Die Geschirre mussten dem Geschmack der reformierten Zürcher Bürger­familien entsprechen, allzu prunkvolle und reich verzierte Modelle wie an europäischen Fürstenhöfen waren nicht gefragt. Auf schlichteren Formen und glatten Oberflächen kamen dafür die herrlichen Malereien umso mehr zur Geltung.

Figurenpaar Gärtner und Gärtnerin (CFMH_K_0225 und CFMH_K_0226).

Das reiche Figurenwerk diente nicht Dekorationszwecken im heutigen Sinne, sondern ausschliesslich der Tafelzier an Festtagen oder bei besonderen Gelegenheiten. Zur Herstellung der Einzelfiguren oder ganzer Figurengruppen kamen andere Künstler und Kunsthandwerker zum Zuge als bei der Geschirrfabrikation. Die liebenswürdigen Kleinplastiken, die etwa Berufe jener Zeit oder die Jahres­zeiten, die Erdteile oder die Sinne darstellen, gehören mit ihrer Allegorik zu den schönsten Zeugen der Welt des Rokoko. Mit mehr als 460 verschiedenen Ausformungen zählt die Zürcher Manufaktur auch in diesem Bereich zu den führenden Betrieben auf dem Kontinent (vgl. zum Figurenwerk auch: Schnyder 2009).

Dekore

Im 18. Jahrhundert war das Farbenangebot noch sehr begrenzt und mit Mängeln versehen, was das schnell rissig werdende Grün bewies. Die Farben wurden aus Erdpigmenten, Mineralien und Metallen gewonnen. Für die blaue Farbe war man beispielsweise auf Kobaltsmalte angewiesen. Da auf dem Markt noch keine fertigen Porzellanfarben erhältlich waren, mussten diese in der Manufaktur selbst hergestellt werden. In Zürich arbeiteten die Maler mit Ausnahme des unterglasurblauen Dekors mit Muffelfarben, bei denen das Stück vor der Bemalung glasiert und dem Garbrand unterzogen wird. Die Bezeichnung «Muffel» stammt dabei von einem feuerbeständigen Behälter im Muffelofen, der die bemalten Keramiken vor dem direkten Feuer und dem Rauch schützen sollte. Eine der Schwierig­keiten für den Porzellanmaler war das unterschiedliche Aussehen der Farben vor und nach dem Brand. Um zu wissen, wie sich die Farben beim Brennen verhalten, bediente sich der Maler gebrannten Mustertellern, auf denen die Farbskalen aufgemalt waren.

In Bezug auf die Dekore hat die Zürcher Porzellanmanufaktur wiederum eine enorme Bandbreite vorzuweisen. Sie ist vor allem berühmt im Bereich der Blumen- und Landschaftsdekore. Im Vergleich mit anderen Manufakturen zählen diese Dekore denn auch zum Besten, was in der Keramikmalerei geschaffen wurde.

Landschaftsdekor: Unter dem Einfluss und der Anleitung von Salomon Gessner legte das Unternehmen grosses Gewicht auf diese Art der Bemalung. Gessner unterrichtete die Porzellanmaler in der Darstellung idyllischer Landschaften und vermittelte ihnen einerseits die Bedeutung der Naturstudien und achtete anderseits auf die unerlässliche Sorgfalt bei der strengen klassischen Komposition. Gessner lieferte dazu zahlreiche Vorlagen für Landschaftssujets, wobei er sich insbesondere auf Stiche niederländischer Meister stützte.

Unter dem Landschaftsdekor finden sich Bildkompositionen mit Bäumen, Baumgruppen und Sträuchern, intakten oder halbverfallenen Häusern sowie romantisierenden Ruinenstücken oder Burganlagen, stillen Gewässern, Fluss- oder Seelandschaften mit Inseln und Fernsichten. Die Seelandschaften sind oft staffiert mit unterschiedlichen Booten. Meistens werden diese Bildszenen durch kleine Personendarstellungen belebt. Beachtenswert sind zudem die Abschattierungen zur Unterstützung der atmosphärischen Perspektive. Im Gegensatz zu den Erzeugnissen grosser ausländischer Manufakturen fehlen dem Zürcher Dekor die vom Hofleben beherrschten Landschaften, die fürstlichen Paläste und Gärten. Die Künstler in Kilchberg arbeiteten zürcherisch nüchtern und sachlich. Dabei schufen sie aber teils Landschaften von einer unerreicht verträumten Feinheit.

Arkadische Landschaft (CFMH_Bö_0439).

Der Zürcher Landschaftsdekor wird heute nach dem zentralen Bildthema unterschieden:

– Sujets, bei denen die Landschaft allein zentrales Bildthema ist. Hier wird unterschieden zwischen «arkadischen» Landschaften einerseits, bei denen das Bildsujet überwiegend vom grafischen Schaffen ausländischer oder schweizerischer Künstler beeinflusst ist, sei dies durch die Übernahme wesentli­cher Bestandteile der Vorlage oder effektives Kopieren, und «naturalistischen» Landschaften anderseits, in denen die Komposition von Bildsujets von den in der Manufaktur tätigen Künstlern geschaffen wurde. Hier dienten den Malern Vorlagen grafischer Arbeiten ausländischer Künstler lediglich als Inspirationsquelle.

Kauffahrtei-Szene auf Untersetzer (CFMH_Bö_0184).

– Sujets, bei denen neben die Landschaft ein weiteres zentrales Bildthema tritt: In der Regel handelt es sich um Boote, die dem Transport oder der Fischerei dienen. In Verbindung mit am Ufer lagernden Fässern, Warenballen und anderen Transportgütern entsteht so der Kauffahrtei-Dekor der Zürcher Kaufmannschaft, galt der Seeweg doch als wesentlicher Teil des Güterexports in den Süden.

Teedose mit Dekor «Grosse Figuren» (CFMH_K_1666).

Mit dem Landschaftsdekor verwandt ist der Dekor Grosse Figuren. Dieser unterscheidet sich vom Landschaftsdekor dadurch, dass die Personen- und Tierdarstellungen nicht im richtigen Grössenverhältnis zur umgebenden Landschaftsstaffage stehen.

Kaffeekannen mit monochromer und bunter Blumenmalerei (CFMH_Bö_0458 und CFMH_Bö_0338).

Blumendekor: Ähnlich wie Salomon Gessner in der Landschaftsmalerei inspirierte Adam Spengler die Maler in der Blumenmalerei. Seine künstlerischen Erfahrungen aus den Berner Fayencemanufakturen liess er in die Malerstube des Zürcher Betriebs einfliessen. So ist in der Anfangszeit eine grosse Übereinstimmung mit der Berner Blumenmalerei festzustellen. Anregen liessen sich die Zürcher Künstler nicht nur durch die einheimische Pflanzenwelt, sondern auch von Blumendekoren anderer Manufakturen, vorwiegend jenen aus Strassburg und Ludwigsburg.

In der Blumenmalerei, der Darstellung natürlicher Blumen der einheimischen Flora, wurde in Zürich Hervorragendes geleistet; Höhepunkte bilden dabei die grosszügig und detailgetreu in kräftigen Farben gemalten Gebinde der Frühzeit und die sogenannten Einsiedlerblumen in der Art von Johannes Daffinger.

Teedosen mit Girlandendekor (von links nach rechts: CFMH_Bö_0326, CFMH_Bö_0096, CFMH_Bö_0492, CFMH_K_1524).

Neben der Darstellung von Einzelblumen und Blumengebinden gestalteten die Zürcher Künstler auch Blumengirlanden oder Kombinationen von Girlanden, Bändern und anderen Zierelementen wie Festons. Der Blumendekor wird deshalb unterschieden in den eigentlichen Blumendekor und den Girlanden- und Bänderdekor.

Ostasiatische Dekore: Zur Verzierung des neuen europäischen Porzellans übernahm Meissen sehr rasch die Bildmotive der ostasiatischen Dekorarten. Als Vorlagen standen den Malern in Meissen dabei die entsprechenden Auftragsporzellane in der Sammlung Augusts des Starken zur Verfügung. Basis bildete speziell der Malstil auf Arita- oder Imariporzellanen, im Wesentlichen der Kakiemonstil, der auf japanischen Motiven beruhte. Im figürlichen Bereich stützten sich die europäischen Maler dagegen auf Stichwerke ab, die sich mit dem fernen Osten und den «Exoten aus fernöstlichem Land» befassten.

Während für die chinesischen und japanischen Künstler der Symbolgehalt und die Bildhaftigkeit der dargestellten Bildbestandteile und deren Kombination im Mittelpunkt standen, richteten sich die Künstler der europäischen Manufakturen nach ästhetischen Gesichtspunkten. Der Symbolgehalt der Bildmotive auf chinesischen und japanischen Keramiken war ihnen offensichtlich nicht bewusst.

Asiatische Motive auf Zürcher Porzellan (CFMH_Bö_0307, CFMH_Bö_0135).

Im Gegensatz zu den Malern in Meissen, die sich auf ostasiatische Keramikmalereien abstützen konnten, dienten in der Zürcher Manufaktur die ostasiatischen Malereien der renommierten euro­päischen Porzellanmanufakturen als Vorlage. Dies zeigen die nach Porzellanen aus Meissen kopierten Dekorvarianten wie «Astern und Päonien», «Pagode in Landschaft», «Fels und Vogel» oder die «Stadler-Chinesen». Die Zürcher beschränkten sich bei der Sujetwahl auf Blumen-, Blüten- und Stauden- sowie auf Fels-, Stein- oder Heckendarstellungen. Mit Ausnahme von Vogelmotiven fehlen in Zürich Tiersujets wie Drache, Löwe oder Tiger.

Teller (CFMH_Bö_0159), Kaffeekanne (CFMH_K_0585) und Teekanne (CFMH_Bö_0545) mit Vogeldekor.

Vogel- und Früchtedekor: Der Vogeldekor umfasst in Zürich sowohl das nach der Natur gemalte Federvieh als auch exotische Vögel und eigentliche Fantasiegebilde. Unterschieden wird dieser Dekor in «Vögel in Landschaft» und «Vögel auf Zweigen».

Teller mit Corniche-Dekor (CFMH_Bö_0391).

Viele Geschirre weisen in Anlehnung an ausländische Manufakturen auch plastische Verzierungen (Reliefdekor) auf, vom einfachen Rippdekor mit schmal oder breit geripptem Muster über den Korbflechtrand, das sogenannte Oziermuster, bis zum «Corniche»-Dekor, der mit seinen Reliefblumen und -bändern sowie Rocaillen den reicheren ausländischen plastischen Dekoren nahekommt. Das in Zürich am meisten verwendete plastische Muster bei Tellern, Platten und Schalen in Porzellan war die Riefelung resp. der Riefeldekor. Auf wenigen Einzelstücken findet sich zudem der «Abgesetzte Schnurrand» (geschnürlter Rand), eine Kombination des Riefeldekors mit einem geflochtenen Randabschluss.

Teekanne mit plastischem Gotzkowski-Dekor kombiniert mit Insektenmalerei (CFMH_Bö_0275).

Bei Kaffee- und Teegeschirren wurde gelegentlich ein Blumendekor angebracht, der sogenannte Gotzkowski-Dekor, oder ein plastischer Blumenranken-Dekor, der von der Ludwigsburger Manu­faktur übernommen worden war.

Kaffeekanne mit Blumendekor und reicher Vergoldung (CFMH_Bö_0493).

Als weiteres Dekor-Element wurde die Vergoldung verwendet, von einfachen Goldpunkten über diskrete Konturierungen in Gold, Goldränder und Goldzahnbordüren bis hin zu reicher Vergoldung ganz im Stil von Prunkgeschirren aus Meissen oder Sèvres.

Blumentopf mit Fayenceglasur und schwarzem Umdruckdekor auf der Glasur (CFMH_Bö_0274).

Als eine der ersten Manufakturen auf dem Kontinent übernahm die Zürcher Manufaktur in späteren Jahren auch den in England erfundenen Umdruckdekor, eine kostengünstigere Art der Verzierung, die vor allem auf Geschirren mit Fayenceglasur und hell gebranntem Scherben angewendet wurde. Es handelt sich in allen Fällen um Umdruckdekor auf der Glasur.

Service

Die Produktion ganzer Service war in der Zürcher Manufaktur eine Ausnahme. Wollte man ein komplettes Service erwerben, wurde dieses aus zueinander passenden Einzelstücken aus dem Warenlager im Schooren zusammengestellt. Der eigentliche Laden der Manufaktur befand sich in der «Meisen» auf dem Zürcher Münsterhof.

Als einheitlich konzipierte Speisegedecke wurden nur zwei vollständige Tafelservices geschaffen: das berühmte Porzellan-Service für das Kloster Einsiedeln, das einzige Schweizer Staatsgedeck des 18. Jahrhunderts, und das Fayence-Service der Familie von Salis, das mit schönen Seelandschaften verziert ist.

Das Einsiedler-Service

Von besonderer Bedeutung im Schaffen der Zürcher Porzellanmanufaktur ist das als «Einsiedler-Service» bezeichnete Tafelgedeck, bestehend aus rund 235 Einzelteilen. Es entstand 1775 und umfasst nebst einem grosszügigen Speiseservice auch ein Kaffee- und Teegedeck.

Nachdem 1773/74 eine sechsköpfige Zürcher Delegation während monatelangen Verhandlungen mit dem Stand Schwyz um Fischerei- und Fahrrechte auf dem Zürichsee im Kloster Einsiedeln beherbergt worden war, wollte sich der Zürcher Rat für diese Gastfreundschaft erkenntlich zeigen und gab das umfangreiche Service in der Manufaktur in Auftrag. Das Geschenk durfte zwischen 1000 und 1200 Gulden kosten. Diese Bestellung war in Kilchberg-Schooren hoch willkommen, denn schon damals kämpfte man im Betrieb mit Absatzproblemen. Eine erhaltene Abschrift der Originalrechnung belegt den Umfang des prestigeträchtigen Geschenks, das im Sommer 1776 ins Kloster kam und nur bei speziellen Anlässen aufgedeckt wurde.

