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Appareil de Lhote – Gerät für die Herstellung künstlichen Mineralwassers

Roland Blaettler, Andreas Heege, 2021

Es handelt sich um ein in Paris hergestelltes Porzellangefäss, das in zwei Innenbehälter unterteilt ist, die durch eine vertikale Zwischenwand voneinander getrennt sind. Oben hat es zwei runde Öffnungen, die mit konischen Keramikstöpseln versehen sind und jeweils mit einem der beiden wasserdichten Innenbehälter in Verbindung stehen. Die Karaffe hat einen runden Standboden, hohe, leicht gebogene Ränder, eine flache Oberseite mit zwei Öffnungen in Form von zwei geraden, runden Hälsen, einen grossen, wandständigen Henkel und einen Ausguss mit doppelter Öffnung.

Die Selterswassergeräte «Lhote oder Hérault» wurden in Paris um 1870 (Nortier/Delannoy 2011) oder um 1845/1855 (Nortier 2018, 78) von zwei verschiedenen Firmen erfunden: Lhote produzierte die glatten und Hérault die mit einem Blattrelief verzierten Porzellankaraffen.

Kommentar von Andreas Heege: Unter den beiden genannten Daten fand sich in der «Beschreibung der Maschinen und Prozesse, für die durch das Patentgesetz vom 5. Juli 1844 Erfindungspatente erteilt wurden, für die Jahre 1845 bis 1871, Paris 1851–1875» nichts. («Description des Machines et procédés pour lesquels des Brevets d’invention ont été pris sous le régime de la loi du 5 Juillet 1844, années 1845 à 1871, Paris 1851-1875»). Es gibt jedoch im Band 69, 1870, 442 des oben erwähnten Gesetzestextes ein Patent für die Laufzeit von 15 Jahren zugunsten von «Caulliez et d’Herbes, Paris, datiert vom 18.12.1858, Nr. 21947», in der die Form des Behälters und die chemische Abfolge der Bildung des künstlichen Mineralwassers beschrieben werden, nicht aber das Material, aus dem der Behälter hergestellt wird.

Der Name «Seltz» stammt von der Stadt Niederselters im Kurfürstentum Trier und dem Herzogtum Nassau in Deutschland, die für ihr Mineralquellwasser «SELTERS» bekannt war (heute Gemeinde Selters im Taunus, Landkreis Limburg-Weilburg in Hessen). Es ist ein alkalisch-muriatisches Mineralwasser, das aufgrund seines Natrongehalts basisch und reich an Salz ist. Seit dem 16. Jahrhundert war das Wasser für seine therapeutischen, verdauungsfördernden und harntreibenden Eigenschaften bekannt und seit dem Mittelalter lieferte die Quelle den Einheimischen ihr Trinkwasser. Zunächst wurde dieses Selterswasser vom Kurfürsten von Trier, dem die Quelle seit 1681 gehörte, in Flaschen abgefüllt und in alle Teile der Welt verschickt, wobei mehr als eine Million Flaschen vertrieben wurden (Schneider 2000; Eisenbach 2004, 51–67).

Als man feststellte, dass das Selterswasser seine hygienischen und angenehmen Eigenschaften (leicht säuerlich) der Kohlensäure verdankte, wurde dieses Prinzip mithilfe des Siphons weiterentwickelt. Dies reichte jedoch bei weitem nicht aus, um den Bedürfnissen von Kranken gerecht zu werden! Ausserdem verlor das Wasser einen Teil seiner gasförmigen Anteile, wenn es der Luft ausgesetzt wurde, und auch während des Transports wurde die Qualität beeinträchtigt. Wegen des hohen Preises war dieses Gesundheitswasser nur für die privilegierten Schichten erschwinglich. Im Jahr 1833 war der Konsum eines so stark medikamentösen Wassers, das für 1 Franc bis 1,50 Franc pro Flasche verkauft wurde, zwangsläufig sehr eingeschränkt. Während der gesamten Restauration blieb es ein Luxusgetränk, das nur reichen Rekonvaleszenten bekannt war. Die Wissenschaft und die Industrie entzogen der Natur das Geheimnis seiner Herstellung und machten es zum beliebtesten und gesündesten Getränk. Nach langem Experimentieren gelang es, die Zusammensetzung der kohlensäurehaltigen Getränke für den täglichen Gebrauch zu vereinfachen: Um sie künstlich herzustellen, vermischte man diese Salze einfach mit gewöhnlichem Wasser (Zur Entstehung der künstlichen Mineralwässer und ihrer industriellen Entwicklung siehe Hermann-Lachapelle / Glover 1867, 81–101).

Diese für den Hausgebrauch konzipierten, einfach gestalteten Karaffen benötigten weder eine Rücksendung an die Fabrik noch Gas, um Wasser mit Kohlensäure zu erzeugen. Die Funktionsweise des Geräts beruhte nämlich auf einer chemischen Reaktion: Ein leicht kohlensäurehaltiges Wasser entsteht, wenn eine wässrige Lösung mit Weinsäure (oder eventuell Zitronensäure) und eine wässrige Natronlösung vermischt werden. Dieses künstlich erzeugte, kohlensäurehaltige Wasser, das einen leicht salzigen und medizinischen Geschmack hatte, sollte sofort getrunken werden. Eine rudimentäre, aber effektive Technik. Die Geräte ähnelten Porzellankaraffen mit der Besonderheit, dass sie eine innere Trennwand hatten, die es ermöglichte, an ihrem Ausguss zwei verschiedene Flüssigkeiten miteinander zu verbinden. Die Spitze des Ausgusses, der einer Schweinenase ähnelte, hatte zwei Öffnungen, die jeweils mit einer der inneren Kammern verbunden waren. Die Mischung fand also nicht in der Karaffe statt, sondern beim Ausgiessen der beiden Flüssigkeiten. Erst im Glas vermischten sich die beiden wässrigen Lösungen zu einem vorübergehend kohlensäurehaltigen Wasser.

Die wohltuende Wirkung des Selterswassers: Dieses Wasser wurde hauptsächlich für medizinische Zwecke verwendet und von Ärzten und Apothekern verschrieben, die seit 1878, unterstützt durch die Kommission der Ärzte und Chemiker, einstimmig die Nützlichkeit seiner Verwendung und seine einfache Anwendung anerkannt hatten. Die Mischungen für wässrige Lösungen wurden sowohl von den Herstellern als auch von den Apothekern verkauft. Einige Ärzte empfahlen die Zugabe von anderen Salzen oder Medikamenten. Die wichtigste medizinische Verwendung war die Mundhygiene (Mundspülungen) oder die Behandlung von Halskrankheiten (Gurgelwasser). Lhotes Geräte wurden auch verwendet, um Wein mit Kohlensäure zu versetzen (anstelle von Wasser).

Dieses Gerät wurde möglicherweise von der Keramikfabrik in Sarreguemines für verschiedene Getränke, kohlensäurehaltige Mineralwässer und andere Bittergetränke hergestellt. Man fand diese Geräte bis in die 1930er-Jahre auch im Versandhandel über die Manufaktur in Saint-Etienne. Die Karaffen waren immer aus weissem Porzellan. Es gab auch Modelle aus der Zeit, die verziert, vergoldet und manchmal mit Mustern bemalt waren. Sie wurden produziert, um bestehende Tafelservices zu ergänzen. Zudem existierten Varianten und andere Marken, einige davon aus Steingut.

Ab den 1900er-Jahren wurden diese Porzellangeräte durch Sodawasser-Siphons aus Glas ersetzt, die von Herstellern verschiedener kohlensäurehaltiger Getränke und Limonaden weit vertrieben wurden.

Dieser Text basiert grösstenteils auf den Veröffentlichungen von Hermann-Lachapelle / Glover 1867 und Nortier / Delannoy 2011; Nortier 2018.

Übersetzung Stephanie Tremp

Bibliographie :

Eisenbach 2004
Ulrich Eisenbach, Mineralwasser: vom Ursprung rein bis heute. Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der deutschen Mineralbrunnen. 100 Jahre VDM, Bonn 2004.

Hermann-Lachapelle/Glover 1867
Jules Hermann-Lachapelle/Ch. Glover, Des boissons gazeuses aux points de vue alimentaire, hygiénique et industriel. Guide pratique du fabricant & du consommateur, Paris 1867.

Nortier/Delannoy 2011
Frédéric Nortier/Jean Claude Delannoy, Collection privée : Les appareils à eau de Seltz, carafe en porcelaine, in : Antiquités pratiques, 2011, cahier 6.

Nortier 2018
Frédéric Nortier, La fabuleuse épopée des siphons à eau de Seltz, Paris 2018.

Schneider 2000
Konrad Schneider, Der Mineralwasserversand und seine Gefässproduktion im Rheinisch-Hessischen Raum vom 17. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Historische Hilfswissenschaften 5), Koblenz 2000.

Barttasse

Barttassen in CERAMICA CH

Die Barttasse ist meist eine Porzellantasse, die im späten 19. Jahrhundert speziell für Männer mit Schnurrbart entworfen und gefertigt wurde. Barttassen können auch aus Steingut oder Silber bestehen. Von einer herkömmlichen Tasse unterscheidet sie sich durch einen kleinen Einsatz, Schnurrbartschutz genannt. Dieser besitzt eine halbkreisförmige Öffnung zwischen Schutz und Tassenwandung. Durch diese Öffnung wird der heisse Kaffee, der Tee oder die Schokolade getrunken. Den Schnurbart schützt der Einsatz vor Feuchtigkeit und Beschmutzung. Ausserdem wird verhindert, dass schmelzendes Bartwachs oder Pomade in das Getränk gelangt.

Die Erfindung der Barttasse im Jahr 1860 geht angeblich auf einen 25 Jahre alten methodistischen Töpfer namens Harvey Adams (geb. 1835) aus Longton, Staffordshire, Großbritannien zurück (Peterkin 2001, 155–157), der zwischen etwa 1860 und 1895 in den Sutherland Road works produzieren liess und von 1869-1885 als Harvey Adams & Co in Partnerschaft mit Shelley und Titus Hammersley firmierte (www.thepotteries.org/allpotters/5.htm). Für die Zuschreibung der Erfindung an ihn fehlt es in der verfügbaren Literatur bislang an eindeutigen Quellennachweisen. Es lassen sich jedoch ab den späten 1860er- und frühen 1870er-Jahren in den USA verschiedene Patentanmeldungen für mobile «Moustache guards», «Moustache shields», «Moustache protector» oder «Drinking cup attachment» für Tassen, Gläser oder Bierhumpen nachweisen (No. 84242, 17. Nov. 1868; No. 144614, 18. Nov. 1873; No. 183673, 24. Oct. 1876; No. 204125, 28 May 1878; No. 213455, 18. März 1879; No. 214063, 8. April 1879; No. 220155, 30. Sept. 1879), sodass das Einführungsdatum wohl in etwa stimmen dürfte.

Die «bahnbrechende» Innovation sprach sich angeblich schnell herum und so stellten bald zahlreiche Keramikfirmen in England und Amerika, aber auch auf dem Kontinent Barttassen her, bis sich die Mode der grossen Schnurrbärte im 1. Weltkrieg allmählich verlor, da sie das Anlegen der Gasmasken behinderten.

Sprüche auf Barttassen, gesammelt von Thomas Schröder,  Hamburg (herzlichen Dank für die Übermittlung):

Beim Trinken soll die Tasse nützen,
Den flotten Schnurrbart Dir zu schützen

Dem deutschen Mann mit starkem Bart,
ziemt eine Tasse dieser Art.

Deinen schönen Bart zu schützen,
soll dir diese Tasse nützen.

Mag (Möge) diese Tasse eig(e)ner Art,
noch lange schützen deinen Bart.

Des Mannes Zierde ist der Bart ,
D´rum (Drum) schone (schütze) ihn auf jede (diese) Art

Was der Mensch braucht
Das muß er haben

Zu schonen Deinen schönen Bart
Nimm diese Tasse eig(e)ner Art.

Ein starker Bart (ist ein Verdruss) schafft oft Verdruß
mehr noch beim Trinken als beim Kuss

Wer mich erfunden, ei so wißt,
ein Mägdlein, das gern reinlich küßt.

Diese Tasse mög´ Dir nützen
Deinen schönen Bart zu schützen
Bis dein Sohn, der Jüngste dann
Den seinen damit schützen kann.

Deinen schönen Bart zu schützen
Soll Dir diese Tasse nützen
Bis dein Sohn, der jüngste dann
Den seinen damit schützen kann.

Es ziert der Bart gar sehr den Mann
Darum schont man ihn so gut man kann.

Dem Bart des Mannes schönste Zier
Zum Schutz nimm diese Tasse hier.

Dem deutschen Mann mit starken Bart
Dient diese Tasse eigner Art
Damit zu Hausfrau’s Wohlgefallen
Nicht Tropfen auf das Vorhemd fallen.
(Nicht Tropfen auf’s Vorhemd fallen)

(Auf einer Riesen- Barttasse)
Die Tasse war dir stets zu klein
Wird diese wohl genügend sein
Weil deine Tasse stets Dir war zu klein
kannst du mit dieser wohl zufrieden sein

Mag auch die Tasse seltsam sein
Sie hält den Bart doch nett und rein.

Schöne Bärte sind jetzt rar
Drum nimm diese Tasse wahr.

Der Schnurrbart ist
Der Stolz des Mannes,
Drum schone ihn
Du siehst man kann es.

 

Frz.: Tasse à moustache, tasse-moustache

Engl.: Moustache Cup, mustache cup

Bibliographie:

Peterkin 2001
Allan Peterkin, One Thousand Beards. A cultural history of facial hair, Vancouver 2001.

 

 

Butterfass

Abb. 1 Butterfass aus der Werkstatt von Johannes Herrmann (1774–1827) aus Langnau mit Darstellung einer Bäuerin in Bernischer Landtracht, die ein Stossbutterfass bedient, datiert 1801. Gesamthöhe 48 cm (Musée d’art et d’histoire, Neuchâtel Inv. AA-3315, Fotos: Andreas Heege).

Butterfässer in der Bilddatenbank CERAMICA  CH

Andreas Heege, 2023

In den Zeiten vor dem preiswerten Raps- oder Sonnenblumenöl, bildeten tierische Fette einen wichtigen Teil der menschlichen Ernährung. Sie waren die Grundlage für jede denkbare Art des Bratens oder Ausbackens in Fett. Neben dem Schweineschmalz und dem eher minderwertigen Rindertalg kam dabei der Butter bzw. dem Butterschmalz in Regionen mit Vieh- und Milchwirtschaft sicher die grösste Bedeutung zu (Abb. 1).

Abb. 2 Hölzernes Stossbutterfass und weitere Gerätschaften des Haushalts. Illustration zu einem didaktischen Gedicht über den Hausrat von Mathias Hupfüff, das um 1511 in Strassburg gedruckt wurde (Charles 1997, wie Anm. 4, Fig. 18).

Butterschmalz wurde durch Verflüssigen der Butter und die Entfernung der noch enthaltenen Buttermilch erzeugt. Ungesalzen oder leicht eingesalzen war Butterschmalz deutlich länger haltbar als Butter, wurde nicht ranzig und konnte auch über grössere Distanzen gehandelt werden.[1] Die Belege dafür reichen bis mindestens in germanische Zeit zurück.[2] Die älteste bildliche Überlieferung eines Stossbutterfasses und damit dieser Art des Butterns findet sich im Utrechter Psalter aus der Zeit um 820.[3] Weitere Bildquellen mehren sich erst ab der Zeit um 1500 (Abb. 2).[4]

Abb. 3 Hölzernes Stoss- und Drehbutterfass in der Sammlung des Regionalmuseums Langnau, Kanton Bern (Foto: Andreas Heege).

