Archiv

Matzendorf-Aedermannsdorf SO, Fayencemanufaktur (1798–1883)

Matzendorfer Keramik in CERAMICA CH

Aktuell: Jonathan Frey, Erkennungsmerkmale von Matzendorfer Fayencen

Roland Blaettler 2019 (Ergänzungen 2022/23)

Einführung

Der Kanton Solothurn hatte in Matzendorf/Aedermannsdorf eine Ende des 18. Jahrhunderts gegründete und bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts tätige Fayence- und Steingutmanufaktur. In der Geschichte der Schweiz gibt es nur wenige Produktionszentren, die vergleichbar lange in Betrieb waren.

Die solothurnischen Museumssammlungen tragen dieser geschichtlichen Sonderstellung Rechnung. Sie spiegeln nicht nur das wider, was für uns heute die Produktion von Matzendorf/Aedermannsdorf ausmacht, sondern auch ihre bewegte und durchs ganze 20. Jahrhundert mit umstrittenen Zuschreibungen an dieses solothurnische Zentrum belastete Geschichte. Seit Beginn dieses Jahrhunderts schrieben Sammler und Antiquare Fayencen Matzendorf zu, in denen wir heute Erzeugnisse der verschiedenen Fayencemanufakturen in und um Kilchberg am Zürichsee sehen. Die Zuweisung solcher Fayencen an Matzendorf erhielt offizielle Unterstützung durch die 1927 erschienene, erste dem Thema gewidmete Arbeit von Fernand Schwab. Später hat Maria Felchlin auch Fayencen und Steingut ostfranzösischer Herkunft für Matzendorf in Anspruch genommen. Diese durch interpretatorische «Annexionen» erfolgte Ausweitung der Produktion von Matzendorf blieb nicht ohne Folgen für die Sammeltätigkeit im Kanton.

In Institutionen mit kulturgeschichtlichem Sammlungsauftrag wie dem Museum Blumenstein in Solothurn, dem Historischen Museum Olten oder dem Heimatmuseum Alt-Falkenstein ist die Produktion von Matzendorf, und was seinerzeit als solche betrachtet wurde, ein wichtiger Teil der Keramiksammlung: etwa 25 Prozent in Olten, 70 Prozent in Solothurn und auf Schloss Falkenstein. Was die Sammlungen in Matzendorf selbst, die Sammlung Maria Felchlin und das Keramikmuseum angeht, so sind diese ganz dem Problem Matzendorf gewidmet, wobei die erste eine getreue Illustration der Theorien von Maria Felchlin ist, der wohl markantesten Persönlichkeit in der Geschichtsschreibung der Solothurner Manufaktur.

Bei der zentralen Rolle, welche die Frage Matzendorf für die Entwicklungen der solothurnischen Sammlungen gespielt hat, scheint es uns richtig, zuerst zurückzublicken auf die Geschichte der Manufaktur und die Geschichte der Interpretation ihrer wahren und vermeintlichen Erzeugnisse durch die Verfasser, die sich des Themas annahmen, vor allem Fernand Schwab, Maria Felchlin und Albert Vogt.

Zur Geschichte der Manufaktur Matzendorf

Wie der Historiker Albert Vogt präzisierte, lag die Manufaktur, die gemeinhin Matzendorf heisst, in Wirklichkeit auf dem Gebiet der Nachbargemeinde Aedermannsdorf (Vogt et al. 2000, 12–13). Diese lange Zeit nicht beachtete Ungenauigkeit wurde erst mit der 1883 an Stelle der alten Fabrik gegründeten, neuen Aktiengesellschaft korrigiert: der „Tonwarenfabrik Aedermannsdorf“.

Die eigentliche Geschichtsschreibung der Manufaktur beginnt 1927 mit dem grossen Werk von Fernand Schwab, „Die industrielle Entwicklung des Kantons Solothurn“, das bis heute Grundlage für die solothurnische Wirtschaftsgeschichte ist. Das Kapitel über die Manufaktur Matzendorf ist der erste wichtige, auf Archivstudien beruhende Beitrag zur Gründung und Entwicklung des Unternehmens (Schwab 1927, 459–477).

Maria Felchlin (1899–1987), Ärztin in ihrer Geburtsstadt Olten, profilierte sich als engagierte Kämpferin für die Emanzipation der Frau, spielte im Kulturleben ihrer Stadt eine Rolle und setzte sich für die Verteidigung und das Bild der Fayence von Matzendorf ein (Bloch 1989). Sie hatte sich in die Keramik aus dem Dünnerntal recht eigentlich verliebt, sammelte diese wohl schon seit Ende der 1920er Jahre und setzte die von Fernand Schwab begonnenen Studien fort. Erste Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit legte sie in einem gründlich recherchierten, im Jahrbuch für solothurnische Geschichte 1942 erschienenen Artikel vor (Felchlin 1942).

In der ersten, 1948 vom Verein «Freunde der Schweizer Keramik» organisierten, nationalen Ausstellung im Schloss Jegenstorf war das Kapitel «Fayence und Steingut von Matzendorf/Aedermannsdorf» vom Sammler Fritz Huber-Renfer betreut worden, der auch die entsprechenden Katalogtexte verfasste. In der Ausstellung und im Kommentar folgte er ganz den Thesen von Frau Felchlin. So übernahm er die von dieser mit Überzeugung vertretene Meinung, dass die Fayencen vom Stil der sogenannten «Blauen Familie» Arbeiten der Werkstatt von Niklaus Stampfli in Aedermannsdorf seien. Die meisten der ausgestellten 154 Objekte kamen aus den Sammlungen Huber-Renfer und Felchlin (Jegenstorf 1948, 72–86). Als 1958 im Schloss Nyon die zweite schweizerische Keramikausstellung gezeigt wurde, war Matzendorf/Aedermannsdorf mit 78 Exponaten aus den Sammlungen Felchlin (33 Stücke), Blumenstein, Huber-Renfer und A. Probst aus Bad Attisholz vertreten, wobei man auch da der Klassierung von Felchlin folgte. Das zeigt, dass Maria Felchlin damals auf diesem Gebiet die Autorität war. 1968 publizierte sie bei Gelegenheit der 1000-Jahr-Feier von Matzendorf eine revidierte Fassung ihrer Manufakturgeschichte, wobei sie sich vor allem nochmals dem Teil widmete, in dem sie auf die Produktion einging (Felchlin 1968).

Im Rahmen seiner Dissertation zur Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte der Gemeinde Aedermannsdorf unternahm Albert Vogt vertiefte Archivstudien, bei denen er auf bisher unbekannte Dokumente zur Geschichte der Manufaktur stiess (Vogt 2003). Seine Funde veröffentlichte er in einem ersten Artikel im Jahrbuch für solothurnische Geschichte (Vogt 1993). Einige Jahre später wurde er mit der Aufgabe betraut, die Geschichte der Manufaktur Matzendorf/Aedermannsdorf zu redigieren, die von den «Freunden der Matzendorfer Keramik» aus Anlass des 200-Jahr-Jubiläums der keramischen Industrie herausgegeben wurde (Vogt et al. 2000). Aktuell: Matzendorfer Keramik 2022.

Die Anfänge der Manufaktur

Schwab erinnert daran, dass es seit den 1760er-Jahren Solothurner Patrizier gab, die mit dem Gedanken spielten, nach dem Vorbild von Bern eine Fayencemanufaktur zu gründen. Es waren Mitglieder der Ökonomischen Gesellschaft, die dann die Suche nach Rohstoffen auf dem Gebiet des Kantons aufnahmen. Schwab erzählt, wie zwei Männer der Gesellschaft, Chorherr Viktor Schwaller und Ludwig von Roll (1771–1839), bei einem sagenumwobenen Ausritt ins Dünnerntal die Tonlagerstätte bei Aedermannsdorf entdeckten. Schwaller und von Roll kauften das Gelände und erhielten vom Rat in Solothurn die Genehmigung, dort einen Bau für die Herstellung von feuerfestem Kochgeschirr zu errichten, «weil die Erde dazu brauchbar ist» (Vogt et al. 2000, 20). Schon 1797/98 wurde gebaut. Die Bevölkerung von Aedermannsdorf befürchtete freilich, dass der Holzbedarf der neuen Industrie den Wald ruinieren würde und dass die landfremde Industrie Ausländer und Menschen von schlechter Moral ins Tal brächte. Sie suchte sich zu wehren, und 1798 verstärkte die französische Invasion dermassen den Konflikt, dass der helvetische Kommissar in Balsthal im April angewiesen wurde, den Streit zu schlichten, was offenbar gelang. Schwaller zog sich früh vom Projekt zurück, so dass der Bau der Manufaktur letztlich allein das Werk von Rolls war und zu seiner ersten grossen Tat als Industriepionier im Kanton wurde.

Maria Felchlin ergänzte das Bild, das Schwab von der Frühzeit der Manufaktur zeichnete, durch Studien in den Archiven der betroffenen Gemeinden. Schwab hatte sich gewundert, dass er nur einen einzigen ausländischen Arbeiter im Betrieb ausmachen konnte, nämlich den Maler Josef Beyer von Dirmstein (heute Rheinland-Pfalz), den er zudem erst 1837 erwähnt fand. Felchlin war nun in der Lage, weitere Ausländer – Franzosen und Deutsche – zu identifizieren, die in der Zeit von 1801 bis 1810 eindeutig als Fachleute in der Fabrik arbeiteten (Felchlin 1942, 11–12). Im Taufregister von Matzendorf fand sie 1801 den Namen von Margaritha Contre, geborene Leffel, aus Sarreguemines, «Directrix in der Fabriqs.», und sie entschied, dass es sich bei der Dame um die Direktorin der Manufaktur handeln musste, was für sie auch für die fortschrittliche Gesinnung von Rolls sprach (Felchlin 1942, 12; Felchlin 1968, 166). Albert Vogt korrigierte 1993 diese voreilige Interpretation, indem er Franz Contre, den Gatten der Margaritha, als den eigentlichen Direktor identifizierte.

Vogt gelang es dann auch, die Verhältnisse rund um die Gründung und die Aufnahme des Betriebs in der Manufaktur weiter zu klären. Die erste Sorge von Ludwig von Roll war es, für die Zeit nach dem Bau der Fabrik kompetente Fachleute für eine leistungsfähige Produktion zu finden. Er wandte sich dafür zuerst an Johann Jakob Frei (1745–1817), den Fayencier von Lenzburg, der vier Jahre früher in Solothurn vorstellig geworden war, um beim Rat die Bewilligung für die Errichtung einer Porzellanfabrik auf dem Kantonsgebiet zu erhalten. Das Gesuch von Frei, der sich seit 1790 finanziell in einer sehr schwierigen Lage befand (Ducret 1950, 73–87), war damals schroff abgewiesen worden. Das Angebot, die technische Leitung der neuen Manufaktur zu übernehmen, kam ihm entsprechend gelegen. Dank den Akten des Bezirksgerichts Balsthal konnte Vogt feststellen, dass von Roll im Juli 1798 mit Frei einen Vertrag schloss, wonach dieser sich für die Summe von 100 Louis d’or verpflichtete, die Verantwortlichen des Unternehmens mit dem technischen Wissen für die Konstruktion der Brennöfen und die Mischung der Erden für die Herstellung von Fayence, von englischem Steingut (Pfeifenerde genannt) sowie von braunem und weissem Kochgeschirr so weit zu versehen, dass auch ohne ihn produziert werden konnte. Danach zog Frei mit seiner Familie nach Aedermannsdorf. Nach Freis Äusserungen soll er seinen Verpflichtungen nachgekommen und die Manufaktur in der Lage gewesen sein, die Produktion im September 1799 aufzunehmen. Doch weigerte sich die Compagnie, die erste Hälfte des vertraglich abgemachten Betrages zu zahlen. Das Gericht von Balsthal gab Frei zwar recht, aber der Rekurs vor das Kantonsgericht Solothurn führte dazu, dass er gezwungen wurde, Joseph Eggenschwiler, dem Teilhaber von Rolls, innert fünf Wochen zuerst noch die Fabrikation von Steingut beizubringen und die letzten Öfen fertigzustellen. Frei, der kein Experte für Steingut war, war damit überfordert. Vogt nimmt an, dass er Aedermannsdorf Ende 1799, Anfang 1800 verliess. Zurück blieb Eggenschwiler, der dem Steueragenten von Aedermannsdorf klagte, dass er nur «probierweiss» arbeiten könne und im übrigen sich nach Fachleuten umsehen müsse, wobei er Mühe habe, solche zu finden (Vogt 1993, 424–425).

1970 fiel Maria Felchlin als sensationeller Fund das Rezeptbüchlein der Manufaktur in die Hand, das sie unter dem Titel «Das Arkanum der Matzendorfer Keramiken» publizierte (Felchlin 1971). Das Heft, das von Generation zu Generation in der Familie Meister weitergegeben worden war, enthält verschiedene Rezepte für die Herstellung von Fayence, von Steingut und von braunem Kochgeschirr. Der Hauptteil ist mit dem Datum 26. Juli 1804 versehen, mit den Initialen «F. C.» signiert und von Joseph Bargetzi, dem Sekretär der Fabrik, gegengezeichnet. Ergänzende Notizen wurden bis 1810 beigefügt. Dieses Dokument brachte einige zusätzliche, wichtige Informationen zu den Anfängen des Unternehmens. Ihm entnehmen wir, dass der zur Herstellung von Steingut notwendige, weissbrennende Ton aus Heimbach bei Tenningen im Breisgau importiert wurde, während für die Fayence Erden von Laupersdorf, Matzendorf und Aedermannsdorf Verwendung fanden. Aus der Tatsache, dass das Kapitel Fayence entschieden weniger ausführlich behandelt ist als das Steingut, schloss Felchlin zu Recht, dass diese Technik in Matzendorf schon bekannt war und dass man von Anfang an Fayencen herzustellen verstand. Desgleichen sind die Auskünfte bezüglich des braunen Kochgeschirrs sehr knapp gehalten und mit dem Datum 1806 versehen, was dafür spricht, dass auch diese Produktion auf die Anfangszeit zurückgeht.

Bei der Durchsicht der Register im Gemeindearchiv von Aedermannsdorf, die Felchlin merkwürdigerweise nicht kannte, stiess Albert Vogt auch auf den Namen der Person, die nach Freis Weggang die Leitung der Manufaktur übernahm: Franz Contre von Sarreguemines in Lothringen. In den Registern taucht Contre nach dem April 1804 nicht mehr auf. Es ist so gut wie sicher, dass er der Verfasser des mit «F. C.» signierten Arkanums ist. Er muss dieses kurz vor seinem Abschied niedergeschrieben haben (Vogt 1993, 426). Vogt konnte auch die von Felchlin erstellte Liste der Arbeiter bedeutend erweitern. Er weist für die Zeit von 1800 bis 1808 ein Dutzend ausländische Fachleute aus Frankreich und aus Deutschland nach, die in der Manufaktur als Dreher, Maler, Brenner oder als Modelleur tätig waren (Vogt 1993, 429). Höchstwahrscheinlich kamen die ersten von ihnen mit Franz Contre nach Aedermannsdorf. Dank diesen Spezialisten gelang es endlich, die Produktion von Steingut aufzunehmen. Verschiedene der von Vogt genannten Arbeiter kamen aus bekannten französischen Steingutfabriken wie Montereau, Niderviller, Lunéville oder Sarreguemines.

Die Pacht von Urs Meister (1812–1827)

Bei Fernand Schwab lesen wir, dass Ludwig von Roll 1810 die Hammerschmiede der Gebrüder Dürholz in Aedermannsdorf kaufte und sich dort nun ganz der Metallindustrie zuwandte. Von seiner ersten Manufaktur zog er sich zurück und verpachtete sie an den ortsansässigen Bürger Urs Meister. Schwab beklagt, dass es nur wenige schriftliche Quellen gibt, die der Erhellung des neuen Kapitels dienen könnten, und zitiert zunächst einen Bericht des Finanzamtes von 1825, der bemängelt, dass die Fayence von Matzendorf von geringerer Qualität sei als die französische Ware und dass auch das Steingut nicht jenem von Nyon gleichkomme (Schwab 1927, 464).

Das zweite von Schwab entdeckte Dokument ist ein 1826 datiertes Gesuch an den Rat um die Erlaubnis zur Durchführung einer Fayence- und Steingutlotterie, um die Lagerbestände loszuwerden und die Gläubiger befriedigen zu können. Dem Text entnehmen wir, dass die Manufaktur unter der wachsenden Konkurrenz ausländischer Waren litt, dass sie seit 1812 22 einheimische Arbeiter beschäftigte und dass die Produktion, von der sieben Achtel ausserhalb des Kantons verkauft wurde, einem Handelswert von Fr. 16 000 entsprach (Schwab 1927, 465). Was immer das Resultat der Lotterie war, die finanzielle Situation erlaubte Urs Meister nicht, den Betrieb weiterzuführen. Er zog sich aus dem Geschäft zurück und wurde durch ein Gremium ersetzt, dem Niklaus Meister und seine drei Söhne Ludwig, Melchior und Josef, Johann Schärmeli, Viktor Vogt und Josef Gunziger angehörten. Die ersten fünf wohnten in Matzendorf, die zwei andern in Aedermannsdorf.

