CHESA PLANTA
Mulins 6
7503 Samedan
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Keramik der Chesa Planta in CERAMICA CH
Die Chesa Planta in Samedan, das grösste Patrizierhaus des Engadins, ist ein rätoromanisches und engadiner Kulturzentrum mit überregionaler Ausstrahlung.
Das Haus birgt neben einem Museum für Wohnkultur der Engadiner Patrizier des 18. und 19. Jahrhunderts mit kostbarer Raumausstattung und passenden Kachelöfen, eine bedeutende Bibliothek. Seit der Überführung des ehemaligen Stammsitzes der Familien von Salis und später der von Planta in die gemeinnützige Stiftung Fundaziun de Planta (1943) ist die Chesa Planta der Öffentlichkeit als Kulturzentrum zugänglich und gilt als Hort rätoromanischer Kultur.
Insgesamt konnten 113 Keramiken erfasst werden (49 Irdenware, 7 Fayence, 25 Steingut und 32 Porzellan), die alle schon vor der Stiftungsgründung 1943 im Haus waren.
Der Bestand an Irdenwaren umfasst nur eine kleine Gruppe relativ jungen Küchen- und Haushaltsgeschirrs. Dazu gehören einige wenige, grosse Schüsseln mit scharfkantigem oder massivem Kragenrand, die wohl alle nach 1870 in der Region Berneck SG entstanden sein dürften.
Schwarzbraun glasiertes Geschirr ist nur mit drei Formen (Modeln) vertreten, bei denen letztlich nicht entschieden werden kann, welche Art Gericht damit verziert werden sollte: Gebäcke, Pasteten oder Puddings (Jelly)? Die beiden kleinen Formen gehören vermutlich in den Kontext des Kinderspielzeugs (Miniatur-Gugelhupfformen). Die drei Formen dürften in der Deutschschweiz entstanden sein, für den Fisch gibt es ein gutes Vergleichsbeispiel aus dem Musterbuch der Tonwarenfabrik Aedermannsdorf von 1895 (Nr. 66).
Zwei Henkeltöpfe (Milchtöpfe) sind mit ihrer rosafarbig wirkenden Grundengobe und dem Pinsel- bzw. Schablonendekor (mit der Spritzpistole aufgetragen) typische Vertreter der 1920er- bis 1940er-Jahre. Ähnliche Objekte finden sich in fast allen Museen Graubündens. Sie tragen meist eine Grössen- jedoch nie eine Fabrikmarke, sodass wir nicht wissen, wo sie (in der Deutschschweiz?) hergestellt wurden.
Aus der Kunsttöpferei Max Laeugers in den Tonwerken Kandern im Südschwarzwald stammt eine einzelne, sehr schöne und signierte Jugendstilvase, die zwischen 1900 und 1913 entstand.
Besonders spannend ist bei den Irdenwaren jedoch ein Komplex von 40 Modeln, die zur Verzierung von Lebkuchen, Bibern, Tirggel, Springerle, Anisbrötchen, Marzipan, Tragant, Quittenpaste bzw. Mandel- oder Eierkäse verwendet werden konnten (Morel 2000, 101; Bernerisches Koch-Büchlein 1749, Rezept 303; Widmer/Stäheli 1999, 32-37; Stäheli/Widmer 2020, 18-19). Die Masse dieser Model dürfte aus der zwischen 1643 und etwa 1850 aktiven Bossierer-Werkstatt Stüdlin in Lohn im Kanton Schaffhausen stammen (Widmer/Stäheli 1999; Wipf 1984). Es fanden sich unglasierte, glasierte sowie glasierte und gelochte Model. Wie diese Model in die Chesa Planta gelangten, ist unklar.
