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Langenthal BE, Langenthal Porzellanfabrik AG

Langenthaler Porzellan in CERAMICA CH

Andreas Heege, 2019

Die Porzellanfabrik Langenthal AG wurde am 4. Juli 1906 gegründet. Sie hatte zunächst ein Gründungskapital von 500.000 CHF und war im Besitz von 47 Aktionären. Der erste Brand erfolgte am 17. Januar 1908. Die Belegschaft bestand aus 87 Arbeitern, von denen 35 aus Böhmen angeworben wurden. Das Kaolin kam aus der Region Karlsbad.  Als künstlerischer Leiter wurde 1909 der Berner Maler Rudolf Münger eingestellt. Bereits 1910 erreichte die Firma die Gewinnschwelle.

Die Langenthaler Porzellanproduktion im offiziellen “Illustrierten Ausstellungsalbum” der Schweizerischen Landesausstellung in Bern, 1914.

Die Jahre des ersten Weltkriegs bildeten eine Krisenzeit, die jedoch offenbar überwunden wurde.  1920 trat der in der Keramikfachschule von Renens ausgebildete  Fernand Renfer in die Porzellanmanufaktur ein. Er sollte das Bild des Langentaler Porzellans massgeblich beeinflussen. Als technische Neuerung trat zwischen 1936 und 1937 ein elektrischer Tunnelofen (Blondel 2001, 166) an die Stelle der alten, kohlebeheizten Rundöfen. 1941-1942 und 1950-1951 wurden zwei weitere gebaut.  Ab 1964-1965 erfolgten Neubauten mit Gasbetrieb. Die erfolgreichsten Jahre der Firma lagen zwischen 1950 und 1970. 1964 hatte der Betrieb mit 950 Angestellten seine höchste Beschäftigungsquote.  In den 1980er-Jahren begann für die Manufaktur Langenthal der langsame Niedergang. 1988 erfolgte die Fusion mit der Keramik Holding Laufen AG, in deren Folge eine allmähliche Produktionsverlagerung nach Tschechien einsetzte. 1998 endete die Weissporzellanherstellung, nur Malerwerkstätten verblieben vor Ort. 2003 wurde Langenthal von der tschechischen Benedikt-Gruppe gekauft. Heute wird das gesamte Langenthalporzellan in Tschechien gefertigt. Es gibt immer noch eine Verkaufsstelle auf dem alten Fabrikgelände.

Umfangreiche Homepage zum Langenthaler Porzellan

Die Marken der Porzellanfabrik

Langenthaler Zuckerdosen

Langenthaler Porzellan im MAG

Bibliographie

Blondel 2001
Nicole Blondel, Céramique : vocabulaire technique, Paris 2001, 166.

Gallati 1962
Werner Gallati, Die Porzellanfabrik Langenthal, in: Jahrbuch des Oberaargaus 5, 1962, 178-186.

Schnyder 1979
Rudolf Schnyder, Langenthal und die Tradition des Schweizer Porzellans – Bemerkungen zur Fabrikmarke von Langenthal, in: Mitteilungsblatt der Keramikfreunde der Schweiz 92, 1979, 5-8.

Schumacher/Quintero 2012
Anne-Claire Schumacher/Ana Quintero, La manufacture de Porcelaine de Langenthal, entre design industriel et vaiselle du dimanche – Die Porzellanmanufaktur Langenthal, zwischen Industriedesign und Sonntagsgeschirr, Milan 2012.

 

Langnau BE, Adolf Gerber (1879–1951)


Adolf Gerber an der Töpferscheibe 1946.

Keramik von Adolf Gerber in CERAMICA CH

Roland Blaettler, Andreas Heege 2020

Adolf Gerber (1879–1951) gilt als der Erneuerer der Langnauer Tradition farbenfroher dekorierter Irdenware, mit zeitgemäss angepassten Formen und Dekoren. Adolf Gerbers Vater Adolf (1859–1919) gründete 1902 die Töpferei in der Tschamerie, zwischen Hasle-Rüegsau und Burgdorf-Oberburg. Adolf Gerber, jun. machte seine Lehre nach einer schriftlichen Aufzeichnung von Franz Kohler aus Schüpbach zunächst bei einem Hafner Bieri in Heimberg oder Steffisburg (Vorname unbekannt), wo er jedoch so schlecht gehalten wurde, dass er abmagerte und die Lehrstelle aufgab. Eine neue Lehrstelle fand er bei Niklaus Kohler (1843-1927) in Schüpbach, wo er dessen Tochter Marie Kohler kennenlernte und am 11. Mai 1904 heiratete.

Adolfs Bruder Johann Friedrich Gerber (1881–1935) arbeitete zeitweise als Töpfer in Grünen, Gemeinde Sumiswald. Ida Gerber (1897–1954), die Schwester der beiden Hafner, heiratete Franz Aebi (1894–1974), der ab 1919 die väterliche Töpferei in Hasle weiterführte.

1909 übernahm Adolf Gerber mit seinem Schwager Oswald Kohler (1886–1955) die 1869 gegründete Werkstatt des Schwiegervaters Niklaus Kohler (1843–1927) in Schüpbach.

Aus dieser Zeit der Werkstattgemeinschaft, die nur zwei Jahre dauern sollte, existierten bis heute nur zwei gemarkte Teller (Privatbesitz) mit Motiven wohl von Paul Wyss. Dieser gehörte ab 1909, zusammen mit seinem Schwiegervater, Pfarrer Müller in Langnau, zu den aktivsten Förderern einer Neubelebung der Langnauer Töpferkunst (Aeschlimann 1928, 17-18).

Im Januar 1911 verkauften die Erben des Hafners Jacob Althaus (1834–1893) Haus und Werkstatt an der Güterstrasse 3 in Langnau an Adolf Gerber.

Adolf Gerbers Betrieb war, vor allem nach der Erfindung des Stils «Alt-Langnau» in Zusammenarbeit mit dem bernischen Kunstgewerbelehrer Paul Wyss, in der Zeit zwischen 1911 und 1951 sicher einer der aktivsten und erfolgreichsten in der Region, berücksichtigt man die Zahl der in Privathaushalten und museal erhaltenen Keramiken. Zahlreiche Beispiele von Gerbers Schaffen sowie zahlreiche Archivalien aus seiner Werkstatt werden heute im Regionalmuseum Langnau aufbewahrt (Aeschlimann 1928, 18–19; Gerber 1985, 11; Heege/Kistler 2017, 187–189).

1917 Beteiligung an der “Schweizerisch-Kunstgewerblichen Weihnachtsausstellung” in Zürich (Der BUND 68, Nummer 481, 14. Oktober 1917).

1924 Teilnahme der Kunsttöpferei Adolf Gerber, Langnau an der KABA in Burgdorf (StAB BB 1.9.7).

1927 zeigte man die aktuelle Produktion auf einer grossen Ausstellung im Musée d’Art et d’Histoire in Genf. Der BUND berichtete ausführlich über die Ausstellung und die bernische Beteiligung (Der Bund, Band 78, Nummer 395, 14. September 1927).

1930 Beteiligung an der Keramikausstellung aus Anlass “25 Jahre Keramische Fachschule Bern” (Der BUND 4.7.1939, StAB BB 1.9.34, Zeitungsausschnitte).

Vermutlich von Anfang an (ab 1911) führte Adolf Gerber die Blindmarke “A. Gerber Töpferei Langnau”.  Spätestens ab 1915 wurde diese ergänzt durch das Langnauer Gemeindewappen und die Beischrift “LANGNAUER”. Zeitweise finden sich auch zusätzlich eingeritzt die Buchstaben “A.G.L.”.

Wahrscheinlich etwas jünger sind geritzte Werkstattmarken “A. Gerber Langnau”. Eine umfassende Bearbeitung der Formen und Dekore der Werkstatt von Adolf Gerber steht bis heute aus.

Adolf Gerbers Tochter Erika (1919–2004) heiratete 1945 den Hafner Jakob Stucki (1920–1982).  1946 erschien ein lesenswerter Artikel “Junges Leben in der alten Langnauertöpferei” in der Zeitschrift Heimatwerk – Blätter für Volkskunst und Handwerk.

Vermutlich entstand in dieser Zeit durch Jakob Stucki die Figurenserie zur Werkstatt Gerber, die sich heute im Regionalmuseum in Langnau befindet.

Jakob Stucki übernahm 1948 die Werkstatt seines Schwiegervaters. Nach dessen Tod im Jahr 1951 blieb die Liegenschaft an der Güterstrasse 3 in der Familie und wurde bis zu Jakob Stuckis Tod 1982 aktiv als Geschirr- und Kunsttöpferei genutzt. Einem Werkstattnachfolger war kein Erfolg beschieden.

Erika Gerber und Jakob Stucki 1946

Stammbaum Gerber-Kohler-Stucki-Aebi

Bibliographie:

Aeschlimann 1928
Emil Aeschlimann, Alt-Langnau-Töpferei. Ein Beitrag zur Volkskunde. Beilage: Die rumänische Königin im Ilfis-Schulhaus, 8. Mai 1924, Bern 1928.

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2014, 370.

Gerber 1985
Heinz Gerber, Die Langnauer Töpfereien. Ein kleiner Überblick, Langnau 1985.

Heege/Kistler 2017
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Schneider 1979
Alfred Schneider, Der Töpfer Jakob Stucki (Suchen und Sammeln 4), Bern 1979.

Schnyder 1985
Rudolf Schnyder, Vier Berner Keramiker. Werner Burri, Benno Geiger, Margrit Linck, Jakob Stucki, Bern 1985.

Langnau BE, Geschirrhalle Herrmann / Töpferhus Herrmann

 

Roland Blaettler, Andreas Heege 2022

Keramik der Geschirrhalle in CERAMICA CH

Keramik des Langnauer Töpferhauses in CERAMICA CH

Ab 1902 war Gotthold Herrmann in Langnau als Schreiner tätig. Als er seinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, eröffnete er einen kleinen Laden, wo er u. a. Salz und Geschirr anbot. Trotz des identischen Namens besteht keine verwandtschaftliche Beziehung zu den Langnauer Hafnern Herrmann (Heege/Kistler 2017).

1933 übernahm Gotthold Herrmanns Sohn Fritz das Geschäft an der Langnauer Oberstrasse, welches sich unter dem Namen «Geschirrhalle» wesentlich entwickeln sollte. Fritz Herrmann hatte in der Tschechoslowakei und in Schlesien die verschiedenen Techniken im Dekorieren von Porzellan erlernt (Malerei, Stahl-, Kupfer- und Siebdruck). Dies erlaubte ihm, das Angebot auf die Anfertigung von speziellen Dekoren zu erweitern, z. B. für Vereine, Firmen oder Privatanlässe. Unter der Marke «Helapo» (Herrmann Langnauer Porzellan) und weiteren Marken wurde seit den 1930er-Jahren weisses Porzellan aus Deutschland oder aus Langenthal dekoriert.

1947 erschien in der Berner Woche auch ein bebilderter Beitrag zur Geschirrhalle.

Später wurden Verkaufsfilialen in Thun, in Konolfingen und im Shoppyland Schönbühl eröffnet. Markus Herrmann übernahm die Geschäftsleitung 1972. Um die Jahrhundertwende mussten alle Filialen geschlossen werden, selbst die Mutterfirma an der Oberstrasse. 2014 bestand noch die Firma «Herrmann im Töpferhus», mit der Töpferei, dem Dekorationsatelier und einem Verkaufsladen.

 

Im April 1984 wurde unter Mitwirkung des Keramikers Heinz Gerber im Langnauer Töpferhus eine neue eigene Töpferei eingerichtet, die vor allem im «Alt-Langnauer» Stil fertigte (Der Bund, Band 136, Nummer 92, 22. April 1985). Die Keramikproduktion wurde im März 2018 eingestellt.

Das Regionalmuseum in Langnau bewahrt einzelne Stücke aus dem ersten Brand der Töpferei im Jahr 1984.

Informationen von Markus Herrmann

Bibliographie:

Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Langnau BE, Hafner Herrmann

 

 

Langnauer Keramik in der Bilddatenbank

Andreas Heege, Andreas Kistler 2017

Die Gemeinde Langnau liegt im Emmental im Kanton Bern, Schweiz. Ihre topografisch bedingte Zentrumsstellung prädestinierte sie als Marktzentrum des oberen Emmentals und des angrenzenden luzernischen Entlebuchs. Die überregional bedeutsamen Langnauer Jahrmärkte wurden erstmals 1467 erwähnt. Langnau und das östliche Hügelland des Kantons Bern waren im 18. und frühen 19. Jahrhundert von allen Landesteilen ökonomisch am stärksten entwickelt. Vom damaligen Reichtum zeugen sowohl die grossen Bauernhöfe als auch die grosse und stetig zunehmende Bevölkerungszahl. In Verbindung mit dem Erbrecht des jüngsten Sohns führte dies seit dem Mittelalter zu einer zahlenmässig starken ländlichen Mittel- und Unterschicht aus Kleinbauern, Tagelöhnern und Handwerkern. Hierzu gehörten auch die Hafner und Ofensetzer, deren qualitätsvolle Produkte seit dem späten 19. Jahrhundert hoch geschätzte Sammlungsobjekte für Museen und Privatsammlungen wurden. Bis heute haben sich über 2000 Keramiken und Ofenkacheln der Hafner von Langnau erhalten. Dazu kommen besonders wichtige archäologische Bodenfunde von den Hafnergrundstücken Höheweg 1 und Sonnweg 1 sowie eine private Sammlung von Langnauer Modeln, die überwiegend aus der Hafnerei Sonnweg 15 stammt.

Die frühen Hafner

Im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es in Langnau einzelne Hafner mit Namen Hürby, Baur, Neuenschwander und Jost. Aus deren Betrieben entwickelten sich jedoch keine Hafner-Dynastien. Ihre Produkte sind unbekannt.

Die Hafner Herrmann

Anders verhält es sich mit den Hafnern der Familie Herrmann. Zwischen Niklaus Herrmann, ab 1672 dem ersten Hafner am Sonnweg 15, und Ulrich Herrmann, dem letzten Hafner, der 1904 am Sonnweg 1 starb bzw. Johann Herrmann, der 1910 die Werkstatt an der Wiederbergstrasse 5 aufgab, lassen sich mindestens 56 Hafner der Familie Herrmann und die von ihnen genutzten Werkstätten und Grundstücke nachweisen. Dies ist mit neun Generationen die umfangreichste bisher untersuchte Hafner-Dynastie der Deutschschweiz (vgl. Stammbaum und Hafnertabelle), wobei die Hafner in Abhängigkeit von den wirtschaftlichen Gegebenheiten tendenziell mobil waren. Zwei Hafner Herrmann arbeiteten zeitweise in Bern (u. a. als Leiter der Fayencemanufaktur Frisching). Fünf arbeiteten ganz oder teilweise in der Region Heimberg/Steffisburg. Für sechs Hafner und ihre Familien lagen Wohnung und Werkstatt im «Brügghüsli» in Trubschachen an der Mühlestrasse 14. Sechs Hafner Herrmann lebten und arbeiteten in Wasen im Emmental in der Gemeinde Sumiswald. Vor allem im späten 19. Jahrhundert gab eine Reihe von Hafnern den Beruf auf und wurde Krämer, Zivilstandsbeamter, Tabakfabrikant oder Oberwegmeister. Einzelne Hafner verbrachten ihre Lebensarbeitszeit teilweise oder vollständig auch an anderen Orten des Kantons Bern (Bärau, Bümpliz, Grosshöchstetten, Münsingen, Neuenegg, Oberburg, Oberhofen, Signau, Dürrenroth, Hindelbank, Langenthal, Lyss, Ursenbach und Zweisimmen). Nur zwei Hafner liessen sich schliesslich ausserhalb des Kantons in Lüsslingen, Kanton Solothurn, bzw. in Aesch, Kanton Basel-Landschaft, nieder. Vier Hafner wanderten in die USA aus.

Wirtschaftliche Verhältnisse

Eine Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Hafner Herrmann ist nur in Ansätzen möglich. Aufgrund von Steuerzahlungen lässt sich belegen, dass sie in Langnau zur unteren Mittelschicht gehörten. Diese umfasste im 18. Jahrhundert etwa 30 Prozent aller Haushalte. Gleichzeitig gehörten 40 Prozent der Langnauer Haushalte zur nicht besteuerten Unterschicht der Gemeindearmen. Die an anderen Orten schwierige Zeit der Landwirtschafts- und Wirtschaftskrise von 1816 bis 1821 ging an den Langnauer Hafnern erstaunlicherweise ohne Konkurse vorbei, obwohl auch Langnau massiv von der Katastrophe betroffen war. Erst die Krise in der Zeit zwischen 1845 und 1856 (Kartoffelpest 1845/46) führte auch in Langnau zu grossen Versorgungs- und Wirtschaftsproblemen. Die Auswanderung in die USA löste möglicherweise zumindest für vier Langnauer Hafner die drängenden Probleme.

Die wichtigsten Werkstätten und Hafner

Sicher der bedeutendste und technisch versierteste Langnauer Hafner des 18. Jahrhunderts war Daniel Herrmann (1736–1798). Er leitete von 1762 bis 1776 die Frisching’sche Fayencemanufaktur in Bern, die mit ausländischen Fayencemalern vor allem Kachelöfen und Geschirr nach Strassburger Vorbildern für das patrizische Publikum in Basel und Bern produzierte. Nach der Schliessung der Manufaktur übertrug Daniel Herrmann zahlreiche stilistische Elemente der bernischen Fabrik auf die Langnauer Irdenware, u. a. indem er die entsprechenden Gipsformen für Geschirr und Ofenkacheln mit nach Langnau brachte. Auf ihn folgte in der Werkstatt Höheweg 1 ein mindestens ebenso begabter Sohn gleichen Namens (1775–1864). Zu Lebzeiten seines Enkels bzw. Urenkels, die ebenfalls beide Daniel hiessen (1801–1871 bzw. 1830–1883) endete die Produktion von Keramik im Langnauer Stil, spätestens um 1860.

