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Hornberg, Baden-Württemberg, Deutschland

Steingutfabrik der Gebrüder Horn in Hornberg, Baden-Württemberg, Lithographie von Charles Fassoli, Strassburg, 1864

Keramik in CERAMICA CH

Andreas Heege 2019

Wichtige Konkurrenten der schweizerischen Fayence- und Steingutproduktion waren verschiedene südwestdeutsche Manufakturen. Diese hatten angesichts der unzureichenden schweizerischen Produktionsverhältnisse, zumindest in der Deutschschweiz in den 1820er- bis 1840er-Jahren so etwas wie ein «Monopol», stand ihren Produkten doch wohl nur eine begrenzte lokale Herstellung gegenüber. Es handelt sich um die badischen Manufakturen Zell am Harmersbach (ab 1794, wechselnde Besitzer, bis heute in Produktion), Hornberg (1817–1912, heute Duravit Sanitärkeramik) sowie das württembergische Schramberg (1820–1882, ab 1829 unter Uechtritz & Faist firmierend, 1883–1911 Villeroy & Boch, ab 1912 Schramberger Majolika Fabrik) und zahlreiche weitere kleine Produktionsorte im süddeutschen Raum (Zu den genannten Produktionsorten: Kybalová 1990, 121–126; Simmermacher 2002; Kronberger-Frentzen 1964; Schüly 2000. Zu Zell am Harmersbach: Spindler 2005; Sandfuchs 1989. Zu Schramberg: Waller 1872, 109–111; Singer 1918, 45–47; Preger 1977; Heege 2013. Schramberg unter Villeroy und Boch: Thomas 1976, 42–43; Thomas 1977, 29).

Die wichtigsten Steingutmanufakturen nördlich der Schweiz (nach Brandl 1993, 22 verändert).

Die teilweise wohl überragende Konkurrenz spiegelt sich auch in den Berichten zu den bernischen Industriemessen von 1848 bzw. 1857 (Frei 1951; Frei 1952).

Zu Hornberg gibt es leider bis heute keine modernen Ansprüchen genügende Geschichte der Firma und ihrer Produkte (vgl. bisher: Kronberger-Frentzen 1964, 51-64; Bühler/Schmidt 1967; Hitzfeld 1970; Simmermacher 2002, 48-59; auch Stein Marks).

Bekannt ist die frühe Keramikproduktion von Hornberg vor allem für ihr mit Umdruckdekoren verziertes Bildergeschirr. Zahlreiche Keramiken aus Hornberg, vor allem mit schweizerischen Motiven, verwahrt das Historische Museum in Basel.

Fabrikperioden

Steingut-Manufaktur Georg Friedrich Horn (1817 bis 1822)
Steingutfabrik Gebrüder Horn (1822 bis 10.12.1903)
Steingutfabrik Hornberg AG, vormals Gebrüder Horn (11.12.1903 bis 20.7.1906)
Schwarzwälder Steingutfabrik AG (21.7.1906 bis 4.5.1910)
Steingutfabrik Schwarzwald GmbH (31.12.1910 bis 1941)

Aufgabe der Geschirrproduktion 1912

Duravit GmbH (1960 bis 1988)
Duravit AG (1988 bis heute, Sanitärkeramik)

Bibliographie:

Brandl 1993
Andrea Brandl, Aschacher Steingut. Die Steingutfabrik (1829-1861) des Schweinfurter Industriellen Wilhelm Sattler (Schweinfurter Museumsschriften 55), Schweinfurt 1993.

Bühler/Schmidt 1967
Carl Bühler/Eckhard Schmidt, Vom Steingut Geschirr zur Sanitär Keramik. 150 Jahre im Dienste der Keramik, Hornberg 1967.

Frei 1951
Karl Frei, Die Keramik an den schweizerischen Industrie- und Gewerbeausstellungen in Bern 1848 und 1857, Teil I, in: Freunde der Schweizer Keramik, Mitteilungsblatt 20, 1951, 4-7.

Frei 1952
Karl Frei, Die Keramik an den schweizerischen Industrie- und Gewerbeausstellungen in Bern 1848 und 1857, Teil II., in: Freunde der Schweizer Keramik, Mitteilungsblatt 21, 1952, 3-6.

Heege 2013
Andreas Heege, Ein unbekanntes Musterbuch der ersten königlich württembergischen Steingutmanufaktur Schramberg (Uechtritz&Faist) aus der Zeit nach 1855 in: Harald Siebenmorgen, Blick nach Westen. Keramik in Baden und im Elsass. 45. Internationales Symposium Keramikforschung Badisches Landesmuseum Karlsruhe 24.8.-28.9.2012, Karlsruhe 2013, 107-115.

Hitzfeld 1970
Karlleopold Hitzfeld, Hornberg an der Schwarzwaldbahn. Vergangenheit und Gegenwart der Stadt des Hornberger Schiessens, Hornberg 1970.

Kronberger-Frentzen 1964
Hanna Kronberger-Frentzen, Altes Bildergeschirr. Bilderdruck auf Steingut aus süddeutschen und saarländischcen Manufakturen, Tübingen 1964.

Kybalová 1990
Jana Kybalová, Steingut, Prag 1990.

Preger 1977
Max Preger, Schramberger Bildergeschirr, in: Schwäbische Heimat, 1977, Heft 4, 311-319.

Sandfuchs 1989
Bertram Sandfuchs, Zeller Keramik seit 1794: Ausstellung „Zeller Keramik“ zum 850jährigen Stadtjubiläum, 7. Mai – 17. Septemberg 1989, Zell 1989.

Schüly 2000
Maria Schüly, Antikisches Geschirr aus dem Schwarzwald. Die Steingutmanufaktur in Zell, Hornberg und Schramberg, in: Martin Flashar, Europa à la Grecque. Vasen machen Mode, München 2000, 124-129.

Simmermacher 2002
René Simmermacher, Gebrauchskeramik in Südbaden, Karlsruhe 2002.

Singer 1918
F. X. Singer, Schwarzwaldbuch. Ein Volksbuch für Heimatkunde und Heimatpflege (zunächst) in Stadt und Bezirk Oberndorf, Oberndorf 1918.

Spindler 2005
Konrad Spindler, Ein Grubeninhalt der Zeit kurz nach 1900 aus Riezlern, Gem. Mittelberg, im Kleinen Walsertal, Vorarlberg – Keramik, Glas und Metall, in: Jahrbuch Vorarlberger Landesmuseumsverein 149, 2005, 67-106.

Thomas 1976
Thérèse Thomas, Villeroy & Boch. Keramik vom Barock bis zur Neuen Sachlichkeit. Ausstellung im Münchner Stadtmuseum, Mettlach 1976.

Thomas 1977
Thérèse Thomas, Villeroy&Boch 1748-1930. Keramik aus der Produktion zweier Jahrhunderte, Amsterdam 1977.

Waller 1872
German Waller, Chronik der Stadt und ehemaligen Herrschaft Schramberg sowie Ortsbeschreibung von Schramberg, Wolfach 1872.

Huttwil BE, Liste der Hafner

Andreas Heege. Andreas Kistler 2025

Im 18. Jahrhundert lassen sich in Huttwil mehrere Mitglieder der Hafnerfamilie Flückiger nachweisen (Boschetti 2006, 204), von denen einige auch Anteil an der Entwicklung der Hafnerei in der Region Heimberg-Steffisburg hatten bzw. in Wyler bei Grosshöchstetten arbeiteten (Heege/Kistler 2017, 66).

Das 19. Jahrhundert bestimmt in Huttwil die Hafnerdynastie Leuenberger, die über vier Generationen mit sieben Hafnern bis maximal 1912 auf dem Grundstück Huttwil, Almendstrasse 18a, 18b, Keramik und Kachelöfen produzierte. Ulrich Leuenberger, der zweite Hafner erbaute die Hafnerei und das „Brennhüsli“ zwischen 1815 und 1820. Leider existiert das Gebäude heute nicht mehr. Bei Ulrich arbeiteten zwischen 1824 und 1828 auch fünf Gesellen. Wirtschaftlich scheint es Ulrich nicht sehr gut ergangen zu sein, denn für 1833 lässt sich eine Gantsteigerung nachweisen (Berner Wochenblatt, Nummer 24, 15. Juni 1833).

Leuenberger Huttwil_Stb       Leuenberger Huttwil_orig_3      Hafnertabelle Huttwil_1

Berner Zeitung, Band 45, Nummer 287, 4. Dezember 1889

1889 kam Jakob Leuenberger bei einem tragischen Unfall ums Leben.

Nur für das Jahr 1898 lässt sich ein Hafnermeister Johann Ulrich Blau nachweisen, der einen tschechischen Gesellen beschäftigte. Möglicherweise gehört er zu den Hafnern Blau aus Bern und war vorher in Bulle FR beschäftigt:

Blau Bern_Daten1         Blau Bern_Stb

30.11.1906 erhielt der Hafnermeister Gottfried Huber aus Mauraz VD eine Niederlassungsbewilligung (unbefristet , StAB Bez Trachselwald B 20). Er erwarb die Liegenschaft Huttwil, Luzernstrasse 12.

Bibliographie:

Boschetti-Maradi 2006 Adriano Boschetti-Maradi, Gefässkeramik und Hafnerei in der Frühen Neuzeit im Kanton Bern Schriften des Bernischen Historischen Museums 8 (Bern 2006).

Heege/Kistler 2017 Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern Schriften des Bernischen Historischen Museums 13 (Bern 2017).

 

Jegenstorf BE, Abraham Reutlinger, Hafner


Jegenstorf vom Flugzeug aus, 1939, Blick nach Nordosten.

Andreas Heege, Andreas Kistler, Alfred Spycher, 2025

Stammbaum Reutlinger

Für den Namen Reutlinger finden sich in den Schriftquellen unterschiedliche Schreibweisen: Rüedlinger, Reütliger, Rütliger, Ryttlinger, Rüttlinger.

Abraham Reutlinger (1673‒1741) war der Sohn von Anthoni Rütliger von Jegenstorf (Heimatgemeinde Mattstetten) und seiner Frau Madlena Ärni. Er wurde am 4.5.1673 getauft (Bern, Ausburger Taufrodel 1665‒1684, 137/7) und starb am 26.12.1741 (KR Jegenstorf 33, 22). Abraham Reutlinger absolvierte seine Lehre zwischen 1689 und 1691 bei dem Berner Hafner Hans Heinrich Hess und hatte als Geselle am 11. Dezember 1692 seinen Abschied genommen (Morgenthaler 1951, 137. Vgl. auch Boschetti-Maradi 2006, 176‒178, ausserdem 210), vermutlich, um auf die Wanderung zu gehen. Dabei dürfte er nach St. Gallen gelangt sein, wo er die Hafnertochter Wibrath Sommerauer (1657‒vor 1721; Staatsarchiv St. Gallen ZVA 12.760) kennenlernte und am 15. Oktober 1694 in St. Gallen heiratete (Staatsarchiv St. Gallen ZVA 12.733,236). Ihre Eltern waren der Hafner Jakob Sommerauer (1635‒1683, Staatsarchiv St. Gallen ZVA 12.760, 136 und Staatsarchiv St. Gallen ZVA 12.783,2) und Margaretha Gillerin (1632‒1708; Heirat 24.2.1657, Staatsarchiv St. Gallen ZVA 12.733,196; Genealogie Sommerauer Staatsarchiv St. Gallen ZVA 12.750.16, Band Q, 34‒35).

