Gross, Nora (1871-1929), Colovrex GE, Heimberg BE, Lausanne VD

Bendicht Loder-Walder, Heimberg, nach einer Skizze von Nora Gross-Perret, 1905 (MHL Nr. 14).

Keramik von Nora Gross in CERAMICA CH

Andreas Heege und Roland Blaettler, 2023

Cécile-Éléonore, genannt Nora Gross (1871–1929), absolvierte eine Ausbildung zur Zeichenlehrerin an der Kunstgewerbeschule Basel und anschliessend am Technikum in Winterthur, wo sie 1890 ihr Diplom erwarb. Von den angewandten Künsten angezogen, ergänzte sie ihre Ausbildung in der Klasse für Keramikdekoration von Joseph Mittey an der Kunstgewerbeschule in Genf. Von 1893 bis 1903 unterrichtete sie an der Höheren Mädchenschule in Morges, bevor sie 1903 ihre eigene Schule für Zeichnen und Kunsthandwerk in Lausanne gründete, die 1924 mit der Kantonalen Zeichenschule fusionierte.

Im Bestreben, das ästhetische Niveau des volkstümlichen Handwerks zu heben und sich für die Weiterführung der von der Industrialisierung bedrohten Hauswerks (Heimarbeit) einzusetzen, war sie 1911 Initiatorin der Société d’art domestique und gehörte 1913 zu den Gründern von L’Œuvre, der Westschweizer Sektion des Schweizerischen Werkbunds. Im selben Jahr heiratete sie Paul Perret (1880–1947), Kunstkritiker, Sekretär von L’Œuvre und Politiker (Abgeordneter, Bürgermeister, dann Staatsrat von 1931–1942).

Nora Gross-Perret (Ball-Spiess 1987, fig. 45).

Während ihrer ersten Jahre als Lehrerin widmete sich Nora Gross der Öl- und Aquarellmalerei. Mittels dieser Techniken interpretierte sie Landschaften und vorwiegend florale Themen. Um die Jahrhundertwende, mit der Gründung ihrer Lausanner Schule, konzentrierte sie sich auf den Bereich der angewandten Kunst bzw. des Kunsthandwerks. Sie fertigte Modelle und entwarf moderne Motive für die Textil- und Keramikindustrie. Ihr künstlerischer Beitrag wird vor allem im Bereich der bedruckten Stoffe zu sehen sein. Im Bereich der Keramik trug sie zu einer Belebung der traditionellen Töpferei (engobierte Irdenwaren), insbesondere in der Region Heimberg-Steffisburg, bei.

Ihre erste Zusammenarbeit mit einer Töpferei geht auf die Jahre 1902/03 zurück, als sie ihre ersten gezeichneten Modelle an die Töpferei Veuve Knecht et fils in Colovrex (GE) lieferte. Das Musée Ariana bewahrt elf Stücke aus dem ehemaligen Kunstgewerbemuseum in Genf (Inv. C 0308, C 0309, C 0310, C 0322, C 0326, C 0327, C 0328, C 0329, C 0330, C 0348 und C 0350 – Ball 1988, Kat. Nr. 1, 3, 4, 6, 8, 9, 12, 13, 17, 21 und 22).

Keramik von Nora Gross und der Töpferei Knecht im Musée Ariana in Genf (alle ohne Herstellermarken).

Diese Objekte sind nicht gekennzeichnet, aber das alte Inventar identifiziert sie eindeutig als «rustikale Töpferwaren», die von Fräulein Gross geschaffen und grösstenteils von der Töpferei Knecht zwischen Ende 1903 und Anfang 1904 erworben wurden. Es ist auch bekannt, dass diese Produktlinie nach der griechischen Göttin «Hera», der Beschützerin der Frauen und der Ehe, benannt wurde.

Im Dezember 1903 stellte Nora Gross Keramiken aus dieser Linie in Lausanne, in den Schaufenstern der Schweizerischen Möbelgesellschaft, Place Saint-François, aus (Lausanner Zeitung vom 30. Dezember 1903, 3). Nach Hervorhebung der «sehr einfachen Formen, mit einfarbigem Untergrund, nüchtern verziert mit floralen oder geometrischen Ornamenten, deren Wert gerade in der Einfachheit des Stils liegt […] Der Dekor ist perfekt an das rustikale Material angepasst», weist der Chronist darauf hin, dass das Kunstgewerbemuseum in Genf vier Keramiken erworben habe.