Aufgrund verschiedener Kriterien (Beschriftung mit Signatur, Herstellungsort Langnau oder Wohnort des Besitzers, Übereinstimmung erhaltener, signierter und datierter Model mit Grifflappen und Reliefauflagen, Typologie der Gefässformen, Dekore und Motive) existieren sehr gute Grundlagen für die Zuweisung von Keramiken zum Produktionsort Langnau und zur Abgrenzung der Produkte anderer bernischer Hafnerorte. Besonders hilfreich sind in diesem Zusammenhang auch die archäologischen Bodenfunde von den Hafnergrundstücken Höheweg 1 und Sonnweg 1. Sie sind unmittelbare Zeugnisse der lokalen Produktion und als solche unverzichtbar für eine grundlegende Bearbeitung. 1167 Langnauer Keramiken tragen eine eingeritzte oder aufgemalte Jahreszahl, was die vergleichende chronologische Einordnung auch undatierter Stücke erleichtert.

Die vertiefte Analyse der Handschriften der beschrifteten Keramiken in Verbindung mit den Grifflappentypen, den Fruchtgriffen und verschiedenen Motiven liess darüber hinaus erkennbar werden, dass regelhafte Vergesellschaftungen von Merkmalen existieren, die als «Handschrift» eines Keramikers oder von Werkstätten interpretiert werden können. Diese lassen sich im Idealfall sogar mit historisch bekannten Langnauer Hafnern und ihren Werkstätten verbinden. Es ergaben sich insgesamt 33 Gruppen solcher Merkmalskombinationen, die als «Hand 1–25» (mit weiteren Variationen) bezeichnet und dargestellt werden. Aufgrund verschiedener Kriterien, wie z. B. kontinuierlich genutzter Grifflappenmodel oder dem Verhältnis von Geschirrdatierungen und den Lebensspannen einzelner Hafner, konnten verschiedene «Hände» zu «Werkstätten» zusammengefasst werden («Werkstatt 1–6»).

Unter den Keramiken im Langnauer Stil stechen einzelne Produkte besonders hervor. Sie lassen sich u. a. mit Hans Herrmann dem Weibel (1673–1762, «Werkstatt 1, Hand 1») und der Werkstatt Sonnweg 15 verbinden. In seine Anfangsjahre fällt die Entwicklung des Langnauer Stils, der sich dann mit unterschiedlichen Entwicklungsschritten bis in die 1860er-Jahre verfolgen lässt, jedoch bereits seit etwa 1830 stark rückläufig war. Sein Sohn Christen (1703–1771, «Werkstatt 1, Hand 4») war in der Zeit zwischen etwa 1725 und 1750 der wichtigste, den Langnauer Stil prägende Hafner. Er setzte wie sein Vater und Grossvater auch Kachelöfen. Die Keramikgliederung der 1750er- und 1760er-Jahre lässt keine auf einzelne historisch bezeugte Hafner bezogene Einteilung zu («Werkstatt 1, spät» bzw. «Werkstatt 2»).

Der bedeutendste und einflussreichste Langnauer Hafner war Daniel Herrmann (1736–1798, «Werkstatt 3, Hand 5»). Er führte ab 1769 eine eigene Werkstatt am Höheweg 1. Gleichzeitig war er von 1763 bis 1776 Direktor der Frisching’schen Fayencemanufaktur in Bern. Er war als einziger Hafner mit einer Frau der Langnauer Oberschicht verheiratet. Aufgrund der hohen Qualität von Dekor und Beschriftung lassen sich zwischen etwa 1760 und 1798 über 250 Keramiken seiner Produktion zuordnen. Dabei sind Daniels Anfänge in Langnau zunächst noch vom Formenspektrum der bernischen Fayenceproduktion geprägt, da er offenbar auch Formmodel der dortigen Manufaktur für seine Fruchtgriffe, die Rokoko-Terrinen, Wandbrunnen, Zuckerstreuer und Teedosen verwendete. Bereits 1760 schuf er den ersten Teller mit Abtropfsieb und ab 1781 eine grosse Serie von Tellern mit unterschiedlich fassonierten Rändern. 1794 entstand in seiner Werkstatt für den privaten Gebrauch die älteste erhaltene «Hochzeitsschüssel», ein Schauessen in Terrinenform. Sein Gefässformen- und Dekorspektrum ist sehr gross und vielgestaltig. Zahlreiche Einzelkacheln sowie Kachelöfen lassen sich ihm ebenfalls zuordnen. Dabei griff er auch auf Kachelmodel der Frisching’schen Fayencemanufaktur zurück. Je nach Kundenwunsch versah er die einfacheren oder komplexeren Öfen mit Fayence- oder preiswerter Bleiglasur. Für das Jahr 1789 lässt sich erstmals ein Kachelofen mit manganviolett bemalter Fayenceglasur belegen, was optisch einen starken Gegensatz zur gleichzeitig produzierten Geschirrkeramik darstellt. Ab diesem Zeitpunkt begannen Kachelofen- und Geschirrproduktion stilistisch auseinanderzudriften. Daniel betätigte sich, wie später seine Söhne, auch im Zusammenhang mit der Orgel der Langnauer Kirche. Vermutlich geht der überlieferte keramische Orgelschmuck auch der Kirche von Rüderswil auf ihn zurück.

Daniels Söhne («Gebrüder Herrmann», 1798–1840) setzten die Tradition der Werkstatt in der Qualität von Dekor und Beschriftung nahezu bruchlos fort («Werkstatt 3, Hand 6 und 7»). Daniel (1775–1864) lassen sich 99 Keramiken zuweisen und Johannes (1777–1827) 37 Gefässe. Bei weiteren 25 Gefässen ist aufgrund der Datierungen klar, dass sie in der «Werkstatt 3» zur Zeit der «Gebrüder Herrmann» entstanden. Weitere 237 Gefässe lassen sich aufgrund verschiedener Kriterien nur der «Werkstatt 3», jedoch keinem der genannten Hafner zuweisen. Daniel (1775–1864) produzierte möglicherweise auch die vier bekannten «Hochzeitsschüsseln» aus den Jahren 1800 und 1801. Zwischen 1800 und 1810 experimentierte er mit einer stark reduzierten hellblauen oder bunten Dekorfarbigkeit. In seinen späteren Lebensjahren arbeitete er auch als Organist, Vermesser, Lithograf sowie Zeichner von Orgelprospekten und war eine Zeit lang kantonaler Bezirksinspektor für das Strassenwesen. Die Kachelöfen der «Gebrüder Herrmann» folgten bis in die Zeit um 1803 noch dem farblichen und stilistischen Schema des Vaters. Danach wurden offenbar nur noch weisse Fayencekachelöfen mit violettschwarzer Inglasurmalerei im Stil des Klassizismus und des Biedermeier gefertigt. Zwischen 1760 und etwa 1830 war die Werkstatt am Höheweg 1 in Langnau bezüglich Formenreichtum, Qualität, Dekor und Beschriftung der Massstab, an dem sich alle übrigen Hafner messen lassen mussten.

Hans Herrmann (1737–1787, «Werkstatt 4, Hand 10»), der Bruder von Daniel Herrmann (1736–1798), produzierte in den Werkstätten Bärenplatz 1 bzw. Sonnweg 1. Seine Personen- und Tierdarstellungen sind ebenfalls sehr gefällig, zeigen aber nicht dieselbe zeichnerische Befähigung, wie sie sein älterer Bruder besass. Immerhin können fast 60 Objekte mit seiner Tätigkeit in Verbindung gebracht werden. Sein Sohn Johannes Herrmann (1775–1827, «Werkstatt 4, Hand 12») wurde vermutlich von seinem Onkel Daniel (1736–1798) in der Werkstatt Höheweg 1 ausgebildet. Seine Keramiken und Bilder erweisen sich denen seiner Vettern («Gebrüder Herrmann») als durchaus ebenbürtig, jedoch verfügte er nur über ein eingeschränktes Spektrum an Fruchtgriffmodeln für die Terrinendeckel. In seiner Werkstatt am Sonnweg 1 dürften 1797 die ungewöhnlichen Langnauer Kugelsonnenuhren entstanden sein. Johannes war in der Zeit der Helvetik (1798 bis 1803) offenbar stärker politisiert als die übrigen Langnauer Hafner. Ihm können mit grosser Wahrscheinlichkeit 125 Keramiken zugewiesen werden. Für seinen Werkstattnachfolger und Grossneffen Johannes Herrmann (1802–1867, «Werkstatt 4, Hand 13») ist kaum noch datiertes Museumsmaterial überliefert. Dagegen haben die Ausgrabungen auf dem Hafnereigrundstück Sonnweg 1 zahlreiche Fehlbrände geliefert. Sie können sowohl aus der späten Produktionszeit von Johannes (1802–1867) als auch aus der seines Sohnes Johannes (1829–1887) oder seines Enkels Ulrich (1857–1904) stammen und werden pauschal als «Hand 14» zusammengefasst. Sie dokumentieren das Ende des Langnauer Stils in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Die Ausgliederung der «Werkstatt 5, Hand 15–21» erfolgte, da es sich erkennbar um Keramik handelt, die nicht zu den «Werkstätten 1–4» bzw. «Werkstatt 6» gehört. Vermutlich wurden diese Produkte mehrheitlich durch die Mitglieder eines Seitenzweigs der Familie Herrmann hergestellt, und zwar die Söhne, Enkel und Urenkel von Christen Herrmann (1703–1771, vgl. Stammbaum). Als Produktionsorte kämen damit vor allem die Hafnereigrundstücke Sonnweg 15 und Wiederbergstrasse 5 sowie Wiederbergstrasse 24 und 33 infrage. Die «Hände 22–25» («Werkstatt 6») repräsentieren dann mit grosser Sicherheit die späte Entwicklung in der Hafnerei Wiederbergstrasse 5 nach 1840. Bedeutend war hier u. a. der stilistische Einfluss des Gesellen Johann Martin Labhardt aus Steckborn im Kanton Thurgau.

Spätestens ab den 1830er-Jahren nahm der stilistische Einfluss der Keramik «Heimberger Art» aus der Region Heimberg-Steffisburg auf die Langnauer Keramik massiv zu, sodass um 1860 quasi alle ehemaligen Langnauer Dekorelemente verschwunden waren. An ihre Stelle trat zunehmend eine Dekoration nur mit dem Malhorn, dem Pinsel (Horizontalstreifendekor) oder mit kleinen Musterschwämmen (Schwämmeldekor). Derzeit können Produkte der Langnauer Spätphase kaum begründet von denen der übrigen bernischen Hafnereien unterschieden werden.

Die Langnauer Keramik ist bekannt für ihre grafisch sehr aufwendig gestalteten Motive und die begleitenden Sprüche. Für die individuell gestalteten Bilder, vor allem der Teller und Terrinen, haben sich quasi keine druckgrafischen Vorlagen finden lassen. Die oft moralisierenden und belehrenden Sprüche entstammen dagegen zumindest in Teilen der Bibel und sonstigen religiösen Schriften und Musiksammlungen, Schul- und Lesebüchern sowie gedruckten Gedicht- und Spruchsammlungen. Nur in Ausnahmefällen beziehen sie sich auf aktuelle Ereignisse (Unwetter, Meteoriteneinschläge, Teuerung) oder die Politik. Öfter stehen Mägde und Knechte oder das Geschlechterverhältnis im Fokus. Daneben kommen verschiedene Sprüche im Zusammenhang mit der Milchwirtschaft und den Langnauer Genossenschaftsalpen vor. Dazu passt, dass sich auch alle Tiere und zahlreiche Tätigkeiten der Landwirtschaft des Emmentals in den Keramikmotiven wiederfinden.

In welchem Umfang die Langnauer Hafner die lokalen oder regionalen Märkte als Verkaufsmöglichkeit nutzten, ist nicht bekannt. Was nicht auf dem Markt oder direkt aus der Werkstatt verkauft wurde, verhandelten Hausierer, Kachelträger oder Topfhändler. Das Absatzgebiet der Langnauer Keramik konnte aufgrund der dokumentierten Haushaltsinventare und unterschiedlicher schriftlicher Informationen auf der Keramik selbst ermittelt werden. Hierbei spielen die Ortsnamen und Alpnennungen sowie die Wohnorte von Ehepaaren, die auf der Keramik genannt werden, eine besondere Rolle. Zusätzlich tragen 317 Langnauer Keramiken Namen, die sich anhand des Familiennamenbuchs der Schweiz auch auf ihren Heimat- oder Burgerort in der Zeit um 1800 kontrollieren lassen und damit ein weiteres Indiz für das potenzielle Langnauer Absatzgebiet sind. Dieses umfasst demnach mit einer Kernzone von etwa 20 km Radius das ganze Emmental sowie das angrenzende Entlebuch und erweitert sich nach Norden in Richtung auf den bernischen Oberaargau. Dagegen waren die Städte Bern, Burgdorf und Thun sowie erstaunlicherweise auch das Berner Oberland für die Langnauer Hafner nur ein unbedeutender Absatzmarkt. Eine Kontrolle archäologischer Fundbestände bestätigt das beschriebene Absatzgebiet.

Über die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Position der Abnehmer der Langnauer Keramik sind wir leider weniger gut informiert. Gelegentlich finden sich Hinweise auf die bessergestellten Weibel, Gerichtssässen, Kirchmeier, Dragoner, Müller, Wirte, Alpmeister und Hofbesitzer. Es lässt sich nicht beurteilen, ob sich nur die gut situierten Hofbesitzer im Emmental oder auch die Besitzer der kleineren und wirtschaftlich schwächeren Heimwesen, normalerweise Langnauer Keramik leisten konnten oder leisteten. Erwarten kann man die hochverzierte Luxuskeramik und die weniger verzierte Alltagskeramik aus den Werkstätten der Hafner Herrmann zwischen 1700 und 1850 vermutlich auf jedem grossen und mittleren Hof des Emmentals und vermutlich auch des Entlebuchs. Auf die einfachere, nur wenig dekorierte Alltagskeramik, die museal kaum überliefert ist, konnten wahrscheinlich aber auch die ärmeren Haushalte nicht verzichten.

Weitere Hafner in Langnau bis etwa 1950

Es sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, dass in Langnau auch nach 1850 und nach dem definitiven Ende des Langnauer Stils (zwischen 1830 und 1860) weiterhin Keramik hergestellt wurde. Daran waren auch Hafner beteiligt, die nicht zur Familie Herrmann gehörten (siehe Hafnertabelle Langnau).

Eine Wiederbelebung von «Alt-Langnauer Geschirr» erfolgte im Rahmen der Arts-and-Craft-Bewegung bzw. der Schweizerischen Heimatstilbewegung nach 1896. Hervorzuheben sind hierbei neben der Hafnerei Röthlisberger in Langnau die Hafnereien von Oswald Kohler (1886–1955) in Schüpbach und seinem Schwiegersohn Adolf Gerber (1879–1951) in Langnau. In der seit 1913 bestehenden Werkstatt Gerber arbeitete ab 1945 auch der bedeutendste Langnauer Töpfer des 20. Jahrhunderts, Jakob Stucki (1920–1982). Unter den Keramikerinnen ist auf Frieda Lauterburg zu verweisen.

Stammbaum der Hafner Herrmann

Hafnertabelle Langnau

Absatzgebiet der Langnauer Keramik

Bibliographie

Heege/Kistler 2017/1
Andreas Heege/Andreas Kistler, Poteries décorées de Suisse alémanique, 17e-19e siècles – Collections du Musée Ariana, Genève – Keramik der Deutschschweiz, 17.-19. Jahrhundert – Die Sammlung des Musée Ariana, Genf, Mailand 2017, 174-319.

Heege/Kistler 2017/2
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Langnau BE, Jakob Stucki (1920–1982) und Erika Gerber-Stucki (1919–2004)

Erika Gerber und Jakob Stucki, 1946

Jakob Stucki und Erika Gerber-Stucki in CERAMICA CH

Andreas Heege, Andreas Kistler 2022   IN BEARBEITUNG

Über Jakob Stucki ist schon viel geschrieben worden (siehe Bibliographie, vor allem Schneider 1979). Dem ist kaum etwas hinzuzufügen und gleichwohl scheint es sinnvoll, an dieser Stelle die Eckdaten seines künstlerischen und keramischen Wirkens und die Produkte seiner Werkstatt, soweit verfügbar, zusammenzustellen. Dabei darf nie übersehen werden, dass seine Frau  Erika Gerber-Stucki in den Jahrzehnten ihrer gemeinsamen Arbeit die zweite tragende Säule der Werkstatt war, auch wenn sie fast nie signierte.

Jakob Stucki (1920–1982) wurde am 7. August 1920 als Sohn eines Gastwirtes in Konolfingen geboren. Er sollte ursprünglich den elterlichen Betrieb übernehmen und machte daher nach der Schule eine Ausbildung in der Handelsschule in La Neuveville, besuchte die Hotelfachschule in Zürich und arbeitete in verschiedenen Grandhotels in Graubünden, England und Holland. In den Niederlanden entdeckte er sein Zeichentalent und besuchte Kurse.  Mit Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde er zum Militär eingezogen und wurde zum Offizier ausgebildet. Nach Ableistung seines Aktivdienstes trat er ab 1941 in die gerade wieder neu eröffnete Keramikfachschule in Bern ein, da ihn die Aussicht auf eine Leben als Gastwirt oder Hotelier nicht befriedigte. Er erhielt eine grundlegende und prägende Ausbildung bei den Fachschullehrern Werner Burri (Schnyder 1985, 8-31) und  Benno Geiger (Schnyder 1985, 32-51) und bildete sich bei Fritz Haussmann in Uster weiter. 1944 schloss er seine Ausbildung zum Töpfer und zum Keramikmaler ab und arbeitete ab 1945 in der Töpferei von Adolf Gerber (1879-1951) in Langnau, Güterstrasse 3.