Erst anlässlich der Landesausstellung von 1883 rückte das Service wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, als Teile daraus in Zürich gezeigt wurden. Es stiess bei Keramiksammlern auf grosses Interesse. Weil im Kloster grössere Renovationsarbeiten anstanden, so z.B. die Erneuerung des Kirchenbodens, beschloss der Konvent zu deren Finanzierung das Gedeck zusammen mit weiteren Porzellanen zu verkaufen. Dem Käufer Heinrich Angst, dem späteren ersten Direktor des Schweizeri­schen Landesmuseums, war der gesamte Kaufpreis von CHF 10.000.- aber zu hoch. Er fand in seinem Freund Auguste Siegfried aus Lausanne einen gleichgesinnten Partner, und die beiden Sammler teilten die Porzellane unter sich auf. Bei Formstücken in einzelner Ausführung, wie z.B. beim Tafel­aufsatz, entschieden sie die Zuteilung durch Kartenspiel, das Heinrich Angst offensichtlich gut beherrschte. Denn diese Unikate befinden sich heute hauptsächlich im Schweizerischen Landesmuseum, wohin Angsts Anteil 1903 als Legat kam.

Die grosse Tischvitrine mit dem Einsiedler-Service im Conrad Ferdinand Meyer-Haus Kilchberg.

Viele Stücke Siegfrieds gelangten nach dessen Tod über den Handel und zwei Privatsammlungen 1985 zurück an ihren Herstellungsort Kilchberg, ins heutige Zürcher Porzellanmuseum im C. F. Meyer-Haus.

Neuausstellung des Einsiedler-Service im Schweizerischen Nationalmuseum in Zürich,  2020.

Das Schweizerische Nationalmuseum verwahrt heute neben dem dreiteiligen Tafelaufsatz weit über die Hälfte der ursprünglich 72 Speiseteller, 16 von insgesamt 24 tiefer gemuldeten Suppentellern sowie einen wesentlichen Bestand des zwölfteiligen Kaffee- und Teegedecks, davon alleine acht der total zwölf sog. Prunkteller und viele andere Geschirre für den Nachtisch. In Kilchberg sind 14 Speiseteller ausgestellt, alle restlichen Suppenteller, dazu zahlreiche runde und ovale Platten und Schalen in verschiedenen Grössen. Erwähnenswert sind auch einige Stücke, die gestützt auf den Dekor zwar zum Service passen, zudem auf der Fotografie zu sehen sind, die vor dem Verkauf der Geschirre durch das Kloster aufgenommen wurde, aber durch die Rechnung der Manufaktur nicht als eigentliche Teile des ursprünglichen Geschenks belegt sind (z.B. zwei ovale Terrinen). Möglicherweise hatte das Kloster selber solche Stücke zur Ergänzung des Gedecks erworben.

Das von Salis Fayence-Service 

Andreas Heege, 2021

Zwischen etwa 1770 und 1773 entstand in der Zürcher Porzellanmanufaktur in Kilchberg-Schooren eines der wenigen bekannten Fayenceservice, für das sich im Jahr 1773 insgesamt 119 Teile nachweisen lassen. Franz Bösch hat sich im Rahmen seiner Studien zur Zürcher Porzellanmanufaktur intensiv mit der Überlieferungsgeschichte des Service auseinandergesetzt (Bösch 2003, 203–215).

Dem Rätischen Museum gelang 1895 der Ankauf seines Serviceteiles von den Erben des Andreas von Salis (1782–1858) aus Chur. Ein weiterer Teil gelangte gleichzeitig in den Privatbesitz von Heinrich Angst und über dessen Sammlung schliesslich als Geschenk in den Besitz des Schweizerischen Nationalmuseums. Belegen liess sich aufgrund von Archivalien eine ursprüngliche Herkunft aus dem Besitz des Peter von Salis-Soglio (1729–1783) in Chur. Weitergehende Informationen zur Bestellung des Service liegen jedoch nicht vor. Angenommen wird eine Anschaffung oder Bestellung nach 1770 und sicher vor 1773 (Erstinventarisation).

Teile des von Salis-Service aus der Sammlung des Rätischen Museums in Chur, aus der Zeit um 1770.

Von diesem Service befinden sich heute 36 Stück im Rätischen Museum (RMC H1971.1002-1037). 26 Stücke verwahrt das Schweizerische Nationalmuseum (SNM HA-2134–HA-2137, HA-2150–HA-2151, HA-2176; HA-2153, ist eine nicht zum Service gehörige Sauciere) , 1 Stück ist im Historischen Museum St. Gallen (Slg. Friedrich Eugen Girtanner, 1880-1956, ex. Slg. Angst bzw. SNM HA-2135, heute HVMSG Inv. G-13098), 1 Stück im Conrad Ferdinand Meyer-Haus (CFMH_Bö_0415) und 5 Stück in schweizerischem Privatbesitz, von denen drei aus der Sammlung Angst stammen und getauscht wurden (HA-2134.8, HA-2136.3, HA-2176.3). Die beiden anderen wurden aus der Sammlung  Elsa Bloch-Diener, Bern, bzw. auf dem Dortmunder Flohmarkt erworben. Es fehlt der aktuelle Nachweis für den Verbleib von ein oder zwei Stücken aus der ehemaligen Sammlung von Frau De Terra, Zollikon, die im Dezember 1967 im Auktionshaus Stuker in Bern versteigert wurden (sicher Los 713, vielleicht auch Los 714). Frau de Terra erhielt mindestens einen der Teller 1936 im Tausch vom Schweizerischen Nationalmuseum (SNM HA-2135). Unklar ist auch der Verbleib eines grossen Tellers der 1932 an den Kunsthändler Mathias Göhringer (1889-1941), bis 1933 in Baden-Baden, danach in Freiburg im Breisgau, abgegeben wurde (SNM HA-2136). Der Verbleib der übrigen archivalisch überlieferten Serviceteile, die sich 1895 noch in Familienbesitz von Salis befanden, ist unbekannt.

Nur zwei der Objekte des Rätischen Museums, ein Teller aus dem SNM und eine flache Schale in Privatbesitz tragen rückseitig die Manufakturmarke „Z“ (RMC H1971.1009, RMC H1971.1010; SNM HA-2137).  Zwei  Teller aus dem SNM weisen eine blaue Malermarke  “i” auf (SNM HA-2176.2, SNM HA-2135.5). An der Zugehörigkeit der übrigen Objekte zum Service kann aufgrund des sehr charakteristischen Dekors mit dem einheitlichen braunen Randstreifen und den auffällig blauen Seen und Bergen im Hintergrund, kein Zweifel bestehen. Die Bemalung ist sehr fein und detailreich ausgeführt. Es handelt sich ausschliesslich um idyllische Landschaften mit Seen und Bergen, phantastischen Architekturmotiven, Ruinen und Menschen (meist in Rückenansicht).  Der Maler ist unbekannt und es gibt kein weiteres Geschirr aus der Zürcher Manufaktur mit dieser Farbpalette. Auf der Unterseite der meisten Objekte finden sich Abrissspuren der Pinnen von einem ersten und zweiten Glasurbrand, die sekundär mit farblich abweichender weisser Fayenceglasur übermalt sind. Diese wurde gelegentlich auch zur Füllung zu grosser Nadelstichlöcher verwendet. Von einem dritten Glasurbrand (Muffelbrand) finden sich dann die noch offenen, nicht überdeckten Abrisse der Pinnen. Inklusive des Schrühbrandes wurden viele Objekte also mindestens viermal gebrannt, bevor sie fertig dekoriert waren (Beispiel RMC H1971.1014). Es fällt auf, dass die letzte der eingebrannten Farben, die für die rotbraunen Felsen und Teile der Baumstämme verwendet wurde, meist nicht sehr gut aufgeschmolzen ist und stumpf statt glänzend auf der Oberfläche steht. Ein Teil der Teller und Platten ist gebrochen und alt mit Drahtklammern geflickt. Das Service wurde also im Alltag tatsächlich geschätzt und intensiv genutzt.

Im Rätischen Museum sind 36 Keramiken vorhanden:

1 Terrine mit Granatapfelgriff ohne Klapperkügelchen (RMC H1971.1002; vgl. SNM HA-2150).
1 Sauciere (RMC H1971.1003).
2 Platten, oval, mit fassoniertem Rand (RMC H1971.1004, H1971.1005, vgl. SNM HA-2151).
3 Teller, unterschiedliche Durchmesser, mit vierpassig eingeschnittener Fahne (RMC H1971.1006, H1971.1009, H1971.1010, vgl. SNM HA-2137).
2 flache Platten mit gemuschelter Wandung und horizontalem, profiliertem, aussen gewelltem Rand (RMC H1971.1007, H1971.1008).
1 runde, kalottenförmige Platte mit vielpassigem Rand (RMC H1971.1011).
19 Teller mit schwach fassoniertem Rand (RMC H1971.1012– H1971.1031; vgl. SNM HA-2135.1-10, HA-2136.1-3, HA-2176.1-2).
7 kalottenförmige Teller (RMC H1971.1032-H1971.1037; vgl. SNM HA-2134).

Im Schweizerischen Nationalmuseum in Zürich sind zusätzlich 26 Objekte vorhanden:
1 Terrine mit Granatapfelgriff ohne Klapperkügelchen (SNM HA-2150).
2 Platten, oval, mit fassoniertem Rand (SNM HA-2151.1-2).
1 Teller mit vierpassig eingeschnittener Fahne (SNM HA-2137).
15 Teller mit schwach fassoniertem Rand (vgl. SNM HA-2135.1-10, HA-2136.1-3, HA-2176.1-2).
7 kalottenförmige Teller (SNM HA-2134.1-7).

Der Bestand von Heinrich Angst war ursprünglich etwas umfangreicher. Nachweisen lassen sich heute noch sechs Abgänge durch Tauschgeschäfte, sodass ursprünglich mindestens 32 Objekte in den Besitz von Heinrich Angst und später des Schweizerische Nationalmuseum gelangten.

Wichtige Sammlungen mit Zürcher Porzellan:

Schweizerisches Nationalmuseum Zürich (Sammlung Heinrich Angst)

Bibliographie: 

Angst 1905
Heinrich Angst, Zürcher Porzellan, in: Die Schweiz 9, 1905, 9-18.

Bösch 2003
Franz Bösch, Zürcher Porzellanmanufaktur 1763-1790, Porzellan und Fayence, Bd. 1 und 2, Zürich 2003.

Bösch 2008
Das Einsiedler-Service aus der Zürcher Porzellanmanufaktur, Zürich 2008.

Ducret 1958
Siegfried Ducret, Die Zürcher Porzellanmanufaktur und ihre Erzeugnisse. Bd. 1 Geschirre, Zürich 1958.

Mähr 2009
Monika Mähr, service! reiche speisen. Esskultur und Schweizer Porzellan im 18. Jahrhundert, St. Gallen 2009.

Maire 2008
Christian Maire, Histoire de la faïence fine francaise 1743-1843, Le Mans 2008.

Matter 2012
Annamaria Matter, Die archäologische Untersuchung in der ehemaligen Porzellanmanufaktur Kilchberg-Schooren. Keramikproduktion am linken Zürichseeufer 1763-1906 (Monographien der Kantonsarchäologie Zürich 43), Zürich 2012.

Schnyder 1997
Rudolf Schnyder, Das Einsiedler Service von 1775/76 aus der Zürcher Porzellanmanufaktur, in: Kunst + Architektur in der Schweiz, 48. Jahrgang, 1997, Heft 3, 60-63.

Schnyder 2001
Rudolf Schnyder, Der festlich gedeckte Tisch im Kloster. Zürcher Porzellan aus dem Einsiedler Service von 1775/76 im Ortsmuseum Kilchberg, Kilchberg 2001.

Schnyder 2009
Rudolf Schnyder, Zürcher Porzellan : die Figuren der Sammlung Dr. E. S. Kern im Agentenhaus Horgen. Keramik-Freunde der Schweiz, Mitteilungsblatt 122, 2009.

Kradolf-Schönenberg TG, Dünner, Tonwarenfabrik

Andreas Heege mit Unterstützung von Guido Stutz, 2023

Keramik der Tonwarenfabrik Dünner in CERAMICA CH

Über die Töpferei von Otto Dünner in Kradolf-Schöneneberg, haben wir nur sehr wenige Informationen. Eine grundlegendere, auf Archivalien gestützte Bearbeitung oder Firmengeschichte gibt es bisher nicht. Guido Stutz, aus Kradolf-Schönenberg, hat vor Ort wichtige Informationen gesammelt.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fertigte der Hafner Wilhelm Kesselring an der Kantonsstrasse (Hauptstrasse) auf dem Areal der späteren Tonwarenfabrik irdene Kacheln und Krüge mit einfachen Ornamenten an. Er führte gleich nebenan auch einen Landwirtschaftsbetrieb (heutiger Hof Altwegg). Im Adressbuch von 1862 ist er als “Wilh. Kesselring, Hafner” erwähnt. Kesselring stellte 1891 als “Dienstknaben” Otto Dünner ein und brachte ihm das notwendige Wissen für Landwirtschaft und Hafnerei bei.

Otto Dünner, Lebensdaten unbekannt, unbekannter Fotograf, unbekanntes Aufnahmedatum.

Da Kesselrings Sohn Albert kein grosses Interesse an der Töpferei zeigte, konnte Otto Dünner nach 13-jähriger Dienstzeit den Betrieb 1904 von seinem Chef übernehmen und seine eigene Firma gründen (Historisches Lexikon der Schweiz). Die Firma  produzierte bis 1999.

