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Nyon VD, La Poterie commune und ihre Nachfolger, Richard Frères

Roland Blaettler,  2019

Die Stadt Nyon war von jeher Heimat vieler Töpfer, Ziegelmacher und Ofenbauer. Am bekanntesten waren offensichtlich die Mitglieder der Familie Bezençon: Samuel I (gest. 1787), wohnhaft in Nyon seit 1738, sein Sohn Samuel II (gest. 1802) und sein Enkel Isaac, dessen Tätigkeit als Töpfer bis 1832 nachgewiesen ist (Pelichet 1985/2, 11 und 12; Kulling 2001, 238-240).

Pelichet schrieb Isaac Bezençon eine Reihe von Gefässen aus engobierter Irdenware zu: einen Krug von 1796 (MHPN MH-FA-4061) sowie Platten und Teller, ausgeführt für den ortsansässigen Schiffer Jacques Popelu in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts (MHPN MH-FA-521; MHPN MH-FA-520; MHPN MH-FA-519; MHPN MH-FA-536).

In einem Artikel mit dem Titel «Nyon und seine Industrien» stellte der Conteur vaudois vom 2. April 1881, S.1 lapidar fest, dass «die gewöhnlichen Töpferwaren […] zahlreich seien», eine Aussage, die etwas rätselhaft bleibt. Gemäss unserer Kenntnisse über das ausgehende 19. Jahrhundert wissen wir, dass neben der Manufacture de poterie fine ein weiterer Keramikbetrieb in der Rue de la Poterie 7 existierte, der offensichtlich keine «gewöhnlichen Töpferwaren» herstellte. Die “Poterie commune” widmete sich der Produktion von Irdenware. Durch ihren Namen unterschied sie sich auch von der Manufacture de poterie fine, die edles Steingut produzierte. Pelichet vermutete, dass die Einrichtung um 1896 von einem gewissen Boehler gegründet wurde (Pelichet 1985/2, 43).

Witwe Philippe, 1883-1885

Tatsächlich findet sich aber schon 1883 eine Erwähnung der Poterie commune im offiziellen Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) unter dem Firmennamen «Veuve Philippe». Der Betrieb wurde zu dieser Zeit von Marie Madeleine Pauline, geborene Musset aus Moens im Departement Ain, geleitet. Sie war die Witwe von Jean Christ Philippe. Die im Handelsamtsblatt angezeigte Tätigkeit bestand in der Herstellung und dem Verkauf von Alltagsgeschirr, d.h. von engobierter und glasierter Irdenware (SHAB Bd. 1, 1883, 355). Es ist zu vermuten, dass die Töpferei zuvor vom verstorbenen Jean Christ geleitet wurde, aber der Eintrag im SHAB weist nicht auf eine Namensänderung hin, sondern erscheint als Ersteintrag. Wie dem auch sei, zwei Jahre später heiratete die Witwe Philippe einen gewissen Jean Bœhler, vielleicht einen ehemaligen Mitarbeiter, aus Soufflenheim, dem berühmten elsässischen Töpferzentrum. Das Unternehmen wurde danach unter dem Namen des Ehemanns weitergeführt (SHAB, Bd. 3, 1885, 582).

Jean Bœhler, 1885-1902

1890 erhielt Bœhler einen Preis für seine Keramiken, die er auf der Gartenbauausstellung in Nyon zeigte (La Revue, 27. September 1890, 1). 1893 findet man ihn erneut unter den Preisträgern (La Revue, 22. September 1893, 2). 1896 beteiligte er sich an der Nationalen Ausstellung in Genf (Genf 1896/1, 408, Ausstellernummer 4163). Bei dieser Gelegenheit gab er dem Publikum mittels öffentlicher Vorführungen auf der Drehscheibe kostenlos Einblick in seine Arbeit (Courrier de la Côte vom 19. Juli 1896). Die ausgestellten Produkte wurden als «glasierte Töpferware, Typ Majolika» beschrieben.

Wie viele seiner Kollegen in der Genferseeregion, die die Technik der engobierten Irdenware anwendeten, bot Bœhler vor allem Töpferwaren ohne Dekor für den täglichen Gebrauch an. Seine Unterschrift erscheint am unteren Rand des «Tableau des mesures de poterie cuite adoptées par la Fédération des ouvriers tourneurs de la région de Genève, Ferney, Renens, Annecy et zones environnantes et de Messieurs les patrons soussignés» (wiedergegeben in: Ferney-Voltaire 1984, 264-265). Siehe auch das Kapitel «Les poteries engobées de la région lémanique».

Der vom Journalisten des Courrier de la Côte verwendete Begriff «Typ Majolika» deutet darauf hin, dass der Töpfer von Nyon auch raffinierter verarbeitete Töpferwaren herstellte, die er mit farbigen Glasuren veredelte. Sehr wahrscheinlich waren seine Produkte nie mit einer Marke gekennzeichnet. Wir sind aber dennoch versucht, drei verzierte, kegelstumpfförmige Krüge mit gleichem Henkeltypus Boehler zuzuschreiben; alle drei Objekte sind in ihrem Dekor mit «Nyon» bezeichnet, zwei davon sind datiert. Das erste Exemplar, das im Musée du Château de Nyon aufbewahrt wird, zeigt ein Muster aus weisser und grüner Marmorierung auf rotbraunem Grund. Die Kanne ist mit dem Datum «2. Oktober 1888» und den Initialen «E. M.» versehen (MHPN MH-1996-73).

Wir hatten das Stück zunächst der Töpferei Knecht aus Colovrex zugeschrieben, bis wir im Musée de la vigne, du vin et de l’étiquette in Aigle eine zweite, formal sehr ähnliche Kanne entdeckten, die jedoch mit einem applizierten Reliefdekor aus Weinranken verziert ist und die Jahreszahl «1888» sowie die Initialen «A:R» trägt. (MVVE 1515). Das Design der Ornamente ist dem der berühmten «Willkommenskannen» der Familie Knecht aus Colovrex (GE) sehr ähnlich, aber die Verarbeitung ist deutlich anders. In diesem Fall wurden die Blätter gemodelt, aber die Trauben und Stiele wurden von Hand gefertigt, bevor sie appliziert wurden, während bei der Töpferei Knecht nicht nur die Blätter, sondern auch die Trauben gemodelt wurden. In der Amoudruz-Sammlung des Musée d’ethnographie in Genf befindet sich eine dritte Kanne, die unsere Zuschreibung an die Werkstatt in Nyon zu bestätigen scheint: Gekennzeichnet mit der Inschrift «Nyon», aber ohne Datum, hat sie die gleiche Form und das gleiche Marmorierungsmuster wie das Beispiel aus dem Museum in Nyon. (ETHEU 103238).

Jean Bœhler meldete 1902 Konkurs an (Feuille d’avis de Lausanne vom 16. Mai 1902, 16 – SHAB, Bd. 20, 1902, 1042).

Poterie commune de Nyon S. A., 1905-1909

Die neuen Besitzer der Firma, Robert Matthey und Robert de Rham, legten 1902 der Stadtverwaltung Pläne für den Wiederaufbau der Töpferei vor (Archives communales de Nyon [ACN], Bleu A-69, Sitzung vom 19. November 1902). Im Dezember 1905 gründeten sie eine Aktiengesellschaft, die «Poterie commune de Nyon S. A.», mit dem Zweck, «den unter diesem Namen bekannten Betrieb, die Herstellung und den Verkauf von gewöhnlichen Töpferwaren sowie alle auf diesem Gebiet tätigen oder damit zusammenhängenden Unternehmungen zu erwerben und zu betreiben.» Der Vorstand bestand aus drei Mitgliedern: Robert de Rham, Präsident, wohnhaft in Lausanne, Robert Matthey und Georges André, beide in Nyon ansässig (SHAB, Bd. 23, 1905, 2027).

Es ist nicht bekannt, ob die 1902 angekündigten Arbeiten durchgeführt wurden, aber 1906 wurden neue Pläne von der Aktiengesellschaft vorgelegt (ACN, Bleu A-70, Sitzung vom 5. Februar 1906). Von 1907 bis 1909 erwähnt der Indicateur vaudois die Manufacture de poterie commune in der Rue de la Poterie 7, mit einem gewissen Billon als Direktor. Das Unternehmen gewann einen Preis auf der Gartenbauausstellung 1908 in Nyon (La Revue vom 10. September, 2). Im selben Jahr nahm die Stadtverwaltung zur Kenntnis, dass die «Société anonyme de la Poterie commune» fortan dem Fabrikgesetz unterstand, da sie 15 Personen beschäftigte (ACN, Bleu A-71, Sitzung vom 12. Oktober 1908). Etwa ein Jahr später erhielt das Unternehmen die Erlaubnis, seine Lagerbestände zu liquidieren (ACN, Bleu A-72, Sitzung vom 8. November 1909).

Henriette Morello, 1910-1912
Théophile Thomas-Morello, 1912-1916

1910 meldete der Indicateur vaudois einen neuen Direktor der Firma: Jules Meylan. In seiner Sitzung vom 7. Oktober 1910 erfuhr der Gemeindevorstand, dass die «Poterie commune» von jetzt an «Henriette Morello, poterie» heissen würde (ACN, Bleu A-72). Marthe-Henriette Morello, ursprünglich aus Turin (SHAB, Bd. 28, 1910, 662), ist im Handelsregister als Geschäftsführerin eingetragen (ACN, Orange P-1). Es ist wahrscheinlich, dass sie Mieterin der Einrichtungen war, die sich noch im Besitz der Aktiengesellschaft befanden. Ein Leumundszeugnis wurde ausgestellt für «Fräulein Henriette Morello, geboren in Ferney-Voltaire am 31. Januar 1878, italienischer Abstammung, Töpferin, die seit dem 1. Januar 1910 in Nyon wohnt und sich schon früher für längere Zeit dort aufgehalten hat» (ACN, Bleu A-73, Sitzung vom 19. Februar 1912).

Kurze Zeit später heiratete Henriette Morello den aus Paris stammenden Théophile Thomas. Die Töpferei ging im November 1912 auf den Namen des Ehemannes über (SHAB, Bd. 30, 1912, 2060). Die Verbindung währte nicht lange, am 8. November 1914 verkündete die Gazette de Lausanne (S. 3) die traurige Nachricht: «Herr Thomas-Morello, der Vorsteher der Poterie commune de Nyon […] ist Anfang September in der Schlacht an der Marne auf dem Feld der Ehre gefallen». Henriette führte die Töpferei, offenbar ohne Änderung des Firmennamens, bis 1916 weiter. Am 8. September 1916 wurde der Firmenname definitiv gelöscht (SHAB, Bd. 34, 1916, 1394). Im Mai desselben Jahres informierte Henriette die Gemeinde über ihre Absicht, das Haus ihres verstorbenen Mannes umzubauen, sehr wahrscheinlich, um sich dort zur Ruhe zu setzen (ACN, Bleu A-75, Sitzung vom 8. Mai 1916).

Laut den Aufzeichnungen der Einwohnerkontrolle von Nyon wurde Henriette Morello 1910 von ihren drei Brüdern begleitet: Abel, ausgebildeter Töpfer, wurde 1882 in Vanchy (Ain) geboren, er liess sich 1921 in Bonneville (Haute-Savoie) nieder; Louis und Charles, die als Arbeiter eingetragen waren, beide 1893 bzw. 1894 in Renens (VD) geboren, verliessen Nyon 1920, der erste zog nach Ferney-Voltaire, der zweite nach Marseille.

Die Morellos sind ein typisches Beispiel für ausgewanderte Töpferfamilien – in diesem Fall aus Italien –, die weit weg von ihrer Heimat auf der Suche nach Arbeit waren. Irgendwann liess sich der Vater der Morellos in Ferney-Voltaire nieder (Geburt von Henriette), einige Jahre später in Vanchy (Geburt von Abel), einem Ort mit ebenfalls langjähriger Töpfertradition. Später fanden sich die Morellos in Renens wieder, wo die letzten beiden Söhne geboren wurden. Die Geschichte erinnert natürlich an das harte Schicksal dieser ewig entwurzelten Menschen, aber sie zeigt auch die unvermeidlichen persönlichen Verbindungen auf, die zwischen den verschiedenen Töpferzentren der Genferseeregion im weitesten Sinne geknüpft wurden.

Die Poterie commune beteiligte sich 1913 an der Gartenbauausstellung in Nyon mit «Kunstkeramik und Gebrauchskeramik» (Feuille d’avis de Lausanne vom 12. September 1913, 3). Bei der Gebrauchskeramik handelte es sich mit Sicherheit um eine undekorierte und relativ standardisierte Produktion, wie sie von den meisten Werkstätten in der Genferseeregion ausgeführt wurde (z.B. MHPN MH-1996-78; MHPN MH-FA-4427A; MHPN MH-1996-77; MHPN MH-2013-32). Aber welche Stücke wurden der Kunstkeramik zugeordnet?

Das Musée du Pays-d’Enhaut in Château-d’Œx bewahrt einen Teller, der mit einem äusserst bescheidenen Blumenmuster verziert und auf der Rückseite mit «Nyon 1913» markiert ist (MPE 2995).