Die Töpferei-Liegenschaft in Langnau, Güterstrasse 3, nach 1948.

Dort lernte er seine spätere Ehefrau, die Töpfertochter Erika Gerber (1919–2004), kennen. Das Paar heiratete 1946.  Erika Gerber hatte nie die Chance zu einer professionellen Keramikausbildung. Ihre Prägung und Ausbildung erfolgte in der väterlichen Werkstatt, was sie später befähigte, als Keramikmalerin zu arbeiten sowie die Werkstatt organisatorisch und wirtschaftlich zu führen.

Im Jahr der Hochzeit erschien ein lesenswerter Artikel “Junges Leben in der alten Langnauertöpferei” in der Zeitschrift Heimatwerk – Blätter für Volkskunst und Handwerk (Laur 1946). In diesem Jahr schrieb Jakob Stucki selber «Mein Wille ist, eine gute Bauernkeramik zu malen. Da ich alles selber machen kann, drehen, malen, glasieren und brennen, ist für mich eine Liebe zu diesem schönen Handwerk erwacht, die ich immer beibehalten möchte» (Stucki-Gerber 1946) .

Für diesen Aufsatz, der die künftige, intensive Zusammenarbeit mit dem Heimatwerk einläutete, fertigte der Fotograf H. Heiniger aus Schüpfheim eine  grössere Fotoserie, die wichtige Aspekte der Werkstatt und der Produktion im Jahr 1946 zeigt.

Glasur- und Tonmühle sowie Filterpresse (Ton- und Glasuraufbereitung), 1946.

Jakob Stucki am Tonschneider (Homogenisieren und Entlüften des Tons), 1946.

Jakob Stucki beim Portionieren und Kneten des Tones (Vorbereitung fürs Drehen), 1946.

Jakob Stucki an der Drehscheibe, 1946.

Der Schwiegervater Adolf Gerber an der Drehscheibe. Mit einem Stichmass vornedran, lassen sich immer gleichgrosse Platten mit scharfkantigem Kragenrand (“Röstiplatten”) drehen, 1946.

Mit Hilfe einer Gispsform (nicht sichtbar , auf der Töpferscheibe) und einem Kaliber lassen sich Schüsseln und Teller auf sehr einfache Art und Weise auch von Hilfskräften drehen, 1946 (unbekannter Mitarbeiter).

  

Neben Erika Gerber-Stucki und Jakob Stucki waren 1946 weitere Malerinnen und Maler in der Werkstatt beschäftigt.

Der Blick in den elektrischen Brennofen und auf die Trockenbretter zeigt, dass kurz nach dem 2. Weltkrieg auch immer noch normales Haushalts- und Vorratsgeschirr gefragt war. In späteren Jahren setzte Erika Gerber den Töpferofen ein.

Keramik mit dem Dekor Alt-Langnau hatte eine grosse Bedeutung, zusammen mit Spruchtellern mit Motiven von Paul Wyss und quasi fotorealistischen Bauernhofansichten, die von einem deutschen Keramikmaler (Name leider unbekannt) als Einzelaufträge angefertigt wurden.

Vermutlich entstand in dieser Zeit (um 1946/1948) durch Jakob Stucki auch die Figurenserie zur Werkstatt Gerber, die sich heute im Regionalmuseum in Langnau befindet. Sie zeigt alle wichtigen Arbeitsschritte von der Tonaufbereitung bis zum Verkauf.

Der Anfang in der Werkstatt war für Jakob Stucki offenbar nicht einfach, da sich Schwiegervater und Schwiegersohn nur schwer über den künftigen Kurs der Werkstatt einigen konnten (Schneider 1979, 17).

Geschirr aus der Frühzeit von Jakob Stucki, um 1948/1955.

Mit Malhorndekoration und Ritzdekorakzentuierung auf dunkler Grundengobe orientierte sich Stucki in seinem Frühwerk daher offenbar bewusst an Heimberger und nicht an Langnauer Traditionen.

Geschirr mit dem Dekor “Alt-Langnau”, signiert Jakob Stucki, nach 1948.

Erst mit der Werkstattübernahme ab 1948 (SHAB 66, 1948, 1542, 29. Mai 1948) kehrte auch das Interesse an einem erneuerten Musterkanon «Alt-Langnau» zurück, den die Werkstatt Stucki mit ihren Keramikmalerinnen souverän beherrschte. Die Produktion von «Alt-Langnauer» Geschirr war in den folgenden Jahrzehnten immer eines der wirtschaftlichen Standbeine der Werkstatt . Der regelmässige Keramikverkauf über das Heimatwerk in Zürich sicherte die wirtschaftliche Basis. Die langjährige Geschäftsbeziehung wurde 1971 sogar durch eine Jubiläumsausstellung in Zürich gewürdigt.

Ab 1953 entstanden erste plastische Arbeiten, Jakob Stuckis «Töpferplastiken». Mit diesen nahm er erfolgreich an zahlreichen auch internationalen Ausstellungen teil. Sie begründeten für die Keramikliebhaber der Moderne seinen ganz speziellen Ruf. Ab 1955 und vor allem zwischen 1965 und 1973 kamen nach und nach auch Grosswandbilder zum Werk dazu (u.a. Firma Brügger Bern, Primarschulhaus Signau, Primarschulhaus Langnau, Kirchgemeindehaus Langnau, Restaurant Gurnigel, Pflegeheim Bärau, weitere Privataufträge, u.a. London).

1955-1962 Lehrtätigkeit auf dem Ggebiet der keramischen Technologie an der Gewerbeschule Thun.

Seine Engobemalereien verloren allmählich den für die 50er-Jahre so typischen «romantisch-niedlichen Zug». Eine schwere Krankheit (Bleivergiftung) zwang ihn schliesslich ab der Mitte der 1960er-Jahre, die Werkstatt personell zu verkleinern und sich eine neue Glasurenpalette zu erarbeiten, die nicht mehr auf Blei basierte (Schneider 1979, 22-23).

Spätestens jetzt wurden seine Engobemalereien, denen am Emmental und seinen Menschen oder dem schweizerischen Brauchtum orientierte zeichnerische Entwürfe zugrunde lagen, sehr eigenständig. Sie streiften alles Niedliche ab. Es entwickelte sich der für seine Arbeiten so typische, fein abgestufte, oft an Pointilissmus erinnernde Malhornstil (vgl. Titelbild des Aufsatzes und Abb. 3,1–4), der je länger je mehr auf zusätzliche Ritzung verzichtete. Jakob Stucki wollte seine Keramiken nicht als «naive, moderne Volkskunst» verstanden wissen. Er betrachtete seine Arbeit vielmehr als eine kompositorische, bewusst stilisierte Übersetzung von bäuerlichen Bildmotiven und Brauchtumsszenen in das 20. Jahrhundert. Jakob Stucki war für das Emmental, den Kanton Bern und die schweizerische Keramikszene einer der wichtigsten Keramiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Bis zu Jakob Stuckis Tod im Jahr 1982 wurde die Hafnerwerkstatt aktiv als Geschirr- und Kunsttöpferei genutzt. Nach seinem Tod führte die Witwe Erika Stucki Gerber die Werkstatt mit Hilfe von Drehern (Toni Gerber, N.N. Vanappel und Bernhard Stämpfli) und Keramikmalerinnen (u.a. Rosmarie Hausmann) bis zum Jahr 2000 weiter. Anschliessend vermietete sie die Hafnerei bis etwa 2004 an Bernhard Stämpfli, dem jedoch in der Nachfolge von Jakob Stucki kein durchschlagender Erfolg beschieden war. Nach dem Tod von Erika Stucki-Gerber wurde die Hafnerei aufgelöst und an einen anderen Handwerksbetrieb in Langnau verkauft.

Jakob Stucki – Erika Gerber – Ein persönlicher Blick von Wolfgang Bickel

Stammbaum Gerber-Kohler-Stucki-Aebi

Nachruf Bulletin KFS 1982

Bibliographie:

Aeschlimann 1928
Emil Aeschlimann, Alt-Langnau-Töpferei. Ein Beitrag zur Volkskunde. Beilage: Die rumänische Königin im Ilfis-Schulhaus, 8. Mai 1924, Bern 1928.

Bickel 2021
Wolfgang Bickel, Über den Glanz der Alten Engoben. Jakob Stucki (1920-1982) und die engobierte Irdenware des Emmentals. Neue Keramik, Januar/Februar 2021, 43-45.

Blum 1974
Robert Blum, «Ich bin ein Töpfer und ich bleibe ein Töpfer», Begegnung in Langnau. Der Töpfer und Plastiker Jakob Stucki, in: TV Radio Zeitung, März 1974.

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2014, 370.

Friedli 1972
Peter Friedli, Jakob Stucki, der Töpfer von Langnau i.E., in: Heimatwerk, Blätter für Volkskunst und Handwerk, 1972, Heft 2, 43–60.

Gerber 1985
Heinz Gerber, Die Langnauer Töpfereien. Ein kleiner Überblick, Langnau 1985.

Heege/Kistler 2017
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Laur 1955
E. Laur, Neue Emmentaler Töpferwaren, in: Heimatwerk, Blätter für Volkskunst und Handwerk 20, 1955, 152–155.

Ryser 2004
Dorothée Ryser, Jakob Stucki, der Mensch, der Töpfer, der Künstler. Begleitbroschüre zur Ausstellung vom 26. August bis 5. September 2004 im Kirchgemeindehaus Langnau, Langnau 2004.

Schneider 1979
Alfred Schneider, Der Töpfer Jakob Stucki (Suchen und Sammeln 4), Bern 1979.

Schnyder 1985
Rudolf Schnyder, Vier Berner Keramiker. Werner Burri, Benno Geiger, Margrit Linck, Jakob Stucki, Bern 1985.

Stucki-Gerber 1946
Jakob Stucki-Gerber, Wie ich Töpfer wurde, in: Heimatwerk, Blätter für Volkskunst und Handwerk 11, 1946, Heft 4, 111–114.

Langnau BE, Johann Martin Labhardt

Keramik von Johann Martin Labhardt in der Bilddatenbank

Andreas Heege, Andreas Kistler 2019

Aus unbekannten Gründen verkaufte Samuel Herrmann (1797–1845, Langnau, Werkstatt  5, «Hand 17c»?) die Liegenschaft Langnau Wiederbergstrasse 5 mit Nutz und Schaden auf 1. Mai 1842 an Peter Herrmann (1809–1871), den ältesten der vier Söhne von Peter Herrmann (1785–1840) aus der Hafnerei Höheweg 1, der sich damit als Hafner selbstständig machte (vgl. Langnau, Stammbaum Herrmann). Aus der Zeit zwischen 1842 und 1853 kennen wir keine Objekte die Peter (1809–1871) zugeordnet werden könnten. Dies ändert sich erst mit dem Arbeitsbeginn des Gesellen Johann Martin Labhardt aus Steckborn, Kanton Thurgau, in seiner Werkstatt (Langnau, Werkstatt 6, «Hand 22»). Die Lebensdaten von Johann Martin Labhardt sind bislang unbekannt (vgl. Früh 2005, 532, wobei unklar ist, ob es sich dabei um unseren Hafner oder einen Verwandten handelt).

Johann Martin hatte vorher, d. h. vom 26. Januar 1849 bis zum 29. April 1853, bei Johannes Krähenbühl (1828–?) in der Werkstatt Langnau, Dorfstrasse 30 gearbeitet (StAB Bez Signau B 19. GAL 671). Möglicherweise entstand dort die  oben abgebildete, ungewöhnliche, von ihm auch signierte Terrine, deren Blumen-Blättchengirlande unverkennbar Wurzeln in der Region Heimberg-Steffisburg und nicht in Langnau hat (MAHN AA 2055). Die Produktion könnte aber auch in Peters Werkstatt erfolgt sein oder in der von Johannes Herrmann (1802–1867) am Sonnweg 1. Dort arbeitete Martin Labhardt zwischen November 1853 und Oktober 1854 ebenfalls, bevor er Langnau endgültig den Rücken kehrte.

Die Terrine (MAHN AA 2055) trägt ungewöhnlich umfangreiche und ansonsten in Langnau unbekannte Sprüche: «Wenn dich die Lästerzunge sticht, so lass es dir zum Troste sagen, die schlechtesten Früchte sind es nicht, woran die Wespen nagen. Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reih, von schönen Tagen.» Auf dem Rand des Deckels steht: «Frisch und fröhlich, fromm und ehrlich, frei von Gemüth, ehrlich von Geblüt, diese Tugend, ziehrt die Jugend. // Vorgethan und nachgedacht, hat manchen in groß Leid gebracht.» Und am Deckelknauf liest man: «Rede wenig, mach es wahr, borge wenig, zahl es baar, sagt ein Sprichwort.» Den ersten Teil hat der Schreiber aus zwei unterschiedlichen Quellen zusammengefügt. Gottfried August Bürger (1747–1794), ein deutscher Dichter der Aufklärung und Autor der «Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen», veröffentlichte 1787 im Göttinger Musenalmanach das Gedicht «Trost», das den Passus mit der Lästerzunge enthält. Der zweite Teil stammt von Johann Wolfgang Goethe und erschien 1815 in einer Gedichtsammlung unter dem Motto «Sprichwörtlich». Für den Spruch auf dem Rand der Terrine und unter dem Knauf haben sich nur volkskundliche Nachweise aus Hausinschriften im Elsass, jedoch kein eindeutiges literarisches Zitat beibringen lassen. Die Zitate werfen gleichwohl ein Schlaglicht auf die Belesenheit und Bildung von Johann Martin Labhardt, der seinen Goethe offenbar gut kannte.

Dies zeigt auch ein ungewöhnliches und herausragendes Butterfass, das aufgrund der Signatur durch Johann Martin Labhardt in der Werkstatt von Peter Herrmann (1809–1871) gefertigt wurde (FWMC C.1911-1928). Leider hat jemand die Datierung ausgekratzt, jedoch lässt sich ansatzweise die Jahreszahl 1853 noch entziffern. Das Butterfass BU 7 wurde seitlich mit der alten Griffmulde 2 versehen, die sich von 1781 bis 1825 in der «Werkstatt 3, Hand 5, 6 oder 8» nachweisen lässt. Möglicherweise erbte Peter (1809–1871) den Model also von seinem Vater Peter (1785–1840) und nahm ihn 1842 mit in die neue Hafnerei Wiederbergstrasse 5.

Das Butterfass zeigt bei der Dekoration in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliche Neuheiten, die es so vorher in Langnau nicht gegeben hat. Zum einen wurde die weisse Grundengobe über einer schwarzbraunen Grundengobe aufgetragen, was nach dem Brand schwarzbraune, stärker hervortretende Ritzlinien ergab (Dekor 10). Zum anderen wurde der Lochdeckel des Butterfasses nicht nur mit einem Spruch von Goethe verziert, sondern zusätzlich mit manganviolettem Schwämmeldekor versehen (Dekor 03h). Der Spruch lautet: «Zwischen heut und morgen, liegt eine lange Frist – drum lerne schnell besorgen, da du noch munter bist.» Die Dekortechnik 10 lässt sich erst ab den späten 1830er-Jahren erstmals in der Region Heimberg/Steffisburg beobachten und gelangte möglicherweise dann, wie der Schwämmeldekor, mit Martin Labhardt nach Langnau (vgl. Heege/Kistler 2017/1, Kat. 164). Zusätzlich wurden dem Butterfass plastische Eicheln, Eichen- und Akanthusblätter auf der Aussenseite aufgelegt. In der oberen geritzten Zierzone finden sich vier Motive. Zum einen handelt es sich um zwei Landsknechte zu Fuss oder zu Pferd, zum anderen um eine in ihrer Art ganz ungewöhnliche Darstellung einer Steinbockjagd. Zwischen den Szenen befindet sich über den Griffmulden einmal die Darstellung eines Paares, das sich umarmt. Handelt es sich um den Gesellen (mit Ballonmütze auf dem Kopf und Pfeife im Mund) und seine Herzallerliebste, der man ihre harte landwirtschaftliche(?) Arbeit am Kopftuch und dem Zustand des Rocks ansehen kann?

Auf der anderen Seite sitzt ein schon etwas kahlköpfiger Mann (ein Narr?) auf einer Art fliegendem Teppich und zieht in spätmittelalterlicher Manier eine Grimasse. Eine unmittelbar vergleichbare Darstellung eines Grimassenschneiders findet sich auf einem anonymen, flämischen Dyptichon von 1520–1530, das das Universitätsmuseum in Lüttich verwahrt. Ein sehr ähnlicher Grimassenschneider bildet einen Teil eines mittelalterlichen Chorgestühls in der Abteikirche St. Pierre von Solignac (Limousin) in Frankreich. Eine intensive Literaturrecherche würde sicher noch mehr Beispiele zutage fördern. Hat Johann Martin Labhardt auf seiner Gesellenwanderung irgendeine dieser Darstellungen gesehen? Sollte der Grimassenschneider wirklich auf einem fliegenden Teppich sitzen, so müsste er auch eines der im frühen 19. Jahrhundert erstmals erschienen Bücher mit den «Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht» gelesen oder von diesen Geschichten gehört haben.

Der Sinn dieser einzelnen Darstellungen erschliesst sich nicht, auch nicht im Zusammenhang mit den übrigen. Möglicherweise zeigt der Geselle hier vor allem, was er kann! Dies wird deutlicher bei der Weinranke mit Trauben darunter und erst recht bei der Alpfahrt eines Küherhaushalts im unteren Teil des Butterfasses. Der Alpaufzug, vom gemieteten Winterquartier im Tal auf die hochgelegenen Sommerweiden, galt den Kühern als schönste Zeit des Jahres überhaupt. Die Schweine wurden typischerweise dem Herdenzug voran auf die Alp getrieben. Dann folgten wie üblich die Schafe oder Ziegen, die meist von Kindern oder Knechten oder Mägden geleitet wurden. Erst einige Zeit später brach der Küher mit dem eigentlichen Zug auf. Am Anfang ging immer die besonders geschmückte und erfahrene Leitkuh, der man manchmal den einbeinigen Melkstuhl verkehrt herum auf den Kopf band und mit Blumen schmückte. Anschliessend kamen die erfahrenen Kühe mit grossen Treicheln an breiten ledernen Halsriemen. Es folgten die jüngeren Glockentiere mit weiteren Treibern. Den Abschluss bildete der «Plunderwagen» (Gestellwagen, Leiterwagen oder Bernerwägeli), auf dem nicht nur der ganze Hausrat inklusive des hölzernen Milchgeschirrs, sondern oft auch Schweine und Hühner oder ein älteres Küherpaar Platz hatten.