Zur Herstellung der Butter dienten auf der Alp oder auf den Bauernhöfen der Schweiz meist aus Nadelholz geböttcherte Stossbutterfässer mit hölzernen Stösseln, die museal zahlreich überliefert sind. Die Herstellung von Butter konnte auch in hölzernen Dreh- bzw. Rollbutterfässern erfolgen, was bei grösseren Mengen zu verbutternden Rahms möglicherweise effizienter war (Abb. 3).[5]

Abb. 4 Zentrales Motiv mit butternder Magd auf einem 1794 datierten Teller aus der Langnauer Werkstatt des Daniel Herrmann (1736–1798). Umschrift: Unsere Magt hat ein Süses maul Wan sei Zucker Läcket u: die nidlen schaumt, schlaft der Knächt bei ihren woll, so ist sei allen freüden voll. (Regionalmuseum Langnau Inv. A028, Foto: Andreas Heege).

Abb. 5 Butternder Senn mit Drehbutterfass, Darstellung im Inneren eines „Nidlenapfes“ (Rahmnapf). Umschrift auf der Aussenseite: Samuel Baumgartner // Für Käs Nidlen und anken, sol man Gott dem Herren danken // 1800. (Regionalmuseum Langnau Inv. A091, Foto: Andreas Heege).

Die Bedeutung der Butterherstellung in der Deutschschweiz wird auch anhand der sog. Langnauer Keramik deutlich, wenn wir die Vielzahl der dort vorhandenen Darstellungen berücksichtigen (Abb. 4 und 5, vgl. Abb. 1).[6] Auf der Alp wurde die anfallende Butter im Käsekeller täglich nach dem Kneten mit einer hölzernen Kelle gleichmässig auf den schon bestehenden Butterstock oder “Zollen” verstrichen und mit Salzwasser befeuchtet. Diese Art der Konservierung trägt dazu bei, dass die Butter in den drei Monaten Alpsaison nicht ranzig wird. Am Ende der Alpsaison wurden dieser „Butterzollen“ durch den Senn mit einem dünnen Kupferdraht in kleinere Stücke zerschnitten und den Alpgenossen je nach Milchertrag ihrer Kühe zugeteilt.[7]

Ohne auf Vollständigkeit Wert zu legen, sei an dieser Stelle daran erinnert, dass nicht nur in hölzernen Stossbutterfässern gebuttert werden kann. Die Völkerkunde der Welt kennt zahlreiche weitere Methoden, u. a. gestossen in Kalebassen, geschüttelt in Lederschläuchen bzw. keramischen Kopien von Lederschläuchen oder gequirlt, wie in Indien. Das Butterquirlen in Gläsern setzte sich für die häusliche Butterbereitung kleinerer Mengen auch in Mitteleuropa im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert durch.[8]

Abb. 6 Stossbutterfass mit erhaltenem Originalstössel aus Holz aus der Töpferei Ruppert in Marjoss in Hessen. Gesamthöhe ohne Stössel 31,8 cm (Museum der Kulturen Basel Inv. VI-38228, Fotos: Andreas Heege).

Stossbutterfässer können in Mitteleuropa statt aus Holz auch aus glasierter Irdenware (Abb. 6), Fayence[9] oder Steinzeug (vgl. Abb. 16) bestehen. Sie gehören zu den keramischen Sonderformen. Dabei ist unklar, welche funktionalen Vor- oder Nachteile die keramischen Fässer im Vergleich mit ihren geböttcherten Gegenstücken hatten. Möglicherweise waren sie vor allem repräsentative Zierstücke in den Bauernhaushalten. Aufgrund der Innenglasur liessen sie sich aber wohl auch besser reinigen und waren im Gegensatz zu den Holzgerätschaften geruchsneutral.[10] Zu einem keramischen Butterfass gehörte das oft zylindrische oder leicht konische bzw. gebauchte Unterteil, meist mit irgendeiner Art Griffen zum Tragen und Heben. Ausserdem gab es einen separaten Lochdeckel sehr unterschiedlicher Formgebung, der das Herausspritzen des Rahms und der Buttermilch verhinderte. Ein hölzerner Stössel mit einer Lochscheibe am unteren Ende vervollständigte das Ensemble.

Abb. 7 Typische Baaren aus Langerwehe im Rheinland, aufgrund des Lochdeckels und des Stössels verwendet als Stossbutterfass (Foto: Töpfereimuseum Langerwehe).

Die zylindrischen und konischen Formen der Stossbutterfässer scheinen funktional optimiert zu sein, jedoch bedeutet das nicht, dass man nicht auch in anderen Keramikgefässen buttern konnte. Hingewiesen sei z.B. auf das Buttern in den grossen Langerweher Baaren (Abb. 7) oder den Zweihenkeltöpfe aus grauem Steinzeug Westerwälder Art, denen üblicherweise eine Funktion in der Vorratshaltung zugeschrieben wird.[11] Auch in bauchigen Zylinderhalskrügen lässt sich buttern, wie ein Irdenware-Beispiel aus Westböhmen belegt.[12] Ohne den hölzernen Lochdeckel und Stössel lassen sich diese Objekte nicht als „Stossbutterfässer“ identifizieren.

Gewarnt sei auch davor, ausgesprochen zylindrische Gefässformen zwingend als Stossbutterfässer zu interpretieren. Ein französischer Stich von Nicolas de Larmessin aus dem Jahre 1695 zeigt eine Butterverkäuferin, die in einem speziellen hohen Henkeltopf „beurre de normandie“ verkauft. Bodenfunde aus Versailles und Paris aus dem späten 17. Jh. zeigen, dass es sich um zylindrische Steinzeugverpackungen für gesalzene Butter aus der Normandie gehandelt haben dürfte.[13] Ähnliches galt vielleicht für einen „Butter-Pot“ des 17. Jahrhunderts aus Burslem in England.[14] Aus dem Produktionsabfall der Töpferei von William Rogers in Yorktown, Virginia, USA, der 1720–1745 datiert, stammt ebenfalls ein Objekt, das als Stossbutterfass angesprochen wird.[15] Sollte dies zutreffen, wäre es das älteste amerikanische Exemplar, zeitgleich mit den ältesten Stücken aus der Schweiz (s. u.).

Form und Funktion scheinen also nur bei den mehr oder weniger zylindrischen oder leicht konischen Stossbutterfässern eindeutig übereinzustimmen. Diesen Butterfässern sieht man ihr hölzernes, geböttchertes Vorbild aufgrund des Dekors mit horizontalen Riefen oder Malhornstreifen immer noch gut an (vgl. Abb. 6). Für solche keramischen Butterfässer gibt es bislang keine systematische, wissenschaftliche Bearbeitung. Auch die ältere volkskundliche Literatur zum Thema scheint sehr überschaubar zu sein und beinhaltet keine umfassenderen Materialsammlungen aus Museen.[16] Einzig Bärbel Kerkhoff-Hader widmete den Steinzeug-Stossbutterfässern der Westeifel aus dem 19./20. Jahrhundert ein kurzes Kapitel.[17]

Abb. 8 Bodenfunde von Butterfässern aus der Schweiz. 1 Langnau, Sonnweg 1, Pos. 30 (um 1900 abgelagert; Fnr. 134913); 2 Bern, Brunngasshalde (vor 1832 abgelagert; Fnr. 102201); 3 Langnau, Höheweg 1, Streufund aus dem Bereich der Werkstatt von Daniel Herrmann, 1736–1798 (Privatbesitz, Datierung um 1780/1790). M. 1:3. (1 und 2 Fotos: Badri Redha, Archäologischer Dienst des Kantons Bern, 3 Foto: Andreas Heege).

Aus archäologischen Fundzusammenhängen Deutschlands oder des sonstigen Mitteleuropas sind meines Wissens keine keramischen Butterfässer veröffentlicht, da man nur das erkennt, was man kennt. Aus der Schweiz gibt es bislang nur drei Beispiele aus Bern und Langnau (Abb. 8),[18] die ohne Kenntnis der nachfolgend zu besprechenden, vollständig erhaltenen Museumsstücke kaum richtig eingeordnet worden wären.

Abb. 9 Stossbutterfässer aus Langnau im Emmental bzw. Steffisburg, Kanton Bern. 1 um 1730/1740; 2 1750; 3 1757 (Steffisburg?); 4 1907. M. 1:6 (1 Regionalmuseum Langnau Inv. A299, Foto: Andreas Heege; 2 Schlossmuseum Thun Inv. 1749, Foto: Andreas Heege; 3 Privatbesitz, Foto: Andreas Heege; 4 Regionalmuseum Langnau Inv. A301, Foto: Andreas Heege).

Die ältesten Irdenware-Stossbutterfässer mit zylindrischem Körper stammen aus der Deutschschweiz, genauer aus der Produktion von Langnau im Emmental. Dies ist eine Region im Kanton Bern, die im 18. Jahrhundert durch Käseherstellung und Export reich geworden war und eine sozial herausgehobene, bäuerliche Mittelschicht der Hofbesitzer hervorgebracht hatte. Ältere, funktional eindeutig bestimmbare Keramik-Stossbutterfässer, scheinen momentan nirgendwo in Mitteleuropa vorzukommen. Die beiden ältesten inschriftlich datierten Stücke stammen aus dem Jahr 1750 und 1757 (Abb. 9,2–3),[19] jedoch setzt die Produktion bereits in den späten 1730er-Jahren unter dem Langnauer Hafner Christen Herrmann ein (Abb. 9,1). Dessen Butterfässer bilden chronologisch den Beginn einer grossen Gruppe von derzeit 94 bekannten Exemplaren dieses Herstellungszentrums.[20] Die Produktion endet bald nach 1900, das letzte datierte Stück stammt aus dem Jahr 1907 (Abb. 9,4).

Abb. 10 Typen der Stossbutterfässer aus Langnau im Emmental, Kanton Bern. 1, etwa 1734–1746 (Regionalmuseum Langnau Inv. A299); 2, 1750 (Rittersaalverein Burgdorf Inv. O-5865); 3, etwa 1750–1763 (Bernisches Historisches Museum Inv. H5904); 4, 1808 (Museum im Kornhaus Wiedlisbach Inv. 223); 5, etwa 1760–1770 (Schule für Gestaltung Bern Inv. 217); 6, 1780 (Bernisches Historisches Museum Inv. H6002); 7, 1781 (Regionalmuseum Langnau Inv. A297); 8, 1756 (Bernisches Historisches Museum Inv. H17548); 9, 1783 (Rittersaalverein Burgdorf Inv. IV-1102); 10, 1832 (Bernisches Historisches Museum Inv. H8254); 11, 1804 (Bernisches Historisches Museum Inv. H8250); 12, um 1790 (Rittersaalverein Burgdorf Inv. IV-1042); 13, 1806 (Privatbesitz); 14, etwa 1790–1800 (Regionalmuseum Langnau Inv. A304); 15, etwa 1770–1800 (Schlossmuseum Thun Inv. 0672); 16, 1779 (Bernisches Historisches Museum Inv. H8258); 17, 1794 (Musée d’art et d’histoire, Neuchâtel Inv. AA-2180); 18, 1813 (Museum der Kulturen Basel Inv. VI-06667); 19, 1850-1900 (Privatbesitz); 20, 1853 (Regionalmuseum Langnau Inv. A295).  (1–2, 4–9, 12–15, 17–20 Fotos: Andreas Heege; 3, 10–11, 16 Fotos: Christine Moor, Bernisches Historisches Museum).

In Bezug auf den Dekor sind die Langnauer Butterfässer sehr variabel. Oft wirken sie wie auf Bestellung gefertigte, repräsentative Einzelstücke, die das Herz einer Bäuerin erfreuen sollten (vgl. Abb. 1). Dies macht eine typologische Gliederung schwierig. Als Gliederungskriterien wurde schliesslich das Vorhandensein oder Fehlen charakteristischer Henkel, Griffe und Handhaben gewählt, wodurch sich 13 Typen und Varianten ergaben (Abb. 10). Die zugehörigen Lochdeckel wurden typologisch nicht weiter untergliedert. Auch hier fällt die grosse Varianz der technischen Lösungen für einen guten Sitz in der Butterfassmündung auf.

 Die Dimensionen der Langnauer Butterfässer sind sehr unterschiedlich. Der Mündungsdurchmesser variiert zwischen 10 und 22 cm, die Höhe der Unterteile zwischen 20 und 59 cm. In der Tendenz lässt sich feststellen, dass höhere Butterfässer auch grössere Mündungsdurchmesser aufweisen. Für die Funktion der Butterfässer dürfte das Volumen jedoch relevanter sein. Die Innenraumvolumina der Butterfässer liegen zwischen 1,2 und 18,5 Litern. 44 Butterfässer haben ein Volumen von weniger als 5 Litern, die übrigen liegen zwischen 5 und 10 Litern. Von dieser Regel gibt es nur zwei Ausreisser von 1801 und 1816 mit 12,3 bzw. 18,5 Litern.

Die Verteilung der unterschiedlichen Volumina aller datierten Butterfässer zwischen 1750 und 1907 ist relativ homogen, d. h., dass das unterschiedliche Volumen kein chronologisches Phänomen ist, sondern von anderen Faktoren wie z. B. der Anzahl vorhandener Kühe und der Verfügbarkeit von Rahm abhängt. Wenn wir davon ausgehen, dass die Butterfässer in der Regel wohl maximal zur Hälfte oder zu zwei Dritteln mit Rahm gefüllt wurden, damit man den Stössel noch bewegen konnte und nichts überschwappte, ergeben sich Rahmmengen von 0,9 bis 12 Litern. Vermutlich bilden dabei die 12 Liter bereits eine kaum mehr zu überschreitende physische Grenze. Aus einem Liter Rahm entstehen als Endergebnis meist etwa 300 Gramm Butter. Nur Experimente könnten zeigen, was hier sinnvoll ist.

Abb. 11 Butterfässer aus anderen Bernischen Produktionsorten. 1 Blankenburg, Kanton Bern, Hafnerei Abraham Marti, 1754; 2 Albligen, Kanton Bern, Hafnerei Schläfli, 1761; 3 Umfeld des Hafnerortes Bäriswil, Kanton Bern, Stossbutterfass mit Bäriswiler Motiven, aber abweichender Dekortechnik, 1779; 4 Umfeld des Hafnerortes Bäriswil, Kanton Bern, Stossbutterfass mit Bäriswiler Motiven, aber abweichender Dekortechnik, 1794. Ohne M. (1 und 2 Bernisches Historisches Museum Inv. H6228, Inv. H6642, Fotos: Andreas Heege; 3 Schweizerisches Nationalmuseum Inv. LM 6207, Foto: Donat Stuppan; 4 Musée Alsacien de Strasbourg Inv. MAL 460mb, Foto: Musées de Strasbourg).