Die Zusammenarbeit mit der Familie Knecht war nur von kurzer Dauer, da sie dort unzufrieden war. Nora Gross wandte sich bald an einen anderen Hersteller in Heimberg, einem der historischen Zentren der traditionellen Berner Töpferei: Bendicht Loder-Walder.

1903/1904 Nach Daniela Ball begann die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Bendicht Loder-Walder und der Keramikdesignerin Nora Gross aus Lausanne bereits 1903 (Ball 1987, 111 – siehe auch Messerli Bolliger 1991, 74, Abb. 45).  In einem Artikel in der NZZ vom 20. November 1906 berichtet der unbekannte Redakteur über eine Reise nach Heimberg im August 1904 und beschreibt seine Suche nach dem Hafner und der Werkstatt, die die moderne Keramik herstellte. Nachdem er zunächst zwei Werkstätten besucht hatte, die einerseits Thuner Majolika mit Edelweissmotiven und andererseits modernere Schlickermalereien fertigten, wie man sie “an einem Stand unter den  Bögen am Limmatquai kaufen kann” (Hafnerei Wächter-Reusser), kam er schliesslich zur Werkstatt Loder-Walder. “Es wurde vor diesem Hause gerade ein prächtiger Erntewagen abgeladen, der alle verfügbaren Hände in Anspruch nahm. Wir wurden deshalb nicht sehr freundlich aufgenommen; erst als der Mann allmählich merkte, dass wir uns für seine Sachen interessierten, wurde er gesprächig und holte allmählich eines um das andere von den hübschen Mustern der Fräulein Gross von den Schäften herunter und erzählte von seinen Bestellungen aus Interlaken und von seinen Sendungen nach Berlin. Wir unterhielten uns so gut, dass wir fast zu spät zur Bahn kamen, schwer beladen mit Heimberger Geschirr. Dies alles ist uns wieder frisch ins Gedächtnis getreten, als wir diese Keramiken [im Dezember 1906] in der Kunsthandlung Weil an der Bahnhofstrasse [in Zürich] ausgestellt sahen. Sie werden hoffentlich einen guten Absatz hier finden, handelt es sich doch um echtes Schweizerfabrikat und gesunde Heimkunst.”

Im Herbst 1904 wurden Nora Gross’ Keramiken an der Schweizerischen Landesausstellung der schönen Künste im Palais de Rumine in Lausanne gezeigt (La Liberté 34, Nr. 223, 29. September 1904 ; Le Confédéré de Fribourg, 57, Nr. 81, 9. Oktober 1904, auch Gazette de Lausanne, Besprechung durch Maurice Wirz ; Ball-Spiess 1987, 152).  Das Kunstgewerbemuseum in Genf kaufte bei dieser Gelegenheit eine glasierte Terrakotta von Nora Gross. Es ist nicht sicher, ob sie bei dieser Ausstellung bereits ihre Heimberg-Keramik präsentiert hat.

Die nächsten Erwähnungen ihrer neuen keramischen Kreationen stammen aus dem Jahr 1905, als sie mit grossem Erfolg in einer ihnen gewidmeten Ausstellung des Kantonalen Kunstgewerbemuseums in Bern präsentiert wurden (Le Nouvelliste vaudois vom 3. Mai 1905, 2 – Gazette de Lausanne vom 13. Mai 1905, 3 und 5). Am Rande sei bemerkt, dass der Bericht in Le Nouvelliste eine erste Erklärung für den Bruch zwischen Gross und der Firma Knecht lieferte: «Fräulein Gross hatte zuerst unter den Töpfern von Ferney [der Ortsfehler erklärt sich dadurch, dass die Töpferei Knecht in Ferney-Voltaire eine zweite Werkstatt betrieb] nach dem Handwerker gesucht, der ihre Kreationen herstellen konnte, aber die Vorurteile, auf die sie stiess, hatten den glücklichen Effekt, dass sie schweizweit nach dem Mitarbeiter suchte, den sie brauchte. Sie fand ihn in Heimberg.»