Die vier Kinder aus dieser Ehe wurden zwischen 1695 und 1699 in Herisau AA getauft, wo Abraham Reutlinger demnach seine Werkstatt gehabt haben dürfte. Unmittelbar anschliessend zog die Familie von Herisau nach Jegenstorf zurück, denn wir finden Abraham Reutlinger erstmals in den Landvogtei-Rechnungen für Fraubrunnen für das Jahr 1700/01. Er wurde für die Reparatur der Öfen in der Mühle, Öhle und Stampfe bezahlt (StAB VII 1313, 1700). Im selben Jahr arbeitete er in Schloss Landshut (StAB VII 1553, 1700), 1702 erstmals auch auf dem Thorberg (StAB VII 1976, 1702). 1719 und 1720 reparierte Reutlinger Kachelöfen in Schloss Brandis (StAB VII 1104, 1719–1720). Reutlingers erste Frau starb vor 1721, sodass er am 27. Juni 1721 Elisabeth Fankhauser von Burgdorf (1680‒1763; KR Münchenbuchsee 14, 26; 8.4.1763, Alter 83) heiraten konnte (KR Jegenstorf 27, 72; 27.6.1721). Beide Töchter aus dieser zweiten Ehe wurden in Jegenstorf getauft. Die jüngere, Anna Catharina Reutlinger, heiratete am 16. August 1746 den Hafner Johannes Häberli von Münchenbuchsee (KR Jegenstorf 27, 126; 26.8.1746). Ihre Stiefschwester Anna Barbara Reutlinger (1699‒1744; KR Jegenstorf 12,16 ; 23.7.1699, Taufe in Herisau AA; KR Grafenried 4, 169; 4.10.1744) von Mattstetten, wohnhaft in Jegenstorf, heiratete schon am 21. März 1718 (KR Grafenried 4, 5) den Hafner Hans Rudolf Marti (1691-1742) aus Fraubrunnen (KR Grafenried 3, 97; 4.12.1691; KR Grafenried 4, 194; 17.5.1742). Abraham Reutlinger ist daher der Grossvater des bedeutenden bernischen Keramikers Abraham Marti (1718-1792) (Heege/Frey/Spycher/Kistler 2023).

Von 1753 bis 1763 lebte Elisabeth Reutlinger-Fankhauser (1680‒1763), mit Einverständnis der Gemeinde Mattstetten, bei ihrem Schwiegersohn dem Hafner Johannes Häberli in Münchenbuchsee (Verpfründungsverträge: StAB, Bez. Fraubrunnen A 274,129 und A 322,49).

Abraham Reutlinger führte von 1700‒1712, 1718‒1721, 1724 und letztmals 1736 Ofenarbeiten für die Landvogtei Fraubrunnen aus (StAB B VII 1313‒1315). 1721 lässt sich auch ein Auftrag für einen neuen Ofen in das Pfrundhaus in Münchenbuchsee belegen: (StAB B VII 1136, 1721). Zwischen 1721 und 1741 wurde er für diese Arbeiten in Fraubrunnen zunehmend durch seinen Schwiegersohn Hans Rudolf Marti ersetzt (StAB B VII 1314‒1315).

Wir haben keine Vorstellung, wo Abraham Reutlinger seine Werkstatt hatte und wie seine Geschirrkeramik oder seine Kachelöfen aussahen.

Bibliographie:

Boschetti-Maradi 2006
Adriano Boschetti-Maradi, Gefässkeramik und Hafnerei in der Frühen Neuzeit im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 8), Bern 2006.

Heege/Frey/Spycher/Kistler 2023
Andreas Heege/Jonathan Frey/Alfred Spycher/Andreas Kistler, Keramik aus Blankenburg, Abraham Marti (1718–1792), ein bernischer Landhafner, Bd. 16 (Schriften des Bernischen Historischen Museums), Bern 2023.

Jegenstorf BE, Hafner Häberli


Jegenstorf vom Flugzeug aus, 1939, Blick nach Nordosten.

Andreas Heege, Andreas Kistler, Alfred Spycher, 2025

Im bernischen Mittelland waren Familien mit dem Namen Häberli vor 1800 nur in den Gemeinden Krauchthal, Münchenbuchsee und Jegenstorf eingebürgert, jedoch gab es zahlreiche weitere Heimatberechtigte gleichen Namens in den Kantonen Luzern, Thurgau und Zürich (Familiennamenbuch der Schweiz, Online-Version). Der Versuch eine schlüssige und vollständige Genealogie der verschiedenen Hafner Häberli zu erarbeiten, war nur teilweise erfolgreich, da sich verschiedene Familienstränge nicht miteinander verbinden liessen. Es bleibt derzeit festzuhalten, dass die familiengeschichtlichen Forschungen keinen Nachweis erbracht haben, dass es direkte verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Hafnern Häberli, die im 18. und 19. Jahrhundert in Münchenbuchsee oder Moosseedorf arbeiteten, und den Hafnern Häberli aus Hängelen gibt. Auch besteht keine verwandtschaftliche Beziehung zu den Hafnern Häberli, die sich zwischen 1861 und 1941 in Jegenstorf nachweisen lassen. Diese gehören nachweislich zum Stamm der Häberli aus Münchenbuchsee.

Häberli, Münchenbuchsee-Moosseedorf_genealogische Daten

Häberli, Münchenbuchsee-Jegenstorf, Stammbaum

Jakob Häberli (1828-1877) war der Sohn und Enkel der beiden Schulmeister Daniel Häberli (1750-1829 bzw. 1787-1864) von Münchenbuchsee. Wie die beiden Schulmeister mit den beiden Hafnerlinien Häberli von Münchenbuchsee verwandt sind, liess sich nicht ermitteln. Jakob Häberlis Taufpate war der Hafner Niklaus Häberli (1789-1858) von Münchenbuchsee (KRM_7_132, KRM = Kirchenrodel Münchenbuchsee). Seine ältere Schwester Rosina (1813-1895) war mit dem Hafner Johann Jakob Häberli (1814-1874) von Münchenbuchsee verheiratet. Sein älterer Bruder Niklaus (1824-1853) war ebenfalls Hafner und arbeitete zumindest in seinem Todesjahr (als Geselle?) in Kiesen (KRM_15_131, Todesmeldung auch: Intelligenzblatt für die Stadt Bern, 14. Dezember 1853). Bei wem Niklaus und Jakob ihre Ausbildung erhielten, ist nicht klar. Für Jakob lässt sich belegen, dass für ihn 1847 ein Wanderbuch ausgestellt wurde, er mithin wohl auf die Wanderschaft ging. Am 22.11.1851 heiratete er in Thun Rosina Bürki von Muri (1829-?; KRThun_9_206). Die ersten fünf Kinder wurden zwischen 1852 und 1859 in Bern bzw. Münsingen getauft und dabei als Lebensort jeweils Münsingen angegeben. Vieles spricht also dafür, dass Jakob Häberli dort als Hafner oder Hafnergeselle gearbeitet hat. Erst die sechs folgenden Kinder wurden zwischen 1861 und 1873 in Jegenstorf getauft, das auch als Wohnort angegeben wurde. Wo Jakob in dieser Zeit mit seiner Werkstatt eingemietet war, entzieht sich unserer Kenntnis.


Berner Zeitung, Band 23, Nummer 229, 27. September 1867.

Für das Jahr 1867 ist ein Geldstag überliefert, dessen Ursachen und Folgen jedoch unklar sind.

Der Sohn Johann Jakob Häberli (1858-1908) wurde ebenfalls Hafner. Er heiratete am 1.9.1882 in Jegenstorf Maria Junker aus Jegenstorf (1859-1913). Mit ihr bekam er fünf Kinder (Stammbaum). Es ist wahrscheinlich, dass er nach dem Konkurs (Geltstaginformation: Tagblatt der Stadt Biel, Band 5, Nummer 235, 4. Oktober 1867) bzw. Tod von Niklaus Niklaus (1810-1879) in dessen Liegenschaft Jegenstorf, General Guisanstrasse 12 („Haus mit Scheuer und dabei stehendem Wohnstock mit Hafnerwerkstatt“;  GBJ_04_325-328), oder nur den Wohnstock mit Hafnerwerkstatt mietweise einzog.


Der Bund, Band 47, Nummer 51, 21. Februar 1896

Diese Liegenschaft brannte im Februar 1896 ab. Aber schon 1898 war die Werkstatt wieder in Betrieb, denn Häberli suchte einen Dreher.


Grütlianer, 23. April 1898.

Johann Jakob kaufte die gesamte Liegenschaft schliesslich am 13.10.1903  (GBJ_55_384-388). 1910 trat die Witwe Maria Häberli-Junker die Hafnereiliegenschaft ihrem Sohn Johann Jakob Häberli (1885-1941) ab. Im Erbgang nach dessen Tod 1941 wurde er als „gew. Töpfermeister und Landwirt“ bezeichnet. Es ist nicht klar, wann Johann Jakob den Hafnerberuf aufgab und Landwirt wurde. Das Wohnhaus mit Hafnerwerkstatt existiert heute nicht mehr.

Leider gibt es keine signierte Keramik der Hafner Häberli aus Jegenstorf, daher wissen wir nicht, wie deren Produktion aussah. Archäologische Ausgrabungen haben in den vergangenen Jahren jedoch Funde des 19. Jahrhunderts erbracht, die ein eindrückliches Bild davon vermitteln, was ursprünglich zur Küchen- und Stubenausstattung und dem Haushaltegeschirr der Jegenstorfer Bauernhäuser gehörte.

Jegenstorf, Kirchgasse, Abfallgrube 561, archäologische Funde von Haushaltsgeschirr aus der Zeit vor ca. 1890: Milchtöpfe, Tassen, Untertassen, Terrinen, Teller, Röstiplatten und Nachttöpfe. Fotos Badri Redha, Archäologischer Dienst des Kantons Bern.

Sicher wurde das eine oder andere Stück auch von den Hafnern Häberli oder Niklaus in Jegenstorf produziert.

 

Jegenstorf BE, Hafner Niklaus

Jegenstorf vom Flugzeug aus, 1939, Blick nach Nordosten.

Andreas Heege, Andreas Kistler, Alfred Spycher, 2025

Niklaus_Jegenstorf_genealogische Daten

Stammbaum Niklaus

Die ersten Hafner aus der Familie Niklaus scheinen in Jegenstorf ab dem späten 18. Jahrhundert tätig geworden zu sein. Es gab jedoch schon vorher mindestens zwei verschiedene Hafner am Ort, Abraham Reutlinger (1673-1741) und Rudolf Los[s]er, (Lebensdaten unbekannt, Aktivitätsnachweis 1749-1750, Boschetti-Maradi 2006, 210).

Der erste Hafner aus der Familie Niklaus, den wir kennen, ist Bendicht Niklaus (1738-1804). Den Beruf seines Vaters kennen wir nicht. Bendicht war zweimal verheiratet (9.1.1763, 20.12.1778). Mit der ersten Frau hatte er sieben Kinder, mit der zweiten Frau nur noch eines (siehe Stammbaum).

Jegenstorf Altgasse 1,5 Lage Hafnerei     Jegenstorf Altgasse 1,5 Handänderungen GBJ

Zu einem unbekannten Zeitpunkt erwarb Bendicht Niklaus (1738-1804) verschiedene Liegenschaften und Äcker in Jegenstorf, die nach seinem Tod im Jahr 1805 zwischen der überlebenden Witwe und seinen überlebenden Kindern aus erster Ehe aufgeteilt wurden (GBJ_01_116-122; GBJ = Grundbuch Jegenstorf):

„1. Wohnhaus samt dabei liegender Hafnerhütte und Hofstatt ungefähr 2 Maad, dazu gehöre eine Schuposen Rechtsame. 2. der Bachtelen Acker auf dem Oberfeld zu Jegenstorf gelegen ca. 2 Jucharten. 3. der Bohlwinkel Acker ca. 2 Jucharten. Von diesem Haus samt Erdreich ist die einte Hälfte dem Bendicht [Bendicht Niklaus, 1774-1839] angeschlagen worden. Die zweite Hälfte dann samt der Hafnerhütte ist dem Sohn Niklaus [Niklaus Niklaus, 1764-1823]  verschrieben worden. Bedingung: Bendicht hat das Recht die Hafnerhütte zu gebrauchen. 4. Noch ein Haus im Dorf samt Ofenhaus und Speicher nebst Garten. Darab wurde alljährlich ein Bodenzins entrichtet in den Spital nach Bern an Dinkel ein Meudt. Zu diesem Geschick gehöre eine Schupose Rechtsame. 5. Eine Beunde auf dem Eschpli ca. 3/4 Jucharte. 6. In der Ischenmat ca. 1/2 Maad. 7. der Neuholz Acker ca. 3/4 Jucharten. 8. der Münchringer Acker ca 3/4 Jucharten 9. der Krautmatt Acker ca. 3/4 Jucharten. Diese von Nr. 4 bis Nr. 9 sind dem jüngsten Sohn Jakob [1777-1832] angeschlagen.“

Hafnerhütte und Wohnhaus lassen sich aufgrund späterer Handänderungen als die heutige Altgasse 1 und 5 identifizieren. Beide Parzellen sind modern überbaut.