1829 machte Ludwig von Roll Konkurs und sah sich gezwungen, seine Immobilien zu verkaufen. Die Fabrik Matzendorf wurde von den sieben Nachfolgern Urs Meisters erworben. Ludwig Meister (um 1790–1869) leitete nun die Gesellschaft unter dem Titel «Ludwig Meister und Mithaften» oder «Ludwig Meister & Compagnie». Ausser Niklaus Meister arbeiteten alle Teilhaber im Unternehmen. Die Gesellschaftsanteile sollten bis 1883 in den Familien der Meister, Gunziger und Vogt bleiben, die mit der Zeit auch untereinander heirateten, so dass die Gesellschaft den Charakter eines Familienunternehmens im eigentlichen Sinn des Wortes annahm. Nach dem Tod von Ludwig Meister übernahm sein Sohn Johann (1825–1876), 1876 dessen Cousin Niklaus Meister (1821–1897) die Leitung. Die Firma «Ludwig Meister & Cie» wurde bis 1883 weitergeführt und dann in eine neue Aktiengesellschaft umgewandelt.

Für diese Periode stützte sich Schwab auf die wenigen noch verfügbaren Quellen wie den Rechenschaftsbericht der Solothurner Regierung von 1836/37, aus dem man erfährt, dass «aus Mangel an geeigneter Erde feine Fayence und pfeifenirdenes Geschirr nicht mehr produziert wurden …». Damals scheint man nur noch gewöhnliches Fayence- und Kochgeschirr hergestellt zu haben. Nebenbei erfährt man, dass die Fabrik noch 19 Arbeiter beschäftigte und dass der grösste Teil der Produktion noch immer in den Kantonen Bern und Basel, weniger auch in den Kantonen Luzern und Aargau abgesetzt wurde (Schwab 1927, 467).

Für die Zeit von 1850 bis 1883 stellt Albert Vogt fest, dass das Unternehmen nur noch neun bis zwölf Arbeiter zählte, was auf einen Rückgang der Produktion schliessen lässt. Der jährliche Umsatz belief sich in den Jahren 1858 bis 1862 noch auf etwa 5 000, mit Spitzen bis zu 7 000 Franken und in den Jahren zwischen 1866 und 1870 auf Mindestwerte von um 3 500 Franken. Entsprechend tief muss die Leistung gewesen sein. Doch ging bis zuletzt der grösste Teil der Ware Richtung Bern, Basel und den Aargau. Vogt hält fest, dass diese Schwankungen der allgemeinen Konjunktur von damals entsprachen (Vogt et al. 2000, 37–38).

Die Thonwarenfabrik Aedermannsdorf (1883–1960) und Rössler AG (1960–2004)

1883 wurde am Ort der Manufaktur Matzendorf die Aktiengesellschaft «Thonwarenfabrik Aedermannsdorf» gegründet. Die meisten Aktionäre wohnten nun nicht mehr im Dünnerntal und gehörten der politischen und wirtschaftlichen Oberschicht des Kantons an. Das neue Unternehmen entwickelte sich gut. Der Aufstieg der Uhrenindustrie im Tal gab der Bauindustrie Auftrieb und in der Fabrik entwickelte sich die neue Abteilung der Ofen- und Tragofenherstellung zu einem hochprofitablen Geschäft. Seit Ende 1890 verzichtete die Manufaktur auf lokale Rohstoffe und importierte den Ton aus der Pfalz und aus der Tschechoslowakei. 1884 hatte sie 13 Mitarbeiter, 1885 waren es 38 und 1897 54. Die Fabrik wurde durch zwei Feuersbrünste 1887 und 1913 zerstört, aber sofort wieder aufgebaut und modernisiert. So wurde die Produktion 1913 teilweise mechanisiert, und die Öfen wurden auf Kohle umgestellt. Man stellte nun zu gleichen Teilen einerseits Öfen und Ofenkacheln, anderseits manganglasiertes Braungeschirr her, was auch Fernand Schwab 1924 bei einem Besuch der Fabrik feststellte.

1927 kaufte der Basler Unternehmer Alfred von der Mühll die Tonwarenfabrik, die sich damals in einer Krise befand. Die Zahl der Arbeiter ging seit 1926 zurück. Mit dem neuen Besitzer verbesserte sich die Situation, bis auch die Manufaktur die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise zu spüren bekam. 1934 wurde eine Kunstabteilung eröffnet, deren Leitung dem Berner Keramiker Benno Geiger anvertraut wurde. Als im Zweiten Weltkrieg der Geschirrimport aus den Nachbarländern vollständig wegfiel, erlebte die Fabrik einen Aufschwung, der zu einer Ausweitung der Produktion nebst dem traditionellen Braungeschirr führte.

Brennöfen in Aedermannsorf in einem Prospekt der Salvis A.G., das um 1943 gedruckt wurde.

Nach 1947 hatte die Fabrik dann erneut mit der wachsenden Konkurrenz aus dem Ausland zu kämpfen. 1960 wurde sie vom Industriellen Emil Rössler von Ersigen im Emmental gekauft. Die Aktiengesellschaft Rössler spezialisierte sich nun auf die Produktion von Geschirr aus Steingut und seit 1963 aus Porzellan. 2004 schloss sie ihre Tore in Aedermannsdorf.

Zwei weitere Töpfereien in Matzendorf/Aedermannsdorf

 Die Töpferei Studer in Matzendorf (1826-1854)

Im 1836 erschienenen Handbuch über den Kanton Solothurn erwähnt der Verfasser ohne weiteren Kommentar «zwei Fayencefabriken in Matzendorf» (Strohmeier 1836, 101 und 232). Fernand Schwab identifizierte tatsächlich eine Töpferei, die einem gewissen Urs Studer (1787–1846) gehörte, der im Sterberegister als «Fayencefabrikant» erwähnt wird. Dieser hatte 1817 in Matzendorf ein Haus gekauft. Ein Grundbucheintrag von 1825 besagt, dass er dort eine Töpferei eingerichtet hatte. Schwab besuchte den Ort in den 1920er Jahren, als der Werkstattraum noch gut erkennbar war, und stellte fest, dass dieser recht klein war und kaum Platz für mehr als drei Arbeiter bot (Schwab 1927, 474).

Später ergänzte Albert Vogt, dass Studer bei der Volkszählung von 1808 als Arbeiter in der Manufaktur erscheint (Vogt 1993, 430) und dass er 1826 um die Erlaubnis bat, in seinem Haus einen Brennofen einzurichten (Vogt et al. 2000, 63). 1846 übernahmen die beiden Söhne von Studer, Urs und Josef, die Töpferei, die bis 1854 weiterbetrieben wurde. Was die Werkstatt hervorbrachte, bleibt ein Geheimnis. Im Gegensatz zu Albert Vogt glauben wir nicht, dass sie Fayence erzeugte, sondern glasierte oder engobierte Irdenware.

Die Töpferei Stampfli in Aedermannsdorf und Nachfolgebesitzer (1803-nach 1907)

 In der ersten Fassung ihrer Monografie erzählt Maria Felchlin von der Begegnung mit einer Person aus der Gegend, die ihr versicherte, dass ihr Urgrossvater namens Stampfli Fayencen von der Art der «Blauen Familie» (z.B. MBS 1912.107; MBS 1912.126) herstellte. Felchlin machte sich auf die Suche nach genaueren Auskünften und fand wirklich die Spur von Niklaus Stampfli (1811–1883), der als Töpfer in Aedermannsdorf ab den 1840er Jahren bis 1879/80 arbeitete und dann zu seiner Tochter nach Bellach zog. Stampfli war in der Gegend unter dem Namen «Hafnerchlaus» bekannt und seine Werkstatt als «Hafnerhütte» (Felchlin 1942, 38–42).

Auch da ergänzte Albert Vogt, dass 1803 ein Urs Josef Stampfli (1775–1847) die Erlaubnis erhielt, einen Ofen auf der Allmend von Aedermannsdorf zu errichten, wo er allem Anschein nach vor allem Ofenkacheln herstellte. Sein Sohn Niklaus lernte auch das Hafnerhandwerk. 1833 war er noch in Aedermannsdorf wohnhaft, dann finden wir ihn für zehn Jahre in Crémines im Berner Jura. Das Keramikmuseum Matzendorf besitzt von ihm zwei Gipsnegative zur Ausformung von Tellern, die eine mit der eingeritzten Signatur «Stampflÿ 1834», die andere mit den Initialen «N. S.». Diese wertvollen Dokumente lassen vermuten, dass Stampfli Gipsformen herzustellen verstand (Vogt et al. 2000, Abb. 13). Zwischen 1842 und 1845 kehrte er nach Aedermannsdorf zurück, wo er vielleicht als Taglöhner in der Manufaktur arbeitete. Nach dem Tod von Urs Josef erwarb er 1847 die väterliche Werkstatt. Im gleichen Jahr zeigte er an der Gewerbeausstellung in Solothurn «ein irdenes Fläschchen, schwarz glasiert» (Kat. Solothurn 1847). 1851 sah sich Niklaus Stampfli gezwungen, seine Werkstatt zu verkaufen; vier Jahre später wurde er vergeldstagt. Möglicherweise aber übte er seinen Beruf bis 1858 weiter aus (Vogt et al. 2000, 61). Vogt nimmt an, dass er danach bis zu seinem Weggang 1879/80 in der Manufaktur arbeitete, denn 1860 wohnte er in einem Haus von Josef Vogt, einem der Besitzer der Fabrik, und 1870 im Gebäude der Manufaktur selbst. In Anbetracht des geringen Wochenlohns von 5 Fr. nimmt Vogt an, dass er in der Manufaktur nicht nur für die Firma, sondern auch auf eigene Rechnung arbeitete (Vogt et al. 2000, 56).

Was die von Urs Josef Stampfli gegründete «Hafnerhütte» angeht, wurde diese noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts von verschiedenen Besitzern genutzt: zuerst von den Töpfern Josef Wiss (von 1858–1862) und Johann Schuppisser (von 1862–1865); 1865 wurde die Werkstatt von Urs Josef Bläsi gekauft, der sie an zwei Töpfer, Peter Siegenthaler von Langnau und Johann Schneider von Niederhünigen, vermietete. Ende der 1880er Jahre wurde sie von Rupert Bläsi, dem Sohn des Besitzers, übernommen (1868–1911), der 1885 einige Monate in der Tonwarenfabrik gearbeitet hatte (Vogt et al. 2000, 61–62). Laut einem Inserat vom November 1907 konnte man bei Rupert Bläsi «alle Sorten Milchbecki und Milchhäfen sowie Blumentöpfe und Blumenplättli» kaufen.

Zur Bestimmung der Matzendorfer Produkte: Die Matzendorf/Schooren Kontroverse

 Fernand Schwab
In seinem Pionierwerk von 1927 begnügte sich Fernand Schwab nicht damit, die Geschichte der Fayencemanufaktur Matzendorf zu erzählen, sondern er versuchte auch, aufgrund der Sammlungen des Solothurner Museums (des nachmaligen Museums Blumenstein) zu ermitteln, was in der Manufaktur produziert wurde. Die Erzeugnisse mit Namensinschriften aus der Region, die er Matzendorf zuschreiben konnte, waren eher selten und datierten meist aus der Spätzeit der Produktion ab Mitte der 1840er Jahre bis in die Zeit um 1880 (Schwab 1927, Abb. 2 nach S. 468).

Auf die erste schriftliche Erwähnung der Herstellung von Fayence stiess Schwab im Bericht des Finanzrates von 1825. Da ihm keine entsprechenden Erzeugnisse aus der Zeit von Rolls bekannt waren, nahm er an, dass die Manufaktur in den ersten Jahren nur Steingut produzierte und die Fabrikation von Fayence erst zur Zeit der Pacht von Urs Meister (1812–1827) aufgenommen wurde. Die gleiche Quelle präzisierte, dass sieben Achtel der jährlichen Produktion, die einen Handelswert von 16 000 Franken hatte, ausserhalb des Kantons abgesetzt wurde. Aber wie sah diese zum grössten Teil exportierte Solothurner Produktion aus?

Hier interessierte sich Schwab für eine verhältnismässig grosse Gruppe von Fayencen im Historischen Museum Bern, die von Sammlern und Antiquaren traditionell Matzendorf zugeschrieben wurde (Schwab 1927, dritte Abb. nach S. 468). Heute sehen wir in den meisten dieser Objekte Erzeugnisse der verschiedenen Manufakturen, die in und um Kilchberg-Schooren am Zürichsee in den Jahren 1820/50 tätig waren und deren Produktion damals noch wenig untersucht war. Schwab nahm diese Gruppe für Matzendorf in Anspruch, weil sie eine wichtige Lücke in der Chronologie der Produktion vor den späten, mittelmässigen Erzeugnissen in Solothurn auszufüllen schien. Doch begegnete man dieser Zuschreibung schon damals mit Zweifeln und bemerkte, dass dieser Typ von Fayencen in den Solothurner Sammlungen merkwürdigerweise kaum vertreten war. Schwab wischte das Argument weg und wies auf die Bedeutung der Exporte der Matzendorfer Manufaktur (Schwab 1927, 466) und deren Jahresumsatz hin, die ihm dafür gross genug zu sein schienen. Damit schuf er für Matzendorf eine Gruppe von Fayencen von höherer Qualität, von der er meinte, dass sie in Matzendorf ausschliesslich für den Export produziert wurde. Da er die meisten Beispiele solcher Erzeugnisse im wichtigsten Absatzgebiet der Fabrik in Bern fand, nannte er deren Malstil «Berner Dekor».

«Berner Dekor»

«Blaue Familie»

Um den «Berner Dekor» zeitlich einzugrenzen, wies Schwab auf zwei 1822 datierte Teller in Privatbesitz hin, von denen er meinte, dass sie an den Anfang der Fayenceproduktion von Matzendorf gehörten. Angesichts der Verschiedenheit der «Berner Dekore» der Jahre 1820 (siehe zum Beispiel MBS 2010.2; KMM 68; KMM 69; SFM 138; KMM 71; KMM 96; MBS 1942.20; KMM 91; SFM 84; HMO 8163) vom Dekor des gleichzeitigen Solothurner Steinguts fällt es freilich schwer, Schwabs Argumentation zu folgen (zum Beispiel KMM 67; MBS 1917.36; HMO 8535). Den Ausklang des «Berner Dekors» datiert Schwab um 1843 unter Hinweis auf den Rechenschaftsbericht von 1836/37, wonach die Manufaktur damals keine «feinen Fayencen» mehr fabrizierte, sondern nur noch «alle Arten gewöhnliches Geschirr von Fayence … und braunes Kochgeschirr». Schwab sah die beträchtlichen Unterschiede zwischen dem Geschirr mit «Berner Dekor» und den derberen Erzeugnissen der Jahre 1860–1880, wies aber auf Beispiele des Übergangs mit Elementen des früheren und späteren Stils hin. Für die Stücke des späteren Stils prägte er den Begriff «Blaue Familie», weil hier die Farbe Blau vor allem in den Randlinien dominierte (z. B. MBS 1912.128; KMM 507).

Verglichen mit der «Exportware» und seinem «Berner Dekor», ist die «Blaue Familie» klar von geringerer Qualität, sowohl in Bezug auf die Formen als auch auf die Malerei. Eine so offensichtliche Differenz musste Ausdruck eines unübersehbaren Niedergangs sein. Schwab betrachtete die «Blaue Familie» deshalb als «Gelegenheitsproduktion», die nur zu Geschenkzwecken für eine beschränkte Kundschaft im Dünnerntal von Mitarbeitern der Manufaktur ausserhalb der Arbeitszeit oder sogar zu Hause gefertigt worden war. Mit der offiziellen Produktion der Manufaktur hatte sie nichts zu tun. Diese Position nahm die Theorie der «Laienprodukte» voraus, die später Maria Felchlin entwickelte. Zusammengefasst meint Schwab, dass die Manufaktur die Produkte vom Typ «Berner Dekor» seit Anfang der zwanziger Jahre speziell für die Kundschaft der Nachbarkantone Bern und Basel auf den Markt brachte und dass sie solche aus wirtschaftlichen Gründen ab circa 1837 nicht mehr herstellte. Später kam mit der «Blauen Familie» eine von einigen Fabrikarbeitern für einen kleinen, lokalen Markt gefertigte, nicht offizielle Produktion minderer Qualität von wenig professionellem Charakter auf, die nur ein blasser Abglanz des hier einst Geschaffenen war. Was aber den Export betraf, konzentrierte man sich für diesen hinfort auf die Fabrikation von «braunem Kochgeschirr» (Schwab 1927, 473).

Maria Felchlin
Nun trat Maria Felchlin auf den Plan. Mit der ihr eigenen Energie machte sie sich daran, das Wissen auf dem Gebiet der Keramik von Matzendorf auf den von Schwab gegebenen Grundlagen weiter voranzutreiben. Darüber hinaus wandte sie sich ausgiebig der Produktion der Manufaktur zu, indem sie die Theorien von Schwab zu vertiefen und zu präzisieren suchte. Sie übernahm die von Schwab definierten Kategorien des «Berner Dekors», der «Blauen Familie» und des «braunen Kochgeschirrs», indem sie diese ergänzte, systematisierte und ihre sogenannte «Service-Hypothese» entwickelte (Felchlin 1942, 22–25). Der Prospekt für die Lotterie von Urs Meister 1826 erwähnt ein Tafelservice für 24 Personen, und sie wollte wissen, worum es sich hier gehandelt haben könnte.