Die Zuschreibung «künstlerisch» wäre passender für diese flache Platte aus dem Musée du Château de Nyon, die mit einem Sgraffitodekor mit vertieftem Hintergrund verziert ist und von einer in Nyon nie gesehenen Modernität zeugt (MHPN MH-2011-30). Sie stammt ebenfalls aus dem Jahr 1913, mit eingravierter Marke «Gervais Abel – Noviodunum (der römische Name der Stadt Nyon, eine Marke, die Régis Richard einige Jahre später durchsetzte)».

Gemäss Pelichet arbeiteten die Brüder Morello eine gewisse Zeit für die Nachfolger ihrer Schwester, die Brüder Richard (Pelichet 1985/2, 43). Hatte Abel Morello zwei Vornamen, Abel Gervais? In den Dokumenten der Einwohnerkontrolle findet man keine entsprechende Erwähnung. In diesem Fall scheint «Gervais» ein Familienname zu sein, der in Frankreich weit verbreitet war, ganz zu schweigen von dem alteingesessenen Zweig in Cartigny GE. Das Museum von Nyon besitzt zwei weitere Stücke, die in der gleichen dekorativen Technik wie die Platte von 1913 hergestellt wurden und beide die Ritzmarke «AG» (wahrscheinlich die Initialen von Abel Gervais) tragen: eine Schale mit zwei weiteren Ritzmarken – «Noviodunum» und «Lebrane L» (MHPN MH-1999-105) und eine ebenfalls mit «Nyon» bezeichnete Vase (MHPN MH-2015-348).

Durch seine Form und seinen Dekor nimmt die Vase eindeutig ein Modell vorweg, das typisch für die Produktion der Brüder Richard sein wird, die 1916 die Nachfolge von Henriette Morello antraten (MHPN MH-2015-432; MHPN MH-FA-4041, HPN MH-2015-432; MHPN MH-FA-4041).

Der damaligen Presse (siehe unten) entnehmen wir, dass Régis Richard bereits 1915 erste Versuche in diese neue Richtung in Angriff nahm. Die beiden mit «AG» gekennzeichneten Objekte gehören vielleicht zu dieser experimentellen Phase, die Richard mithilfe des Töpfers Abel Gervais in der Werkstatt von Morello ausführte. Was die Platte von 1913 betrifft, so ist sie wahrscheinlich zu früh datiert, um mit Richard in Verbindung gebracht zu werden, auch wenn sie seinen eingravierten Namen trägt. Daher diese andere Hypothese: Abel Gervais, ein besonders begabter Töpfer, führte unter den Thomas-Morello den innovativen Stil ein, der später von den Richards weiterentwickelt wurde. Derselbe Gervais (oder sein Chef Théophile Thomas) wäre auch der Erfinder der Marke «Noviodunum».

Richard Frères et Cie, 1916-1917 – Richard Frères, 1917-1921

Der Firmenname «Richard Frères et Cie» wurde am 29. Mai 1916 im offiziellen Schweizerischen Handelsamtsblatt eingetragen, wo zu lesen ist, dass Régis und Auguste Richard (Albert, der dritte Bruder, erscheint zu diesem Zeitpunkt noch nicht) sich mit Camille Schultz aus Genf zusammenschlossen (SHAB, Bd. 34, 1916, 870). Am 5. September verzeichnete dieselbe Quelle das Ausscheiden von Régis, der durch seinen Bruder Albert als Teilhaber ersetzt wurde (SHAB, Bd. 34, 1916, 1383). Und erst am 19. September nahm die Stadtverwaltung eine Mitteilung der Präfektur zur Kenntnis, die besagte, dass der Name der ehemaligen Töpferei Thomas-Morello fortan «Poterie de Nyon – Richard Frères et Cie» lautete und dass das Unternehmen dem Fabrikgesetz unterstand (ACN, Bleu A-75). Am selben Tag bat Régis Richard um die Nutzung des Salons im zweiten Stock des Lancaster-Gebäudes, um zwischen dem 1. und 15. Oktober mithilfe von «Professor [Georges] Vallotton und M. Monod, Aquarellist» eine Ausstellung von Malerei, Keramik und Goldschmiedekunst zu veranstalten.

Von Anfang an scheint Louis-Régis Richard (1893-1940) der Künstler dieser jungen Geschwister gewesen zu sein (der Jüngste war kaum zwanzig Jahre alt). Seine Eintragung bei der Einwohnerkontrolle qualifizierte ihn als «Maler-Dekorateur». Albert (geboren 1895) wurde als Industrieller registriert, ebenso Auguste (1896-1938). Die Richards stammten ursprünglich aus Nyon VD und Coinsins VD.

Unter der neuen Leitung blieb die Töpferei der traditionellen Technik der engobierten Irdenware treu, aber in einer Form, die raffinierter sein sollte und die mit ihren relativ modernistischen Sgraffitodekoren mit vertieftem Hintergrund (Champlevé) offen künstlerische Ambitionen zeigte. Zu Beginn des Unternehmens unterscheiden wir zwei Produktionslinien: Diejenige mit technischer und ästhetischer Raffinesse war wahrscheinlich Régis’ persönliche Arbeit, von ihm entworfen und dekoriert, aber in der Werkstatt des Unternehmens gebrannt. Diese Linie trägt generell eine Marke mit dem Monogramm «RR» (MHPN MH-2015-347; MHPN MH-2015-412; MHPN MH-FA-251A; MHPN MH-FA-251B; MHPN MH-2000-113; MHPN MH-2015-184; MHPN MH-2015-352; MHPN MH-2015-351; MHPN MH-2015-185).4; MHPN MH-2015-352; MHPN MH-2015-351; MHPN MH-2015-185).

m ersten Jahr veröffentlichte die Familie Richard in der Presse zwei Arten von Werbeanzeigen, aus denen eine klare Unterscheidung zwischen der Basisproduktion und der persönlicheren Produktion hervorging. Die Absicht von Régis war, diese zwei Linien in den Köpfen zu verankern. Eine Anzeige verwies auf die «Poterie de Nyon – Richard Frères & Cie – Spécialité de poterie artistique – Poterie commune et fantaisie» (z.B. in Lausanne artistique vom 17. Juni 1916). Die zweite Anzeige stellte die «Poteries artistiques Novio Dunum – Régis Richard, céramiste, Nyon – Spécialités de vases, cache-pots, bibelots, suspensions, plats décorés» ins Zentrum (Lausanne artistique vom 9. Juli 1916). Es sieht so aus, dass Régis sich eine Zeit lang die Marke «Noviodunum» angeeignet hat. Erstaunlich ist, dass diese Marke nur selten auf den Stücken in Verbindung mit dem Monogramm «RR» erscheint (MHPN MH-FA-251A; MHPN MH-FA-251B), während sie manchmal neben der Blindmarke von «Richard Frères et Cie» zu finden ist (MHPN MH-1999-106; MHPN MH-2015-432; MHPN MH-2015-346). Im letzten Fall könnten diese Doppelmarken auf Modelle hinweisen, die Régis für die Firma entworfen hatte.

Was die «kollektive» Produktion der Töpferei betrifft, so trägt sie zunächst eine eingestempelte, fischförmige Blindmarke mit dem abgekürzten Firmennamen «R. F. & Cie» und der Erwähnung «Déposé» (eingetragenes Warenzeichen, gesetzlich geschützt) (MHPN MH-199-106; MHPN MH-2015-432; MHPN MH-2015-401; MHPN MH-FA-4248). Es ist anzumerken, dass diese Marke noch bis 1920 erscheint, ungeachtet der Änderung des Firmennamens im Jahr 1917 (siehe unten und MHPN MH-1998-94). Es gibt auch mehrere Varianten von Marken, die nur aus dem Nachnamen «Richard» bestehen, entweder eingeritzt (MHPN MH-2015-519; MHPN MH-2015-399; MHPN MH-2015-395; MHPN MH-2015-180; MHPN MH-FA-4040) oder eingestempelt (MHPN MH-2011-25).

Nach der Gründung der Firma, die er in der ersten Zeit präsidierte, distanzierte sich Régis Richard ziemlich schnell von ihr, um sich ganz seinen persönlichen Kreationen zu widmen. Im Rahmen der von L’Œuvre zwischen Mai und November 1916 organisierten «Exposition des arts du feu» mit Stationen in Genf, La Chaux-de-Fonds, Neuchâtel, Zürich und Lausanne erschien Régis Richard im Katalog unter seinem persönlichen Namen, ohne Erwähnung der Firma. Er wurde als «Keramiker, av. Viollier 3 in Nyon» beschrieben. An der Ausstellung präsentierte er 29 Stücke, darunter grosse und mittlere Urnen (zu Preisen von 54 und 35 Franken); eine Vase mit Fischdekor (7.–); eine Vase, Storch und Fuchs (7.50); Vasen mit grünen und blauen Sternen (6.50); eine Vase, Stier (5.–); eine Vase, fliegende Störche (4.50); eine Vase, Eichhörnchen (4.–); eine Vase, Reiher (4.–); Bonbondosen, griechischer oder Renaissance-Dekor (2.–); Vasen, Windhunde (7.-); eine rauchschwarze Vase (7.–); Pétronelle (1.70) und dekoratives Geschirr (Les arts du feu 1916, S. 42). In seiner der Ausstellung gewidmeten Chronik äusserte sich der damalige Kunstkritiker und Sekretär von L’Œuvre, Paul Perret, erbarmungslos über diese Kreationen: «Das merkwürdige Verfahren von Herrn Régis Richard, der seine Töpferwaren mit Engoben verziert und danach die Farbe des darunterliegenden Scherbens freikratzt, hat etwas Trockenes und Armseliges an sich und scheint mir die schönsten Eigenschaften des Materials zu missachten. Dieses Defizit wird durch die solide Zeichnung nicht immer wettgemacht» (Gazette de Lausanne, 27. Mai 1916, 3).

Noch im selben Jahr nahmen die Richards am «Comptoir d’échantillons de Lausanne» teil. Der Journalist von Lausanne artistique (22. Juli 1916, 1) hebt in seinem Bericht die «gekratzten Stücke» von Régis hervor: «Dieses Verfahren ist in der Schweiz völlig neu […] Seine ersten Versuche stammen aus dem Jahre 1915 und nach einer schwierigen Phase gelang es Herrn Richard letzten Endes, Stücke von gutem Geschmack und nicht zu teuer herzustellen. Die Formen werden vom Haus Richard Frères et Cie hergestellt […] Er übernimmt die Anfertigung von Kunstkeramik jeglicher Art auf Bestellung. Seine Dekorationswerkstätten befinden sich in Nyon, rue de Rive Nr. 26, wo Besucher immer eine interessante Auswahl all seiner Artikel vorfinden.»

Im November 1916 beantragte die Firma die Genehmigung zur Installation eines Elektromotors und einer Strangpresse in den «zu der Société anonyme de Poterie commune gehörenden Räumlichkeiten». Wir erfahren dabei auch, dass die Firma über ein Geschäft in der Rue de la Gare 34 verfügte (ACN, Bleu A-75, Sitzung vom 27. November 1916). Der Name der Töpferei wurde im Mai des folgenden Jahres, nach dem Ausscheiden des Teilhabers Camille Schultz, geändert: Sie hiess nun «Richard Frères» (SHAB, Bd. 35, 1917, 962).

Der Indicateur vaudois aus dem Jahr 1917 unterscheidet noch zwei Firmennamen, allerdings mit ein und derselben Adresse: «Poterie Noviodunum – Régis Richard» und «Richard Frères». Die Unterscheidung wurde in den folgenden Jahren nicht beibehalten und erschien nie im Schweizerischen Handelsamtsblatt.

In Wirklichkeit war Régis Richard eben dabei, sich von Nyon zu lösen, um ein neues Unternehmen aufzubauen. Im Oktober 1917 gründete er zusammen mit Oscar-Joseph Bairiot, einem in Nyon lebenden Belgier, eine offene Handelsgesellschaft mit Sitz in Genf (2, rue de la Tour-Maîtresse), die sich der Herstellung und dem Handel von Kunst- und Gebrauchskeramik widmete (SHAB, Bd. 35, 1917, 1749). Um ihre Pläne zu verwirklichen, übernahmen Richard und Bairiot im Januar 1918 die bekannte Töpferei der Söhne von Alexandre Liotard in Ferney-Voltaire (Ferney-Voltaire 1984, 287 – Clément 2000, 71, der Autor der Publikation bezeichnet Richard als «erbärmlichen Keramiker»). Bereits im Dezember zog sich Bairiot aus dem Geschäft zurück, der Genfer René Nicole kaufte seine Anteile, der Hauptsitz des Hauses «R. Nicole et R. Richard» wurde daraufhin nach Plainpalais in Nicoles Haus verlegt (SHAB, Bd. 36, 1918, 1986). Im Februar 1920 verkaufte Régis Richard seinerseits seine Anteile an Nicole, der damit Alleininhaber eines Unternehmens wurde, das bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs einen gewissen Erfolg haben sollte (Clément 2000, 71-75; Rivollet 1998).

Régis wagte ein letztes Abenteuer, als er sich mit dem Architekten Henri Miège aus Ferney zusammentat, um gemeinsam mit ihm «La Grande Poterie artistique R. M. C. de Ferney-Voltaire» auf die Beine zu stellen, ein ambitioniertes, angeblich grandioses Projekt, von dem man nie wieder hören sollte … (Ferney-Voltaire 1984, 287).