Die Langnauer Hafner waren im Kanton Bern aber nicht die einzigen Hersteller keramischer Butterfässer. Aus Blankenburg im Simmental, aus der Werkstatt des Hafners Abraham Marti, stammt ein weiteres frühes, d. h. inschriftlich 1754 datiertes Butterfass (Abb. 11,1).[21] Seiner Werkstatt kann noch ein zweites Butterfass aus Privatbesitz zugeordnet werden. Als weiterer Produktionsort im Kanton Bern lässt sich Albligen belegen. Von dort stammt ein 1761 datiertes Butterfass (Abb. 11,2).[22] Die Daten zeigen, dass die Anregungen aus Langnau auch andernorts im Kanton etwa zur gleichen Zeit aufgegriffen wurden. Aus dem Umfeld von Bäriswil gibt es ein frühes Stossbutterfass von 1779 (Abb. 11,3),[23] jedoch gibt es keine Butterfässer aus dem Produktionsort Bäriswil selbst. Das Musée Alsacien in Strassburg verwahrt ein 1794 datiertes Butterfass, das aufgrund seiner Dekormotive ebenfalls aus dem Kanton Bern bzw. dem Umfeld von Bäriswil stammen dürfte (Abb. 11,4).[24]

Abb. 12 Butterfässer der Region Bäriswil, mit Bäriswiler Motiven, aber abweichender geritzter Dekortechnik, spätes 18. und frühes 19. Jahrhundert. Ohne M. (1–3 Bernisches Historisches Museum Inv. H60472; H8255; H8257; 4–5 Regionalmuseum Langnau Inv. A289; A298; alle Fotos: Andreas Heege).

Hier lassen sich auch weitere Butterfässer mit Bäriswiler Motiven und den Datierungen 1797 und 1803 anschliessen (Abb. 12,1-5).[25]

Abb. 13 Butterfässer aus der Region Heimberg-Steffisburg, Kanton Bern, erste Hälfte 19. Jahrhundert. Ohne M. (1, 2, 5 Bernisches Historisches Museum Inv. H2538; H730-4; H6117; 3 Musée d’art et d’histoire, Neuchâtel Inv. AA 3316; 4 Museum der Kulturen Basel Inv. 1896; 6 Museum im Kornhaus Wiedlisbach Inv. 220; alle Fotos: Andreas Heege).

Nachweise für das ab etwa 1780 wichtigste Keramikzentrum des Kantons Bern, die Region Heimberg-Steffisburg, sind aus unbekannten Gründen eher selten. Charakteristisch sind Stücke mit einer schwarzbraunen Grundengobe, von denen bis heute sechs mit Datierungen zwischen 1794 und 1824 bekannt sind (Abb. 13,1-6).[26]

Abb. 14 Butterfässer der zweiten Hälfte des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts aus dem Kanton Bern. Ohne M. (1 Regionalmuseum Langnau Inv. A495; 2 Museum Trubschachen Inv. 685; 3 Rittersaalverein Burgdorf Inv. III-1002a; 4 Museum Wasseramt Halten Inv. H2585; 1–3 Fotos: Andreas Heege, 4 Foto: Roland Blaettler).

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts änderten sich im Kanton Bern die Dekorformen und eine Zuschreibung an Herstellungsorte oder -regionen ist nicht mehr möglich. Es begegnen Stücke mit geschwämmelten Dekoren (Abb. 14,1), vor allem aber Objekte mit ausgeprägten Horizontalstreifendekoren, die wohl noch bis in die 1930er-Jahre gefertigt wurden (Abb. 14,2–3). Das jüngste datierte Stück stammt aus dem Jahr 1926 (Abb. 14,4). Bekannt sind von dieser Gruppe etwa 30 Butterfässer.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: An der Produktion keramischer Butterfässer in der Schweiz sind ab etwa 1730 überwiegend die Herstellungszentren und Töpfer im Kanton Bern beteiligt. Sichere Nachweise für andere Kantone fehlen bis heute.

Betrachten wir die Situation in den angrenzenden Ländern. Aus Österreich sind keine keramischen Stossbutterfässer publiziert und in der Regel den dortigen archäologischen Kolleginnen und Kollegen auch unbekannt. Nur im Internet fanden sich nur zwei Butterfässer, angeblich aus Niederösterreich bzw. der Steiermark. Aus dem süddeutschen Raum, Baden-Württemberg und Bayern, vor allem aber aus Hessen (Produktion bis ins 1. Drittel des 20. Jahrhunderts, vgl. Abb. 6) gibt es vereinzelte keramische Butterfässer.[27]

Abb. 15 Butterfässer mit Lehmglasur, spätes 19. oder frühes 20. Jahrhundert. Ohne M. (1 Museum für Handwerk und Gewerbe in Sagar, Foto: Helga Heinze; 2 Museum Haderslev, Dänemark, Sammlung Ehlers, Foto: Andreas Heege).

Aus der Lausitz oder Schlesien gibt es auch solche mit brauner Lehmglasur (Abb. 15,1).[28] Identische Stücke wurden im späten 19. Jahrhundert auch in der Hafnerei Rathenburg in Haderslev in Dänemark gefertigt (Abb. 15,2).[29] Alle diese Butterfässer scheinen jedoch in die zweite Hälfte des 19. und das 20. Jahrhundert zu gehören, mithin jünger zu sein als die schweizerischen Exemplare. Dies gilt auch für die sehr wenigen Stücke, die dem Elsass bzw. Soufflenheim zugeordnet werden.[30] In den zahlreich überlieferten Verkaufskatalogen des Elsass erscheinen keine Stossbutterfässer.[31]

Abb. 16 Butterfass aus Steinzeug „Westerwälder Art“, 1877. (Musée de la Poterie, Betschdorf, Elsass, Foto: Andreas Heege).

Auf Steinzeug-Butterfässer „Westerwälder Art“ aus der Eifel wurde bereits hingewiesen.[32] Es wundert daher nicht, dass sich Steinzeugbutterfässer, wenn auch selten, in den meisten Steinzeugzentren im Westerwälder Einflussgebiet finden, z. B. Oberbetschdorf im Elsass (Abb. 16),[33] Krughütte im Saarland,[34] Zorn in Hessen[35] und Adendorf bei Bonn.[36] In den Verkaufskatalogen des Westerwaldes erscheinen sie jedoch sehr selten erst im frühen 20. Jahrhundert.[37] Die niedersächsischen Herstellungsregionen liefern nur schwache Belege für Oberode und Duingen.[38] Auch auf eine Produktion in Bürgel in Thüringen,[39] Dreihausen in Hessen[40] und in Unterfranken[41] ist hinzuweisen.  Für alle gezeigten Stücke gilt: Es handelt sich um Produkte der zweiten Hälfte des 19. oder des frühen 20. Jahrhunderts. Die Idee, hölzerne Butterfässer in keramische Formen umsetzen, scheint demnach in der Deutschschweiz, genauer im Kanton Bern, in Langnau im Emmental im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts entstanden zu sein. Mit den ab 1806 im Kanton Bern zahlreich archivalisch nachweisbaren ausserkantonalen und ausländischen Gesellen, gelangte die Idee dann in den weiteren deutschsprachigen Raum.

Erstpublikation: 

Heege 2022
Andreas Heege, Butterfässer: Eine keramische Sonderform aus der Deutschschweiz, in: Stiftung „Fürst-Pückler-Park Bad Muskau“, Keramik im häuslichen und repräsentativen Gebrauch. 52. Internationales Keramiksymposium in Bad Muskau vom 16. bis zum 20. September 2019 (Muskauer Schriften 9), Muskau 2022, 159–170.

Endnoten

[1] Fechner, Gustav Theodor: Das Hauslexikon: Vollständiges Handbuch praktischer Lebenskenntnisse für alle Stände, Bd. 2. Leipzig 1835, S.70; Martiny, Benno: Kirne und Girbe. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte besonders zur Geschichte der Milchwirtschaft. Berlin 1895; Martiny, Benno: Geschichte der Rahmgewinnung. Leipzig 1909–1915.
[2] Wopfner, Herrmann: Bergbauernbuch. Von Arbeit und Leben des Tiroler Bergbauern in Vergangenheit und Gegenwart. Bd. 3: Wirtschaftliches Leben. München 1997, S. 191.
[3] Hansen, Wilhelm: Kalenderminiaturen und Stundenbücher. Mittelalterliches Leben im Jahreslauf. München 1985, S. 250 (Utrecht Psalter-fol. 86r).
[4] Beispiele: Fresko in der Kirche von Riede, Ldkr. Verden um 1450/1500, freundlicher Hinweis Stephan Krabath; 1511, Charles, Corinne: Meubles du Moyen Age en Alsace et dans le Rhin supérieur. In: Cahiers Alsaciens d’ Archéologie, d’ Art et d’ Histoire 40, 1997, Fig. 18; Stiche 1548, 1607 und 1706, Bitterli, Thomas: IV.2. Spätmittelalter und Neuzeit. In: Meyer, Werner /Auf der Mauer, Franz /Bellwald, Werner u.a.: Heidenhüttli. 25 Jahre archäologische Wüstungsforschung im schweizerischen Alpenraum (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 23/24). Basel 1998, Abb. 473, 493, 500; Stich von Sebald Beham 1527, British Museum, Inv. 1927,0614.54; Stich von Virgil Solis (1530–1562), British Museum, Inv. 1850,0612.464; Stich von Sebald Beham 1557, British Museum, Inv. 1927,0614.60; Stich von Marten van Cleve I 1574, British Museum Inv. 1950-0520.435.
[5] Zu den Gerätschaften der Milchwirtschaft vgl. Weiss, Richard: Das Alpwesen Graubündens. Wirtschaft, Sachkultur, Recht, Älplerarbeit und Älplerleben. Zürich-Erlenbach 1941; Scheuermeier, Paul: Bauernwerk in Italien, der italienischen und rätoromanischen Schweiz. Zürich 1943; Klever, Ulrich: Alte Küchengeräte. München 1979, S. 143–148; Bitterli 1998 (wie Anm. 4).
[6] Zum Thema Buttern in Langnau im Emmental, Kanton Bern: Heege, Andreas/Kistler, Andreas: Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13). Bern 2017, Kap. 10.7.
[7] Abbildung eines solchen Butterstocks in Meng, J.U.: Vom Seewiser Alpwesen vor der Technisierung. In: Bündner Kalender 1986, S. 61–68.
[8] Methoden der Butterherstellung: Martiny 1895 (wie Anm. 1); Martiny 1909–1915 (wie Anm. 1); Heyne, Moritz: Das deutsche Nahrungswesen von den ältesten geschichtlichen Zeiten bis zum 16. Jahrhundert. Leipzig 1901, S. 310; Ränk, Gustav: Gegorene Milch und Käse bei den Hirtenvölkern Asiens. In: Journal de la société Finno-Ougrienne 70, 1970, S. 1–72, bes. S. 6 oder Herbers, Hiltrud: Arbeit und Ernährung in Yasin. Aspekte des Produktions-Reproduktions-Zusammenhangs in einem Hochgebirgstal Nordpakistans. Stuttgart 1998., S. 159.
[9] Bernisches Historisches Museum Inv. H8694.
[10] Fechner 1835 (wie Anm. 1), 75 zur Wichtigkeit der Sauberkeit der Geräte.
[11] Freckmann, Klaus: Rheinisches Töpferhandwerk. Eifel – Mosel – Hunsrück – Nahe – Rheinhessen (Schriftenreihe des Freilichtsmuseums Sobernheim 2). Köln 1983, Kat. 40b.
[12] Endres, Werner: Gefässe und Formen. Eine Typologie für Museen und Sammlungen (Museums-Bausteine 3). München 1996, S. 150.
[13] Ravoire, Fabienne: Aspects de la vie quotidienne à la cour de Versailles à la fin du XVIIe siècle à travers deux ensembles céramiques exceptionnels issus des fouilles du Grand Commun. In: Bulletin du Centre de recherche du château de Versailles [En ligne], | 2017, mis en ligne le 04 février 2019, consulté le 13 juillet 2019. URL : http://journals.openedition.org/crcv/16330 ; DOI : 10.4000/crcv.16330, 2019, Fig. 5.
[14] Victoria&Albert-Museum, Inv. 2042-1901; URL http://collections.vam.ac.uk/item/O148515/butter-pot-unknown/.
[15] Barka, Norman F.: Archaeology of a Colonial Pottery Factory: The Kilns of Ceramics of the “Poor Potter” of Yorktown. In: Ceramics in America, 2004, S. 15–47, bes. Fig. 33.
[16] Martiny 1895 (wie Anm. 1); Berger, Gerhard Dieter: Stosstopf und Rahmgefäss in der bäuerlichen Milchwirtschaft des Rheinlandes. In: Rheinische Vierteljahresblätter 11, 1941, S. 288–297; Erich, Oswald A.: Tongefässe in der Milchwirtschaft. In: Volkswerk. Jahrbuch des Staatlichen Museums für Deutsche Volkskunde 1941, S. 227–247.
[17] Kerkhoff-Hader, Bärbel : Lebens- und Arbeitsformen der Töpfer in der Südwesteifel. Ein Beitrag zur Steinzeugforschung im Rheinland (Rheinisches Archiv 110). Bonn 1980, 202 und 203 und Kat. 322–331.
[18] Heege/Kistler 2017 (wie Anm. 6), Abb. 175; 203,6; 653.
[19] Rittersaalverein Burgdorf Inv.0-5865; Schlossmuseum Thun Inv. 1749; Privatbesitz.
[20] Heege/Kistler 2017 (wie Anm. 6), Kap. 10.7.
[21] Baud-Bovy, Daniel: Bauernkunst in der Schweiz. Zürich/Leipzig/Berlin 1926, Kat. 328; Wyss, Robert L.: Berner Bauernkeramik (Berner Heimatbücher 100–103). Bern 1966, Abb. 11. Vgl. auch Boschetti-Maradi, Adriano : Gefässkeramik und Hafnerei in der Frühen Neuzeit im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 8). Bern 2006, Abb. 262 und Adriano Boschetti-Maradi, Geschirr für Stadt und Land. Berner Töpferei seit dem 16. Jahrhundert (Glanzlichter aus dem Bernischen Historischen Museum 19), Bern 2007, 45 Kat. 15.
[22] Wyss 1966 (wie Anm. 21), Abb. 51; Boschetti-Maradi 2007 (wie Anm. 21), 46 Abb. 45.
[23] Heege, Andreas/Kistler, Andreas/Thut, Walter: Keramik aus Bäriswil. Zur Geschichte einer bedeutenden Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 10). Bern 2011, 178 Abb. 171.
[24] Klein, Georges: Poteries populaires d’Alsace. Strassburg 1989, Taf. 22; vgl. zum Dekor Heege/Kistler/Thut 2011 (wie Anm. 23), Abb. 183.
[25] Bernisches Historisches Museum Inv. H6047, H8255, H8257, Regionalmuseum Langnau A289, A298.
[26] Bernisches Historisches Museum Inv. H2538, H730-4; Musée d’art et d’histoire, Neuchâtel Inv. AA 3316; Museum der Kulturen Basel Inv. 1896-141; Bernisches Historisches Museum Inv. H6117; Museum im Kornhaus Wiedlisbach Inv. 220.
[27] Ich danke Eva Blanc für Hinweise auf verschiedene Museumsbestände und Publikationen. Belege aus der Literatur: Hillenbrand, Karl/Spies, Gerd: Hafnerware in Südwestdeutschland (Der Museumsfreund. Aus Heimatmuseen und Sammlungen in Baden-Württemberg 6). Stuttgart 1965, Taf. XI; Rumpf, Karl: Gefässformen der volkstümlichen hessischen Töpferei. In: Hessische Blätter für Volkskunde 49/50, 1960, S. 235–276, Taf. XIII; Baeumerth, Karl: Die Schwälmer Töpferfamilie Roß und die Gebersdorfer Töpferei. Usingen 1988, Kat. 39002; Stolle, Walter: Volkstümliche Keramik aus Hessen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart dargestellt an Beispielen aus Mittel- und Südhessen. Ausstellung des Hessischen Museumsverbandes 1981. Kassel 1981, S. 68 und 37 Nr. 9, Produktion (selten) noch im frühen 20. Jahrhundert, oft nur auf Bestellung.
[28] Freundlicher Hinweis Helga Heinze, Museum für Handwerk und Gewerbe in Sagar.
[29] Exemplar in der Sammlung Ehlers in Haderslev, Dänemark, ohne Inventarnummer.
[30] Klein, Georges/Rivière, Georges-Henri: Arts et traditions populaires d’Alsace la maison rurale et l’artisanat d’autrefois. Colmar 2. Aufl.1978, Taf. 70; Nabholz-Kartaschoff, Marie-Louise: Töpferei in Soufflenheim (Bas-Rhin). Ergebnisse einer Feldforschung. Kollektivarbeit von Studenten des Ethnologischen Seminars der Universität Basel (Basler Geographische Hefte 3). Basel 1973, Kat. 8,3; Decker, Emile/Haegel, Olivier/Legendre, Jean-Pierre u.a.: La céramique des Soufflenheim. Cent cinquante ans de production en Alsace 1800-1950. Lyon 2003, S. 37; Favelac, Pierre-Marie: Poteries rustiques. Saint-Ouen l’Aumône o. J, S. 44; Klein 1989 (wie Anm. 24), Taf. 68.
[31] Legendre, Jean-Pierre/Maire, Jean: La céramique de Soufflenheim (Bas-Rhin) du milieu du XIXe siècle au début du XXe siècle. Typologie de la production et éléments de chronologie. In: Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 39, 1996, S. 139–170.; Legendre, Jean-Pierre/Maire, Jean: Nouveaux éléments pour la chronologie de la céramique de Soufflenheim au XIXe et auch XXe siècle. In: Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 53, 2010, S. 161–175.
[32] Kerkhoff-Hader 1980 (wie Anm. 17), S. 202 und 203 und Kat. 322–331; Bauer, Ingolf/Endres,Werner/Kerkhoff-Hader, Bärbel u.a., Leitfaden zur Keramikbeschreibung (Mittelalter-Neuzeit). Terminologie-Typologie-Technologie (Kataloge der prähistorischen Staatssammlung Beiheft 2). Kallmünz 1986, S. 159–160; Freckmann 1983 (wie Anm. 11), Kat. 36, 38–40, 46.
[33] Heege, Andreas: Keramik im Elsass: Frühes Steinzeug, Steinzeug „Westerwälder Art“ und Irdenwaren mit Malhorndekor. In: Harald Siebenmorgen (rsg.), Blick nach Westen. Keramik in Baden und im Elsass. 45. Internationales Symposium Keramikforschung Badisches Landesmuseum Karlsruhe 24.8.–28.8.2012. Karlsruhe 2013, S. 73–97, Abb. 27 oben links; Klein 1989 (wie Anm. 24), Taf. 219.
[34] Rixenecker, Albrecht/Scherer, Gertrud/Debusmann, Hannelore: Klarenthal und Krughütte in alten Ansichten. Zaltbommel 1984., Abb. 24
[35] Brinkmann, Bernd: Steinzeugproduktion in Zorn (Taunus). Kurzdokumentation von zwei Notbergungen in Heidenrod-Zorn in den Jahren 1983 und 1988. Mülheim an der Ruhr 2015, S. 21.
[36] Doepgen, Heinz: Keramik im Landkreis Bonn. Bonn 1969, Abb. 90.
[37] Westerwald: Beckmann, Bernhard/Bock, Gisela von/Herkenrath, Dorothea: Volkskunst im Rheinland (Führer und Schriften des Rheinischen Freilichtmuseums Kommern 4). Düsseldorf 1968., Kat. 272–274; Dippold,Christine/Zühlcke, Sabine/Scheja, Dagmar: Westerwälder Gebrauchsgeschirr von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre. Teil 1: Texte und Firmenverzeichnis. Teil 2: Katalog der Gefässe und Nachdrucke ausgewählter Warenverzeichnisse. Nürnberg 2008, S. 744, Kat. 180.
[38] Hampe, Heinrich: Töpferwaren aus Oberode an der Werra (Sydekum-Schriften zur Geschichte der Stadt Münden 30). Hann.Münden 1999, S. 293.
[39] Ausgestelltes Butterfass im Museum Bürgel, freundllicher Hinweis Helga Heinze.
[40] Schomber, Helmut: Dreihäuser Steinzeug. Ein hessisches Töpferdorf und seine Geschichte. Ebsdorfergrund-Ebsdorf 1997, Kat. 63–65.
[41] Bauer, Ingolf/Wiegel, Bert: Hafnergeschirr aus Franken (Kataloge des Bayerischen Nationalmuseums München 15,2). München 2004, Kat. 165.