Kranichdekor – Von dieser Frage umgetrieben, stiess sie bei einer Einwohnerin von Trimbach bei Olten auf eine Gruppe von Fayencen mit dem berühmten, camaieuvioletten «Kranichdekor», die angeblich aus dem Gasthof «St. Urs und Viktor» in Boningen kam und nach der Überlieferung ein Matzendorfer Erzeugnis sein sollte (Felchlin 1942, Taf. VIII, Abb. 13). Später erwarb sie die Stücke dann für ihre eigene Sammlung (SFM 34; SFM 38; SFM 39).

Für Maria Felchlin mussten diese Fayencen Repräsentanten der ersten Phase der Fayenceproduktion in Matzendorf und damit vor dem «Berner Dekor» entstanden sein; sie datierte sie um 1808 bis 1820. Diese Meinung fand in gewisser Weise ihre offizielle Bestätigung bei der 1948 in Jegenstorf gezeigten Ausstellung (Jegenstorf 1948, 72–73). Nach der Entdeckung eines Fayencetellers mit Datum 1801 im Museum Solothurn (MBS 1912.220) verschob Felchlin dort das Anfangsdatum der Fayenceproduktion weiter nach vorn und vertrat nun die Meinung, dass die Fabrik von Anfang an neben dem Steingut auch Fayence fabriziert habe.

«Berner Dekor» – Ihr grösster Einsatz galt aber der von Zürich aus mehr und mehr angezweifelten Hypothese des «Berner Dekors» von Matzendorf, deren Verteidigung sie nun gegen Wind und Wetter übernahm. Der erste Widerspruch kam von Karl Frei, dem 1953 verstorbenen Vizedirektor des Landesmusems. Kurz nach Erscheinen der Arbeit von Schwab erschien 1928 auch die erste grundlegende Publikation von Frei über die Fayencen von Kilchberg-Schooren (Frei 1928). Als Felchlin das Landesmuseum 1932 besuchte, war es für sie ein Schock, zu sehen, dass dort fast nur Fayencen der «Blauen Familie» als Matzendorf etikettiert waren, während der «Berner Dekor» Kilchberg zugewiesen wurde (Felchlin 1968, 154). Dagegen erhob sie Einspruch mit einer ganzen Reihe von Argumenten, die nach ihr für Solothurn sprachen, die sich aus der Rückschau aber als wenig stichhaltig erwiesen (Felchlin 1942, 30–38).

Steingut
Unter Hinweis auf eine Deckelschüssel, welche aus der Familie des Amtschreibers Bernhard Munzinger in Balsthal stammte (SFM 1), nahm Felchlin dann auch eine Gruppe von mit feinen, reliefierten Blumen geschmücktem Steingutgeschirr für Matzendorf in Anspruch (SFM 1; SFM 2; SFM 3; SFM 4; SFM 9; SFM 10; SFM 15; SFM 18; SFM 23; SFM 24; SFM 25; SFM 26).

Diese erneute Ausweitung der Produktion präsentierte sie 1958 an der Ausstellung in Nyon, womit auch diese offiziell zur Diskussion gestellt wurde (Nyon 1958, 38; Felchlin 1968, 176–178).

«Laienproduktion» – «Aedermannsdorfer»
Objekte, die ihr als offizielle Erzeugnisse der Manufaktur Matzendorf qualitativ ungenügend erschienen, bezeichnete Felchlin als «Laienprodukte» oder Freizeitarbeiten. Für die «Blaue Familie» von Schwab aber entwickelte sie eine neue Theorie. Ein Urenkel des Töpfers Niklaus Stampfli hatte ihr erzählt, dass sein Urahn eben solche Arbeiten gefertigt hätte, die sie der Manufaktur abschrieb. Aufgrund dieser Auskunft wies sie diese nun der Werkstatt von Stampfli, der «Hafnerhütte» in Aedermannsdorf, zu und taufte sie «Aedermannsdorfer». Andere Nachkommen des Töpfers sollen ihr bestätigt haben, dass Niklaus «neben allerlei Braungeschirr auch weiss glasiertes und bunt bemaltes, blumiges Weissgeschirr» fertigte (Felchlin 1942, 39) und eine Enkelin Stampflis besass noch ein Tintengeschirr, das Stampfli deren Vater, dem Landjäger Josef Jäggi, geschenkt haben soll (SFM 212).

Die «Blaue Familie» stellte damit in gewissem Sinn die Endphase der «Laienproduktion» dar und war für sie vor allem das Werk Stampflis. Felchlin sah zwar durchaus, dass die Dekore der Familie nicht alle von der gleichen Hand sein konnten, doch da sie nun nicht mehr zur offiziellen Produktion der Manufaktur gehörten, meinte sie, dass sie «für das keramische Forschen und das historische Interesse kaum mehr von Belang» seien (Felchlin 1942, 62). Eine etwas leichtfertige Art, das Problem aus der Welt zu schaffen!

Matzendorfer im Strassburger Stil

1953 entdeckte Maria Felchlin im Museum Olten eine in Aufglasurfarben im Stil der ostfranzösischen Fayencen bemalte Suppenschüssel mit der Widmungsinschrift «Elisabetha Winter» (HMO 8692). Einige Jahre später stiess sie im Museum Blumenstein in Solothurn auf eine zweite, im gleichen Stil dekorierte Schüssel mit den Namen «Anna Maria Mohlet und Hans Georg Hugi Zuchwil» (MBS 1920.83).

Bei Archivstudien fand sie die Namen dieser Solothurner Personen und war in der Lage, die Schüsseln in die Jahre 1812 bis 1815 zu datieren. Felchlin war nun versucht, auch diese Fayencen mit Matzendorf in Verbindung zu bringen und in ihnen Arbeiten des dort tätigen Töpfers Urs Studer zu sehen. Sie stellte diese These erstmals an der Jahresversammlung des Historischen Vereins in Matzendorf 1957 (Felchlin 1957) und weiter 1958 an der Ausstellung im Schloss Nyon vor, wo sie eine ganze Reihe von Fayencen zeigte, die für sie aus dem Vergleich mit den Suppenschüsseln nunmehr «Matzendorfer im Strassburger Stil» waren (Nyon 1958, 37–38; Felchlin 1968, 196–210; siehe AF 22-033-00; AF 22-034-00; MBS 1920.83; HMO 8064; HMO 8065; HMO 8066; HMO 8107; HMO 8108; HMO 8113; HMO 8114;  MO 8118; HMO 8119; HMO 8120; HMO 8126; HMO 8128; HMO 8129;HMO 8723; HMO 8680; HMO 8692; HMO 8713; SFM 43; SFM 46; SFM 48; SFM 50; SFM 51; SFM 52; SFM 53; SFM 54; SFM 55; SFM 56; SFM 58; SFM 60; SFM 61; SFM 62; SFM 63; SFM 64; SFM 66; SFM 67; SFM 68; SFM 69; SFM 71; SFM 72; SFM 205; SFM 206).

Zu den oben gezeigten Schüsseln kann man noch Folgendes bemerken: Von der Form, aber auch von der Malerei her empfinden die heutigen französischen Experten die zwei Stücke zwar als eher fremdartige Erscheinungen. Die in schwarzer Aufglasurfarbe gemalten Widmungen, welche sich eindeutig auf Solothurner Personen beziehen, können sehr wohl in einer ausländischen Fabrik nach einer Vorlage auf Bestellung ausgeführt worden sein. Jene von der Schüssel MBS 1920.83 überschneidet den Dekor und stammt damit sicher von anderer Hand. Die Schrift von HMO 8692 ist zitterig und unsicher, als wäre die schreibende Hand mit der deutschen Kursivschrift wenig vertraut gewesen. Beide Schüsseln sind zweifellos Erzeugnisse einer leistungsfähigen Manufaktur, wie es sie damals an vielen ostfranzösischen Orten gab, und nicht in einer kleinen Werkstatt wie jener von Studer. Bei der Wichtigkeit des Schweizer Marktes für die ostfranzösischen Manufakturen ist nicht auszuschliessen, dass dort auf Bestellung spezielle, von der schweizerischen Kundschaft verlangte Formen hergestellt wurden (Mitteilung von Jacques Bastian). Jedenfalls ist uns keine Manufaktur auf Schweizer Gebiet bekannt, die damals in der Lage gewesen wäre, Geschirre mit Aufglasurdekor von entsprechender Qualität zu liefern.

Rudolf Schnyder
1997 organisierte Hans Brunner, der Konservator des Historischen Museums Olten, die Ausstellung «200 Jahre Matzendorfer Keramik» in der Absicht, die Theorien von Schwab und Felchlin einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Mit dem Konzept und der Ausführung betraute er Rudolf Schnyder, den ehemaligen Konservator und Leiter der keramischen Abteilung des Landesmuseums, der bei dieser Gelegenheit seine schon in der Begleitpublikation zur 1990 gezeigten Ausstellung «Schweizer Biedermeier-Fayencen, Schooren und Matzendorf» (Schnyder 1990) dargelegte Sicht der Matzendorfer Produktion breit zur Darstellung brachte. Aufgrund formaler, technischer und stilistischer Kriterien zeigte er, dass die Produkte der Manufaktur Matzendorf von den Erzeugnissen der Fabriken am Zürichsee durchaus verschieden und von eigenem Charakter sind. Um Eigenart und Profil der Matzendorfer Produktion klar sichtbar zu machen, sah er zu, dass die Ausstellung nur Erzeugnisse aus Matzendorf enthielt. So war auch der sogenannte «Berner Dekor» nur mit Beispielen aus Matzendorf, nicht aber aus Kilchberg vertreten. Verzichtet wurde auch auf eine Illustration der kühnen Hypothesen bezüglich einer Matzendorfer Fabrikation von Fayencen mit Kranichdekor, von Steingut mit fein reliefiertem Blumendekor und von «Matzendorfer im Strassburger Stil». Dagegen wurde die «Blaue Familie» als Endphase einer Entwicklung wieder in die offizielle Produktion der Manufaktur integriert und nicht mehr als Freizeiterzeugnis einer dilettierenden Laienbeschäftigung betrachtet. Bei der Durchsicht der wichtigsten schweizerischen Sammlungen war es zudem gelungen, bisher unbekannte Fayencen aus der Anfangszeit der Manufaktur von Rolls zu identifizieren und zu präsentieren. Das Verzeichnis der Exponate erschien im Nachhinein mit den überarbeiteten Ausstellungstexten im Mitteilungsblatt der Keramik-Freunde der Schweiz Nr. 121, 2008 (Schnyder 2008).

Albert Vogt
Mit seinen methodisch streng durchgeführten Forschungen zur Geschichte der Manufaktur Matzendorf war es Albert Vogt möglich, das von Schwab gezeichnete und von Felchlin weitgehend übernommene Bild von der Geschichte des Unternehmens beträchtlich zu ergänzen. Die Ergebnisse seiner Studien publizierte er im von den «Freunden der Matzendorfer Keramik» im Jahr 2000 herausgegebenen Werk mit den Resultaten der von Marino Maggetti und Giulio Galetti von der Universität Fribourg im Auftrag der Freunde durchgeführten archäometrischen Untersuchungen. Man hoffte, die Kontroverse Matzendorf/Kilchberg auf naturwissenschaftlicher Basis endlich klar entscheiden zu können (Vogt et al. 2000).

Der Beitrag von Vogt erlaubte, eine ganze Reihe von Fragen sowohl zur Produktion als auch zu den Theorien von Felchlin zu klären: So liess sich für ihn die Hypothese des Kranichdekors auch unter Hinweis auf das Ergebnis der archäometrischen Analyse nicht halten (Vogt et al. 2000, Mz 43 – SFM 36). Die entsprechenden Fayencen sind eindeutig älter, sind französischen Ursprungs und kommen höchstwahrscheinlich aus der Franche-Comté (SFM 34; SFM 35; SFM 36; SFM 37; SFM 38; SFM 39; HMO 8712).

Zum Thema «Matzendorfer im Strassburger Stil» präsentierte er neue Daten zur Biografie von Urs Studer und stellte fest, dass dieser seinen Ofen erst im Jahr 1826 errichtete. Da die Suppenschüsseln, die Felchlin ihm zuschreibt (HMO 8692; MBS 1920.83), aufgrund ihrer solothurnischen Widmungen deutlich früher zu datieren sind, können sie nicht Arbeiten Studers sein, und auch die Analyse ihres Scherbens hat ergeben, dass sie fremde Ware sind (Vogt et al. 2000, Mz 70 – HMO 8692). Von unserer Seite sei hier beigefügt, dass Fayencen dieser Art einhellig als ostfranzösische und insbesondere als lothringische Erzeugnisse gelten. Auch wenn sie nur von mittlerer Qualität sind, setzen sie doch die Routine grösserer Betriebe voraus, was nicht zur Töpferwerkstatt Studers passt, die nach Schwab nur klein war. Darüber hinaus beherrschten diese Betriebe die Polychromie der Aufglasurmalerei, eine Technik, die Studer, der seine Lehre in der Manufaktur Matzendorf absolviert hatte, dort sicher nicht lernen konnte. Im Übrigen bot ein 1806 im Solothurner Wochenblatt erschienenes Inserat französische Fayencen an, und es versteht sich fast von selbst, dass man beim Händler auch Bestellungen für Stücke mit Namensinschrift aufgeben konnte, die in Frankreich ausgeführt wurden (Vogt et al. 2000, 50).

Maria Felchlin kannte auch nicht die ganze von Albert Vogt dann ermittelte Biografie von Stampfli. Sie wusste nicht, dass dieser in der Manufaktur gearbeitet hatte, bevor er sich selbstständig machte. Und sie wusste auch nicht, dass er nach seinem Konkurs 1858 dorthin zurückkehrte. Vogt nimmt an, dass ein Teil der «Blauen Familie», das «Aedermannsdorfer» Felchlins, von Stampfli ist und dass er diese Produktion in der Manufaktur auf eigene Rechnung ausführte, nachdem der Betrieb 1845 die Herstellung hochwertiger Fayence aufgegeben hatte. Vogt schaffte damit die Kategorie «Aedermannsdorfer» von Felchlin ab und kehrte zur «Blauen Familie» von Schwab zurück. Ausgehend von der Feststellung, dass diese nicht das Werk eines einzigen Malers sein konnte, nahm er an, dass es hier mehrere Arbeiter in der Fabrik gab, die ausserhalb ihrer Arbeitszeit für Stampfli Fayencen dekorierten, ohne professionelle Maler zu sein (Vogt et al. 2000, 54). Er folgt damit der Vorstellung Felchlins, indem er deren «Laienprodukte» freilich in der Manufaktur hergestellt sieht.

Was den «Berner Dekor» angeht, teilt Vogt Felchlins Anschauungen. Wie sie verweist auch er auf Erzeugnisse, die eindeutig Matzendorf sind, wie die beiden Bartschalen von 1844 (HMO 8682; HMO 8896).

Er nennt hier auch jene für Johann Bieli (MBS 1912.99) und die Objekte vom Service für Jakob Fluri und Barbara Bläsi (HMO 8156; HMO 8139; HMO 8891; HMO 8897; HMO 8893; HMO 8171; HMO 8175; HMO 8894).

Zusammengefasst meint Vogt, dass ab 1845 die offizielle Produktion der Manufaktur so gut wie nur noch weisse, undekorierte Fayencen und braunes Kochgeschirr produzierte. Der Katalog der Gewerbeausstellung von Solothurn 1847 scheint ihm recht zu geben, denn dort ist die Manufaktur mit 40 Stück Weissgeschirr und 56 Stück braunem Kochgeschirr vertreten (Kat. Solothurn 1847). Vogt zitiert dazu den autobiografischen Bericht des Geschirrhausierers Peter Binz, dessen Mutter in den 1850er Jahren Geschirr verhausierte, «… das in der Fabrik Aedermannsdorf fabriziert wurde und das bessere, Fayence aus Horgen, Kt. Zürich, das uns mit Fuhrwerk … geliefert wurde» (Binz 1995, 15). Damit waren sicher Fayencen aus Kilchberg und Umgebung gemeint. Vogt meint, dass die Arbeiter der Fabrik die neue Situation ausgenutzt hätten, indem sie Imitationen aus der Glanzzeit Matzendorfs anzufertigen versuchten, die der «Blauen Familie» entsprachen.

Heutiger Standpunkt, Roland Blaettler
Wie Felchlin und Vogt zeigten, produzierte die Manufaktur Matzendorf von Anfang an Fayencen, während die Herstellung von Steingut erst nach der Ankunft von Franz Contre nach 1800 gelang (gemarktes Matzendorfer Steingut, naturwissenschaftlich untersucht: Maggetti 2017).

Rudolf Schnyder nimmt an, dass die Steingutproduktion spätestens nach dem Weggang von Urs Meister 1827 aufgegeben wurde und dass die neuen Pächter und künftigen Mitinhaber der Fabrik den Betrieb im Sinne einer Rationalisierung reorganisierten.