Während dieser Zeit hatten Auguste und Albert Richard in Nyon die Pläne für eine neue Fabrik in Martinet, im Quartier En Prélaz an der Strasse nach Saint-Cergue, hinterlegt (ACN, Bleu A-76, Sitzung vom 23. September 1918). Im Januar des folgenden Jahres wurden die Arbeiten auf Wunsch des Staatsrats unterbrochen (ACN, Bleu A-77, Sitzung vom 6. Januar 1919); trotz dieses Zwischenfalls wurde das Bauvorhaben abgeschlossen, denn im August erhielten die Eigentümer die Genehmigung, ihren Elektromotor in die neuen Räumlichkeiten zu verlegen (ACN, Bleu A-77, Sitzung vom 18. August 1919). Das Kommunalarchiv von Nyon besitzt Pläne der neuen Fabrik, auf denen die Anordnung von zwei grossen Öfen zu sehen ist (ACN, Bleu K-315.52). Die Räumlichkeiten waren für die Unterbringung von etwa zwanzig Arbeitern ausgelegt. Der neue Aufschwung der Fabrik sollte nur von kurzer Dauer sein: Am 5. September 1921 nahm die Stadtverwaltung den Konkurs von Richard Frères zu Protokoll (ACN, Bleu A-78); laut dem Schweizerischen Handelsamtsblatts wurde das Unternehmen im August aus dem Register gestrichen (SHAB, Bd. 39, 1921, 1611).

Albert Richard wanderte 1922 nach Frankreich aus und Auguste verliess im folgenden Jahr die Ufer des Genfersees Richtung Compiègne.1929 kehrte er nach Nyon zurück, wo er bis zu seinem Tod blieb. Was Régis betrifft, so verliess er Nyon 1924, er liess sich in Marseille nieder, verstarb aber in Vence.

In seinen Arbeitsnotizen, die im Musée du Château de Nyon aufbewahrt werden, vermerkt Pelichet, dass die Firma, nach Informationen, die ihm von der Witwe von Auguste Richard gegeben wurden, 1923 von Hermann Kaeppeli übernommen wurde. Aus den Protokollen der Stadtverwaltung erfahren wir jedoch, dass Gustave Besson, der «neue Besitzer der Töpferei Richard Frères En Prélaz» im April 1923 um einen Aufschub der Zahlung seiner Grundsteuern bat, da «die Fabrik erst in den letzten Tagen in Betrieb genommen werden konnte» (Bleu A-79, Sitzung vom 29. April 1923). Im Schweizerischen Handelsamtsblatt ist Besson am 12. Mai als Leiter der Keramikfabrik an der route de Trélex eingetragen (Bd. 41, 1923, 976). Im folgenden Monat meldete die Präfektur, dass der Betrieb von Besson, elf Arbeiter beschäftigte und somit dem Fabrikgesetz unterstand (Bleu A-79, Sitzung vom 14. Mai 1923). Am 2. Oktober 1924 verkündete die Feuille d’avis de Lausanne (S. 8) den Konkurs des Betriebs. Er erscheint namentlich zum letzten Mal im Indicateur vaudois von 1925. Das Gebäude «neueren Datums, mit Töpferwerkstatt, Wohn- und Büroräumen» wurde am 6. April 1925 zum öffentlichen Verkauf ausgeschrieben (SHAB, Bd. 43, 1925, 502).

Im darauffolgenden Jahr wird im selben Verzeichnis zum ersten und letzten Mal ein gewisser E. Besson, Töpfer, rue de la Poterie (wahrscheinlich in den Räumlichkeiten der ehemaligen Poterie commune) erwähnt.

Die Marke «Noviodunum» erscheint auch – diesmal ohne weitere Fabrikmarke –auf einer bisher unbekannten Produktion, deren Zuordnung etwas problematisch bleibt. Es handelt sich um eine Art feines Steingut mit sehr weissem Scherben, bedeckt mit einer Farbschicht (einer Art Engobe?) und verziert mit der gleichen Technik des Sgraffitodekors mit vertieftem Hintergrund (MHPN MH-2015-393; MHPN MH-2012-60; MHPN MH-2015-394; MHPN MH-2015-396; MHPN MH-FA-4045; MHPN MH-2015-470; MHPN MH-FA-4632).

Gewisse stilistische Ähnlichkeiten mit der Produktion der engobierten Irdenware veranlassen und dazu, diese Kategorie von Objekten den Brüdern Richard zuzuschreiben, jedoch ohne absolute Gewissheit. Die gleiche Technik findet sich auf Objekten mit der Marke «Kaeppeli und Rüegger», allerdings sind die Dekore sowie die Verarbeitung von minderer Qualität (siehe MHPN MH-2015-405; MHPN MH-2015-494; MHPN MH-2000-85A und das Kapitel «Nyon, Kaeppeli et Rüegger»)

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

Archives communales de Nyon [ACN], Série Bleu A, Registres de la Municipalité – Série Bleu K – Orange P1, Registre des commerçants

La presse et les annuaires vaudois, consultés sur le site Scriptorium de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne

Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 60–64.

Clément 2000
Alain Clément, La poterie de Ferney: deux siècles d’artisanat. Yens-sur-Morges/Saint-Gingolph 2000.

Ferney-Voltaire 1984
Ferney-Voltaire. Pages d’histoire. Ferney-Voltaire/Annecy 1984.

Genève 1896/1
Exposition nationale suisse Genève 1896. Catalogue de l’art ancien. Groupe 25. Genève 1896.

Kulling 2001
Catherine Kulling, Poêles en catelles du Pays de Vaud, confort et prestige. Les principaux centres de fabrication au XVIIIe siècle. Lausanne 2001.

Pelichet 1985/2
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. Nyon 1985.

Rivollet 1998
Karin Rivollet, La poterie René Nicole à Ferney-Voltaire, 1919-1939. Genève 1998.

Nyon VD, Porzellanmanufaktur – relative Chronologie der Produktion

Roland Blaettler 2019

Bisher sind uns aus der Porzellanmanufaktur in Nyon nur zwei datierte Objekte bekannt: die «Trembleuse» des Musée Ariana aus dem Jahr 1796, mit Signatur des Malers Étienne Gide und verziert mit zwei ländlichen Szenen nach Debucourt und Taunay (MAG AR 05607), sowie ein Medaillon, signiert und datiert mit «J. Pernaux, den 16. Febr. 1792», das einst von Siegfried Ducret veröffentlicht und von Pelichet zitiert wurde (Ducret 1962; Pelichet 1985/1, 30).

Johann Joseph Hubert Pernaux (geb. 1772), Sohn des Ludwigsburger Drehers Jean Pernaux, ist laut Pelichet zwischen 1786 und 1801 in Nyon als Maler belegt (Pelichet 1985/1, 30). Im Gegensatz zur «Trembleuse» trägt das Medaillon keine Marke mit dem Fisch.

Die ehemaligen Buchhaltungsunterlagen der Manufaktur vor 1793 sind als Quelle nicht sehr hilfreich, bis auf eine Ausnahme: Das Hauptbuch von 1787 bis 1794 erlaubt es, die Tassen mit den Silhouetten der Familie von Moïse Bonnard auf das Jahr 1789 zu datieren (MHPN MH-PO-2280; MHPN MH-PO-2281; MHPN MH-PO-2282; MHPN MH-PO-2283; MHPN MH-PO-2284; MHPN MH-PO-2285).

Für die folgenden Perioden ist das Journal der Jahre 1793 bis 1801 wohl ausführlicher, was die Art der gehandelten Objekte betrifft, aber im höchsten Grade lückenhaft. Wie Laurent Droz feststellt, werden in diesem Dokument nur die Barverkäufe am Bilanzstichtag und ein Teil der Verkäufe durch die Händler erwähnt (Droz 1997, 46). Auch wenn diese Verkäufe detailliert aufgeführt sind, sind die Dekore nicht immer ausreichend genau beschrieben.

Bei personalisierten Motiven (Zahlen, Wappen) ermöglichen die Bücher manchmal, eine chronologische Spanne von einigen Jahren festzulegen, zum Beispiel bei Bestellungen von wichtigen Kunden wie Anna Pieri Brignole-Sale (MHPN MH-2008-48) oder Georg Gustav von Wrangel (MHPN MH-PO-1423 und -1422; MHPN MH-2007-150).

Seit einigen Jahren versuchen wir, eine relative Chronologie der Produktion in Nyon zu erstellen, wobei wir uns aufgrund der Seltenheit der dokumentierten Hinweise fast ausschliesslich auf die detaillierte Untersuchung der Objekte stützen. Unser Ansatz berücksichtigt ein Maximum an materiellen Kriterien: die Art des Scherbens (Farbe im reflektierten Licht, Lichtdurchlässigkeit im durchscheinenden Licht), die Form, der Dekor, die Vergoldung und die Ausgestaltung der Marke. Auf den folgenden Seiten versuchen wir zu beschreiben, was unserer Meinung nach die besonderen Merkmale jeder Phase der Produktionsentwicklung sind. Es ist das erste Mal, dass wir die Ergebnisse unserer Beobachtungen veröffentlichen, die sich in erster Linie auf die in CERAMICA CH vorgestelltenPorzellane beziehen. Ein Ansatz wie der unsere ist als evolutionärer Prozess zu betrachten und kann ständig an neue Erkenntnisse angepasst werden. Die chronologischen «Meilensteine», die wir in unseren Datierungen vorschlagen, sind daher als vorläufige Daten zu betrachten.

Die Arbeit am vorliegenden Keramikkorpus hat uns zudem ermöglicht, einige Kriterien zu präzisieren, wie beispielsweise einzelne Markentypen, die nun dank der Entdeckung des «Cuénod-Services» für die Jahre 1784/85 belegt sind (MHPN MH-2013-117; MHPN MH-2013-113M; MHPN MH-2013-112E; MHPN MH-2013-106; MHPN MH-2013-105B; MHPN MH-2013-111; MHPN MH-2013-101; MHPN MH-2013-108A; MHPN MH-2013-104; MHPN MH-2013-102; MHPN MH-2013-110; MHPN MH-2013-109; MHPN MH-2013-103; MHPN MH-2013-107).

Die Untersuchung einiger wenig verbreiteter Dekore lässt vermuten, dass es sich dabei wahrscheinlich um einzelne Aufträge handelt, die in den Geschäftsbüchern dokumentiert und datiert wurden (MHPN MH-PO-3906; MHPN MH-PO-2868; MHPN MH-2015-95; MHPN MH-PO-3230).H-PO-3230).

Das von Maria Anna von Roll bestellte Service konnte ihr so klar zugeordnet werden, erlaubt doch das Todesdatum der Solothurner Patrizierin im Jahr 1795 einen Terminus ante quem für die betreffenden Objekte festzulegen (MHPN MH-2007-200; MHPN MH-PO-4232; MCAHL 30021; MAHN AA 2390).

Soweit möglich, haben wir unsere untersuchten Objekte mit den Informationen verglichen, die uns die alten Buchhaltungsunterlagen liefern, hauptsächlich für die Jahre nach 1793. Die Rechnungsbücher ermöglichen es auch, das Auftauchen einer Reihe von späten Dekoren (nach 1795) und von als «neu» bezeichneten Formen in den Beständen der Manufaktur ziemlich genau zu lokalisieren (siehe unten).

Die ersten Jahre, 1781–1785

In einem Brief an Ihre Exzellenzen in Bern vom Februar 1787 erklärte Ferdinand Müller, dass die Verantwortlichen der Manufaktur, nachdem sie im August 1785 von den Berner Behörden eine Zollbefreiung erhalten hatten, einen neuen Ofen bauen liessen, um das Produktionsvolumen zu erhöhen und «um die Zukunft des Unternehmens zu sichern» (De Molin 1904, 29). In einem Memorandum vom 23. März, das an dieselben Behörden gerichtet war, ging Müller auf die 1785 getätigten Investitionen ein und schrieb: «Nach einem Versuch im Kleinen entwickelte er [der Bittsteller] seine Herstellung …». (De Molin 1904, 40).

Die Formen

In unserer chronologischen Klassifizierung zeichnen sich die frühesten Jahre vor 1785 – die Zeit, die dem von Müller erwähnten «Versuch im Kleinen» entsprechen könnte – durch oft eher bescheidene Formen mit einfachen runden Henkeln und modellierten, fruchtförmigen Deckelgriffen aus wie bei Zuckerdosen und Saucentöpfchen (MHPN MH-PO-4278; MHPN MH-2007-193; MHPN MH-2007-162B; MHPN MH-PO-1443). Der gleiche Typ von Griffen und Henkeln ist auch bei frühen Suppentassen bezeugt (MHPN MH-PO-4241; MHPN MH-PO-1315 und -1314; MHPN MH-2015-96).