Das Schweizerische Handelsamtsblatt kennt zur Firma folgende Informationen:

9. November 1909, Eintragung der Firma Otto Dünner-Haag in das Schweizerische Handelsamtsblatt (SHAB 27, 1909, S. 1912).

Im Juli 1909 suchte Otto Dünner Mitarbeiter und einen gut erhaltenen Tonschneider:

7. August 1909, Stellenzeige in der Zeitung “Der Grütlianer”.

Weiteres Personal wurde 1911 angeworben:

21. April 1911, Stellenzeige in der Zeitung “Der Grütlianer”.

Am 23. November 1933 brach eine Katastrophe über die Firma herein. Der “grosse Fabrikbrand” führte zu einem, teilweise nicht versicherten Totalschaden, da das gesamte Produktionsgebäude abbrannte. Über die Katastrophe wurde in zahlreichen deutsch- und französischsprachigen Tageszeitungen der Schweiz berichtet.

Links: 24. November 1933, NZZ;  rechts: Walliser Bote 29. November 1933.

Wie schnell ein Wiederaufbau erfolgte, ist unbekannt. Bis zur Stilllegung der Produktion lag die Firma in Kradolf-Schönenberg, Hauptstrasse 29.

Möglicherweise erwies sich eine Finanzierung des Wiederaufbaus als schwierig, weshalb im Dezember 1938 durch die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft frisches Geld in die Firma gelangte. Unter dem 20. Dezember 1938 wurde die Tonwarenfabrik Dünner AG, in das Schweizerische Handelsamtsblatt eingetragen (SHAB 56, 1938, S. 2739).

Die neue Aktiengesellschaft übernahm alle Aktiven und Passiven der Vorgängerfirma. Otto Dünner erhielt als weiterhin verantwortlicher Betriebsleiter ein Drittel des neuen Aktienkapitals. Da der Keramikfabrikbesitzer Ernst Bodmer-Huber aus Zürich-Wiedikon (Bodmer-Huber/Messerli-Bolliger 1986) Mitglied des Verwaltungsrates wurde, können wir annehmen, dass er auch finanziell an der neuen AG beteiligt war. Dies ist der Grund, warum sich aus der Zeit zwischen 1939 und etwa 1950 zahlreiche Preislisten, Fotos und Warenkataloge im Firmenarchiv Bodmer (Stadtarchiv Zürich StAZH_VII-174) befinden. Auf diesem Wege erhalten wir einen ersten Eindruck vom produzierten Keramiksortiment.

Preisliste 1939 (pdf).

In diesem Jahr war die Dünner Keramik  auch zum ersten Mal auf der Mustermesse Basel präsent. Das Angebotsspektrum war zunächst noch sehr einfach und wenig umfangreich.

Preisliste, undatiert, um 1940-1950 (pdf)

Preisliste, undatiert, um 1940-1950 (pdf)

Herdwagenofen, Bild aus einem Katalog der Zeit kurz vor 1950.

Der erfolgreiche Geschäftsgang ermöglichte den Neubau von zwei elektrisch beheizten Kammeröfen, die später mit fahrbaren Herdwagen ausgestattet wurden, sodass man die Öfen leichter befüllen konnte.

Werbekarte, undatiert, um 1940-1945 (pdf)

Werbekarte, 1941 (pdf)

Der Katalog von 1941 zeigt die beginnende Ausrichtung des Keramikbetriebes auf die kriegsbedingte Binnenwirtschaft der Schweiz und ist ein wichtiges Zeitzeugnis.

Katalog und Preisliste 1941 (pdf)

In Zusammenarbeit mit der Firma Bodmer wurden die Produkte regelmässig auf der Mustermesse Basel (MUBA) gezeigt (hier 1942). Gleichzeitig wurde die alte Preisliste mit kriegsbedingten Preisaufschlägen ausgelegt.

Katalog und Preisliste 1942 (pdf)

Die Preisliste von 1943 gab es nur in kopierter Form, doch wurden stattdessen die produzierten Gefässformen als Strichzeichnung gezeigt.

Katalog und Preisliste 1943 (pdf)

Werbekarte 1944 (pdf)

1945 erschien der unveränderte Katalog der Firma Dünner von 1941 ein letztes Mal.

Katalog und Preisliste 1945 (pdf)

Von der Mustermesse Basel 1946 hat sich ein Standfoto erhalten, das die Produktion und die Dekore dieses Jahres zeigt.

1947/1948 erschien ein neuer Katalog mit Preisliste, das Produktionsspektrum entsprach aber der MUBA 1946.

Katalog und Preisliste 1947/1948 (pdf).

Um 1950 finden sich die Produkte der Dünner Töpferei auch in einer Image-Broschüre von Bodmer und Cie.

Image-Broschüre, undatiert, um 1950.

Um 1950 erschien letztmalig eine Preisliste im Zusammenhang mit Bodmer & Cie. Im Inhalt sehen wir auch einen Mitarbeiter bei der Arbeit, beim Eindrehen in Gipsformen. Die Keramikfabrik stellte also einen Teil ihrer Produkte teilmechanisiert her.

Katalog, undatiert, um 1950 (pdf).

Preisliste, undatiert, um 1950 (pdf).

Frau Elsy Lang , eine begabte Künstlerin, dekorierte auch grössere Aufträge von Hand.

1950 kam es zu einer erneuten Veränderung der Besitzverhältnisse, wobei das im Schweizerischen Handelsamtsblatt  (SHAB 68, 1950, S. 2231) nicht so deutlich wird:

De facto bedeutet diese Information jedoch die Übernahme der Tonwarenfabrik Dünner AG durch den Industriellen Emil Rössler von Ersigen im Emmental (Firmenchronik Rössler 1978), der 1960 auch die Keramikfabrik in Matzendorf-Aedermannsdorf kaufte.

Paul und Meta Dürig-Weiss, Paul leitete die Firma, Meta arbeitete während 41 Jahren im Firmenbüro und half wenn nötig, auch in der Produktion.

Paul Dürig wurde Geschäftsführer. Ab jetzt wurden immer wieder An-, Um- und Neubauten errichtet.

Ein Plattenschubofen erhöhte die Leistung beim Brennen von Massenwaren. Er ermöglichte, täglich bis 20 000 Blumentöpfe zu brennen.

Ab den 1950er-Jahren drängte die wachsende Konkurrenz zur Massenproduktion. Im voll automatisierten Betrieb wurden Futtertrögli, Blumentöpfe, Schalen und Siebkerne produziert. Siebkerne waren in den 60er Jahren ein begehrtes Produktionshilfsmittel für Giessereien. Zu den Abnehmern gehörten praktisch alle Giessereien der Schweiz, aber auch nach Österreich und Belgien konnten diese Produkte geliefert werden. (Jahresproduktion rund 1,5 Millionen Stück)

1960 und 1964 wurde das Aktienkapital deutlich erhöht (SHAB 78, 1960, S. 3129; SHAB 82, 1964, S. 3077).

1964 konnten die Kunden der Tonwerke Thayngen übernommen werden. Eine weitere Betriebsschliessung 1985, die der Firma Heinrich Ganz in Freienstein, brachte weitere Kunden.

1967 produzierte man rund 4,5 Millionen Blumentöpfe (etwa ¼  der schweizerischen Produktion).

1969 finden wir dann erstmals die Besitzer der Rössler AG, Emil und Willy Rössler die Söhne des Firmengründers, als Mitglieder des Verwaltungsrates (SHAB 87, 1969, S. 1177). 1978 waren in Kradolf 20 Mitarbeiter beschäftigt (Firmenchronik Rössler 1978).

1992 übernahm Paul Dürig, jun., Keramik-Ingenieur, die technische Leitung des Betriebs, wo er schon über 20 Jahre gearbeitet hatte. Sieben Jahre später musste aber auch die Fima in Kradolf den Kampf gegen die ausländische Konkurrenz aufgeben. Sie hatte zeitweise bis 30 Personen eine Arbeitsstelle geboten. Der Antrag auf Löschung der Firma wurde jedenfalls erst am 03. April 2018 durch die Generalversammlung gestellt. Die Löschung aus dem Schweizerischen Handelsregister erfolgte daraufhin zum 05. März 2020.

Über die Produkte der Firma sind wir nur unzureichend durch die oben aufgelisteten Prospekte und einige wenige, charakteristisch verzierte bzw. gemarkte Keramiken informiert. Man produzierte Krüge (Mostservice), Tassen, Töpfe, Vasen und Figuren mit handgemaltem Dekor oder mittels einer speziellen Ritztechnik verziert. Daneben wurden Blumentöpfe und Gartenkeramik hergestellt.

Ersetzten die Doppelhenkeltöpfe in der Zeit des Zweiten Weltkriegs die schwierigen oder unmöglichen Importe gleichartiger Steinzeug-Vorratstöpfe “Westerwälder Art” aus dem französischen Elsass oder dem deutschen Westerwald?

Dank

Für Informationen danke ich Guido Stutz und dem Stadtarchiv Zürich, das im Bestand der Tonwarenfabrik Bodmer & Cie (StAZH_VII-174) zahlreiche Kataloge und Firmenprospekte verwahrt.

Bibliographie:

Bodmer-Huber/Messerli-Bolliger 1986
Ernst Bodmer-Huber/Barbara E. Messerli-Bolliger, Die Tonwarenfabrik Bodmer in Zürich-Wiedikon Geschichte, Produktion, Firmeninhaber, Entwerfer, in: Keramikfreunde der Schweiz, Mitteilungsblatt, 101. Jahrgang, 1986, 1-60.

Stutz 2022
Guido Stutz, Kradolf in  Geschichte und Geschichten. Kradolf-Schönenberg 2022.

Krebs-Nencki, Hanni, Keramikerin, Künstlerin, Bern

Keramik von Hanni Krebs-Nencki in CERAMICA CH

Andreas Heege, 2022

Hanni (Hanna) Nencki wurde 1903 in einem Arzthaushalt in Belp geboren und zeigte früh künstlerische und musikalische Neigungen. In der keramischen Fachschule am Klösterlistutz in Bern erhielt sie ihr berufliches Rüstzeug, vermutlich zunächst nur als Keramikmalerin (SS 1921‒WS 1923/24, siehe Schülerliste Messerli 2017). Die Kenntnisse im Drehen und Brennen der Keramik erwarb sie anschliessend in der Keramischen Werkstätte Hans Schuppmann GmbH in Harlaching bei München.

Es folgte ein Studienaufenthalt in Paris bei Fernand Léger (1881-1955, bedeutender französischer Maler) und André Lhote (1885-1962, französischer Maler, Bildhauer und Kunsttheoretiker des Kubismus). 1925 erhielt sie beim 6. Wettbewerb der Verkaufsgenossenschaft des Schweizerischen Heimatschutzes des 1. Preis in der Kategorie Keramik vor Adolf Schweizer aus Steffisburg, Amata Good aus Zürich oder Adolf Zahner aus Rheinfelden (NZZ, Nummer 1747, 6. November 1925). Im Oktober 1926 stellte sie im Rahmen einer kleinen Kunstausstellung Keramiken im Gasthof Bären in Sumiswald aus (Der BUND 77, Nummer 46, 28. Oktober 1926). Im Dezember 1926 wurden Keramiken von ihr auf der Weihnachtsausstellung des Werkbundes, Ortsgruppe Bern gezeigt und von der NZZ positiv besprochen (NZZ, Nummer 2083, 18. Dezember 1926).

Eine längere Zusammenarbeit mit dem schwedischen Designer Arthur Carlsson Percy (1886‒1976) führte sie anschliessend in die Porzellanfabrik von Gefle (1910‒1979) in Schweden. Percy war damals einer der führenden Keramikdesigner Schwedens.

1930 Beteiligung an der Keramikausstellung aus Anlass “25 Jahre Keramische Fachschule Bern” (Der BUND 4.7.1939, StAB BB 1.9.34, Zeitungsausschnitte).

1932 war Hanni Nencki mit Keramik an der Märzausstellung der Berner Sektion der Gesellschaft Schweizerischer Malerinnen, Bildhauerinnen und Kunstgewerblerinnen in vertreten. Neben ihr stellten Gertrud Meister-Zingg, Helene Imbert und Amata Good aus (NZZ, Nummer 440, 9. März 1932).

Eine weitere Studienreise nach Frankreich schloss sich an.

Im Dezember 1933 finden wir sie neben Jakob Hermanns, Margrit Linck-Daepp, Clara Vogelsang und I. Mäusli mit Keramiken auf der Werkbundausstellung im Gewerbemuseum in Bern (NZZ, Nummer 2267, 13. Dezember 1933).

Die Heirat mit dem Architekten Werner Krebs aus Bern (1895‒1990, Nachruf in Werk, Bauen + Wohnen 77, 1990, Heft 12, 81‒82) machte Bern zu ihrem Lebensmittelpunkt. Sie führte dort ein eigenes Atelier als Malerin, Töpferin (Mitglied im Werkbund, Vorstandsmitglied) und Musikerin (Mitglied im Berner Konservatoriums- und Kammerorchester).

Keramikausstellungen lassen sich für die folgenden Jahre belegen:

1954 Kunsthalle Bern, Kunsthandwerksausstellung (Der Bund, Band 105, Nummer 213, 9. Mai 1954)

1956 Gewerbemuseum Bern, “Neue Schweizer Keramik” zusammen mit Ed. Chapallaz, Benno und Eva Geiger, Margrit Linck, Mario Mascarin, Fritz Portner und Ursula Schmälzle (Der Bund, Band 107, Nummer 529, 11. November 1956).