Was den «Berner Dekor» betrifft, halten wir fest, dass die von Felchlin und von Vogt zitierten Matzendorfer Beispiele sich deutlich von den Dekoren unterscheiden, die wir mit Rudolf Schnyder den Zürcher Manufakturen zuweisen. Markante Unterschiede sind auch bei den Formen bemerkbar. Die oben zitierten Bartschüsseln weisen die für Matzendorf charakteristische Form mit den unregelmässigen Pässen auf, die in der Produktion laufend vorkommt, bis in die spätere Phase der «Blauen Familie» (z. B. HMO 8887). Gleiches gilt für die Tintengeschirre, von denen das für Jakob Büchler gefertigte Exemplar (HMO 8223) eine Malerei von der gleichen Hand wie die Bartschüsseln «Bieli» (MBS 1912.99), «Schärmeli» (HMO 8896) und «Studer» (HMO 8682) aufweist.

Das Tintengeschirr zeigt eine Form, die in der Matzendorfer Produktion aus der Zeit um 1800 bis gegen Ende der 1860er Jahre mit Dekoren der «Blauen Familie» vorkommt. Diese Form ist von jener der Zürcher Tintengeschirre mit ihrer leicht zugespitzten oder flachen Frontwand des Abstellfachs deutlich verschieden. Die Matzendorfer Exemplare haben drei viereckige Füsschen, während die Zürcher Tintengeschirre in der Regel vier runde Füsschen aufweisen.

Und auch die in Matzendorf von 1830 bis 1860 belegte Form der Suppenschüssel mit ihren Palmettengriffen (z. B. MBS 1913.73) hat in Kilchberg-Schooren oder Rüschlikon keine Entsprechung.

Die genannten, von der gleichen Hand dekorierten Matzendorfer Objekte bilden eine Gruppe für sich, die im Blumendekor Motive aufweist, die hier auch früher und später noch vorkommen, während man sie im Zürcher Dekor vergeblich sucht. Ein solches Motiv ist die Doppelrose, die sich in Matzendorf seit 1835 findet (z. B. MBS 1912.228) und nach 1845 zu einem Leitmotiv der «Blauen Familie» wird (MBS 1912.249; MBS 1912.127). Nur einmal, im Dekor der Bartschale für Jakob Studer, verwendete der vielleicht beste Maler von Matzendorf auch ein Rot, fast ein Rosa, wohl unter Verwendung von Eisenoxyd (HMO 8682). Dieser Versuch bleibt für Matzendorf ein Einzelfall, während Eisenrot allgemein zur Zürcher Palette gehörte.

Zur Gruppe des Matzendorfer «Berner Dekors» zählt Vogt auch die zwischen 1842 und 1844 datierten Objekte für Jakob Fluri und dessen Gattin Barbara, die von anderer Hand dekoriert sind. Die Malerei ist hier weniger gepflegt, aber von der gleichen Art. Einige dieser Stücke verweisen mit ihren blauen Randlinien schon auf die «Blaue Familie» (z. B. HMO 8156; HMO 8139; HMO 8891).

Die Milchkanne für Barbara Fluri von 1844 (HMO 8894) gehört mit ihrem seltenen Landschaftsdekor zu den besten Stücken von Matzendorf. Doch ist ihre Form mit dem für Matzendorf typischen, innen abgeflachten Wulsthenkel etwas plump. Die Zürcher Fabrikate dieses Typs haben in der Regel fein profilierte Bandhenkel. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Manufaktur einen Dekor von dieser Qualität auf eine Form zweiter Wahl aufgebracht hätte.

Die 1840er Jahre sind in der Geschichte von Matzendorf im Hinblick auf die Qualität der am Ort gefertigten Fayencen eine gute Zeit. Vorher erscheint die Malerei weniger gepflegt und oft von Motiven inspiriert, die man auf Zürcher Erzeugnissen wiederfindet (MBS 1912.227; KMM 199; KMM 100; SFM 118); später lässt die Qualität wieder nach und geht in den Stil der «Blauen Familie» über. Unseres Erachtens ergibt sich der Übergang ganz natürlich und organisch aus der vorangehenden Produktion. Die «Blaue Familie» von der «offiziellen» Produktion der Fabrik zu trennen, erscheint uns unvertretbar. Es ist ein etwas einfaches Verfahren, das Schwab und Felchlin entwickelten, um eine Erklärung zu finden für die qualitative Diskrepanz zwischen den lokalen Erzeugnissen und den Fayencen mit «Berner Dekor» der Zürcher Region, die man unbedingt Matzendorf zugewiesen sehen wollte.

Laut den von Felchlin gesammelten Auskünften von Angehörigen seiner Familie soll Stampfli als Mitarbeiter der Manufaktur in der einen oder andern Weise an der Fabrikation der «Blauen Familie» beteiligt gewesen sein. Aber war er wirklich Maler? Die von ihm signierten Formen von Crémines lassen eher vermuten, dass er Former war. Und hat er wirklich, wie Vogt annimmt, in der Manufaktur nach der Aufgabe der Herstellung bemalter Ware eine eigene Produktion eingerichtet? Das würde heissen, dass das Unternehmen einen nicht geringen Teil seines lokalen Absatzes einem Mitarbeiter überliess. Wenn dem wirklich so war, dann müsste Stampfli mehrere Maler beschäftigt haben, um die von der Fabrik gelieferte, roh glasierte Ware zu dekorieren, die, da es sich um Scharffeuermalerei handelte, nur einen zweiten, nicht einen dritten Brand erforderte (Vogt et al. 2000, 53). Sollte Stampfli die Fayencen aber selbst fabriziert haben, dann hätte es dafür einer eigenen Infrastruktur innerhalb der Manufaktur bedurft, was sich für die «Blaue Familie» allein kaum gelohnt hätte. Vogt denkt, dass ein Teil von Stampflis Produktion «Laienarbeit» war. Gewiss ist in dieser späten Phase der bemalten Fayence ein steter Niedergang zu beobachten. Doch ist nicht zu übersehen, dass diese Produktion im Dekor eine klare, konsequent und streng verfolgte Linie hat, die von gut kontrollierter Arbeit zeugt und die stilistische Einheit garantiert. Ganz allgemein setzt die Fayenceproduktion eine verhältnismässig komplexe Technologie und eine Organisation voraus, die zwangsläufig eine Arbeitsteilung erfordert. Das kann nicht Sache einer kleinen, improvisierten Werkstatt von zwei oder drei Personen sein. Deshalb erscheinen uns alle von Solothurner Seite vorgebrachten Theorien einer «Laienproduktion» oder «Gelegenheitsbetätigung» undenkbar.

Vogt meint also, die Manufaktur hätte nach 1845 nur noch unbemaltes Fayencegeschirr hergestellt und keine professionellen Maler mehr beschäftigt. Stampfli hätte diese Situation genutzt, um sein eigenes Geschäft aufzuziehen. Da fragt es sich freilich, wie zu erklären ist, dass bei der Volkszählung von 1850 Josef Meister (1815–1866) als «Fayensmaler» und 1860 Franz Nussbaumer (1831–1883) als Maler in der Fabrik erwähnt werden (Vogt et al. 2000, 57–58). Warum sollten diese Personen in den offiziellen Dokumenten mit einer Gelegenheitsbetätigung und nicht unter der Angabe ihres wahren Berufs aufgeführt sein?

Klar ist, dass verschiedene weisse Fayencen Erzeugnisse der Manufaktur Matzendorf sind (AF 2-041-00; HMO 8900; AF 22-045-00; AF 22-046-00; AF 22-047-00; MBS 1920.106a; SFM 14; SFM 13).

Selbst wenn man die Idee akzeptiert, Stampfli hätte die Möglichkeit gehabt, ein eigenes Malatelier in der Fabrik zu betreiben, das, wenn man Vogt folgt, für diese keine Konkurrenz gewesen sei, ist es doch ganz unwahrscheinlich, dass die Manufaktur zugelassen hätte, dass er auch Fayencen fabrizierte, die eine Haupteinnahmequelle des Unternehmens waren. Die Formen der weissen Stücke, der Teekannen und der Bartschale sind völlig gleich wie jene der «Blauen Familie», aber durchaus verschieden von den weissen Fayencen zürcherischer Herkunft (KMM 26; SFM 99; KMM 29). Dazu passt der Kommentar zu den 1847 auf der Ausstellung in Solothurn gezeigten Matzendorfer Fayencen. Er erschien im Solothurner Volksblatt vom 22. Mai 1847 und hielt fest: «Das Material ist sehr gut, jedoch die Formen dürften noch etwas schlanker sein. Eine bessere Façon würde hier gewiss dem Absatz bedeutend nützen» (Vogt et al. 2000, 52). Wenn die weissen Fayencen, die wir Zürich zuweisen, wirklich Matzendorfer Erzeugnisse wären, ist nicht einzusehen, weshalb die Manufaktur die Formen dazu nach 1845 nicht weiter verwendet hätte.

Was die «Weissware» angeht, ist im Übrigen daran zu erinnern, dass solche in der Produktion vieler Manufakturen eine bedeutende Rolle spielte, die man gern etwas vergisst, da von diesem bescheideneren Geschirr viel weniger erhalten blieb als vom bemalten (vgl. z. B. die Verhältnisse im Stadtmüll der bernischen Brunngasshalde, entstanden zwischen 1787 und 1832: Heege 2010, 66–67). Wir sind überzeugt, dass dies auch für Matzendorf nicht nur für die Zeit nach 1845 gilt, sondern für die Zeit seiner ganzen Geschichte. Maria Felchlin hat dies schon geahnt, als sie im Hinblick auf die Periode des «Berner Dekors» schrieb: «Es [das Weissgeschirr] macht einfach ein Kontingent, wo nicht vielleicht das Hauptkontingent, der typischen Exportartikel aus» (Felchlin 1942, 58). Doch bleibt hier zu bedenken, ob unter der Kategorie «Weissware» nicht auch bemalte Fayence lief, die in der Fabrik bestellt werden konnte.

Wenn Schwab und Felchlin so viel Energie darauf verwendeten, die Zürcher Erzeugnisse mit «Berner Dekor» zu annektieren, dann waren sie beeindruckt von den von Urs Meister 1826 mitgeteilten Zahlen zum jährlichen Umsatz der Manufaktur. Diesem musste in ihren Augen eine grosse Produktion dekorierter Ware entsprechen. Wenn man aber auch nur einen Teil der Zürcher Produktion mit ihren vielen und von vielen verschiedenen Händen gemalten Dekoren in Betracht zieht, dann genügt die für die Jahre 1825 bis 1835 genannte Zahl von zwanzig Mitarbeitern der Solothurner Manufaktur sicher nicht, dieses Werk zu schaffen (Vogt et al. 2000, 35–36). Wir meinen, dass der grösste Teil der Produkte und Exporte von Matzendorf sowohl 1826 als auch 1845 in weisser, undekorierter Fayence und braunem Kochgeschirr bestand. Bemalte Fayence blieb immer ein kleines Segment, das aber nie aufgegeben wurde. Seit den 1840er Jahren ist anzunehmen, dass bemalte Ware fast nur noch auf Bestellung angefertigt wurde, wofür die vielen Widmungsinschriften sprechen. Die «Blaue Familie» aber stellt nur die letzte Phase in dieser Entwicklung dar.

Um auf die archäometrischen Analysen von Maggetti und Galetti zurückzukommen, halten wir fest, dass diese aufgrund von 70 Proben von Objekten oder Fragmenten aus Fayence und Steingut vorgenommen wurden, wobei 22 Beispiele von Stücken kamen, die wir klar als Kilchberger Erzeugnisse ansehen. Für 19 dieser Proben ergab die physikalisch-chemische Analyse ein für die Fayencen von Kilchberg typisches Bild, die restlichen drei wurden eindeutig den Solothurner Produkten zugeordnet, was natürlich zu Fragen führte (MBS 1937.3; KMM 83; SFM 92).

In CERAMICA CH sind die analysierten Objekte unter der Rubrik «Biblio.» mit der Nummer der Probe, z. B. «Mz 43» vermerkt.

Dazu sei hier an den Brief des Fayencefabrikanten Johannes Scheller von Kilchberg an den Gemeinderat von Balsthal vom 10. November 1851 erinnert, ein Dokument, das René Simmermacher fand und das Peter Ducret im Mitteilungsblatt der Keramik-Freunde der Schweiz, Nr. 120, 2007, publizierte (Ducret 2007, 10). In seinem Schreiben bittet Scheller den Rat um die Erlaubnis, in einer von der Gemeinde nicht mehr benützten Schaafhütte «den Winters über einige Fuder Erde inderselben aufbewahren» zu dürfen. Das kann nichts anderes heissen, als dass der Zürcher Fabrikant zeitweilig Rohmaterial aus den gleichen Tongruben im Dünnerntal bezog, aus denen auch die Manufaktur Matzendorf sich versorgte. Der Brief ist etwas später datiert als die Zeit des «Berner Dekors», doch spricht nichts dagegen, dass in Kilchberg gelegentlich auch früher schon mit Ton aus dem Dünnerntal gearbeitet wurde.

Wie auch immer, stösst hier die naturwissenschaftliche Methode an ihre Grenzen. Wir wissen, dass beispielsweise in Ostfrankreich recht oft weisse, unbemalte Fayence von einer Fabrik an ein Konkurrenzunternehmen geliefert wurde, das sonst nicht in der Lage gewesen wäre, eine grosse Bestellung auszuführen. Dass es einen entsprechenden Handel mit Ton, dem Rohstoff der Keramik gab, zeigt schon das Beispiel der in Matzendorf aus Heimbach im Breisgau für die Produktion von Steingut eingeführten, weissbrennenden Erde (Felchlin 1971, 16–18). Dass die naturwissenschaftliche Methode eine grosse Hilfe sein kann, ist unbestritten und ihre Entwicklung unbedingt zu unterstützen, aber für eine zuverlässige Interpretation ihrer Resultate bedarf es zusätzlich einer gründlichen Kenntnis des geschichtlichen Hintergrundes des Problems.

Steingut aus Matzendorf
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann englisches Steingut den kontinentalen Markt zu erobern. Dieses Produkt war nicht nur preislich vorteilhaft, sondern entsprach auch dem modernen Geschmack der Zeit und wurde zum Wahrzeichen der Industrialisierung in der Keramik. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass eines der ersten Projekte des Unternehmers Ludwig von Roll die Gründung einer Steingutfabrik in Matzendorf war. Die Herstellung von Steingut war in Matzendorf freilich mit Schwierigkeiten verbunden. Der erste für den Aufbau des Betriebs berufene Fachmann, Johann Jakob Frei, erwies sich als nicht in der Lage, Geschirr von der gewünschten Qualität zu produzieren. Erst mit der Ankunft von Franz Contre aus Sarreguemines fand der Traum von Rolls seine Verwirklichung. Contre wird seit August 1800 in Matzendorf erwähnt. Mit ihm kamen Fachleute aus Zentren der französischen Steingutindustrie wie Niderviller, Lunéville und Montereau. Wahrscheinlich hat Contre Matzendorf schon 1804 wieder verlassen. Aber die Produktion von Steingut war nun aufgegleist. Von 1800 bis 1804 beschäftigte die Manufaktur elf ausländische Mitarbeiter; 1808 war die registrierte Belegschaft nur noch einheimisch. Das letzte datierte Beispiel aus Steingut weist auf das Jahr 1821. Als Urs Meister, der Pächter der Manufaktur, 1826 zur Verbesserung der finanziellen Lage des Betriebs eine Lotterie durchführte, gab es noch immer Steingut im Sortiment; doch schon 1824 stellte der Zollkommissar Zellweger fest, dass dieses der Konkurrenz von Nyon nicht gewachsen war. Im Rechenschaftsbericht der Solothurner Regierung von 1836/37 heisst es dann nur noch: «Feines Geschirr und Pfeifenerde (Steingut) ec. wird aus Mangel an Erde nicht verfertigt.» Für die Herstellung von Steingut musste das Rohmaterial anders als für Fayence importiert werden, was natürlich in der Rechnung eines Betriebs, der mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, ein schwerer Kostenfaktor war. Die Produktion von Steingut wurde deshalb wohl nach von Rolls Konkurs und dem Neuanfang durch ein Pächtergremium 1829 aufgegeben. Von naturwissenschaftlicher Seite wurde Matzendorfer Steingut erstmals von Marino Maggetti analysiert (Maggetti 2017).

Undekoriertes Matzendorfer Geschirr
Wie die meisten Manufakturen hat auch die Fabrik von Matzendorf undekoriertes Gebrauchsgeschirr hergestellt, das entsprechend billig war. Solche einfache Ware ist selten erhalten geblieben. Doch gibt es davon noch Beispiele in den Solothurner Museen. Zu denen gehören auch Fayencen mit grünblauer Glasur, die eher für die Küche als für den Tisch bestimmt waren (HMO 8095; AF Nr. 106).

Wir meinen, dass diese Produkte ebenfalls in Matzendorf gefertigt sein können. Dies auch deshalb, weil im «Arkanum» der Manufaktur – einem Rezeptbuch, das wahrscheinlich noch um 1848 in Gebrauch war – im Kapitel «Bemalung» ein «schönes Seladongrün» erwähnt wird (Felchlin 1971, 37). Hierzu gehören zwei weitere, von uns nicht abgebildete Stücke mit ähnlicher Glasur: Ein grosser Krug im Museum Blumenstein (MBS 1890.1) und ein Doppelhenkelkrug im Museum Alt-Falkenstein, der wie HMO 8095 nur auf der Innenwandung glasiert ist.