Betrachtet man die Bilder, so könnte man fast meinen, dass ein zweites Butterfass, ebenfalls aus dem Jahr 1853, als Fortsetzung der Bildergeschichte gedacht war (MKGH 1910-401). Wir sehen die Alp oder ein Maiensäss mit Gebäuden. Auf der Alpweide steht eine stattliche Kuh, im Hintergrund sehen wir die Alphütte, vor der der Senn sein kurzes Alphorn bläst. Ein Hund als treuer Bewacher oder Hilfstreiber, oft ein Entlebucher oder Appenzeller, darf natürlich nicht fehlen. In der nächsten Szene wird eine Kuh gemolken und anschliessend wird der Rahm im Stossbutterfass zu Butter verarbeitet. Das Butterfass trägt ebenfalls manganvioletten Schwämmeldekor mit unterschiedlich zugeschnittenen Musterschwämmchen, kombiniert mit einem umlaufenden Rollstempel im oberen Teil. Dazu findet sich eine Blumengirlande, die auch Trauben und Weinblätter enthält, die dem vorhergehenden Butterfass entsprechen. In der zweiten Zierzone mit den tordierten Griffmulden finden sich zwei Sprüche, die man auch heute noch gut beherzigen kann: «Lass einen jeden, wer er ist, so bleibst du auch, wer du bist» und «Auf Freund nicht bau, nicht jedem trau, auf dich selbst schau, sei nicht zu gnau.» Die leider ausgekratzte und überschmierte Datierung lässt sich nach einer restauratorischen Freilegung wieder als «1853» lesen. Die Blumengirlande in der unteren Zierzone findet gute Entsprechungen auf der schon beschriebenen Terrine (MAHN AA 2055). Das ungewöhnliche Butterfass gelangte 1910 als Geschenk von Heinrich Angst, dem ersten Direktor des Schweizerischen Landesmuseums, an das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, nachdem es 1909 in Zürich auf einer Auktion als «Bern, Langnau, Museumsstück, Anfang XIX. Jahrh.» angeboten worden war.

  

Zur Thematik der Alp und der Alptiere passt auch ein Nidlenapf auf Pokalfuss, den Johann Martin Labhardt am 1. Juni 1853 dekorierte und durch Einritzen seiner Initialen auf der Unterseite des Fusses signierte (BHM 6408). Im Inneren des Napfs sehen wir zwei Ziegen im spielerischen Kampf und darunter die Ortsangabe «Langnau». Die Umschrift lautet: «Ich kleiner Napf, ich armer Narr, ich wurd gemacht am halben Tag den 1. Juni 1853 // Christen Gerber im Stadel war Alpmeister zu Gmünden im Jahr 1853.» «Im Stadel» ist ein Bauernhof im Gohlgraben südlich unweit der Alp Gmünden.

Hat man Johann Martin Labhardts Handschrift und Dekorationstechnik erst einmal erkannt, dann lassen sich ihm und damit vermutlich auch der Werkstatt Peter Herrmanns weitere Keramiken zuordnen, die ein besonderes Licht auf seine Persönlichkeit oder die des Hafnermeisters werfen. Hierzu gehört vor allem ein 1853 datierter und «P H» signierter Teller TAS 4 mit Abtropfsieb (Privatbesitz). In Kenntnis der Signatur von Johann Martin (vgl. BHM 6408) könnte man das «H» zusätzlich auch als Ligatur der Buchstaben «JML» lesen. Auf dem Rand finden wir die typische Blumengirlande, die Rückseite trägt den üblichen Langnauer Spritzdekor 04b. Etwas ganz Besonderes bietet die Dekoration des Spiegels. Wir sehen einen eher bürgerlich gekleideten, glatzköpfigen alten Mann mit erwartungsvoll aufgerissenem Mund, der dabei ist, mit Messer und Gabel ein geschlachtetes Schwein zu verzehren. Seitlich finden wir Geräte der Landwirtschaft, links einen Pflug, ein Käsereff, eine Giesskanne für den Bauerngarten und ein Kornsieb, rechts Sichel, Sense, Rechen und Mistgabel. Zwei Sprüche ober- und unterhalb erläutern gesellschaftskritisch die Szene:

«Lass dir rathen liebes Herz,
Quäle nie ein Thier zum Scherz»

und

«Ein ieder kennt den Nähr, den Lehr= und Wehrstand,
Es sind in aller guter Dinge drei,
Doch reimet sich auf alle auch der Zehrstand.
Wann ist es denn mit dem einmal vorbei?»

In diesem Gedicht ist der altertümliche Begriff «Zehrstand» für die meisten heutigen Leser wohl unverständlich. Johann Christoph Friedrich Haug (1761–1829, deutscher Lyriker) setzte den Zehrstand in seinen 1807 in Zürich gedruckt erschienenen «Epigrammatischen Spielen» mit den «Advocaten» gleich. Der Lehrstand sind entsprechend die Priester, der Wehrstand Soldaten und Adel, der Nährstand der Acker- und Kaufmann. In einem Buch, das 1798 Kaiser Joseph II. gewidmet wurde, wird der Zehrstand mit den Beamten gleichgesetzt. In einem weiteren, 1817 verfassten Artikel wird der Zehrstand mit der «vermöglichen Geistlichkeit» identifiziert, und in einer 1784 erschienen bayerischen Abhandlung werden Geistliche und Beamte, vor allem Gerichts- und Verwaltungsbeamte, mit diesem Begriff assoziiert. Und die «Allgemeine deutsche Bürgerzeitung No. 28 vom 5. April 1832», setzt den Niederen Adel, der nach Staatsstellen strebt, mit dem Zehrstand gleich. Offenbar beschäftigt sich der Teller also mit einem uneinheitlich definierten Begriff, bei dem im Einzelnen nicht klar ist, ob es nun um die Kirche und ihre Priester, Pastöre und Ordensleute oder um den Staat und seine Beamten geht. Das Bild in der Mitte des Tellers impliziert letzteres. Der Teller nimmt also Stellung zu einem immer wieder aktuellen Thema, der Frage nach dem richtigen Mass staatlicher Verwaltung. Heute würden wir die aufgeworfene, so pauschal auch damals sicher nicht gerechtfertigte Frage, wohl als «Verwaltungs-Bashing» bezeichnen. Über wen in Langnau oder Bern haben sich Johann Martin Labhardt und Peter Herrmann 1853 wohl geärgert?

Dem Dekorations- und Zeichenstil nach gehören zur Produktion von Martin Labhardt auch drei weitere Keramiken, zwei Teller TLR 3c und ein Teller TAS 7 mit Abtropfsieb (MAHN AA 1170, MKB VI-02218, SNM LM-040724,). Alle drei zeichnet aus, dass sie aus unbekannten Gründen falsche Datierungen tragen: 1777, 1502 und 1620. Selbst in Unkenntnis der Arbeitszeit Labhards in Langnau (1849–1854) wäre heute aufgrund der gewählten Gefässformen und der Dekorationstechnologie klar, dass die Datierungen nicht stimmen können. Aber ob dies zu Lebzeiten der Hersteller den potenziellen Kunden der Hafner auch klar war? Oder sollten hier die Daten ein höheres Alter vortäuschen, um auf diesem Weg unerfahrene Kunden – eventuell die ersten englischen Touristen und Andenkensammler oder gar die ersten «Langnau-Sammler» – zum Kauf zu animieren? Der Teller von «1777» zeigt eine aufregende Wildschweinjagd (MKB VI-02218). Die Rückseite trägt den klassischen Langnauer Dekor 06d. Der Teller von «1502» überliefert den Spruch: «Mehr wert als Geld und Gut, ist doch ein froher Mut» (SNM LM-040724). Der stärker beschädigte Teller von «1620» trägt in einer Kartusche den Spruch «Die Zeit die fällt mir gar zu schwer, Ach wenn mir bald die Mahlzeit wer». Darunter befindet sich ein von Blumenzweigen eingefasster Hahn (MAHN AA 1170). Pfarrer Karl Ludwig Gerster (1848–1923) aus Kappelen bei Aarberg hielt den Teller jedenfalls für echt und bezeichnete ihn 1911 als «älteste Langnauer Platte» (Gerster 1911, 141).

Stammbaum Hafner Herrmann, Langnau

Bibliographie

Früh 2005
Margrit Früh, Steckborner Kachelöfen des 18. Jahrhunderts, Frauenfeld 2005.

Gerster 1911
Ludwig Gerster, Sprüche und Inschriften auf Bauerngeschirr und Glas, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 15, 1911, 138-147, 204-213.

Heege/Kistler 2017/1
Andreas Heege/Andreas Kistler, Poteries décorées de Suisse alémanique, 17e-19e siècles – Collections du Musée Ariana, Genève – Keramik der Deutschschweiz, 17.-19. Jahrhundert – Die Sammlung des Musée Ariana, Genf, Mailand 2017.

Heege/Kistler 2017/2
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017, 380-386

 

 

Langnau-Bärau BE, Hafnerei Aegerter

 

Andreas Heege, Andreas Kistler 2022

Keramik der Hafnerei Aegerter in CERAMICA CH

Ulrich Aegerter (1839–1925) von Langnau (BRL 16, 7) und seine Frau Elisabeth Dolder (1839–1910) hatten sieben Kinder, von denen Albrecht (1872–1943; BRL 22, 16) und Alfred (1876–1940; BRL 22, 524) Hafner wurden. Alfred übernahm von 1904 bis 1940 die Hafnerei Sonnweg 1 in Langnau (vgl. Heege/Kistler 2017b, Kap. 3.8). Albrecht kaufte im November 1903 ein Grundstück im «Goldengrund» (heute Bäraustrasse 12) in Bärau und baute darauf 1904 ein eigenes Wohnhaus mit Hafnerwerkstatt (vgl. Heege/Kistler 2017b, Kap.3.20). Zum Zeitpunkt des Grundstückkaufs wird er als «Hafnermeister in Bärau» bezeichnet. Vor diesem Termin war er mit seiner Produktion im Styggässli 6 in Bärau eingemietet (vgl. Heege/Kistler 2017b, Kap. 3.14). Gesellen lassen sich für Albrecht Aegerter nur für die Zeit zwischen 1905 und 1909 nachweisen, als ein Deutscher und vier Schweizer (u. a. aus Langnau und Lauperswil) bei ihm arbeiteten (StAB Bez Signau Regstamt B 59. GAL 675). Aus seiner Zeit sind keine Produkte überliefert.

Es konnte nur ein einziger Zeitungsbericht gefunden werden, der sich auch auf die Hafnerei Aegerter bezieht. Albrecht Aegerter beteiligte sich 1935 an einem Keramikmarkt des Bernischen Gewerbemuseums.

Im Februar 1943 übernahm der Sohn Friedrich Aegerter (1906–1969; BRL 39, 420) die Werkstatt (GB Sumiswald Bel. II, 5340). Von ihm sind immerhin einige wenige signierte Stücke belegt, die sich formal stark an der führenden Werkstatt Gerber bzw. Stucki in Langnau orientieren.

Platte im Stil von Jakob Stucki, Langnau, datiert 1956 (Privatbesitz Langnau).

Nach seinem Tod übernahm der Sohn Martin Aegerter (1947–) die Werkstatt (GB Sumiswald Bel. III, 866). Leider konnte er wegen rheumatischer Krankheiten die Töpferei nicht mehr weiterführen und der Betrieb musste im Jahr 1970 eingestellt werden (Freundliche Information von Martin Aegerter, Bärau, 6. Juni 2016).

Bibliographie:

Heege/Kistler 2017b
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

 

Langnau, Hafnerei Röthlisberger, Oberstrasse 66

Vase von Johann Röthlisberger, nach Familienerzählungen für die Landesausstellung 1914 in Bern.

Keramik der Hafnerei Röthlisberger in CERAMICA CH

Andreas Heege, Andreas Kistler 2022

Mit Unterstützung des Regionalmuseums Langnau und der Familien Wüthrich und Brechbühl in Langnau.

Die familiäre Vorgeschichte

Mit der Hafnerei «Im Kohlboden» (Bärau, Styggässli 6) begegnen wir zum ersten Mal einer weiteren Hafnerfamilie, die in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Langnau eine Rolle spielen sollte (Erstveröffentlichung: Heege/Kistler 2017, 188-193; hier mit wesentlichen Ergänzungen).

Mathys Röthlisberger, ein Maurer, hatte zusammen mit Anna Blaser aus Langnau acht Kinder (Burgerrodel Langnau [im Folgenden immer BRL] 7, 27). Von diesen wurden drei Hafner (siehe Stammbaum): Ulrich Röthlisberger (1837–1888; BRL 7, 27; BRL 14, 440, verheiratet mit Marianne Lüthi von Lauperswil, Kirchenrodel Langnau [KRL] 29, 20; 28.11.1862), Friedrich Röthlisberger (1846–1920; BRL 7, 27; BRL 17, 40, verheiratet mit Anna Maibach aus Dürrenroth, KRL 30, 1; 23.7.1870) und Simon Röthlisberger (1855–1894; BRL 7, 27; BRL 19, 11, verheiratet mit Maria Anna Gerber von Langnau, Ehedatum 8.4.1881).

 

Bärau, Styggässli 6, 2016.

Mathys Röthlisberger und sein Sohn Christen verkauften im Februar 1864 eine 1862 erworbene Liegenschaft in Bärau «im Kohlboden bei der Lehnschmitte» (heute Styggässli 6, Parzellen Nr. 1814) ihrem Sohn bzw. Bruder Ulrich. Zum Zeitpunkt des Kaufes wohnte (und arbeitete?) Ulrich in Signau . Dort wurde auch seine erste Tochter Lina geboren (18.1.1864, KRL 20, 401). Er baute am Haus in Bärau eine Hafnerwerkstätte an (Grundbuch Langnau [GBL] 29, 73–79). Diese nutzte er bis zum Herbst 1877. In dieser Zeit verzeichnen die Langnauer Stimmregister zwei Gesellen aus Busswil bei Melchnau bzw. Langnau in seiner Werkstatt. Und auch der Hafner Christian Herrmann (1848˗?) arbeitete möglicherweise bis 1876 bei ihm (Gemeindearchiv Langnau [GAL] 672). Ulrich verkaufte die Liegenschaft im August 1877 seinen beiden Brüdern Mathias und Gottlieb. Sein weiterer Verbleib ist unklar, jedoch erscheint er im Januar 1878 in den Langnauer Stimmregistern als bevogtet (GAL 672). Seine Brüder veräusserten die Werkstatt schon im November desselben Jahres an den Hafnermeister Christian Wüthrich von Trub. Zu diesem Zeitpunkt wird Wüthrich als «Hafnermeister in Zäziwil» bezeichnet (GBL 47, 501–509; GBL 48, 186–194). Keramiken von Ulrich Röthlisberger sind nicht bekannt. Bodenfunde vom Grundstück fehlen.

 

Langnau, Moos 225, 2016.

Friedrich Röthlisberger (1846–1920; BRL 17, 40; GAL 672), der jüngere Bruder von Ulrich Röthlisberger (1837–1888, Hafner in Bärau), heiratete am 23. Juli 1870 in Muri Anna Maibach (1848–1893) aus Dürrenroth. Bei der Geburt des ersten Sohnes Friedrich (1872–1952; BRL 17, 40), der in Rohrbach getauft wurde, wurde angegeben «Hafner in Leimiswil» (KRL 21, 380). 1873/74 errichtete er zusammen mit dem Maurermeister Christian Lehmann aus Langnau ein Wohngebäude mit Hafnerwerkstatt «auf dem Moos» (heute Langnau, Moos 225, Parzellen Nr. 864; GBL 40, 313–317; GBL 41, 458–462). Der zweite Sohn (Friedrich) Johann (1876–1942) und der dritte Sohn Julius Maximilian (1879–1959) wurden bereits dort geboren (BRL 17, 40). Alle drei Söhne arbeiteten später zumindest zeitweise als Hafner in der neuen Hafnerei an der Oberstrasse 66 in Langnau (GAL 674, 675; BRL 23, 604; BRL 24, 178). Zwischen 1874 und 1890 bekam das Paar noch neun weitere Kinder, bevor Anna Maibach 1893 starb. Friedrich Röthlisberger (1846–1920) arbeitete zusammen mit seinem Bruder Simon (1855–1894) 20 Jahre lang bis 1894 in dieser Werkstatt. In dieser Zeit lassen sich für ihn immerhin sechs Gesellen nachweisen, u. a. ein Ernst Röthlisberger (1863–?; GAL 672, 673. Genealogische Beziehungen nicht weiter untersucht.). Dann verkaufte der Witwer seine Liegenschaftshälfte mit Werkstatt an die Witwe des Mitbesitzers. Nach ihrem Tod gelangten Liegenschaft und Werkstatt an ihren Sohn, einen Bahnbeamten (GBL 71, 283–289; GBL 71, 578–582; GBL 72, 567–573). Obwohl zu diesem Zeitpunkt die Hafnerwerkstatt noch erwähnt wurde, gibt es keine Hinweise, dass auf dem Grundstück nach 1894 noch getöpfert wurde. Friedrich Röthlisberger (1846–1920) siedelte nach Langnau in die Oberstrasse 66 um. Produkte aus dieser Werkstatt sind unbekannt. Bodenfunde vom Grundstück fehlen.