Verschiedenste Motivgruppen (Tiere, Menschen, Allegorien, religiöse Szenen und Blumensträusse) sind belegt. Zum Model der Ceres ist die zugehörige signierte Patrize von Hans Melchior Stüdlin aus dem Jahr 1682 bekannt (Museum Allerheiligen, Inv. Nr. 6513; Widmer7Stäheli 1999, Abb. 9). Die erkennbaren Tracht- und Kleidungsdetails, vor allem der unglasierten, aber auch einiger glasierter Model verweisen in die Zeit zwischen 1630/50 und etwa 1700. Dies entspricht der aktiven Zeit von Hans Melchior I und II und Hans Caspar I und II Stüdlin. Ob die nachfolgenden Generationen noch neue Motive entwarfen oder nur die alten Patrizen bis zum Werkstattende weiterverwendeten, ist ungeklärt.
Bei den glasierten Modeln, die allgemein als “Quittenpastenmodel” angesehen werden, ist die Anzahl der Personendarstellungen anscheinend geringer als bei den unglasierten Modeln. Jedoch gibt es auch hier solche, die aufgrund ihrer Kleidung und auch aufgrund der charakteristischen “Dreiblättchen” am Boden ins 17. Jahrhundert gehören.
Wesentlich häufiger erscheinen jedoch Blumen, Früchte und Tiere, die vor allem im Bild der schnäbelnden Tauben über einem Herzen, leicht als Liebesmotive zu erkennen sind.
Der Model mit den schnäbelnden Tauben liefert darüberhinaus einen Hinweis auf den Zusammenhang zwischen glasierten und unglasierten Modeln, da das Motiv bereits von den Modeln des Rätischen Museums bekannt ist. Der Model RMC XI.438d (oben) ist ca. 20 % grösser als der vorliegende Model der Chesa Planta. Allerdings sind die Details so übereinstimmend, dass an einen fertigungstechnischen Zusammenhang gedacht werden muss: Die Fertigung des glasierten Models erfolgte mit Hilfe einer gebrannten Patrize, die aus dem Model RMC XI.438d ausgeformt wurde. Dies ergäbe zwei Brenn- und Schrumpfungsprozesse von je 8-10%. Wenn dies zutrifft, dann läge hier ein weiterer Beleg vor, dass glasierte und unglasierte Model vom selben Hersteller stammen und die Motive möglicherweise über einen längeren Zeitraum tradiert wurden.
Ein einziger Model, von dem nur eine Hälfte erhalten ist, belegt, dass auch vollplastische Figuren ausgeformt und wohl zu Dekorationszwecken verwendet wurden. Es handelt sich um einen kleinen Vogel (oder vielleicht ein Huhn?).
Glasierte Model mit Löchern werden gern mit der Herstellung von geformten Mandel- oder Eierkäsen in Verbindung gebracht. Dabei wurden Milch, Eier, Mandeln und Zitronensaft erhitzt und zum Gerinnen gebracht und anschliessend die festere, breiartige Masse in die gelochten Formen geschüttet. Durch die Löcher konnten die Molkenreste ablaufen. Erkaltet wurde der Inhalt aus der Form gestürzt und an Festtagen ordentlich überzuckert aufgetragen. Die vorliegende Form ergibt einen liegenden Löwen.
Die Anzahl der Fayencen in der Chesa Planta ist nicht gross. Unter anderem fanden sich neben einem Teller aus Kilchberg-Schooren ZH fünf der üblichen “Boccalini” für den Ausschank und das Konsumieren von Rotwein (Veltliner). Die Herstellungsorte dieser Keramik dürften in Norditalien zu suchen sein.
Ein einzelnes Stück ist wohl etwas jüngeren Datums und dürfte wegen der Aufschrift LITRO” und der Blindmarke “SCI” (Lombardei, Laveno, Società Ceramica Italiana?) im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert entstanden sein. Das Stück ist durch eine eingebohrte Bleimarke zusätzlich geeicht.
Steingut ist, wie üblich, mit einem grösseren Spektrum an Herstellern aus Europa und den Funktionssegmenten Haushaltsgeschirr und Hygienekeramik vertreten.
Aus der englischen Produktion von Wegdwood, Etruria, stammt z.B. eine kleine, gemarkte Füsschenschale mit durchbrochenem Boden (um 1840). Eine ebenfalls durchbrochen gearbeitete Schale auf hohen Fuss mit zwei Horizontalgriffen, dürfte jüngeren Datums sein.
