Geiger, Benno (1903–1979), Wien, Aedermannsdorf SO und Bern BE

Benno Geiger, 1960er-Jahre (Foto Martin Hesse, Nachlass Benno Geiger)

Keramikobjekte in CERAMICA CH

Benjamin Geiger, Roland Blaettler und Andreas Heege 2020

Die folgende kurze Zusammenstellung beruht auf der untenstehenden Literatur und einer von Benjamin Geiger aufgrund des Nachlasses von Benno Geiger zur Ausstellung in Matzendorf im Jahr 2019 verfassten biographisch-familiengeschichtlichen Übersicht (überarbeitet im Mai 2020).

Benno Geiger (1903-1979) hat deutsche und schweizerische Wurzeln. Er wurde in Engelberg geboren und wuchs in Lugano auf. Die Eltern erwarben 1913 das Burgerrecht von Bosco Gurin. Seine Familie war stark kunsthandwerklich geprägt (Elfenbeinschnitzer, Holzschnitzer, Bildhauer, Tischlermeister). Benno lernte das Modellieren an der Kunstgewerbeschule in Lugano.

Benno Geiger als Mitarbeiter in der Werkstatt Meister in Dübendorf (Familienarchiv Meister &Cie, Christine Hobi-Meister).

Anschliessend absolvierte er von  November 1920 bis 1922 als erster Lehrling dieser Werkstatt eine Töpferlehre bei Heinrich Meister in Dübendorf (autobiographisches Manuskript aus dem Jahr 1972 im Nachlass Geiger, ausserdem Kölliker 2014, 84-85).

Benno Geiger, stehend, beim Modellieren einer Figur in der Werkstatt Meister (Nachlass Benno Geiger).

1923 bildete er sich in München-Schwabing bei dem Schweizer Keramiker Paul Speck (1896-1966) weiter und arbeite von Herbst 1923 bis September 1925 erneut als Mitarbeiter bei Heinrich Meister.  Vermutlich aus dieser Zeit oder aus den Jahren 1927/1928 hat sich eine Vase im Keramikmuseum in Matzendorf erhalten, die “Meister/Geiger” signiert ist (KMM 485).

Von  Herbst 1925 bis Oktober 1927 studierte Benno Geiger bei dem österreichischen Keramikdesigner und Bildhauer Michael Powolny an der Wiener Kunstgewerbeschule, und nahm anschliessend ein kurzes, schlecht bezahltes Engagement bei Friedrich Goldscheider an, bevor er 1927-1928 noch einmal zu Heinrich Meister nach Dübendorf zurückkehrte (vgl. auch Kölliker 2014, 85).

Die Fähigkeiten von Benno Geiger wurden in Wien offenbar so hoch eingeschätzt, dass man ihm im Herbst 1928 erneut eine Stelle anbot und ihn 1929 zum Künstlerischen Leiter der  Abteilung für moderne Keramik machte. Bis 1933 schuf er in der Wiener Manufaktur von Friedrich Goldscheider zahlreiche Modelle (u.a. KMM 486; vgl. auch Neuwirth 1974 und vor allem Dechant/Goldscheider 2007) und lernte dort die marktwirtschaftlich notwendige Produktion für verschiedene Käuferschichten, die er selbst mit “Kitsch-, Halbkitsch- und Edelkollektion” bezeichnete.

Schale im Stil der Goldscheider-Phase, vermutlich aus der Wiener Zeit oder unmittelbar aus den Anfängen in Aedermannsdorf.

Die nationalsozialistische Machtergreifung und die Boykottierung seines Arbeitgebers u.a. auf der Leipziger Messe, bewegten Benno Geiger schliesslich zu einer Beendigung seines Engagements im Mai 1933. Er verliess Wien im Herbst 1933.