Bericht über die Ausstellung im Kunstgewerbemuseum in Bern im «Geschäftsblatt für den oberen Teil des Kantons Bern – 52, Nr. 36, vom 6.6.1905.

Keramik von Bendicht Loder-Walder und Nora Gross in der Sammlung des Historischen Museums von Lausanne.

Die überwiegende Mehrheit der von Loder-Walder hergestellten Keramiken trägt eine eingeritzte Marke «BL (oder BLW) – Nora Gross» und eine geritzte Formnummer. Fünf Stücke befinden sich in der Sammlung des Historischen Museums von Lausanne (MHL Nr. 14; MHL Nr. 17; MHL Nr. 18; MHL Nr. 25; MHL Nr. 26). Drei Keramiken befinden sich in der Schule für Gestaltung Bern und Biel.

Im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich finden sich drei Vasen von Nora Gross und Bendicht Loder-Walder (SNM LM-70629, SNM LM-70630, SNM LM-149623). Marken “BL Thoune” und “BLW”.

    

Das Musée Ariana bewahrt 15 Exemplare dieser Kategorie, die 1905 und 1906 vom ehemaligen Kunstgewerbemuseum in Genf erworben wurden (siehe Ball 1988 Kat. Nr. 2, 5, 7, 8, 10, 11, 14-16, 18-20, 23-26).

Fünf zusätzliche Beispiele finden sich auch in der Sammlung des Gymnasiums Lerbermatt in Köniz (Kön-Lerb_01 bis Kön-Lerb_05). Leider haben wir keine Ahnung, wann diese Stücke in die Sammlungen der vorherigen Institution, des Staatlichen Seminars Bern – Lerbermatt, gelangt sind. Wir stellen fest, dass sich die Signaturen von denen der vorherigen Gruppe unterscheiden, den Grund dafür können wir nicht angeben.

Sammlung des Gymnasiums Lerbermatt in Köniz, Marke “BL Thoune”.

Mit Bendicht Loder entwickelte Gross eine deutlich feiner ausgearbeitete Produktlinie, vor allem in Bezug auf die Farbe. Die engobierten Dekore sind nicht mehr wie bei Knecht mit einer einfachen farblosen Glasur überzogen, sondern mit farbigen Glasuren, die einen schönen Farbreichtum aufweisen und zudem im Laufdekor hervorgehoben sind.

Die von Loder-Walder hergestellten Keramiken tragen eine eingravierte Marke «BL (oder BLW) – Nora Gross» und eine eingeprägte oder eingeritzte Formnummer. Private Sammlungen Schweiz.

Keramik von Nora Gross und Bendicht Loder-Walder befindet sich auch in einigen schweizerischen Privatsammlungen (Messerli 2009, Abb. 74-77).

Das Kunstgewerbemuseum in Zürich bewahrt eine weitere Vase aus dieser Zeit (ZHdK-KGS-08457). Das Historische Museum in Lausanne und die Schule für Gestaltung Bern und Biel besitzen je ein ungewöhnliches Milchkännchen mit Johannisbeerdekor (MHL AA.VL 2004 C6006 und SfGB 453).

Im Herbst 1905 wurde eine grosse Verkaufsausstellung sowohl im Grand Bazar in Neuenburg als auch im «Maison d’Art» in Genf organisiert (La Suisse Libérale 42, Nr. 267, 14. November 1905 und 42, Nr. 296, 17. Dezember 1905) und sehr positiv von Philippe Godet und von Georges Hantz, dem Direktor des Kunstgewerbemuseums in Genf besprochen, der auch einige Stücke für sein Museum erwarb.

Im Juni 1906 fand im La Grenette in Lausanne die «2. Ausstellung der Malerinnen der französischen Schweiz» statt. Auch Nora Gross nahm mit ihren «hübschen Vasen» teil (La Suisse Libérale 43, Nr. 132, 10. Juni 1906). Im Juli 1906 werden ihre Keramiken in Fribourg im Schaufenster von Georges Clément in der Grand’Rue ausgestellt. Sie werden bewundert und detailliert beschrieben (La Liberté, 36, Nr. 156, 11. Juli 1906). Ihre Produkte wurden auch in Basel gelobt und verkauft (Illustrierte Schweizerische Handwerker-Zeitung Nr. 38, 20.12.1906, 613).