Essigfässchen

Abb. 1: Essigfässchen mit vier Füssen, typische Grössen, Formen und Dekore. Sammlung Pierre Eichenberger, Erlach (Heege 2016, Abb. 305).

Essigfässchen in CERAMICA CH

 Andreas Heege, 2023

Essigfässchen (Abb. 1) wurden normalerweise zunächst als grosse, eiförmige Gefässe auf der Scheibe gedreht und dann für die Montage der Einfüllöffnung und der Füsschen auf die Seite gekippt. Das zugedrehte Ende des Fässchens ist daher spitz, der ursprüngliche Boden ist plan und trägt gelegentlich neben der Bemalung auch noch die Spuren vom Abschneidedraht von der Töpferscheibe. Auf dieser Seite befindet sich auch das ringförmig verstärkte Zapfhahn- oder Krahnenloch. Oberseitig wurde sekundär eine Einfüllöffnung (Spundloch) eingeschnitten und mit einem Verstärkungsring versehen. Auf der gegenüberliegenden, oft sekundär leicht abgeflachten Bauchseite wurden vier Füsschen (bei jüngeren Exemplaren drei Füsschen) anmontiert.

Essigfässchen wurden mit grosser Wahrscheinlichkeit in Betschdorf im Elsass oder in Töpfereien mit genealogischem Bezug zu dieser Ortschaft hergestellt. Die Frage nach der Datierung, der Herkunft und der Verbreitung dieser Gefässform wurde in der Literatur bisher nur selten behandelt (Klever 1979, 67; Klein 1989, Taf. 223; Heege 2009, 53; Heege 2013; grosse Übersicht Heege 2016, 300–309, Bd. 3, 84–98). Aufgrund der Gestaltung mit vier Füsschen finden sich statt des Begriffs Essigfässchen gelegentlich auch die in der Region Aargau/Winterthur/Schaffhausen überlieferte mundartliche Bezeichnung «Essigsau» oder «Essigsäuli» (Freundlicher Hinweis Peter Bretscher, HMTG, volkskundliche Sammlung). Diese sind nicht im «Schweizerischen Idiotikon» verzeichnet. Die französische Bezeichnung lautet unter Bezug auf die Gefässfunktion «tonnelet à vinaigre», «baril à vinaigre» oder «vinaigrier» (vgl. Abb. 10; Klein 1989, Taf. 223).

Abb. 2: Das Essigfässchen auf dem Kachelofen. Bild des Berner Malers Albert Anker, 1885 (Heege 2016, Abb. 306).

Die Funktion der Steinzeug-Fässchen mit vier Füssen kennzeichnen am besten die Bilder des Berner Malers Albert Anker. Er bildet die Fässchen zwischen 1860 und 1888 regelmässig auf dem Kachelofen stehend ab (Abb. 2; Heege 2016, 300 Anm. 3447). An vergleichbarem Ort kommen wiederholt jedoch auch in Stroh eingeflochtene grosse Glasflaschen vor, die wohl dieselbe Funktion hatten. Nach verschiedenen Darstellungen in der Literatur handelt es sich zweifellos um Essigfässchen zur häuslichen Herstellung von Obst- oder Weinessig (z. B. Krünitz 1777, Stichwort Essig; Geier 1828, 274–279; Archiv der Pharmacie 17, 1867, 163; Illustrierte Monatshefte für Obst und Weinbau 4, 1868, 330; Mayer 1895, Bd. 2, 182).

Salzglasiertes Steinzeug eignete sich dazu besonders gut, da die Essigsäure den gesinterten Scherben nicht anzugreifen vermochte und sich die Fässchen zusätzlich gut reinigen liessen. Es gibt selten jedoch auch Essigfässchen aus Irdenware, die innen nicht glasiert waren und deren Dichtigkeit wohl auf anderem Wege erreicht werden musste. Für die stehenden Essigkrüge in Bayern verwendete man geschmolzenes Pech, mit dem ansonsten auch die Bierfässer abgedichtet wurden (Grasmann 2010, 310).

Da zur Entstehung des Essigs vor allem im Winter Wärme notwendig war, erklärt sich der Platz auf dem Kachelofen. Im ländlichen und städtischen Haushalt diente Essig bis weit ins 20. Jahrhundert hinein im Rahmen der Vorratshaltung zur Konservierung von Lebensmitteln (Friedli 1914, 420–422). Daneben kam und kommt ihm noch heute in der häuslichen Medizin auch eine Bedeutung als Heilmittel zu. Grundsätzlich lassen sich alle Fässchenformen natürlich auch zur Lagerung von Schnaps oder anderen Alkoholika verwenden.

Typologisch lassen sich bei den Steinzeug-Essigfässchen aus grauem Steinzeug verschiedene Formen unterscheiden (die älteren, deutlich kleineren Steinzeugfässchen (Schnapsfässchen mit Schraubverschluss aus Zinn und teilweise ohne Auslass für einen Zapfhahn) aus sächsischer bzw. mitteldeutscher Produktion oder aus Creussen bleiben an dieser Stelle ausser Betracht. Literaturzusammenstellung Heege 2016, 302 Anm. 2451; vgl. auch Roehmer 2017):

  • Fässchen auf drei oder vier Füssen stehend ( Abb. 1, nach 1800?).
  • Fässchen mit Standringen (Dippold/Zühlcke/Scheja 2008, Bd. 2, 482 Kat. 182; Bastelaer 1884/1885, Taf. 18,1 und 16),
  • Fässchen ohne Füsse, nur mit einer flaschenartigen Einfüllöffnung auf der Breit- bzw. Oberseite (oberösterreichische Spezialität, 19. Jahrhundert?; Kaltenberger 2009, Bd. 1, 138 Abb. 26 und 29),

Abb. 3: Essigfässchen ohne Füsse bzw. mit Stegen. Historisches Museum Speyer, Sammlung Pierre Eichenberger, Erlach, Hetjensmuseum Düsseldorf (Heege 2016, Abb. 307).

  • Fässchen ohne Füsse (Abb. 3,1–2), horizontal liegend, mit Auslass auf einer der Schmal- und Einlass auf der Breit- bzw. Oberseite (ab der zweiten Hälfte des 17. bis ins 20. Jahrhundert; Heege 2016, 302, Anm. 2454, Bd. 3, 96–97),
  • Fässchen mit stegartigen Standhilfen in der Längsachse des Gefässkörpers (Abb. 3,3, ein 1751 und ein 1804 datiertes Exemplar bekannt; Heege 2016, 302, Anm. 2455, Bd. 3, 96–97),
  • Fässchen mit stegartigen Standhilfen quer zur Längsachse des Gefässkörpers (Abb. 3,4; 19.?/20. Jahrhundert; Heege 2016, 302, Anm. 2456, Bd. 3, 98),

Abb. 4: Stehendes Essigfass. Historisches Museum Thurgau in Frauenfeld, volkskundliche Sammlung (Heege 2016, Abb. 308).

  • Fässchen ohne Füsse auf dem flachen Fassboden einer Schmalseite stehend (Abb. 4; spätes 19./20. Jahrhundert; Beispiele: Dippold/Zühlcke/Scheja 2008, Bd. 2, 481 Kat. 181, 187 und 188. Ob es sich bei diesem Typ immer um Essigfässchen handelt, ist unklar, da verschiedene Exemplare auch die Aufschrift «Jamaika Rum», «Waldbeeren» oder «Spiritus» tragen).

Die Gründe für die Ausstattung der Essigfässchen mit Füssen sind unbekannt. Möglicherweise wollte man gezielt die zusätzliche Anschaffung eines hölzernen Fassbocks einsparen, wie er bei den Steinzeugfässchen ohne Füsse unumgänglich ist.

Abb. 5: Bendern. Charakteristische Scherben eines Essigfässchens aus geblautem Steinzeug (Heege 2016, Abb. 304).

Bodenfunde von Steinzeug-Essigfässchen mit Füsschen sind grosse Seltenheiten. Neben den Fragmenten von zwei bis drei Fässchen mit vier Füssen aus dem Schlossgraben von Schloss Hallwil (Heege 2016, Abb. 309) und weiteren Fragmenten aus dem Produktionsmilieu von Bad Rotenfels in Baden Württemberg (vgl. dazu Blanc 2015) sind Fragmente vom Kirchhügel bei Bendern die einzigen bekannten archäologischen Nachweise (Abb. 5). Dabei sind die Fässchen mit Füssen in den privaten und musealen Sammlungen Frankreichs (v. a. Elsass, insgesamt 23 Exemplare), der Schweiz (mehr als 67 Exemplare), Liechtensteins (drei Exemplare), Österreichs (v. a. Vorarlberg, fünf Exemplare) und Deutschlands (28 Exemplare) durchaus keine Rarität (derzeitiger Nachweisstand Heege 2016, Bd. 3, 84–98, Ergänzungen für den Kanton Graubünden: Heege 2023, 112–113, siehe auch CERAMICA CH).

Abb. 6: Spielzeug Essigfässchen. Historisches Museum Basel (Heege 2016, Abb. 310).

Die Masse der vierfüssigen Fässchen sind, soweit der Autor sie vermessen oder Daten dazu ermittelt werden konnten, sehr variabel. Die Länge schwankt zwischen 24 und 69 cm, die Höhe bis zum Rand der Einfüllöffnung zwischen 18 und 48 cm, der maximale Durchmesser zwischen 13 und 28 cm. Daneben sind ein sehr kleines Fässchen (L. 13 cm, H. 11,5 cm, Dm. max. 9,6 cm) und ein Spielzeugfässchen (L. 9 cm, H. 7,3 cm, D. max. 6,7 cm) belegt (Abb. 6; HMB Inv. 1930-82).

Abb. 7: Betschdorf, Elsass, grösstes bekanntes Essigfass, Volumen 50 Liter (Heege 2016, Bd. 3, Abb. 422).

Einzelne Fässchen tragen auf der Ober- oder der Unterseite eingeritzte oder gemalte Zahlen-Markierungen, die wohl als Wurfzahl, d. h. als Grössenmass anzusehen sind. Hierbei handelt es sich bis in die Zeit um 1918 um die Kennzeichnung einer Mengeneinheit verarbeiteter Tonmasse (Wurf), wonach im Westerwald und auch in Betschdorf die Verkaufspreise festgelegt waren. Durch ein Fässchen aus Betschdorfer Privatbesitz wird diese Annahme gestützt. Es trägt die in Sütterlin eingeritzte Angabe «2 Wurf» (Heege 2016, Bd. 3, 87 Abb. 421). Erst nach 1918 wurde im Westerwald weitestgehend auf Literangaben, die auch eingestempelt sein konnten, umgestellt (Kerkhoff-Hader 1980, 186 und 187; Dippold/Zühlcke/Scheja 2008, 37). In keinem Fall kann für die vierfüssigen Fässchen eine eingestempelte Volumenangabe in Liter belegt werden. Dies ist möglicherweise auch ein chronologischer Anhaltspunkt. Dagegen trägt das grösste bekannte vierfüssige Fässchen aus Betschdorf die in Sütterlin eingeritzte Volumenangabe «50 Liter». Es stammt aus einer Töpferei, deren letzter Inhaber im Ersten Weltkrieg fiel (Abb. 6; Heege 2016, Bd. 3, 87 Abb. 422). Ein dreifüssiges Fässchen aus dem Keramikmuseum Westerwald trägt die eingestempelte Angabe «8 L» (KMW Inv. 1311).