Von Ende 1933 bis April 1934 lebte er als freier Künstler in Paris. Anschliessend kehrte er in die Schweiz zurück, wo er im Juni 1934 den Besitzer der Tonwarenfabrik Aedermannsdorf  Alfred von der Mühll kennenlernte, der ihn ab August 1934 als Leiter der Kunstkeramischen Abteilung einstellte. Vereinbart wurde , dass die produzierte Kunstkeramik die Aedermannsdorfer Fabrikmarke tragen sollte, aber als “Geigerkeramik” vermarktet würde. Geiger hatte ein- oder mehrmals jährlich eine  künstlerisch hochstehende Kollektion zu entwerfen, sich um die Ausführung eingehender Aufträge zu kümmern und auch Muster herzustellen, die “künstlerisch oder geschmacklich nicht in seine Abteilung gehören”. Dafür durfte er gleichzeitig für sich auch eigene Arbeiten anfertigen (Arbeitsvertrag im Nachlass Geiger).

Unter Direktor von der Mühll erfolgte mit der 1934  neu geschaffenen Kunstabteilung eine Ausweitung im Angebot von Gebrauchsgeschirr (Messerli 2017, 118-123). Geiger nahm die Technik der Fayence wieder auf und erneuerte sie durch eigene Recherchen besonders auf dem Gebiet des Rauchbrandes (z. B. KMM 460; KMM 349).

Im Geiste des Heimatstils der Vorkriegs- und Kriegszeit entwickelte er aus marktwirtschaftlichen Gründen auch das Geschirr «Alt-Matzendorf» und Darstellungen von Trachtenbildern (z.B. KMM 510; KMM 403; KMM 497; KMM 410; KMM 493).

Seine Ritzdekore auf Engobeware oder auf Fayence sind zugleich rückwärtsgewandt und modernistisch (z. B. KMM 469; KMM 380; KMM 341).

Mit der Anstellung in Aedermannsdorf hatte Benno Geiger endlich auch die wirtschaftliche Grundlage, um am 11. September 1935 seine langjährige Freundin, die Keramikerin Eva Kowarcz , heiraten zu können. Das Paar kannte sich bereits seit 1925. Bis zum Januar 1939 lebten sie in Matzendorf, anschliessend in Basel und Balsthal bevor sie dauerhaft nach Bern umzogen.

1939 bewarb sich Benno Geiger erstmals um die freigewordene Stelle des Leiters der Keramikfachschule in Bern, da Jakob Hermanns, der bisherige Fachlehrer 1937 pensioniert und 1938 verstorben war (Messerli 2017,  107-108).  Der bernische Regierungsrat  schloss die Schule jedoch stattdessen am 24. März 1939 mit Wirkung zum 30. Oktober. Erst auf massiven Druck von verschiedenen Seiten (u.a. des Verbands Schweizerischer Töpfermeister und Tonwarenfabrikanten) korrigierte der Regierungsrat diese Entscheidung. Im Dezember 1940 wurden die Stellen des Leiters und eines Fachlehrers neu ausgeschrieben und 1941 schliesslich mit Benno Geiger und Werner Burri besetzt. Der Schulbetrieb wurde am 19. Mai 1941 in den alten Lokalitäten in der Felsenburg wieder aufgenommen bevor am 1. November 1942 ein Umzug der Keramischen Fachschule in grössere Räumlichkeiten an der Spitalackerstrasse 63 in Bern erfolgen konnte (Messerli 2017, 112). Benno Geigers Aufgaben als Leiter und Keramiklehrer waren die Berufskunde, die Glasur- und Brenntechnik und die Malstube (d.h. die Keramikmalerinnen) im 3. Lehrjahr. Das Thema Fachschule soll an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden (vgl. dazu Messerli 2017, 107-123).

Seine Arbeiten in Aedermannsdorf musste er zunächst auf 20%, dann auf 10% reduzieren und gab Mitte 1948 seine Stelle dort schliesslich ganz auf, um sich bis zu seiner Pensionierung 1969 vollständig der Fachschule (Geiger 1952), der Publikation leicht verständlicher Lehrmittel (Geiger 1947; Geiger 1957), der Jurorentätigkeit, der Arbeitsgemeinschaft Schweizer Keramiker, zahlreichen Ausstellungen (Liste in Schnyder 1985, 33-36) und meist an den Wochenenden seinen eigenen “Atelierarbeiten” widmen zu können, die er bis zu seinem Tod 1979 fortsetzte.