Im November 1906 wurde ein Teil  ihrer Produktion auch in der Kunsthandlung Weil an der Bahnhofstrasse in Zürich ausgestellt und von der NZZ (Neue Zürcher Zeitung, Archiv) vom 20. November 1906 sehr wohlwollend aufgenommen. Dieser Artikel enthält auch einen Bericht, vom Sommer 1904, über eine Reise nach Heimberg ins Atelier Loder-Walder.

Postkarte 1908, «Fabrique de poterie P. Pasquier-Castella».

Im Jahr 1907 veröffentlichte der Indicateur vaudois unter der Rubrik der in Renens ansässigen Töpferfabriken eine Werbeanzeige mit dem Titel «Fabrique de poterie P. Pasquier-Castella – Gebrauchskeramik, Blumenvasen, Schornsteinröhren und -aufsätze, Drainage- und Abwasserrohre – Kunstkeramiken von Fräulein Nora Gross» (S. 389). Pasquier – der neue Mieter der Keramikfabrik von Renens S. A. – begnügte sich also nicht mit den traditionellen Produkten des Unternehmens, sondern versuchte, auch eine echte künstlerische Linie einzuführen, entworfen von einer unabhängigen Künstlerin. Das obige Inserat ist jedoch fast die einzige Erwähnung, die wir über diese Zusammenarbeit gefunden haben.

Ansonsten gibt es noch einen Aufsatz zur Keramik von Nora Gross aus der Feder von Edmond Gilliard, der ebenfalls aus dieser Zeit stammen dürfte. Die kleine Werbeschrift trägt auf der Rückseite erneut einen Hinweis auf Pasquier-Castella, der sich als alleiniger Kommissionär für die Keramiken von Nora Gross anpreist. Fast derselbe Text erschien auch noch einmal im Jahr 1913 in “Blätter für den Zeichen- und gewerblichen Berufsunterricht – Revue suisse de l’enseignement professionell 38, Heft 8, 60-63“.

Die Zusammenarbeit war wahrscheinlich nur von kurzer Dauer, zudem haben keine Objekte identifiziert werden können, die davon zeugen würden (siehe auch den Artikel «Les poteries de Renens und Chavannes-près-Renens»).

Keramiken von Bendicht Loder-Walder und Nora Gross in der Weihnachtsausstellung des Kunstgewerbemuseums Bern 1907 (Jahresbericht 1907 des Kantonalen Kunstgewerbemuseums Bern).

Der Tod von Bendicht Loder-Walder im November 1909 bedeutet nicht das Ende der Produktion der von Nora Gross entworfenen Formen und Dekore, da die Werkstatt weiterhin bestand und wohl auch dieselben Keramikmalerinnen tätig waren. Ein Hinweis in diese Richtung dürfte eine 1911 durchgeführte Ausstellung der Société des peintres et sculpteurs suisses, der Gesellschaft Schweizerischer Maler und Bildhauer, im Kunsthaus in Zürich sein. Die ausgestellten Keramiken von Nora Gross wurden von Albert Baur, Chefredakteur der Zeitschrift Wissen und Leben  (Schweizer Monatsschrift für allgemeine Kultur, Bd. 8, 1911, 160), als «interessante keramische Arbeiten» hervorgehoben. Auch die NZZ berichtete mit Hinweis auf die Fertigung durch Loder-Walder über diese Ausstellung (9.4.1911, 20.4.1911, 29.4.1911). Die Annahme der kontinuierlichen Produktion wird auch durch Bemerkungen von Paul Wyss (1914, 150) unterstützt. An der Berner Landesausstellung 1914 wurden in der 23. Gruppe: Keramische und Glaswaren einige Exponate von Loder-Walder nach Entwürfen von Nora Gross gezeigt. Ein Vermerk im Ausstellerverzeichnis belegt, dass die keramischen Entwürfe von Nora Gross jeweils von Ausmacherinnen der Werkstatt Loder-Walder umgesetzt wurden. Interessant erscheint dabei, dass Loder-Walders neue Kollektion gleichwohl noch als Majoliken bezeichnet wurde: „Gebrüder Loder, Töpferei, Heimberg. Fabrikation von Majolika unter künstlerischer Mitarbeit von Frau Nora Gross, Lausanne. Anfertigung nach Entwürfen in prompter Ausführung.“ (zitiert nach Messerli 2009, 70). Der Fachbericht zur Landesausstellung (Band VI zu Gruppe 23, S. 73) kritisiert in diesem Zusammenhang: “Gebrüder Loder, Heimberg, brachten Töpfereien nach Entwurf von Frau Nora Gross, Lausanne. Es begegnete uns wenig Neues, das Meiste war uns bekannt von früheren, von der Künstlerin veranstalteten kleineren kunstgewerblichen Ausstellungen”.