Im Zusammenhang mit einzelnen Fässchen haben sich auch Steckdeckel mit Knauf aus Steinzeug erhalten. Es ist davon auszugehen, dass ursprünglich alle Fässchen einen solchen Deckel besassen, der den notwendigen Luftzutritt erlaubte, aber Frucht- und Essigfliegen fern hielt. Die überwiegende Zahl der Fässchen ist mit floralen oder geometrischen Motiven kobaltblau bemalt, wobei sich die Dekorzonen rechtwinklig zur ehemaligen Drehachse befinden. Sie orientieren sich dabei gelegentlich an zusätzlich angebrachten Graten, Riefen und Rillen. Auch die beiden Enden der Fässchen sind bemalt. Die Einfüllöffnung und das Loch für den Zapfhahn können hervorgehoben sein.

Abb. 8: 1849 datiertes Essigfässchen aus der Produktion von Betschdorf. Soultz-sous-Forêts, Sammlung Edmond Trautmann (Heege 2016, Abb. 311).

Nur sehr selten finden sich überaus prachtvolle Kombinationen mit Ritz- oder Knibisdekor (Abb. 8; Strauss/Aichele 1992, 108 Kat. 160; Klein 1989, Taf. 223; Auktionshaus Lempertz Köln, Auktion 928, 2008, Los 434).

Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet und die Produktions- und Nutzungszeit der Fässchen mit vier Füssen (etwa 1800–1900?) sind momentan nur bedingt beschreibbar. Im Gegensatz zu den zahlreichen Vorkommen in der Schweiz, zu denen auch ein Spielzeug-Essigfässchen aus Basler Privatbesitz zu rechnen ist (vgl. Abb. 6), sind aus deutschen Museen bislang eher wenig Essigfässchen auf Füssen veröffentlicht worden bzw. vorhanden. Auch fehlen sie erstaunlicherweise in den um 1870 einsetzenden Musterkatalogen der Steinzeugproduzenten des Westerwaldes (Dippold/Zühlcke/Scheja 2008, Bd. 1, 137–141, Bd. 2, Kat. 184 und 185). Produktionsnachweise für Essigfässchen scheinen auch in der Region Hunsrück/Eifel zu fehlen (Kerkhoff-Hader 1980, Kat. 358 und 359; Seewaldt 1990). Im Westerwald produzierte man dagegen seit dem späten 17. Jahrhundert offenbar meist graue, geblaute oder auch manganviolett bemalte Fässchen ohne Füsse mit Auflagen-, Gabel-, Knibis- oder Ritzdekor, mit stegartigen Standhilfen quer zum Gefässkörper oder Standfässchen. Diese drei Formen finden sich auch noch in den Verkaufskatalogen des Westerwaldes. Sie wurden in Grössen von 3 bis 30 Litern offenbar noch bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges in grösserer Zahl gefertigt (Dippold/Zühlcke/Scheja 2008, Kat. 181, 187,188, 671, 693, 697, 703, 711, 718, 722, 729, 743, 757, 768).

Aus dem elsässischen Raum sind dagegen verschiedene Fässchen mit Füssen veröffentlicht, was für eine Produktion im Elsass, in Oberbetschdorf oder z. B. auch in Saverne sprechen könnte, obwohl Bodenfunde oder eindeutig signierte Stücke fehlen (Klein 1989, Planche 223; Faviere/Klein 1978, 62 Kat. 201; Ernewein/Dietrich-Schneider 2006, 60–63; Mahon 1988, 15 Abb. 4; Favelac o. J., 7. Weitere Fässchen im Musée de la Poterie in Betschdorf und im Musée Alsacien in Strassburg). Der elsässischen Produktion werden ohne eingehendere Diskussion auch Fässchen ohne Füsse (Fässchentyp des Westerwaldes) zugeordnet. Deren Vorkommen muss jedoch angesichts der familiären Beziehungen zwischen Oberbetschdorf und dem Westerwald nicht erstaunen (Schmitter 1965; Schmitter 1982a). Marcel Schmitter, selber Steinzeugtöpfer in Oberbetschdorf, schrieb 1965: «Fässel (barillet pour le vinaigre): Cette dernière forme tend à disparaître de l’usage courant, mais reste très appréciée par les amateurs.» (Schmitter 1965, 330).

Abb. 9: Essigfässchen des 20. Jahrhunderts mit drei Füssen, erworben auf dem Basler Flohmarkt. Basel, Privatbesitz (Heege 2016, Abb. 312).

Heute werden in der Töpferei Matthieu Remmy wieder Replikate von Essigfässchen aus salzglasiertem Steinzeug nach historischen Vorbildern gefertigt. Die in der Werkstatt heute ausgestellten Fässchen der neuesten Produktion haben jedoch nur drei Füsse, im Gegensatz zu fast allen kontrollierten Museumsstücken, die überwiegend vier aufweisen. Matthieu Remmy gab auf Befragen im Frühjahr 2012 an, dass Fässchen mit nur drei Füssen besser stehen würden als Fässchen mit vier und auch einfacher herzustellen seien. Es handelt sich daher vermutlich um eine junge Erscheinung des 20. Jahrhunderts (Abb. 9).

Abb. 10: Töpfer Fortuné Schmitter (1888–1956) aus Betschdorf und seine Frau Marie beim Ausnehmen des Brennofens und dem Putzen der fertigen Essigfässchen, ca. 1920er-Jahre (Heege 2016, Abb. 313).

Diese Annahme, sowie die Zuweisung zu Betschdorf als Produktionsort, wird zusätzlich gestützt durch eine Fotografie, die den Töpfer Fortuné Schmitter (1888–1956) und seine Frau Marie beim Ausnehmen des Brennofens und Putzen der fertigen Ware zeigt (Abb. 10). Es handelt sich nach Aussage des Enkels des Töpfers, des heutigen Werkstattinhabers Maurice Schmitter, um die Ausführung einer ganz besonders ungewöhnlichen Bestellung von 500 Essigfässchen, die, wie man auf dem Bild unschwer erkennen kann, drei Füsse und eine sehr weite Einfüllöffnung aufweisen. Das genaue Datum der Aufnahme ist nicht mehr bekannt, dürfte jedoch in den 1920er-Jahren anzusiedeln sein.

Abb. 11: Produktliste der Töpferei Fortuné Schmitter (1888–1956), undatiert, aber wohl nach 1918. Da die Titelseite des Warenverzeichnisses den Hinweis «Téléphone: Poste Betschdorf» trägt, dürfte die Liste nach 1904 (Neubau des Postamtes in Betschdorf mit Telefonanschluss) und vor der Einführung individueller Telefonnummern gedruckt worden sein. (Heege 2016, Abb. 314).

Dem entspricht auch eine in der Werkstatt heute noch verwahrte undatierte Warenliste von Fortuné Schmitter, die unter Nr. 3 «baril à vinaigre» in verschiedenen Grössen (compte) aufführt (Abb. 11), was wohl mit Wurf zu übersetzen ist. Die Rückseite der Liste erläutert: «un compte vaut à peu près 5 litres», d. h. ein Wurf entspricht etwa fünf Litern Volumen. Demnach konnten folgende Fässchengrössen bestellt werden: 1,6 l, 2,5 l, 3,3 l, 5 l, 7,5 l und 10 l.

Abb. 12: Briefkopf der Töpferei Victor Schmitter aus Betschdorf, datiert „190.“. Oben links Essigfässchen (Heege 2016, Abb. 315).

Die Bilder in dieser gedruckten Liste finden sich jedoch identisch bereits im undatierten Warenverzeichnis von Victor Schmitter (1872–1938) und auf einem «190.» datierten Briefbogen desselben Steinzeugtöpfers (Abb. 12). Da in allen Fällen dasselbe Bild das Steinzeugfässchen nur von vorne zeigt, kann nicht entschieden werden, ob es drei- oder vierfüssig ist.

Von den Fässchen, die dem Elsass zugeordnet werden, ist immerhin eines inschriftlich in das Jahr 1849 datiert (vgl. Abb. 8; Herkunft aus dem Haus der Familie Sturm in Betschdorf, Grosseltern des jetzigen Besitzers Edmond Trautmann). Ein weiteres aus dem süddeutschen Kunsthandel trägt die Datierung 1832 (Strauss/Aichele 1992, 108 Kat. 160), sodass mit einer Produktion solcher Fässchen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf jeden Fall gerechnet werden kann.

Abb. 13: Fässchen aus Irdenware, datiert 1830 und 1834. Schattenburg-Museum Feldkirch und Museum der Kulturen Basel (Heege 2016, Abb. 316).

Diese Annahme wird durch zwei Irdenware-Fässchen mit Füssen unterstützt, die wie eine Kopie der Vorbilder aus Steinzeug wirken (Abb. 13). Eines dieser Fässchen ist 1834 datiert und wurde an einem Töpferort mit typologischem Schweizbezug (Pünktchenraute, Malhorn- und Ritzdekor; d. h. z. B. Kandern oder Berneck), hergestellt (MKB Inv. VI 9426). Das zweite befindet sich im Schattenburg-Museum in Feldkirch und trägt die aufgemalte Datierung 1830 (Inv. KE III-3). Es handelt sich dabei aufgrund der Machart möglicherweise um eine lokale Produktion aus der Region Feldkirch. Die in den Museen und Sammlungen immer wieder feststellbare, erstaunlich frühe Musealisierung einzelner Steinzeugfässchen um oder kurz nach 1900 dürfte dafür sprechen, dass Essigfässchen zumindest in der Schweiz bereits im späten 19. Jahrhundert zunehmend unmodern wurden, selbst wenn die Produktion im Elsass offenbar noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts andauerte.

Abb. 14: Essigfässchen mit dem Hafnernamen «Braun» aus einem ehemaligen Krugbäckerhaus in Krughütte bei Gersweiler. Privatbesitz (Heege 2016, Abb. 317).

Ein Fässchen, das aus einem ehemaligen Krugbäckerhaus in Krughütte bei Gersweiler stammt und sich bis vor kurzem noch dort in Privatbesitz befand (Abb. 14), könnte ein Hinweis sein, dass an der Herstellung dieser Fässchen auch andere Steinzeug-Produktionsorte beteiligt waren (Trepesch 2001, 103, Kat. 13). Das Fässchen trägt den aufgemalten Hafnernamen «Braun» (zu den Hafnern der Familie Braun in Krughütte vgl. Büch 1965; Rixenecker 1973). Es muss in diesem Zusammenhang jedoch auf die engen familiären Beziehungen der Steinzeugtöpfer von Krughütte, Saverne und Betschdorf sowie Rohrbach und Bad Rotenfels hingewiesen werden (Schmitter 1982b; Spiegel 1969, 264 und 265; Moser 1991; Moser 1996; Blanc 2015). Dies erklärt vielleicht die fünf Essigfässchen im Historischen Museum in Speyer.

Abb. 15: Gemarktes Essigfässchen aus der Produktion von Oppenau in Baden-Württemberg. Liechtensteinisches Landesmuseum Vaduz (Heege 2016, Abb. 318).

Der einzige gesicherte Hinweis auf eine Fertigung ausserhalb von Betschdorf ist ein gemarktes Fässchen (Abb. 15) aus der Fabrik Oppenau im mittleren Schwarzwald (LLM Inv. 2007/88). Es hat eine Gesamtlänge von 25 cm, eine Höhe von 19,5 cm von der Standfläche bis zum Rand der Einfüllöffnung und einen maximalen Durchmesser von 18,2 cm. Das Füllvolumen beträgt 4,2 l. Der Körper des Fässchens ist durch umlaufende Rillen in Zierzonen gegliedert, die einerseits flächig geblaut oder unverziert belassen wurden oder andererseits unterschiedlichen vegetabilen Dekor tragen. Das zugedrehte, rundliche Ende trägt ein Blumenmotiv, das flache Ende mit den Abschneidespuren trägt Kreisbögen und eine stark stilisierte Blüte in der Mitte. Auf der Oberseite über dem runden Ende wurde vor der Bemalung eine «2» eingeritzt (Wurfzahl). Auf der Gefässschulter direkt über der Auslassöffnung wurde vor dem Brand ein Siegel oder ein Petschaft etwas unsauber eingedrückt. Dessen Durchmesser beträgt etwa 2,8 cm. Es trägt die Umschrift «FABRIK OPPENAU» und zeigt das gekrönte, grossherzoglich-badische Wappen. Von Oppenau ist nur ein weiteres gemarktes Objekt bekannt. Es befindet sich im Augustinermuseum in Freiburg im Breisgau (Inv. 8571: Blanc 2013b, 41 Abb. 24; Blanc 2013a, 421 Abb. 10 und 11). Die Steinzeugfabrik in Oppenau wurde 1824 eröffnet und in den folgenden Jahren auch mit personeller Unterstützung aus Betschdorf betrieben, was die Produktion dieses Gefässtyps erklären dürfte.

Erst in allerjüngster Vergangenheit konnten im Zusammenhang mit Fehlbrandmaterial der «Reichsgräflich von Hochbergischen Stein-Geschirr-Fabrik» in Bad Rotenfels (1802–1816), deren enge Beziehungen zu Betschdorf schon seit längerer Zeit bekannt sind, ebenfalls Fragmente von Essigfässchen gesichert werden, was den angenommenen Produktionsbeginn um 1800 zusätzlich argumentativ stützt (Blanc 2015).

Das Absatzgebiet der vierfüssigen Essigfässchen ist beim momentanen Forschungsstand wohl mit Elsass, Oberrhein, Teilen der ehemaligen Kurpfalz, Südwestdeutschland, Deutschschweiz, Teilen der Westschweiz sowie Liechtenstein und angrenzenden Bereichen Vorarlbergs zu umreissen. Keine Nachweise scheint es bislang für den gesamten nordwestdeutschen Raum, die Region Trier, Hessen, Thüringen, Sachsen, den bayerischen bzw. oberbayerischen Raum, das Allgäu und Südtirol zu geben. Unklar ist vor allem, wie weit der Absatz nach Württemberg und Vorarlberg hineinreichte, ob er den tirolerischen Raum erreichte und wie weit er im Westen auch weitere Teile Frankreichs umfasste.

Schnaps und Essigfässchen als Film-Ausstattung (Nachweis für Nutzung in Bayern? Ab Minute 9:35)

Dank

Ich danke Maurice Schmitter, Betschdorf, für die freundlichen Informationen sowie die Überlassung des Bildes Abb. 10 und des Warenverzeichnisses Abb. 11. Dank geht auch an Patrick Schlarb für den Hinweis auf Abb. 14 und Eva Blanc für wichtige Diskussionen rund um das Fässchen Abb. 15.

Bibliographie:

Bastelaer 1884/1885
Désiré-Alexandre van Bastelaer, Les grès wallons. Grès-céramique-orné de l’ancienne Belgique ou des Pays bas, improprement nommés Grès-flamands, Mons, Bruxelles 1884/1885.

Blanc 2013a
Eva Blanc, Die Steinkrugfabrik in Oppenau (1824-1878/80), in: Die Ortenau. Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden 93, 2013a, 403-428.

Blanc 2013b
Eva Blanc, Die Steinkrugfabrik in Oppenau (1824–1878/80). Geschichte und Erzeugnisse (online-publikation: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-68999), Tübingen 2013b.