Langnau, Oberstrasse 66

Langnau, Oberstrasse 66. Vor dem Haus von Friedrich Röthlisberger (1846–1920, dritter von links) und seine drei Söhne Julius Maximilian, Friedrich und Johann, Aufnahme um 1910?

Friedrich Röthlisberger (1846–1920) erwarb mit Nutzen und Schaden auf den 12. Mai 1894 «am Gassenberg» in Langnau ein Grundstück mit Wohnhaus, Gemüsegarten und Brunnen (heute Parzelle Nr. 1425, siehe Plan). Er durfte laut Vertrag jedoch schon vor diesem Termin mit dem seitlichen Anbau der Hafnerwerkstatt beginnen. Wir können wohl davon ausgehen, dass er die Werkstatt zusammen mit seinen drei Söhnen Friedrich (1872–1952, unverheiratet), Friedrich Johann (Rufname nur Johann, 1876–1942) und Julius Maximilian (1879–1959) führte. Ob die Frau und die sechs Kinder seines verstorbenen Bruders Simon ebenfalls dort wohnten, entzieht sich unserer Kenntnis, jedenfalls war dies bei der Langnauer Volkszählung 1920 nicht der Fall (GAL 1065).

Erdgeschoss der Töpferei in der Oberstrasse nach der Erinnerung von Veronika Wüthrich-Brechbühl.

Röthlisbergers wohnten sehr beengt, da ein Teil des Hauses und auch das erste Obergeschoss des seitlichen Anbaus vermietet waren. Im Erdgeschoss des Anbaus befand sich die Töpferei mit drei bis vier Drehscheiben, einem Arbeitsplatz für eine Ausmacherin (Keramikmalerin). Neben einer Werkstattheizung, die zugleich zur Geschirrtrocknung diente, befand sich das Trockengestell für die frisch gedrehten Waren. Der Brennofen befand sich im hinteren, hangseitigen Teil der Werkstatt. Der Lehmkeller lag unter der Werkstatt. Abgetrennt vom Wohnbereich gab es einen kleinen Geschirrladen mit einer Aussenvitrine.

Johann Röthlisberger in der Werkstatt, undatiertes Gemälde, heute im Regionalmuseum in Langnau, um 1930-1940.

Der Sohn  Johann war mit Anna Brechbühl (1880–1961) aus Langnau verheiratet. Das Paar bekam keine Kinder.

Anna Brechbühl hatte einen Bruder Fritz (1893–1954). Da die Mutter von Anna und Fritz früh verstarb, wurde Fritz Brechbühl in die Hafnerei Röthlisberger aufgenommen und dort  zwischen 1910 und 1913 zum Hafner ausgebildet. Fritz erhielt einen kantonal vorgeschriebenen Lehrvertrag. Darin waren die Lehrzeit (3 Jahre), das Lehrgeld (100 Fr.), die tägliche Arbeitszeit (11 Stunden) und der Jahresurlaub (4 Tage) geregelt. Während der drei Jahre hatte er zudem die Handwerkerschule in Langnau zu besuchen.

1913 wurde er zur Abschlussprüfung in der Werkstatt von Adolf Gerber in Hasle aufgeboten, die er offenbar erfolgreich bestand.

Lehrbrief von Fritz Brechbühl, 1910-1913, ein selten erhaltenes Dokument.

Arbeitszeugnis für Fritz Brechbühl, 1916, unterzeichnet von Töpfermeister Johann Röthlisberger.

1914/1915 nahm er als Soldat im Ersten Weltkrieg an der Grenzbesetzung teil. Aufgrund eines Arbeitszeugnisses wissen wir, dass er bis mindestens 1916 als Geselle in der Werkstatt blieb.

Fritz Brechbühl und Emma Jakob.

In den 1920er-Jahren gab er den Hafnerberuf auf und wurde Briefträger, arbeitete gelegentlich aber weiterhin in der Werkstatt mit. Er heiratete 1926 Emma Jakob. Ihre Tochter Veronika wurde die Frau von Christian Wüthrich (1924-2020). Auf dem Weg über Frau Wüthrich gelangten wichtige Objekte und Informationen aus der Hafnerei Röthlisberger und dem Privatbesitz von Fritz Brechbühl in den Besitz der Familie Wüthrich und blieben so erhalten.

Nach dem Tod des Vaters Friedrich Röthlisberger (12. September 1920) erbten die beiden Hafnersöhne Friedrich (1872–1952) und Johannes (1876–1942) gemeinsam die Liegenschaft (GBS Bel. I, 3581–3583). Der Bruder Julius Maximilian war zu diesem Zeitpunkt bereits Weichenwärter bei der SBB. Die Produktion lief noch über den Tod von Johannes (29. Januar 1942) und Friedrich (10. Mai 1952) hinaus weiter, da Fritz Brechbühl stellvertretend Ware drehte. Nach Auskunft der Familie erfolgte der letzte Brand 1953. Die Hälfte der Liegenschaft, die Johannes gehörte, war schon 1942 auf die Witwe Anna Brechbühl übertragen worden (GBS Bel. II, 5128–5129). Der Erbweg der zweiten Liegenschaftshälfte des unverheirateten Friedrich Röthlisberger (1872–1952) ist unklar. Nach dem Tod von Anna Röthlisberger-Brechbühl (28. Februar 1961) wurde die Liegenschaft verkauft, abgebrochen, neu parzelliert und anschliessend überbaut (GBS Bel. II, 5128–5129).

Hafnerei-Arbeitsplatz im Regionalmuseum Langnau, eingerichtet mit Objekten aus der Hafnerei Röthlisberger.

Langnau, Hafnerei Johann Röthlisberger (1876–1942). Tonbank und Holzhammer zum Zerkleinern von Tonbrocken im Rahmen der Tonaufbereitung.

Langnau, Hafnerei Johann Röthlisberger (1876–1942). Tonwalze zur Tonaufbereitung, heute Regionalmuseum Langnau.

Langnau, Hafnerei Johann Röthlisberger (1876–1942). Malhörnchen aus der Hafnerei.

Nach der Aufgabe der Töpferei (letzter Brand 1953) und noch vor dem Verkauf der Liegenschaft (1961) gelangten via Fritz Brechbühl diverse Töpfereigegenstände, u. a. eine Töpferscheibe, eine Tonwalze, die Tonbank, diverse Gipsmodel für Geschirr und Tierfiguren und Malhörnchen in den Besitz des Regionalmuseums Langnau, das damit im Obergeschoss eine Töpferei inszenierte. Andere Gips- und Keramikmodel für Tierfiguren, Henkel oder Brennhilfen kamen in Privatbesitz.

Langnau, Hafnerei Johann Röthlisberger (1876–1942). Eine hölzerne Henkelpresse mit Schablonen für Henkel und Brennhilfen ist besonders hervorzuheben. Original heute im Regionalmuseum Langnau, Schablonen in Privatbesitz.

Langnau, Hafnerei Johann Röthlisberger (1876–1942). Verschiedene Werkzeuge und Gerätschaften: (1) ein Stichmass (Kerbholz), (2) Abdrehschlinge, (3) Abdreheisen, (4) Malhörnchen, (5) Kellen aus Holz und Keramik zum Engobieren oder Glasieren, (6) Drehschienen aus Holz und Metall, (7) Abschneidedraht, (8) Pinsel, (9) Kritzer und (10) Holzstock mit kugeligem Ende für die Ausformung rundlicher Keramikwandungen.

Langnau, Hafnerei Johann Röthlisberger (1876–1942). Gedrechselter Glasurbeutel für das Aufpudern fein gemahlener Glasur oder Bleiglätte (sog. trockenes Glasieren. Arbeitsbild: Töpferei Hänni, Heimberg 1946 (StAB FN_Hesse_249).

Langnau, Hafnerei Johann Röthlisberger (1876–1942). Holzstöckli als Untersatz für das Drehen von kleinen Objekten. Arbeitsbild: Töpferei Jakob Reusser (1853-1944), Heimberg, Schulgässli 2 (Stauder 1917).

Christian Wüthrich konnte darüber hinaus vor dem Abbruch der Töpferei im Jahr 1963 weitere Objekte  sicherstellen, u. a. Gerätschaften, zahlreiche Keramik der Hafnerei Röthlisberger sowie schriftliche Unterlagen und Keramikentwürfe des bernischen Kunstgewerbelehrers Paul Wyss (1875–1952).

Die Produkte der Hafnerei Röthlisberger

Der BUND 4.7.1907, Ausschnitt.

Die archivalische Überlieferung zur Hafnerei Röthlisberger setzt mit einem Zeitungsbericht im BUND (4.7.1907) erst recht spät ein. Einträge im Schweizerischen Handelsamtsblatt fehlen vollständig. Wir erfahren durch die Zeitung, dass Johann Röthlisberger neben Frieda Lauterburg an der Industrie- und Gewerbeausstellung in Langnau 1907 auch aktuelle Töpferwaren ausstellte, die durchaus positiv aufgenommen wurden. Die weitere Entwicklung hängt bis zum Beginn des ersten Weltkrieges wohl sehr eng mit dieser Ausstellung und den anschliessenden Aktivitäten des Bernischen Gewerbemuseums zusammen, die lokale Töpferei in Heimberg und Steffisburg sowie in Langnau durch Ausbildung und die Lieferung von Vorlagen zu unterstützen. Dreh- und Angelpunkt aller Aktivitäten waren dabei zumeist Paul Wyss,  seit 1900 Kunstgewerbelehrer in Bern und sein Vorgesetzter Oscar Blom (Direktor des Gewerbemuseums Bern, 1890-1924; Messerli 2017, 58). Paul Wyss versuchte interessierte Hafner vor allem zunächst in der Region Heimberg-Steffisburg durch Vorträge zu gewinnen (Wyss 1906). Die Folge davon war unter anderem die Gründung der Zeichen- und Modellierschule in Steffisburg 1906. Oscar Blom hat die entsprechenden Bestrebungen und Aktivitäten des Gewerbemuseums in Bern 1908 selbst umfassend dargestellt. Zu diesem Zeitpunkt liest man über Langnau noch nichts.

Dies änderte sich 1909, als am 12. und 13. August das Intelligenzblatt der Stadt Bern und das Oberländer Tagblatt übereinstimmend meldeten: “Der Handwerker- und Gewerbeverein von Langnau macht Anstrengungen, die alte Langnauer Töpferei, die an der letzten Gewerbeausstellung des Amtes Signau vorbildlich gezeigt wurde [1907, siehe oben, Postkarte] , wieder einzuführen.” Woher diese Information stammt, bleibt unklar. Archivalien des Handwerker- und Gewerbevereins Langnau scheinen sich zumindest im Gemeindearchiv Langnau nicht erhalten zu haben, jedoch war der Verein Hauptträger und Organisator der Gewerbeausstellung 1907. Am 15. Oktober 1909 wurde zu einer öffentlichen Besprechung eingeladen, an der Paul Wyss einen Vortrag über die Neubelebung der Langnauer Töpferei hielt (Der BUND 1.10.1909). Wyss kannte die Langnauer Verhältnisse aus eigener Anschauung bestens, war er doch seit 1885 in Langnau aufgewachsen und seit 1900 mit der ältesten Tochter Hanna Müller aus dem Langnauer Pfarrershaushalt verheiratet. Das Ergebnis des Vortragsabends war die Bildung einer Kommission (des Handwerker- und Gewerbevereins?) “Zur Wiedererweckung der Langnauer Töpferei”, die nach mehreren Sitzungen auch mit den noch in Langnau arbeitenden Töpfermeistern  (wohl sechs Werkstätten), die Veranstaltung eines längerfristigen Zeichen- und Dekorationskurses an der Langnauer Handwerkerschule beschloss. Dieser begann am 12. November 1909 und wurde von Paul Wyss geleitet (Der BUND 13.11.1909; Oberländer Tagblatt 17.11.1909). Jeweils Freitags nachmittags wurde von 13-18 Uhr unterrichtet. Was die Kursteilnehmer auf Papier zeichneten und malten, das sollte anschliessend in der eigenen Werkstatt umgesetzt werden (Der BUND 19.8.1910; NZZ 23.8.1910; Intelligenzblatt der Stadt Bern 25.8.1910).

Der BUND 19.8.1910.

Die ersten Ergebnisse des Zeichenkurses präsentierte das Gewerbemuseum Bern im kleinen Saal des Gasthofs zum Hirschen in Langnau vom 9. August bis zum 9. September 1910 (Der BUND 19.8.1910; auch NZZ 23.8.1910; Intelligenzblatt für die Stadt Bern 25.8.1910). In einem biographischen Abriss zu Paul Wyss 60. Geburtstag wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass Hafner aus Langnau, Schüpbach, Grünenmatt und Oberburg an seinen Kursen teilnahmen (Die Berner Woche 25, 1935, 947; Messerli 2017, 93). Leider werden keine Namen genannt, doch dürfen wir auch aufgrund der späteren Kontakte und Produkte davon ausgehen, dass es sich u. a. um Mitarbeiterinnen, Lehrlinge, Gesellen oder Meister der Töpfereien Gerber in Hasle, Gerber in Sumiswald-Grünen (?), Gerber-Kohler in Schüpbach, Mosimann, Röthlisberger, Aegerter und Werthmüller in Langnau gehandelt haben dürfte.

Der BUND 18.1.1911, Ausschnitt.

Diese Annahme wird zumindest teilweise durch einen weiteren Zeitungsartikel vom 18.  Januar 1911 (Der BUND) bestätigt. Im Rahmen einer umfassenden Besprechung einer Kunstindustrie-Ausstellung im Gewerbemuseum Bern fanden auch die neuen Langnauer Töpfereien Erwähnung. Als Aussteller wurden namentlich Oswald Kohler und Adolf Gerber-Kohler (Schüpach), Johann Röthlisberger (Langnau) und Anna Müller (Grosshöchstetten) erwähnt.


Geschäftsblatt des oberen Teils des Kantons Bern 57 Num 103  vom 24. Dezember 1910 unter Bezug auf die Weihnachtsausstellung des Gewerbemuseums in Bern.

Die Presse reagierte sehr positiv und erstaunt auf die Ausstellung und hielt sie bereits am 24.12.1910 den Heimberger Hafnern als Beispiel vor: “Man sollte es kaum für möglich halten, dass Hafner, die bislang in der Ausmacherei und Feindreherei gar keine Übung hatten, nach diesem kurzen Zeitraum eine derart gediegene Ausstellung fertig bringen. Jedermann ist freudig überrascht und der unternehmungslustige und einträchtige Geist der Töpfer von Langnau und Schüpbach lässt für den weitern Gang dieser Entwicklung das Beste hoffen.”

Unter den erhaltenen Archivalien der Töpferei Röthlisberger und den überlieferten Keramiken haben sich gut erkennbare Spuren der geschilderten Vorgänge erhalten, jedoch ist mangels Signaturen bei zahlreichen Entwürfen und Zeichnungen unklar, ob sie vom Lehrling Fritz Brechbühl (1893-1954, Lehre 1910-1913) oder auch vom Hafnermeister Johann Röthlisberger (1876–1942) stammen.

Von Fritz Brechbühl liegen zwei 1910 und 1912 datierte und signierte Keramikentwürfe vor.

Offensichtlich verwendeten er oder andere Mitarbeiter der Werkstatt Röthlisberger den zentralen Wappenentwurf später für ein Körbchen, das im Inneren mit “A.B.” signiert ist. Wir können nur vermuten, dass sich die Initialen mit “Anna Brechbühl” auflösen lassen.

Ein ganz ähnliches Gefäss trägt auf dem Boden eine Schmetterlingsdarstellung.

Das zweite Motiv findet sein Vorbild in den Entwurfszeichnungen von Paul Wyss für den Kinderumzug zum Langnauer Schützenfest von 1906.

Zu einem weiteren signierten Entwurf mit einem Bären im  Stil von Paul Wyss oder Karl Gehri (1850-1922) hat sich auch ein ausgeführter Teller erhalten, der offenbar zu einer “Bärenserie” gehört.

Bedenkt man, dass Fritz Brechbühl später Briefträger wurde, so kann ihm vermutlich auch ein späterer Entwurf für den “Wanderpreis Kegelklub Postpersonal” zugeordnet werden.

 

Zwei von Fritz Brechbühl signierte Entwürfe zeigen typische bernische Trachtenfrauen oder Trachtenpaare als zentrale Motive für Teller oder Platten mit umgebenden Sinnsprüchen, wie sie auch die Keramiken von Johann Röthlisberger oder Adolf Gerber zieren.

  

Einen weiteren Entwurf setzte Fritz Brechbühl laut eigener Signatur erstaunlicherweise erst 1922 um.

Dasselbe gilt für einen ungewöhnlichen Tabaktopf, dessen Entwurfszeichnung sich im Kontext einer grösseren Serie von unsignierten Blättern eines Zeichenkurses fand. Wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, dass dies die von den Kursteilnehmern nach Anleitung in den Unterrichtsstunden selbst gemalten Kursunterlagen sind. Ein weiterer solcher Zeichenlehrgang aus der Feder von Paul Wyss und Ernst Frank existiert. Wer hier die beiden Raucherporträts beigesteuert hat, ist leider unklar. Vermutlich dürfen wir hier auch Paul Wyss annehmen.

Auch die gezeichnete Blumenampel existiert als ausgeführtes Objekt.

Eine Reihe von “JR” signierten und datierten Keramiken lässt sich mit dem Hafnermeister Johannes Röthlisberger verbinden. Es ist wohl kein Zufall, dass die Serie datierter Stücke mit dem Jahr 1910 einsetzt.

Teller mit dem Motiv des Langnauer Alpendoktors Micheli Schüppach haben sich in zwei Ausführungen erhalten. Die Darstellung geht auf den bekannten Stich “Pharmacie rustique, nach der Natur gezeichnet von G. Locher und graviert von Bartholomäus Hübner, 1775″ zurück. Dieselbe Szene verwendete später auch Adolf Gerber.