Im April 1911 veranstaltete das Industriemuseum Freiburg eine Verkaufsausstellung von Nora Gross und den «Töpfern von Langnau», wobei Letztere namentlich nicht genannt wurden. Die Ausstellung wurde von Hélène de Diesbach in der Zeitung La Liberté  vom 11. April 1911 ausführlich kommentiert. Während der Ausstellung verkaufte Georges Clément die Keramiken von Nora Gross in seinem Geschäft in der Grand-Rue 10 in Freiburg. In seinen Anzeigen hob er die grosse Auswahl an Vasen hervor (La Liberté 12.4.191114.4.1911). Die Ausstellung dauerte bis Oktober desselben Jahres (La Liberté , 31. August 1911).

Nora Gross beteiligte sich 1911 auch an der Ausstellung «L’art domestique» im Museum Rath in Genf (Ball-Spiess 1987, 152; Michelle Biéler, Wissen und Leben, Bd. 9, 1911, 422-423). Am 31. Oktober 1911 war sie Mitgründerin der Société d’art domestique (Feuille officielle suisse du commerc FOSC, Schweizerisches Handelsamtsblatt SHAB 29, Nr. 299, 2012).

Wissen und Leben, Bd. 11, 1912-1913, 374

1912 besprach Nora Gross die Arbeiten von Elisabeth Eberhardt, die im Kunstgewerbemuseum Aarau ausgestellt waren, sehr positiv.

Im Dezember 1912 stellte Nora Gross ihre Keramiken in der Lausanner Buchhandlung Le Petit-Chêne aus: zwischen zwei- und dreihundert Stück, «keines gleicht dem anderen […] Die geniale Töpferin hat einen unerschöpflichen Vorrat an Formen und Dekoren. Töpfe, abwechselnd im japanischen, ägyptischen, persischen, etruskischen, innerschweizerischen Stil, ohne dabei ihr kleines besonderes Zeichen zu verlieren, die Marke N. G. Es ist ein Garten der Vielfalt, und auch der Farbe. Verschiedene Rottöne wie Terra di Siena gebrannt, Indischrot, Erdbeerrot, Kirschrot, Ziegelrot und Zinnoberrot; Grüntöne wie Hellgrün, Apfelgrün, Pistaziengrün, Moosgrün, Olivgrün, Smaragdgrün […]» (Gazette de Lausanne vom 31. Dezember 1912, 5; Ball-Spiess 1987, 152). Liest man diese enthusiastische Beschreibung, wird einem klar, dass Gross’ keramische Palette alles andere als begrenzt war.

Keramik, entworfen von Nora Gross und hergestellt in Heimberg (Anner 1916, Tafel 39). Wer arbeitete nach dem Tod von Bendicht Loder-Walder 1909 in Heimberg für Nora Gross? Wurden alle diese Keramiken damals von Christian Frank-Jenni (siehe unten) ausgeführt?

Im Buch «Die kunstgewerbliche Arbeit der Frau in der Schweiz – L’artisanat d’art des femmes en Suisse» (Anner 1916) figurierten Nora Gross, zusammen mit Elisabeth Eberhardt (aus Lenzburg, Kanton Aargau), Anna Müller (aus Grosshöchstetten, Kanton Bern), Frieda Lauterburg (aus Langnau im Emmental, Kanton Bern) und Elisabeth Gött-Strasser (aus München, Deutschland) unter den herausragenden Keramikerinnen.