Die frühesten Teekannen sind sehr klein und haben einen kugelförmigen Körper (MHPN 2015-116; MHPN MH-2015-117; SNM LM-61686). Bald darauf erscheinen jedoch Teekannen von konventionellerer Grösse, die dem «Litron»-Typ entsprechen, mit einem zylindrischen Bauch, aber einer abgerundeten Schulter, einem runden Ausguss und einem spitzen Henkel (MHPN MH-PO-4287). Das Musée Ariana bewahrt ein Übergangsmodell auf, das den gleichen Körper und die gleiche abgerundete Schulter aufweist, aber mit achtseitigem Ausguss und einem runden Henkel mit zungenförmiger Daumenrast (MAG AR 10671). Diese Teekanne kündigt eine neue Form an, die um 1785 aufzutauchen scheint: zylindrischer Körper, schräge, leicht abgerundete Schulter, sechsseitiger Ausguss, runder Henkel mit zungenförmiger Daumenrast.

Das Musée Alexis Forel bewahrt ein frühes Exemplar dieses neuen Typs (MAF C 519), der sich mit einigen äusserlichen Änderungen bis zum Ende der Produktion halten sollte.

Die Kaffeekannen haben von Anfang an einen birnenförmigen Bauch; der Henkel ist zunächst rund (MHPN MH-PO-1411; MAG 018257) und später spitz zulaufend wie bei der Teekanne (MHPN MH-2015-168; MHPN MH-1999-49; MHPN MH-PO-4288; MHPN MH-2015-153). Die fruchtförmigen Deckelgriffe werden relativ schnell durch die Tannenzapfenform ersetzt, die sich fast durch die gesamte Produktion hindurch hielt (z. B. MHPN MH-1999-47; MHL AA.MI.2142). Sahne- und Milchkannen haben zunächst einen beutelartigen Bauch, der auf drei Rocaillefüssen steht, und einen runden Henkel (MHPN MH-PO-4289). Bei höheren Modellen findet man spitze Henkel (MHPN MH-2015-97; MHPN MH-2008-9) oder hohe quadratische Henkel (MHPN MH-PO-1433; MAG AR 10692). Die Teedosen sind von Anfang an zylindrisch geformt mit einer zunächst abgerundeten Schulter wie bei den ersten «Litron»-Teekannen (Gonin 2018a, Abb. S. 12), dann mit einer schrägen Schulter (MHPN MH-PO-1432); sie werden in den folgenden Perioden so gut wie nicht verändert, ausser dass die Schulter eckiger wird. Aus den Rechnungsbüchern erfahren wir, dass die Manufaktur die Teedosen oft mit Metalldeckeln lieferte.

Die Tassen sind entweder glockenförmig mit einem runden Henkel (MHPN MH-PO-1593 und -1594; MHPN MH-2015-130) oder vom Typ «Litron» – in den Rechnungsbüchern als «Becher» bezeichnet –, aber mit einem relativ ausgeprägten Kegelstumpfprofil; auch hier sind die Henkel zunächst rund und glatt (MHPN MH-PO-3229; MHPN MH-2007-169; MHPN MH-2008-1A; MCAHL 29356). Die allerersten Schalen für den Konsum von heissen Getränken – in der Regel Tee – sind relativ niedrig mit ausladendem Rand (MHPN MH-PO-1406; MHL AA.VL 88 C 463). Bald darauf wird der Tassenrand höher und gerade (MHPN MH-2007-198; MHPN MH-2015-165); die zugehörigen Untertassen sind relativ tief (MHPN MH-PO-1346 und -1347).

Die «Trembleuses», in den Rechnungsbüchern als «déjeuners à la Reine» bezeichnet, sind in der Regel leicht kegelstumpfförmig und mit zwei Henkeln versehen, die zunächst eine abgerundete Form mit einer Spitze (SNM LM-52049; Gonin 2017, Abb. 42), dann eine quadratische Form mit abgesetztem oberem Ansatz (MHPN MH-2007-154; MHPN MH-2005-100) aufweisen. Diese geradlinigen Henkel wurden während des Brennvorgangs fast immer verformt. Zuckerdosen, die zunächst eine halbkugelige Form haben (MHPN MH-PO-4278), nehmen relativ schnell ein zylindrisches Profil an, zunächst mit einem abgerundeten Boden und einem gewölbten Deckel (MHPN MH-1999-47; MHPN MH-PO-4286). Der abgeschrägte Boden, der später zur Regel wird, setzt sich bereits in der gleichen Periode durch (MCAHL 30027). Die frühen Saucentöpfchen sind relativ schlank, haben einen einfachen runden Henkel und einen Deckel mit einem modellierten Griff in Form einer Frucht (MHPN MH-2007-193; MHPN MH-2007-162B; MHPN MH-PO-1443).

DieSuppentassen, die in den Archiven der Manufaktur in Anlehnung an die Terminologie der französischen Fabriken «Schalen» genannt werden, sind zunächst halbkugelig mit einfachen runden Henkeln und fruchtförmigem Griff  (MHPN MH-PO-4241; MHPN MH-PO-1315 und -1314; MHPN MH-2015-96).

Was die Teller und Dessertteller anbetrifft, so weisen sie von Anfang an die klassische Form auf, die im Laufe der Zeit nicht wesentlich verändert wurde, mit einem fassonierten Rand, der abwechselnd aus sechs kleinen und sechs grossen Lappen besteht (MAF C 505). In dieser frühen Phase sind sie jedoch zwischen Rand und Absatz relativ dick und daher wesentlich schwerer als spätere Versionen. Das MHPN bewahrt ein frühes und wahrscheinlich einzigartiges Beispiel eines Tellers mit einem gemodelten Rand auf (Motiv aus sich kreuzenden Palmzweigen). Es muss sich um ein Einzelstück handeln, da diese Ausführung in der Produktion von Nyon sonst nicht mehr auftaucht (MHPN MH-PO-3089).

Einige komplexere Gefässe, wie die Zuckerdose mit festem Untersetzer, sind in dieser Periode noch selten. Das einzige bekannte Modell ist oval mit profilierten Pilaster-Motiven auf Bauch und Deckel. Der Griff des Deckels war ursprünglich in Form einer Frucht geformt, wie ein intaktes Exemplar im Musée Ariana zeigt. Beim Beispiel aus dem Schloss Nyon weist der Griff in Form eines Tannenzapfens Klebstoffspuren auf, was auf eine Reparatur mit einem Ersatzgriff hindeuten könnte (MHPN MH-2013-111). Beide Exemplare weisen Brennrisse auf. Es ist denkbar, dass diese seltene Form wegen ihrer zu grossen Zerbrechlichkeit beim Brennen schnell aufgegeben wurde.

Schon bald tauchen komplexere, übernommene Formen auf, wie diese runden Körbe, deren durchbrochene Teile in diesem Stadium ein Muster aus geraden Bögen aufweisen. Der Untersetzer ist ausgestattet mit doppelten, sich gegenüberliegenden Blättern. An den Rändern verläuft ein Motiv eines gedrehten Bandes im Relief (MHPN MH-2009-10B und -11B). Diese frühe Form gibt es auch in einer ovalen Version (Martinet 1911, Abb. S. 18).

Die ersten Vasen mittlerer Grösse (25–27 cm Höhe) haben in der Regel einen urnenförmigen Körper auf einem gemodelten Sockel (MHPN MH-PO-3110; SNM LM-6038MAG AR 10661; Pelichet 1985/1, Abb. 116 und 157), wobei die einzige formale Variation in den Griffen besteht, die entweder quadratisch, in Form eines Widderkopfes oder in Form eines weiblichen Maskarons gestaltet sein können. Besonders hervorzuheben ist die prunkvolle Vase, die den Berner Behörden 1782 geschenkt wurde und heute im Bernischen Historischen Museum aufbewahrt wird (BHM H/951 – Droz 1997, 25; Pelichet 1985/1, 163, Abb. 8 und 9), auf der man sieht, dass die Manufaktur bereits die gesamte Palette der Dekortechniken beherrschte: Unterglasurblau, Poliergold mit Mustern, und den Guss dreidimensionaler Formen. Nur wenige Brennrisse, die unter dem breiten, vergoldeten Blattfries am Boden des Objekts verborgen sind, zeigen in diesem Fall, dass die junge Manufaktur die Grenzen ihrer technischen Möglichkeiten erreicht hatte.

Die Dekore

In Nyon, wie in allen europäischen Manufakturen, bildete der Blumendekor das Rückgrat des ornamentalen Repertoires. Im Bereich der Blumensträusse ist der Einfluss aus Paris klar erkennbar. Man denkt dabei vor allem an Clignancourt, an die Manufacture de la Reine oder die Manufacture de Locré.

Die Blumenmotive dieser frühen Periode zeichnen sich durch eine lockere, fast gestische Malweise aus, die in ihrer frühesten Phase nicht sehr sorgfältig ist (MHPN MH-PO-4278; MHL AA.VL 88 C 463). Nach und nach wird die Ausführung präziser, mit ausladenden Sträussen und einer harmonischeren Komposition (MHPN MH-2009-10B und -11B). Die Farben sind kontrastreicher als in den späteren Sträussen, im Blattwerk sind Schatten und Blattadern deutlich stärker ausgeprägt. Die Sträusse sind meist sehr dicht und fast immer um eine Rose herum angeordnet (MHPN MH-2007-193; MHPN MH-2015-168; MHPN MH-PO-1387; MHPN MH-PO-1593 und -1594; MAF C 506).

Das Kornblumenmotiv wird in Nyon, einmal mehr unter dem Einfluss der Pariser Produktionen, ausgiebig interpretiert. Die Variationen dieses Themas waren nahezu grenzenlos: Man trifft auf Darstellungen in Form von Zweigen oder einzelnen Blüten, Girlanden und Kränzen. In dieser frühen Phase wird das Thema jedoch vor allem in Form von Zweigen, begleitet von einigen gestreuten Blüten, behandelt (MHPN MH-PO-4347).

In den Bereichen Landschaft und belebte Szenen zeigen die ersten Versuche noch einen eher pastosen Pinselstrich (MHPN MH-PO-4241). Etwa zur gleichen Zeit hatte die Manufaktur jedoch einen nicht identifizierten Künstler in ihren Reihen, der ihr bester Figurenmaler war und dem die meisten der von François Boucher inspirierten Szenen mit grossen Figuren zu verdanken sind (MHPN MH-PO-1315 und -1314). Von derselben Hand stammen wahrscheinlich insbesondere das prächtige Service im Nationalmuseum (SNM LM-97902) und eine Suppenschüssel mit Untersetzer im Musée Ariana (MAG AR 12641). Die Dekore des Typs «Marseille» (MHPN MH-PO-1429 und -1430; MCAHL 29804; MCAHL 29805; MAF C 518; MHL AA.MI.2142) sowie andere Landschaften, die in dieser Zeit als Miniaturen hergestellt wurden (MCAHL 29370; MCAHL 29356; MCAHL 29395; MHPN MH-PO-4346), verwenden genau die gleiche Palette an Malfarben wie die Dekore à la Boucher. Wir sind geneigt, alle diese Werke der gleichen Hand zuzuschreiben.

Wie die Prunkvase, die die Porzellanhersteller 1782 den Berner Behörden schenkten, bezeugt (Pelichet 1985/1, Abb. 9), führte die Manufaktur bereits in den frühen Jahren komplexe Dekore aus, die polychrome Emailmalerei und blaue Unterglasurmalerei miteinander kombinierten (MHPN MH-2008-1A; MCAHL 29370; MCAHL 29356; MCAHL 29395; MHPN MH-PO-4346; MHPN MH-PO-1402; MCAHL 28702; MHPN MH-PO-4283; MHPN MH-PO-4284; MHPN MH-2007-168; MHPN MH-PO-4243; MHPN MH-PO-1390; MHPN MH-2007-144; MHPN MH-2015-22; MHPN MH-2015-13). Diese Kombination von blauen mit mehrfarbig emaillierten Motiven stellte eine zusätzliche Komplikation im Herstellungsprozess dar. Die Manufaktur scheint diese dekorative Technik spätestens um 1790 aufgegeben zu haben.

Bei den häufiger vorkommenden Motiven fällt auf, dass die ornamentalen Muster (Flechtbänder, Girlanden) oft etwas zu kompakt sind, es ihnen an Weite mangelt und sie häufig zu klein bemessen wirken (MHPN MH-2015-116; MHPN MH-2015-460; MHPN MH-PO-1329; MHPN MH-2015-96; MHPN MH-2005-100). Die Monogramme sind häufig unausgewogen oder sogar nicht eingemittet (MHPN MH-2007-169). Die Insektendekore sind eine frühe Ausführung, aber auch hier scheinen die Motive zunächst unterdimensioniert zu sein, obwohl sie subtil gemalt sind (MHPN MH-2015-456; MHPN MH-2015-457).

Dekore in Unterglasurblau

In den deutschen Staaten und in Nordeuropa boten die meisten Porzellanmanufakturen systematisch eine Auswahl an blauen Dekoren in Unterglasurmalerei an, die eher im unteren preislichen Bereich ihres Sortiments angesiedelt war. Ein Trend, der sich vor allem in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts deutlich verstärkte.

Nyon verfolgte eine ähnliche Strategie. Am Anfang dieser Produktion bot die Manufaktur Motive mit europäischen Blumen an, aber nur für eine kurze Zeitspanne. Diese Art der Malerei erwies sich wahrscheinlich als zu kostspielig für diese Produktkategorie und wurde um 1790 offenbar aufgegeben (MHL AA.MI.2141).