Ein Teller mit der Darstellung der Langnauer Kramlaube (1519 erbaut, 1900 abgebrochen) entstand im Jahr 1911 und dokumentiert den schmerzlichen Verlust eines bedeutenden Baudenkmals. Auch Adolf Gerber fertigte später zahlreiche Teller mit diesem Dekor.  Offenbar war es nicht schwierig die Motive oder Vorlagen zu kopieren.

Die Vorzeichnung von Paul Wyss entstand möglicherweise nach einem älteren Foto. Dieselbe Vorlage fand auch noch einmal im Jahr 1926 Verwendung.

1912 entstand schliesslich ein Teller mit einer alten Schmiede in Langnau (heute abgebrochen), bei dem Paul Wyss ebenfalls die Vorlage lieferte. Dieselbe Vorlage benützte Johann Röthlisberger noch einmal im Jahr 1937.

Die Zusammenarbeit mit Paul Wyss muss in dieser Zeit ausgesprochen eng gewesen sein, da sich in den Archivalien weitere Entwurfszeichnungen finden, darunter vor allem die eindrucksvolle Zeichnung eines Hafners an der typischen Spindelscheibe (Stüpfscheibe). Betrachtet man die Physiognomie der Familienmitglieder, so könnte es sich bei dem dargestellten Hafner um Friedrich Röthlisberger (1846–1920) handeln (s.o.).

Vermutlich wurde Johann Röthlisberger etwa in dieser Zeit auch Mitglied des Schweizerischen Gewerbeverbandes (Entwurf der Mitgliedsurkunde: Paul Wyss).

In einer Werbebroschüre des Langnauer Verkehrsvereins aus dem Jahr 1913 findet sich eine Werbeanzeige von “Joh. Röthlisberger Fabrikation moderner Langnauer Töpfereien”. Ausserdem gibt es Werbeanzeigen von Adolf Gerber-Kohler (Langnau) und seinem Schwager Oswald Kohler (Schüpbach).

Keramik der Hafnerei Röthlisberger 1913.

Noch wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass die Broschüre eine grosse Abbildung mit Keramik zeigt, die aufgrund der grossen Schmuckteller an der Wand im Abgleich mit weiteren erhaltenen Skizzen und dem schon beschriebenen Zeichenkurs  jetzt eindeutig der Hafnerei Röthlisberger zugeordnet werden kann.

Auf die Marktlaube wurde schon hingewiesen (s.o.), erhalten hat sich in der Schule für Gestaltung in Bern (SfGB 061) aber auch der Mitte links hängende Teller mit den Käsern. Er ist rückseitig signiert “Fritz Röthlisberger Langnau”) und auf der Schauseite rechts “FR” (Friedrich Röthlisberger, Vater oder Sohn) signiert und trägt im Herzen ein “L” wohl für Langnau.

Zahlreiche Gefässentwürfe aus dem Zeichenkurs lassen sich ebenfalls auf der Abbildung wiederfinden.

Aufgrund von Signaturen und Vorlagen lassen sich drei weitere Gefässe eindeutig der Hafnerei Röthlisberger zuordnen. Die beiden Teller passen gut in das bisherige Formen- und Dekorspektrum.

Dagegen ist die Schüssel ein ungewöhnliches Stück, das in eine Gipsform eingedreht worden sein dürfte, um die reliefierte Oberfläche zu erzeugen, die an eine Flechtwerkarbeit erinnert. Körbchen mit ähnlichen Oberflächen gab es auch schon unter älteren Langnauer Keramikprodukten (Heege/Kistler 2017,  652 Abb. 782).

Auch ein unsignierter Teller aus Familienbesitz, zu dem es eine Entwurfszeichnung gibt, dürfte in der Töpferei Röthlisberger entstanden sein.

An der Landesausstellung 1914 in Bern beteiligte sich Johann Röthlisberger an der Kollektivausstellung der Langnauer Hafner (Hermanns 1914, 377).

Er hatte für die Ausstellung eine Dauerkarte.

In einem Bericht über den Bazar im Dörfli erschien 1914 auch ein Gruppenfoto, das Geschirr von Johann Röthlisberger, Adolf Gerber und Anna Müller zeigte (Conradin 1914, Fig. 6).

Eine Terrine, die der vorne rechts ausgestellten sehr ähnelt, hat sich in Langnauer Privatbesitz erhalten. Der BUND (9.10.1914) beschrieb die Gemeinschaftsausstellung wie folgt: “Die einst berühmte und jetzt wieder zu Ansehen gelangende Langnauer Töpferei ist durch eine Kollektivausstellung und verschiedene private Aussteller vertreten …; ordinäres Töpfergeschirr und edles, modernes Langnauer Kunstgeschirr, darunter besonders bemerkenswert die mit lustigen Volksversen und ergötzlichen, farbig gezeichneten Szenen aus dem Volke dekorierten Wandteller, Wappen und Krüge usw.”.

Für die Abteilung “Bienenzucht Emmenthal” auf der Landesausstellung stellte Johann Röthlisberger auch Model für Bienenwachs-Guss her.

Für seine Teilnahme an der Landesausstellung in Bern erhielt er eine silberne Medaille.

Fachbericht zur Gruppe 23 der Landesausstellung 1914, Keramik und Glas, Kiefer 1914, 74, Ausschnitt.

Der Jurybericht (Kiefer 1914, 74) lobte das bisher Erreichte, das zu Hoffnung Anlass gäbe. Die NZZ (29.10.1914) fordert in einer Ausstellungsbesprechung, dass in Zukunft “die Muster möglichst einfach gehalten werden und die Farben klar und entschieden bleiben.” Damit würde der heimatlichen Kunst am meisten gedient.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges scheint die hoffnungsvollen Neuanfänge der Langnauer Töpferei zumindest teilweise wieder zunichte gemacht zu haben, denn aus den folgenden Jahrzehnten der Produktion der Hafnerei Röthlisberger gibt es nur noch wenige Keramiken, die an die vorhergehende Qualität anschliessen können.

Nur ein einziger ungemarkter Teller aus der Zeit nach 1915 (Privatbesitz, Langnau) ist aufwendiger gestaltet und stammt aufgrund der Besitzverhältnisse möglicherweise aus der Hafnerei Röthlisberger.

Unter den Archivalien fand sich nur noch ein einziger 1916 datierter Entwurf von Paul Wyss.

Am 20. Juni 1916 wandten sich die Tonwerke Kandern an Johann Röthlisberger und fragten an, ob er nicht als “tüchtiger Freidreher” für Luxuswaren bei Ihnen anfangen wolle. Offenbar sagte ihm das Angebot nicht zu, denn er blieb in Langnau.

Weitere Briefe aus der Geschäftskorrespondenz belegen in den 1920er- und 1930er-Jahren Kontakte nach Dresden, Meissen und Atzgersdorf bei Wien. Dabei dürfte es vor allem um Glasurrohstoffe gegangen sein (nur Briefumschläge erhalten).


Eine Reihe von Postkarten aus der Zeit zwischen 1923 und 1935 belegt das damals übliche Bestellverfahren von Privatpersonen und Wiederverkäufern/Haushaltswarengeschäften, vor allem aus dem Kanton Luzern oder dem umliegenden Kanton Bern. Ohne genauere Spezifizierung was den Dekor anbetrifft, wurden Suppenteller, Blumentöpfe, Milchkrüge oder Kaffeetassen bestellt. Manchmal wurden zusätzlich Volumina angegeben. Offenbar kam es nur auf einen günstigen Preis an.

Und erst 1935 (Oberländer Tagblatt, 28.10.1935) gab es wieder und letztmalig eine Zeitungsmeldung zur Hafnerei Röthlisberger. Gemeldet wurde die Teilnahme an einem “Chachelimärit” im Berner Gewerbemuseum.

Wandteller im Stil von Paul Wyss wurden bei Röthlisbergers noch mit Daten von 1926 und 1937 hergestellt, wobei man offenbar auf die vorhandenen, älteren Vorlagen zurückgriff. Es gibt ansonsten nur noch zwei datierte Keramiken, ein Paar Tassen für “Anna und Hans” aus dem Jahr 1936 und eine Dose auf einem Pokalfuss aus dem Jahr 1944. Diese stammen, wie zahlreiche weitere Einzelstücke aus der Zeit, als die Töpferei 1953 aufgelöst wurde.

Es sind also Überbleibsel aus dem Lager der Hafnerei, die gesamthaft wohl aus der Produktionszeit zwischen etwa 1920/1930 und 1953 stammen dürften. Dazu gehören zahlreiche Tassen und Untertassen mit einfachen Malhornmustern und Spritzdekoren.

Ausserdem gibt es Ersatzdeckel, Schüsseln, Terrinen und Henkeltöpfe (Milchtöpfe). Erstaunlicherweise befinden sich darunter auch immer noch die einfachen, aber in den 1930er-Jahren sehr altertümlich wirkenden Horizontalstreifendekore.

Eine Gruppe kleiner Henkeltöpfe fällt durch ihre besondere Bemalung auf.

Ein Humpen mit Deckel ist gesichtsförmig gestaltet.

Eine Besonderheit stellen auch wenige Gefässe mit dendritischem Dekor dar, die sich leider nicht genauer datieren lassen (zum dendritischen Dekor vgl. Heege 2019, 191-198).

Aus anderen Töpfereien des Bernbiets kennen wir bisher keine keramischen Grabvasen (Steckvasen). Ganz ähnliche Stücke bot jedoch die Tonwarenfabrik Carl Bodmer & Cie  in ihren Preislisten 1917 und 1919 an (Bodmer-Huber/Messerli 1986, Taf. 17 und 22).

Auch grössere Figuren, die sich zusätzlich als Kerzenhalter eigneten, gehörten in das Produktionsprogramm der Hafnerei Röthlisberger.

Die Spardosen mit Tieraufsätzen erinnern an ältere Beispiele aus der Region Heimberg-Steffisburg.

Zu den zahlreich erhaltenen Gipsmodeln gesellen sich auch zeitgenössische Ausformungen von Kühen, Pferden, Katzen, Hunden, Schafen Schweinen, Bären und Löwen. Diese unterscheiden sich nicht von denen, die z. B. von der Hafnerei Kohler in Schüpbach hergestellt wurden. Sitzende oder stehende Bärlein können auch die Mitte von Aschenbechern bilden.

Puppenstubengeschirr ist ebenfalls mit zahlreichen Formen vertreten.

Nach Familienerzählungen fertigte Fritz Brechbühl für sich nach dem Ersten Weltkrieg zur Erinnerung  auch einen eigenen Tabakpfeifenkopf in Form eines Soldaten des Geb. Inf. Bataillon 40. Das Bataillon, zu dem Fritz Brechbühl gehörte, war in Langnau stationiert und wurde bereits am 3. August 1914 mobilisiert. Das Bataillon 40 bestand von 1874-1937 (Glanzmann 2012, 44-47). Ob diese schöne Geschichte so wirklich stimmt, kann heute nicht mehr entschieden werden, jedoch gibt es identische Pfeifenköpfe auch mit anderen Einheitsnummern, was für eine umfangreichere Herstellung dieser Erinnerungsstücke an einem unbekannten Ort sprechen würde.

Dank:

Wir danken Christian Wüthrich (1924-2020) und seinen Söhnen und deren Familien sehr herzlich für die langjährige freundliche Aufnahme in Ihrem Haus in Langnau und die zahlreichen Gespräche, Informationen und Archivalien zur Hafnerei Röthlisberger. Ohne diese Grundlagen hätte der vorliegende Beitrag nicht geschrieben werden können. Danken möchten wir auch Hans Brechbühl, Langnau, der seine ererbte Keramiksammlung ebenfalls freundlicherweise für die Dokumentation zur Verfügung stellte.

Bibliographie:

Bodmer-Huber/Messerli-Bolliger 1986
Ernst Bodmer-Huber/Barbara E. Messerli-Bolliger, Die Tonwarenfabrik Bodmer in Zürich-Wiedikon Geschichte, Produktion, Firmeninhaber, Entwerfer, in: Keramikfreunde der Schweiz, Mitteilungsblatt, 101. Jahrgang, 1986, 1-60.

Blondel 2001
Nicole Blondel, Céramique: vocabulaire technique, Paris 2001.

Conradin 1914
Christian Conradin, Der Bazar im Dörfli, in: Heimatschutz. Zeitschrift der Schweizer. Vereinigung für Heimatschutz 9, 1914, Heft 6, 89-98.

Glanzmann 2012
Jonas Glanzmann (Red.), 100 Jahre Offiziersgesellschaft Langnau und Umgebung. Eine Chronik von 1912 bis 2012. Langnau 2012.

Heege 2019
Andreas Heege, Keramik aus St. Antönien. Die Geschichte der Hafnerei Lötscher und ihrer Produkte (1804-1898) (Archäologie Graubünden – Sonderheft 7), Glarus/Chur 2019.

Heege/Kistler 2017
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Hermanns 1914
Jacob Hermanns, Keramik und Glas an der Schweiz. Landesausstellung. Die Schweiz: Schweizerische illustrierte Zeitschrift 18, 1914, 376-378.

Kiefer 1914
Georges Kiefer, 23: Gruppe: keramische und Glaswaren. Schweizerische Landesausstellung in Bern 1914, Fachberichte Band VI.

Messerli 2017
Christoph Messerli, 100 Jahre Berner Keramik. Von der Thuner Majolika bis zum künstlerischen Werk von Margrit Linck-Daepp (1987-1983). Hochschulschrift (Datenträger CD-ROM), Bern 2017.

Stauder 1917
Hermann Stauder, Die Töpferei im Heimberg (Nachdruck des Kunst- und Kulturverein Heimberg, 1985, Original Schweizerische Landesbibliothek Bern), Bern 1917.

Wyss 1906
Paul Wyss, Stand, Probleme und Hebung des Töpfergewerbes. Nach dem Vortrage von Hrn. P. Wyss … in Bern niedergeschrieben von H[ermann] Röthlisberger, Sek.-Lehrer in Steffisburg. Oberländer Volksfreund / Hrg. vom Handwerker- und Gewerbeverein Steffisburg. Jahrg. 1, 1906, No 14-19 (Original in der schweizerischen Nationalbibliothek Bern; http://permalink.snl.ch/bib/sz000875648).

 

 

 

 

 

 

Lausanne VD, Genf GE und Nyon VD, Vallotton, Georges (1870-1948), Dekorationsatelier

Roland Blaettler, 2019

Aus den Nachrufen, die Georges Vallotton (1870-1948) in der Feuille d’avis de Lausanne vom 16. Februar 1948 (S. 24) und in der Gazette de Lausanne vom 17. Februar (S. 2) gewidmet sind, geht hervor, dass er eine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule in Karlsruhe absolvierte, bevor er 1899 in Genf das Zertifikat als Zeichenlehrer erwarb. Sein Interesse an der Fayencemalerei ist bereits um 1900 bezeugt. In ihrer Ausgabe vom 31. August (S. 3) machte die Gazette de Lausanne auf ein bemerkenswertes Werk Vallottons aufmerksam, das in einem Lausanner Schaufenster ausgestellt war: ein Keramik-Triptychon (Fayencemalerei). Es illustrierte ein Kapitel der Schweizer Geschichte, nämlich die Schlacht bei St. Jakob an der Birs im Jahr 1444. Die erste Tafel zeigte das Gebet vor der Schlacht, die zweite die Schlacht selbst und die dritte die Protagonisten nach der Konfrontation. Der Kommentar des Journalisten war sehr ermutigend: «Die Malerei ist voller Leben, bewegte Szenen sind korrekt dargestellt, dazu kommen solide zeichnerische Qualitäten, die vielversprechend für die Zukunft sind. Man hätte nicht besser starten können.»

Später – während seiner Anstellung als Zeichenlehrer in Lausanne – kam Vallotton mit Jules Michaud in Kontakt, dem Direktor der Manufacture de poteries fines de Nyon: «Nach langem Forschen und mit sehr kluger Unterstützung von M. Michaud, dem Direktor der Töpferei von Nyon, gelang es ihm, sein Handwerk und die Brenntechnik so weit zu beherrschen, dass er dem Publikum eine ganze Reihe schöner Kunst- und Dekorationsobjekte anbieten kann, von denen einige hier bewundert werden können im Schaufenster des Geschäfts Wenger in Saint-François» (Tribune de Lausanne, 17. Dezember 1905, S. 2). Die Gazette de Lausanne vom 14. Dezember 1905 (S. 3) gibt einen ausführlicheren Bericht über die Lausanner Ausstellung, sie erwähnt «zwei oder drei Dutzend Schüsseln, Teller, Medaillons, Schalen oder Untertassen». Die dargestellten Sujets stammen entweder aus der historisierenden Ikonografie (Bannerträger, Landsknechte, Pfeifer oder Lanzenreiter) oder zeigen Landschaftsszenen. Als Beispiel dazu nennt der Journalist den Turm der Rue du Pré in Chillon, den Palud-Platz in Lausanne und einen «Blick aus der Vogelperspektive auf den Turm von Marsens». Das zuletzt beschriebene Sujet könnte der Schüssel entsprechen, die heute im Historischen Museum Lausanne aufbewahrt wird (MHL AA.VL 91 C 1033A). Unser Chronist weist auch darauf hin, dass «das Delfter Blau, auch wenn es an die schönen Produkte des Landes der Grachten erinnert, sich ebenfalls vortrefflich dazu eignet, die reizvollen Details unserer alten lokalen Architektur wiederzugeben».

Wie bei der Ansicht des Turms von Marsens hat Vallotton tatsächlich mehrere Sujets monochrom in blaugrauer Farbe ausgeführt (siehe MHL AA.VL 91 C 1033B, MHL AA.VL 88 C 470 oder MHPN MH-1999-116). Man könnte versucht sein, diese Werkreihe auf die Zeit um 1905 zu datieren, doch verwendete Vallotton diese Technik bis mindestens 1915, wie aus einem kurzem Bericht über eine weitere Ausstellung von Vallottons Werken hervorgeht, wiederum in den Schaufenstern des Geschäfts Wenger in Lausanne (Gazette de Lausanne vom 28. Dezember 1915, S. 5). Aus dem Artikel erfahren wir, dass «Vallotton, der simple Nachahmungen eines Stils verschmäht und auch gegen ausländische Importe ankämpfen will, gerne die Ansichten des Genfersees, unserer Chalets, und unserer Berge malt: das verschwommene Blau der Keramik passt wunderbar zu den fernen Landschaften».