Die Feldflasche AF Nr. 109, die zur «manganglasierten Braunware» von Matzendorf gehören dürfte, wird hier gezeigt, weil sie, was die Form angeht, AF Nr. 106 nahesteht.

Bibliographie

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2014, 12-26.

Bloch 1989
Peter André Bloch, Abschied von Dr. med. Maria Felchlin 1899–1987. Oltner Neujahrsblätter 47, 1989, 80–81.

Ducret 1950
Siegfried Ducret, Die Lenzburger Fayencen und Öfen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der schweizerischen Keramik. Aarau [1950].

Ducret 2007
Peter Ducret, Bedrucktes Steingut aus der Manufaktur Scheller in Kilchberg. Keramik-Freunde der Schweiz, Mitteilungsblatt Nr. 119/120, 2007.

Egli 2000
Markus Egli, Grabung auf dem Fabrikgelände der ehemaligen Fayence-Manufaktur. In: Verein «Freunde der Matzendorfer Keramik» (Hsg.), 200 Jahre keramische Industrie in Matzendorf und Aedermannsdorf 1798-1998. Matzendorf, 91-96.

Felchlin 1942
Maria Felchlin, Die Matzendorfer Keramik. Jahrbuch für Solothurnische Geschichte 15, 1942, 1–72.

Felchlin 1957
Maria Felchlin, Matzendorfer im Strassburger Stil. Eine neue historische solothurnische Fayence aus Matzendorf? Oltner Tagblatt 145–146, 26./27.06.1957.

Felchlin 1968
Maria Felchlin, Matzendorf in der keramischen Welt. In: 968–1968. Tausend Jahre Matzendorf, 1968, 151–213.

Felchlin 1971
Maria Felchlin, Das Arkanum der Matzendorfer Keramiken. Jahrbuch für Solothurnische Geschichte 44, 1971, 5–55.

Frei 1928
Karl Frei, Schooren-Fayencen des 19. Jahrhunderts. Jahresbericht des Schweizerischen Landesmuseums 17, 1928, 83–121.

Heege 2010
Andreas Heege, Keramik um 1800. Das historisch datierte Küchen- und Tischgeschirr von Bern, Brunngasshalde, Bern 2010.

Jegenstorf 1948
Ausstellung Schweizer Keramik des 18. und 19. Jahrhunderts im Schloss Jegenstorf/Bern, Mai-August 1948. Basel 1948.

Kat. Solothurn 1847
Katalog zur Gewerbe-Ausstellung in Solothurn, eröffnet vom 9. bis zum 25. Mai 1847. Solothurn 1847.

Maggetti 2017
Marino Maggetti, Technologische Analyse eines frühen (1800-1806) Matzendorfer Steinguts. Keramik-Freunde der Schweiz, Mitteilungsblatt 131, 2017, 105–123.

Maggetti/Galetti 2000
Marino Maggetti Marino/ Giulio Galetti, Naturwissenschaftliche Analyse der Fayence von Matzendorf. In: Verein «Freunde der Matzendorfer Keramik» (Hsg.), 200 Jahre keramische Industrie in Matzendorf und Aedermannsdorf 1798-1998. Matzendorf, 99-183.

Matzendorfer Keramik 2000
Verein «Freunde der Matzendorfer Keramik» (Hsg.), 200 Jahre keramische Industrie in Matzendorf und Aedermannsdorf 1798-1998. Matzendorf.

Matzendorfer Keramik 2022
Freunde der Matzendorfer Keramik (Hrsg.), 100 typische Matzendorfer Keramiken 1798-1845, Matzendorf 2022.

Nyon 1958
Vingt siècles de céramique en Suisse, cat. d’exposition, Château de Nyon. Nyon 1958.

Schnyder 1990
Rudolf Schnyder, Schweizer Biedermeier-Fayencen, Schooren und Matzendorf. Sammlung Gubi Leemann. Bern 1990.

Schnyder 2008
Rudolf Schnyder, Die Ausstellung „200 Jahre Matzendorfer Keramik“ von 1997 im Historischen Museum Olten. Keramikfreunde der Schweiz, Mitteilungsblatt 121, 2008, 3–66.

Schwab 1927
Fernand Schwab, Die industrielle Entwicklung des Kantons Solothurn und ihr Einfluss auf die Volkswirtschaft. Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen des Solothurnischen Handels- und Industrievereins. Solothurn 1927.

Strohmeier 1836
Urs Peter Strohmeier, Der Kanton Solothurn, historisch, geographisch, statistisch geschildert… Ein Hand- und Hausbuch für Kantonsbürger und Reisende. St. Gallen/Bern 1836.

Vogt 1993
Albert Vogt, Die Fayencefabrik Matzendorf in Aedermannsdorf von 1797 bis 1812. Jahrbuch für solothurnische Geschichte, 1993, 421–430.

Vogt 2003
Albert Vogt, Aedermannsdorf. Bevölkerung, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur im 19. Jahrhundert. Zürich 2003.

Vogt 2000
Albert Vogt Die Geschichte der keramischen Industrie in Matzendorf und Aedermannsdorf 1798-1998. In: Verein «Freunde der Matzendorfer Keramik» (Hsg.), 200 Jahre keramische Industrie in Matzendorf und Aedermannsdorf 1798-1998. Matzendorf, 9-90.

Meissen-Porzellanmanufaktur, Sachsen, «Brühl‘sches Allerlei»-Service, 1743–47

Roland Blaettler 2019

Graf Heinrich von Brühl (1700–1763) war eine der mächtigsten und einflussreichsten Persönlichkeiten des Fürstentums Sachsen und des Königreichs Polen unter der Herrschaft von August dem Starken und seinem Nachfolger Friedrich August II. Er hatte das volle Vertrauen des Königs. Dieses ging so weit, dass August II. Brühl mit öffentlichen Ämtern buchstäblich überschüttete. Nach dem 1733 erfolgten Tod von August dem Starken ver­mochte Brühl unter dessen eindeutig schwächerem Nachfolger seine Stellung noch auszubauen und wurde 1746 Premierminister. Zu den vielen Funktionen, die er während seiner Karriere ausübte, gehörte die Direktion der Porzellanmanufaktur Meissen.

Graf von Brühl zeichnete sich auch als Kunstsammler aus. In seinem Palais in Dresden und in den Bauten des Brühl’schen Gartens richtete er eine Bibliothek und eine Gemäldegalerie ein. Brühl war ein typischer Vertreter des Absolutismus; er achtete darauf, seine Macht mittels eines überaus prunkvollen Lebensstils zur Schau zu stellen. Das Meissener Porzellan spielte bei der Prachtentfaltung in seinen verschiedenen Schlössern eine entscheidende Rolle. Unter den vielen Aufträgen, die er in Meissen ausführen liess, gibt es zwei grosse Services, die in der Geschichte des europäischen Porzellans Furore machten: zum einen das berühmte Schwanenservice von 1737–1742, zum anderen das «Brühl’sche Allerlei», so genannt nach seinem alle Teile schmückenden Reliefdekor. Dieses Service, das am Ende mehr als 2000 Stücke zählte, beschäftigte die Manufaktur von 1742 bis 1747 (Lessmann 2000). Die Formen sind hauptsächlich das Werk von Johann Friedrich Eberlein (1695–1749), dem zweiten Modelleur neben Johann Joachim Kändler. Mitarbeiter war Johann Gottlieb Ehder (1716/17–1750). Der gemalte Dekor kombiniert «deutsche Blumen», Früchte und Gemüse nach Kupferstichen, unter anderem aus den vier Bänden Phytanthoza Iconographia von Wilhelm Weinmann, welche zwischen 1737 und 1745 in Regensburg herauskamen. Die Weinmann’schen Vorlagen wurden vornehmlich für Früchte und Gemüse verwendet. Wie alle grossen Ensembles dieser Art bestand das Gedeck ursprünglich aus einem Speise- und Dessertservice. Die Stücke des Dessertservice trugen in der Regel die «Conditorey»-Marke «C» (siehe HMO 8766).

Von diesem Service findet man heute nur noch verhältnismässig wenige und meist nur vereinzelte Stücke in öffentlichen Sammlungen (Cassidy-Geiger 2008, 462–465, zwei Teller und eine Terrine). Das grösste Konvolut hütet die Ermitage in St. Petersburg mit 38 Objekten. Weitere Teile befinden sich in amerikanischem Privatbesitz oder wurden öffentlich versteigert, wie beispielsweise 1977 in London bei Sotheby’s und 2012 in New York bei Christie’s. Vier Teller befinden sich heute im Historischen Museum in Olten (HMO 8565, HMO 8566, HMO 8765 und HMO 8766). Sie gelangten dorthin im Jahr 1959 mit dem Legat Maria Christen-Faesch (Felchlin 1961, 12). Einen fünften Teller bewahrt das Château de Nyon (MHPN MH-PO-4382).

Bibliographie

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2014, 282.

Bodinek 2019
Claudia Bodinek, Ein Meissener Porzellanservice für den Grafen – Das Brühl’sche Allerlei. Keramos 235/236, 2017 (erschienen 2019), 4–134.

Cassidy-Geiger 2008
Maureen Cassidy-Geiger, The Arnold Collection of Meissen Porcelain 1710-1750. New York/London 2008.

Felchlin 1961
Maria Felchlin, Die Bedeutung der Porzellansammlung Maria Christen-Faesch im Historischen Museum Olten (Sonderdruck aus Heimat und Volk, Beilage zum Oltner Tagblatt). Olten 1961.

Lessmann 2000
Johanna Lessmann, Das „Brühlsche Allerlei“, ein Service für Heinrich Graf von Brühl. In: Ulrich Pietsch (Hg.), Schwanenservice. Meissener Porzellan für Heinrich Graf von Brüh. Ausstellungskatalog, Dresdener Schloss. Dresden 2000, 106–118.

Reinheckel 1990
Günther Reinheckel, Meissner Prunkservice. Stuttgart 1990.

Meissen-Porzellanmanufaktur, Sachsen, Notgeld 1921

 

 Roland Blaettler 2019

Infolge des Mangels an Klein-und Wechselgeld in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wurde in Deutschland vielerorts Notgeld aus Ersatzmaterialien in Umlauf gebracht, von Ländern, Kreisen, Städten und Gemeinden, ja sogar von Banken und Handelsgesellschaften. Auch das Meissener Biskuitporzellan, aber vor allem das weniger schmutzanfällige Böttgersteinzeug kamen in diesem Zusammenhang zum Einsatz (HMO 8854 bis HMO 8883). Dieser besondere Produktionszweig erlebte in der Manufaktur quantitative Höhepunkte in den Jahren 1921–1924.

Der Freistaat Sachsen brachte zu Beginn des Jahres 1921 als erstes Land Meissener Notgeld in Umlauf (HMO 8872; HMO 8861). Nicht alle in Meissen angefertigten Münzen hatten eine offizielle Gültigkeit. Für Sachsen wurden zum Beispiel 5, 10 und 20 Mark-Stücke herausgegeben, die laut Verordnung des Finanzministeriums «nur Sammlerwert» hatten (Scheuch 1995). Fast alle Meissener Münzen gehen auf Entwürfe von Paul Börner (1888–1970) zurück, der 1910 in der Manufaktur als Maler seine Anfänge machte. Zwei Jahre später war er als Modelleur tätig und von 1930 bis 1937 war er Direktor der künstlerischen Abteilung (Marusch-Krohn 1993, 40–44).

Bibliographie

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2014, 388.

 Marusch-Krohn 1993
Caren Marusch-Krohn, Meissener Porzellan 1918–1933. Die Pfeifferzeit. Leipzig 1993.

Scheuch 1995
Karl Scheuch, Münzen aus Porzellan und Ton der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen und anderer keramischer Fabriken des In- und Auslandes. Gütersloh 1995.

Möhlin AG, Niederweiler Steingutfabrik A.G. (1906–1956)

Roland Blaettler und Andreas Heege, 2020

Keramik aus Möhlin in CERAMICA CH

Wie es der Name des Unternehmens und dessen Fabrikmarken (vom Lothringer Wappen abgeleitetes Motiv: MWH H 478; HMO 8416; HMO 8324; HMO 8162; HMO 8772) aussagen, wurde die Niederweiler Steingutfabrik A.G. von einer lothringischen Unternehmerfamilie gegründet.

1827 erwarb Louis-Guillaume Dryander die historische Fayence-und Porzellanmanufaktur von Niderviller (Moselle). 1830 verzichtete er auf die Porzellanproduktion, um sich ausschliesslich der rentableren Erzeugung von Steingut zu widmen. Das Unternehmen wurde 1886 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, dessen Leitung bis 1944 in den Händen der Familie blieb (zu Niderviller und Steingut aus Niderviller vgl.: Soudée-Lacombe 1984 ; Hassenforder 1990 ; Heckenbenner 2002; Maggetti/Heege/Serneels 2015).

1906 entschieden die Nachfahren von Louis-Guillaume Dryander, ein Zweigunternehmen in der Schweiz, mit Sitz in Rheinfelden und Fabrikationstätte in Möhlin aufzubauen: die Steingutfabrik Niederweiler A.G. Als Vertreter der Niederlassung galt der Elsässische Prokurist Julius Hermann (Schweizerisches Handelsamtblatt [SHAB], Bd. 24, 1906, 1802). Ab 1918 und bis 1937 hatte Hermann – nunmehr mit dem Vornamen Jules – die Direktion der Möhliner Fabrik inne (SHAB, Bd. 36, 1074 – Bd. 55, 1937, 2709). 1937 übernahm Louis Dryander, einer der wichtigsten Aktionäre der Firma, die Leitung der Filiale, mit Wohnsitz in Rheinfelden (SHAB, Bd. 56, 1938, 851). 1946 wurde eine kunstkeramische Abteilung eingerichtet. Im November 1955 wurde die Möhliner Filiale aufgehoben und der entsprechende Firmenname gelöscht (SHAB, Bd. 73, 1955, 2839).

Die ursprüngliche Marke (MWH H 478) wurde später verändert, indem man das Lothringer Wappen zunächst mit dem Schriftzug „MOEHLIN“ versah. Diese Marke gibt es in braun  (KM-SMP 051) und blaugrün (MPO 10924-01).

Nach 1931 wurde eine Armbrust hinzugefügt (HMO 8772; RMC H1999.786). Die Armbrust wurde vom Verband für Inlandproduktion als Kollektivmarke im April 1931 offiziell eingeführt (SHAB, Bd. 49, 1931, 1086).

Es gibt verschiedene Markenvarianten mit  Armbrüsten, deren exakte Datierung momentan unklar ist (RMC H1985.507, KM-SMP 011, KMDis 2020-47, KM-SMP 059, HMO 8070, HMO 8554).

Der Nachlass (Dokumente und Produkte der Manufaktur) des aufgelösten Vereins der ehemaligen Keramikarbeiter befinden sich im Dorfmuseum Melihus in Möhlin. Eine monographische oder systematische Bearbeitung der Firmengeschichte, der Produkte oder Dekore fehlt bis heute.

Bibliographie:

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2014, 372.

Hassenforder 1990
Martine Hassenforder, Les faïenciers de Niderviller, Sarrebourg 1990.

Heckenbenner 2002
Dominique Heckenbenner, Faïences de Niderviller, Sarrebourg 2002.

Maggetti/Heege/Serneels 2015
Marino Maggetti/Andreas Heege/Vincent Serneels, Technological Aspects of early 19th c. English and French white earthenware assemblage from Bern (Switzerland). Periodico di Mineralogia 84, 2015, Heft 1 (Special issue: EMAC 2013, Inside the pottery: composition, technology, sources, provenance and use), 139–168.

Soudée-Lacombe 1984
Chantal Soudée-Lacombe, Faïenciers et porcelainiers de Niderviller au 18e siècle. Le Pays Lorrain, 65. Jahrgang, 1984, 1–76.

 

Moosseedorf BE, Hafner Johannes Häberli

Moosseedorf vom Flugzeug aus gesehen, ca. 1939, Blick nach Nordosten.

Andreas Heege, Andreas Kistler, Alfred Spycher, 2025

Im bernischen Mittelland waren Familien mit dem Namen Häberli vor 1800 nur in den Gemeinden Krauchthal, Münchenbuchsee und Jegenstorf eingebürgert, jedoch gab es zahlreiche weitere Heimatberechtigte gleichen Namens in den Kantonen Luzern, Thurgau und Zürich (Familiennamenbuch der Schweiz, Online-Version). Der Versuch eine schlüssige und vollständige Genealogie der verschiedenen Hafner Häberli zu erarbeiten, war nur teilweise erfolgreich, da sich verschiedene Familienstränge nicht miteinander verbinden liessen. Es bleibt derzeit festzuhalten, dass die familiengeschichtlichen Forschungen keinen Nachweis erbracht haben, dass es direkte verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Hafnern Häberli, die im 18. und 19. Jahrhundert in Münchenbuchsee oder Moosseedorf arbeiteten, und den Hafnern Häberli aus Hängelen gibt. Auch besteht keine verwandtschaftliche Beziehung zu den Hafnern Häberli, die sich zwischen 1861 und 1941 in Jegenstorf nachweisen lassen. Diese gehören nachweislich zum Stamm der Häberli aus Münchenbuchsee.