In der Zeit von 1790-1795 trifft man auf einen Dekor mit Girlanden und Zweigen (MCAHL 30806K; MHPN MH-PO-2843bis und -1590; MCAHL 30806A; MAF C 502; MHV 2106); aber in Nyon, wie auch in den deutschen Manufakturen, war das am weitesten verbreitete und beliebteste blaue Motiv zweifellos das Strohblumenmuster (MHV 2115; MCAHL 30806E; MCAHL 30806G; MHPN MH-PO-3912; MCAHL 30806D; MHPN MH-PO-4352). In den Rechnungsbüchern von Nyon scheint der «blaue Dekor» nach 1795 wieder an Bedeutung zu gewinnen. Das Motiv wird nicht angegeben, aber das Strohblumenmuster ist zu diesem Zeitpunkt offenbar die einzige Verzierung, die noch ausgeführt wird.

Der Scherben und die Manufakturmarken

In den allerersten Jahren, vor 1785, hat das Porzellan ein ausgeprägt weisses und eher kaltes Aussehen. Im Durchlicht betrachtet, zeigt der Scherben eine starke Transparenz und einen hellen, gelblichen Farbton.

Die Marken sind klein und kompakt mit einer Fülle von Details (siehe z. B. MHPN MH-PO-4388; MHPN MH-PO-1411). Das Unterglasurblau neigt zu einem dunklen, schiefergrauen Ton.

Um 1784/85, wie die flachen Teller und Schüsseln des «Cuénod-Service» bezeugen, die höchstwahrscheinlich zwischen Herbst 1784 und Anfang 1785 geliefert wurden, werden die Marken länger, die Körper der Fische sind stilisierter und bestehen aus zwei Linien, die sich auf Höhe des Schwanzes nicht berühren, die Flossen werden durch zwei einfache Bogenlinien dargestellt, die am Körper entlang gezogen werden. Andere Fischmarken sind sehr schmal und stilisiert (siehe MHPN MH-2013-113M; MHPN MH-2013-112E; und -3). Zur selben Zeit zeigt der Scherben mit seinem ausgeprägten rotbraunen Farbton im Allgemeinen eine deutlich reduzierte Lichtdurchlässigkeit. Im reflektierten Licht nimmt das Porzellan einen wärmeren Farbton an.

Die Jahre 1785–1790

Dies ist wahrscheinlich die turbulenteste Zeit in der Geschichte der Manufaktur: 1786 verliess Dortu Nyon und zog nach Berlin, während Müller heimlich eine Verlegung der Firma nach Genf plante. Müller wurde überführt und ausgewiesen. Eine neue Gesellschaft wurde gegründet und Jean-Georges-Jules Zinkernagel, ein einfacher Vorarbeiter, übernahm vorübergehend die Leitung des Unternehmens. Nach seiner Rückkehr nach Nyon wurde Dortu im April 1787 zunächst zur Persona non grata erklärt. In der Zwischenzeit unternahm Zinkernagel die notwendigen Schritte, um ein Haus und ein Grundstück, die dem Staat gehörten, an einem Ort namens Croset zu erwerben. Der Kauf des Hauses «Ducoster» wurde am 7. Juni 1787 abgeschlossen. Die Käufer waren Henri Veret, Moïse Bonnard, Zinkernagel und Dortu, wobei Letzterer wahrscheinlich angefragt wurde, um die Zukunft der Manufaktur zu sichern (De Molin 1904, 47-50; Droz 1997, 27-32). Das Unternehmen zog ohne grosse Verzögerung in das neue Gebäude um, vielleicht mit nur einigen Monaten der Unterbrechung. In den endlich grosszügigeren Räumlichkeiten, ausgestattet mit erneuerter Infrastruktur, kam das Unternehmen wieder in Fahrt.

Die Formen

Etwa ab 1785 tauchen ambitioniertere Gefässformen wie Suppenschüsseln oder Schüsseln auf. Zum Beispiel dieses seltene Modell mit einem doppelt gewölbten Bauch, horizontalen Griffen in Form von Zweigen mit blattförmigen Attaschen und einem Deckelgriff in Form von sich kreuzenden Zweigen (MHPN MH-2015-143). Eine ovale Version – von der bisher nur ein verziertes Beispiel aus einer Privatsammlung bekannt ist (Mitteilung von Grégoire Gonin) – zeichnet sich durchein reliefiertes Pilastermotiv auf Bauch und Deckel aus (MHPN MH-PO-1581).

Eine sehr ähnliche Form mit zitronenförmigem Deckelgriff wurde offenbar von der Pariser Manufaktur in der Rue Thiroux hergestellt (auch Manufacture de la Reine genannt – Blanchet et associés, Drouot-Richelieu, Auktion vom 28. Juni 2019, Los 124). Etwa zur gleichen Zeit erscheint eine runde Terrine mit einem modellierten, zitronenförmigen Griff (MHPN MH-2007-176), die auf die oben genannte Suppenschüssel zurückzuführen ist, ein Modell, das sich etwas später im Service «Trevor» (MHPN MH-PO-3802bis) wiederfinden wird. Generell sind relativ wenige Schüsseln und Suppenschüsseln aus Nyoner Porzellan bekannt.

Ebenfalls eher selten ist der neue Typ der Suppentasse, der zur gleichen formalen Familie wie die oben erwähnte Suppenschüssel gehört: Das Gefäss steht auf einem Standring und hat zwei Henkel mit zungenförmiger Daumenrast, der Deckelgriff ist in Form von sich kreuzenden Blättern gestaltet (MHPN MH-PO-1397). Das Musée Ariana bewahrt ein Exemplar dieses Typs mit dem dazugehörenden Untersetzer auf (MAG 015739). Die Grundform der Suppentasse hat eine etwas weiter ausladende Wandung als früher und einen pinienzapfenförmigen Deckelgriff; die Henkel sind rund mit einer zungenförmigen Daumenrast (MHPN MH-2015-124; MHPN MH-PO-1326 und -1325). Dieses Modell wird bis 1795 beibehalten, manchmal mit leichten Profiländerungen.

Die Untertasse einer «Trembleuse» stellt eine Kuriosität dar: Es ist das einzige uns bekannte Beispiel aus Nyon, bei dem die Stabilität der Tasse durch einen durchbrochenen Ring und nicht durch eine Vertiefung gewährleistet wurde (MHPN MH-PO-1486). Ein neuer Typ «Trembleuse» scheint um 1785 ins Sortiment aufgenommen worden zu sein. Er ist leicht kegelstumpfförmig und hat einen neuartigen, gegenläufig geschwungenen Henkel, die Daumenrast ist in Form eines dreilappigen Blattes gestaltet (MHPN MH-2007-196 – siehe auch MAG AR 01267). Das Musée Ariana besitzt eine «Trembleuse», die aufgrund ihrer ungewöhnlichen Grösse den Charakter eines Prunkstücks hat (MAG AR 05606 – Pelichet 1985/1, Abb. 42). Dieses Beispiel ist einzigartig und hat runde Henkel und eine Daumenrast in Form eines dreilappigen Blattes.

Die Teekanne nimmt bis auf wenige Details nach und nach ihre endgültige Form an: eine leicht schräge Schulter oder eine schmalere flache Schulter, ein sechsseitiger Ausguss, der weiter unten am Gefässkörper angebracht ist, ein abgerundeter, bandförmiger Henkel mit einer zungenförmigen Daumenrast (MHPN MH-2015-167; MAF C 517A; MHPN MH-2015-99; MHPN MH-2015-159; MHPN MH-2003-137).

Das Grundmodell der Kaffeekanne (auch der Milchkanne oder Heisswasserkanne) behält seinen birnenförmigen Bauch bei, ist aber ausgeprägter und hat einen runden Henkel mit einer Daumenrast, die die Form einer einfachen Zunge oder eines modellierten Blattes haben kann. Der Ausguss zeigt künftig eine gemodelte Zierleiste in Form von Blättern (MHPN MH-2011-38; MHPN MH-PO-1295; MCAHL 30805E).

Zur gleichen Zeit führte die Manufaktur einen neuen Kaffeekannentyp ein, der ziemlich genau auf einem Modell der Wiener Manufaktur basiert: ein zylindrischer Körper auf drei gemodelten Rocaille-Füssen mit einem gebogenen Ausguss sowie hohem durchbrochenem Henkel und blattförmiger Daumenrast (MAG AR 10691, MAG AR 05236, MAG 007622 – Bobbink-De Wilde 1992, Abb. S. 39). Diese Form hat sich wahrscheinlich nicht durchgesetzt, da nur wenige Exemplare überliefert sind. Eine andere Form der Kaffeekanne, von der wir nur ein Exemplar kennen, wurde wahrscheinlich nie in die normale Produktion aufgenommen (MHPN MH-PO-1472).

Bei den Milchkännchen zeichnet sich eine neue Form ab, die sich in der folgenden Periode mit einer schlankeren Silhouette durchsetzen sollte: Die Kanne steht auf einem Standring, der Bauch ist gestreckt kugelig. Das Kännchen ist mit einem hohen Henkel und einer breiten Ausgussöffnung versehen (MHPN MH-2013-102; MAFC 517D).

In der gleichen Periode fanden wir eine äusserst seltene Form mit eiförmigem Bauch auf Standring und mit einem ausladenden Ausguss sowie einem runden Henkel mit einem vorstehenden oberen Ansatz, der aus zwei sich kreuzenden Zweigen besteht (MHPN MH-2015-119). Eine Form, die offenbar den Status eines Prototyps behielt. Dieses Beispiel – wie auch die Beispiele für Kaffeekannen – zeigt, dass die Manufaktur in dieser Phase ihrer Entwicklung offensichtlich bemüht war, ihr Formensortiment zu erneuern.

Zwischen 1785 und 1790 erscheinen zwei neue Zuckerdosen ovaler Form mit festem Untersetzer: Die erste hat einen doppelt gewölbten Deckel, Wandung und Untersetzer sind vierpassig fassoniert (MHPN MH-PO-3074; MAG AR 01343). Das zweite, etwas spätere Modell hat einen doppelt gewölbten Bauch und ein Reliefmuster aus vier Pilastern auf der Wand und dem Deckel, wobei der Griff des Deckels aus sich kreuzenden Bändern geformt ist. Die letzte Form ist direkt vom Porzellan aus Clignancourt inspiriert (MHPN MH-PO-3006;  MAG AR 10654; MAG AR 01119; MAG 00616 – für das Modell aus Clignancourt siehe MAG AR 01670 oder MAG AR 01570).

Ebenfalls von Clignancourt inspiriert ist ein neues Korbmodell ohne Untersetzer – die unteren Schlaufen der ineinander verschlungenen Ruten bilden einen Fuss. Das Modell wird in den Geschäftsbüchern geheimnisvoll als «Form von Sèvres» bezeichnet und ist in einer ovalen (MCAHL 30807C) oder runden Version erhältlich (MHPN MH-PO-1362 – für das Modell aus Clignancourt siehe MAG AR 01602 oder MAG AR 01683).

Der klassische Korb mit Untersetzer wurde verändert: Die Bögen der durchbrochenen Teile sind nun U-förmig gebogen, der Untersetzer ist mit einem einzigen gekehlten Blatt verziert und die Ränder des Korbes und des Untersetzers sind glatt (MHPN MH-2015-22; MCAHL 30877A und -B). Dieses Modell hielt sich bis zum Ende der Produktion.

Das Profil der «Litron»-Tasse zeigt nun eine weniger ausgeprägte Kegelstumpfform, die Mehrheit der Henkel ist nunzweipassig mit zweigeteilter unterer Befestigung (MHPN MH-PO-1360 und -1361; MCAHL HIS 55-3827 und -3829; MHPN MH-PO-1514); Es ist anzumerken, dass auch diese Form im Pariser Porzellanrepertoire belegt ist, sei es in Clignancourt oder in der Manufacture de la Courtille (für Pariser Modelle siehe z. B. MAG AR 02232 oder MAG AR 01470).

Ein seltenes Tassenmodell zeichnet sich durch seine halbkugelige Form, den mehrpassigen Rand und den muschelförmigen Henkel mit Daumenrast aus. Dieser Typ, der wahrscheinlich den in den alten Büchern der Manufaktur erwähnten «tasses découpées avec anse» entspricht, war aufgrund der unbequemen Form des Randes offensichtlich nicht so erfolgreich (MHPN MH-PO-2291A). Aus dieser Zeit sind auch grosse, gedeckelte «Litron»-Tassen bekannt, die einen gegenläufig geschwungenen Henkel und eine blattförmig, geformte Daumenrast haben (MHPN MH-PO-1446 und -1447; MHPN MH-2007-113).

Bemerkenswert ist auch ein Bechermodell (CLS MURO 1257) und (MHPN MH-PO-1467 und –1466), das in den bekannten Sammlungen nicht häufig vorkommt.

Vermutlich wurde in dieser Phase auch das längliche Tablett mit fassoniertem Rand eingeführt, das vor allem als Untersetzer für Saucentöpfchen oder andere Gefässe diente (MHPN-MH-PO-1438; CLS MURO 1255; MHPN MH-PO-4284; MHPN MH-PO-1497 bis -1505). Dieses Modell, um 1785 eingeführt, wird mindestens ein Jahrzehnt lang hergestellt.