Blanc 2015
Eva Blanc, Die keramischen Erzeugnisse der Reichsgräflich von Hochbergischen “Stein-Geschirr-Fabrik” in Rotenfels (1802-1816). Tübingen 2015.

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Dippold/Zühlcke/Scheja 2008
Christine Dippold/Sabine Zühlcke/Dagmar Scheja, Westerwälder Gebrauchsgeschirr von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre. Teil 1: Texte und Firmenverzeichnis. Teil 2: Katalog der Gefässe und Nachdrucke ausgewählter Warenverzeichnisse, Nürnberg 2008.

Ernewein/Dietrich-Schneider 2006
Jean-Louis Ernewein/Caroline Dietrich-Schneider, La poterie de grès au sel, Haguenau 2006.

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Pierre-Marie Favelac, Poteries rustiques Saint-Ouen l’Aumône o. J.

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Jean Faviere/Georges Klein, Grès traditionnels d’ Alsace et d’ailleurs. Katalog zur Ausstellung, Strasbourg 1978.

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Emanuel Friedli, Bärndütsch als Spiegel bernischen Volkstums, Vierter Band: Ins (Seeland 1. Theil), Bern 1914.

Geier 1828
Peter Philipp Geier, Lehrbuch der Landwirthschaft, Sulzbach 1828.

Grasmann 2010
Lambert Grasmann, Die Hafner auf dem Kröning und an der Bina, Straubing 2010.

Heege 2009
Andreas Heege, Steinzeug in der Schweiz (14.–20. Jh.). Ein Überblick über die Funde im Kanton Bern und den Stand der Forschung zu deutschem, französischem und englischem Steinzeug in der Schweiz, Bern 2009.

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Andreas Heege, Essigsäuli-Essigfässchen-baril à vinaigre-vinaigrier. Eine elsässische Keramik-Sonderform aus Steinzeug “Westerwälder Art”, in: Harald Siebenmorgen, Blick nach Westen. Keramik in Baden und im Elsass. . 45. Internationales Symposium Keramikforschung Badisches Landesmuseum Karlsruhe 24.8.-28.8.2012, Karlsruhe 2013, 99-105.

Heege 2016
Andreas Heege, Die Ausgrabungen auf dem Kirchhügel von Bendern, Gemeinde Gamprin, Fürstentum Liechtenstein. Bd. 2: Geschirrkeramik 12. bis 20. Jahrhundert, Vaduz 2016.

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Andreas Heege, Keramik der Neuzeit in Graubünden, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 80, 2023, 77-134.

Kaltenberger 2009
Alice Kaltenberger, Keramik des Mittelalters und der Neuzeit in Oberösterreich (Nearchos 17 = Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich, Folge 23), Innsbruck 2009.

Kerkhoff-Hader 1980
Bärbel Kerkhoff-Hader, Lebens- und Arbeitsformen der Töpfer in der Südwesteifel. Ein Beitrag zur Steinzeugforschung im Rheinland (Rheinisches Archiv 110), Bonn 1980.

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Georges Klein, Poteries populaires d’Alsace, Strassburg 1989.

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Ulrich Klever, Alte Küchengeräte, München 1979.

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Johann Georg Krünitz, Oeconomische Encyclopädie, oder allgemeines System der Staats-Stadt-Haus- u. Landwirthschaft, in alphabetischer Ordnung, Bd. 11, Berlin 1777.

Mahon 1988
Catherine Mahon, Elsässische Tonwaren, Betschdorf, Souflenheim, Molsheim 1988.

Mayer 1895
Adolf Mayer, Lehrbuch der Agrikulturchemie in Vorlesungen, Heidelberg 1895.

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Hans-Jürgen Moser, Bad Rotenfels. Bilder und Texte aus vergangenen Tagen, Ettlingen 1991.

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Rixenecker 1973
Albrecht Rixenecker, Die Einwohner von Klarenthal-Krughütte, 1662-1830 (Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für saarländische Familienkunde im Historischen Verein für die Saargegend e.V., Sonderband 6), Klarenthal 1973.

Roehmer 2017
Marion Roehmer, Vivat! – Ein Trinkfässchen im Bestand des Clemens-Sels-Museums Neuss, in: Christoph Rinne/Jochen Reinhard/Eva Roth Heege u.a., Vom Bodenfund zum Buch. Archäologie durch die Zeiten. Festschrift für Andreas Heege (Historische Archäologie, Sonderband ), Bonn 2017, 307-313.

Schmitter 1965
Marcel Schmitter, La poterie de grès d´Alsace, in: Artisans et ouvries d´Alsace (Publications de la Société d´Alsace et des régions de L´Est IX), Strasbourg 1965, 325-334.

Schmitter 1982a
Marcel Schmitter, Die elsässischen Steinzeugtöpfer, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 24, 1982a, 37-64.

Schmitter 1982b
Marcel Schmitter, Origine des potiers de gres d’Alsace, in: Bulletin du cercle genealogique d’Alsace 60, 1982b, 565-574.

Seewaldt 1990
Peter Seewaldt, Rheinisches Steinzeug. Bestandskatalog des Rheinischen Landesmuseums Trier, Trier 1990.

Spiegel 1969
Hans Spiegel, Eine Betrachtung zur Geschichte des Steinzeugs und ein Beitrag zur Geschichte der Pfälzischen und Saarlandischen Produktionsstätten (mit Beispielen aus den Sammlungen des Historischen Museums der Pfalz), in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 67, 1969, 256-273.

Strauss/Aichele 1992
Konrad Strauss/Frieder Aichele, Steinzeug (Battenberg Antiquitäten-Kataloge), Augsburg 1992.

Trepesch 2001
Christof Trepesch, Steinzeug aus Krughütte, in: Peter Nest, Glas und Ton für Kunst und Lohn. Ein kulturgeschichtlicher Überblick von Saarbrücken bis Völklingen und Warndt, Saarbrücken 2001, 97-105.

 

 

Gebäckmodel, Springerlemodel, Quittenpastenmodel

Der Heilige Nikolaus von Myra steigt auf eine Leiter, um bereitgestellte Körbe, Taschen und Strümpfe mit Süssigkeiten für Kinder zu füllen. Sein schon beladener Esel frisst inzwischen Heu aus einer Krippe (RMC XI.A414).

Andreas Heege 2019

Gebäckmodel in CERAMICA CH

Für die Verzierung von Speisen, vor allem aber von Gebäck, nutzte man in Mitteleuropa  sowohl im privaten Haushalt wie im handwerklichen Rahmen (Lebküchner, Honigkuchenbäcker, Apotheker) spätestens seit dem 15. Jahrhundert Model aus unterschiedlichsten Materialien (Stein, Metall, Holz, Keramik) und in unterschiedlichsten Grössen und Formen. Die Model wurden von spezialisierten Modelschneidern, Bildschnitzern oder Bossierern hergestellt, wobei nahezu identische Motive sowohl negativ in Holz geschnitzt  als auch als positive Keramikpatrizen zur Herstellung von Modeln gefertigt wurden. Mit solchen Holz- oder Keramikmodeln konnte man unterschiedliche Gebäcke  wie  Spekulatius, Lebkuchen, Biber, Tirggel, Springerle und Anisbrötchen verzieren, Mandel- oder Eierkäse backen, aber auch Marzipan und Tragant formen  (Brunold-Bigler 1985; Klever 1979; Widmer/Stäheli 1999, 29, 32-37) und Quittenpaste/”Quittenzeltlein”, eine Art süssen Fruchtkonfekt (Latwerge), herstellen (Bernerisches Koch-Büchlein 1749, Rezept 303; Morel 2000, 101). Selbstverständlich war es möglich, mit den Modeln auch Wachsbilder auszuformen oder Kerzenoberflächen zu verzieren. Mit Ton ausgeformt, liessen sich die Motive auch als Reliefdekor in der Keramikherstellung einsetzen (Heege/Kistler 2017b, 244-248,  Abb. 335 und 345, 590 Abb. 715; Widmer/Stäheli 1999, 37-38).

In der Deutschschweiz war vor allem die Bossierer-Werkstadt Stüdlin in Lohn bei Schaffhausen berühmt für ihre vielfältige und schöne Modelkollektion  (Widmer/Stäheli 1999).

Sehr oft begegnen Liebes- und Treuemotive. Die Produkte der Werkstatt, von der sowohl signierte Patrizen als auch Model zahlreich in schweizerischen Museen überliefert sind, werden gemeinhin als “Lohner-Model” subsummiert, auch wenn bis heute die Zuschreibung ausschliesslich auf stilistischer  Grundlage erfolgt ist, da z.B. Bodenfunde aus Lohn fehlen.  Die Masse der zugeordneten Model ist unglasiert und aus einem rötlich brennenden, feinen Ton hergestellt.

Unklar ist, ob auch die oft weniger aufwendig gestalteten, innen glasierten Model, die wohl vor allem für die Herstellung von Fruchtgelees oder Quittenpaste verwendet wurden, ebenfalls in Lohn (Widmer/Stäheli 1999, 34) oder nicht doch auch in weiteren schweizerischen oder süddeutschen Hafnerwerkstätten hergestellt wurden.

Das “Urteil des Salomo” (Bibel; 1 Kön 3,16-28): Zwei Frauen streiten vor Salomo um ein Kind. Die Lösung des Falles ging als “salomonisches Urteil” in die Weltliteratur ein. Als Tugendpersonifikation steht Salomo für Weisheit und Gerechtigkeit (ME-STM 1646).

Auch in Bezug auf die grossformatigeren, runden Model mit Lorbeerkranzeinfassung ist zu fragen, ob sie nicht oft älter sind als der erste archivalische Nachweis der Hafner Stüdlin aus den 1650er-Jahren, da es ältere datierte Holz- und Metallmodel mit gleicher Gestaltung z.B. im Museum Allerheiligen in Schaffhausen schon aus der Mitte des 16. Jahrhunderts  gibt (z. B. H5363, H15483).

Bibliographie:

Bernerisches Koch-Büchlein 1749
Bernerisches Koch-Büchlein (Nachdruck 1970), Bern 1749.

Brunold-Bigler 1985
Ursula Brunold-Bigler, “Trukhs in die Mödel”: Bemerkungen zur Gebäckmodelsammlung des Rätischen Museums, in: Jahrbuch der Historisch-Antiquarischen Gesellschaft von Graubünden 115, 1985, 43-66.

Heege/Kistler 2017
Andreas Heege/Andreas Kistler, Keramik aus Langnau. Zur Geschichte der bedeutendsten Landhafnerei im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 13), Bern 2017.

Klever 1979
Ulrich Klever, Alte Küchengeräte, München 1979.

Morel 2000
Andreas Morel, Basler Kost. So kochte Jacob Burckhardts Grossmutter (178. Neujahrsblatt, herausgegeben von der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige), Basel 2000.

Widmer/Stäheli 1999
Hans Peter Widmer/Cornelia Stäheli, Schaffhauser Tonmodel. Kleinkunst aus der Bossierer-Werkstatt Stüdlin in Lohn, Schaffhausen 1999.

Giesskanne (Sprenzhafen)

Andreas Heege, 2020

Keramische Giesskannen sind seit dem späten Mittelalter bzw. der frühen Neuzeit bekannt. Sie stellen gleichwohl grosse Seltenheiten dar und sind bis heute nicht zufriedenstellend monographisch bzw. in ihrem funktionalen Kontext bearbeitet (vgl. z.B. eine Giesskanne aus Lüneburg: Kühlborn 1996; Kröll 2002; Kröll 2012, 68-70, Taf. 47,1.2 mit umfassenderer Literatur. Auch: Pearce/Vince/Jenner 1985, Fig. 77; Gross 2007, S. 39 Abb. 4; Moorhouse 1991, 106-108; Salesch 1999a, Abb. 7). Das liegt vermutlich daran, dass zerbrochene Objekte oft nicht als solche erkannt werden oder die Funktion der Objekte nicht richtig gedeutet wird. Dies dürfte auch damit zusammenhängen, dass die altertümlichen Giesskannen sich in ihrem äusseren Erscheinungsbild grundlegend von dem unterscheiden, was wir heute als Giesskanne bezeichnen würden, nämlich ein Gefäss mit Tragebügel oder massivem Henkel und röhrenförmigem, vorne oft siebförmig gestaltetem Ausguss, meist aus Metall oder heute aus Plastik und nur sehr selten auch aus Keramik (Hillenbrand/Spies 1965, Abb. 100 Taf. XXXVII; Scheufler 1972, Taf. V, Nr. 97-99 und Abb. 75; Böhmer 2006, 99, Abb. 101-102; Moorhouse 1991, Fig. 9,6,B).

Es gibt jedoch im elsässisch-baden-württembergischen Raum eine weitere Giesskannenform aus engobierter und bemalter Irdenware, “Sprenzhafe” genannt, deren Funktion nach den vorliegenden Berichten nicht oder nicht nur zum Bewässern der Blumen gedacht war. Vielmehr verwendete man solche Gefässe innerhalb des Hauses zur Befeuchtung der Stubenfussböden vor dem Kehren.  Das Wasser, das aus zwei Löchern im Boden des Gefäßes abfloss, diente als Bindemittel für den feinen Staub, den der zertretene Sand bildete, mit dem die Fußböden nach der Reinigung neu eingestreut wurden. Aus dem Elsass sind einige bemalte Objekte mit Malhorndekor und Sprüchen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt (Klein 1976, 121-122, Abb. 6,1; Klein 1989, 263, Taf. 173:  “Arrosoir de chambre – Pot en forme de mamelle de vache et d’entonnoir avec un trou d’écoulement à la base pour arroser la chambre avant de balayer afin de ne pas faire lever la poussière”). Eines dieser Stücke trägt passende Aufschriften:

Mädchen steht auf
und koch die sub (Suppe)
melk die kuh
und feg die Stub

Sieh an das mädchen
von wunder an
wie es die stube fegen kann
es fegt alle winkel aus
und tragt auch den träk (Dreck) hinaus.

Erstaunlicherweise fehlen “Sprenzhäfen” in den bebilderten Verkaufskatalogen aus Soufflenheim, Elsass (Legendre/Maire 1996 und 2010), ohne, dass der Grund dafür erkennbar wäre.

Ein formal identisches Objekt verwahrt das MAHN (Inv. MAHN AA 3277, siehe Titelbild). Es dürfte ebenfalls aus dem Elsass stammen, auch wenn es schon 1910 in Biel als bernische Keramik verkauft wurde (Blaettler/Ducret/Schnyder 2013, 200 Pl. 79,2). Jedenfalls haben sich bis heute in keinem weiteren schweizerischen Museum solche Sprenzhäfen gefunden, deren Dekor eindeutig als bernisch oder heimbergisch eingestuft werden könnte.

Aus dem baden-württembergischen Oppenau stammt möglicherweise ein Sprenzhafen aus kobaltblau bemaltem Steinzeug “Westerwälder Art” (Blanc 2013, 45 Abb. 27). Es ist also damit zu rechnen, dass es weitere Produktionsorte dieser Gefässform mit Spezialfunktion gegeben haben sollte.

Frz.: Arrosoir pour la maison

Engl.:  Watering pot

 

Bibliographie:

Blanc 2013
Eva Blanc, Die Steinkrugfabrik in Oppenau (1824–1878/80). Geschichte und Erzeugnisse (online-publikation: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-68999), Tübingen 2013.

Böhmer 2006
Herbert Böhmer, Die Ilzer Hafner. Schwarzgeschirr aus Passau vom Ende des 16. bis Ende des 19. Jahrhunderts, Grafenau 2006.