1966 Ausstellungsvitrine der Gesellschaft Schweizerischer Malerinnen, Bildhauerinnen und Kunstgewerblerinnen in der Passage neben dem Kornhauskeller: Neue Keramische Arbeiten (Der Bund, Band 117, Nummer 70, 20. Februar 1966).

1966 Ausstellung der Gesellschaft Schweizerischer Malerinnen, Bildhauerinnen und Kunstgewerblerinnen in der Berner Galerie (Der Bund, Band 117, Nummer 255, 4. Juli 1966).

1967 Ausstellungsvitrine der Gesellschaft Schweizerischer Malerinnen, Bildhauerinnen und Kunstgewerblerinnen in der Passage neben dem Kornhauskeller: Neue Keramische Arbeiten (Der Bund, Band 118, Nummer 174, 18. Juni 1967).

1971 Ausstellung der Gesellschaft Schweizerischer Malerinnen, Bildhauerinnen und Kunstgewerblerinnen in der Kunsthalle in Bern (Bieler Tagblatt, Nummer 70, 25. März 1971).

1976 Ausstellung Schalterhalle Gewerbekasse Bern (Der Bund, Band 127, Nummer 101, 2. Mai 1976).

Zu ihrem keramischen Werk vermerkt der Nachruf: «Das beschwingte der malerischen Blätter atmet auch in den handwerklich solid gearbeiteten Keramiken. Abstrakte Dessins verbinden sich hier mit blühenden Naturformen».

Hanni Krebs-Nencki starb am 10. November 1986 in Bern (Todesanzeige). Nachruf mit biographischen Informationen: Der Bund, Band 137, Nummer 288, 9. Dezember 1986

Vgl. auch Antik und Rar

Bibliographie:

Messerli 2017
Christoph Messerli, 100 Jahre Berner Keramik. Von der Thuner Majolika bis zum künstlerischen Werk von Margrit Linck-Daepp (1987-1983). Hochschulschrift (Datenträger CD-ROM), Bern 2017.

Schuppmann 1925
Hans Schuppmann, Zu den Arbeiten der Keramischen Werkstätten in München-Harlaching, in: Dekorative Kunst 28, 1925, 147-153.

 

 

Kreuzlingen-Emmishofen TG, Burkhart, Ofenfabrik und Kunstkeramik (1865-1994)

Das Gebäude der ersten Ofenfabrik im ehemaligen Gasthof “Zum Grüntal” in Kreuzlingen-Emmishofen. Über der Eingangstür das Firmenzeichen: Ein Zylinderofen.

Andreas Heege, 2022

Hinweis: Die Firmengeschichte ist bislang unbearbeitet.

Die Gründung der Keramikwerkstatt Burkart geht auf eine über 125-jährige Tradition zurück. Am 24. Juli 1865 hat der Hafner Stephan Burkart an der Unterseestrasse in Kreuzlingen-Emmishofen das Restaurant “Zum Grüntal” käuflich erworben und eine Hafnerei eingerichtet. Es wurde darin ein Brennofen für Ofenkacheln errichtet. Unter der tüchtigen Leitung von Stephan Burkart und seinen Söhnen entwickelte sich die Firma sehr gut. In jahrelanger Arbeit wurde die Qualität der Erzeugnisse stetig verbessert, und dieses Streben wurde unter anderem mit der Goldmedaille der Landesausstellungen Genf 1896 und Bern 1914 anerkannt.

Firma Stephan Burkart Söhne im offiziellen “Illustrierten Ausstellungsalbum” der Landesausstellung 1914.

Noch im selben Jahr übernahmen die Söhne Adolf und Otto die Werkstatt und führten sie weiter. 1925 wurde die erste Geschirrkeramik produziert. 1930 verliessen die ersten kunsthandwerklich getöpferten Vasen die Fabrik. Kurz vor dem 2. Weltkrieg wurde die Kachelofenproduktion eingestellt. Seit 1962 wurde die Firma als Familien-AG geführt (SHAB 80, 1962, No. 72, 910). In den 1970er-Jahren Umzug an einen neuen Standort in Kreuzlingen. 1990 hatte der Betrieb 36 Mitarbeiter am Standort Kreuzlingen.  In den 1990er-Jahren wurden zusätzlich Heimarbeiterinnen in Graubünden als Keramikmalerinnen ausgebildet. Konkursverfahren eröffnet 3.11.1994 (SHAB 112, 1994, No. 234, 6565). Am 16. Dezember 1994 übergab Sigmar Schmidt-Eisenhart, Bottighofen, als letzter Geschäftsführer der Firma das Firmenarchiv dem Staatsarchiv des Kantons Thurgau.

Bibliographie:

Betriebsneubau Ad. Burkart AG, Kunstkeramik, Kreuzlingen. Sonderbeilage zum Thurgauer Volksfreund 5. Juli 1967

Ganz, Michael: Heimarbeit im Bündnerland. Keramik – von Frauen fröhlich bemalt. In: Heimatwerk/Kunsthandwerk, Zürich 1/1993, S. 32-36.

Mathis, Hans Peter: Historische Kachelöfen aus der Emmishofer Ofenfabrik Burkart. In: Jürg Ganz (Hrsg.): Die Seeburg in Kreuzlingen. Ein Schloss des Historismus, Kreuzlingen 1985, S. 78-98.

Schmidt-Eisenhart, Sigmar: 125 Jahre Burkart-Keramik, Kreuzlingen. In: Handwerk, Volkskunst, Kunsthandwerk/Schweizer Heimatwerk, Zürich, Nr. 1/1990, S. 27-30

Langenthal BE, Langenthal Porzellanfabrik AG

Langenthaler Porzellan in CERAMICA CH

Andreas Heege, 2019

Die Porzellanfabrik Langenthal AG wurde am 4. Juli 1906 gegründet. Sie hatte zunächst ein Gründungskapital von 500.000 CHF und war im Besitz von 47 Aktionären. Der erste Brand erfolgte am 17. Januar 1908. Die Belegschaft bestand aus 87 Arbeitern, von denen 35 aus Böhmen angeworben wurden. Das Kaolin kam aus der Region Karlsbad.  Als künstlerischer Leiter wurde 1909 der Berner Maler Rudolf Münger eingestellt. Bereits 1910 erreichte die Firma die Gewinnschwelle.

Die Langenthaler Porzellanproduktion im offiziellen “Illustrierten Ausstellungsalbum” der Schweizerischen Landesausstellung in Bern, 1914.

Die Jahre des ersten Weltkriegs bildeten eine Krisenzeit, die jedoch offenbar überwunden wurde.  1920 trat der in der Keramikfachschule von Renens ausgebildete  Fernand Renfer in die Porzellanmanufaktur ein. Er sollte das Bild des Langentaler Porzellans massgeblich beeinflussen. Als technische Neuerung trat zwischen 1936 und 1937 ein elektrischer Tunnelofen (Blondel 2001, 166) an die Stelle der alten, kohlebeheizten Rundöfen. 1941-1942 und 1950-1951 wurden zwei weitere gebaut.  Ab 1964-1965 erfolgten Neubauten mit Gasbetrieb. Die erfolgreichsten Jahre der Firma lagen zwischen 1950 und 1970. 1964 hatte der Betrieb mit 950 Angestellten seine höchste Beschäftigungsquote.  In den 1980er-Jahren begann für die Manufaktur Langenthal der langsame Niedergang. 1988 erfolgte die Fusion mit der Keramik Holding Laufen AG, in deren Folge eine allmähliche Produktionsverlagerung nach Tschechien einsetzte. 1998 endete die Weissporzellanherstellung, nur Malerwerkstätten verblieben vor Ort. 2003 wurde Langenthal von der tschechischen Benedikt-Gruppe gekauft. Heute wird das gesamte Langenthalporzellan in Tschechien gefertigt. Es gibt immer noch eine Verkaufsstelle auf dem alten Fabrikgelände.

Umfangreiche Homepage zum Langenthaler Porzellan

Die Marken der Porzellanfabrik

Langenthaler Zuckerdosen

Langenthaler Porzellan im MAG

Bibliographie

Blondel 2001
Nicole Blondel, Céramique : vocabulaire technique, Paris 2001, 166.

Gallati 1962
Werner Gallati, Die Porzellanfabrik Langenthal, in: Jahrbuch des Oberaargaus 5, 1962, 178-186.

Schnyder 1979
Rudolf Schnyder, Langenthal und die Tradition des Schweizer Porzellans – Bemerkungen zur Fabrikmarke von Langenthal, in: Mitteilungsblatt der Keramikfreunde der Schweiz 92, 1979, 5-8.

Schumacher/Quintero 2012
Anne-Claire Schumacher/Ana Quintero, La manufacture de Porcelaine de Langenthal, entre design industriel et vaiselle du dimanche – Die Porzellanmanufaktur Langenthal, zwischen Industriedesign und Sonntagsgeschirr, Milan 2012.

 

Langnau BE, Adolf Gerber (1879–1951)


Adolf Gerber an der Töpferscheibe 1946.

Keramik von Adolf Gerber in CERAMICA CH

Roland Blaettler, Andreas Heege 2020

Adolf Gerber (1879–1951) gilt als der Erneuerer der Langnauer Tradition farbenfroher dekorierter Irdenware, mit zeitgemäss angepassten Formen und Dekoren. Adolf Gerbers Vater Adolf (1859–1919) gründete 1902 die Töpferei in der Tschamerie, zwischen Hasle-Rüegsau und Burgdorf-Oberburg. Adolf Gerber, jun. machte seine Lehre nach einer schriftlichen Aufzeichnung von Franz Kohler aus Schüpbach zunächst bei einem Hafner Bieri in Heimberg oder Steffisburg (Vorname unbekannt), wo er jedoch so schlecht gehalten wurde, dass er abmagerte und die Lehrstelle aufgab. Eine neue Lehrstelle fand er bei Niklaus Kohler (1843-1927) in Schüpbach, wo er dessen Tochter Marie Kohler kennenlernte und am 11. Mai 1904 heiratete.

Adolfs Bruder Johann Friedrich Gerber (1881–1935) arbeitete zeitweise als Töpfer in Grünen, Gemeinde Sumiswald. Ida Gerber (1897–1954), die Schwester der beiden Hafner, heiratete Franz Aebi (1894–1974), der ab 1919 die väterliche Töpferei in Hasle weiterführte.

1909 übernahm Adolf Gerber mit seinem Schwager Oswald Kohler (1886–1955) die 1869 gegründete Werkstatt des Schwiegervaters Niklaus Kohler (1843–1927) in Schüpbach.

Aus dieser Zeit der Werkstattgemeinschaft, die nur zwei Jahre dauern sollte, existierten bis heute nur zwei gemarkte Teller (Privatbesitz) mit Motiven wohl von Paul Wyss. Dieser gehörte ab 1909, zusammen mit seinem Schwiegervater, Pfarrer Müller in Langnau, zu den aktivsten Förderern einer Neubelebung der Langnauer Töpferkunst (Aeschlimann 1928, 17-18).

Im Januar 1911 verkauften die Erben des Hafners Jacob Althaus (1834–1893) Haus und Werkstatt an der Güterstrasse 3 in Langnau an Adolf Gerber.

Adolf Gerbers Betrieb war, vor allem nach der Erfindung des Stils «Alt-Langnau» in Zusammenarbeit mit dem bernischen Kunstgewerbelehrer Paul Wyss, in der Zeit zwischen 1911 und 1951 sicher einer der aktivsten und erfolgreichsten in der Region, berücksichtigt man die Zahl der in Privathaushalten und museal erhaltenen Keramiken. Zahlreiche Beispiele von Gerbers Schaffen sowie zahlreiche Archivalien aus seiner Werkstatt werden heute im Regionalmuseum Langnau aufbewahrt (Aeschlimann 1928, 18–19; Gerber 1985, 11; Heege/Kistler 2017, 187–189).

1917 Beteiligung an der “Schweizerisch-Kunstgewerblichen Weihnachtsausstellung” in Zürich (Der BUND 68, Nummer 481, 14. Oktober 1917).

1924 Teilnahme der Kunsttöpferei Adolf Gerber, Langnau an der KABA in Burgdorf (StAB BB 1.9.7).

1927 zeigte man die aktuelle Produktion auf einer grossen Ausstellung im Musée d’Art et d’Histoire in Genf. Der BUND berichtete ausführlich über die Ausstellung und die bernische Beteiligung (Der Bund, Band 78, Nummer 395, 14. September 1927).

1930 Beteiligung an der Keramikausstellung aus Anlass “25 Jahre Keramische Fachschule Bern” (Der BUND 4.7.1939, StAB BB 1.9.34, Zeitungsausschnitte).

Vermutlich von Anfang an (ab 1911) führte Adolf Gerber die Blindmarke “A. Gerber Töpferei Langnau”.  Spätestens ab 1915 wurde diese ergänzt durch das Langnauer Gemeindewappen und die Beischrift “LANGNAUER”. Zeitweise finden sich auch zusätzlich eingeritzt die Buchstaben “A.G.L.”.

Wahrscheinlich etwas jünger sind geritzte Werkstattmarken “A. Gerber Langnau”. Eine umfassende Bearbeitung der Formen und Dekore der Werkstatt von Adolf Gerber steht bis heute aus.

Adolf Gerbers Tochter Erika (1919–2004) heiratete 1945 den Hafner Jakob Stucki (1920–1982).  1946 erschien ein lesenswerter Artikel “Junges Leben in der alten Langnauertöpferei” in der Zeitschrift Heimatwerk – Blätter für Volkskunst und Handwerk.

Vermutlich entstand in dieser Zeit durch Jakob Stucki die Figurenserie zur Werkstatt Gerber, die sich heute im Regionalmuseum in Langnau befindet.

Jakob Stucki übernahm 1948 die Werkstatt seines Schwiegervaters. Nach dessen Tod im Jahr 1951 blieb die Liegenschaft an der Güterstrasse 3 in der Familie und wurde bis zu Jakob Stuckis Tod 1982 aktiv als Geschirr- und Kunsttöpferei genutzt. Einem Werkstattnachfolger war kein Erfolg beschieden.