Die Dekore

Die Blumendekore bleiben zunächst ausgeprägt malerisch, einige wenige Beispiele zeugen von höchstem handwerklichem Können (MHPN MH-2015-144; MHPN MH-PO-1397; MHPN MH-2007-176; MBL-20093). Um 1785 zeichnet sich ein Maler durch seine ganz eigene Art der Zusammenstellung von Blumensträussen aus: Der Strauss ist oft um eine Rose herum aufgebaut und lässt eine Blume an einem langen Stiel herauswachsen (MHPN MH-2015-143; MAF C 506). Sehr grosse Blumensträusse wie auf der Platte MHPN MH-2015-144 sind selten, und das vorliegende Beispiel zeugt von einer für unsere Manufaktur eher aussergewöhnlichen malerischen Meisterschaft. In diesem Fall zeigt sich das Blumenmotiv in seiner ganzen, unvergleichlichen Pracht, ganz im Sinne des Geistes, der sich noch auf die Epoche Ludwigs XV. beruft.

In kleineren Sträussen ist jedoch bereits ein Trend zu einer kontrollierteren und systematischeren Ausführung zu erkennen: Die Farbe wird verdünnt und weniger konstrastreich aufgetragen, die Blätter sind monochromer gehalten (MHPN MH-2015-130; MHPN MH-2007-185; MHPN MH-PO-1473 und -1474).

Die Kornblumen erscheinen wie in der vorherigen Periode in Form von grossen Zweigen (MCAHL 32840; MHPN MH-2015-174) und dann immer systematischer in Form eines Streumusters von kleineren, stilisierten Zweigen (MHPN MH-2015-167; MHPN MH-PO-3104 und -3105; MHPN MH-2015-173). Parallel dazu tauchen erste Dekore mit vereinzelten Kornblumen auf, oft in schachbrettförmig oder diagonal angeordneten Mustern (MHPN MH-2015-162; MHPN MH-2015-164; MHPN MH-PO-1442 und -1443). In dieser Phase entstand auch ein Dekor, der sich als dauerhaft erfolgreich erweisen sollte: die Kombination von Kornblumengirlanden mit einer reichen Goldborte, die zunächst mit einem ausgespartem Mäander (MHPN MH-2015-99) und später mit einem ausgesparten Flechtband verziert wurde- Diese Version setzte sich schliesslich durch: Sie wurde praktisch bis in die letzten Jahre der Produktion unter dem Namen «Kornblumengirlande, griechisch Gold» hergestellt (MHPN MH-2007-201; MHPN MH-2007-107; MCAHL 30924). Deutlich seltener sind die Motive mit Stiefmütterchen in Form von Zweigen oder einzelnen Blüten (MHPN MH-2015-124; MHPN MH-2015-125; MHPN MH-2007-102).

In dieser Zeit scheint auch der in den Büchern der Manufaktur als «Millefleurs» bezeichnete Dekor zu entstehen: ein Streumuster mit kleinen Blumen, meistens Rosen, später kommen Stiefmütterchen dazu (MAF C 519; MHPN MH-PO-1433; MHPN MH-PO-1434; MHPN MH-PO-1438; MHPN MH-PO-1388 und -1389; MHPN MH-2015-169). Zu diesem Zeitpunkt sind die Stiele kurz.

In Motiven, die menschliche Figuren darstellen und in gewisser Weise an die von Boucher inspirierten Szenen der ersten Periode anknüpfen, sind die Figuren nun deutlich kleiner (MHPN MH-PO-4219; MHPN MH-PO-4218 und -4217; MHPN MH-2015-109; MHPN MH-2015-108; MHPN MH-2015-111; MHPN MH-2015-110; MHPN MH-PO-1446 und -1447). Diese anspruchsvollen und kostspieligen Dekore müssen in der Produktion eher selten gewesen sein. Die Qualität der Malerei ist nach wie vor hervorragend und könnte vom Maler der grossen Figuren der frühen Jahre stammen.

Ein weiterer bedeutender Künstler zeichnet sich durch seine Medaillons mit Themen aus, die von den «Boucher-Kindern» inspiriert sind. Sie sind manchmal mehrfarbig, aber hauptsächlich einfarbig in Grau oder Purpurrot ausgeführt (MHPN MH-2007-113; MAG 015830).

Bemerkenswert ist der neue Trend, belebte Szenen in verzierte Rahmen einzubetten, wie bei dem berühmten Service mit Medaillons, die mit rosafarbener Borte eingefasst sind (MHPN MH-2003-137; MHPN MH-2007-114; MHPN MH-2008-2; MHPN MH-2008-46A; MHPN MH-2008-46B; MHPN MH-PO-1587). Die Silhouetten – und Monogramme – zeugen von einer zunehmenden Kunstfertigkeit, auch wenn das Motiv manchmal noch unterdimensioniert erscheint (MHPN MH-PO-1418; MHPN MH-2015-16; MHPN MH-PO-1381; MHPN MH-2011-38; MHPN MH- 2008-6; MCAHL 30061). Die Tassen mit den Bildnissen der Familienmitglieder von Moïse Bonnard, einem der wichtigsten Geldgeber der Manufaktur, sind eine wertvolle Referenzgruppe, da sie zu den wenigen Stücken gehören, die anhand der Geschäftsbücher der Manufaktur genau datiert werden können, in diesem Fall auf 1789 (MHPN MH-PO-2280; MHPN MH-PO-2281; MHPN MH-PO-2282; MHPN MH-PO-2283; MHPN MH-PO-2284; MHPN MH-PO-2285).

Insektenmotive sind immer noch beliebt, sie bleiben leicht und luftig (MHPN MH-PO-3939; MHPN MH-PO-1316; MHPN MH-PO-1391 und -1428). Die ersten Trophäen stammen aus der ersten Periode und wurden gewöhnlich mit einem Band an einer Bordüre befestigt (Pelichet 1985/1, Abb. 40 und 49). Künftig sind sie in Medaillons auf gelbem oder hellgrauem Grund zu sehen (MHPN MH-2015-98; MHPN MH-2007-173 – MAG 015739; MAG AR 01263MAG AR 10661; MAG AR 10767). Die Deckeltasse mit Trophäen, ausgeführt in Graumalerei (MHPN MH-PO-4180 und -4181), ist ein Einzelfall, der den innovativen Geist der Malerwerkstatt in dieser Phase der Entwicklung und Perfektionierung der Manufaktur verdeutlicht.

Die Bestellungen zur Ergänzung von bestehendem Tafelgeschirr

Die Manufaktur in Nyon ahmte mehrmals Dekore aus anderen Ländern nach, um den einen oder anderen Kunden zufriedenzustellen, der ein ausländisches Porzellanservice ergänzen oder neu bestücken wollte. Bei diesen Anpassungen bewiesen die Maler aus Nyon, vor allem in den Jahren 1785–1795, ein bemerkenswertes Geschick und einen Sinn für Details. Die Kunst des Kopierens beschränkte sich im Allgemeinen auf gemalte Dekore, da die Reproduktion von Formen aufgrund der Notwendigkeit, geeignete Giessformen herzustellen, sehr kostspielig war.

Die am häufigsten kopierten Produkte sind entweder chinesisches Exportporzellan (z. B. das «Cuénod-Service»: MHPN MH-2013-106; MHPN MH-2013-117; siehe auch MHPN MH-PO-3959; MHPN MH-PO-1310; MCAHL 30877A und -B; MHPN MH-PO-1462; MCAHL HIS 55-3617, -3618 und -1618; MCAHL 24617; MHPN MH-2019-99; MHPN MH-2015-126; MHPN MH-2015-12 – für das Modell siehe MAG 8770) oder Porzellan aus Paris (MHPN MH-2007-120 – für das Modell siehe MAG AR 1544 – MHPN MH-2008-52A; MHPN MH-2007-137; MHPN MH-2007-115bis; MHPN MH-PO-3109). Die Manufaktur reproduzierte auch – und zwar brillant – einen komplexen Dekor aus japanischem Exportporzellan (MHPN MH-PO-4238 – für das Originalmodell siehe MAG AR 11976).

Unter Liebhabern sind die Nyoner Versionen des «Ronda»-Dekors der Manufaktur von Tournai (MHPN MH-2015-459; MCAHL 29495) oder einiger klassischer Meissener Dekore (MHPN MH-2010-19A; MHPN MH-PO-3878; MHPN MH-PO-4237) wohlbekannt. Seltener sind Nachschöpfungen von Tafelgeschirr aus Sèvres (MHPN MH-PO-1272 und -1513; MHPN MH-PO-1507 und -1508). In einigen Fällen bewahren die Waadtländer Museen die Modelle zusammen mit ihren Kopien auf (MHPN MH-2013-117; MHPN MH-2013-106 – MHPN MH-PO-4235 und -4236 – MHPN MH-PO-3878; MHPN MH-2015-497 – MHPN MH-2015-153; MHPN MH-2015-152; MHPN MH-2015-147; MHPN MH-2015-146 – MCAHL 29490; MCAHL 29491 – MHPN MH-2010-19A; MHPN MH-2010-19C und -G).

Die Jahre 1790–1795

Um 1790 hatte die Manufaktur die Turbulenzen der Müller-Affäre überwunden und ihre Produktiont konnte sich in neuen Räumlichkeiten an ihrem endgültigen Standort in Le Croset wieder entfalten. Die Fabrik und insbesondere die Dekorationswerkstatt waren nun wieder voll funktionsfähig. Das Produktionsvolumen wuchs von nun an in einem stetigen Rhythmus – sogar zu stetig, da sich die Lagerbestände zwischen 1790 und 1795 und erneut zwischen 1797 und 1801 immer weiter anhäuften (Droz 1997, 42-44). Die Überproduktion erwies sich mehr denn je als selbst verursachtes Übel, das die wirtschaftliche Gesundheit des Unternehmens unwiderruflich untergraben würde. Trotz der äusserst lückenhaften Quellenlage stellt Droz einen erheblichen Anstieg der Verkaufszahlen fest, insbesondere zwischen 1790 und 1793. Anhand der verfügbaren Lohndaten schätzt er, dass die Belegschaft der Manufaktur noch nie so gross war wie zwischen 1790 und 1798 (Droz 1997, 51).

Die Formen

Unter den häufigsten Formen sind einige nun für eine gewisse Zeit etabliert, wie die Körbe, die Zuckerdosen oder die Teekannen. Bei Letzteren sind nur noch Detailvariationen zu beobachten, wie etwa die immer stärker ausgeprägte Höhe des Randes, der den Deckel festhält (MCAHL 30792C; MCAHL 29485 und 29486) oder die Form der Daumenrast, die anstelle einer einfachen Lasche wie ein ausgeschnittenes Blatt aussehen kann (MHPN MH-2007-134C und -D; MHPN MH-PO-4306; MHPN MH-2015-115).

Eine neue, nur selten anzutreffende Tassenform mit einem halbkugeligen, von einer Schale abgeleiteten Körper und einem runden Henkel mit Lasche tritt in Erscheinung (MHPN MH-2007-166). Bei der «Litrontasse» hat das Grundmodell immer noch einen zweipassigen Henkel mit einer zweigeteilten unteren Lasche, wird aber jetzt auch mit einem viereckigen Henkel angeboten (MHPN MH-PO-1623 und -1624; MHPN MH-PO-4304 und -4300; MHPN MH-PO-1423 und -1422).

Die «Trembleuse» erhielt ebenfalls vereinfachte quadratische Henkel und einen etwas gewölbteren Deckel; die Fahne der Untertasse ist weniger gekrümmt und der Hohlraum für die Tasse weniger tief (MHPN MH-PO-1539 und -1540; MHPN MH-PO-1268 und -1269; MHPN MH-2008-48). Die Suppenschale behält ihre Form bei, erhält aber neue Henkel, die oben gegabelt sind und blattförmige Attaschen haben (MHPN MH-PO-1352; MCAHL 30067 und 30066; MHPN MH-PO-1275, für ein späteres Beispiel).

Das neue Standardmodell für Milch- (oder Sahne-) kännchen, das bereits in der vorherigen Periode skizziert wurde, hat eine höhere, urnenartige Form auf einem meist pokalartigen Fussl, eine ausladende Ausgussöffnung und einen hohen Henkel (MHPN MH-PO-1779; MHPN MH-PO-4302; MHPN MH-PO-1316). Eine seltene Variante hat eine umgekehrte Helmform (MHPN MH-PO-4307).

Die Kaffeekanne behält zunächst ihre birnenförmige Silhouette auf einem einfachen Standring, mit einem gemodelten Ausguss und einer blattförmigen Daumenrast (MHPN MH-PO-1336; MHPN MH-PO-1295; MCAHL 30805E). Aber eine neue Standardform ist im Begriff, sie zu ersetzen, ausgestattet mit einem fast eiförmigen Bauch, entweder auf einem Standring oder einem pokalartigen Fuss stehend, wobei die Daumenrast weiterhin blattförmig ist und der Ausguss immer noch gemodelt. (MCAHL 29488; MHPN MH-2015-118; MCAHL 30806I). Eine weitere Neuheit, die anscheinend keine grosse Verbreitung fand, ist ein Modell mit urnenförmigem Bauch auf einem Standring, mit einem ziemlich komplizierten, gegenläufig geschwungenen Henkel mit blattförmiger Daumenrast und gegabelter unterer Befestigung (MHPN MH-PO-494). Dieses seltene Modell gibt es auch mit einem einfacheren Henkel (MHPN MH-2015-101).