In den Jahren 1916-1918 experimentierte Nora Gross mit einem anderen Typ Keramik, dem industriell produzierten Steingut, indem sie gezeichnete Formen und Dekore an die Manufacture de poteries fines de Nyon lieferte, die bis 1917 von Jules Michaud und danach von seinem Sohn Louis geleitet wurde (Pelichet 1985/2, 36). Diese neue Produktvielfalt wurde 1916 im Rahmen der von L’Œuvre organisierten Wanderausstellung zum Thema «Arts du feu» präsentiert, wo man ein schwarz-weisses Service, Teedosen, Schalen und Bonbondosen von Nora Gross bewundern konnte (Gazette de Lausanne vom 27. Mai 1916, 3 – Les arts du feu 1916, Kat.-Nr. 141–145).

Fotos von der Ausstellung in den Galeries Léopold-Robert, Neuenburg:

Foto – céramiques de Nora Gross, Foto, Foto, Foto, Foto

In einem Bericht über die ebenfalls von L’Œuvre organisierte Exposition d’intérieurs ouvriers in Lausanne im Jahr 1918 erwähnt der Chronist – kein Geringerer als Paul Perret, Nora Gross’ zukünftiger Ehemann – «ein Tafelservice und ein Kaffeeservice, schwarz-weiss dekoriert, komponiert von Frau Nora Gross und ausgeführt von der Töpferei Michaud in Nyon, ein schönes Beispiel dafür, was die wohlverstandene Zusammenarbeit von Kunst und Industrie ergeben kann» (Tribune de Lausanne, 3. Dezember 1918, 2).

Keramiken von Nora Gross aus der Manufacture de poteries fines de Nyon, unter der Leitung von Jules Michaud.

Die bisher einzigen Beispiele dieses Typs in einer öffentlichen Sammlung befinden sich im Historischen Museum von Lausanne: drei Bonbonnièren (MHL Nr. 13; MHL Nr. 11), zwei Dosen (MHL Nr. 15; MHL Nr. 16), eine kleine Vase (MHL Nr. 27) und eine zylindrische Dose von 1916 (MHL Nr. 24). Alle diese Stücke tragen eine aufgemalte Marke «N. G.».

Im Jahr 1916 wurde Nora Gross zu einer kurzen Zusammenarbeit mit der Schweizer Keramikschule von Chavannes-près-Renens berufen: eine Nachricht in der Feuille d’avis de Lausanne vom 10. Juni 1916, S. 23, erwähnt ihre Ernennung durch den Staatsrat als Zeichenlehrerin.

Das Historische Museum von Lausanne ist auch die einzige öffentliche Institution, die Beispiele einer anderen Zusammenarbeit der Lausanner Künstlerin bewahrt: fünf Stücke engobierte Irdenware, die eine eingeritzte Marke «Nora Gross – C. F.J.» zusammen mit einer eingeritzten Modellnummer zeigen (MHL Nr. 19; MHL Nr. 20; MHL Nr. 21; MHL Nr. 22; MHL Nr. 23). Daniela Ball identifizierte diese Werkstatt als die Töpferei von Christian Frank-Jenni in Steffisburg. Christian Frank (1865-1950), Nachkomme einer seit dem frühen 19. Jahrhundert in Steffisburg ansässigen Töpferfamilie, betrieb mit seiner Frau Bertha, geb. Jenni (1864-1946), eine Töpferei an der Unteren Bernstrasse (Buchs 1988, 98).

Bislang ist diese Zusammenarbeit nur durch die wenigen Exemplare aus dem MHL belegt. Ball datiert den Beginn dieser Produktion um 1918 (Ball 1987, 114). Die alten MHL-Inventare erwähnen ein Stück – das wir nicht gefunden haben – mit der Inventarnummer 885 und einer Marke «C. F. J.», erworben vom Kunstgewerbemuseum im Jahr 1919.