Zwischen 1780 und 1797 haben wir Hinweise auf „Ofenarbeiten“ von Bendicht Niklaus (1738-1804) in den bernischen Amtsrechnungen vor allem von Fraubrunnen. Dabei lässt sich nur 1780 belegen, dass er auch Kachelöfen, die 46 bzw. 32 Kronen kosteten, neu setzte (Utzenstorf, Landschreiberei und Kirchberg, Pfrundhaus). Zwischen 1786 und 1797 führte er ansonsten nur Ofenreparaturen in Fraubrunnen aus. Im Bürgerregister von 1798 wird er neben seinem ältesten Sohn Niklaus (1764-1823) als Hafner aufgeführt. Der jüngere Sohn Bendicht (1774-1839), war zu diesem Zeitpunkt noch nicht verheiratet und führte daher wohl auch keine eigene Werkstatt. Als Bendicht Niklaus 1803 seinem Sohn Niklaus Niklaus eine halbe Juchart Ackerland auf dem Niederfeld zu Jegenstorf verkaufte, befand er sich vermutlich krankheitshalber im Inselspital in Bern (StAB Bez Fraubrunnen A, 216, 316-318). Er starb 1804.

Die folgende Generation bestand aus den zwei Hafnern Niklaus Niklaus (1764-1823) und Bendicht Niklaus (1774-1839) sowie dem jüngsten Sohn Jakob (1777-1832), der 1808 als „Kachelkrämer“ bezeichnet wird (KRJ_07_51), offenbar also mit Geschirr handelte oder hausierte. Mit der Erbteilung von 1805 (s.o., GBJ 01, 116-122) teilten sich die beiden Brüder Niklaus und Bendicht das Wohnhaus und die Hafnerhütte, Altgasse 1 und 5.

Niklaus heiratete am 28.9.1787 in Oberburg Barbara Müller (1766-1825). Mit Ihr bekam er drei Kinder (siehe Stammbaum). Bendicht Niklaus heiratete am 23.1.1801 in Oberburg Elisabeth Kunz (1778-1839). Das Paar bekam fünf Kinder, von denen keines Hafner wurde. 1802 kaufte Bendicht „Ohngefehr dreiviertel Jucharten Ackerland, der Niederfeld Acker auf dem Niederfeld“ von Jegenstorf für 156 Kronen, wofür sein Vater bürgte (StAB Bez Burgdorf B 682, 58-59). Von Bendicht erfahren wir sonst weiter nichts, ausser dass er im Dezember 1838 seinem Sohn Bendicht Niklaus (1806-?) seine Haushälfte und den übrigen Besitz inklusive Nutzung der Hafnerhütte verkaufte (GBJ_09_198-203). Bendicht Niklaus, Sohn, war Drechsler. Mit dem Tod von Bendicht Niklaus (1774-1839) erloschen die Hafneraktivitäten auf dem Grundstück Altgasse 1, 5, obwohl in den Handänderungen im Grundbuch noch bis 1893 von einem „Wohnstöcklein, früher Hafnerhütte, welches früher eine Hafnerwerkstatt war“ die Rede ist (GBJ 48, 294-308).

Das Leben von Bendichts Bruder Niklaus Niklaus (1764-1823) und seiner Familie verlief offenbar weniger ruhig. 1818 wurde Niklaus zum ersten Mal wegen Holzdiebstahls (Waldfrevel) im Gemeindewald gebüsst, nachdem der Bannwart Jakob Aeberhart ihn angezeigt hatte (StAB Bez Fraubr B 366_8_1818). 1821 musste er sich wegen ehrverletzender Schimpfworte gegen Aeberhart verantworten und entschuldigen (StAB Bez Fraubr B 367, 153).

Mit dem Tod von Niklaus Niklaus (1823) und seiner Ehefrau Barbara Müller (1825) kam es im April 1825 zu einer weiteren Erbteilung des Hafnergrundstücks Altgasse 1 und 5. Der Landarbeiter Johannes Niklaus (1791-1847, siehe Stammbaum) erhielt das halbe Hafnerhaus, der Hafner Niklaus Niklaus (1788-1852) vier Äcker (GBJ_04_235-239). Dies war möglich, weil  Niklaus Niklaus (1718-1852) bereits am 30. Januar 1819 ein eigenes Heimwesen gekauft hatte: „ein Haus samt beiliegender Hofstatt und Garten, ungefähr zwei Maad. Dazu gehöre ein halbes Ofenhaus und ein halber Speicher, ferner eine Haus Schuposen Rechtsame. Kaufpreis: 2’100 Krone oder 7’000 Pfund Bernwährung“ (GBJ_03_87-89). Es handelt sich um die heutigen Liegenschaften General-Guisanstrasse 12/14 (Jegenstorf Guisanstrasse 12/14 Daten aus GBJ).

Am 10. Juni 1819 erhielt er von Johann Rudolf von Stürler, Oberamtmann von Fraubrunnen, die Genehmigung, „vor das Tenn seines von Jakob Buri erkauften  Hauses, gegen Abend, eine Hafnerhütte bauen lassen zu können“ (StAB Urbarien Fraubrunnen 21, 490).

Niklaus Niklaus hatte am 7. April 1809 in Jegenstorf Elisabeth Kunz (1786-1832), Heimatort Lyssach, geheiratet. Mit ihr bekam er sechs Kinder, u.a. den ältesten Sohn Niklaus Niklaus (1810-1879), der ebenfalls Hafner wurde (siehe Stammbaum).

Beim Jegenstorfer Dorfbrand vom 24. April 1820 wurde das Anwesen mit der Töpferei ein Raub der Flammen (Materialien zum Dorfbrand im StAB, Signatur: OG Jegenstorf 5, ausserdem: Chronik Amt Fraubrunnen 3, 1958, 27-33).

1826 musste Niklaus Niklaus einen neuen Kredit über 1800 Bernkronen aufnehmen und setzte dafür als Pfand ein: „1. Ein neu erbautes, mit Ziegeln gedecktes Haus mit Scheuerwesen, unter Nr. 129 für Fr. 2’200 und mit dabei stehendem neuem Wohnstock mit Hafnerwerkstatt unter Nr. 130 für Fr. 600 brandversichert. inkl. Hofstatt und Garten ca. 2¾ Jucharten. 2.-6. Erdreich und eine Schuposen Rechtsame“ (GBJ 04, 325-328). Offenbar befand sich die Werkstatt nun also in einem vom Wohnhaus separierten Gebäude.

Im Februar 1835 verkaufte Niklaus Niklaus (1788-1852), nachdem er 1832 Witwer geworden war, die Hafnereiliegenschaft an seinen Sohn Niklaus Niklaus (1820-1879) (GBJ 07, 450-458). Die Gründe für diesen Verkauf sind nicht klar. Vermutlich arbeiteten der Vater und der zu diesem Zeitpunkt noch unverheiratete Sohn gemeinsam in der Werkstatt.

1836 verklagte der Sohn erfolgreich seinen Vater weil er unberechtigterweise einen Acker als Pfand für eine Schuld eingesetzt hatte (StAB Bez Fraubr B 371, 92).

Im Mai 1838 wurde Niklaus Niklaus  (Vater) zu einer Busse verurteilt, weil er in Grafenried den Regierungsagenten Zulauf beschimpft hatte (StAB Bez Fraubr B 372, 128).  Im Mai 1840 wurde er auf Anzeige der Landjäger Schüppach und Feller erneut verurteilt, weil er einen Samuel Bischoff beschimpft hatte.

Am 30. November 1838 heiratete Niklaus Niklaus (Vater) die Witwe Anna Barbara Eggimann  verw. Ryser (1779-1855, Heimatort Dürrenroth). Offenbar war diese Ehe jedoch nicht glücklich, wie wir aus einem Gerichtsentscheid vom September 1843 erfahren. Die Jegenstorfer Vormundschaftsbehörde hatte Niklaus Niklaus offenbar bereits bald nach 1838 die Vermögensverwaltung entzogen, woraufhin er nicht mehr für die „Alimente“ seiner Frau aufkam oder aufkommen konnte. Da seine Frau auf die Rückzahlung ihres Weiberguts drängte, was Niklaus nicht leisten konnte oder wollte, sass er sechs Wochen in Fraubrunnen im Gefängnis, bevor er verurteilt wurde: „Durch einen förmlichen Eid auszuschwören das Gebiet der Republik Bern für so lange zu meiden bis er die Ansprecherin für die betriebene Summe und Kosten völlig unklaghaft gemacht haben wird.“ (StAB Bez Fraubr B 375, 96). Offenbar erhielt Anna Barbara Eggimann die ihr zustehenden Gelder, woraufhin am 18. März 1844 Niklaus Niklaus, der zu diesem Zeitpunkt immer noch als „Hafner von und zu Jegenstorf“ bezeichnet wurde,  jedoch den „Geldstag anrufen“ musste (StAB Bez Fraubr B 375, 190).

1852 erfahren wir schliesslich vom tragischen Tod des Hafners. Er wurde am 3. November von der Postkutsche, dem Basler Eilwagen, überfahren, der aber offenbar nach dem Unfall gar nicht anhielt, sondern einfach weiterfuhr (lag der Hafner betrunken auf der Strasse und schlief seinen Rausch aus?). Der Vorfall wurde der Justiz- und Polizeidirektion in Bern übergeben, ohne das wir weiteres dazu lesen können (Emmenthaler Bote, Nummer 91, 11. November 1852).

Niklaus Niklaus (1810-1879), der Sohn, ebenfalls Hafner, heiratete am 3. Mai 1839 eine Anna Witschi (1819-1866, Heimatort Jegenstorf). Das Paar bekam 4 Kinder (siehe Stammbaum). Der Sohn Niklaus Niklaus (1843-1902) wurde nicht mehr Hafner. Auch in der Lebenszeit von Niklaus Niklaus ging es offenbar rauh zu, denn im Juni 1845 wurde er ebenfalls wegen ehrverletzender Beschimpfungen verurteilt (StAB Bez Fraubrunnen B 376, 47). Und in der „Frevelgerichts-Sitzung vom 1. August 1855“ wurden Niklaus Niklaus und seine Frau Anna Witschi jeweils zu 30 Fr. Busse und 5 Fr. Tagegeld für den Bannwart verurteilt, während ihr Wagen und Geräte bis zur Zahlung der Busse beschlagnahmt blieb. Offenbar hatten sie einen grösseren Waldfrevel begangen und waren ertappt worden (StAB Bez Fraubrunnen B 378, Bd. 20, 333).

Bereits vorher, d. h. am 20. Januar 1853, hatte Niklaus Niklaus die Liegenschaft mit dem dabei stehenden Wohnstock mit Hafnerwerkstatt an Johann Ulrich Mägli von Oberbipp, Amtsnotar und Rechtsagent in Jegenstorf verkauft (GBJ 17, 52-57), vermutlich weil er die Zinslast auf der Liegenschaft nicht mehr tragen konnte (General-Guisanstrasse 12). Wir können wohl davon ausgehen, dass er in der Liegenschaft eingemietet blieb und weiter Keramik produzierte.  Am 4. Oktober 1867 musste Niklaus Niklaus, seit 1866 Witwer, schliesslich den Geldstag anrufen (Geltstaginformation: Tagblatt der Stadt Biel, Band 5, Nummer 235, 4. Oktober 1867). Er starb 1879.

Wir können nur vermuten, dass der Jegenstorfer Hafner Johann Jakob Häberli (1858-1908) nach dem Konkurs bzw. Tod von Niklaus Niklaus (1810-1879) in dessen Liegenschaft Jegenstorf, General Guisanstrasse 14 oder nur den Wohnstock mit Hafnerwerkstatt (Jegenstorf, General Guisanstrasse 12) mietweise einzog. Johann Jakob kaufte den Wohnstock mit Hafnerwerkstatt schliesslich am 13.10.1903  (GBJ_55_384-388).