In den frühen 1790er-Jahren erweiterte die Manufaktur ihr Sortiment an Formen für festliches Tafelgeschirr erheblich. In dieser Zeit entstanden die beiden grössten bis heute bekannten Serien, das Service «Trevor» und das Service «Napolitain» (siehe Kapitel «Nyon, Porzellanmanufaktur – Die berühmten Services»). In diesem Zusammenhang erscheinen unserer Meinung nach auch die ersten Modelle von Flaschenkühlern, die in den Büchern als «seau à bouteille» bezeichnet werden (MHPN MH-PO-1518 – MAG 007615; MAG AR 01180; MAG AR 01329; MAG AR 01330), (MCAHL 30021 – MAG AR 01327;  MAG AR 05583; MAG AR 05584; MAG 019291; MAG 019292) und Kühlgefässe für Gläser mit schrägem oder geradem Rand (MCAHL 30924) (MHPN MH-PO-1532 – SNM LM-52837 –MAG AR 04487; MAG AR 04488). Alle drei Arten von Gefässen haben die gleiche Art von Griffen in Form von horizontalen Henkeln, die sich überkreuzende Zweige darstellen, mit aufgesetzten blattförmigen Befestigungen.

Weiterhin gibt es doppelte Konfitürennäpfe mit festem, ovalem Untersetzer (MCAHL 29808; MHPN MH-2007-180; MHPN MH-PO-1546), dreifache Konfitürennäpfe auf dreieckigem Untersetzer (MHPN MH-PO-3175; MHPN MH-PO-3499) und eine Butterdose mit festem Untersetzer und einem doppelt gewölbten Deckel, dessen Griff wie ein zu einer Schleife gebogener Ast geformt ist (MCAHL 30795; MHPN MH-2015-95).

Eine weitere neue Form ist die Sauciere mit ovalem Untersetzer und vierpassigem, fassoniertem Rand, die möglicherweise für das Service «Napolitain»entworfen wurde (MHPN MH-PO-1542; MHPN MH-PO-1544). Das Musée du Château de Nyon bewahrt eine Variante in Weiss auf, bei der es sich um den Prototyp dieses Modells handeln könnte und das wahrscheinlich nie in die Produktion aufgenommen wurde (MHPN MH-PO-4277A und -B).

Das Service «Napolitain» besteht vor allem aus grossen, gedeckelten Gefässen, zwei Suppenschüsseln und zwei Gemüseschüsseln (oder Terrinen), die wahrscheinlich für diesen Anlass geschaffen wurden. Die Suppenschüsseln (MHPN MH-PO-1730) sind eine Weiterentwicklung der Terrinen, die um 1785 erschienen, und unterscheiden sich offensichtlich durch ihre Grösse und die aufwendig ausgearbeitete Form der Deckelgriffe. Die ovalen Terrinen oder Gemüseschalen (MHPN MH-PO-1534) sind eine gewagte Innovation mit ihrem gerippten Deckelabschluss.

Im Bereich der rein dekorativen Objekte bietet die Manufaktur nun auch Töpfe für Blumen mit Zwiebeln an, die nach den Fabrikbüchern als «Kamingarnituren» zusammengestellt wurden. Diese Behälter für Zwiebelpflanzen, die vor allem in der Pariser Produktion dieser Zeit relativ weit verbreitet waren, werden alle nach demselben, von der Architektur oder von Möbeln inspirierten Schema entworfen, jedoch in drei verschiedenen Formaten: rechteckig, quadratisch oder «halbmondförmig» (MHPN MH-2015-156; MHPN MH-2015-154; MHPN MH-2015-155; MACHL HIS 55-3310; MCAHL HIS 55-3311; MCAHL HIS 55-3312; MHPN MH-2015-102).

Die mittelgrossen Vasen aus dieser Zeit sind entweder Vasen in Kegelform, ein Typ, der in unserem Korpus nicht vertreten ist (siehe Pelichet 1957, Abb. S. 93), oder die in den Archiven als «Büffelkopfvasen» bezeichneten Vasen, von denen das MHPN ein spätes Exemplar mit minimalistischem Dekor aufbewahrt (MHPN MH-PO-486 – siehe auch MAG AR 05602; MAG AR 05603).

Ebenfalls in den frühen 1790er-Jahren wurden die grössten Objekte, die je in Nyon entworfen wurden, hergestellt: urnenförmige Potpourri-Vasen auf einem hohen Pokalfuss, von denen insgesamt zwei Exemplare bekannt sind. Das erste, das mit zwei – selbst im europäischen Vergleich – ausserordentlich reichen Trophäen verziert ist, befindet sich heute im Schlossmuseum von Nyon (MHPN MH-2015-178), das zweite in den Sammlungen des Musée Ariana (MAG 008635).

Die Dekore

Die Blumendekore haben nun eine Art Reifegrad erreicht, in dem alles perfekt beherrscht zu sein scheint, jedoch auf Kosten einer gewissen naturalistischen Ausdruckskraft. Die Farbtöne sind oft zurückhaltend und leuchtend, bei Grüntönen sogar durchscheinend; Blumen und Blätter erscheinen nicht sehr plastisch (siehe zum Beispiel MCAHL HIS 55-3838; MHPN MH-PO-4207 und -4208; MCAHL HIS 55-3827 und -3829). Im Allgemeinen wird der Strauss als eine unter mehreren Verzierungen betrachtet (MHPN MH-2012-69; MHPN MH-2009-14). Bei der Verarbeitung in Streumotiven wird lediglich ein ausgewogenes Verhältnis zu den anderen goldenen Motiven angestrebt, wie etwa beim von Roll-Service (MCAHL 30021; MHPN MH-2007-200).

Kornblumendekore gibt es von nun an in einer erstaunlichen Vielfalt von Ausführungen: Zweige (MHPN MH-2015-172), vereinzelte Blüten, blaue (MCAHL 29808) oder purpurrote Kornblumen (MHPN MH-PO-1715) – die Mischung aus blauen und purpurroten Kornblumen scheint nicht vor 1795 belegt zu sein –, zufällig angeordnete oder geordnete Muster (MHPN MH-PO-1336; MHPN MH-PO-1398), Kornblumen in einem Kranz oder in Girlanden (MHPN MH-2007-107).

Der Dekor «Mille-fleurs» wird durch die Hinzufügung kleiner Stiefmütterchen variiert, während die Blumenstiele immer länger und die Blätter weiter vereinfacht werden (MHPN MH-2007-188; MCAHL 30792C; MCAHL 29807C; MCAHL 30792G; MCAHL HIS 55-3841). Ab etwa 1795 wird das Motiv «Millefleurs, riche dorure» (wobei die Vergoldung in der Regel aus zwei Arten von übereinanderliegenden Blattgirlanden besteht – MCAHL 29807B) zu einem der häufigsten Dekore in der oberen Mittelklasse und bleibt als solches fast bis zum Ende der Produktion erhalten.

Immer mehr Dekore kombinieren florale Elemente mit mehr oder weniger komplexen Ornamenten: Blumen in Medaillons sind in einen reichen Ornamentfries eingebettet wie beim Dekor «Trevor» (MHPN MH-PO-3802bis); Blumengirlanden werden an Borten mit verschiedenen Motiven befestigt (MHPN MH-2007-121; MHPN MH-2015-486) wie im besonderen Fall des Dekors «Napolitain» (MHPN MH-PO-1534). Nebenbei bemerkt waren die Dekore «Trevor» und «Napolitain» so beliebt, dass sie praktisch bis zum Ende der Produktion beibehalten wurden, manchmal in vereinfachter Form und fast hauptsächlich auf Trinkgeschirr (MHPN MH-2015-20; MHPN MH-PO-1409 und -1410; MAF C 516A; MAF C 516B).

Die belebten Szenen, in den Archiven «Hirtenszenen» genannt, werden immer häufiger als Miniaturen in Medaillons mit dicker Goldborte dargestellt. Die Themen sind fast durchwegs galante Szenen (MHPN MH-PO-1268 und -1269; MHPN MH-PO-1285 und -1286). Grössere Figuren tauchen wieder auf, vor allem im beliebten Reigen der Schweizer Trachten, die getreu nach den druckgrafischen Quellen der populärsten Schweizer Kleinmeister dargestellt werden (MHPN MH-PO-4306; MHPN MH-PO-4295; MHPN MH-2008-45; MHPN MH-PO-4305 und -4298; MHPN MH-PO-4303 und -4299). Eine genaue Untersuchung dieser Themen würde zeigen, dass die Manufaktur zu dieser Zeit noch über mehrere Maler verfügte, die in der Lage waren, die menschliche Figur angemessen darzustellen.

Die Darstellung realer Landschaften, wie auf dem prächtigen Tee- und Kaffeeservice mit Ansichten von Nyon, Coppet und Genf (MHPN MH-PO-1279; MHPN MH-PO-1295; MHPN MH-PO-10076), ist unserer Meinung nach eine absolute Neuheit im Repertoire von Nyon und wird sich auf Einzelfälle beschränken (man denke nur an die grosse Potpourri-Vase im Musée Ariana, die mit Ansichten von Lausanne und Saint-Maurice verziert ist). Dieses Ensemble, das sich auch durch meisterhaft ausgeführte Goldornamente auszeichnet, ist höchstwahrscheinlich eine Auftragsarbeit, ebenso die Schale aus einem Trinkservice, einzig in ihrer Art, mit einer Darstellung eines Meeresufers (MHPN MH-2007-187). Die Zuckerdose, die Teekanne und eine Tasse mit Untertasse konnten in verschiedenen Privatsammlungen ausfindig gemacht werden.

Zur gleichen Zeit produzierte Nyon ein hochwertiges Tee- und Kaffeeservice mit Landschaftsmalereien im vorromantischen Stil des Zürcher Porzellans (MHPN MH-MHPN MH-2007-166; MHPN MH-PO-1376; MHPN MH-2007-167 – für die Teekanne mit Untersetzer und Spülschale, siehe MAG AR 10737; MAG AR 10738; MAG AR 10739). Ein weiteres bemerkenswertes Trinkgeschirr ist mit belebten Landschaften in Medaillons verziert, eingerahmt von rosa Borten (MHPN MH-2003-137; MHPN MH-2007-114; MHPN MH-2008-2; MHPN MH-2008-46A; MHPN MH-2008-46B; MHPN MH-PO-1587 – für die Kaffeekanne, siehe MAG 018710). Wir glauben, dass wir diesen Dekor dem Maler Johann Joseph Hubert Pernaux aus Ludwigsburg zuschreiben können. Dies ist das erste Mal, dass ein Dekor aus Nyon einem identifizierten Maler zugeschrieben werden kann, mit Ausnahme des Falls von Étienne Gide (siehe weiter unten).

In der Gruppe der Tiermalerei fertigte die Manufaktur zu dieser Zeit eine Reihe von Dekoren an, Kartuschen mit Szenen zeigen, die in purpurroter, monochromer Maltechnik ausgeführt wurden. In der Regel wurden Schafe oder Rinder dargestellt. Das Musée du Château de Nyon besitzt dazu ein Exemplar (MHPN MH-2015-123). Die in der gleichen Maltechnik, aber nicht unbedingt vom gleichen Maler bemalte «Kamingarnitur» aus dem Schloss Hauteville, machen diese zu einem der bemerkenswertesten Ensembles in der bekannten Produktion von Nyon. Wir konnten die vom Maler verwendeten Druckquellen identifizieren: zwei Stiche des deutschen Künstlers Gottlieb Friedrich Riedel (1724–1784), der übrigens intensiv mit der Ludwigsburger Manufaktur zusammenarbeitete (MHPN MH-2015-156; MHPN MH-2015-154; MHPN MH-2015-155). Seltsamerweise sind diese in Purpurrot gehaltenen Tierszenen alle von einem mehr oder weniger grossen hellgrünen Bereich begleitet. Die gleiche Farbkombination findet sich auch auf einer «Trembleuse» aus dem Musée Ariana, wo die grüne Farbe fast das gesamte Objekt bedeckt (MAG AR 05608).

In den frühen 1790er-Jahren hatte die Manufaktur die Gelegenheit, mehrere prestigeträchtige Aufträge für Kunden in Norditalien auszuführen. Uns sind insbesondere drei Fälle bekannt, die sich alle in den Beständen des Schlossmuseums von Nyon befinden. Das Museum bewahrt mehrere Stücke eines Service mit den Allianzwappen der Familien Vallesa und Filippa di Martiniana (MHPN MH-2002-300; MHPN MH-1999-120; MHPN MH-2015-452) sowie eine «Trembleuse» aus einem Porzellansatz für die berühmte Gräfin Anna Pieri Brignole-Sale (MHPN MH-2008-48). In der Sammlung findet man auch eine Tasse und einen Dessertteller, die für einen der besten Kunden der Manufaktur, Graf Georg Gustav von Wrangel, hergestellt wurden, der von 1789 bis 1792 schwedischer Minister in Genua war (MHPN MH-PO-1423 und -1422; MHPN MH-2007-150). Diese Objekte sind repräsentativ für die hochwertige Produktion und zeugen von dem hohen Niveau, das die Dekorateure in Nyon insbesondere bei der Ornamentmalerei erreichten.