Nach 1918/1920 scheint sich Nora Gross wieder verstärkt anderen dekorativen Kunsttechniken zugewendet zu haben, wie dem Aquarell oder dem Textildruck (Liste der Ausstellungen 1919-1924 Ball-Spiess 1987, 152-153), doch ist ihre Teilnahme 1921 an der Keramikausstellung in der Kunstgalerie Wolfsberg an der Bederstrasse in Zürich (Das Werk – L’Œuvre 8, 1921, Bd. 4, XVIII) bezeugt.

Im Jahr 1922 nahm sie mit 46 Objekten an der von L’Œuvre organisierten 1. Nationalen Ausstellung für angewandte Kunst in Lausanne teil, einem Grossereignis, bei dem sie eine der Hauptprotagonistinnen war (Kat. Nr. 138-169). Daniela Ball glaubt, dass diese Keramiken in den Werkstätten der Schweizer Keramikschule in Chavannes-près-Renens, Kanton Waadt, hergestellt wurden, dank der Kontakte, die mit den Verantwortlichen der Einrichtung bestanden (Ball 1988, 125). Das Musée Ariana bewahrt eine Bonbonnière, die anlässlich der Ausstellung 1922 erworben wurde (Inv. C 0797 – Ball 1988, Kat. Nr. 28), und eine im gleichen Zusammenhang bestellte, aber erst im folgenden Jahr gelieferte Deckelvase (Inv. C 0800 – Ball 1988, Kat. Nr. 29). Diese beiden Exemplare tragen eine eingeritzte Marke «nora Gross», begleitet von einer Modellnummer.

Das Musée historique in Lausanne besitzt eine weitere Bonbonnière (MHL No 12), die in diesem Kontext relevant ist und ebenfalls 1922 entstanden sein dürfte. Sie weisst dieselbe Marke auf, wie die Bonbonnière aus dem Musée Ariana.

1923 folgte eine weitere kleine Ausstellung von L’Œuvre und dem Werkbund mit Keramiken von Nora Gross in Lausanne (Das Werk– L’Œuvre 10, Nummer 11, XVI). Ebenfalls 1923 war sie mit Keramiken an der Ausstellung der Schweizerischen Gesellschaft der Malerinnen und Bildhauerinnen in Genf vertreten (Le mouvement féministe : Organe officiel des publications de l’Alliance nationale des sociétés féminines suisses 11, 1923, 39).

Übersetzung Stephanie Tremp

Bibliographie: 

Anner 1916
Franziska Anner, Die kunstgewerbliche Arbeit der Frau in der Schweiz, Chur 1916.

Ball-Spiess 1987
Daniela Ball, “Wie ist das Kunstgewerbe in der Schweiz zu heben und zu pflegen?” Der Beitrag von Nora Gross (1871–1929) zur ästhetischen Erziehung. Dissertation,  Phil.-Hist.-Fakultät Universität Basel. Dissertationsdruck Bern 1987.

Ball 1988
Daniela Ball, Nora Gross (1871-1929). Genava 36, 117-135.

Barten 1998
Sigrid Barten, Nora Gross, in: Cerâmica da Suìça do Renascimento aos nossos dias. Ceramics from Switzerland from Renaissance until the Present. Museu Nacional do Azulejo, Lissabon 1998, 141-146.

Buchs 1988
Hermann Buchs, Vom Heimberger Geschirr zur Thuner Majolika. Thun 1988.

Edmond Gilliard, Les nouvelles poteries de Nora Gross, Revue suisse de l’enseignement professionel 15.4.1913, S. 61

Les arts du feu 1916
Exposition des arts du feu. Verrerie, céramique, émaux, vitraux, mosaïque. Cat. d’exposition, Genève/La Chaux-de-Fonds/Neuchâtel/Zurich/Lausanne 1916.

Messerli Bolliger 1991
Barbara E. Messerli Bolliger, Der dekorative Entwurf in der Schweizer Keramik im 19. Jahrhundert. Zwei Beispiele: Das Töpfereigebiet Heimberg-Steffisburg-Thun und die Tonwarenfabrik Ziegler in Schaffhausen. Keramik-Freunde der Schweiz, Mitteilungsblatt 106, 1991, 7-100.

Pelichet 1985/2
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. Nyon 1985.