Leider gibt es keine signierte Keramik der Hafner Niklaus aus Jegenstorf, daher wissen wir nicht, wie deren Produktion aussah. Archäologische Ausgrabungen haben in den vergangenen Jahren jedoch Funde des 19. Jahrhunderts erbracht, die ein eindrückliches Bild davon vermitteln, was ursprünglich zur Küchen- und Stubenausstattung und dem Haushaltegeschirr der Jegenstorfer Bauernhäuser gehörte.

Jegenstorf, Kirchgasse, Abfallgrube 561, archäologische Funde von Haushaltsgeschirr aus der Zeit vor ca. 1890: Milchtöpfe, Tassen, Untertassen, Terrinen, Teller, Röstiplatten und Nachttöpfe. Fotos Badri Redha, Archäologischer Dienst des Kantons Bern.

Sicher wurde das eine oder andere Stück auch von den Hafnern Niklaus oder Häberli in Jegenstorf produziert.

Bibliographie:

Boschetti-Maradi 2006
Adriano Boschetti-Maradi, Gefässkeramik und Hafnerei in der Frühen Neuzeit im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 8), Bern 2006.

 

Jussy (Haute-Savoie, F), Manufaktur Charmot (1824-1848)

Roland Blaettler, 2019

Im Jahr 1824 fühlten sich die Unternehmer Robillard et Cie aus Nyon bereit für eine neue Unternehmung jenseits der Landesgrenzen. 1822 hatten Jean-Marie und Joseph Marie Charmot, zwei Notabeln aus Sciez bei Thonon (Haute-Savoie), vom König von Sardinien das Privileg erhalten, in ihrer Töpferei im Weiler Jussy Steingut und Fayence herzustellen (Maire 2008, 437). Da sie die für diese Umstellung notwendige Technologie nicht beherrschten, machten die Gebrüder Charmot Robillard et Cie den Vorschlag, sich als Kommanditisten an ihrem Unternehmen zu beteiligen, «mit der Bedingung, dass sie ihr Fabrikationsgeheimnis teilten».

Am 13. März 1824 wurde zwischen Robillard, der ordnungsgemäss mit einer Vollmacht ausgestattet war, und den Gebrüdern Charmot ein Abkommen geschlossen. Pelichet bildet ein von den Eigentümern aus Nyon unterzeichnetes Dokument ab, das mit 24. April datiert ist und die Umsetzungsmodalitäten dieses Vertrags festlegt (Pelichet 1985/2, 30 und 31). Die Unternehmer aus Nyon investierten 40 000 Livres de Savoie und hatten demgemäss Anspruch auf ihren Anteil am Gewinn. De Molin erwähnt ein 1826 datiertes Schreiben, aus dem hervorgeht, dass die Gebrüder Charmot um eine Frist für die Zahlung ihrer Zinsen ersuchten; er leitet daraus ab, dass die Geschäfte schlecht liefen (De Molin 1904, 86); vermutlich nicht schlechter als in den meisten Betrieben dieser Art. Tatsächlich produzierte die savoyische Manufaktur ohne Unterbruch bis 1839 und nahm die Arbeit im Folgejahr wieder auf – mit einem leicht geänderten Firmennamen. Sie wurde 1848 geschlossen (Maire 2008, 440). Uns ist nicht bekannt, zu welchem Zeitpunkt sich die Waadtländer Investoren aus dem Geschäft zurückgezogen haben.

Die Qualität der Produkte von Jussy kann durchaus mit jener des Steinguts aus Nyon verglichen werden (siehe beispielsweise MHPN MH-FA-466; MHL AA.MI.2265; Unil MH-RE-331; Unil MH-RE-332; Unil MH-RE-333).

Übersetzung Stephanie Tremp

Bibliographie:

De Molin 1904
Aloys de Molin, Histoire documentaire de la manufacture de porcelaine de Nyon, 1781-1813, publiée sous les auspices de la Société d’histoire de la Suisse romande et de la Société vaudoise des beaux-arts, Lausanne 1904.

Maire 2008
Christian Maire, Histoire de la faïence fine francaise 1743-1843, Le Mans 2008.

Pelichet 1985/2
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon, Nyon 1985.

Kanton Bern, Hafnereien, 18.-19. Jahrhundert

Orte mit Keramikproduktion im Kanton Bern aufgrund archivalischer Nachweise.

Andreas Kistler, Andreas Heege, 2021

Im Kanton Bern gibt es verschiedene archivalische Quellen (meist im Staatsarchiv Bern, StAB), in denen sich Hafnernachweise befinden können. Für das 16. und 17. Jahrhundert fliessen die Quellen spärlich (meist städtische Hafner). Für das 18. Jahrhundert, Berns „Goldene Zeit“,  haben wir die bernischen Landvogteirechnungen. Hier wurden alle Arbeiten verzeichnet, die in staatlichen Einrichtungen, also Landvogteischlössern, Pfarrhäusern, Pfrundhäusern etc., ausgeführt wurden. Dazu gehören auch die ständigen Reparaturen an den Kachelöfen oder Aufträge für neue Öfen. Auf diesem Wege erhalten wir Informationen zumindest über einige (sicher nicht alle) Hafner, die von der Obrigkeit beauftragt wurden (siehe Kartierung blaue Punkte). Die städtischen Hafnereiquellen und die Landvogteirechnungen hat bisher vor allem Adriano Boschetti-Maradi (2006) ausgewertet, es gibt jedoch keine systematische und vollständige Quellenedition.

Eine weitere Quellengattung sind die Helvetischen Bürgerverzeichnisse des Kantons Bern aus dem Jahr 1798, die als Eidregister für den Huldigungsschwur verwendet wurden. Sie sind vollständig überliefert und geben Ort, Name, Alter und Beruf des Bürgers an. Diese Listen wurden bearbeitet und liegen gedruckt vor (Rohrbach 1999). Andreas Kistler hat daraus die Hafner des Jahres 1798 zusammengestellt und ihre exakten Lebensdaten, soweit möglich, verifiziert (Kartierung rote Punkte).

Liste der bernischen Hafner nach dem Helvetischen Bürgerregister von 1798

Der Kanton Bern verfügt mit der ämterweise geführten Fremdenkontrolle über eine weitere, ungewöhnliche Quelle zum Handwerk. Trotzdem die Kontrolllisten nicht aus allen Ämtern erhalten sind, ergeben sich grundlegende Informationen zum Hafnerhandwerk im Kanton Bern im 19. Jahrhundert. Zwischen 1810 und 1908 musste jeder ausserkantonale und ausländische Geselle, also auch die Hafnergesellen, der im Kanton Bern Arbeit fand, gemeldet werden und zwar mit dem Arbeitsort und dem Namen des beschäftigenden Hafners, der Arbeitsdauer und dem Namen und Herkunftsort des Gesellen. So verfügen wir heute über eine Liste der Hafnereien (siehe Kartierung grüne Punkte), die sich im 19. Jahrhundert die Beschäftigung eines Gesellen leisten konnten. Ausserdem bekommen wir einen Eindruck, aus welchen Kantonen oder Bundesländern Österreichs oder Deutschlands Gesellen zuwanderten. Die Gesellenwanderung war im 19. Jahrhundert der Motor des technologischen und dekorativen Wandels und trug wesentlich zur Entstehung und Ausbreitung der Keramik „Heimberger Art“ bzw. der „Thuner Majolika“ bei.

Liste der bernischen Hafner, bei denen im 19. Jh. fremde Gesellen gearbeitet haben (Daten Andreas Kistler nach Archivalien StAB)

Liste der fremden Gesellen nach Alphabet (Daten Andreas Kistler nach Archivalien StAB)

Liste der fremden Gesellen nach Land, Kanton/Bundesland, Ort (Daten Andreas Kistler nach Archivalien StAB)

Eine vierte Quellengattung, die bis heute nur für einzelne Orte oder Töpfereien systematisch herangezogen werden konnte (siehe Heege 2011; Heege/Kistler/Thut 2011; Heege/Kistler 2017b; Heege/Spycher/Kistler 2020) sind die Contractenprotokolle der Landvogteien (bis 1798) und die Grundbücher des Kantons Bern (1798 bis heute). Hier wurden (fast) alle Besitzänderungen verzeichnet. Besass ein Hafner also jemals eine Liegenschaft, so besteht die Möglichkeit, dass er in dieser Quellengattung verzeichnet ist. War er als Hafner nur irgendwo eingemietet, so haben wir in der Regel keine Nachweismöglichkeit. Im optimalen Fall lassen sich anhand dieser Quellengattung ganze Besitzerabfolgen auf einzelnen Grundstücken bzw. in einzelnen Werkstätten ermitteln, die sich dann meist auch topographisch verorten lassen (Beispiel).

Eine fünfte Quellengattung, die bis heute noch nicht systematisch ausgewertet wurde, sind die Akten und Lagerbücher der Bernischen Brand-Assekuranz, die seit 1806 existieren und ebenfalls Hinweise auf versicherte Hafnerliegenschaften und die darin befindlichen Brennöfen liefern könnten.

Bibliographie:

Boschetti-Maradi 2006
Adriano Boschetti-Maradi, Gefässkeramik und Hafnerei in der Frühen Neuzeit im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 8), Bern 2006.

Heege 2011
Andreas Heege, Langenthal, St. Urbanstrasse 40–44. Die Hafnerei Staub und ihre Werkstatt, in: Archäologie Bern/Archéologie bernoise. Jahrbuch des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern, 2011, 209-287.

Heege/Kistler 2017b
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Heege/Spycher/Kistler 2020
Andreas Heege/Alfred Spycher/Andreas Kistler, Die Hafner von Hängelen und das Rätsel der Bäriswiler Kachelöfen, in: Gemeindebuch Krauchthal, 2020, 173-256.

Heege/Kistler/Thut 2011
Andreas Heege/Andreas Kistler/Walter Thut, Keramik aus Bäriswil. Zur Geschichte einer bedeutenden Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 10), Bern 2011.

Rohrbach 1999
Lewis Bunker Rohrbach, Men of Bern: The 1798 Bürgerverzeichnisse of Canton Bern, Switzerland, Rockport 1999.

Schwab 1921
Fernand Schwab, Beitrag zur Geschichte der bernischen Geschirrindustrie (Schweizer Industrie- und Handelsstudien 7), Weinfelden/Konstanz 1921.

Keramik «Heimberger Art»

«Keramik Heimberger Art» in der Bilddatenbank

Herkunftsbestimmung der Keramik «Heimberger Art»

oder

Kommt alle Keramik im „Heimberger Stil“ aus Heimberg/Steffisburg im Kanton Bern?

Andreas Heege, 2019

Das Dekor- und Formenspektrum deutschschweizerischer  Keramik des späten 18. bis 20. Jahrhunderts mit schwarzer, weisser oder roter Grundengobe und Malhorn-, Ritz- und Springfederdekor, z. B. von der Burg Hohenklingen bei Stein am Rhein im Kanton Schaffhausen, aus den Kantonen Graubünden und St. Gallen sowie aus dem österreichischen Bundesland Vorarlberg, legen nahe, dass es in dieser Region mindestens ein weiteres, wenn nicht mehrere Produktionszentren für Ware mit Dekor «Heimberger Art» gegeben haben muss. Ob dies wirklich Berneck im Kanton St. Gallen, Steckborn im Kanton Thurgau oder z. B. auch die Keramikfabrik Hanhart (1878-1887) in Winterthur (Schnyder/Felber/Keller u.a. 1997, 38: „Malen auf Ton nach Heimberger Manier“, Frascoli 2004, Taf. 34-38) war oder die durch sicher zugewiesene Gefässe momentan nicht belegbare Ausstrahlung von Kandern im deutschen Schwarzwald oder Lustenau in österreichischen Vorarlberg bis in die Ostschweiz reichte, muss leider in Ermangelung naturwissenschaftlicher Analysen offen bleiben. Die zahlreichen Terrinen der Sammlung des Historischen Museums in St. Gallen werden im Museumsinventar jedenfalls ohne weitere Diskussion der Produktion von Berneck im St. Galler Rheintal zugeschrieben, wo sich das Hafnerhandwerk seit dem 17. Jahrhundert nachweisen lässt. Im 19. Jahrhundert arbeiteten zeitweise bis zu 17 Werkstätten in Berneck und den benachbarten Orten oder Ortsteilen Au, Balgach, Altstätten, Eichberg, Lüchingen und Marbach.