Erika Gerber und Jakob Stucki 1946

Stammbaum Gerber-Kohler-Stucki-Aebi

Bibliographie:

Aeschlimann 1928
Emil Aeschlimann, Alt-Langnau-Töpferei. Ein Beitrag zur Volkskunde. Beilage: Die rumänische Königin im Ilfis-Schulhaus, 8. Mai 1924, Bern 1928.

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2014, 370.

Gerber 1985
Heinz Gerber, Die Langnauer Töpfereien. Ein kleiner Überblick, Langnau 1985.

Heege/Kistler 2017
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Schneider 1979
Alfred Schneider, Der Töpfer Jakob Stucki (Suchen und Sammeln 4), Bern 1979.

Schnyder 1985
Rudolf Schnyder, Vier Berner Keramiker. Werner Burri, Benno Geiger, Margrit Linck, Jakob Stucki, Bern 1985.

Langnau BE, Geschirrhalle Herrmann / Töpferhus Herrmann

 

Roland Blaettler, Andreas Heege 2022

Keramik der Geschirrhalle in CERAMICA CH

Keramik des Langnauer Töpferhauses in CERAMICA CH

Ab 1902 war Gotthold Herrmann in Langnau als Schreiner tätig. Als er seinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, eröffnete er einen kleinen Laden, wo er u. a. Salz und Geschirr anbot. Trotz des identischen Namens besteht keine verwandtschaftliche Beziehung zu den Langnauer Hafnern Herrmann (Heege/Kistler 2017).

1933 übernahm Gotthold Herrmanns Sohn Fritz das Geschäft an der Langnauer Oberstrasse, welches sich unter dem Namen «Geschirrhalle» wesentlich entwickeln sollte. Fritz Herrmann hatte in der Tschechoslowakei und in Schlesien die verschiedenen Techniken im Dekorieren von Porzellan erlernt (Malerei, Stahl-, Kupfer- und Siebdruck). Dies erlaubte ihm, das Angebot auf die Anfertigung von speziellen Dekoren zu erweitern, z. B. für Vereine, Firmen oder Privatanlässe. Unter der Marke «Helapo» (Herrmann Langnauer Porzellan) und weiteren Marken wurde seit den 1930er-Jahren weisses Porzellan aus Deutschland oder aus Langenthal dekoriert.

1947 erschien in der Berner Woche auch ein bebilderter Beitrag zur Geschirrhalle.

Später wurden Verkaufsfilialen in Thun, in Konolfingen und im Shoppyland Schönbühl eröffnet. Markus Herrmann übernahm die Geschäftsleitung 1972. Um die Jahrhundertwende mussten alle Filialen geschlossen werden, selbst die Mutterfirma an der Oberstrasse. 2014 bestand noch die Firma «Herrmann im Töpferhus», mit der Töpferei, dem Dekorationsatelier und einem Verkaufsladen.

 

Im April 1984 wurde unter Mitwirkung des Keramikers Heinz Gerber im Langnauer Töpferhus eine neue eigene Töpferei eingerichtet, die vor allem im «Alt-Langnauer» Stil fertigte (Der Bund, Band 136, Nummer 92, 22. April 1985). Die Keramikproduktion wurde im März 2018 eingestellt.

Das Regionalmuseum in Langnau bewahrt einzelne Stücke aus dem ersten Brand der Töpferei im Jahr 1984.

Informationen von Markus Herrmann

Bibliographie:

Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Langnau BE, Hafner Herrmann

 

 

Langnauer Keramik in der Bilddatenbank

Andreas Heege, Andreas Kistler 2017

Die Gemeinde Langnau liegt im Emmental im Kanton Bern, Schweiz. Ihre topografisch bedingte Zentrumsstellung prädestinierte sie als Marktzentrum des oberen Emmentals und des angrenzenden luzernischen Entlebuchs. Die überregional bedeutsamen Langnauer Jahrmärkte wurden erstmals 1467 erwähnt. Langnau und das östliche Hügelland des Kantons Bern waren im 18. und frühen 19. Jahrhundert von allen Landesteilen ökonomisch am stärksten entwickelt. Vom damaligen Reichtum zeugen sowohl die grossen Bauernhöfe als auch die grosse und stetig zunehmende Bevölkerungszahl. In Verbindung mit dem Erbrecht des jüngsten Sohns führte dies seit dem Mittelalter zu einer zahlenmässig starken ländlichen Mittel- und Unterschicht aus Kleinbauern, Tagelöhnern und Handwerkern. Hierzu gehörten auch die Hafner und Ofensetzer, deren qualitätsvolle Produkte seit dem späten 19. Jahrhundert hoch geschätzte Sammlungsobjekte für Museen und Privatsammlungen wurden. Bis heute haben sich über 2000 Keramiken und Ofenkacheln der Hafner von Langnau erhalten. Dazu kommen besonders wichtige archäologische Bodenfunde von den Hafnergrundstücken Höheweg 1 und Sonnweg 1 sowie eine private Sammlung von Langnauer Modeln, die überwiegend aus der Hafnerei Sonnweg 15 stammt.

Die frühen Hafner

Im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es in Langnau einzelne Hafner mit Namen Hürby, Baur, Neuenschwander und Jost. Aus deren Betrieben entwickelten sich jedoch keine Hafner-Dynastien. Ihre Produkte sind unbekannt.

Die Hafner Herrmann

Anders verhält es sich mit den Hafnern der Familie Herrmann. Zwischen Niklaus Herrmann, ab 1672 dem ersten Hafner am Sonnweg 15, und Ulrich Herrmann, dem letzten Hafner, der 1904 am Sonnweg 1 starb bzw. Johann Herrmann, der 1910 die Werkstatt an der Wiederbergstrasse 5 aufgab, lassen sich mindestens 56 Hafner der Familie Herrmann und die von ihnen genutzten Werkstätten und Grundstücke nachweisen. Dies ist mit neun Generationen die umfangreichste bisher untersuchte Hafner-Dynastie der Deutschschweiz (vgl. Stammbaum und Hafnertabelle), wobei die Hafner in Abhängigkeit von den wirtschaftlichen Gegebenheiten tendenziell mobil waren. Zwei Hafner Herrmann arbeiteten zeitweise in Bern (u. a. als Leiter der Fayencemanufaktur Frisching). Fünf arbeiteten ganz oder teilweise in der Region Heimberg/Steffisburg. Für sechs Hafner und ihre Familien lagen Wohnung und Werkstatt im «Brügghüsli» in Trubschachen an der Mühlestrasse 14. Sechs Hafner Herrmann lebten und arbeiteten in Wasen im Emmental in der Gemeinde Sumiswald. Vor allem im späten 19. Jahrhundert gab eine Reihe von Hafnern den Beruf auf und wurde Krämer, Zivilstandsbeamter, Tabakfabrikant oder Oberwegmeister. Einzelne Hafner verbrachten ihre Lebensarbeitszeit teilweise oder vollständig auch an anderen Orten des Kantons Bern (Bärau, Bümpliz, Grosshöchstetten, Münsingen, Neuenegg, Oberburg, Oberhofen, Signau, Dürrenroth, Hindelbank, Langenthal, Lyss, Ursenbach und Zweisimmen). Nur zwei Hafner liessen sich schliesslich ausserhalb des Kantons in Lüsslingen, Kanton Solothurn, bzw. in Aesch, Kanton Basel-Landschaft, nieder. Vier Hafner wanderten in die USA aus.

Wirtschaftliche Verhältnisse

Eine Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Hafner Herrmann ist nur in Ansätzen möglich. Aufgrund von Steuerzahlungen lässt sich belegen, dass sie in Langnau zur unteren Mittelschicht gehörten. Diese umfasste im 18. Jahrhundert etwa 30 Prozent aller Haushalte. Gleichzeitig gehörten 40 Prozent der Langnauer Haushalte zur nicht besteuerten Unterschicht der Gemeindearmen. Die an anderen Orten schwierige Zeit der Landwirtschafts- und Wirtschaftskrise von 1816 bis 1821 ging an den Langnauer Hafnern erstaunlicherweise ohne Konkurse vorbei, obwohl auch Langnau massiv von der Katastrophe betroffen war. Erst die Krise in der Zeit zwischen 1845 und 1856 (Kartoffelpest 1845/46) führte auch in Langnau zu grossen Versorgungs- und Wirtschaftsproblemen. Die Auswanderung in die USA löste möglicherweise zumindest für vier Langnauer Hafner die drängenden Probleme.

Die wichtigsten Werkstätten und Hafner

Sicher der bedeutendste und technisch versierteste Langnauer Hafner des 18. Jahrhunderts war Daniel Herrmann (1736–1798). Er leitete von 1762 bis 1776 die Frisching’sche Fayencemanufaktur in Bern, die mit ausländischen Fayencemalern vor allem Kachelöfen und Geschirr nach Strassburger Vorbildern für das patrizische Publikum in Basel und Bern produzierte. Nach der Schliessung der Manufaktur übertrug Daniel Herrmann zahlreiche stilistische Elemente der bernischen Fabrik auf die Langnauer Irdenware, u. a. indem er die entsprechenden Gipsformen für Geschirr und Ofenkacheln mit nach Langnau brachte. Auf ihn folgte in der Werkstatt Höheweg 1 ein mindestens ebenso begabter Sohn gleichen Namens (1775–1864). Zu Lebzeiten seines Enkels bzw. Urenkels, die ebenfalls beide Daniel hiessen (1801–1871 bzw. 1830–1883) endete die Produktion von Keramik im Langnauer Stil, spätestens um 1860.

Aufgrund verschiedener Kriterien (Beschriftung mit Signatur, Herstellungsort Langnau oder Wohnort des Besitzers, Übereinstimmung erhaltener, signierter und datierter Model mit Grifflappen und Reliefauflagen, Typologie der Gefässformen, Dekore und Motive) existieren sehr gute Grundlagen für die Zuweisung von Keramiken zum Produktionsort Langnau und zur Abgrenzung der Produkte anderer bernischer Hafnerorte. Besonders hilfreich sind in diesem Zusammenhang auch die archäologischen Bodenfunde von den Hafnergrundstücken Höheweg 1 und Sonnweg 1. Sie sind unmittelbare Zeugnisse der lokalen Produktion und als solche unverzichtbar für eine grundlegende Bearbeitung. 1167 Langnauer Keramiken tragen eine eingeritzte oder aufgemalte Jahreszahl, was die vergleichende chronologische Einordnung auch undatierter Stücke erleichtert.

Die vertiefte Analyse der Handschriften der beschrifteten Keramiken in Verbindung mit den Grifflappentypen, den Fruchtgriffen und verschiedenen Motiven liess darüber hinaus erkennbar werden, dass regelhafte Vergesellschaftungen von Merkmalen existieren, die als «Handschrift» eines Keramikers oder von Werkstätten interpretiert werden können. Diese lassen sich im Idealfall sogar mit historisch bekannten Langnauer Hafnern und ihren Werkstätten verbinden. Es ergaben sich insgesamt 33 Gruppen solcher Merkmalskombinationen, die als «Hand 1–25» (mit weiteren Variationen) bezeichnet und dargestellt werden. Aufgrund verschiedener Kriterien, wie z. B. kontinuierlich genutzter Grifflappenmodel oder dem Verhältnis von Geschirrdatierungen und den Lebensspannen einzelner Hafner, konnten verschiedene «Hände» zu «Werkstätten» zusammengefasst werden («Werkstatt 1–6»).

Unter den Keramiken im Langnauer Stil stechen einzelne Produkte besonders hervor. Sie lassen sich u. a. mit Hans Herrmann dem Weibel (1673–1762, «Werkstatt 1, Hand 1») und der Werkstatt Sonnweg 15 verbinden. In seine Anfangsjahre fällt die Entwicklung des Langnauer Stils, der sich dann mit unterschiedlichen Entwicklungsschritten bis in die 1860er-Jahre verfolgen lässt, jedoch bereits seit etwa 1830 stark rückläufig war. Sein Sohn Christen (1703–1771, «Werkstatt 1, Hand 4») war in der Zeit zwischen etwa 1725 und 1750 der wichtigste, den Langnauer Stil prägende Hafner. Er setzte wie sein Vater und Grossvater auch Kachelöfen. Die Keramikgliederung der 1750er- und 1760er-Jahre lässt keine auf einzelne historisch bezeugte Hafner bezogene Einteilung zu («Werkstatt 1, spät» bzw. «Werkstatt 2»).

Der bedeutendste und einflussreichste Langnauer Hafner war Daniel Herrmann (1736–1798, «Werkstatt 3, Hand 5»). Er führte ab 1769 eine eigene Werkstatt am Höheweg 1. Gleichzeitig war er von 1763 bis 1776 Direktor der Frisching’schen Fayencemanufaktur in Bern. Er war als einziger Hafner mit einer Frau der Langnauer Oberschicht verheiratet. Aufgrund der hohen Qualität von Dekor und Beschriftung lassen sich zwischen etwa 1760 und 1798 über 250 Keramiken seiner Produktion zuordnen. Dabei sind Daniels Anfänge in Langnau zunächst noch vom Formenspektrum der bernischen Fayenceproduktion geprägt, da er offenbar auch Formmodel der dortigen Manufaktur für seine Fruchtgriffe, die Rokoko-Terrinen, Wandbrunnen, Zuckerstreuer und Teedosen verwendete. Bereits 1760 schuf er den ersten Teller mit Abtropfsieb und ab 1781 eine grosse Serie von Tellern mit unterschiedlich fassonierten Rändern. 1794 entstand in seiner Werkstatt für den privaten Gebrauch die älteste erhaltene «Hochzeitsschüssel», ein Schauessen in Terrinenform. Sein Gefässformen- und Dekorspektrum ist sehr gross und vielgestaltig. Zahlreiche Einzelkacheln sowie Kachelöfen lassen sich ihm ebenfalls zuordnen. Dabei griff er auch auf Kachelmodel der Frisching’schen Fayencemanufaktur zurück. Je nach Kundenwunsch versah er die einfacheren oder komplexeren Öfen mit Fayence- oder preiswerter Bleiglasur. Für das Jahr 1789 lässt sich erstmals ein Kachelofen mit manganviolett bemalter Fayenceglasur belegen, was optisch einen starken Gegensatz zur gleichzeitig produzierten Geschirrkeramik darstellt. Ab diesem Zeitpunkt begannen Kachelofen- und Geschirrproduktion stilistisch auseinanderzudriften. Daniel betätigte sich, wie später seine Söhne, auch im Zusammenhang mit der Orgel der Langnauer Kirche. Vermutlich geht der überlieferte keramische Orgelschmuck auch der Kirche von Rüderswil auf ihn zurück.