Aus Zell am Harmersbach, das neben Schramberg einer der wichtigsten Steingutimporteure in die Schweiz war, stammt eine schöne Teekanne mit blauem Umdruckdekor (um 1840-1850). Die abgebildeten Szenen zeigen wohl eine englische Jagdgesellschaft.
Zur Historismus-Ausstattung des Hauses gehören noch eine schön metallgefasste Jadiniere aus der Porzellan- und Steingutfabrik von Ludwig Wessel, in Bonn-Poppelsdorf (um 1890-1910) bzw. ein Serviertablett der hessischen Steingutfabrik in Wächtersbach (um 1875-1900).
In der Küche fand sich ausserdem eine Steingut-Vorratsdose für “Dr. Liebigs Fleisch-Extrakt”(Entwicklung ab den 1840er-Jahren, industrielle Umsetzung ab ca. 1862 in Uruguay, grosse Erfolge im späten 19. Jh.; Teuteberg 1990).
Das einfache Essgeschirr aus Steingut stammt sowohl aus ausländischen Keramikfabriken (Wallerfangen, Sarreguemines) als auch aus der Schweiz (Möhlin AG).
Zwei typische Waschgarnituren der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestehen aus Steingut mit Umdruckdekor. Die erste wurde um 1880-1900 bei Villeroy & Boch in Mettlach hergestellt, die zweite zwischen 1850 und 1867 bei W.T. Copeland & Sons in Stoke-on-Trent, Staffordshire. Zusätzlich findet sich auf dem Boden der Waschkanne die Druckmarke (Händlermarke, Haushaltswarengeschäft?) «FRATELLI KAISER à SAMADEN». Daher handelt es sich um eine direkte Geschirrorder in England. Zu diesem Händler finden sich in Graubünden auch jüngere Produkte: RMC H1983.52.
Typische Zusatzausstattung für Bäder oder Waschgelegenheiten sind Eimer für den Schmutzwassertransport, hier ein Beispiel der Firma Keller & Guérin aus Lunéville (um 1880-1920).
Bislang singulär ist ein hölzernes Bidet-Möbel mit einem Steingut-Einsatz aus französischer Produktion (um 1900-1930).
Unter den Porzellanobjekten der Chesa Planta fanden sich einige Überraschungen. Dazu gehören vor allem diese drei Porzellanuntertassen, aus der ältesten niederländischen Porzellanmanufaktur Weesp bei Amsterdam, die bald nach 1760 entstanden sein dürften. Die Manufaktur bestand nur in dem kurzen Zeitraum von etwa 1759 bis 1770 (Rust 1978, veraltet; Heeckeren van Waliën 1977; Röntgen 1996, 291 Fig. 788-790. Ausserdem: https://chjacob-hanson.com/museum-weesp-home-to-dutch-porcelain-treasures-by-gerverot-and-duvivier/. Vergleichsobjekt: Metropolitan Museum New York, Inv. 06.361a, b). Die Rückseite trägt jeweils eine blaue Pinselmarke gekreuzte Schwerter mit drei Kugeln. Das ist das Familienwappen des Manufakturgründers Graf van Groensveld-Diepenbroick-Impel (1715-1772) und nicht zufällig eine Anlehnung an die Meissener Schwerter. Es ist eigentlich nicht vorstellbar, dass diese drei Stücke auf dem normalen Handelsweg ins Engadin gelangt sind. Vielmehr muss mit einer personengebundenen Übertragung, z.B. durch bündnerische Offiziere in niederländischen Diensten gerechnet werden. Nach dem Alter der Objekte könnten sie aus dem Haushalt des Rudolf von Salis-Sils (1724-1795) stammen, der das Haus mit seinem Um- und Ausbauten massgeblich prägte. Er war u.a. auch Landeshauptmann im Veltlin.