Der typologische Zusammenhang zwischen Berneck und Heimberg/Steffisburg wurde 1921, 1955 und 1975 auf dem Weg über eingeheiratete «Heimbergerinnen» erklärt. Genealogisch wurde dies jedoch weder von Fernand Schwab und Leo Broder noch von Hermann Buchs belegt. Da bereits für die Jahre 1819 und 1836 gezeigt werden kann, dass in Heimberg klassischerweise die Frauen als Keramikmalerinnen arbeiteten, würde sich auf diesem Wege möglicherweise die grosse typologische und dekorative Nähe zwischen Heimberg/Steffisburg und Berneck erklären lassen. Sie besteht seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Leider ist das Argument nicht stichhaltig. Eine Kontrolle der Herkunft der Ehepartner der bekannten Bernecker Hafner des 19. Jahrhunderts anhand der Kirchenbücher konnte keine Einheiraten belegen. Nur für einen ursprünglich katholischen Bernecker Hafner – Leondus Federer – lässt sich anhand der Kirchenregister von Steffisburg ergänzend zeigen, dass er sich um 1819 in Heimberg niederliess. Er kehrte später jedoch nach Berneck zurück. Bei der Taufe eines 1824 geborenen Sohnes in Steffisburg war der Hafner Franz Joseph Kurer von Berneck Pate. Sind also nicht eingeheiratete Keramikmalerinnen für die Stilübertragung nach Berneck verantwortlich, so bleiben eigentlich nur Gesellenwanderungen als Begründung für den typologischen und stilistischen Wissenstransfer übrig. Zwischen dem ersten in der Region Heimberg nachweisbaren Gesellen Joseph Anton Kurer aus dem Jahr 1832 und dem letzten dokumentierten Gesellen Joseph Anton Ritz aus dem Jahr 1879 wurden weitere 18 Gesellen aus Berneck und Umgebung in die Listen der bernischen Fremdenkontrolle eingetragen. Verschiedene Gesellen aus Berneck arbeiteten ein bis zwei Jahre in der Region Heimberg.

Ein Zufallsfund wirft ein weiteres Schlaglicht auf die Keramik «Heimberger Art». Eine typische flache Schüssel mit schwarzer Grundengobe und Kragenrand im Schweizerischen Nationalmuseum (SNM LM-72744) trägt den eingeritzten Spruch «Diese Blatte ist von Erd gemacht und wenn sie bricht der Hafner lacht. Ch. Dürringer, Hafner». Ausserdem erscheint interessanterweise die Angabe «Steckborn, Kanton Thurgau».

Für die Hafner von Steckborn gibt es nach älteren grundlegenden Studien von Karl Frei eine umfassendere, auch genealogische Studie von Margrit Früh, deren Thema jedoch die Kachelöfen und die Ofenhafner sind. In welchem Umfang und in welcher Formensprache die Steckborner Hafner auch Geschirrkeramik produziert haben, entzieht sich nahezu vollständig unserer Kenntnis. Nur der Keramikmaler Georg Hausmann (eventuell 13.8.1826–13.8.1882), der möglicherweise als Geselle in der Werkstatt von Christoph Düringer (1794–1851) arbeitete, fand aufgrund seiner kulturgeschichtlich interessanten Wandteller mit politischen Sujets aus der Zeit der Freischarenzüge (1845) museale Aufnahme und Erwähnung in der Literatur. Auch er hielt sich nachweislich zumindest 1846 in Heimberg auf.

Für die Mitte des 19. Jahrhunderts überliefert Karl Frei Informationen des Hafners August Düringer (1841–1928). Danach stellte man in Steckborn Milchhäfen, Kaffeebecken, Zuckerdosen, Suppenschüsseln, Näpfe und Platten, Blumengeschirr, Most- und Weinkrüge her. Die Geschirre wurden mit einer roten, weissen oder schwarzen Grundengobe überzogen und mit dem Malhörnchen bemalt (Tupfen-, Spiral- und Blumenmuster). Anschliessend wurden sie wie in der Region Heimberg mit pulverisierter Bleiglasur «trocken» überstäubt. Vor allem der Hinweis auf die schwarze Grundengobe ist hervorzuheben, scheinen sich hier doch wichtige typologisch-stilistische Kontakte bzw. Übereinstimmungen zwischen der Bodenseeregion und dem Bernbiet abzuzeichnen, wie sie sich in der oben genannten Platte des Hafners Christoph Düringer unmittelbar manifestieren.

Diese Übereinstimmungen werden mit dem Nachweis der Tätigkeiten und des Geschirrhandels verschiedener Steckborner Hafner in Heimberg bzw. Steffisburg verständlicher. Es handelt sich u. a. um Hans Jakob II. Düringer (1775–1841), der seit 1806 mit Anna Mühlemann (1775–1848) aus Lotzwil im Kanton Bern verheiratet war. Er arbeitete in Heimberg und wurde am 6. April 1841 in Steffisburg begraben; seine Frau verstarb sieben Jahre später. Sein Bruder Hans Conrad Düringer (1791–1849, Lehrer und Ofenmaler, handelte 1813 in Steckborn mit bernischem Geschirr (seines Bruders?). Die beiden Hafner David und Johann Heinrich Baldin (1817–1855 bzw. 1829–1876) arbeiteten zwischen 1850 und 1855 bei Hafnern in Oppligen und Heimberg. Der schon erwähnte Hafner August Düringer (1841–1928) töpferte 1861 als Geselle bei den Heimberger Hafnern Jenny bzw. Knecht und dem Steckborner Hafner Conrad Schiegg. Dieser hatte, was sich durch Gesellenanmeldungen belegen lässt, von 1849 bis 1854 in Oppligen an der Rotachen-Brücke seine Werkstatt und ist von 1855 bis 1866 in Heimberg nachweisbar. Aus der weitverzweigten Steckborner Familie Füllemann lassen sich zwischen 1812 und 1867 immerhin vier Gesellen belegen: Hans Caspar Füllemann (1787–1826, 1812 für vier Monate in Oppligen), Caspar Füllemann (Lebensdaten unbekannt, mit Unterbrechungen von 1860 bis 1865 in Oppligen und Kiesen), Cezar Füllemann (Lebensdaten unbekannt, 1864/65 in Heimberg) und Johann Melchior Füllemann (Lebensdaten unbekannt, 1864–1867 mit Unterbrechungen in Kiesen, Heimberg und Münsingen).

Wanderbuch des Hafners Heinrich II. Füllemann aus Steckborn (Aufbewahrungsort Museum im Turmhof, Steckborn, Inv. Nr. HS 408, Foto und pdf Museum Steckborn).

Der Hafner Heinrich II. Füllemann kam auf seiner Wanderschaft laut Wanderbuch u. a. auch durch das Bernbiet sowie nach Lausanne, Basel, Liestal, Hamburg, Lübeck, Schwerin und Lindau. 1862/63 arbeitete der Hafner Daniel Gräflein (1810–1882) für 17 Monate in Heimberg. 1844 bis 1849 befand sich Johann Martin Guhl (wohl 1825–1892) als Hafnergeselle in Hasle bei Burgdorf, Diessbach und Kiesen. Zwei weitere Gesellen gleichen Nachnamens (Johannes und Johann Daniel) arbeiteten 1873–1876 bzw. 1879–1881 in Heimberg. Darüber hinaus sind Gesellen mit den Familiennamen Kauf, Konf, Schär, Schneider, Wilhelm und Wüger belegt, die zwischen 1857 und 1867 in Kiesen und Heimberg arbeiteten, jedoch in den Steckborner Hafnerlisten bislang fehlen.

Es bleibt also festzuhalten: Aufgrund intensiver Kontakte durch wandernde Gesellen verbreiteten sich der Heimberger Dekorstil und seine Weiterentwicklungen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts rasch und über grosse Teile der Deutsch- und möglicherweise sogar der frankophonen Schweiz (vgl. MAHN AA 1247, MAHN AA 1249). Wir dürfen daher heute – vor allem bei Museumsstücken, die überwiegend aus dem Handel angekauft oder als Geschenke inventarisiert wurden – nicht mehr von «Heimberger Keramik», sondern nur noch von «Keramik Heimberger Art» sprechen. An der Herstellung dieser zeittypischen Malhornware des späten 18. und 19. Jahrhunderts waren ganz offensichtlich verschiedene Herstellungszentren der Deutschschweiz (Regionen Heimberg/Steffisburg, Berneck, Steckborn, Kanton Schaffhausen, Winterthur) und möglicherweise auch der Westschweiz (Region Cornol, Moudon und Poliez-Pittet) bzw. Baden-Württembergs (Staufen, Kandern) und in den 1870er-Jahren sogar Frankreich beteiligt. Ohne naturwissenschaftliche Analysen oder entsprechende Ausgrabungsfunde scheint beim heutigen Forschungsstand eine rein typologisch-stilistische Zuweisung zu einem spezifischen Produktionsort nicht möglich.

Frz.: Céramiques de « style Heimberg » ou Céramiques « à la manière de Heimberg  »

Engl.: Ceramics “in the Heimberg style“, or  Ceramics „in the Heimberg manner“

Bibliographie

Babey 2016
Ursule Babey, Archéologie et histoire de la terre cuite en Ajoie, Jura Suisse (1750-1900). Les exemples de la manufacture de faïence de Cornol et du centre potier de Bonfol (Cahier d’archéologie jurassienne 37), Porrentruy 2016, besonders 174, 201-203.

Frascoli 2004
Lotti Frascoli, Keramikentwicklung im Gebiet der Stadt Winterthur vom 14. -20. Jahrhundert: Ein erster Überblick, in: Berichte der Kantonsarchäologie Zürich 18, 2004, 127-218.

Heege/Kistler 2017
Andreas Heege/Andreas Kistler, Poteries décorées de Suisse alémanique, 17e-19e siècles – Collections du Musée Ariana, Genève – Keramik der Deutschschweiz, 17.-19. Jahrhundert – Die Sammlung des Musée Ariana, Genf, Mailand 2017, 369-375.

 

 

Keramik «Langnauer Art 1», Kanton Bern

Keramik «Langnauer Art 1» in CERAMICA CH

Artikel mit allen Bildern

Andreas Heege, 2019

Die im Folgenden zu besprechende Keramikgruppe wurde aus der Bearbeitung der Langnauer Keramik bewusst herausgetrennt. Sie besteht aus Irdenware mit weisser Grundengobe, Ritz- und Malhorndekor in Rot, Grün und Dunkelbraun. Insgesamt liegen 17 Gefässe unterschiedlicher Typen vor (Giessfass, Schälchen mit einbiegendem Rand, Schüsseln, Terrinen mit Stülpdeckel, Rasierbecken und Breitrandteller). Sechs Objekte tragen Datierungen zwischen 1739 und 1742, weshalb die gesamte Gruppe wohl in die Zeit um 1740 datiert werden kann.

Für die Bearbeiter bernischer Irdenwaren und der Langnauer Keramik wie Emil Aeschlimann und Robert L. Wyss, bestand kein Zweifel daran, dass diese Keramikgruppe zur Langnauer Keramik gehört (Aeschlimann 1928, 27; Wyss 1966, Taf. VII. Vgl. auch Boschetti-Maradi 2006, 132 Abb. 174). In Kenntnis von knapp 2000 Langnauer Objekten, die mit guten Gründen der Langnauer Produktion der verschiedenen Hafner Herrmann zugewiesen werden können, stellt sich diese Situation heute jedoch etwas anders dar (Heege/Kistler 2017/2). Wiederholte Sortierungen der Langnauer Keramik liessen die vorliegende Gruppe vor allem aufgrund der Dekormotive immer wieder durch die angelegten Raster fallen. Die Dekorfarbigkeit und die Verwendung eines Stechzirkels für die Dekoration entsprechen jedoch dem, was man auch von einem Teil der Langnauer Produktion dieses Zeithorizontes kennt. Andererseits sind die Gefässformen dem üblichen Typenspektrum der Keramik des Kantons Bern und Langnaus eng verwandt, so dass man wohl eine Herstellung im Kantonsgebiet erwarten kann.