Häberli, Münchenbuchsee-Moosseedorf_genealogische Daten

Häberli, Münchenbuchsee-Moosseedorf, Stammbaum

Johannes Häberli (1787-1835) war der Sohn des gleichnamigen Hafners Johannes Häberli (1755-1821) und seiner Frau Elisabeth Knuchel. Er heiratete am 6.11.1813 Christina Keller (1793-1859), Heimatort Bannwil (KRSchüpfen 11, 66). Am 19.3.1814 wurde dem Paar, das zu diesem Zeitpunkt noch in Münchenbuchsee lebte, ein Sohn Daniel (1814-?) geboren, der wohl nach dem ersten Taufpaten, Schulmeister Daniel Häberli (1787-1864), benannt wurde.

Johannes Häberli kaufte am 11.4.1816 von Hans Holzer, Zimmermann von Moosseedorf, ein neu errichtetes „Tauneranwesen so bestehet: 1. In einem ganzen Haus samt beiliegendem Garten und Erdreich von ungefähr einer Jucharten … 2. Einem Stück Erdreich auf dem ?hübeli, ungefähr eine halbe Jucharte. 3. Einem Acker auf dem Tannacker haltend zwei und eine halbe Jucharten. Kaufsumme 4’500 Pfund oder 1’350 Kronen Bernwährung“ (GBM_02_325-328). Das Gebäude steht heute noch am südöstlichen Dorfrand von Moosseedorf, Unterweg 5. Bei Johannes Tod 1835 gelangte der Grundbesitz – das „Wohnstöcklein mit Hafnerei“ nebst einem „Wohnhaus mit Scheuer“ – an seine Witwe. Diese verheiratete sich am 19.3.1836 erneut mit Niklaus Bill (1801-1870) von Moosseedorf. Niklaus Bill war ein Küfer. Zehn Jahre nach dem Tod seiner Frau  Christina Keller (1793-189) liess er sich 1869 den ererbten Grundbesitz als seinen Besitz im Grundbuch eintragen. Zu diesem Zeitpunkt existierte das „Wohnstöcklein mit Hafnerei“ noch. Das Erbe von Niklaus Bill traten 1872 fünf Neffen an. Bei einer weiteren Liegenschaftsteilung 1879  war nicht mehr von einer Hafnerei die Rede.

Zwischen 1818 und 1830 lassen sich für die Werkstatt von Johannes Häberli immerhin 14 Gesellenanmeldungen nachweisen. Es dürfte also in dieser Zeit reichlich Arbeit gegeben haben. Vermutlich war die Werkstatt nach 1835 vermietet, jedoch finden sich drei weitere Gesellenanmeldungen erst wieder 1862-1865 bei einem Hafner namens Andreas Schneider, zu dem wir ansonsten keine weiteren Informationen haben.

Moustiers-Sainte-Marie, Dép. Alpes-de-Haute-Provence F

Fayencen aus Moustiers in CERAMICA CH

Geschichte der Fayencen aus Moustiers

Liste der wichtigsten Dekore

Bibliographie (Dank geht an die Académie de Moustiers)

Diese Liste, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, enthält die wichtigsten Werke über Fayencen von Moustiers :

  • Dr Jean-Claude Alary, Les chinois de grand feu, un décor méconnu des faïences de Moustiers, Nîmes, 2008.
  • Dr Jean-Claude Alary, Les grotesques, un décor original de la faïence de Moustiers du XVIIIème siècle, Nîmes, 2014.
  • Louis Arnavon, Une collection de faïences provençales, Marseille, 1902.
  • Marius Bernard, Catalogue de faïences et porcelaines, Marseille 1911.
  • Dr. J. Chompret, J. Bloch, P. Alfassa, Répertoire de la faïence française, S. Lapina, 1935, 6 volumes.
  • Denise Collard, Les faïences de Moustiers : Sèvres et Limoges, RMN, Paris, 1988.
  • Collectif, Trésors des collections privées, musée de Grasse, 1992.
  • Charles Damiron, La faïence artistique de Moustiers, Vve Blot, Lyon, 1919.
  • Jean-Charles Davillier, Histoire des faïences de Moustiers, Marseille et autres, Castel, Paris, 1863.
  • J.-E. Doste, Notice historique sur Moustiers et ses faïences, M. Olive, Marseille, 1874.
  • Eugène Fouque, Moustiers et ses faïences, Remondet-Aubin, Aix-en-Provence, 1891.
  • Dorothée Guillemé Brulon, Moustiers et Marseille, Edition Massin, 1997.
  • Louis Julien, L’art de la faïence à Moustiers, Édisud, Aix-en-Provence ,1991.
  • Louis et Andrée Julien, Faïenciers de Moustiers, biographies et pièces marquées, Equinoxe, Barbentane, 1998.
  • Gilbert-Jean Malgras, Nouveau Tardy – Moustiers, ABC collection, 1985.
  • Jacques Mompeut, Les faïences de Moustiers, Édisud, Aix-en-Provence, 1980.
  • Georges Piolino, Le décor aux grotesques, Delémont, 1998.
  • Marcel Provence, Le musée de Moustiers, Macabet, Vaison-la-Romaine, 1936.
  • Marcel Provence, Olérys, Edition du Feu, Aix-en-Provence 1930
  • Abbé Henry Requin, Histoire de la faïence artistique de Moustiers, Paris, 1903.
  • Henry-J. Reynaud, Faïences de Moustiers, XVIIe et XVIIe siècles, Genève, 1952.
  • Henry-J. Reynaud, Faïences anciennes de Moustiers, Berne, 1961.

Müller, Anna, Grosshöchstetten BE, Keramikerin

Keramiken in der École d’arts appliqués, La Chaux-de-Fonds

Arbeiten von Anna Müller in CERAMICA CH

Anna Müller (1892-1968) war die Tochter des Pfarrers Bernhard Müller (1860-1935) und seiner Frau Anna Müller-Gerber (1863-1931) aus Grosshöchstetten BE (Nachruf Der BUND 5.7.1968). Vom Wintersemester 1911/1912 bis zum Wintersemester 1913/1914 wurde sie an der Keramischen Fachschule in Bern als Porzellanmalerin bzw. Keramikerin ausgebildet (Messerli 2017, 70-71 und Schülerlisten). Dabei lernte sie u.a. Frieda Lauterburg, Elisabeth Strasser, Adolf Schweizer und Hans-Rudolf Wittwer kennen, der später als Keramikmaler auch für die DESA in Steffisburg, Emil Loder in Luzern bzw.  bei der Ziegler’schen Tonwarenfabrik in Schaffhausen arbeitete und malte.

Bereits im Januar 1911 zeigte Anna Müller zusammen mit Oswald Kohler (Schüpbach), Adolf Gerber-Kohler (damals noch Schüpbach) und Johann Röthlisberger (Langnau) Keramiken, die im Rahmen eines von Paul Wyss geleiteten Töpferkurses des Handwerkervereins Langnau entstanden waren (Der Bund 18.1.1911). Der Ausstellungsort war die «Kunstindustrie-Ausstellung des Kantonalen Gewerbemuseums in Bern».

Ausstellungsfoto Landesausstellung Zürich 1914 (Conradin 1914).

Ausstellungsbesprechung zur Landesausstellung in der Zeitung Der Bund 9.10.1914.

1914 stellte Anna Müller zusammen mit Adolf Gerber, Johannes Röthlisberger und Frieda Lauterburg auf der Landesausstellung in Zürich aus. Vermutlich arbeitete sie zu diesem Zeitpunkt auch in der Werkstatt Gerber in Langnau.

Expertenbericht zur Gruppe 23 der Schweizerischen Landesausstellung 1914, Keramik und Glas (Kiefer 1914, 74, Ausschnitt).

 

Terrine im Stil Alt-Langnau“ von Adolf Gerber, Langnau, signiert „AM“, was als Anna Müller aufgelöst werden kann. Foto Andreas Heege, heutiger Standort unbekannt.

Set von Vorratsdosen signiert „AM“, möglicherweise in der Werkstatt von Adolf Gerber in Langnau entstanden.

Der Entwurf zu den Vorratsdosen fand sich im Werkstattnachlass von Adolf Gerber.

Arbeiten von Anna Müller vor 1916, in Franziska Anner, Die kunstgewerbliche Arbeit der Frau in der Schweiz, Chur 1916, Taf. 41.  Der Einfluss des Bernischen Kunstgewerbelehrers Paul Wyss ist unverkennbar.

1916 wurden ihre keramischen Arbeiten durch Franziska Anner in der Publikation „Die kunstgewerbliche Arbeit der Frau in der Schweiz“ gewürdigt (Anner 1916; Besprechung in der NZZ 31. Juli 1917). Für Teile der 1916 gezeigten Keramiken (u.a. die Fruchtschale auf hohem Fuss, fanden sich Transparent-Umzeichnungen im archivalischen Nachlass der Hafnerei Röthlisberger in Langnau. Hat Anna Müller also zeitweise auch dort gearbeitet?

Nach diesem Datum gibt es keine Anhaltspunkte mehr für weitere keramische Arbeiten oder Ausstellungen. Beim Tod der Mutter wird 1931 als Aufenthaltsort St. Stephan BE angegeben. Beim Tod des Vaters 1935 Burgdorf BE. Das wird verständlich, wenn man bedenkt, dass sie 1932 Leiterin des Greisenasyls Burgdorf wurde (Der BUND 19.12.1931).

Nachruf 1968.

1948-1957 leitete sie ein Alten- und Pflegeheim in Laupen BE und von 1957 bis 1965 arbeitete sie in einer Buchhandlung in Interlaken BE, bevor sie in ihren letzten Lebensjahren nach Grosshöchstetten zurückkehrte (Nachruf im BUND 5.7.1968).

Bibliographie:

Anner 1916
Franziska Anner, Die kunstgewerbliche Arbeit der Frau in der Schweiz, Chur 1916.

Conradin 1914
Christian Conradin, Der Bazar im Dörfli, in: Heimatschutz. Zeitschrift der Schweizer. Vereinigung für Heimatschutz 9, 1914, Heft 6, 89-98.

Kiefer 1914
Georges Kiefer, 23: Gruppe: keramische und Glaswaren. Schweizerische Landesausstellung in Bern 1914, Fachberichte Band VI.

Messerli 2017
Christoph Messerli, 100 Jahre Berner Keramik. Von der Tuner Majolika bis zum künstlerischen Werk von Margrit Linck-Daepp (1987-1983). Hochschulschrift (Datenträger CD-ROM), Bern 2017, bes.  70-71.

Münchenbuchsee BE, Hafner Häberli

Münchenbuchsee, Luftaufnahme von Walter Mittelholzer, 1924, Blick nach Südosten.

Andreas Heege, Andreas Kistler, Alfred Spycher, 2025

Im bernischen Mittelland waren Familien mit dem Namen Häberli vor 1800 nur in den Gemeinden Krauchthal, Münchenbuchsee und Jegenstorf eingebürgert, jedoch gab es zahlreiche weitere Heimatberechtigte gleichen Namens in den Kantonen Luzern, Thurgau und Zürich (Familiennamenbuch der Schweiz, Online-Version). Der Versuch eine schlüssige und vollständige Genealogie der verschiedenen Hafner Häberli zu erarbeiten, war nur teilweise erfolgreich, da sich verschiedene Familienstränge nicht miteinander verbinden liessen. Es bleibt derzeit festzuhalten, dass die familiengeschichtlichen Forschungen keinen Nachweis erbracht haben, dass es direkte verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Hafnern Häberli, die im 18. und 19. Jahrhundert in Münchenbuchsee oder Moosseedorf arbeiteten, und den Hafnern Häberli aus Hängelen gibt. Auch besteht keine verwandtschaftliche Beziehung zu den Hafnern Häberli, die sich zwischen 1861 und 1941 in Jegenstorf nachweisen lassen. Diese gehören nachweislich zum Stamm der Häberli aus Münchenbuchsee.

Häberli, Münchenbuchsee_genealogische Daten

Häberli, Münchenbuchsee, Stammbaum

Johannes Häberli (1720-1796), war wahrscheinlich der zweite Hafner zu Münchenbuchsee. Sein Vater Johannes (Hans, 1693-?) war vermutlich ebenfalls Hafer, denn beim Neubau eines Hauses  1735 durch einen Jakob Häberli, taucht bereits ein „Hafner Johannes Häberli“ auf (StAB Urbarien Fraubrunnen 60, 33-35, Buchsee Dopel Tom III. Page 22). Johannes, der 1720 geboren wurde,  hatte fünf Geschwister (siehe Stammbaum). Er heiratete am 26.8.1746 in Jegenstorf (KRJ_27_126, KRJ = Kirchenrodel Jegenstorf) Anna Katharina Reutlinger (1723-1749), die Tochter des Jegenstorfer Hafners Abraham Reutlinger (1673-1741; Stammbaum; zu Reutlinger vgl.  Boschetti-Maradi 2006, 210 Anm. 1307; Heege/Frey/Spycher/Kistler 2023, 37-38). Ihre ältere Stiefschwester Anna Barbara Reutlinger (1699-1744) hatte den Hafner Hans Rudolf Marti (1691-1742) aus Fraubrunnen geheiratet. Im September 1747 kaufte Johannes Häberli mit Einverständnis seiner Schwiegermutter von Jacob Häberli ein „Haus, Ofenhaus, Speicher samt beiligender Hoffstatt und Garten zu [München]Buchsee gelegen, haltet zusammen ungefähr ¾ Juchart; stösst sonnenaufgangs an Christen Häberli den Weibel, Mittags an Niclaus Häberli, eingangs an die Gasse, mitternachts an Christen Ruffeners den Artzt“ für 1800 Pfund (StAB Bez Fraubrunnen A 272, 48-50). Der Tod von Anna Katharina Reutlinger wurde im Kirchenrodel Münchenbuchsee angezeigt (KRM 14,39), das kinderlose Paar dürfte also dort gelebt haben.

In zweiter Ehe heiratete Johannes am 7.2.1754 in Münchenbuchsee eine Margaritha Genfer (oder Jenfer) aus Bibern  (1729-1784; Heirat KRM 10, 3;  Geburt KR Ferenbalm 3, 132, auch StAB BXIII 559 Ausburger Taufrodel Nr. VI 1721-1737 [Stadt Bern], Seite 283/2; Tod KRM 14, 95; siehe Stammbaum). Dieses passt zu einer Obligation über 60 Kronen aus dem Jahr 1760  (StAB Bez. Fraubrunnen A 273_171).  „Johannes Häberli, der Hafner zu Buchsee“ hatte sich von „Jsaac Äbersold, Hafner Gsell bei Meister Dittlinger, sonst gebührtig von Vechigen“ 60 Kronen geliehen. Als Bürge wird genannt: „Jacob Genfer von Biberen, Kirchhöri Ferenbalm“ (ein Onkel oder Bruder?). Von 1753 bis 1763 lebte mit Einverständnis der Gemeinde Mattstetten Elisabeth Reutlinger-Fankhauser, seine Schwiegermutter aus erster Ehe, bei ihm in Münchenbuchsee (Verpfründungsverträge: StAB, Bez. Fraubrunnen A 274,129 und A 322,49). 1754 kaufte er einen Acker im „Guggerspühl“ (StAB Bez Fraubrunnen A 274,187), den er aber 1760 schon wieder verkaufen musste (StAB Bez. Fraubrunnen A 276, 170-172). 1760 sah er sich aus wirtschaftlichen Gründen offenbar auch gezwungen seine Liegenschaft für 2400 Pfund oder 720 Kronen zu verkaufen (StAB Bez. Fraubrunnen A 273, 174-175). Der Kaufvertrag räumte ihm ein „Soll dem Verkäufer oder seinen Erben frey stehen, solches, wann er zum Vermögen kommen sollte, im gleichen Preiss gegen baare Bezahlung innert 15. Jahren wieder an sich zu lösen [zurückzukaufen].“ Vermutlich blieb er als Mieter im Haus wohnen, ein Rückkauf ist bislang nicht nachweisbar. 1772 wird er noch als „Hafner Johannes Häberli“ bezeichnet (StAB Bez. Fraubrunnen A 276, 170-172). Bei der Taufe der unehelichen Anna Häberli (1774-?, Vater Daniel Häberli, Schulmeister, Sohn) wird er dagegen mit „Schulmeister“ tituliert (KRM 5, 161). Bei seinem Tod 1796 firmiert er als „alt Schulmeister“ und sein Alter wird mit 76 Jahren angegeben (KRM 14, 110).

Zwischen 1749 und 1798 lassen sich in den Amtsrechnungen Münchenbuchsee, Fraubrunnen und Aarberg Ofenarbeiten von Johannes Häberli nachweisen, wobei nicht zwischen Vater (1720-1796) und Sohn (ab ca. 1779?) unterschieden wird. In der Regel hat Johannes Ofenreparaturen ausgeführt, nur in wenigen Fällen durfte er einen neuen Ofen fertigen und aufsetzen.