Daniels Söhne («Gebrüder Herrmann», 1798–1840) setzten die Tradition der Werkstatt in der Qualität von Dekor und Beschriftung nahezu bruchlos fort («Werkstatt 3, Hand 6 und 7»). Daniel (1775–1864) lassen sich 99 Keramiken zuweisen und Johannes (1777–1827) 37 Gefässe. Bei weiteren 25 Gefässen ist aufgrund der Datierungen klar, dass sie in der «Werkstatt 3» zur Zeit der «Gebrüder Herrmann» entstanden. Weitere 237 Gefässe lassen sich aufgrund verschiedener Kriterien nur der «Werkstatt 3», jedoch keinem der genannten Hafner zuweisen. Daniel (1775–1864) produzierte möglicherweise auch die vier bekannten «Hochzeitsschüsseln» aus den Jahren 1800 und 1801. Zwischen 1800 und 1810 experimentierte er mit einer stark reduzierten hellblauen oder bunten Dekorfarbigkeit. In seinen späteren Lebensjahren arbeitete er auch als Organist, Vermesser, Lithograf sowie Zeichner von Orgelprospekten und war eine Zeit lang kantonaler Bezirksinspektor für das Strassenwesen. Die Kachelöfen der «Gebrüder Herrmann» folgten bis in die Zeit um 1803 noch dem farblichen und stilistischen Schema des Vaters. Danach wurden offenbar nur noch weisse Fayencekachelöfen mit violettschwarzer Inglasurmalerei im Stil des Klassizismus und des Biedermeier gefertigt. Zwischen 1760 und etwa 1830 war die Werkstatt am Höheweg 1 in Langnau bezüglich Formenreichtum, Qualität, Dekor und Beschriftung der Massstab, an dem sich alle übrigen Hafner messen lassen mussten.

Hans Herrmann (1737–1787, «Werkstatt 4, Hand 10»), der Bruder von Daniel Herrmann (1736–1798), produzierte in den Werkstätten Bärenplatz 1 bzw. Sonnweg 1. Seine Personen- und Tierdarstellungen sind ebenfalls sehr gefällig, zeigen aber nicht dieselbe zeichnerische Befähigung, wie sie sein älterer Bruder besass. Immerhin können fast 60 Objekte mit seiner Tätigkeit in Verbindung gebracht werden. Sein Sohn Johannes Herrmann (1775–1827, «Werkstatt 4, Hand 12») wurde vermutlich von seinem Onkel Daniel (1736–1798) in der Werkstatt Höheweg 1 ausgebildet. Seine Keramiken und Bilder erweisen sich denen seiner Vettern («Gebrüder Herrmann») als durchaus ebenbürtig, jedoch verfügte er nur über ein eingeschränktes Spektrum an Fruchtgriffmodeln für die Terrinendeckel. In seiner Werkstatt am Sonnweg 1 dürften 1797 die ungewöhnlichen Langnauer Kugelsonnenuhren entstanden sein. Johannes war in der Zeit der Helvetik (1798 bis 1803) offenbar stärker politisiert als die übrigen Langnauer Hafner. Ihm können mit grosser Wahrscheinlichkeit 125 Keramiken zugewiesen werden. Für seinen Werkstattnachfolger und Grossneffen Johannes Herrmann (1802–1867, «Werkstatt 4, Hand 13») ist kaum noch datiertes Museumsmaterial überliefert. Dagegen haben die Ausgrabungen auf dem Hafnereigrundstück Sonnweg 1 zahlreiche Fehlbrände geliefert. Sie können sowohl aus der späten Produktionszeit von Johannes (1802–1867) als auch aus der seines Sohnes Johannes (1829–1887) oder seines Enkels Ulrich (1857–1904) stammen und werden pauschal als «Hand 14» zusammengefasst. Sie dokumentieren das Ende des Langnauer Stils in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Die Ausgliederung der «Werkstatt 5, Hand 15–21» erfolgte, da es sich erkennbar um Keramik handelt, die nicht zu den «Werkstätten 1–4» bzw. «Werkstatt 6» gehört. Vermutlich wurden diese Produkte mehrheitlich durch die Mitglieder eines Seitenzweigs der Familie Herrmann hergestellt, und zwar die Söhne, Enkel und Urenkel von Christen Herrmann (1703–1771, vgl. Stammbaum). Als Produktionsorte kämen damit vor allem die Hafnereigrundstücke Sonnweg 15 und Wiederbergstrasse 5 sowie Wiederbergstrasse 24 und 33 infrage. Die «Hände 22–25» («Werkstatt 6») repräsentieren dann mit grosser Sicherheit die späte Entwicklung in der Hafnerei Wiederbergstrasse 5 nach 1840. Bedeutend war hier u. a. der stilistische Einfluss des Gesellen Johann Martin Labhardt aus Steckborn im Kanton Thurgau.

Spätestens ab den 1830er-Jahren nahm der stilistische Einfluss der Keramik «Heimberger Art» aus der Region Heimberg-Steffisburg auf die Langnauer Keramik massiv zu, sodass um 1860 quasi alle ehemaligen Langnauer Dekorelemente verschwunden waren. An ihre Stelle trat zunehmend eine Dekoration nur mit dem Malhorn, dem Pinsel (Horizontalstreifendekor) oder mit kleinen Musterschwämmen (Schwämmeldekor). Derzeit können Produkte der Langnauer Spätphase kaum begründet von denen der übrigen bernischen Hafnereien unterschieden werden.

Die Langnauer Keramik ist bekannt für ihre grafisch sehr aufwendig gestalteten Motive und die begleitenden Sprüche. Für die individuell gestalteten Bilder, vor allem der Teller und Terrinen, haben sich quasi keine druckgrafischen Vorlagen finden lassen. Die oft moralisierenden und belehrenden Sprüche entstammen dagegen zumindest in Teilen der Bibel und sonstigen religiösen Schriften und Musiksammlungen, Schul- und Lesebüchern sowie gedruckten Gedicht- und Spruchsammlungen. Nur in Ausnahmefällen beziehen sie sich auf aktuelle Ereignisse (Unwetter, Meteoriteneinschläge, Teuerung) oder die Politik. Öfter stehen Mägde und Knechte oder das Geschlechterverhältnis im Fokus. Daneben kommen verschiedene Sprüche im Zusammenhang mit der Milchwirtschaft und den Langnauer Genossenschaftsalpen vor. Dazu passt, dass sich auch alle Tiere und zahlreiche Tätigkeiten der Landwirtschaft des Emmentals in den Keramikmotiven wiederfinden.

In welchem Umfang die Langnauer Hafner die lokalen oder regionalen Märkte als Verkaufsmöglichkeit nutzten, ist nicht bekannt. Was nicht auf dem Markt oder direkt aus der Werkstatt verkauft wurde, verhandelten Hausierer, Kachelträger oder Topfhändler. Das Absatzgebiet der Langnauer Keramik konnte aufgrund der dokumentierten Haushaltsinventare und unterschiedlicher schriftlicher Informationen auf der Keramik selbst ermittelt werden. Hierbei spielen die Ortsnamen und Alpnennungen sowie die Wohnorte von Ehepaaren, die auf der Keramik genannt werden, eine besondere Rolle. Zusätzlich tragen 317 Langnauer Keramiken Namen, die sich anhand des Familiennamenbuchs der Schweiz auch auf ihren Heimat- oder Burgerort in der Zeit um 1800 kontrollieren lassen und damit ein weiteres Indiz für das potenzielle Langnauer Absatzgebiet sind. Dieses umfasst demnach mit einer Kernzone von etwa 20 km Radius das ganze Emmental sowie das angrenzende Entlebuch und erweitert sich nach Norden in Richtung auf den bernischen Oberaargau. Dagegen waren die Städte Bern, Burgdorf und Thun sowie erstaunlicherweise auch das Berner Oberland für die Langnauer Hafner nur ein unbedeutender Absatzmarkt. Eine Kontrolle archäologischer Fundbestände bestätigt das beschriebene Absatzgebiet.

Über die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Position der Abnehmer der Langnauer Keramik sind wir leider weniger gut informiert. Gelegentlich finden sich Hinweise auf die bessergestellten Weibel, Gerichtssässen, Kirchmeier, Dragoner, Müller, Wirte, Alpmeister und Hofbesitzer. Es lässt sich nicht beurteilen, ob sich nur die gut situierten Hofbesitzer im Emmental oder auch die Besitzer der kleineren und wirtschaftlich schwächeren Heimwesen, normalerweise Langnauer Keramik leisten konnten oder leisteten. Erwarten kann man die hochverzierte Luxuskeramik und die weniger verzierte Alltagskeramik aus den Werkstätten der Hafner Herrmann zwischen 1700 und 1850 vermutlich auf jedem grossen und mittleren Hof des Emmentals und vermutlich auch des Entlebuchs. Auf die einfachere, nur wenig dekorierte Alltagskeramik, die museal kaum überliefert ist, konnten wahrscheinlich aber auch die ärmeren Haushalte nicht verzichten.

Weitere Hafner in Langnau bis etwa 1950

Es sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, dass in Langnau auch nach 1850 und nach dem definitiven Ende des Langnauer Stils (zwischen 1830 und 1860) weiterhin Keramik hergestellt wurde. Daran waren auch Hafner beteiligt, die nicht zur Familie Herrmann gehörten (siehe Hafnertabelle Langnau).

Eine Wiederbelebung von «Alt-Langnauer Geschirr» erfolgte im Rahmen der Arts-and-Craft-Bewegung bzw. der Schweizerischen Heimatstilbewegung nach 1896. Hervorzuheben sind hierbei neben der Hafnerei Röthlisberger in Langnau die Hafnereien von Oswald Kohler (1886–1955) in Schüpbach und seinem Schwiegersohn Adolf Gerber (1879–1951) in Langnau. In der seit 1913 bestehenden Werkstatt Gerber arbeitete ab 1945 auch der bedeutendste Langnauer Töpfer des 20. Jahrhunderts, Jakob Stucki (1920–1982). Unter den Keramikerinnen ist auf Frieda Lauterburg zu verweisen.

Stammbaum der Hafner Herrmann

Hafnertabelle Langnau

Absatzgebiet der Langnauer Keramik

Bibliographie

Heege/Kistler 2017/1
Andreas Heege/Andreas Kistler, Poteries décorées de Suisse alémanique, 17e-19e siècles – Collections du Musée Ariana, Genève – Keramik der Deutschschweiz, 17.-19. Jahrhundert – Die Sammlung des Musée Ariana, Genf, Mailand 2017, 174-319.

Heege/Kistler 2017/2
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Langnau BE, Jakob Stucki (1920–1982) und Erika Gerber-Stucki (1919–2004)

Erika Gerber und Jakob Stucki, 1946

Jakob Stucki und Erika Gerber-Stucki in CERAMICA CH

Andreas Heege, Andreas Kistler 2022   IN BEARBEITUNG

Über Jakob Stucki ist schon viel geschrieben worden (siehe Bibliographie, vor allem Schneider 1979). Dem ist kaum etwas hinzuzufügen und gleichwohl scheint es sinnvoll, an dieser Stelle die Eckdaten seines künstlerischen und keramischen Wirkens und die Produkte seiner Werkstatt, soweit verfügbar, zusammenzustellen. Dabei darf nie übersehen werden, dass seine Frau  Erika Gerber-Stucki in den Jahrzehnten ihrer gemeinsamen Arbeit die zweite tragende Säule der Werkstatt war, auch wenn sie fast nie signierte.

Jakob Stucki (1920–1982) wurde am 7. August 1920 als Sohn eines Gastwirtes in Konolfingen geboren. Er sollte ursprünglich den elterlichen Betrieb übernehmen und machte daher nach der Schule eine Ausbildung in der Handelsschule in La Neuveville, besuchte die Hotelfachschule in Zürich und arbeitete in verschiedenen Grandhotels in Graubünden, England und Holland. In den Niederlanden entdeckte er sein Zeichentalent und besuchte Kurse.  Mit Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde er zum Militär eingezogen und wurde zum Offizier ausgebildet. Nach Ableistung seines Aktivdienstes trat er ab 1941 in die gerade wieder neu eröffnete Keramikfachschule in Bern ein, da ihn die Aussicht auf eine Leben als Gastwirt oder Hotelier nicht befriedigte. Er erhielt eine grundlegende und prägende Ausbildung bei den Fachschullehrern Werner Burri (Schnyder 1985, 8-31) und  Benno Geiger (Schnyder 1985, 32-51) und bildete sich bei Fritz Haussmann in Uster weiter. 1944 schloss er seine Ausbildung zum Töpfer und zum Keramikmaler ab und arbeitete ab 1945 in der Töpferei von Adolf Gerber (1879-1951) in Langnau, Güterstrasse 3.