Ebenfalls aus seinem Besitz dürfte eine grosse, ovale Suppenschüssel mit Zwiebelmusterdekor aus Meissener Produktion stammen., die zwischen etwa 1774 und 1790 gefertigt worden sein dürfte.
Ein Meissener Körbchen aus der Zeit um 1800-1830, dürfte bereits zur nächsten Besitzergeneration von Planta-Salis gehören.
Anna Cleophea von Salis-Sils (1766-1835) heiratete 1789 Florian von Planta (1763-1843), Landammann des Oberengadins, Gesandter zu Napoleon (1802-1803), später Gesandter an der Tagsatzung.
Möglicherweise entstand aus Anlass der Hochzeit 1789 ein Service aus Nyon-Porzellan mit den Wappen von Planta (Bärentatze) und von Salis (Weide), von dem sich geringe Reste erhalten haben.
Etwas jünger (um 1820-1830?) dürfte ein ähnlich bemaltes Kaffee- und Teeservice sein, für das jedoch ungemarktes Weissporzellan (aus Deutschland oder Frankreich ?) verwendet wurde.
Ob Florian von Planta (1763-1843) die wunderhübsche Empire-Tasse (leider ungemarkt) wohl von seiner Reise zu Napoleon (1802-1803) aus Paris mit nach Hause brachte?
Zur Historismus-Ausstattung der Chesa Planta gehört auch eine bemalte Porzellankanne aus der Gräflich Thun’sche Porzellanfabrik, Klösterle bei Eger (Böhmen, heute Tschechien), die wohl zwischen 1880 und 1900 angefertigt wurde.
Eine weitere, leider ungemarkte Porzellan-Waschgarnitur kann keinem Herstellungsland zugeordnet werden. Aufgrund der Formen wäre eine Historismus-Datierung im späten 19. Jahrhundert wohl am wahrscheinlichsten.
Die übrigen im Haus verbliebenen Gebrauchsgeschirre aus Porzellan datieren erst ins 20. Jahrhundert und stammen aus Deutschland und der Schweiz.
Dank
Die CERAMICA-Stiftung dankt der Geschäftsführerin der Chesa Planta Samedan, Martina Shuler-Fluor, sehr herzlich für die freundliche Unterstützung der Inventarisationsarbeiten.
Bibliographie:
Bernerisches Koch-Büchlein 1749
Bernerisches Koch-Büchlein (Nachdruck 1970), Bern 1749.
Heeckeren van Waliën 1977
F. van Heeckeren van Waliën, Catalogus van de collectie Weesper porselein, Gemeentemuseum van Weesp (Hrsg.), Weesp 1977.
Morel 2000
Andreas Morel, Basler Kost. So kochte Jacob Burckhardts Grossmutter (178. Neujahrsblatt, herausgegeben von der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige), Basel 2000.
Röntgen 1996
Robert E. Röntgen, The book of Meissen, Exton 2 Auflage 1996.
Rust 1978
J. Rust, Nederlands Porselein, Schiedam 1978.
Stäheli/Widmer 2020
Cornelia Stäheli/Hans Peter Widmer, Honig den Armen, Marzipan den Reichen. Ostschweizer und Zürcher Gebäckmodel des 16. und 17. Jahrhunderts Zürich 2020.
Teuteberg 1990
Hans-Jürgen Teuteberg: Die Rolle des Fleischextrakts für die Ernährungswissenschaften und den Aufstieg der Suppenindustrie. Kleine Geschichte der Fleischbrühe, Stuttgart 1990
Widmer/Stäheli 1999
Hans Peter Widmer/Cornelia Stäheli, Schaffhauser Tonmodel. Kleinkunst aus der Bossierer-Werkstatt Stüdlin in Lohn, Schaffhausen 1999.
Wipf 1984
Hans Ulrich Wipf, Handwerk und Gewerbe auf der Schaffhauser Landschaft im Ancien régime: Dargestellt am Beispiel der Gemeinde Lohn, in: Schaffhauser Beiträge zur Geschichte 61, 1984, 95-148, bes. 145-146.