Das älteste Stück aus dem Jahr 1739 ist eine typische, kleine Stülpdeckelterrine mit glatten, mit dem Malhorn verzierten Grifflappen aus dem Museum der Kulturen in Basel (MKB HM-1901-175). Die Terrine ist sowohl auf er Innen- als auch der Aussenseite datiert. Die Deckelinnenseite zeigt Bogenmotive, wie sie ähnlich auch bei Langnauer Keramik auftreten. Die Aussenkante des Deckels ist ebenfalls gekerbt, jedoch nicht in derselben Art, wie wir dies normalerweise bei den Langnauer TE 1 finden (Heege/Kistler 2017/2, Kap. 10, TE 1). Die Gestaltung der Blumenmotive weicht deutlich von den sonstigen Langnauer Keramiken dieses Zeithorizontes ab. Zwei weitere Stülpdeckelterrinen aus dem Regionalmuseum Langnau können angeschlossen werden (RML A165, RML A166). Die erste weist für Langnauer Verhältnisse untypische Ansätze der Grifflappen und eine rot engobierte Innenseite auf. Die zweite wirkt mit dem merkwürdigen Blumendekor des Deckels und dem Springfederdekor, wie eine zeitgenössische «Langnau-Kopie».

In das Jahr 1740 sind zwei Breitrandteller datiert. Der erste und zugleich eindrucksvollste stammt aus dem Bernischen Historischen Museum (BHM 4972). Seine Vorderseitengliederung orientiert sich mit grosser Wahrscheinlichkeit an chinesischen Porzellanvorbildern oder niederländischen bzw. deutschen Fayencen mit Chinoiserien (Piereth/Ulrichs 2010, CD Seite 106, Ansbach um 1730; vgl. auch Blaettler/Ducret/Schnyder 2013, Taf. 151,8, Delft 1750-1785). Die kreis- und bogenförmigen Linien sind mit einem Stechzirkel eingeritzt, was sehr an die zeitgliche Langnauer Zirkelschlagornamentik erinnert (vgl. Heege/Kistler 2017/2, Kap. 4). Den Spiegel ziert eine kleine Vase mit einem grossem Blumenbouquet und dem Datum 1740. Die Rückseite nennt den Besitzer des Tellers «Jost Bracher». Familien mit dem Namen Bracher waren um 1800 im Kanton Bern in Affoltern im Emmental, Bannwil, Hasle bei Burgdorf, Heimiswil, Langenthal, Lyssach, Lützelflüh, Madiswil, Rüegsau und Wynigen heimatberechtigt. Die Rückseite trägt ein singuläres Motiv. Zwei Bären mit langen Zungen haben sich an einem grossen Baum aufgerichtet (zwei Ungeheuer, die an den Wurzeln der Weltenesche, des Lebensbaumes, nagen?). Von den Seiten kommen Hunde oder Füchse gelaufen. Am oberen Rand der Fahne sind zwei Löcher eingestochen. Es war also angedacht, dass man den Teller als Wandschmuck aufhängen konnte.

Drei weitere undatierte Breitrandteller sind aufgrund der Vorderseitendekoration eng verwandt, jedoch mit ihrem rückseitigen Blumendekor der Fahne jeweils etwas einfacher gestaltet (RSB IV-0212, ZHdK-KGS-01098, Privatbesitz). Die sternförmig oder als Dreier- bzw. Vierergruppe angeordneten Spiegelbilder mit tulpenförmigen Blüten, erinnern an zeitgleiche, stark stilisierte Langnauer Blumenmotive. Die Motive der Fahnendekoration erinnern an Granatapfeldekore , die sich auf Künersberger  und Schrezheimer Fayencen finden (Fröschner 1992, Kat. 194, 195, 197; Bayer 1995, Kat. 48-51; Erdner/Nagel 1972,  Kat. 292).

Einen weiteren ungewöhnlichen Teller ziert ein springendes, möglicherweise gesatteltes Pferd (RML A005), das in seiner Art deutlich von den üblichen Langnauer Pferdedarstellungen abweicht (vgl. Heege/Kistler 2017/2, Kap. 6). Unter dem Pferd steht die Datierung 1740. Die Blumen auf der Fahne entsprechen ganz denen der übrigen Teller dieser Keramikgruppe, die auch keine Aufhängevorrichtung aufweisen.

Mit dem Stechzirkel eingeritzte Bögen auf der Fahne und die typischen Blumen mit rosettenförmigen Blüten verbinden zwei weitere Teller mit den vorhergehenden Stücken (RML A001, BHM 8020). Anders als wir das sonst von der Langnauer Keramik kennen, sind die Blumen im Spiegel jetzt als Spirale angeordnet.

Aus dem Jahr 1741 stammt ein weiterer aufwendig verzierter Teller mit wellenförmig zusammengekniffenem Rand und zwei abgedrehten, flachen Standringen, ohne Aufhängevorrichtung. Er ist auf Vorder- und Rückseite flächig verziert (MKB HM-1881-0028). Im Spiegel befindet sich ein schlossartiges Architekturmotiv mit Türmen, Dachreitern, Gartenanlage und Fahnenstange, darunter ein springender Hirsch und die Datierung 1741. Die Wandung trägt ein gereihtes Fischblasenmotiv, wie es auch bei einzelnen der anderen Keramiken vorkommt. Der Rückseitendekor passt zur Vorderseite und zeigt in der Mitte einen kleinen Vogel auf einem Blumenzweig sowie den Namen «Verena Kneübüler». Familien mit dem Namen Kneubühler waren vor 1800 zwar auch in Affoltern im Emmental, Bleienbach und Frauenkappelen heimatberechtigt, wesentlich häufiger erscheint der Name jedoch im Kanton Luzern (Altishofen, Buttisholz, Egolzwil, Gettnau, Grossdietwil, Hergiswil bei Willisau, Menznau, Reiden, Ufhusen, Willisau Stadt und Land, Zell).

Der jüngste Breitrandteller ist 1742 datiert, wobei die Schreibweise der Jahreszahl gut mit der des vorhergehenden Stückes übereinstimmt. Der Verbleib des Tellers ist unbekannt (Aeschlimann 1928, 27).

Im Herbst 2018 wurde ein bislang unbekannter flacher Teller dieser Keramikgruppe aus der Sammlung der bernischen Antiquitätenhändlerin Elsa Bloch-Diener versteigert (Auktionshaus Stuker, Sammlung Bloch-Diener, Herbst 2018, Los 259, heute GBC 12121).  Der Spiegel zeigt eine zweigeschossige Häusergruppe mit grossen bogenförmigen Einfahrtstoren und spitzen Dächern mit kreuzförmigen Dachreitern. Auf der Fahne wechseln sich Vögel mit Blumenzweigen und rechtwinklig zum Rand stehende Dekorgruppen aus eierstabartigen Ornamenten und Ranken ab. Im Spiegel steht zusätzlich der sinngemäss schwer verständliche Spruch «Ein ÿeder der mich aufricht der gedänck sin nicht, denn Gedänck er sin so vergäβ ehr min» (moderne Fassung eventuell: „Jeder der mich aufrichtet, denkt nicht an sich selber, denn wenn er an sich selber denken würde, würde er mich vergessen“). Rückseitig hat der Teller eine keramische Aufhängeöse, wie wir sie auch bei der Langnauer Keramik ab dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts kennen.

Zur Gruppe gehört ein Giessfass bzw. Wandbrunnen. Das hausförmige, eher hohe Giessfass mit abgeschrägten Ecken trägt auf den beiden Schmalseiten eine in der Schrift gut übereinstimmende Datierung 1742 (BHM 6796). Die Ecken zeigen denselben Chinoiseriedekor, wie wir ihn schon bei den Tellern gesehen haben. Weitere verbindende Elemente sind die schräg gestreiften, zwiebelartigen Blüten. Die aufgelegten bogenförmig ausgeschnittenen Leisten erinnern an Langnauer Giessfässer dieses Zeithorizontes (vgl. Heege/Kistler 2017/2, Kap. 10, GF 1, BHM 7234a), jedoch bleibt das vorliegende Giessfass erkennbar ein Einzelstück.

Zwei Schüsseln und ein kleines Schälchen (RSB IV-0227, RSB IV-0072, MKB HM-1911-0065) passen mit ihrem einfachen Blumen- und Streifendekor gut zur vorstehenden Keramikgruppe. Einfache einbiegende oder verkröpfte Ränder sowie glatte, nur bemalte Grifflappen sind auch für die Langnauer Produktion der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts typisch (vgl. Heege/Kistler 2017/2, Kap. 10, SCH 1 und SCH 2).

Aufgrund seiner grünen Glasur der Ansichtsseite fällt das einzige Rasierbecken dieser Gruppe (Privatbesitz) etwas aus dem Rahmen. Betrachtet man jedoch die Rückseite mit ihrem randlichen Fischblasenmotiv und die Form der schraffierten Flächen sowie die Motive der geritzten Blumen der Vorderseite, dann kann an der Zugehörigkeit dieses Stücks kein Zweifel bestehen. Die grüne Glasur über dunklen Malhornverzierungen der Vorderseite verbindet das Stück zudem mit der grün glasierten Keramik der Langnauer Werkstatt 1, Hand 1, die zur selben Zeit ebenfalls mit dieser Farbigkeit arbeitete (Heege/Kistler 2017/2, 262–263). Form und Aufhängeöse entsprechen darüber hinaus den typischen Rasierbecken RB 1 der Langnauer Produktion (Heege/Kistler 2017/2, 653–654).

Zusammenfassung

Unter Berücksichtigung der Datierungen dieser Keramikgruppe (1739–1742) und der typologischen Nähe zu den Produkten der Hafner Herrmann (Langnau, Werkstatt 1, Sonnweg 15) bliebe in Langnau eigentlich nur ein Familienmitglied der Hafner Jost (Hafnerei Bärenplatz 1) als Produzent übrig (vgl. Heege/Kistler 2017/2, Kap. 2.2.1 und 3.4). Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die produzierende Werkstatt auch an einem anderen Ort, z. B. in Huttwil, Langenthal oder Burgdorf tätig war. Archäologische Bodenfunde dieser Keramikart, die uns einen Hinweis auf den Produktionsort geben würden, fehlen derzeit. Die beiden auf der Keramik überlieferten Familiennamen verweisen auf das Emmental, die Randbereiche des bernischen Oberaargaus und das westliche Gebiet des Kantons Luzern. Die Gruppenbezeichnung Keramik «Langnauer Art 1» ist auch in Zukunft nur als «Arbeits- bzw. Hilfsbegriff» zu verstehen, bis der Produktionsort lokalisiert ist.

Zugeordnete Stücke:

BHM 04972, BHM 06796, BHM 08020, MKB HM-1881-0028, MKB HM-1901-0175, MKB HM-1911-0065, RML A001, RML A005, RML A165, RML A166, RSB IV-0072, RSB IV-0212, RSB IV-0227, Aeschlimann 1928, 27, ZHdK KGS-01098, GBC 12121, Privatbesitz (2 Stück)

Bibliographie

Aeschlimann 1928
Emil Aeschlimann, Alt-Langnau-Töpferei. Ein Beitrag zur Volkskunde. Bern 1928.

Bayer 1995
Hans-Wolfgang Bayer, „Muffelbrand und Scharfes Feuer“. 250 Jahre Künersberger Fayencen, Weissenhorn 1995.

Boschetti-Maradi 2006
Adriano Boschetti-Maradi, Gefässkeramik und Hafnerei in der Frühen Neuzeit im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 8). Bern 2006.

Erdner/Nagel 1972
Hans Erdner/Gert K. Nagel, Die Fayencefabrik zu Schretzheim 1752-1865. Ein Beitrag zur Geschichte der Deutschen Keramik, völlig neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe, Ellwangen 1972.

Fröschner 1992
Stephanie Fröschner, Künersberger Fayencen. Die Geschichte der Manufaktur. Untersuchung der Schaffeuerdekore und der Muffeldekore, Bonn 1992.

Heege/Kistler 2017
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13). Bern 2017, Beilagen DVD, Ordner ergänzende Texte.