Die Töpferei-Liegenschaft in Langnau, Güterstrasse 3, nach 1948.

Dort lernte er seine spätere Ehefrau, die Töpfertochter Erika Gerber (1919–2004), kennen. Das Paar heiratete 1946.  Erika Gerber hatte nie die Chance zu einer professionellen Keramikausbildung. Ihre Prägung und Ausbildung erfolgte in der väterlichen Werkstatt, was sie später befähigte, als Keramikmalerin zu arbeiten sowie die Werkstatt organisatorisch und wirtschaftlich zu führen.

Im Jahr der Hochzeit erschien ein lesenswerter Artikel “Junges Leben in der alten Langnauertöpferei” in der Zeitschrift Heimatwerk – Blätter für Volkskunst und Handwerk (Laur 1946). In diesem Jahr schrieb Jakob Stucki selber «Mein Wille ist, eine gute Bauernkeramik zu malen. Da ich alles selber machen kann, drehen, malen, glasieren und brennen, ist für mich eine Liebe zu diesem schönen Handwerk erwacht, die ich immer beibehalten möchte» (Stucki-Gerber 1946) .

Für diesen Aufsatz, der die künftige, intensive Zusammenarbeit mit dem Heimatwerk einläutete, fertigte der Fotograf H. Heiniger aus Schüpfheim eine  grössere Fotoserie, die wichtige Aspekte der Werkstatt und der Produktion im Jahr 1946 zeigt.

Glasur- und Tonmühle sowie Filterpresse (Ton- und Glasuraufbereitung), 1946.

Jakob Stucki am Tonschneider (Homogenisieren und Entlüften des Tons), 1946.

Jakob Stucki beim Portionieren und Kneten des Tones (Vorbereitung fürs Drehen), 1946.

Jakob Stucki an der Drehscheibe, 1946.

Der Schwiegervater Adolf Gerber an der Drehscheibe. Mit einem Stichmass vornedran, lassen sich immer gleichgrosse Platten mit scharfkantigem Kragenrand (“Röstiplatten”) drehen, 1946.

Mit Hilfe einer Gispsform (nicht sichtbar , auf der Töpferscheibe) und einem Kaliber lassen sich Schüsseln und Teller auf sehr einfache Art und Weise auch von Hilfskräften drehen, 1946 (unbekannter Mitarbeiter).

  

Neben Erika Gerber-Stucki und Jakob Stucki waren 1946 weitere Malerinnen und Maler in der Werkstatt beschäftigt.

Der Blick in den elektrischen Brennofen und auf die Trockenbretter zeigt, dass kurz nach dem 2. Weltkrieg auch immer noch normales Haushalts- und Vorratsgeschirr gefragt war. In späteren Jahren setzte Erika Gerber den Töpferofen ein.

Keramik mit dem Dekor Alt-Langnau hatte eine grosse Bedeutung, zusammen mit Spruchtellern mit Motiven von Paul Wyss und quasi fotorealistischen Bauernhofansichten, die von einem deutschen Keramikmaler (Name leider unbekannt) als Einzelaufträge angefertigt wurden.

Vermutlich entstand in dieser Zeit (um 1946/1948) durch Jakob Stucki auch die Figurenserie zur Werkstatt Gerber, die sich heute im Regionalmuseum in Langnau befindet. Sie zeigt alle wichtigen Arbeitsschritte von der Tonaufbereitung bis zum Verkauf.

Der Anfang in der Werkstatt war für Jakob Stucki offenbar nicht einfach, da sich Schwiegervater und Schwiegersohn nur schwer über den künftigen Kurs der Werkstatt einigen konnten (Schneider 1979, 17).

Geschirr aus der Frühzeit von Jakob Stucki, um 1948/1955.

Mit Malhorndekoration und Ritzdekorakzentuierung auf dunkler Grundengobe orientierte sich Stucki in seinem Frühwerk daher offenbar bewusst an Heimberger und nicht an Langnauer Traditionen.

Geschirr mit dem Dekor “Alt-Langnau”, signiert Jakob Stucki, nach 1948.

Erst mit der Werkstattübernahme ab 1948 (SHAB 66, 1948, 1542, 29. Mai 1948) kehrte auch das Interesse an einem erneuerten Musterkanon «Alt-Langnau» zurück, den die Werkstatt Stucki mit ihren Keramikmalerinnen souverän beherrschte. Die Produktion von «Alt-Langnauer» Geschirr war in den folgenden Jahrzehnten immer eines der wirtschaftlichen Standbeine der Werkstatt . Der regelmässige Keramikverkauf über das Heimatwerk in Zürich sicherte die wirtschaftliche Basis. Die langjährige Geschäftsbeziehung wurde 1971 sogar durch eine Jubiläumsausstellung in Zürich gewürdigt.

Ab 1953 entstanden erste plastische Arbeiten, Jakob Stuckis «Töpferplastiken». Mit diesen nahm er erfolgreich an zahlreichen auch internationalen Ausstellungen teil. Sie begründeten für die Keramikliebhaber der Moderne seinen ganz speziellen Ruf. Ab 1955 und vor allem zwischen 1965 und 1973 kamen nach und nach auch Grosswandbilder zum Werk dazu (u.a. Firma Brügger Bern, Primarschulhaus Signau, Primarschulhaus Langnau, Kirchgemeindehaus Langnau, Restaurant Gurnigel, Pflegeheim Bärau, weitere Privataufträge, u.a. London).

1955-1962 Lehrtätigkeit auf dem Ggebiet der keramischen Technologie an der Gewerbeschule Thun.

Seine Engobemalereien verloren allmählich den für die 50er-Jahre so typischen «romantisch-niedlichen Zug». Eine schwere Krankheit (Bleivergiftung) zwang ihn schliesslich ab der Mitte der 1960er-Jahre, die Werkstatt personell zu verkleinern und sich eine neue Glasurenpalette zu erarbeiten, die nicht mehr auf Blei basierte (Schneider 1979, 22-23).

Spätestens jetzt wurden seine Engobemalereien, denen am Emmental und seinen Menschen oder dem schweizerischen Brauchtum orientierte zeichnerische Entwürfe zugrunde lagen, sehr eigenständig. Sie streiften alles Niedliche ab. Es entwickelte sich der für seine Arbeiten so typische, fein abgestufte, oft an Pointilissmus erinnernde Malhornstil (vgl. Titelbild des Aufsatzes und Abb. 3,1–4), der je länger je mehr auf zusätzliche Ritzung verzichtete. Jakob Stucki wollte seine Keramiken nicht als «naive, moderne Volkskunst» verstanden wissen. Er betrachtete seine Arbeit vielmehr als eine kompositorische, bewusst stilisierte Übersetzung von bäuerlichen Bildmotiven und Brauchtumsszenen in das 20. Jahrhundert. Jakob Stucki war für das Emmental, den Kanton Bern und die schweizerische Keramikszene einer der wichtigsten Keramiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Bis zu Jakob Stuckis Tod im Jahr 1982 wurde die Hafnerwerkstatt aktiv als Geschirr- und Kunsttöpferei genutzt. Nach seinem Tod führte die Witwe Erika Stucki Gerber die Werkstatt mit Hilfe von Drehern (Toni Gerber, N.N. Vanappel und Bernhard Stämpfli) und Keramikmalerinnen (u.a. Rosmarie Hausmann) bis zum Jahr 2000 weiter. Anschliessend vermietete sie die Hafnerei bis etwa 2004 an Bernhard Stämpfli, dem jedoch in der Nachfolge von Jakob Stucki kein durchschlagender Erfolg beschieden war. Nach dem Tod von Erika Stucki-Gerber wurde die Hafnerei aufgelöst und an einen anderen Handwerksbetrieb in Langnau verkauft.

Jakob Stucki – Erika Gerber – Ein persönlicher Blick von Wolfgang Bickel

Stammbaum Gerber-Kohler-Stucki-Aebi

Nachruf Bulletin KFS 1982

Bibliographie:

Aeschlimann 1928
Emil Aeschlimann, Alt-Langnau-Töpferei. Ein Beitrag zur Volkskunde. Beilage: Die rumänische Königin im Ilfis-Schulhaus, 8. Mai 1924, Bern 1928.

Bickel 2021
Wolfgang Bickel, Über den Glanz der Alten Engoben. Jakob Stucki (1920-1982) und die engobierte Irdenware des Emmentals. Neue Keramik, Januar/Februar 2021, 43-45.

Blum 1974
Robert Blum, «Ich bin ein Töpfer und ich bleibe ein Töpfer», Begegnung in Langnau. Der Töpfer und Plastiker Jakob Stucki, in: TV Radio Zeitung, März 1974.

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2014, 370.

Friedli 1972
Peter Friedli, Jakob Stucki, der Töpfer von Langnau i.E., in: Heimatwerk, Blätter für Volkskunst und Handwerk, 1972, Heft 2, 43–60.

Gerber 1985
Heinz Gerber, Die Langnauer Töpfereien. Ein kleiner Überblick, Langnau 1985.

Heege/Kistler 2017
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Laur 1955
E. Laur, Neue Emmentaler Töpferwaren, in: Heimatwerk, Blätter für Volkskunst und Handwerk 20, 1955, 152–155.

Ryser 2004
Dorothée Ryser, Jakob Stucki, der Mensch, der Töpfer, der Künstler. Begleitbroschüre zur Ausstellung vom 26. August bis 5. September 2004 im Kirchgemeindehaus Langnau, Langnau 2004.

Schneider 1979
Alfred Schneider, Der Töpfer Jakob Stucki (Suchen und Sammeln 4), Bern 1979.

Schnyder 1985
Rudolf Schnyder, Vier Berner Keramiker. Werner Burri, Benno Geiger, Margrit Linck, Jakob Stucki, Bern 1985.

Stucki-Gerber 1946
Jakob Stucki-Gerber, Wie ich Töpfer wurde, in: Heimatwerk, Blätter für Volkskunst und Handwerk 11, 1946, Heft 4, 111–114.

Langnau BE, Johann Martin Labhardt

Keramik von Johann Martin Labhardt in der Bilddatenbank

Andreas Heege, Andreas Kistler 2019

Aus unbekannten Gründen verkaufte Samuel Herrmann (1797–1845, Langnau, Werkstatt  5, «Hand 17c»?) die Liegenschaft Langnau Wiederbergstrasse 5 mit Nutz und Schaden auf 1. Mai 1842 an Peter Herrmann (1809–1871), den ältesten der vier Söhne von Peter Herrmann (1785–1840) aus der Hafnerei Höheweg 1, der sich damit als Hafner selbstständig machte (vgl. Langnau, Stammbaum Herrmann). Aus der Zeit zwischen 1842 und 1853 kennen wir keine Objekte die Peter (1809–1871) zugeordnet werden könnten. Dies ändert sich erst mit dem Arbeitsbeginn des Gesellen Johann Martin Labhardt aus Steckborn, Kanton Thurgau, in seiner Werkstatt (Langnau, Werkstatt 6, «Hand 22»). Die Lebensdaten von Johann Martin Labhardt sind bislang unbekannt (vgl. Früh 2005, 532, wobei unklar ist, ob es sich dabei um unseren Hafner oder einen Verwandten handelt).

Johann Martin hatte vorher, d. h. vom 26. Januar 1849 bis zum 29. April 1853, bei Johannes Krähenbühl (1828–?) in der Werkstatt Langnau, Dorfstrasse 30 gearbeitet (StAB Bez Signau B 19. GAL 671). Möglicherweise entstand dort die  oben abgebildete, ungewöhnliche, von ihm auch signierte Terrine, deren Blumen-Blättchengirlande unverkennbar Wurzeln in der Region Heimberg-Steffisburg und nicht in Langnau hat (MAHN AA 2055). Die Produktion könnte aber auch in Peters Werkstatt erfolgt sein oder in der von Johannes Herrmann (1802–1867) am Sonnweg 1. Dort arbeitete Martin Labhardt zwischen November 1853 und Oktober 1854 ebenfalls, bevor er Langnau endgültig den Rücken kehrte.

Die Terrine (MAHN AA 2055) trägt ungewöhnlich umfangreiche und ansonsten in Langnau unbekannte Sprüche: «Wenn dich die Lästerzunge sticht, so lass es dir zum Troste sagen, die schlechtesten Früchte sind es nicht, woran die Wespen nagen. Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reih, von schönen Tagen.» Auf dem Rand des Deckels steht: «Frisch und fröhlich, fromm und ehrlich, frei von Gemüth, ehrlich von Geblüt, diese Tugend, ziehrt die Jugend. // Vorgethan und nachgedacht, hat manchen in groß Leid gebracht.» Und am Deckelknauf liest man: «Rede wenig, mach es wahr, borge wenig, zahl es baar, sagt ein Sprichwort.» Den ersten Teil hat der Schreiber aus zwei unterschiedlichen Quellen zusammengefügt. Gottfried August Bürger (1747–1794), ein deutscher Dichter der Aufklärung und Autor der «Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen», veröffentlichte 1787 im Göttinger Musenalmanach das Gedicht «Trost», das den Passus mit der Lästerzunge enthält. Der zweite Teil stammt von Johann Wolfgang Goethe und erschien 1815 in einer Gedichtsammlung unter dem Motto «Sprichwörtlich». Für den Spruch auf dem Rand der Terrine und unter dem Knauf haben sich nur volkskundliche Nachweise aus Hausinschriften im Elsass, jedoch kein eindeutiges literarisches Zitat beibringen lassen. Die Zitate werfen gleichwohl ein Schlaglicht auf die Belesenheit und Bildung von Johann Martin Labhardt, der seinen Goethe offenbar gut kannte.