Aus der Ehe mit Margaritha Genfer gingen eine Tochter Anna (1762-1763) und ein weiterer Johannes Häberli (1755-1821) hervor (KRM 5, 67), der in erster Ehe am 4. Mai 1779 eine Elisabeth Hubacher (1757-1784) von Hub, Gemeinde Krauchthal (KRM 10, 28 Eherodel , KRM = Kirchenrodel Münchenbuchsee) heiratete. Diese Ehe blieb kinderlos. Weitere Informationen liegen nicht vor.  Mit  der zweiten Frau Elisabeth Knuchel (1765-1834, Hochzeit 1786)  bekam Johannes neun Kinder . Er erscheint als Hafnermeister im Helvetischen Bürgerregister von 1798. Vermutlich lassen sich ihm auch Gesellenanmeldung in den Jahren 1817 und 1818 zuordnen.

Von seinen Söhnen wurden mindestens zwei ebenfalls Hafner. Niklaus Häberli (1789-1858) war gleichzeitig Krämer und hatte seine Werkstatt „bei der Kirche“. Für ihn sind zwischen 1822 und 1841 zahlreiche Gesellenanmeldungen belegt. Die Werkstatt muss also floriert haben. Sein älterer Bruder Johannes Häberli (1787-1835) führte zwischen 1816 und 1835 eine eigene Hafnerei im benachbarten Moosseedorf. Möglicherweise war auch der jüngere Bruder Bendicht (1800-?) Hafner, denn für 1826 lässt sich für ihn eine Gesellenanmeldung nachweisen (StAB B XIII 471).

Die zweite „Hafner-Häberli-Linie“ von Münchenbuchsee startet mit Johannes Häberli (1732-1792), dessen Beruf wir nicht kennen. Er heiratete am 14.1.1763 in Münchenbuchsee eine Anna Küenzi (KRM_10_8; siehe Stammbaum). Möglicherweise stammte Anna Küenzi aus der Region Heimberg/Steffisburg, denn alle sechs Kinder des Paares wurden in Vechigen, Worb, Wichtrach oder Steffisburg getauft. Bei den letzten vier Kindern wird als Wohnort Heimberg bzw. Heimberg-Beumberg angegeben (KRM 5, 100, KRM 5,108, KRM 5, 127, KRM 5, 152, KRM 5, 166, KRM 5, 182). Er arbeitete also wohl nie in Münchenbuchsee. Dazu passt auch, dass wir seinen erstgeborenen Sohn Samuel Häberli (1765-1830) von 1785-1795 als Hafner in Heimberg finden. Erst dessen jüngste Tochter Maria (1797-1863) wurde 1797 in Münchenbuchsee getauft (KRM 5, 245, KRM 5, 267, KRM 5, 276, KRM 5, 294,  KRM 6, 38, KRM 6, 57). Es erstaunt daher nicht, dass Samuel Häberli 1798 auch im Helvetischen Bürgerregister unter Münchenbuchsee eingetragen wurde. Am 11.11.1802 kaufte er deutlich ausserhalb des Dorfkerns ein kleines Haus mit Garten (GBM 3, 284-286, GBM = Grundbuch Münchenbuchsee). Es steht heute noch an der Andresse Mühlestrasse 102. Für Samuel gibt es zwischen  1816 und 1827 vier Gesellenanmeldungen .

Samuel Häberli hatte sieben Kinder, von denen der älteste Sohn Jakob (1785-1831) ebenfalls Hafner und sein jüngerer Bruder Christian (1787-1857) Kachelträger/Geschirrhändler wurden (Stammbaum). Um den Lebenswandel von Jakob und Christian scheint es nicht sehr gut bestellt gewesen zu sein, denn es gab verschiedene Vorladungen zu „Polizeiaudienzen“ vor dem Amtsstatthalter in Fraubrunnen. Wegen „Hang zum Trunk und leichtsinnigen Handlungen“ wurde ihnen 1823, 1827 und 1830 der „Besuch der Wirts- und Pintenschenkhäuser in den Amtsbezirken Fraubrunnen und Bern“ verboten (StAB Bez Fraubr B 366, 104, 1820, StAB Bez Fraubr B 367, 117, 1823, StAB Bez Fraubr B 369, 97, 1830, StAB Bez Fraubr B 369, 130, 1839). Wie schwerwiegend die Probleme wirklich waren, lässt sich kaum abschätzen. Zwischen 1830 und 1833 gab es jedenfalls bei Jakob bzw. seiner Witwe Maria Kunz immerhin acht Gesellenanmeldungen. Bei seinem Sohn Johann Jakob (1814-1874) finden sich noch drei Gesellenanmeldungen zwischen 1857 und 1866.

Das Hafnerhaus Mühlestrasse 102 wurde bis 1875 von verschiedenen Hafner-Nachkommen bewohnt und genutzt. Über den letzten Hafner „Johann Häberli, Sohn“ wurde 1870 der Geldstag verhängt (Tagblatt der Stadt Biel, Band 8, Nummer 272, 17. November 1870).

Das Haus gelangte dann 1875 an Gottfried Häberli (1845-1909), der Lehrer war. Dieser versuchte es 1876 zu verkaufen. Ein Verkauf an den Zimmermann Christian Hirt-Weibel kam jedoch erst 1893 zustande (GBM 30, 98-102).

Bibliographie:

Boschetti-Maradi 2006
Adriano Boschetti-Maradi, Gefässkeramik und Hafnerei in der Frühen Neuzeit im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 8), Bern 2006.

Heege/Frey/Spycher/Kistler 2023
Andreas Heege/Jonathan Frey/Alfred Spycher u.a., Keramik aus Blankenburg, Abraham Marti (1718–1792), ein bernischer Landhafner, Bd. 16 (Schriften des Bernischen Historischen Museums), Bern 2023.

 

 

Muttenz BL, Mascarin, Mario (1901-1966)

Breitrandteller von Mario Mascarin, Privatbesitz.

Mario Mascarin  (* 17.05.1901 in Rivarolo Ligure – † 19.06.1966 in Muttenz)
war ein italienischstämmiger, bedeutender Keramiker. Seine Keramiken und seine Sonderkurse für Berufsleute an der Kunstgewerbeschule  in Zürich (1951-1953) und die Teilnahme an verschiedenen Ausstellungen im In- und Ausland prägten die Arbeiten zahlreicher anderer Keramikerinnen und Keramiker der Schweiz (Geiger 1967).

Über sein Leben und sein Werk informieren verschiedene digitale Medien (Miriam Baumeister) und Publikationen, denen die folgenden Kurzinformationen entnommen sind (Baeriswyl-Descloux 2007; Barten 1998; Filliol/Lambercy/Schnyder u.a. 2006, dazu Webseite: www.mascarin.ch mit zahlreichen Keramikfotos).

1901 Geburt in Rivarolo Ligure (Italien), Jugend in Venedig.
1920 bis 1923 machte er zunächst eine Ausbildung als Buchhalter und leistete Militärdienst. 1924/25 Studienaufenthalt in Wien, journalistische Tätigkeit zu arbeiten.
1926 erster Kontakt mit Keramik in einer Manufaktur in Nove di Bassano in Italien eine 1927/28 Kunstkritiker und Journalist im Tessin.
1929-1932 Sonderkorrespondent in Norwegen. Anschliessend dort im Exil und Ausbildung zum Keramiker in einer kleinen Töpferei.
1932 Rückkehr ins Tessin, Arbeit als Kunstkritiker.
1936-1940 Freier Mitarbeiter der Töpferwerkstatt Waidberg in Zürich.
1940 bis 1943 Betriebsleiter der Kunstkeramikabteilung der Ziegelei Thayngen. Dort Kontakt zu den Schweizer Keramikern Edouard Chapallaz und Philippe Lambercy.
1944-1946 Betriebsleiter der Keramikfirma Paul Eisen-Picard (Peba)  in Basel. Diese Firma lässt sich zwischen 1919 und 1954 im Schweizerischen Handelsamtsblatt nachweisen.
1946-1966 eigenes Keramikatelier in Muttenz.
1951-1953 Sonderkurse für Berufsleute an der Kunstgewerbeschule  in Zürich.
1959 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Schweizer Keramik (ASK).

Fünf Teller (1950-1966), gemarkt, aus der Werkstatt Mascarin, Privatsammlung

Mario Mascarin gilt als Pionier der Steinzeugkeramik in der Schweiz und als Vorreiter in Glasurtechniken bei hohen Temperaturen. Zwischen 1955 und 1965 stellte er seine Werke an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland aus (Liste in Filliol/Lambercy/Schnyder u.a. 2006, 7), zuletzt 1965 in der grossen Ausstellung zur Keramik der Schweiz im Helmhaus in Zürich (Schnyder 1966). 2006 konnte ein Teil der Keramiksammlung aus dem Familiennachlass auf einer Sonderausstellung gezeigt werden (Filliol/Lambercy/Schnyder u.a. 2006). 2017 wurden Stücke aus seiner Herstellung auf der Ausstellung „Von der Ziegelfabrik Hofen zum Tonwerk Thayngen“ in Thayngen gezeigt (Schiendorfer 2017).

Marken und Keramiken von Mario Mascarin unter Keramik Signaturen Schweiz.
Keramik von Mario Mascarin im Schweizerischen Nationalmuseum in Zürich
und im Musée Ariana in Genf. Keramiken auch im Museum für Gestaltung Zürich.

Bibliographie:

Baeriswyl-Descloux 2007
Baeriswyl-Descloux, Michèle: Mascarin, Mario. In: Historisches Lexikon der Schweiz.

Barten 1998
Sigrid Barten, Mario Mascarin, in: Cerâmica da Suìça do Renascimento aos nossos dias. Ceramics from Switzerland from Renaissance until the Present. Museu Nacional do Azulejo, Lissabon 1998, 160-165.

Filliol/Lambercy/Schnyder u.a. 2006
Claude Filliol/Philippe Lambercy/Rudolf Schnyder u.a., Mario Mascarin – La Ceramica, Riehen 2006.

Geiger 1967
Benno Geiger, Erinnerungen an Mario Mascarin, in: Schweizer Keramik 3, Januar 1967.

Schiendorfer 2017
Andreas Schiendorfer, Thayngens Beitrag zu moderner Kunstkeramik, in: Thaynger Anzeiger, 5. Dezember 2017.

Schnyder 1966
Rudolf Schnyder, Schweizer Keramik der Gegenwart, in: Keramikfreunde der Schweiz Mitteilungsblatt 69, 1966, 3-8.

Nyon VD, Die Steingutmanufakturen (1)

Roland Blaettler, 2019

Für die beiden historischen Steingutfabriken in Nyon, die im 19. Jahrhundert rund zehn verschiedene Firmennamen trugen, wies die bisher publizierte Dokumentation grosse Lücken auf. Wir haben versucht, diese Lücken möglichst gut zu schliessen, indem wir verschiedene Bestände des Gemeindearchivs Nyon, wie etwa die Protokolle der Gemeinde, konsultiert haben. Für die jüngste Zeit haben wir eine Fülle an wertvollen Informationen in der Waadtländer Presse gefunden, namentlich über die Plattform «Scriptorium», die von der Bibliothèque cantonale et universitaire in Lausanne verwaltet wird. Allerdings ist die Zeit für solche Nachforschungen bei einem Projekt wie dem unseren zwangsläufig begrenzt, und wir mussten uns häufig auf Stichproben beschränken. In diesem Bereich, der offensichtlich weniger prestigeträchtig ist als die Porzellanbranche und der noch viele Unklarheiten birgt, bräuchte es systematischere Archivrecherchen und eine Erweiterung des Forschungsfelds.

Der erste Versuch, die Geschichte des Steinguts aus Nyon zu skizzieren, war ein nicht unterzeichneter Artikel im Journal de Nyon vom 6. und 11. April 1893 mit dem Titel «Industrie de Nyon: La porcelaine et la poterie à Nyon». Verfasst hat den Text Jules Michaud, Direktor der Manufacture de poteries fines, des Unternehmens, das direkt von der alten Porzellanmanufaktur abstammte. Michaud stützte sich damals auf die nicht sehr ergiebigen Archive der Manufaktur, die heute im Gemeindearchiv von Nyon lagern (ACN, R 810, Fonds Fernand Jaccard – diese Archivschachtel umfasst ebenfalls das Typoskript von Michauds kleiner Studie). Enthalten sind hauptsächlich eine Reihe von notariellen Urkunden zu bestimmten Eigentumsübertragungen an der Spitze der Manufaktur oder zum Erwerb von Grundstücken im 19. Jahrhundert. Spätere Dokumente betreffen ausschliesslich Vorgänge zur Anstellung von Albert Jaccard als Direktor im Jahr 1936.

Aloys de Molin eher kurz auf das Kapitel der Steingutproduktion in Nyon ein (De Molin, 1904, 73 und 74). Er beschreibt die Reorganisation der Porzellanmanufaktur, als Dortu und seine Gesellschafter 1809 beschliessen, selbst in die Steingutproduktion einzusteigen. De Molin dokumentierte insbesondere die Liquidation der Manufaktur im Jahr 1813, die Gründung der neuen Gesellschaft, die sich ausschliesslich dem Steingut widmete unter dem Namen «Bonnard et Cie», sowie den Eintritt von Jean-Louis Robillard ins Unternehmen. Dabei stützte er sich auf das erwähnte Unternehmensarchiv (De Molin 1904, 74–79).

Thérèse Boissonnas-Baylon interessiert sich in ihrem Beitrag aus dem Jahr 1918 unter dem Titel «Faïenceries et faïenciers de Lausanne, Nyon et Carouge» ausschliesslich für die Geschichte ihrer Vorfahren, der Familie Baylon, in der Genferseeregion. Sie hat als Erste zu diesem Thema systematische Nachforschungen in den kantonalen Archiven des Kantons Waadt sowie in den kommunalen Archiven von Lausanne und Nyon angestellt. Auch heute noch basiert unser Wissen über die erste Steingutmanufaktur, seit sich Moïse II Baylon in Nyon niedergelassen hatte bis zum Tod von Georges-Michel de Niedermeyer, hauptsächlich auf ihrer Arbeit (Boissonnas-Baylon 1918, 69–83).

1985 versuchte Edgar Pelichet ein komplettes Bild der Steingutindustrie in Nyon zu zeichnen, das auch die Gegenwart umfasste, bis zur Schliessung der Manufacture de poteries fines im Jahr 1978. Der Autor stützte sich stark auf die Arbeiten seiner Vorgänger und auf Aussagen ehemaliger Mitarbeiter der verschiedenen Unternehmen, ohne genaue Referenzen zu den verschiedenen Quellen vorzulegen. Das Werk von Pelichet enthält so viele ungenaue Angaben und Fehler, dass es nur mit grösster Vorsicht verwendet werden kann (Pelichet 1985/2).

Wir haben die Geschichte der verschiedenen Steingutmanufakturen, die es in Nyon zwischen dem Ende des 18. und dem 20. Jahrhundert gegeben hat, in drei Perioden aufgeteilt: die erste Manufaktur – die zweite Manufaktur – die Manufacture de poteries fines de Nyon SA.

Die erste Manufaktur:

– Die Baylons, 1779–1814

– Niedermeyer und Mülhauser, 1814–1829

– Fol-Lugeon, 1831–1841 (?)

Die Baylons, 1779–1814

Die erste Herstellung von Steingut in Nyon kann Moïse II Baylon zugeschrieben werden (1736–1793). Nachdem er 1779 nach einem kurzen Aufenthalt in Genf aus Lausanne eingetroffen war, richtete er sich in einem Gebäude ein, das er erworben hatte. Es befand sich am Anfang der Route de Lausanne, auf der Seeseite (Boissonnas-Baylon 1918, 71–72). Zwischen 1773 und 1775 weilte Moïse im Ausland, um die Herstellung von «moderner Fayence» zu studieren (d. h. Steingut – Boissonnas-Baylon 1918, 70–71). 1784 erhielt er von der Obrigkeit in Bern eine Befreiung vom «kleinen Zoll» für die Beförderung seiner Produkte in die französischsprachigen und die deutschsprachigen Teile des Kantons (De Molin 1904, 19–20; Boissonnas-Baylon 1918, 75–76).

Als er sich in Nyon niederliess, produzierte Baylon höchstwahrscheinlich vor allem zunächst gewöhnliche, blei-zinnglasierte Fayencen. Mit der Zeit und nachdem er die erforderlichen Rohstoffe gefunden hatte, begann er mit der Produktion von Steingut, wie eine Erklärung von Ferdinand Müller, dem Gesellschafter von Dortu, vor dem stellvertretenden Landvogt von Nyon am 5. März 1787 zu bestätigen scheint. Müller war angeklagt, heimlich die Überführung der Porzellanmanufaktur von Nyon nach Genf vorzubereitet zu haben. Er behauptete, dass er keinesfalls die Absicht hegte, in Genf ein ähnliches Unternehmen zu eröffnen wie in Nyon [eine Porzellanmanufaktur], sondern eine «Fabrik für Pfeifenerde oder englische Erde und Fayence, da es dem Land daran mangle; und um der Keramikfabrik von Herrn Baylon nicht zu schaden, die hier bereits angesiedelt sei, habe er sich entfernt» (De Molin 1904, 34). Baylon stellte 1787 aber bereits Steingut her – bezog sich die mögliche Konkurrenz, die Müller angeblich vermeiden wollte, also hauptsächlich auf die gewöhnliche Fayence?