Piereth/Ulrichs 2010
Uta Piereth/Friederike Ulrichs, Museum Deutscher Fayencen in Schloss Höchstädt, München 2010.

Wyss 1966
Robert L. Wyss, Berner Bauernkeramik (Berner Heimatbücher 100–103). Bern 1966.

 

Keramik «Langnauer Art 2», Kanton Bern – Ein Töpfer aus der Schweiz in den USA

Keramik «Langnauer Art 2» in CERAMICA CH

Artikel mit Bildern

Andreas Heege, Alfred Spycher 2019

Die Schule für Gestaltung Bern/Biel verwahrt unter der Inventarnummer 174 eine ungewöhnliche Terrine aus dem Jahr 1810 (SfGB 174). Aufgrund einer alten Inventarnummer lässt sich belegen, dass das Stück vorher zum Bestand des Gewerbemuseums Bern gehörte, also schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts musealisiert gewesen sein dürfte. Formal handelt es sich um eine Terrine mit Reifrand, niedrigem Standring und Grifflappen sowie Ritz-, Springfeder- und Malhorndekor, wie sie unter den Langnauer Produkten eigentlich gängig sind (TE 2b, vgl. zu Langnau Heege/Kistler 2017, auf der beiliegenden DVD auch einer erste Version dieses Textes). Beim näheren Hinsehen fallen jedoch Elemente auf, die für einen abweichenden Produktionsort sprechen. Da sind zum einen die Form und das Motiv der Grifflappen, die unter den Langnauer Stücken keine Parallelen finden. Dazu kommen der singuläre Deckelgriff in Form eines «brüllenden Löwen» (oder heulenden Wolfes/Hundes?) mit den merkwürdig ausgestalteten und platzierten Früchten und der Blüte. Untypisch ist auch das Ritzen des Spruches und der Datierung auf einer Führungslinie: «Jesu im Herzen Di liebste im Arm das einte macht Selig das andere gibt warm 1810.» Der Spruch ist in Langnau durchaus gängig, während die Handschrift in den Langnauer Werkstätten ansonsten keine Parallelen findet. Auch die Art der kleinen Blütenrosetten auf geraden oder geschweiften Ästchen mit Blättern ist unbekannt. Die Innenseite des Deckels und die Unterseite des Bodens tragen eine formal ungewöhnliche Zuordnungsritzung (Buchstabe oder Zahl?), die gleichwohl Bekanntheit mit dem in Langnau verwendeten System signalisiert.

Die Suche nach weiteren Parallelen, die eine Einordnung dieser besonderen Terrine ermöglichen würde, war erfolgreich und führte schliesslich zur Ausgliederung einer Keramikgruppe «Langnauer Art 2», der bislang 16 Gefässindividuen zugeordnet werden konnten (siehe Liste am Schluss). Mit Ausnahme eines Rasierbeckens von 1815 und eines Tellers von 1817 handelt es sich ausschliesslich um Dosen.

Zwei dieser Dosen sind 1809 und 1818 datiert, so dass momentan davon auszugehen ist, dass wir es mit einer Produktion zwischen etwa 1809 und 1820 zu tun haben. Typologische oder stilkritische Zweifel an der zeitlichen Einordnung der datierten Objekte bestehen nicht. Die Gruppenbezeichnung Keramik «Langnauer Art 2» ist momentan als «Arbeits- bzw. Hilfsbegriff» zu verstehen.

Das Rasierbecken von 1815 (BHM 6190) bietet möglicherweise einen Hinweis zur Lösung der Herkunftsfrage. Das ungewöhnliche Rasierbecken hatte ursprünglich rückseitig eine Aufhängeöse. Diese ist jedoch abgebrochen, weshalb man die am oberen Rand des Beckens angebrachte Seifenmulde sekundär durchbohrt hat. Der Spiegel des Rasierbeckens nennt «Christen Hofer Schulmeister zu Sängelen 1815». Auf der Fahne steht der Spruch «scher mich fein das ich gefall der Liebsten mein, der man ist ehrens wert der sein bart selber schert». Auf der Rückseite des Beckens findet sich ein weiterer Spruch: «Ein gutes werck das wohl gelingt dei gröste Lust auf erden bringt 1815.» Das «Sängeli» ist heute die Ortsbezeichnung für eine Häusergruppe nordwestlich am Berg zwischen Schüpbach und Signau, ca. 5 km entfernt von Langnau. Dort hatte Christen Hofer (1749–?) auf eigenem Grund und Boden 1795 auf eigene Kosten für die Gemeinde Schüpbach ein Schulzimmer erbauen lassen. Bei der ersten helvetischen Schulumfrage im Jahr 1799 gab er an, bereits 22 Jahre als Schuldiener (d. h. Lehrer) tätig zu sein, daneben sein kleines Gut zu betreuen und Holzschnitzerarbeiten zu verfertigen (Schmidt, H.R. / Messerli, A. / Osterwalder, F. / Tröhler, D. (Hrsg.), Die Stapfer-Enquête. Edition der helvetischen Schulumfrage von 1799, online-Datenbank, Bern 2015, Nr. 714: Schüpbach . Möglicherweise erhielt er also das Rasierbecken zum 20jährigen Jubiläum seines Schulraumbaus geschenkt? Es könnte durchaus bei einem unbekannten Hafner, der im unmittelbaren Umfeld arbeitete und sich mit Langnauer Traditionen auskannte, bestellt worden sein. In Signau oder Schüpbach lässt sich als erster Hafner im Jahr 1835 Christen Herrmann (1793–1851) nachweisen (StAB B XIII 480), doch als das Rasierbecken 1815 gefertigt wurde, arbeitete dieser vermutlich noch in der Werkstatt seines am 13.2.1815 verstorbenen Vaters Ulrich Herrmann (1758–1815; KRL 32, 131) an der Wiederbergstrasse 24 in Langnau. Auch würde dies angesichts seiner Hafnertätigkeit bis 1851 nicht erklären, warum wir nach 1818 keine weiteren datierten Stücke dieser Handschrift mehr haben. Oder handelt es sich um Objekte von Christens Bruder Johannes (1791–1824), der wie Christen nach dem Verkauf der Hafnerwerkstatt Wiederbergstrasse 24 Ende 1816/Anfang 1817 von Langnau nach Wasen im Emmental zu seinem Vetter Johannes Herrmann (1786–1838) verzog und dort bereits 1824 verstarb? Dieses Problem lässt sich derzeit nicht lösen.

Eindeutig dieselbe Handschrift und denselben Stil vertritt ein Teller von 1817 (MKB VI-1436). Auf der Fahne steht der Spruch: «ein gut gewissen und freyer muth, ist besser als des Keisers gut. ein frommes Herz das Gott vertraut, ganz fröllich in den Himmel schaut, es [ist] kein faden so rein gesponnen, er kom(m)t doch endlich an die sonnen.» Im Spiegel steht: «Wenn nicht der federschmuck den Pfauen wurde zieren, So würde man ihn wohl sehr wenig esimieren [sic!] 1817.» Und auf der Rückseite findet sich noch: «Früh auf, fein in der morgenstund macht heilig reich und auch gesund, Durch fischen und durch Vögel fangen ist mancher mann zu grund gegangen.» Nicht nur die Anzahl der Sprüche ist für Langnauer Verhältnisse ungewöhnlich. Auch die Randform des Tellers passt so wenig zum Üblichen der Langnauer Produktion wie die manganviolette Schwämmelung des Randes und des Unterrandes oder die etwas dürr erscheinende Blumeneinfassung im Spiegel.

Nach der Handschrift gehört eine 1818 datierte Dose auf Pokalfuss mit vier breiten, bandförmigen Volutenhenkeln zu dieser Gruppe. Der in der Halskehle umlaufende Spruch lautet: «Dort in meinen Rosen Garten, wil[l] ich meinen Scha[t]z erwarden». Die Aussenseite trägt Ritz-, Springfeder- und Malhorndekor. Die Blumenmotive entsprechen den bisher vorgestellten Stücken (Privatbesitz). Der Spruch findet sich nicht bei typischen Langnauer Produkten, aber bei zwei weiteren undatierten Dosen, von denen eine auch formal fast genau entspricht (MAHN AA-1212).

Die zweite Dose, und das ist besonders wichtig, wäre eigentlich eine typische Langnauer Füsschendose DO 6, wenn da nicht der Spruch auf der vorgeritzten Linie, deutlich abweichende, verschlungene Auflagen, unpassende, sehr massive Füsschen und rundstabige Voluten des Deckelgriffs mit Perldekorbesatz wären (Privatbesitz). Die Volutengriffe der normalen Langnauer Produktion haben dagegen flach-bandförmige Querschnitte. Der geritzte Blumendekor der Dose entspricht den bisher vorgestellten Keramiken.

Form und Dekor sprechen dafür, dass auch zwei undatierte Dosen auf Pokalfuss aus dem Fitzwilliam-Museum in Cambridge bzw. aus dem Schweizerischen Nationalmuseum zu unserer Gruppe gehören (FWMC C.1908&A-1928, SNM LM-009184). Aufgrund der Handschrift passt auch eine weitere Füsschendose mit einer der charakteristischen Auflagen und dem rundstabigen Volutenwerk dazu: «Maria Dissa bin ich genan[n]t der Him[m]el ist mein rechtes Vaterland» (FMST K043).

Der Familienname Dissa muss ein Verschreiber sein, da es sich nicht um einen schweizerischen Familiennamen handelt. Denkbar wären stattdessen Disler oder Dissler, was auf jeden Fall auf eine Besitzerin im Kanton Luzern verweisen würde. Weniger aufwendig, aber mit denselben dürren Blüten-/Blättchenranken verziert ist eine Füsschendose aus dem Gewerbemuseum Winterthur (GMW 467) die der Füsschendose von 1809 aus Münchener Privatbesitz sehr gut entspricht. Auch hier trägt der Abschluss des rundstabigen Volutengriffes Perldekor.

Die rundstabigen Volutengriffe der Deckel, die Auflagen im Halsfeld der Unterteile und die kurzen, eher dicken, unproportioniert wirkenden Füsschen verbinden fünf weitere Füsschendosen mit dieser Keramikgruppe (BHM 6029, MAG 7304, MAHN AA 1197, MKW 177, FMST K043).

Einzelne dieser Dosen weisen Zuordnungszahlen im Inneren von Deckel und Unterteil auf. Im Verhältnis zu den normalen Langnauer Füsschendosen sprechen bei diesen Dosen auch die abweichende, flache Bodenform und die erkennbare Plumpheit für die Herstellung in einer anderen, weniger qualitätsvoll arbeitenden respektive eher «kopierenden» Werkstatt, die nach Langnauer Vorbildern arbeitete. Die Dosen vereinen zwei wichtige neue Elemente der Langnauer Keramik, die sich nach 1800 entwickelt haben: den Perldekor und die Grundengobe mit manganviolett ausschmelzenden Farbkörpern. Bei den Farbkörpern in der Grundengobe handelt es sich um feine Partikel von Eisenhammerschlag, wie sie in jeder Dorfschmiede anfallen. Fein gemahlen und der weissen Grundengobe beigemischt, werden diese dunklen Partikel durch eine leichtflüssige Bleiglasur angeschmolzen. Dies führt zu der manganvioletten Schlieren- und Streifenbildung in der Glasur. Diese Dekortechnik ist, wie der Perldekor, soweit sich das heute sagen lässt, eine Langnauer Entwicklung. Die ältesten Langnauer Keramiken, bei denen weisse Engobe mit Farbkörpern entweder vollflächig oder als dicke Marmorierungstropfen zum Einsatz kam, datieren in die Jahre 1804 und 1806.

Keramik Langnauer Art 2 in Pennsylvania

Bereits 1903 veröffentlichte Edwin Atlee Barber eine Zuckerdose, die den vorstehend beschriebenen Dosen so ähnlich ist, dass man dieselbe gestaltende Hand annehmen muss (Barber 1903, 152-153).