Alle Keramiken aus dieser frühen Periode wurden aus Steingut hergestellt, die höchstwahrscheinlich von der Nyoner Manufaktur von Jules Michaud geliefert wurden. Die Manufaktur übernahm auch das Brennen der Arbeiten bei hohen Temperaturen, da die Farbe systematisch unter der Glasur aufgetragen wurde. Die von Vallotton dekorierten Keramiken sind mit seinem Monogramm signiert (siehe zum Beispiel MHL AA.VL 88 C 470, MHPN MH-FA-4042).

Die 1905 erwähnten Medaillons zum Beispiel stammen aus einem alten, von der Porzellanfabrik Nyon aufbewahrten Model: Das Landesmuseum Zürich besitzt ein von Vallotton signiertes Exemplar, das eine Traubenpflückerin in Waadtländer Tracht zeigt (Inv. LM-141824). In der gleichen Sammlung, ebenfalls von der Hand Vallottons, befindet sich ein Tablett in einer alten Porzellanform, die ein Bauernpaar in Tracht zeigt (Inv. LM-141825).

Im Museum von Nyon befindet sich ein weiteres Medaillon mit der gleichen Form, das einen Landsknecht zeigt, der sich auf sein Schwert stützt. Der Dekor ist signiert mit «A. Veillon» (MHPN MH-2000-81). Handelte es sich dabei um einen unabhängigen Keramikmaler oder war er ein Mitarbeiter von Vallotton? Der Artikel in der Gazette de Lausanne über die Ausstellung von 1905 lobte Vallottons Werk, insbesondere die Arbeit, die es «einer Anzahl von Arbeitern, die von ihm ausgebildet wurden, verschaffte. Es scheint, dass diese Mitarbeiter bereits eine ‹Schule› bilden, die ihrem Meister und unserer Stadt zur Ehre gereichen». Wir sehen hier, dass Vallotton sich schon sehr früh mit Mitarbeitern umgab, über die Art der Arbeitsteilung zwischen dem Meister und seinen Schülern/Mitarbeitern konnten wir hingegen nichts in Erfahrung bringen.

Nach dem Erfolg der Lausanner Ausstellung hegte Vallotton einen Traum, der ihn noch viele Jahre lang umtreiben sollte: In einem Artikel, der am 12. Januar 1906 in der Feuille d’avis de Lausanne veröffentlicht wurde (S. 4), erklärte er, dass er «die Gründung eines Keramikunternehmens in Angriff nehmen werde und dessen künftige Werkstätten in Nyon einzurichten gedenke, nach Absprache mit M. Michaud».

Zunächst versuchte er in Genf, sein Projekt zumindest vorübergehend zu verwirklichen: «Ein Lausanner Künstler, Herr Georges Vallotton, versucht, eine in Vergessenheit geratene, nationale Industrie, die Fayence-Kunstkeramik, wiederzubeleben. Er hat in Genf eine Werkstatt eingerichtet, in der er junge Leute beschäftigt, die die Genfer Kunstschule absolviert haben. Die von ihm organisierte Ausstellung mit Werken aus seinen Werkstätten hatte grossen Erfolg» (Feuille d’avis de Lausanne vom 14. Dezember 1906, 8). Im gleichen Jahr wurde Vallotton auf der Internationalen Ausstellung in Mailand mit einer Goldmedaille ausgezeichnet, dabei wurde er als Professor in Genf beschrieben (Schweizerisches Handelsamtsblatt, Bd. 25, 1907, S. IV).

Im Januar 1907 informierte Vallotton die städtischen Behörden über seine Absicht, in Nyon «ein Unternehmen im Bereich Kunstkeramik» zu gründen, das Werkstätten und eine Zeichenschule umfassen sollte. Erklärtes Ziel sei es, junge Männer und Frauen auf dem Gebiet der Fayencemalerei auszubilden. Von Anfang an forderte er bestimmte Begünstigungen, wie etwa eine Befreiung von den Gemeindesteuern für mindestens fünf Jahre, die Bereitstellung eines 1500 bis 2000 m² grossen Grundstücks in der Nähe der Manufaktur und einen jährlichen Zuschuss von 2500 Franken (Archives communales de Nyon [ACN], Bleu A-70, Sitzung vom 21. Januar 1907). Überraschenderweise stand die Stadtverwaltung dem Vorhaben prinzipiell positiv gegenüber. Allerdings machte das Kollegium eine komplette Kehrtwende, nachdem es den Antrag an Jules Michaud weitergeleitet hatte. Letzterer hielt es für unklug, sich finanziell an einem Projekt zu beteiligen, das angesichts der Schwierigkeit, Produkte dieser Art in der Region zu verkaufen, kaum eine Chance hatte, rentabel zu sein. Beiläufig erfahren wir, dass Vallotton seine Dekore tatsächlich in den Öfen der Manufacture de poteries fines brennen liess. Die Stadtverwaltung beschloss schliesslich, den Antrag von Vallotton abzulehnen (ibidem, Sitzung vom 2. April).

Einige Jahre später, im Jahr 1914, wurde Vallotton zum Zeichenlehrer am Gymnasium und an der Berufsschule in Nyon berufen; die Ernennung für die Sekundarstufe II war provisorisch, sie wurde erst 1917 bestätigt, nachdem Vallotton die erforderlichen Ergänzungsprüfungen bestanden hatte (ACN, Bleu A-75). Im gleichen Jahr eröffnete er seine erste Werkstatt für Keramikmalerei auf Fayence und Porzellan in der Form einer Kommanditgesellschaft: «Georges Vallotton et Cie» (La Revue vom 1. November 1919, 3 – Tribune de Lausanne vom 17. Februar 1948, 5) Seine Herstellungsmarke, bestehend aus seinem Monogramm «GV» flankiert von zwei «N», liess er eintragen (SHAB, vol. 36, 1918, 5 – für Beispiele dieser Blindmarke, siehe MHL AA.46.B.57; CLS MURO 1236). Die Werkstatt erscheint im Indicateur vaudois ab 1919 in der Rue du Cordon 3, im Jahr darauf in der Rue de la Poterie 17. Die Adressänderung lässt sich durch einen tragischen Zwischenfall erklären, der sich am 27. November 1919 ereignete: In den Presseartikeln des folgenden Tages wurde berichtet, dass ein durch die Explosion des Brennofens ausgelöstes Feuer das Gebäude von «M. Vallotton, potier à Nyon» zerstörte (Le Droit du peuple vom 28. November 1919, 4).

Vor diesem dramatischen Ereignis vom 9. Dezember 1918 hatte die Stadtverwaltung ein Schreiben der Firma «G. Valloton et Cie, manufacture de porcelaines décorées» zur Kenntnis genommen, in dem das Unternehmen auf die Schwierigkeiten hinwies, die sich aufgrund des gravierenden Mangels an qualifizierten Arbeitskräften in seinem Geschäftsfeld ergeben hatten. Sie schlug daher vor, mit Unterstützung der Gemeinde eine Schule zu gründen, die in gewisser Weise an das Unternehmen angegliedert wäre, mit dem Ziel, «Lehrlinge vorzubereiten». Folglich beantragte das Unternehmen einen städtischen Zuschuss von 1200 Franken pro Jahr (ACN, Bleu-77, Sitzung vom 9. Dezember 1918). Die Gazette de Lausanne griff dieses Projekt im Februar 1919 in mehr als ermutigender Weise auf, indem sie den Einsatz für die Wiederbelebung der lokalen Tradition der Keramikkunst lobte und die von Vallotton geplante Berufsausbildung beschrieb, die «vor allem jungen Mädchen einen Weg eröffnet, der ihrem Geschmack entspricht und ihnen ein Auskommen ermöglicht» (Ausgabe vom 9. Februar 1919, S. 2). Es wird auch erwähnt, dass die für das kommende Frühjahr geplante Schule als Anbau an Vallottons Manufaktur konzipiert sei, in der die Schüler neben dekorativem Zeichnen und Bildkomposition auch die technischen Grundlagen des Handwerks erwerben könnten. Die Kurse sollten vier Monate dauern, gefolgt von einem Praktikum in der Fabrik, «während dem die Schüler bereits bezahlt werden. Das Ziel von Herrn Vallotton ist es nicht, Dilettanten auszubilden, sondern Facharbeiter, die entweder in der Werkstatt oder zu Hause arbeiten können.»

Kurz darauf wurde in der Presse bekanntgegeben, dass die «École de peinture sur porcelaine» im Mai ihre Kurse eröffnen wird, die «dekorative Malerei auf Fayence, Porzellan und eventuell Glas» sowie «dekorative Bildkomposition im Bereich Industrie» umfassen (zum Beispiel in der Gazette de Lausanne vom 20. März 1919, 3). Im April 1919 gab der Gemeinderat eine positive Stellungnahme zu Vallottons Antrag ab (ACN, Bleu-77, Sitzung vom 7. April 1919).

Am 20. Januar 1920 verkündete das Schweizerische Handelsamtsblatt (Bd. 38, 1920, 200) die Gründung der «Manufacture de porcelaines décorées de Nyon S. A.» mit einem Stammkapital von 150.000 Franken. Der Zweck des Unternehmens bestand darin, die Vermögenswerte der Firma «G. Vallotton et Cie» zu übernehmen, sowie in der «Herstellung, Dekoration und im Verkauf von Porzellan, Fayence, Glaswaren, verschiedenen Töpferwaren und anderen keramischen oder ähnlichen Erzeugnissen». Dem Verwaltungsrat unter dem Vorsitz von Eugène Failletaz, einem Geschäftsführer aus Lausanne, gehörten neben Vallotton der Kaufmann Arnold Schenk aus Rolle, der Bankier Alfred Baup aus Nyon, der Rentner Georges Seidl-Binet aus Lausanne, der Färber Alfred Rochat aus Lausanne und der Notar Ernest Bonzon aus Nyon an. Die Leitung des Unternehmens blieb selbstverständlich in den Händen von Vallotton.

Der Indicateur vaudois erwähnt den neuen Firmennamen ab 1921, noch mit Sitz in der Rue de la Poterie 17, während 1922 und 1923 ein Verkaufsgeschäft in der Rue de la Gare 6 gemeldet wird. Das Werkstattzeichen blieb das gleiche wie unter dem bisherigen Firmennamen: «N-GV-N».

Vallottons Unternehmen war, gelinde gesagt, ambivalent und vermischte auf merkwürdige Weise (oder berechnend?) einen rein kommerziellen Aspekt (die Fabrik) mit einem vermeintlich gemeinwohlorientierten Bildungsaspekt (der Schule). Diese Unklarheit bereitete Valloton Schwierigkeiten bei seinen wiederholten Versuchen, eine noch umfangreichere Unterstützung durch die öffentliche Hand zu erhalten. Im Frühjahr 1920 erfuhr die Stadtverwaltung, dass die kantonalen Behörden sich geweigert hatten, die Malschule von Vallotton zu subventionieren, mit der Begründung, sie sei nicht klar von den Produktionswerkstätten getrennt. Vallotton drohte daraufhin, seinen Betrieb in eine andere Gemeinde zu verlegen (ACN, Bleu A-77, Sitzung vom 12. April 1920).

Ein paar Monate später informierte ein Schreiben von Vallotton die kommunalen Behörden, dass die Schule nicht nur vom Kanton, sondern auch von der Eidgenossenschaft subventioniert werde. Man beschloss, den Direktor vorzuladen (ACN, Bleu A-78, Sitzung vom 26. Juli 1920). Da die «École professionnelle de peinture sur porcelaine» immer noch «provisorisch» in den Räumlichkeiten der Fabrik in der Rue de la Poterie untergebracht war (ACN, Bleu A-78, Sitzung vom 22. November 1920), bat Vallotton die Stadtverwaltung mehrmals, grössere Räumlichkeiten für sie zu finden.

Im Juni 1921 wurde der Antragsteller gebeten, Angaben über die Besucherzahl seiner Schule zu machen. Die Antwort war nicht sehr ermutigend: Im zweiten Jahr hatten fünf Schüler ihre Ausbildung abgeschlossen, von denen vier in der «Manufacture de porcelaines décorées» beschäftigt waren; im ersten Jahr waren zwei Personen eingeschrieben und vier standen angeblich wegen Platzmangels auf einer Warteliste (ibidem, Sitzung vom 27. Juni). Im Dezember desselben Jahres lehnte der Gemeinderat eine mögliche Verwaltungsübernahme der Schule durch die Stadt endgültig ab (ibidem, Sitzung vom 12. Dezember 1921).

Vallottons Geschäfte liefen immer schlechter; seine Manufacture de porcelaines décorées wies 1920 eine negative Bilanz von 27 719 Franken, im Jahr 1921 sogar von 44 743 Franken auf (ACN, Bleu A-79, Sitzung vom 8. Mai 1922). Bereits im Januar 1922 veröffentlichte er mehrere Anzeigen, in denen er über Verkäufe nach Inventur informierte und «vorteilhafte Angebote für Kaufleute und Privatpersonen anbot: Tafelgeschirr, Tee- und Kaffeeservices; Wedgwood-Fayencegeschirr in Weiss; viel weisses Porzellan usw.» (zum Beispiel in der Gazette de Lausanne vom 23. Januar 1922, 3). In einigen Anzeigen wird sogar das offizielle Datum der Schliessung des Unternehmens genannt, das auf den 1. März 1923 festgelegt wurde (Gazette de Lausanne, 8. November 1922, 3).

Am 11. Januar 1923 wurde im Schweizerischen Handelsamtsblatt die Auflösung der Firma «Manufacture de porcelaines décorées S. A.» verkündet. Sie wurde von einer ausserordentlichen Hauptversammlung der Aktionäre am 20. September 1922 beschlossen. Die Liquidation sollte durch den Verwaltungsrat durchgeführt werden, «mit Ausnahme von Georges Vallotton, der zurücktrat» (Bd. 41, 1923, S. 119). Erst am 24. September 1923 nahm die Stadtverwaltung die Schliessung des Unternehmens zur Kenntnis, die «zu Beginn des Jahres» erfolgt war (ACN, Bleu A-80). Anschliessend zog Georges Vallotton nach Lausanne, wo er von 1924 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1930 als Lehrer für Zeichnen und Kunstgeschichte an der Berufsschule und am Mädchengymnasium unterrichtete. Danach veröffentlichte er verschiedene Essays und historische Romane, namentlich unter dem Pseudonym Georges Delorbe.

Seit 1917 dekorierten die Werkstätten von Vallotton weiterhin Steingut, vor allem im Bereich der Gedenkobjekte (MHL AA.46.B.57; MHPN MH-FA-4644), aber auch und immer häufiger Porzellan, weisse Importstücke. Die Motive zeigen manchmal eine gewisse Originalität, mehr oder weniger dem Zeitgeist entsprechend (MHPN MH-PO-10033; MHPN MH-1999-119); oft greifen sie die traditionellen Dekore des alten Porzellans von Nyon auf, die Werkstattmarke wird dann durch einen auf die Glasur gemalten blauen Fisch ergänzt (CLS MURO 1234, CLS MURO 1235, CLS MURO 1236).

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

 Archives communales de Nyon [ACN], Registres de la Municipalité.

Feuille officielle suisse du commerce (consultée sur le site e-periodica.ch)

Les annuaires et la presse vaudois (consultés sur le site Scriptorium de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne).

Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 65-67.

Lauterburg, Frieda (1877-1943), Langnau BE

Frieda Lauterburg (1877- 1943), Keramikmalerin in Langnau. Foto in Familienbesitz.

Arbeiten von Frieda Lauterburg in CERAMICA CH

Andreas Heege, Susan Roethlisberger (Langnau), 2022

Die folgenden Ausführungen basieren vor allem auf eigenen Briefen Frieda Lauterburgs, die sich in Familienbesitz erhalten haben.

Die elterliche Villa, Langnau BE, Schlossstrasse 5, gemalt von Frieda Lauterburg für einen nicht erhaltenen Kachelofen im Haus ihrer Schwester Anna Joost-Lauterburg, Dorfbergstrasse 3. Privatbesitz.

Frieda Lauterburg, mit vollständigem Namen “Maria Frieda Lauterburg”, wurde am 17. August 1877 als ältestes von sieben Kindern von Karl Alfred Lauterburg (1847-1914) und Maria Sophia Lauterburg  (1855-1923)  in Langnau BE in der Lauterburgvilla, Schlossstrasse 5 geboren. Der Vater war Mitinhaber der Leinwandfabrik Lauterburg & Joost in Langnau. Daneben verfügte er über ein beachtliches Zeichentalent und vor allem seine ornithologischen Kenntnisse verhalfen ihm zu einiger Beachtung in der Fachwelt. Die Mutter ihrerseits, eine Pfarrerstochter aus Lützelflüh sorgte für eine gottesfürchtige und kunstliebende Erziehung ihrer Kinder. So besuchte Frieda nach der Sekundarschule ein Pensionat in Lutry und anschliessend die Haushaltungsschule in Worb. Der krumme Rücken Friedas veranlasste die Familie, sie für längere Zeit zusammen mit einer sieben Jahre jüngeren Schwester zur medizinischen Behandlung nach Zürich zu schicken (Vorläuferinstitution der Anstalt Balgrist). Leider wurde diese Massnahme für Frieda zu spät ergriffen, so dass sie ihr Leben lang bucklig blieb, während ihrer Schwester dieses Schicksal erspart blieb.