In Schloss Nyon (Inv. 4105) gibt es ein Heft mit Notizen aus den Jahren 1828–1834, die hauptsächlich von Antoine Louis Baylon, dem Enkel von Moïse II, verfasst wurden. Er unterstützte damals seine Mutter an der Spitze der Manufaktur, die von seinem Vater Abraham in Carouge gegründet worden war. Antoine hielt darin u. a. die Anleitungen seines Grossvaters für die Herstellung von Steingut fest (Maggetti 2017). Isabelle Dumaret hat dieses Dokument als Erste ausgewertet und leitete daraus ab, dass Moïse nicht in der Lage war, vor 1790 Steingut zu produzieren, wenn er effektiv ab 1789 seine ersten Versuche in Angriff nahm (Dumaret 2006, 21, 65).

Wir wissen übrigens, dass der Genfer Chemiker und Naturwissenschaftler Henri-Albert Gosse, einer der Förderer der Genfer Steingutfabrik in Les Pâquis, Moïse Baylon im Juni 1788 besuchte, und zwar unter dem Vorwand, Apothekertöpfe bestellen zu wollen. Effektiv wollte er sich aber diskret über die Herstellungsverfahren informieren. Baylon soll ihm «wunderbaren weiss-blauen Ton» gezeigt haben, der seinen Aussagen zufolge aus der Nähe von Nyon kam. Gosse ging aber davon aus, dass der betreffende Ton eher aus Köln oder Limoges stammte. Baylon übergab ihm gar eine Brennprobe, «die ziemlich weiss war, deren glasartiger Überzug ab einer bestimmten Dicke jedoch grünlich schimmerte» (Entwurf eines Briefs von Gosse an Marc-Auguste Pictet, 2. Juni 1788, zitiert in: Sigrist und Grange 1995, 34).

Unabhängig vom genauen Zeitpunkt, zu dem die Geschichte des Steinguts in Nyon ihren Lauf nahm, konnte Moïse seinen Erfolg nicht lange geniessen: 1793 verstarb er frühzeitig. Seine Witwe Sophie, geb. Dapples (1751–1814), führte den Betrieb weiter, zuerst alleine, anschliessend ab 1798 gemeinsam mit ihrem Sohn Albert. Nachdem auch Albert 1803 jung verstorben war, stand Sophie alleine an der Spitze des Unternehmens, während ihr Sohn Abraham sich einige Monate zuvor der Steingutfabrik von Louis Herpin in Carouge angeschlossen hatte.

Die von den Baylons im Jahr 1784 erlangten Zollbefreiungen waren ausdrücklich mit der Verpflichtung verbunden, ihre Produkte bis mindestens 1803 zu kennzeichnen (Boissonnas-Baylon 1918, 76). Dennoch sind wir immer noch nicht in der Lage, die Kennzeichnung und die Produktion der Baylons in Nyon zu identifizieren, weder in der Kategorie normale Fayence noch beim Steingut. Möglicherweise wurde bei dieser Kennzeichnung schlicht der Familienname «Baylon» als Blindmarke eingedrückt. In diesem Fall wäre Abraham Baylon, der die Leitung der Manufaktur Herpin in Carouge 1802 übernommen hatte, gezwungen gewesen, eine andere Kennzeichnung zu wählen. Eine Marke «BAYLON À CAROUGE» ist zwar belegt, allerdings wurde sie insgesamt nur an vier Objekten festgestellt (Dumaret 2006, 62–63, Abb. 38a und 38b). In der Kollektion des Musée de Carouge sind einige Teller, wohl frühe Werke, mit «BAYLON» in sehr kleinen Buchstaben gekennzeichnet und heben sich klar von der geläufigsten Kennzeichnung aus Carouge ab. Vielleicht sollte diese Spur noch weiterverfolgt werden.

Aloys de Molin, Kurator des Archäologischen Museums in Lausanne (Musée archéologique) und erster Historiker der Porzellanmanufaktur in Nyon, hat sich offenbar für diese Frage interessiert. 1903 hat er für das Lausanner Museum einige Fayencen mit einem Kornblumendekor erworben, die er vage mit «Nyon» assoziierte (MCAHL 29384; MCAHL 29385; MCAHL 29310; MHL AA.MI.989).

Das Historische Museum in Vevey (Musée historique) bewahrt seinerseits einen Teller mit fassoniertem Rand, der aus der gleichen Produktion stammen könnte (MHV 57).

Das Kornblumenmotiv wies offensichtlich eine starke Assoziation mit den Werken aus Nyon auf. In den Fällen, die uns interessieren, ist klar, dass diese Fayencen aus der Schweiz und höchstwahrscheinlich aus der Waadt stammen. Wir können allerdings nicht mehr dazu sagen. Wenn sie aus Nyon stammen, würden die formspezifischen und stilistischen Merkmale auf jeden Fall darauf hinweisen, dass sie eher nach Moïses Tod hergestellt wurden.

De Molin hat ebenfalls Steingut gekauft, auch mit Kornblumendekor, z.B. ein unvollständiges Service, das 1906 «Baylon» zugeordnet wurde (MCAHL 30095; MCAHL 30094; MCAHL 30100; MCAHL 30110; MCAHL 30098; MCAHL 30101). Allerdings gehen wir heute davon aus, dass es aus englischer Produktion stammt, auch wenn die Herkunft nicht genauer ermittelt werden konnte (Mitteilung von Diana Edwards und John Mallet, London).

Weiter gibt es noch zwei Kompottschalen, die ebenfalls mit Kornblumen verziert sind und die wahrscheinlich gleichzeitig erworben wurden, deren Machart aber eher rudimentär ist (MCAHL 30105). Diese Objekte entsprechen augenscheinlich keiner in England oder in Frankreich bekannten Typologie. Die Dicke des Scherbens, die grünliche Färbung des Überzugs und die etwas verblasste Bemalung weisen auf eine Produktion hin, die noch nicht voll ausgereift war, eine Produktion, die an die Probe erinnert, die Moïse Baylon Henri-Albert Gosse bei seinem Besuch im Juni 1788 (siehe oben) übergeben hatte.

Bei den anderen Steingutobjekten, die wahrscheinlich aus der Westschweiz stammen und die allenfalls den Baylons von Nyon zugeordnet werden könnten, weisen wir auf zwei Teller im Nationalmuseum in Zürich hin, deren Spiegel eine Kornblumenzweig ziert und deren Fahne vier einzelne Kornblumen aufweist (SNM LM-21910). Im Eingangsregister des Museums werden sie als «spätes Steingut aus Nyon» qualifiziert. Sie wurden einmal der Fabrik Nägeli in Kilchberg (Spühler 1981, Abb. 6) zugeordnet. Allerdings teilte Rudolf Schnyder diesen Standpunkt nicht.

Pelichet versuchte den Baylons aus Nyon eine Produktion von mehrfarbig dekorierten, glasierten Fayencen zuzuordnen, deren technische und ästhetische Raffinesse offensichtlich nicht den Fähigkeiten des kleinen Unternehmens aus Nyon entsprach (Pelichet 1985/2, 15 und 16 – MHPN MH-FA-4104). Solches Steingut stammt tatsächlich aus der Manufaktur von François-Antoine Anstett in Haguenau (Département Bas-Rhin, Frankreich).

Es sei noch darauf hingewiesen, dass Marino Maggetti im Hinblick auf die verschiedenen Steingutproduktionen in der Genferseeregion (Nyon, Carouge und Charmot in Jussy) seit einigen Jahren einen archäometrischen Ansatz verfolgt. Die ersten Ergebnisse wurden 2017 veröffentlicht (Maggetti und Sernels 2017). Da aber Muster fehlen, die klar den Baylons aus Nyon zugeordnet werden können, lassen sich die Produkte aus Nyon bislang auf diesem Wege ebenfalls nicht ermitteln.

 

Niedermeyer und Mülhauser, 1814–1829

Nach dem Tod von Sophie Baylon-Dapples übernahm ihr Schwiegersohn, Georges-Michel de Niedermeyer (1767–1829), 1814 das Unternehmen im Namen seiner Ehefrau Charlotte (1780–1844; Boissonnas-Baylon 1918, 82). Als ausgebildeter Musiker war Niedermeyer mit der Keramiktechnik nicht vertraut. Um dies zu kompensieren, tat er sich vermutlich 1818/19 mit Pierre Mülhauser (1779–1839) zusammen, nachdem dieser sein Genfer Atelier für Porzellanmalerei geschlossen hatte.

Charles Roch konnte während seiner Suche in den alten Registern der Gemeinde Nyon feststellen, dass Mülhauser im Januar 1819 ein Gesuch zur Erlangung des Niederlassungsrechts eingereicht hatte (Roch 1916, 160). Die Verbindung zwischen Niedermeyer und Mühlhauser hielt bis 1824, als Mülhauser nach Genf zurückkehrte, um anschliessend in Migette (Doubs) die künstlerische Leitung einer Fabrik für Steingut und Ziegel zu übernehmen (Roch 1916, 161).

Die für diese Periode belegten Blindmarken setzen sich aus den Familiennamen zusammen, «NIEDERMEYER et MULHAUSER» (MHPN MH-2003-115) oder «niedermeyer et mulhauser» (MCAHL 30460). Es finden sich auch Marken mit einem «Tippfehler»: «NIEDEERMYER et MULHAUSER» (zwei Beispiele im Musée Ariana, Inv. 013498; 013496). Aus der Zeit vor dem Eintritt von Mülhauser oder nach seinem Abgang sind uns keine Firmenmarken bekannt. Es stellt sich die berechtigte Frage, ob Niedermeyer in diesen zwei Perioden, als er alleine an der Spitze des Unternehmens war, überhaupt produziert hat.

Georges-Michel de Niedermeyer verstarb am 3. Dezember 1829 (Gazette de Lausanne, 9. Februar 1830, S. 5). Fast zwei Jahre nach seinem Tod versuchte seine Witwe Charlotte, das Grundstück und die Gebäude zu verkaufen. In der Ausgabe vom 23. September 1831 veröffentlichte die Gazette de Lausanne (S. 7) folgende Anzeige: «Am Samstag, 1. Oktober 1831, wird Frau Niedermeyer, geb. Baylon, in Form einer öffentlichen Versteigerung […] die Gebäude, Höfe, Nebengebäude und Gärten, die sie in Nyon am Seeufer in der Nähe des Hafens besitzt, wo früher eine Steingutfabrik war […], zum Verkauf anbieten. Der Umfang beträgt insgesamt rund 526 Klafter […]». Dort erfährt man übrigens, dass das Anwesen auch «ein unbebaubares Stück Land von rund 120 Klaftern» umfasste, «En Collovrey [Colovrex] rière Nyon genannt, auf dem Erde für die Fabrik entnommen wurde» (wahrscheinlich Töpferton, der für die gängigsten Produktionen verwendet wurde.

Die Produktion aus der Periode «Niedermeyer und Mülhauser» wird mit vier Objekten in den Kollektionen des Schlosses Nyon und des kantonalen Museums für Archäologie und Geschichte in Lausanne (Musée cantonal d’archéologie et d’histoire) dokumentiert (MHPN MH-FA-4103; MCAHL 30460; MHPN MH-FA-1625; MHPN MH-2003-115).

Das Musée Ariana besitzt sechs Exemplare, fünf Teller und eine Platte. Drei Teller weisen gedruckte Motive auf: zwei Illustrationen einer Fabel von La Fontaine (eines der Motive wurde signiert vom Genfer Graveur Pierre Escuyer [1749–1834]) und ein Fähnrich, flankiert von einem Schild mit dem Genfer Wappen (MAG N 0068 – Pelichet 1985/2, Abb. S. 18 – N 0069 und AR 05121). Die handgemalten Verzierungen, die Kornblumen und die Blumenkränze (z. B. MAG 013497 und N 0186) sind klare Hinweise auf die zeitgleichen Produkte der Manufaktur von Dortu. Das Nationalmuseum besitzt drei mehrfarbig verzierte Teller (blau, grün, gelb und violett-schwarz) bzw. mit einem Fries aus Weinranken und einem Geflecht aus Pflanzen mit Blumen (SNM LM-62020 und LM-19566, LM-19567).

Fol-Lugeon, 1831-1841 (?)

Offenbar wurde die Manufaktur anlässlich des erwähnten Verkaufs von 1831 – und nicht 1829, wie Pelichet behauptet (Pelichet 1985/2, 19) – von Jean-Louis Fol, einem Geschäftsmann aus Genf, übernommen. Seine Frau Jeanne-Marie Pernette Elisabeth, geb. Lugeon, und er hatten im Herbst 1830 einen positiven Bescheid für ihre Niederlassung in der Gemeinde Nyon erhalten (Gemeindearchiv Nyon [ACN], Bleu-A 51, Sitzung vom 1. November 1830). Die Niederlassungsbewilligung wurde ihnen am 14. Januar 1831 ausgestellt (ACN, Bleu-A 51, Sitzung vom 28. Januar). Da diese Vorgänge vor der Transaktion abgewickelt wurden, können wir nicht ausschliessen, dass Fol schon 1830 mit der Witwe Niedermeyer Kontakt aufgenommen hatte, um sich mit dem Unternehmen vertraut zu machen.

Pelichet erwähnt eine Fabrik «Fol et Lugeon», die seit 1829 bestanden haben soll (Pelichet 1985/2, 19). Das einzige Dokument aus dieser Periode, das im MHPN aufbewahrt worden ist, eine Preisliste der Fabrik, zeigt die beiden Familiennamen nacheinander und nicht mit einem «et» verbunden (reproduziert in: Pelichet 1985/2, 19). Fol hat den Namen seiner Frau einfach seinem Namen hinzugefügt, vielleicht weil seine Frau oder ihre Familie am Geschäft beteiligt waren.

Pelichet gibt das Ende der Manufaktur mit 1841 an, allein mit der Angabe, dass das Gebäude damals abgerissen wurde. Da gekennzeichnete Stücke aus dieser Periode äusserst selten sind, zweifeln wir daran, dass die Produktion wirklich zehn Jahre fortgeführt wurde. Die Produkte aus dieser Zeit, die mit dem eingeprägten Familiennamen «Fol» gekennzeichnet waren, sind tatsächlich rar.

Das Schloss Nyon und das kantonale Museum für Archäologie und Geschichte in Lausanne besitzen kein einziges Stück, das Musée Ariana insgesamt nur zwei: einen runden Teller ohne Verzierung (MAG R 0316) und einen achteckigen Teller mit einem Zierrand und einem blauen Umdruckdekor von schlechter Qualität. Zu sehen ist ein Genrebild mit der Unterschrift «La crème» (MAG 001001). Das Bild zeigt eine geschäftige Frau mit einem Kind in einer ländlichen Küche. Auch wenn der bedruckte Teller aus technischer Sicht keine Glanzleistung ist, belegt er doch, dass Jean-Louis Fol Ambitionen hatte. Die Preisliste der Manufaktur, die von Pelichet teilweise reproduziert wurde, zeigt, dass Fol ein ziemlich umfangreiches Formensortiment hatte, insbesondere für Teller, Schüsseln und Platten (Pelichet 1985/2, 19).

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

Gemeindearchiv von Nyon [ACN], Série Bleu A, Registres de la Municipalité – R 810, Fonds Fernand Jaccard.

Waadtländer Presse, consultée sur le site Scriptorium de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne

Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, , 38-40, 266.

Boissonnas-Baylon 1918
Thérèse Boissonnas-Baylon, Faïenceries et faïenciers de Lausanne, Nyon et Carouge. Nos Anciens et leurs œuvres. Recueil genevois d’art VIII, 1918, 55-112.

De Molin 1904
Aloys de Molin, Histoire documentaire de la manufacture de porcelaine de Nyon, 1781-1813, publiée sous les auspices de la Société d’histoire de la Suisse romande et de la Société vaudoise des beaux-arts. Lausanne 1904.

Dumaret 2006
Isabelle Dumaret, Faïenceries et faïenciers à Carouge. Arts à Carouge: Céramistes et figuristes. Dictionnaire carougeois IV A. Carouge 2006, 15-253.

Maggetti 2017
Marino Maggetti, Analyse historique et technologique du carnet de notes du faïencier carougeois Antoine Louis Balyon. Revue des Amis suisses de la céramique 131, 2017, 124-157.

Maggetti et Serneels 2017
Marino Maggetti et Vincent Serneels, Étude archéométrique des terres blanches poreuses («faïences fines») des manufactures de Carouge, Jussy, Nyon et Turin. Revue des Amis suisses de la céramique 131, 158-222.

Pelichet 1985/2
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. Nyon 1985.

Roch 1916
Charles A. Roch, La manufacture de porcelaine des Pâquis (Genève, 1787), Pierre Mülhauser et l’établissement de peinture sur porcelaine du Manège (Genève, 1805-1818). Indicateur d’antiquités suisses, Nouvelle série, 18/2, 1916, 154-162.

Sigrist et Grange 1995
René Sigrist et Didier Grange, La faïencerie des Pâquis. Histoire d’une expérience industrielle, 1786-1796. Genève 1995.

Spühler 1981
Theodor Spühler, Zürcher Fayence- und Steingutgeschirre aus dem „Schooren“, Kilchberg ZH von 1793 bis 1820. Ein Beitrag zur Zürcher Töpferei im 18. und 19. Jahrhundert. Kilchberg 1981.