Barber, der im späten 19. Jahrhundert intensiv Keramik in Pennsylvania sammelte und die dortige Hafnereigeschichte erforschte, ordnet diese Dose, ohne weitere Argumente, zusammen mit einer kleinen, fast identisch bemalten Milchkanne, der Töpferei von Johann Nees (Familie auch Neesz, Nice, Neis, Nase geschrieben) in Upper Salford Township, County Montgomery, Pennsylvania, USA zu. Beide Keramiken befinden sich heute im Philadelphia Museum of Art (Garvan 1982, 192 Kat. 96 und 97).

1903 machte bereits der bedeutende französische Keramiker Marc-Louis Solon (1835–1913) Barber darauf aufmerksam, dass er diese Form häufig bei „old pottery of Switzerland“ gesehen habe (Barber 1903, 153). Barber schloss daraus, dass die Familie Nees ursprünglich aus der Schweiz auswanderte, jedoch ist dies falsch. Der Grossvater Johannes Nehs (1705-1789) stammt aus dem Elsass oder Deutschland, der Vater Heinrich Nees (1740-1819) wurde bereits in Pennsylvania geboren (auch alle folgenden genealogischen Angaben nach https://www.wikitree.com/genealogy/Nees-Family-Tree-51).

Der Töpfer Johann Nees wurde am 14.4.1775 vermutlich in Franconia Township geboren und starb am 27.10.1867. Sein Grabstein (Familienname dort „Neβ“) steht heute noch in Earlington, Montgomery County, Pennsylvania, USA, Little Zion Lutheran Church Cemetery (www.findagrave.com). Er betrieb, später auch zusammen mit seinem Sohn gleichen Namens (11.12.1814-16.9.1889; www.findagrave.com), die Töpferei im benachbarten Tylersport oder (später?) Upper Salford (Barber 1903, 107 und 136). 1850 verzeichnet ihn der Bevölkerungszensus in Upper Salford eindeutig als „potter“ (Pennsylvania, 1850, federal census, page 326: NARA Series M432, Roll 799). Johann Nees lernte das Handwerk möglicherweise in der Nachbarschaft in Milford township bei David Spinner, dessen Vater Ulrich 1739 aus Zürich zuwanderte (Barber 1903, 127).

In der Töpferei Nees soll es zumindest im Jahr 1851 auch weitere Mitarbeiter gegeben haben, u.a. einen „John Leman“, der seine Töpferlehre in Langnau in der Schweiz gemacht habe (Garvan 1982, 363, 365, ohne weitere Quellenangabe). 1820 und 1840 lebte ein John Lehman zusammen mit sechs weiteren Personen zunächst in der nur etwa 20 km entfernten Upper und dann der Lower Providence Township (die gesuchte Person? Pennsylvania Census 1820, page 175, NARA 1840, page 210, NARA Series M704, Rolls 477-478) während im Census von 1850 weder für Lower Providence noch für Upper Salford Township ein Lehmann nachweisbar ist und sich auch für den Census von 1830 keine Nachweise für den ganzen Montgomery County erbringen lassen.

Johannes Leman lässt sich aufgrund eines undatierten Tellers im Philadelphia Museum of Art (Barber 1903, 177 Abb. 74; Garvan 1982, 182 Kat. 60), auf dessen Rückseite er nach der Fertigung seinen Namen eingekratzt hat, möglicherweise mit einem weiteren Töpfer aus Pennsylvania verbinden: Friedrich/Fredrick Hilde(n)brand/Heltebrand/Heldenbrand (22.3.1797-28.7.1852; genealogischer Nachweis https://www.wikitree.com/wiki/Hildenbrand-42; www.findagrave.com; auch Garvan 1982, 363).

1830 bis 1850 lässt sich Hildebrand ebenfalls in Upper Salford PA nachweisen, wobei er 1850 ausdrücklich als „Potter“ bezeichnet wird (1830 US Census; Census Place: Upper Salford, Montgomery, Pennsylvania; page 191, NARA Series: M19; Roll Number: 154; 1840, page 134, NARA Series M704, Roll Number 477; 1850, page 329, NARA Series M432, Roll 799).

Möglicherweise arbeitete er dort ebenfalls in der Töpferei von Johann Nees (Garvan 1982, 365 ohne weitere Quellenangabe). Dagegen nimmt Barber (Barber 1903, 176) an, dass der in Montgomery PA geborene Hildebrand in dem 10 km entfernten Tylersport PA seine Werkstatt gehabt habe. Die Namen seiner Eltern sind unbekannt. Eine Verbindung zwischen den Familien Nees und Hildebrand gab es dann in der nächsten Generation, denn John Nees jr. (11.12.1814-16.9.1889) heiratete 1854 Elmina Hildebrand, die Tochter von Friedrich (https://www.wikitree.com/wiki/Nase-52; ich danke Jeffrey Nase herzlich für seine  Unterstützung).

Barber (1903, 177-178) hielt den oben erwähnten Teller mit dem rückseitig eingeritzten Namen Johanes Leman, zusammen mit einem weiteren Teller, der heute im Brooklyn Museum in New York verwahrt wird (Inv. 77.191.2) für Produkte von Friedrich Hildebrand. Das besondere dieser beiden Teller ist nun die Tatsache, dass sie mit Springfederdekor verziert sind, der den deutschsprachigen Töpfern in Pennsylvania ansonsten fremd zu sein scheint (vgl. die zahlreichen Teller bei Garvan 1982 bzw. Palmer Schwind 1983).

Dazu kommt das beide Teller folgenden Spruch aufweisen:

Ich liebe was fein ist,
wann schon nicht mein ist,
und mir nicht werden kann,
so hab ich doch die Freud daran.

Dieser Spruch findet sich auf Keramik aus Langnau, Kanton Bern (Heege/Kistler 2017) zwischen 1782 und 1797 immerhin neunmal, jedoch z. B. nie auf Keramik der Region Heimberg-Steffisburg (BHM 05934, BHM 24278, RML A017, MAG R175, BHM 06042, MAHN AA-1205, SfGB 052, BHM 05922, BHM 05946). Ein Langnau-Bezug muss also in irgendeiner Form existieren.

Viel wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass die Handschrift der Tellerritzung den geritzten Inschriften der Keramik Langnauer Art 2, die oben vorgestellt wurden (vgl. vor allem den Teller von 1817, MKB VI-1436), so ähnlich ist, dass wir an ein und dieselbe ritzende Person, d.h. einen aus der Deutschschweiz in die USA ausgewanderten Töpfer denken müssen.

Leider ist es uns bisher nicht gelungen, die Lebensdaten und den Geburts- oder Wohnort eines Töpfers mit Namen Johannes Lehmann im Kanton Bern zu ermitteln. Wenn wir ihm alle Keramik Langnauer Art 2 zuordnen, so müsste er aufgrund der datierten Stücke um 1809 mit der eigenständigen Produktion begonnen haben und müsste zu diesem Zeitpunkt mindestens 20-25 Jahre alt und vermutlich verheiratet gewesen sein. Vermutlich wurde er also zwischen 1780 und 1790 geboren. Da das letzte datierte Stück aus dem Jahr 1818 stammt, dürfte er relativ bald nach diesem Zeitpunkt ausgewandert sein. Mit der Klima- und Wirtschaftskrise 1816/1817 – 1821 hätte es genug Gründe dafür gegeben.

Neue Zuweisung zu einem Töpfer: Zuckerdose Langnauer Art von Johanes Leman statt von  Johann Nees!

Da für die Füsschendosen mit Perldekor und Spangenwerk gezeigt werden konnte, dass sie von derselben Hand  stammen, wie die beschrifteten Objekte der Keramik Langnauer Art 2, muss auch die von Barber 1903 vorgestellte Dose demselben Hafner bzw. derselben Traditionslinie, d.h. Johanes Leman zugeordnet werden. In welcher Werkstatt Johanes Leman diese fertigte, bleibt dabei zunächst offen.

Eine Absicherung der bisherigen Zuschreibung an die Werkstatt Nees liesse sich aus meiner Sicht nur über Bodenfunde vom Produktionsort erbringen, zumal die übrigen Keramiken der Werkstatt Nees keinen Springfederdekor und eine abweichende Beschriftung aufweisen (Garvan 1982, Kat. 76-100; zahlreiche Objekte im Winterthur Museum in Delaware: Palmer Schwind 1983).

Diese Annahme hat Konsequenzen für die bislang traditionelle Zuschreibung. Eine Zuckerdose aus dem Brooklyn-Museum in New York mit Spangenwerk und Perldekor unterstreicht dies überdeutlich, ist sie auf dem Boden doch ebenfalls signiert mit dem Namenszug „Johannes Leman“. Eine Herstellung in der Werkstatt Nees wird angenommen, demnach hätte Johanes Leman dort gearbeitet (Brooklyn Museum, Inv.  57.75.18). Eine ganz ähnliche Dose wurde im Juli 2017 auf einer Auktion bei Crocker Farm versteigert  (Herkunft: gekauft 1961 auf einer Auktion in Northampton County, PA).  Eine ähnliche Dose verwahrt auch das Metropolitan Museum in New York (Accession Number 34.100.152a, b).

Diesem Stück kann eine weitere Dose aus dem Winterthur Museum in Delaware an die Seite gestellt werden (Palmer Schwind 1983, Fig. 190; Inv. 1960.0621), zu der es eine weitere Parallele im Mercer Museum der Bucks County Historical Society gibt (Inv. 14712: Palmer Schwind 1983, 198).

Foto: Pook & Pook Inc., Downingtown PA (sales cat.), Catalogue for The Pioneer Americana Collection of Dr. and Mrs. Donald A. Shelley, April 20-21, 2007, p. 41, Lot 154.

2007 wurde in den USA sogar eine Füsschendose versteigert, die den typologischen Zusammenhang zu den Stücken aus der Schweiz noch deutlicher werden lässt. In derselben Auktion wurde auch eine einfacher verzierte Zuckerdose verkauft, die in denselben typologischen Zusammenhang gehören dürfte.

Zusammenfassung

Es handelt sich bei der Keramik «Langnauer Art 2» um die Produkte einer Werkstatt, die die neuen Entwicklungen in den Langnauer Werkstätten (Füsschendosen, Farbkörper in der Grundengobe, Perldekor) zeitnah kopierend umsetzte, ohne die Langnauer Qualität auch nur annähernd erreichen zu können. Gleichzeitig wurden mit dem manganvioletten Schwämmeldekor auf dem Tellerrand Dekorelemente aufgenommen, die man ansonsten eher gerne in der Produktion im weiteren Umfeld von Bäriswil suchen würde. Vermutlich befand sich die Werkstatt aber im näheren Langnauer Umfeld. Momentan lässt sich für die Schweiz ein eindeutiger Produktionszeitraum von 1809 bis 1818 sichern.

Möglicherweise handelt es sich bei dem Töpfer um Johannes Lehmann, der anschliessend in die USA auswanderte und in Pennsylvania (Montgomery county) möglicherweise in der Werkstätten von Johannes Nees oder Friedrich Hildebrand in Tylersport oder Upper Salford weiterhin Keramik Langnauer Art fertigte.

Liste der zugeordneten Objekte aus der Schweiz:

BHM 06029
BHM 06190
FMST K043
FWMC C.1908&A-1928
GMW 467
MAG 07304
MAHN AA-1197
MAHN AA-1212
MKB VI-01436
MKW 177
SfGB 174
SNM LM-009184
Privatbesitz (4 Stücke)
Nach der Handschrift erscheint ein Teller mit Abtropfsieb aus dem Schweizerischen Nationalmuseum ebenfalls eng verwandt: SNM LM-003575.

Bibliographie

Barber 1903
Edwin Atlee Barber, Tulip ware of the Pennsylvania-German Potters. An historical Sketch of the Art of Slip-Decoration in the United States (Neuauflage 1970), New York 1903.

Garvan 1982
Beatrice B. Garvan, The Pennsylvania German Collection (Handbooks in American Art 2), Philadelphia 1982.

Heege/Kistler 2017
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Heege/Liesch 2022
Andreas Heege/Andreas Liesch, Ein Emmentaler in Amerika, in: Keramik-Freunde der Schweiz Revue 136, 2022, 7-32.

Palmer Schwind 1983
Arlene Palmer Schwind, Pennsylvania German Earthenware, in: Scott T. Swank, Arts of the Pennsylvania Germans, New York 1983, 171-199.