   

Von diesen Atelierarbeiten verwahrt das Keramikmuseum Matzendorf, das Benno Geigers Werk 1991 (Aedermannsdorf 1991) und 2019 mit einer Ausstellung ehrte, einen ansehnlichen Bestand (z.B. KMM 321; KMM 322; KMM 323; KMM 324).

Zu seinen Atelierarbeiten gehören auch zahlreiche plastische Werke, wie z.B. die Musikantinnen, die vor 1957 entstanden sind.

Eine seiner herausragenden Arbeiten ist die Figurengruppe “Das Urteil des Paris” (Figurenhöhe 42, 33 und 32 cm):

Fotos Werner Singer, Uhwiesen, www.tabouret.ch  (Herzlichen Dank für das Bildmaterial!)

Zahlreiche Keramiken von Benno Geiger wurden 2017 im Auktionshaus Schuler in Zürich  (herzlichen Dank für die zur Verfügung gestellten Fotos) versteigert und befinden sich heute weitestgehend im Keramikmuseum Matzendorf (s.u.). Sie illustrieren eindrucksvoll die Bandbreite des keramischen Schaffens von Benno Geiger, der neben Werner Burri, während 28 Jahren eine grosse Zahl schweizerischer Keramikerinnen und Keramiker sowie Keramikmalerinnen und -maler mit seinem Stil und seinen künstlerischen Vorstellungen prägte.

      

Alle Objekte im Keramikmuseum Matzendorf (Fotos Schuler-Auktionen Zürich. Herzlichen Dank).

Objekte in Privatbesitz (Fotos Schuler-Auktionen Zürich. Herzlichen Dank):

Bibliographie:

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2014, 40 und 356.

Dechant/Goldscheider 2007
Robert E. Dechant, Filipp Goldscheider, Goldscheider – Firmengeschichte und Werkverzeichnis. Stuttgart 2007.

Fachschule Bern 1960
Kunstgewerbemuseum Zürich (Hrsg.), Die Keramische Fachschule Bern und ihre Schüler – Kleine keramische Technologie, Schülerarbeiten, Arbeiten ehemaliger Schüler, Zürich 1960.

Aedermannsdorf 1991
Freunde der Matzendorfer Keramik (Hrsg.): Benno Geiger 1903-1979. Aedermannsdorf 1991.

Geiger 1947
Benno Geiger, Keramisches ABC, Bern 1947.

Geiger 1952
Benno Geiger, Keramische Fachschule Bern 1941 -1951, Bern 1952.

Geiger 1957
Benno Geiger, Keramisches Gestalten. Eine Anleitung mit über 300 Beispielen und vielen Anregungen für Laien und Fachleute (Hochwächter-Bücherei Band 19), Bern 1957.

Geiger 1967
Martin Geiger, Ein Gespräch mit dem Keramiker Benno Geiger, in: Das Werk. Architektur und Kunst 54, 1967, 799-802.

Kölliker 2014
Richard Kölliker, Meister-Keramik – Heinrich und Gertrud Meister-Zingg und ihre Kunstkeramik Werkstatt in Dübendorf-Stettbach 1920–1961. Selbstverlag., Schaffhausen 2014.

Messerli 2017
Christoph Messerli, 100 Jahre Berner Keramik, von der Thuner Majolika bis zum künstlerischen Werk von Margrit Linck-Daepp (1987-1983). Hochschulschrift (Datenträger CD-ROM), Bern 2017.

Neuwirth 1974
Waltraut Neuwirth, Wiener Keramik. Historismus, Jugendstil, Art Déco, Braunschweig 1974.

Schnyder 1985
Rudolf Schnyder, Vier Berner Keramiker: Werner Burri, Benno Geiger, Margrit Linck, Jakob Stucki. Ausstellungskatalog im Rahmen der 10. Spiezer Keramik-Ausstellung, Schloss Spiez. Bern 1985, 33–51.

Vogt 2000
Albert Vogt Die Geschichte der keramischen Industrie in Matzendorf und Aedermannsdorf 1798-1998. In: Verein «Freunde der Matzendorfer Keramik» (Hsg.), 200 Jahre keramische Industrie in Matzendorf und Aedermannsdorf 1798-1998. Matzendorf, 9-90.