Dies zeigt auch ein ungewöhnliches und herausragendes Butterfass, das aufgrund der Signatur durch Johann Martin Labhardt in der Werkstatt von Peter Herrmann (1809–1871) gefertigt wurde (FWMC C.1911-1928). Leider hat jemand die Datierung ausgekratzt, jedoch lässt sich ansatzweise die Jahreszahl 1853 noch entziffern. Das Butterfass BU 7 wurde seitlich mit der alten Griffmulde 2 versehen, die sich von 1781 bis 1825 in der «Werkstatt 3, Hand 5, 6 oder 8» nachweisen lässt. Möglicherweise erbte Peter (1809–1871) den Model also von seinem Vater Peter (1785–1840) und nahm ihn 1842 mit in die neue Hafnerei Wiederbergstrasse 5.

Das Butterfass zeigt bei der Dekoration in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Neuheiten, die es so vorher in Langnau nicht gegeben hat. Zum einen wurde die weisse Grundengobe über einer schwarzbraunen Grundengobe aufgetragen, was nach dem Brand schwarzbraune, stärker hervortretende Ritzlinien ergab (Dekor 10). Zum anderen wurde der Lochdeckel des Butterfasses nicht nur mit einem Spruch von Goethe verziert, sondern zusätzlich mit manganviolettem Schwämmeldekor versehen (Dekor 03h). Der Spruch lautet: «Zwischen heut und morgen, liegt eine lange Frist – drum lerne schnell besorgen, da du noch munter bist.» Die Dekortechnik 10 lässt sich erst ab den späten 1830er-Jahren erstmals in der Region Heimberg/Steffisburg beobachten und gelangte möglicherweise dann, wie der Schwämmeldekor, mit Martin Labhardt nach Langnau (vgl. Heege/Kistler 2017/1, Kat. 164). Zusätzlich wurden dem Butterfass plastische Eicheln, Eichen- und Akanthusblätter auf der Aussenseite aufgelegt. In der oberen geritzten Zierzone finden sich vier Motive. Zum einen handelt es sich um zwei Landsknechte zu Fuss oder zu Pferd, zum anderen um eine in ihrer Art ganz ungewöhnliche Darstellung einer Steinbockjagd. Zwischen den Szenen befindet sich über den Griffmulden einmal die Darstellung eines Paares, das sich umarmt. Handelt es sich um den Gesellen (mit Ballonmütze auf dem Kopf und Pfeife im Mund) und seine Herzallerliebste, der man ihre harte landwirtschaftliche(?) Arbeit am Kopftuch und dem Zustand des Rocks ansehen kann?

Auf der anderen Seite sitzt ein schon etwas kahlköpfiger Mann (ein Narr?) auf einer Art fliegendem Teppich und zieht in spätmittelalterlicher Manier eine Grimasse. Eine unmittelbar vergleichbare Darstellung eines Grimassenschneiders findet sich auf einem anonymen, flämischen Dyptichon von 1520–1530, das das Universitätsmuseum in Lüttich verwahrt. Ein sehr ähnlicher Grimassenschneider bildet einen Teil eines mittelalterlichen Chorgestühls in der Abteikirche St. Pierre von Solignac (Limousin) in Frankreich. Eine intensive Literaturrecherche würde sicher noch mehr Beispiele zutage fördern. Hat Johann Martin Labhardt auf seiner Gesellenwanderung irgendeine dieser Darstellungen gesehen? Sollte der Grimassenschneider wirklich auf einem fliegenden Teppich sitzen, so müsste er auch eines der im frühen 19. Jahrhundert erstmals erschienen Bücher mit den «Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht» gelesen oder von diesen Geschichten gehört haben.

Der Sinn dieser einzelnen Darstellungen erschliesst sich nicht, auch nicht im Zusammenhang mit den übrigen. Möglicherweise zeigt der Geselle hier vor allem, was er kann! Dies wird deutlicher bei der Weinranke mit Trauben darunter und erst recht bei der Alpfahrt eines Küherhaushalts im unteren Teil des Butterfasses. Der Alpaufzug, vom gemieteten Winterquartier im Tal auf die hochgelegenen Sommerweiden, galt den Kühern als schönste Zeit des Jahres überhaupt. Die Schweine wurden typischerweise dem Herdenzug voran auf die Alp getrieben. Dann folgten wie üblich die Schafe oder Ziegen, die meist von Kindern oder Knechten oder Mägden geleitet wurden. Erst einige Zeit später brach der Küher mit dem eigentlichen Zug auf. Am Anfang ging immer die besonders geschmückte und erfahrene Leitkuh, der man manchmal den einbeinigen Melkstuhl verkehrt herum auf den Kopf band und mit Blumen schmückte. Anschliessend kamen die erfahrenen Kühe mit grossen Treicheln an breiten ledernen Halsriemen. Es folgten die jüngeren Glockentiere mit weiteren Treibern. Den Abschluss bildete der «Plunderwagen» (Gestellwagen, Leiterwagen oder Bernerwägeli), auf dem nicht nur der ganze Hausrat inklusive des hölzernen Milchgeschirrs, sondern oft auch Schweine und Hühner oder ein älteres Küherpaar Platz hatten.

Betrachtet man die Bilder, so könnte man fast meinen, dass ein zweites Butterfass, ebenfalls aus dem Jahr 1853, als Fortsetzung der Bildergeschichte gedacht war (MKGH 1910-401). Wir sehen die Alp oder ein Maiensäss mit Gebäuden. Auf der Alpweide steht eine stattliche Kuh, im Hintergrund sehen wir die Alphütte, vor der der Senn sein kurzes Alphorn bläst. Ein Hund als treuer Bewacher oder Hilfstreiber, oft ein Entlebucher oder Appenzeller, darf natürlich nicht fehlen. In der nächsten Szene wird eine Kuh gemolken und anschliessend wird der Rahm im Stossbutterfass zu Butter verarbeitet. Das Butterfass trägt ebenfalls manganvioletten Schwämmeldekor mit unterschiedlich zugeschnittenen Musterschwämmchen, kombiniert mit einem umlaufenden Rollstempel im oberen Teil. Dazu findet sich eine Blumengirlande, die auch Trauben und Weinblätter enthält, die dem vorhergehenden Butterfass entsprechen. In der zweiten Zierzone mit den tordierten Griffmulden finden sich zwei Sprüche, die man auch heute noch gut beherzigen kann: «Lass einen jeden, wer er ist, so bleibst du auch, wer du bist» und «Auf Freund nicht bau, nicht jedem trau, auf dich selbst schau, sei nicht zu gnau.» Die leider ausgekratzte und überschmierte Datierung lässt sich nach einer restauratorischen Freilegung wieder als «1853» lesen. Die Blumengirlande in der unteren Zierzone findet gute Entsprechungen auf der schon beschriebenen Terrine (MAHN AA 2055). Das ungewöhnliche Butterfass gelangte 1910 als Geschenk von Heinrich Angst, dem ersten Direktor des Schweizerischen Landesmuseums, an das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, nachdem es 1909 in Zürich auf einer Auktion als «Bern, Langnau, Museumsstück, Anfang XIX. Jahrh.» angeboten worden war.

  

Zur Thematik der Alp und der Alptiere passt auch ein Nidlenapf auf Pokalfuss, den Johann Martin Labhardt am 1. Juni 1853 dekorierte und durch Einritzen seiner Initialen auf der Unterseite des Fusses signierte (BHM 6408). Im Inneren des Napfs sehen wir zwei Ziegen im spielerischen Kampf und darunter die Ortsangabe «Langnau». Die Umschrift lautet: «Ich kleiner Napf, ich armer Narr, ich wurd gemacht am halben Tag den 1. Juni 1853 // Christen Gerber im Stadel war Alpmeister zu Gmünden im Jahr 1853.» «Im Stadel» ist ein Bauernhof im Gohlgraben südlich unweit der Alp Gmünden.

Hat man Johann Martin Labhardts Handschrift und Dekorationstechnik erst einmal erkannt, dann lassen sich ihm und damit vermutlich auch der Werkstatt Peter Herrmanns weitere Keramiken zuordnen, die ein besonderes Licht auf seine Persönlichkeit oder die des Hafnermeisters werfen. Hierzu gehört vor allem ein 1853 datierter und «P H» signierter Teller TAS 4 mit Abtropfsieb (Privatbesitz). In Kenntnis der Signatur von Johann Martin (vgl. BHM 6408) könnte man das «H» zusätzlich auch als Ligatur der Buchstaben «JML» lesen. Auf dem Rand finden wir die typische Blumengirlande, die Rückseite trägt den üblichen Langnauer Spritzdekor 04b. Etwas ganz Besonderes bietet die Dekoration des Spiegels. Wir sehen einen eher bürgerlich gekleideten, glatzköpfigen alten Mann mit erwartungsvoll aufgerissenem Mund, der dabei ist, mit Messer und Gabel ein geschlachtetes Schwein zu verzehren. Seitlich finden wir Geräte der Landwirtschaft, links einen Pflug, ein Käsereff, eine Giesskanne für den Bauerngarten und ein Kornsieb, rechts Sichel, Sense, Rechen und Mistgabel. Zwei Sprüche ober- und unterhalb erläutern gesellschaftskritisch die Szene:

«Lass dir rathen liebes Herz,
Quäle nie ein Thier zum Scherz»

und

«Ein ieder kennt den Nähr, den Lehr= und Wehrstand,
Es sind in aller guter Dinge drei,
Doch reimet sich auf alle auch der Zehrstand.
Wann ist es denn mit dem einmal vorbei?»

In diesem Gedicht ist der altertümliche Begriff «Zehrstand» für die meisten heutigen Leser wohl unverständlich. Johann Christoph Friedrich Haug (1761–1829, deutscher Lyriker) setzte den Zehrstand in seinen 1807 in Zürich gedruckt erschienenen «Epigrammatischen Spielen» mit den «Advocaten» gleich. Der Lehrstand sind entsprechend die Priester, der Wehrstand Soldaten und Adel, der Nährstand der Acker- und Kaufmann. In einem Buch, das 1798 Kaiser Joseph II. gewidmet wurde, wird der Zehrstand mit den Beamten gleichgesetzt. In einem weiteren, 1817 verfassten Artikel wird der Zehrstand mit der «vermöglichen Geistlichkeit» identifiziert, und in einer 1784 erschienen bayerischen Abhandlung werden Geistliche und Beamte, vor allem Gerichts- und Verwaltungsbeamte, mit diesem Begriff assoziiert. Und die «Allgemeine deutsche Bürgerzeitung No. 28 vom 5. April 1832», setzt den Niederen Adel, der nach Staatsstellen strebt, mit dem Zehrstand gleich. Offenbar beschäftigt sich der Teller also mit einem uneinheitlich definierten Begriff, bei dem im Einzelnen nicht klar ist, ob es nun um die Kirche und ihre Priester, Pastöre und Ordensleute oder um den Staat und seine Beamten geht. Das Bild in der Mitte des Tellers impliziert letzteres. Der Teller nimmt also Stellung zu einem immer wieder aktuellen Thema, der Frage nach dem richtigen Mass staatlicher Verwaltung. Heute würden wir die aufgeworfene, so pauschal auch damals sicher nicht gerechtfertigte Frage, wohl als «Verwaltungs-Bashing» bezeichnen. Über wen in Langnau oder Bern haben sich Johann Martin Labhardt und Peter Herrmann 1853 wohl geärgert?

Dem Dekorations- und Zeichenstil nach gehören zur Produktion von Martin Labhardt auch drei weitere Keramiken, zwei Teller TLR 3c und ein Teller TAS 7 mit Abtropfsieb (MAHN AA 1170, MKB VI-02218, SNM LM-040724,). Alle drei zeichnet aus, dass sie aus unbekannten Gründen falsche Datierungen tragen: 1777, 1502 und 1620. Selbst in Unkenntnis der Arbeitszeit Labhards in Langnau (1849–1854) wäre heute aufgrund der gewählten Gefässformen und der Dekorationstechnologie klar, dass die Datierungen nicht stimmen können. Aber ob dies zu Lebzeiten der Hersteller den potenziellen Kunden der Hafner auch klar war? Oder sollten hier die Daten ein höheres Alter vortäuschen, um auf diesem Weg unerfahrene Kunden – eventuell die ersten englischen Touristen und Andenkensammler oder gar die ersten «Langnau-Sammler» – zum Kauf zu animieren? Der Teller von «1777» zeigt eine aufregende Wildschweinjagd (MKB VI-02218). Die Rückseite trägt den klassischen Langnauer Dekor 06d. Der Teller von «1502» überliefert den Spruch: «Mehr wert als Geld und Gut, ist doch ein froher Mut» (SNM LM-040724). Der stärker beschädigte Teller von «1620» trägt in einer Kartusche den Spruch «Die Zeit die fällt mir gar zu schwer, Ach wenn mir bald die Mahlzeit wer». Darunter befindet sich ein von Blumenzweigen eingefasster Hahn (MAHN AA 1170). Pfarrer Karl Ludwig Gerster (1848–1923) aus Kappelen bei Aarberg hielt den Teller jedenfalls für echt und bezeichnete ihn 1911 als «älteste Langnauer Platte» (Gerster 1911, 141).

Stammbaum Hafner Herrmann, Langnau

Bibliographie

Früh 2005
Margrit Früh, Steckborner Kachelöfen des 18. Jahrhunderts, Frauenfeld 2005.

Gerster 1911
Ludwig Gerster, Sprüche und Inschriften auf Bauerngeschirr und Glas, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 15, 1911, 138-147, 204-213.

Heege/Kistler 2017/1
Andreas Heege/Andreas Kistler, Poteries décorées de Suisse alémanique, 17e-19e siècles – Collections du Musée Ariana, Genève – Keramik der Deutschschweiz, 17.-19. Jahrhundert – Die Sammlung des Musée Ariana, Genf, Mailand 2017.

Heege/Kistler 2017/2
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017, 380-386