Gross 2007
Uwe Gross, Nochmals zur “Rotbemalten Buocher Feinware”, in: Buocher Hefte, 27. Jahrgang, 2007, 34-48.

Hillenbrand/Spies 1965
Karl Hillenbrand/Gerd Spies, Hafnerware in Südwestdeutschland (Der Museumsfreund. Aus Heimatmuseen und Sammlungen in Baden-Württemberg 6), Stuttgart 1965.

Klein 1976
Georges Klein, Formgebung, Schmuckmotive und Sinnbilder der elsässsischen volkstümlichen Keramik in Bezug auf Brauchtum im Jahres- und Lebenslauf, in: Ingolf Bauer, Volkstümliche Keramik aus Europa: Zum Gedenken an Paul Stieber, München 1976, 114-128.

Klein 1989
Georges Klein, Poteries populaires d’Alsace, Strassburg 1989.

Kröll 2002
Karola Kröll, Scheinbar wider die Schwerkraft (eine Giesskanne), in: Denkmalpflege in Lüneburg 2002, 2002, 50-51.

Kröll 2012
Karola Kröll, Die frühneuzeitliche Gefässkeramik der Lüneburger Töpferei “Auf der Altstadt 29” (Archäologie und Bauforschung in Lüneburg 8), Rahden 2012.

Kühlborn 1996
Marc Kühlborn, Keramik und Glasfunde der Fundstelle “Auf der Altstadt 29”, in: Frank Andraschko/Hilke Lamschus/Christian Lamschus u.a., Ton, Steine, Scherben (De Sulte 6), Lüneburg 1996, 41-70.

Legendre/Maire 1996
Jean-Pierre Legendre/Jean Maire, La céramique de Soufflenheim (Bas-Rhin) du milieu du XIXe siècle au début du XXe siècle. Typologie de la production et éléments de chronologie, in: Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 39, 1996, 139-170.

Legendre/Maire 2010
Jean-Pierre Legendre/Jean Maire, Nouveaux éléments pour la chronologie de la céramique de Soufflenheim au XIXe et auch XXe siècle, in: Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 53, 2010, 161-175.

Moorhouse 1991
Stephen Moorhouse, Ceramics in the medieval garden, in: Anthony E. Brown, Garden archaeology (CBA Research Report 78), London 1991, 100-117.

Pearce/Vince/Jenner 1985
Jacqueline Pearce/Alan G. Vince/M. Anne Jenner, A dated type-series of London Medieval pottery Part 2: London-Type Ware (London and Middlesex Archaeological Society, Special Paper 6), London 1985.

Salesch 1999a
Martin Salesch, Gartenarchäologie in Westfalen, in: Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 9/C, 1999, 231-244.

Scheufler 1972
Vladimír Scheufler, Lidové hrnčířstvi v českých zemích – Volkstümliche Töpferei in den böhmischen Ländern, Prag 1972.

 

Krokustopf

Andreas Heege 2019

Krokustöpfe oder Töpfe für andere Blumen mit Zwiebeln sind formal leicht mit „Zwiebeltöpfen“ oder „Petersilientöpfen“ zu verwechseln.

In England gibt es Steingutgeschirr in Form von Bienenstöcken und Igeln mit charakteristischen Löchern, die dort jedoch als „Crocus-pots“ bezeichnet werden. Sie datieren ab ca. 1815 und dienten also offenbar als Spezialtöpfe für Frühlingskrokusse oder ähnliche Blumen mit Zwiebeln (Reilly 1995, 124).

Krokustöpfe, Töpferei Lehmann-Söhne, Soufflenheim, Elsass, Preisliste ca. 1920/30 (Reproduktion Andreas Heege).

Ähnliche Funktion scheinen auch zwei Topftypen zu haben, die sich im Warenkatalog der Keramikfirma Lehmann-Söhne, Soufflenheim, Elsass, aus der Zeit um um 1920/30 finden. In älteren Soufflenheimer Katalogen begegnen diese nicht (vgl. Legendre/Maire 1996; Legendre/Maire 2010; ich danke Jean-Pierre Legendre für die Überlassung von Katalogkopien Soufflenheimer Hersteller).

Bibliograpie

Legendre/Maire 1996
Jean-Pierre Legendre/Jean Maire, La céramique de Soufflenheim (Bas-Rhin) du milieu du XIXe siècle au début du XXe siècle. Typologie de la production et éléments de chronologie, in: Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 39, 1996, 139–170.

Legendre/Maire 2010
Jean-Pierre Legendre/Jean Maire, Nouveaux éléments pour la chronologie de la céramique de Soufflenheim au XIXe et au XXe siècle, in: Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 53, 2010, 161–175.

Reilly 1995
Robin Reilly, Wedgwood: The new illustrated dictionary, Woodbridge 1995.

Nachtlampe, Veilleuse

Andreas Heege, 2020

Veilleuses in CERAMICA CH

Der Begriff “Veilleuse” stammt vom französischen Wort “veiller” = “wachen” und bezeichnet ein Mehrzweckgerät bestehend aus einem Unterteil (réchaud) meist mit Griffen, Griffschalen oder Griffknubben, einem Einsatz in Form einer Teekanne oder einer Ohrenschale mit Deckel und einer Wärmequelle/Lampe/Brenner, die man in die untere Öffnung des Réchauds einschieben konnte (alle Informationen nach Ducret 2010).

Funktional spendete die Veilleuse einerseits etwas Licht, andererseits liess sich damit ein Nachtgetränk warmhalten.

Es handelt sich um  einen Gefässtyp, der in Museumssammlungen recht häufig vertreten ist. Nachtlampen lassen sich in  Porzellan, Fayence oder Steingut  seit mindestens der Mitte des 18. Jahrhunderts nachweisen.  Eher selten wurden sie als Kopien nach Steingutvorbildern auch in Irdenware hergestellt (vgl. MPE 1841). Sie wurden in zahlreichen  europäischen Manufakturen produziert (Newmann 1967). Besonders häufig sind in der Schweiz Exemplare aus den süddeutschen Manufakturen Schramberg (siehe auch Musterbuch Schramberg I, Nr. 137 und II, Nr. 185-186) sowie Zell am Harmersbach. Aus schweizerischer Produktion kennen wir Nachtlampen vor allem aus der Fayence-Produktion von Beromünster LU (Ducret 2010) aber auch aus Zürcher Porzellan (Bösch  2003, Kat. 4.32) und aus der Schellerschen Manufaktur in Kilchberg-Schooren (Musterbuch, Nr.  33) bzw. Carouge (MHL AA.46.B.30) in Steingut .

Synonym: Stövchen, Nachtlicht

Frz.:  Tisanière veilleuse, réchaud

Engl.:   Food-warmer, beverage warmer

Bibliographie:

Bösch 2003
Franz Bösch, Zürcher Porzellanmanufaktur 1763-1790, Porzellan und Fayence, Bd. 1 und 2, Zürich 2003.

Ducret 2010
Peter Ducret, Fayence Veilleusen aus Beromünster, in: Keramikfreunde der Schweiz Mitteilungsblatt 123, 2010, 3-14.

Newman 1967
Harold Newman, Veilleuses 1750-1860, a definitive review of ceramic food and tea warmers of the 18th and 19th centuries, South Brunswick 1967.

 

Petersilientopf

Andreas Heege 2019

Petersilientöpfe, die der Anzucht dieses Küchenkrauts dienten, sind formal leicht mit „Zwiebeltöpfen“ oder „Krokustöpfen“ zu verwechseln.

Abb. 1 Krokustöpfe, Töpferei Lehmann-Söhne, Soufflenheim, Elsass, Preisliste ca. 1920/30 (Reproduktion Andreas Heege).

Letztere fanden sich im Warenkatalog der Keramikfirma Lehmann-Söhne, Soufflenheim, Elsass, aus der Zeit um um 1920/30 finden (Abb. 1). In älteren Soufflenheimer Katalogen begegnen diese nicht (vgl. Legendre/Maire 1996; Legendre/Maire 2010; ich danke Jean-Pierre Legendre für die Überlassung von Katalogkopien Soufflenheimer Hersteller).

Abb. 2 Petersilientopf, Töpferei Emil Scheydecker, Soufflenheim, Elsass, Preisliste um 1900 (Reproduktion Andreas Heege).

Dagegen findet sich dort im späten 19. Jahrhundert einmal ein unglasierter „Petersilientopf“, der wohl für die Anzucht von Petersilie auf dem Fensterbrett gedacht war (Abb. 2).

Abb. 3 Petersilientopf, Bodenfund aus Basel (Historisches Museum Basel, Inv. 1963-87, Foto Andreas Heege)

Da zahlreiche Soufflenheimer Keramiken ebenfalls kleine, gebogene Grapenfüsse aufweisen, möchte ich annehmen, dass es sich bei einem angeblichen Bodenfund aus der Aeschenvorstadt in Basel, der heute im Historischen Museum in Basel verwahrt wird, um einen solchen Petersilientopf handelt (Abb. 3; MKB 1963.87).

Zum Petersilientopf vgl. auch Endres 1996, 141 Abb. 243.

Bibliograpie

Endres 1996
Werner Endres, Gefässe und Formen. Eine Typologie für Museen und Sammlungen (Museums-Bausteine 3), München 1996.

Legendre/Maire 1996
Jean-Pierre Legendre/Jean Maire, La céramique de Soufflenheim (Bas-Rhin) du milieu du XIXe siècle au début du XXe siècle. Typologie de la production et éléments de chronologie, in: Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 39, 1996, 139–170.

Legendre/Maire 2010
Jean-Pierre Legendre/Jean Maire, Nouveaux éléments pour la chronologie de la céramique de Soufflenheim au XIXe et au XXe siècle, in: Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 53, 2010, 161–175.

Schüsselförmige Deckel

 

Glutstülpen, Backglocken, Kartoffelbräter, Backdeckel, Brotbackdeckel?

Schüsselförmige Deckel in CERAMICA CH

Andreas Heege 2019

Dieser Deckeltyp ist zahlreich aus archäologischen Fundstellen und nur ausgesprochen selten in musealen Zusammenhängen überliefert (RMC H1975.396, RML B76). Die Typbezeichnung «schüsselförmiger Deckel» wurde mangels eines eindeutigen zeitgenössischen Begriffes gewählt, da die Objekte aus Schüsselformen bestehen, an deren Boden meistens ein weit gespannter Bügelgriff angebracht ist (Heege 2016, Kat. 269–296; Abb. 207,1–17). Knopfförmige Knäufe sind dagegen selten (Heege 2016, Kat. 279). Bei der Mehrzahl der Deckel können ein oder zwei Lüftungslöcher, oft am Ansatz des Bügelgriffes oder in 90-Grad-Stellung dazu, beobachtet werden. Diese erlauben, die Luftzirkulation und die Sauerstoffversorgung für Glut, die sich unter dem Deckel befand. Der Aussenrand und die Innenseite der Deckel weisen sehr oft Verrussungsspuren auf, was auch für eine Funktion als Glutstülpe sprechen könnte. Dagegen fehlen eindeutige Russ- oder Brandspuren auf der Aussenseite. Diese ist meist ohne bzw. mit weisser oder roter Grundengobe farblos oder grün glasiert. Es kommen auch Malhorndekor, Farbkörper in der Grundengobe und Manganglasur sowie eine grob gemagerte Kochgeschirr-Variante vor (Heege 2016, Abb. 203). Dagegen gibt es erstaunlicherweise kein einziges Individuum in hellscherbiger Irdenware, d.h. aus süddeutscher Produktion.

Da es sich mit den entsprechend grossen Randdurchmessern um Schüsselformen handelt, lässt sich auf diesen Deckeltyp auch die Schüsseltypologie anwenden. Es kommen Schüsseln mit fast horizontalem Rand (De-sch-SR 11, Randdurchmesser 30 cm; Heege 2016, Kat. 270; Abb. 209,1), Übergangsformen zu schräg nach aussen abgestrichenen Rändern (De-sch-SR 11 Var./SR 12c, Randdurchmesser 24 cm; Heege 2016, Kat. 269; Abb. 209,2) und fast senkrecht oder schräg abgestrichene Ränder (De-sch-SR 12c, Randdurchmesser 26 bis 27 cm; Heege 2016, Kat. 271–273; Abb. 209,4) vor. Letztere unterscheiden sich nicht sehr deutlich vom folgenden, mengenmässig dominierenden Schüsseltyp mit einem ausgeprägten Kragenrand und Malhorndekor auf roter Grundengobe (De-sch-SR 17, Randdurchmesser 19,5 bis 34 cm; Heege 2016, Kat. 274–279; Abb. 209,3.7.8). Daneben gibt es Exemplare mit aussen leistenartig verdickten und entweder profilierten (De-sch-SR 19, Randdurchmesser 26 bis 32 cm; Heege 2016, Kat. 280–282; Abb. 209,5.6.9), glatten (De-sch-SR 22, Randdurchmesser 17 bis 34 cm; Heege 2016, Kat. 283–286; Abb. 209,10.11.13) oder gekehlten Randaussenseiten (De-sch-SR 23; Heege 2016, Kat. 287–289; Abb. 209,12.14.15). Vor allem die Häufung der Schüsselform SR 17 gibt in Verbindung mit den Dekoren einen Hinweis auf eine überwiegende Zeitstellung im 19. Jahrhundert, was durch das einzige in das Jahr 1882 datierte Museumsexemplar aus dem Rätischen Museum in Chur (RMC H1975.396) bestätigt wird. Dieses wurde in Schaan im Antiquitätenhandel erworben. Die Datierung dieser Gefässform ins 19. Jahrhundert kann durch weitere archäologische Bodenfunde z.B. aus Schloss Hallwil AG (Lithberg 1932, Taf. 297,E.) gestützt werden. Uwe Gross hat ähnliche Deckel aber mit abweichenden Randformen, sowohl mit symmetrisch bogenförmigen als auch mit asymmetrischen Griffen aus einem vor 1817 entstandenen Fundkomplex in Schwäbisch Gmünd veröffentlicht (Gross 1999, 679, Abb. 16,19.20.22). Diesem Vorkommen in Baden-Württemberg lassen sich z. B. weitere, wohl vor 1808 in den Boden gelangte Exemplare aus Lobenfeld und weniger präzise zu datierende Stücke aus Edingen-Neckarhausen anschliessen (Gross 2001, Abb. 238,10–12; Gross 2003, Taf. 20,4–6; Gross 2012, 166, Taf. 9,8). Deckel mit asymmetrischen Griffen zeigt auch eine 1843 datierte Darstellung einer baden-württembergischen oder bayerischen Hafnerwerkstatt (Bauer 1980, Abb. 11.), die durch ein Deckelhalbfabrikat aus der Hafnerei Griesser in Dirlewang im Unterallgäu und ein Museumsstück aus Lauingen ergänzt werden kann (Czysz/Endres 1988, 199 Kat. 264, 224 Kat. 342. Vgl. auch Grasmann 2010, Taf. 3,8). Vermutlich handelt es sich auch bei einem unglasierten Objekt aus der Alten Landvogtei in Riehen um einen vor 1807 abgelagerten schüsselförmigen Deckel (Matteotti 1994, Taf. 3,23), der in der Region Basel offenbar keinen Einzelfall darstellt (Springer 2005, Taf. 8,194, eventuell auch 195). Diesem können auch auf weisser Grundengobe aussen grün glasierte Exemplare aus dem Unterhof in Diessenhofen (Junkes 1995, Abb. 224,236.238.239), von der Burg Hohenklingen bei Stein am Rhein (Heege 2010a, Kat. 159, 227, 903, 904, 1126, 1252) bzw. aus einer münzdatierten Kloake des 18./19. Jahrhunderts in Grüsch (Gredig 1992, Abb. 7 unten) angeschlossen werden. Parallelen liegen auch aus dem bis ins 19. Jahrhundert genutzten Gehöft Balmli bei Illgau SZ (Keller 1998, Fig. 192,60) bzw. malhornverziert aus Grabungen in Langenthal (unveröffentlicht) und Herzogenbuchsee (Baeriswyl/Heege 2008, Abb. 28,77) vor. Unter den Funden der Brunngasshalde in Bern (1787–1832) gibt es ebenfalls Fragmente schüsselförmiger Deckel (Heege 2010b, Abb. 84). Eine über eine gläserne Maggiflasche ins späte 19. Jahrhundert zu datierende Kellerfüllung in Steffisburg, Höchhus Nr. 17, enthielt ebenfalls ein gutes Vergleichsobjekt (Boschetti-Maradi/Gutscher 2004, Abb. 203,27).