Danach scheint sie zu Hause geblieben zu sein, um die Eltern zu unterstützen. Im Oktober 1901 bestand sie die Aufnahmeprüfung an der Gewerbeschule in Zürich. Auf Drängen ihrer Lehrer, die ihr Talent erkannten, entschloss sie sich mit Unterstützung ihrer Eltern, die vier Jahre dauernde Ausbildung zur Musterzeichnerin zu absolvieren, anstatt, wie geplant, nur einen Kurs zu belegen. Zu dieser Zeit war es absolut unüblich, dass eine Tochter aus sog. «gutem Hause» einen Beruf erlernte. In dieser Hinsicht zeigten sich die Eltern Lauterburg sehr aufgeschlossen. Andererseits musste ihre Tochter bis zum Tod der Eltern für jeden kleinsten Ausflug daheim um Erlaubnis bitten.

Im Mai 1902, nach den langen Frühlingsferien, langweilte sie das Musterzeichnen und Patronieren. Sie bat darum ihre Eltern, ihr Fr. 75 monatlich für einen Kurs im Landschaftszeichnen zu bewilligen. Dafür sollte ein Nachmittag Musterzeichnen geopfert werden. Im gleichen Brief schrieb sie auch, sie habe beschlossen, nur zwei Jahre weiter zu studieren.

Aus einem Skizzenbuch von Frieda Lauterburg, Privatbesitz.

Ihr Zeugnis nach dem ersten Semester fiel sehr gut aus, mit 5,6 im Blumenzeichnen und 6 im Musterzeichnen.

In ihrer Freizeit übte sich Frieda im Fotografieren und im Entwickeln ihrer Aufnahmen. Leider sind die Bilder nicht sehr gelungen und unscharf. Daneben genoss sie die vielen Konzerte und Theater in der Stadt Zürich.

Im Januar 1904 eröffnete ihr der zürcher Gewerbeschullehrer Brügger, dass er nach St. Gallen wechseln werde und gerne hätte, wenn sie auch dahin käme. Dort würde dann das ungeliebte Musterzeichnen wegfallen und nur Malen und Zeichnen unterrichtet. Nach erfolgtem Umzug nach St. Gallen schrieb sie nach Hause, dass die Hospitanten montags u. dienstags frei hätten, und sie dafür einen Nachmittag mit Stickkursen belegt habe. Sie nutzte die freien Tage, um viel zu zeichnen und auch Radierungen herzustellen. Im Frühling 1905 schloss sie das Studium in St. Gallen ab, ob mit oder ohne Abschlussprüfung schreibt sie nirgends.

Frieda Lauterburg, Pflanzenzeichnungen 1900-1905, Regionalmuseum Langnau und Privatbesitz.

Aus der Zeit in Zürich und St. Gallen haben sich eine Reihe an Pflanzenzeichnungen erhalten, die ihr zeichnerisches Talent bestätigen (Sommerausstellung im KulturRaum Langnau, 2010).

Zwischen Oktober 1906 und dem 1. Januar 1907 arbeitete sie  im Atelier Valloton in Genf,  in der Meinung, sich dort im Geschirrmalen weiterbilden zu können. Leider handelte es sich aber um lauter Serienarbeit, wo bloss Technik und keine Kreativität gefragt war. Auch die langen Arbeitstage von 9 Stunden, die sich oft bis nachts um 11 Uhr ausdehnten, behagten ihr gar nicht.

Aus einem Skizzenbuch von Frieda Lauterburg, Privatbesitz.

Etwas später, als ihr die Arbeit des Kopierens allzu langweilig wurde, zeigte sie ihrem Arbeitgeber ihre Landschaftsbilder, worauf sie Wandteller mit ihren eigenen Bildern bemalen durfte. Wieder zwei Wochen später schrieb sie ihrer Schwester von der geisttötenden Arbeit, indem sie 15 Schüsselchen mit dem gleichen Motiv bemalen musste. Auch die Bequemlichkeit des Ateliers war nicht erstklassig. Sie beklagte sich über die Kälte und verlangte von zu Hause einen Fusssack und ein Kissen für den Hocker. Für ihre Arbeit erhielt sie Fr. 90 im Monat.

Anfang des Jahres 1907 ging im Atelier Valloton alles drunter und drüber. Monsieur Valloton war angeblich in den Bergen zum Skifahren und Madame Valloton hatte schlechte Laune. Niemand befahl und niemand gehorchte. Eine der besten Arbeiterinnen wurde entlassen und Frieda kündigte ebenfalls auf Ende Januar. Sie schrieb nach Hauses, dass sie nach ihrem Austritt aber noch ein paar Tage in Genf bleiben wolle, um für sich zu arbeiten, da sie im Sommer in Langnau an einer Ausstellung für Industrie u. Gewerbe teilzunehmen gedenke. In einem Brief erwähnt sie nebenbei, sie wolle vielleicht auch noch das Drehen von Keramik lernen. Vor der Heimfahrt machte sie Ende Januar 1907 mit einer Kollegin noch einen Besuch in der Fayencefabrik in Nyon, wo sie ein dort arbeitender Maler von Langnau herumführte.

Offizielle Postkarte von der Keramikausstellung anlässlich der Langnauer Industrie- und Gewerbeausstellung 1907.

Im Juni 1907 wurde sie neben anderen prominenten Langnauern als einzige Frau ins Komitee für die Gewerbe-Ausstellung gewählt. Emil Aeschlimann plante dort eine Auswahl alter Langnauertöpfereien zu zeigen, die als Leihgaben vom Schweizerischen Landesmuseum und dem Historischen Museum in Bern zur Verfügung gestellt werden sollten.

Geschirr von Frieda Lauterburg, zumindest teilweise wohl 1907 für die Langnauer Industrie- und Gewerbeausstellung gefertigt (Regionalmuseum Langnau).

Frieda selber hatte bereits eine grosse Auswahl an Geschirr angefertigt, das ausgestellt werden sollte. Aus einem Brief ist zu entnehmen, dass die fertig bemalte Keramik offenbar zum Brennen nach Nyon geschickt wurde. Im Juli 1907 stellte sie neben Johann Röthlisberger ihre Keramiken auf der Industrie- und Gewerbeausstellung in Langnau aus (Der BUND 2. Juli 1907; NZZ 3.7.1907).

Entwurf von Paul Wyss zum Kinderumzug des Kantonalschützenfestes 1906 in Langnau, Originale im Regionalmuseum Langnau.

Als Vorlagen für Ihre Dekore verwendete sie Entwürfe von Paul Wyss, dem bernischen Keramikfachschullehrer, u. a. Szenen aus dem Kinderumzug anlässlich des Kantonalschützenfestes in Langnau 1906 (diese wurden auch als Postkartenserie gedruckt und verkauft).

Leider tragen die erhaltenen Irdenwaren  nur ihre Signatur, sodass wir nicht wissen mit wem sie das erhaltene Service (siehe oben) fertigte, denn es ist eigentlich kaum vorstellbar, dass sie das Drehen perfekter Formen in so kurzer Zeit erlernt haben sollte. Vermutlich hat Frieda Lauterburg nicht selbst die Gefässformen gedreht, sondern vor allem Keramik bemalt und diese dann ab 1911/1912 in der Werkstatt von Adolf Gerber in Langnau, Güterstrasse 3, brennen lassen. Vorher wäre eine Zusammenarbeit mit Johann Röthlisberger, Hafnerei in der Oberstrasse, denkbar, da beide 1907 auf der Langnauer Gewerbeausstellung ausstellten. Da sich viele ihrer Formen jedoch deutlich vom üblichen “Gerberspektrum” unterscheiden, ist denkbar, dass sie die Formen per Skizze vorgab und dann die lederharten Rohlinge engobierte, ritzte, bemalte und anschliessend signierte, was die oft zu beobachtenden Ausrisse an den Signaturkanten (s.o.) erklären würde. Leider haben sich aber in ihrem Nachlass keinerlei zeichnerische Form- oder Dekorentwürfe gefunden.

Ungemarkte Steingutteller, aber mit einer Unterglasur-Pinselmarke “FL” von Frieda Lauterburg.

Denkbar wäre jedoch auch, dass es sich bei den nach Nyon geschickten Keramiken um bemalte, ungemarkte Steingut-Schrühbrände gehandelt haben könnte, wie sie sich in Langnau in Privatbesitz erhalten haben. Diese wurden dann in Nyon glasiert und gebrannt. Diese Stücke zeigen wie bemalte Ofenkacheln, ebenfalls den Kinderumzug nach Paul Wyss.

Reste eines abgebrochenen, von Frieda Lauterburg bemalten Kachelofens aus der Schlossstrasse (eventuell Schlossstrasse 1 oder 3, Berger-Villa), Szenen aus dem Kinderumzug zum Kantonalschützenfest in Langnau 1906, nach Entwürfen von Paul Wyss.

Für das Jahr 1909 lassen sich verschiedene Kachelofenarbeiten in Langnau in der Schlossstrasse, u. a. in der elterlichen “Lauterburgvilla” (Schlossstrasse 5) und den benachbarten Villen der Weinhändlerfamilie Berger (Schlossstrasse 1 und 3), nachweisen. Die Kacheln wurden bei einem uns nicht bekannten Hafner in Langnau oder in einem Nachbarort gebrannt. In der Schlossstrasse 5 steht heute noch ein Ofenrest mit einem Fries mit dem Kinderumzug zum Kantonalschützenfest in Langnau 1906.

Als Grundlage für ihre Dekore verwendete sie in dieser Zeit und auch später (siehe unten) Rohlinge der Kachelofenfirma Kohler & Grimm bzw. Kohler AG in Biel (Neugründung 1898: Illustrierte schweizerische Handwerker-Zeitung : unabhängiges Geschäftsblatt der gesamten Meisterschaft aller Handwerke und Gewerbe, Band 14, 1898, 536).

Kachelofen Langnau, Schlossstrasse 7.

Im Mai 1909 unternahm sie mit einer entfernten Cousine eine Reise nach Nordfrankreich, schickte im selben Jahr auch Geschirr zu einer regionalen Ausstellung des Gewerbevereins nach Zürich und malte für Hans Zürcher, den Nachbarn in der Schlossstrasse 7 einen Ofen mit Jagdszenen.

Wohnhaus von Anna und Ernst Joost-Lauterburg, Dorfbergstrasse 3. Privatbesitz Langnau.

Ansicht der Langnauer Kirche. Privatbesitz Langnau.

Aufgrund des dort vorkommenden Tannenzweigdekors mit Zapfen, gehören möglicherweise auch zwei weitere, von ihr signierte Steingutteller mit Unterglasur-Pinseldekor in diesen Produktionszeitraum.

Ab 1909 belegte sie an zwei Tagen in der Woche auch Ausbildungskurse an der keramischen Fachschule in Bern, wo sie sich seit dem Wintersemester 1910/1911 neben Emil Loder (Steffisburg, später Luzern), Adele Schwander (als Malerin auch bei Bendicht Loder-Walder, Heimberg) und Elisabeth Strasser, als Schülerin der Keramischen Fachschule Bern  nachweisen lässt. Sie blieb bis zum Wintersemester 1911/1912 in Bern und lernte in dieser Zeit auch noch Anna Müller (Ausbildung zur Porzellanmalerin) und Adolf Schweizer (Keramiker, Steffisburg) kennen (Messerli 2017, 228).

Tellerchen mit Landschaftsdarstellung von Frieda Lauterburg, Privatbesitz Langnau.

1909/1910 schrieb sie in einem Brief sie habe “gehafnert” und Tellerchen und Schalen mit Landschaften bemalt.

Keramik von Frieda Lauterburg, Privatbesitz.

Keramik von Frieda Lauterburg im Regionalmuseum Langnau.

Im Januar 1911 erhielt sie Fr. 52 für Geschirr, das an einer Ausstellung in Biel verkauft werden konnte. Da Frieda Lauterburg ihre Keramiken zwar signierte, aber nicht datierte, haben wir keine korrekte Vorstellung, was sie in diesen Jahren genau produzierte. Ihre überlieferten Geschirrdekore ähneln jedoch denen anderer zeitgleich arbeitender Betriebe in Langnau oder der Region Heimberg-Steffisburg.

Im März 1911 unternahm sie mit einer entfernten Cousine eine lange Reise nach Nordafrka. 1912 und 1913 arbeitet sie zusammen mit der lithographischen Anstalt Hubacher in Bern an einer Druckausgabe eigener Zeichnungen. Ob diese Arbeiten zu einem Abschluss kamen, ist unklar. 1914 starb ihr Vater und fortan lebte sie allein mit ihrer Mutter und einer Magd im grossen Haus an der Schlossstrasse. 1914 beteiligte sie sich an der Kollektivausstellung der Langnauer Hafner auf der Landesausstellung in Bern (Kiefer 1914, 74; auch Der BUND, 9.10.1914). Wir haben jedoch keine Vorstellung, was sie zeigte. 1915 töpferte sie wieder viel für eine Ausstellung in Genf und konnte auch zahlreiche Keramiken verkaufen.

Keramik von Frieda Lauterburg im Jahr 1916, in: Franziska Anner, Die kunstgewerbliche Arbeit der Frau in der Schweiz, Chur 1916, Taf. 40.

Offenbar waren ihre Arbeiten in einem grösseren Kreis aktiver Kunstgewerbler bekannt und geschätzt, denn 1916 findet sie, zusammen mit Elisabeth Eberhardt, Elisabeth Gött-Strasser,  Nora Gross und Anna Müller, Aufnahme in das Buch “Die kunstgewerbliche Arbeit der Frau in der Schweiz”.

Sie dekorierte immer wieder auch Kachelöfen, oft nach Entwürfen von Paul Wyss, von denen einige bis heute erhalten sind.

Kachelofen Langnau, Lenggen, Signatur: “F. Lauterburg”.

Signatur: P. Wyss”.

Kachelofen 1918/1919 bemalt von Frieda Lauterburg, Schlossstrasse 7, Langnau.

1919 misslang ein ganzer Brand mit Ofenkacheln, die vermutlich für einen weiteren Jagdofen in der benachbarten Villa von Hans Zürcher gedacht waren.  Der Ersatz dieser Arbeit bereitete ihr grosse Mühe. Der Ofen trägt wohl aus diesem Grund das Datum der Bestellung (1918) und das der Fertigstellung (1919 auf einer Eckkachel mit Wappen).

Die Jahre nach dem Krieg waren sehr arbeitsreich. Einerseits kränkelte die Mutter und war öfter abwesend im Spital oder zur Kur. Zudem wohnten meist mindestens zwei der vier Buben ihrer Schwester aus Wien zur Erholung in der Schlossmatte. Die Schwester, Konzertsängerin in Wien, weilte oft den ganzen Sommer mit der ganzen Familie in Langnau. Zwischendurch vertrat Frieda Mutterstelle in Wien, wenn sie auf Konzerttournee war. Von ihrer keramischen Arbeit ist in diesen Jahren in ihren Briefen nichts zu lesen. Stattdessen war sie sehr engagiert im Chorsingen und in verschiedenen wohltätigen Vereinen im Dorf. Erst 1922 schreibt sie wieder, dass Kacheln mit Vogelmotiven fertig seien und der Ofen im eigenen Haus in der Schlossstrasse aufgebaut werden könne (erhalten?). Ende 1923 starb die Mutter nach langer Krankheit und Frieda lebte nun allein im grossen Haus und sorgte weiterhin für den Zusammenhalt in der Familie.

Einer Katastrophe gleich erschien ihr der Umbau des Elternhauses in den 1930er-Jahren. Die Firma Lauterburg verlegte ihre Büros von Bärau nach Langnau ins Erdgeschoss der Villa an der Schlossstrasse. Ein noch grösserer Schock war für sie, als die Familie eines Neffen ihre Wohnung zu beziehen wünschte und sie verzweifelt auf der Suche nach einer neuen Bleibe war. Diese fand sich dann glücklicherweise in praktisch identischer Ausführung samt der geliebten Laube im Nachbarhaus der Familie Berger, wo sie ihr Leben wie vorher weiterführen konnte.

1927 animierte sie eine Reise nach Griechenland wieder zum Töpfern. Die von ihr gezeichneten Formen wurden aber vom Töpfer (Name leider nicht genannt) nicht so gut umgesetzt. Sie nahm 1927 an einer Ausstellung in Genf teil (Der Bund, Band 78, Nummer 395, 14. September 1927).

1928 beteiligte sie sich an der Saffa (Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit, Bern 1928).

Mit Feldstühlchen, Malgerät und Sonnenschirm spazierte sie viel in der Gegend, malte und zeichnete. 1930 hören wir von einem beim Brennen verunglückten Cache-pot. Auch Radierungen wurden wieder gemacht.

Möglicherweise entstanden weitere Öfen mit Vogelmotiven für das Haus der Schwester Anna Joost-Lauterburg, Dorfbergstrasse 3, noch in den 1930er-Jahren, denn Susan Röthlisberger (Enkelin von Anna Joost-Lauterburg und damit Grossnichte von Frieda Lauterburg) erinnert sich daran, dass der Glattbrand der bemalten Kacheln jeweils die ganze Familie in Aufregung versetzte.

Berner Woche 33, 1943, 1350.

Im November 1943 starb Frieda Lauterburg an einem Krebsleiden. Ein kurzer Nachruf in der Berner Woche verweist ausdrücklich auf ihre Keramikmalereien, für die sie bekannt gewesen sei.

Frieda Lauterburgs Werk hat bisher keine systematische Aufarbeitung und kunsthistorische Einordnung  erfahren.

Bibliographie: 

Anner 1916
Franziska Anner, Die kunstgewerbliche Arbeit der Frau in der Schweiz, Chur 1916.

Kiefer 1914
Georges Kiefer, 23: Gruppe: keramische und Glaswaren. Schweizerische Landesausstellung in Bern 1914, Fachberichte Band VI.

Messerli 2017
Christoph Messerli, 100 Jahre Berner Keramik. Von der Tuner Majolika bis zum künstlerischen Werk von Margrit Linck-Daepp (1987-1983). Hochschulschrift (Datenträger CD-ROM), Bern 2017.