Aus Heimberg stammt auch der jüngste datierte Hinweis für die Gefässform und der einzige sichere Produktionsnachweis. Auf einem Töpfereifoto von 1917 sind im Hintergrund schüsselförmige Deckel zu erkennen, die zum Trockenen an die Sonne gebracht worden sind. Möglicherweise handelt es sich um Stücke wie der erhaltene Deckel mit schwarzen und weissen Horizontalstreifen aus dem Regionalmuseum in Langnau (RML B76).

Wir haben es also offenbar mit einem in der ganzen(?) Deutschschweiz verbreiteten Gefässtyp überwiegend des 19. und noch des frühen 20. Jahrhunderts zu tun. Zu diesem finden sich allerdings quellenbasiert (z. B. Kochbücher oder Lebensbeschreibungen) keine eindeutigen funktionalen Anhaltspunkte. Ein schüsselförmiger Deckel, möglicherweise aber aus Metall, findet sich auf dem Bild des Basler Kochs J. J. Bachofen, 1809 (Morel 2000, 157 Abb. 23). Die Herleitung dieses Gefässtyps von den älteren, aber in der Deutschschweiz eher seltenen, keramischen Glutstülpen liegt nahe, bedürfte jedoch des Nachweises einer kontinuierlichen Formüberlieferung mit einem allmählichen Funktionswandel (Vgl. keramische Glutstülpen in der Schweiz: Obrecht 1993, 50 Kat. 12, vor 1400?; Helmig/Jaggi/Keller u.a. 1998, 100 und 101, Kat. 103–108, 16. Jahrhundert?, Inventar mit Malhornwaren; Keller 1999, Taf. 88,1, um 1500, frühes 16. Jahrhundert?, Inventar mit Tellern!; Eggenberger/Tabernero/Doswald u.a. 2005, 245 Kat. 276, vor 1594; Reding 2005, Taf. 2,24, vor 1402). Lediglich Leopold Rütimeyer verweist 1924 in seiner Ur-Ethnographie der Schweiz auf metallene Backglocken oder auf solche aus Lavez im nördlichen Italien, d. h. der Grenzregion zur Schweiz (Rütimeyer 1924, 254–263).

Für ähnliche Objekte, die in Soufflenheim im Elsass im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert als Glocken bzw. «Cloches» (Decker/Haegel/Legendre u.a. 2003, 43) oder «Etouffoir-cloche» (Undatierter Verkaufskatalog der Firma L. Lehmann & Fils, Soufflenheim, nach 1918, Nr. 74). bezeichnet wurden, gibt es den Hinweis, dass sie entgegen der letzten Bezeichnung nicht (nur?) als Glutstülpe («Couvre-feu»), sondern vor allem als Backglocke zum Braten von Kartoffeln («destiné à la cuisson des pommes des terre dans l’âtre») verwendet wurden (Legendre/Maire 1996, 153 basierend auf Favelac o. J., 33).

Denkbar wäre jedoch auch das Backen von Brot (Stockar 1951, 141 und 142; Mohs 1926, 18–20; Cubberly 1995, 60–66) oder das Garen von Fleisch oder Gemüse, wie es bereits seit antiker Zeit im mediterranen und osteuropäischen Raum und noch heute in Kroatien üblich ist (Backglocken im pannonisch-siebenbürgischen Raum: Gavazzi 1965; Balassa/Ortutay 1982, Abb. 33. Zusammenfassend mit Belegen seit der späten Bronze- und frühen Eisenzeit Osteuropas: Wawruschka 2011). Die zunächst über glühender Holzkohle oder in der Asche des Herdfeuers aufgeheizte und anschliessend damit überhäufte Backglocke generierte eine Art Oberhitze. Die Unterhitze lieferte die vorab aufgeheizte Herdplatte, eine Stein- oder eine spezifische keramische Backplatte. Denkbar wäre auch eine metallene Pfanne als Untersatz. Gerätschaften aus Metall (Eisen oder Bronze) – Dreibeinpfannen mit Deckel – mit vergleichbarem Funktionsprinzip werden in der allgemeinen bzw. volkskundlichen Küchengeräteliteratur (Wildhaber 1962, 9 und 11; Dexel 1973, 204 Kat. 264/265; Klever 1979, 69; Rütimeyer 1924, 285–286 mit Abb. 129. Als keramische Kopie: Kluttig-Altmann 2006, 277 (Abb. 177) bzw. z. B. in Basler Kochbüchern als «Tarten Pfanne, Tourtière» (Morel 2000, 62, 138, 145–148 Abb. 19 und 20. Vgl. auch Spycher 2008, 27) seit dem 16. Jahrhundert (Krauss 1999, 167) immer wieder aufgeführt und gelegentlich auch als «Dutch oven» bezeichnet. Auch mit diesen einfachen, aber offenbar sehr effizienten «Mini-Backöfen» ist das Brotbacken und das Garen diverser anderer Speisen oder die Herstellung von Gerichten in einem flachen Wasserbad möglich (Symons 2000, 80; Morel 2000, 147–148; Krauss 1999, 259). Vermutlich trifft dies auch für die hier vorliegende Keramikform zu, bei der das Bewahren der Glut (und die Reduktion der Brandgefahr) genauso möglich war, wie das Backen flacher Brote, von Pfannkuchen, das Braten von Kartoffeln sowie das Garen von Fleisch und Gemüse.

Frz.: Couvercles en forme de bol (Couvre-feux, cloches ou couvercles de cuisson, couvercles à pommes-de-terres dans l’âtre, couvercles pour pains en cocottes ?)

Engl.: Bowlshaped lid (fire-cover,  cover for baking or cooking, cover for baked potatoes or bread?)

Bibliographie

Baeriswyl/Heege 2008
Armand Baeriswyl/Andreas Heege, Herzogenbuchsee, Finstergasse 8. Grabung 1994/95 und Bauuntersuchung der Kirchhofmauer 1999, in: Archäologie Bern/Archéologie bernoise. Jahrbuch des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern, 2008, 149-180.

Balassa/Ortutay 1982
Ivan Balassa/Gyula Ortutay, Ungarische Volkskunde, München 1982.

Bauer 1980
Ingolf Bauer, Hafnergeschirr (Bayerisches Nationalmuseum Bildführer 6), München 1980.

Boschetti-Maradi/Gutscher 2004
Adriano Boschetti-Maradi/Daniel Gutscher, Fundbericht Steffisburg, sog. Matter-Höchhus Nr. 17. Rettungsgrabungen im Grossen Höchhus 1992, in: Archäologie im Kanton Bern 5A, 2004, 126-142.

Cubberly 1995
Anthony Cubberly, Bread-baking in Ancient Italy: clibanus and sub testu in the Roman World, in: John Wilkins/David Harvey/Mike Dobson, Food in Antiquity, Exeter 1995, 55-68.

Czysz/Endres 1988
Wolfgang Czysz/Werner Endres, Archäologie und Geschichte der Keramik in Schwaben (Neusässer Schriften 6), Neusäss 1988.

Decker/Haegel/Legendre u.a. 2003
Emile Decker/Olivier Haegel/Jean-Pierre Legendre u.a., La céramique de Soufflenheim. Cent cinquante ans de production en Alsace 1800-1950, Lyon 2003.

Dexel 1973
Walter Dexel, Das Hausgerät Mitteleuropas. Wesen und Wandel der Formen in zwei Jahrtausenden, Berlin 2 Auflage 1973.

Eggenberger/Tabernero/Doswald u.a. 2005
Peter Eggenberger/José Diaz Tabernero/Cornel Doswald u.a., Willisau. Im Spiegel der Archäologie. Funde aus den archäologischen Forschungen (Archäologische Schriften Luzern 5.2), Luzern 2005.

Favelac o. J.
Pierre-Marie Favelac, Poteries rustiques Saint-Ouen l’Aumône o. J.

Gavazzi 1965
Mikovan Gavazzi, Zur Frage der Backglocke im südpannonischen Raum Budapest 1965.

Grasmann 2010
Lambert Grasmann, Die Hafner auf dem Kröning und an der Bina, Straubing 2010.

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Arthur Gredig, Grüsch, Hotel Krone 1989, in: Archäologischer Dienst Graubünden (Hrsg.), Archäologie in Graubünden. Funde und Befunde, Chur 1992, 371-377.

Gross 1999
Uwe Gross, Schwäbisch Gmünd-Brandstatt: Keramikfunde aus einer Kellerverfüllung der Zeit um 1800. Eine vorläufige Übersicht. Teil 1: Irdenware, in: Fundberichte aus Baden-Württemberg 23, 1999, 667-720.

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Uwe Gross, Keramikfunde aus Lobenfeld, in: Doris Ebert/Klaus Gereon Beuckers, Kloster St. Maria zu Lobenfeld (um 1145-1560). Untersuchungen zu Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie, Petersberg 2001, 319-340.

Gross 2003
Uwe Gross, Neuzeitliche Keramik im nördlichen Baden (16.-19. Jh.). Ein Überblicksversuch anhand ausgewählter Fundkomplexe. Elektronische Ressource http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:16-artdok-7421, Heidelberg 2003.

Gross 2012
Uwe Gross, Die mittelalterlichen und neuzeitlichen Keramikfunde, in: Förderverein Gemeindemuseum Edingen-Neckarhausen (Hrsg.), Ein Beitrag zur Archäologie des ländlichen Raumes im Rhein-Neckar-Kreis: Untersuchungen eines Gehöftes in Neckarhausen (Hauptstrasse 379), Edingen-Neckarhausen 2012, 161-188.

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Andreas Heege, Hohenklingen ob Stein am Rhein, Bd. 2: Burg, Hochwacht, Kuranstalt. Forschungen zur materiellen Kultur vom 12. bis zum 20. Jahrhundert (Schaffhauser Archäologie 9), Schaffhausen 2010a.

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Andreas Heege, Keramik um 1800. Das historisch datierte Küchen- und Tischgeschirr von Bern, Brunngasshalde, Bern 2010b.

Heege 2016
Andreas Heege, Die Ausgrabungen auf dem Kirchhügel von Bendern, Gemeinde Gamprin, Fürstentum Liechtenstein. Bd. 2: Geschirrkeramik 12. bis 20. Jahrhundert, Vaduz 2016.

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Guido Helmig/Bernhard Jaggi/Christine Keller u.a., Lörtscher’s des Schindlers Hus, Untersuchungen an der St. Alban-Vorstadt 28, in: Jahresbericht der Archäologischen Bodenforschung des Kantons Basel-Stadt 1995, 1998, 80-166.

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Marina Junkes, Die Alltagsgeschichte der Unterhofbewohner im Spiegel der Funde, in: Armand Baeriswyl/Marina Junkes, Der Unterhof in Diessenhofen, Von der Adelsburg zum Ausbildungszentrum (Archäologie im Thurgau 3), Frauenfeld 1995, 161-257.

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Christine Keller, Ein Bestand an neuzeitlicher Gefässkeramik aus dem späten 18. Jahrhundert: Das Depot eines Geschirrflickers?, in: Werner Meyer/Franz Auf der Mauer/Werner Bellwald u.a., “Heidenhüttli”. 25 Jahre archäologische Wüstungsforschung im schweizerischen Alpenraum (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 23/24), Basel 1998, 160-170.

Keller 1999
Christine Keller, Gefässkeramik aus Basel. Untersuchungen zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gefässkeramik aus Basel (Materialhefte zur Archäologie in Basel 15), Basel 1999.

Klever 1979
Ulrich Klever, Alte Küchengeräte, München 1979.

Kluttig-Altmann 2006
Ralf Kluttig-Altmann, Von der Drehscheibe bis zum Scherbenhaufen. Leipziger Keramik des 14. bis 18. Jahrhunderts im Spannungsfeld von Herstellung, Gebrauch und Entsorgung (Veröffentlichungen des Landesamtes für Archäologie mit Landesmuseum für Vorgeschichte 47), Dresden 2006.

Krauss 1999
Irene Krauss, Chronik bildschöner Backwerke, Stuttgart 1999.

Legendre/Maire 1996
Jean-Pierre Legendre/Jean Maire, La céramique de Soufflenheim (Bas-Rhin) du milieu du XIXe siècle au début du XXe siècle. Typologie de la production et éléments de chronologie, in: Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 39, 1996, 139-170.

Lithberg 1932
Nils Lithberg, Schloss Hallwil Bd. 3. Die Funde, Stockholm 1932.

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René Matteotti, Die Alte Landvogtei in Riehen (Materialhefte zur Archäologie in Basel 9), Basel 1994.

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Karl Mohs, Die Entwicklung des Backofens vom Back-Stein zum selbsttätigen Backofen. Eine kulturgeschichtliche Studie, Stuttgart 1926.

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Andreas Morel, Basler Kost. So kochte Jacob Burckhardts Grossmutter (178. Neujahrsblatt, herausgegeben von der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige), Basel 2000.

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Jakob Obrecht, Schenkon LU, Sondierungen und Sanierungsmassnahmen 1992, in: Nachrichten des Schweizerischen Burgenvereins 66, 1993, 42-52.

Reding 2005
Christoph Reding, Die Ausgrabungen auf der Burgruine Clanx (Bez. Appenzell AI) 1944 und 1949, in: Jakob  Obrecht/Christoph Reding/Achilles Weishaupt, Burgen in Appenzell. Ein historischer Überblick und Berichte zu den archäologischen Ausgrabungen auf Schönenbüel und Clanx (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 32), Basel 2005, 161-201.

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Leopold Rütimeyer, Ur-Ethnographie der Schweiz. Ihre Relikte bis zur Gegenwart mit prähistorischen und enthographischen Parallelen (Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde 16), Basel 1924.

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Albert Spycher, Back es im Öfelin oder in der Tortenpfann. Fladen, Kuchen, Fastenwähen und anderes Gebäck (186. Neujahrsblatt, herausgegeben von der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel), Basel 2008.

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Walter von Stockar, Die Urgeschichte des Hausbrotes. Eine Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Nahrung, Leipzig 1951.

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Michael Symons, A history of cooks and cooking, Urbana 2000.

Wawruschka 2011
Celine Wawruschka, Diskussionsbeitrag zu einer frühmittelalterlichen Keramikform: Die Backglocke, in: Unsere Heimat 82, 2011, 195-203.

Wildhaber 1962
Robert Wildhaber, Küchengeräte. Basel , Museum für Völkerkunde und Schweizerisches Museum für Volkskunde. Sonderaustellung 15. Dezember 1962-15. Mai 1963, in: Schweizer Volkskunde. Korrespondenzblatt der Schweiz. Gesellschaft für Volkskunde 52, 1962, Heft 5/6.