Auch die Trophäendekore erreichen eine Art Höhepunkt in ihren Ausführungen (MACHL HIS 55-3310; MCAHL HIS 55-3311; MCAHL HIS 55-3312; MHPN MH-PO-4182 und -4183; MHPN MH-2012-100; MHPN MH-PO-1302), wobei das spektakulärste Beispiel in diesem Genre die grosse Vase ist, die mit komplexen Trophäen geschmückt ist, die Liebe und Musik einerseits und Jagd und Fischfang andererseits preisen (MHPN MH-2015-178). Die Verteilung der Themen in den beiden Trophäen ist natürlich kein Zufall, man hat offensichtlich versucht, ein Objekt zu entwerfen, das eine weibliche und eine männliche Seite zeigt. Es fällt auf, dass die Farbpalette Mitte der 1790er-Jahre kühler und kontrastreicher wird, da andere, philosophische oder sogar freimaurerische Themen auftauchen (MHPN MH-PO-3103; MHPN MH-2015-118).

Es ist unbestritten, dass die Künstler aus Nyon in dieser Zeit der intensiven Kreativität die grössten Schätze ihrer Vorstellungskraft im Bereich der Ornamentmalerei entfalteten. Sie entwarfen ein ganzes Repertoire an Motiven, die oft vollkommen originell waren und Bänder, Girlanden, Borten und Flechtdekore kombinierten. Das Sortiment zeugt nicht nur von grossem Einfallsreichtum, sondern auch von erstklassiger Handwerkskunst (MHPN MH-PO-1412 und -1413; MCAHL 29308; MHPN MH-PO-1260; MHPN MH-2007-179; MCAHL 29309; MHPN MH-PO-1341; MHPN MH-2007-155; MHPN MH-PO-1444 und -1445; MHPN MH-2007-124MHPN MH-PO-1352; MCAHL 30067 und 30066; MCAHL HIS 55-3551; MCAHL 30805D; MHPN MH-2015-31). In dieser Zeit entstandauch eines der einfachsten Dekore des Repertoires, das in den Büchern der Manufaktur als «grecque violette, or» bezeichnet wird (MCAHL 29333). Aufgrund der trotz der Vergoldung relativ geringen Kosten blieb dieses Muster bis in die letzten Jahre der Herstellung in Mode.

Der Scherben und die Manufakurmarken

Um 1790 hat das Porzellan überwiegend einen angenehm cremigen, elfenbeinweissen Farbton. Bei Betrachtung im Durchlicht zeigt es oft eine geringe Lichtdurchlässigkeit und einen ausgeprägten rotbraunen Farbton. Auf ein und demselben Objekt kontrastieren diese dunklen Bereiche manchmal mit helleren Flecken, die deutlich durchscheinender sind. Die Fischmarken werden in der Regel sorgfältig und mit einer eher ausladenden Geste mit allen erforderlichen Details ausgeführt: Augen, Mund, Flossen (siehe z. B. MHPN MH-PO-4230; MCAHL HIS 55-3838; MHPN MH-2015-172; MCAHL 30803; MHPN MH-PO-1471; MHPN MH-2015-543; MHPN MH-PO-3802bis; MHPN MH-2007-121; MHPN MH-PO-1259; MHPN MH-PO-1341; MCAHL 30805E; MCAHL 30805C).

Zwischen 1790 und 1795 beginnt die Fischmarke zu zerfallen (MCAHL 30021; MHPN MH-2008-49; MCAHL 30795; MHPN MH-PO-1291; MHPN MH-PO-1285; MHPN MH-2008-48; MHPN MH-PO-1417).

Die Jahre nach 1795

Trotz der besonders mangelhaften Quellen nach 1793 schätzt Droz, dass die Jahre 1798–1801 durch einen schlechten Geschäftsgang und insbesondere durch einen zunehmenden Mangel an Liquidität gekennzeichnet waren. Ungeachtet dieser ungünstigen Konjunktur konnte die Produktion bis 1801 auf demselben Niveau gehalten werden. Die Verkäufe hingegen stiegen nicht in gleichem Masse an. Das «Fabrikbuch» der Manufaktur, das Droz auf das Jahr 1801 datiert, während Pelichet es auf 1799 datiert hatte, zieht eine klare Bilanz über das quälende Problem der Überproduktion (Droz 1997, 53–55). Die Verantwortlichen des Unternehmens zogen die Konsequenzen aus dieser alarmierenden Feststellung: Die Produktion wurde gedrosselt, während sich der Absatz zwischen 1801 und 1805 erholte und das Unternehmen seine Schulden abbauen konnte. Die Rettungsversuche waren längerfristig leider ohne Erfolg: Das Unternehmen wurde 1808 aufgelöst. Am 31. Dezember desselben Jahres wurde eine neue Gesellschaft namens «Dortu, Soulier, Doret und Cie» gegründet, die die Aktiven und Passiven der vorherigen Gesellschaft («Dortu, Soulier, Monod und Cie») übernahm.

Die Formen

Um 1795 sowie in wenigen Jahren danach wird eine Reihe von Formen noch einmal erneuert. Oft beschränken sich die Änderungen auf «kosmetische» Retuschen, wie im Fall der Teekanne, die lediglich einen neuen, gegenläufig geschwungenen Henkel erhält und eine wenig ausgeprägte, aufgerollte Daumenrast aufweist (MHPN MH-PO-3965; MCAHL 32849; MHPN MH-PO-1475; MHPN MH-PO-1292; MCAHL 29819; MCAHL 32846). Man beachte auch den deutlich höheren Rand und den Knauf des Deckels in Form einer einfachen Kugel.

Der gleiche Henkeltyp findet sich auch bei einigen grossen Tassen (MHPN MH-2015-495 und -496; MHPN MH-2007-178). Die gängige «Litron»-Tasse zeigt zunächst den quadratischen Henkel, den man schon früher gesehen hat (MHPN MH-2007-134H und -J; MHPN MH-PO-1477 und -1478), bevor der runde, glatte Henkel, der in den frühen Jahren der Manufaktur zur Regel und um 1800 allgemein üblich wurde, wieder zum Einsatz kam (MHPN MH-2007-141; MCAHL 30000; MHPN MH-2007-171; MHPN MH-2007-119A und -B). Eine weitere Henkelvariante erlebte in den letzten Jahren ein kurzes Dasein (MCAHL 31644; MCAHL 30796 und 32832; MHPN MH-2007-161; MHPN MH-PO-1588); sie wurde offenbar im Zusammenhang mit der «terre étrusque» entwickelt, die ab 1807 hergestellt wurde (MHPN MH-FA-3060).

In dieser Zeit entstanden zwei neue Modelle von Deckel-Tassen: eine grosse «Litronform» mit quadratischem Henkel und einem Deckel mit abgerundetem Tannenzapfengriff (MCAHL 30804B) und eine niedrige Tasse mit doppelt gewölbter Wandung und einem Deckel mit demselben Griff (MHPN MH-2015-121). Ein ähnlicher Deckel mit doppelter Ausbuchtung und abgerundetem Tannenzapfen findet sich auf einer späten Version der «Trembleuse» (MHPN MH-2007-115). Eine kleine, grob gearbeitete, glockenförmige Tasse mit einem doppelspitzigen Henkel erlebte in der Spätphase der Produktion ein kurzes Dasein (MHPN MH-PO-3090). Die Spülschalen (in den Rechnungsbüchern als «jattes à eau/Wasserschalen» bezeichnet) wurden nun immer mit einem Standring angeboten (MCAHL HIS 55-3416; MCAHL 30007; MHPN MH-PO-3225; MHPN MH-PO-1282).

Bei einer Reihe von Gefässen, deren Profile völlig neu gestaltet wurden, war die Erneuerung der Form radikaler, wie etwa beim Sahnekännchen (oder Milchkännchen), das sich nun mit abgerundetem, kegelstumpfförmigem Baucheinem hohen, gebogenen Henkel und einem breiten Ausguss zeigt. Es sind mehrere Versionen bekannt, die sich in der Gestaltung der Henkelansätze unterscheiden: Beide Ansätze sind blattförmig (MHPN MH-PO-3912; MCAHL 29397); der obere Ansatz bleibt blattförmig, hingegen ist der untere Ansatz mit einer Schraube im Relief verziert (MHPN MH-PO-1440; MCAHL 30806F); der obere Ansatz ist ohne Verzierung, der untere zeigt wiederum eine Schraube (MHPN MH-2007-134B).

Die Silhouette der Zuckerdose mit festem Untersatz wurde ebenfalls völlig neu gestaltet, der Untersetzer hat einen aufgebogenem Rand, die Dose hat einen geschweiften Deckel mit gerader Oberseite. Bemerkenswert sind die beiden seitlichen Griffe in Form von hängenden, fixierten Ringen (MHPN MH-1999-16; MCAHL 30070; MCAHL 29403). In Wirklichkeit ist diese Form von einem relativ seltenen Modell abgeleitet, das etwa zwischen 1790 und 1795 entstanden sein muss und einen doppelt gewölbten Bauch und einem Untersetzer mit fassoniertem Rand aufweist (Pelichet 1985/1, Abb. 179; MAF C 524; CLS MURO 1282A; MAHN AA 2390). Die neue Version zeichnet sich durch eine kantigere Form aus, eine Tendenz, die bei vielen der nach 1795 entstandenen Formen zu beobachten ist; auch die Ausarbeitung des durchbrochenen Deckelgriffs ist bemerkenswert, dessen relative Komplexität an diejenige erinnert, die wir weiter unten bei einigen Innovationen finden werden, insbesondere bei der Gestaltung der Henkel.

Der Untersetzer für Teekannen behielt lange Zeit seine ursprüngliche Form bei. Er war vierpassig (MCAHL 32840; MHPN MH-PO-1551; MHPN MH-PO-1305). Um 1795 wurde er ebenfalls durch ein neues Modell ersetzt (MCAHL 30018; MHPN MH-PO-1485; MHPN MH-PO-1293; MHPN MH-PO-4316; MHPN MH-2008-3). Die Teedose hatte künftig ein rechteckiges Profil (MAF C 526C; MHPN MH-PO-3007).

Etwa zur gleichen Zeit wurde eine Suppenschale eingeführt, die in den Rechnungsbüchern als «etruskisch» bezeichnet wird (Pelichet 1985/1, Abb. 147). Sie fehlt im vorliegenden Zusammenstellung, die jedoch ein Beispiel des passenden Untersetzers zu diesem Modell enthält (MHPN MH-2015-107). Gegen Ende der Produktion tauchte ein anderer Typ auf, eine einfache Halbkugelform auf einem hohen Fuss mit etwas altmodischen Henkeln mit blattförmiger Daumenrast. Wir kennen dieses Modell nur in Verbindung mit dem Strohblumendekor in Unterglasurblau (MHPN MH-PO-4352 – Musée Ariana, Inv. AR 2003-534).

Die Butterdose wird leicht überarbeitet: Der Deckel hat nun einen quadratischen Griff mit blattförmig geformten Ansätzen (MCAHL 30017; MHPN MH-2007-202 – Musée Ariana, Inv. AR 01196).

Die Zuckerdose hat nun einen konischen Bauch mit gerundetem Unterteil das auf einem Standring ruht (MCAHL 30006; MHPN MH-2015-137; MHPN MH-PO-1278 – zu diesem letzten Beispiel ist zu bemerken, dass die neuen Formen manchmal neben den alten existieren konnten: MHPN MH-2015-104). Eine Variante der neuen Zuckerdose hat zwei Griffe in Form von hängenden, fixierten Ringen (MCAHL 29492; MHPN MH-PO-1294; MHPN MH-PO-127). Dasselbe Konzept eines konischen Bauches auf einem Sockel findet sich auch beim neuen Modell einer Wasser- oder Milchkanne mit einem hohen Henkel und einer gegabelten unteren Befestigung (MHPN MH-PO-3964; MCAHL 30009; MHPN MH-2010-18C; MHPN MH-2015-132; MHPN MH-2015-133; MHPN MH-2015-134).

Das MHPN bewahrt übrigens eine ungewöhnlich frühe Toilettengarnitur auf, die aus einer Waschkanne und zugehöriger Schüssel besteht (MHPN MH-PO-3189).

Das Grundmodell der Kaffeekanne wurde nur im Detail verändert: Die blattförmige Daumenrast wurde angereichert – manchmal – mit einer inneren Lasche (MHPN MH-PO-492; MCAHL 30890; MHPN MH-2015-113). Parallel dazu taucht nach 1795 ein neuer Typ auf (MHPN MH-PO-494) mit einem urnenförmigen Bauch auf einem gekehlten Standring, der eine Weiterentwicklung des in der vorherigen Periode erprobten Modells zu sein scheint. Die überarbeitete Version hat einen neuen Henkel und eine Ausgussöffnung, die teilweise mit einem Blatt-Relief bedeckt ist (MCAHL 30065). In seiner vollendeten Form (MHPN MH-2010-18A und -18B; MHPN MH-2015-100; MAF C 526A) ist der Henkel rund mit einer inneren Lasche und einer eingerollten Daumenrast; der untere Ansatz stösst an eine gemodelte Verzierung, ein Detail, das an den Henkel des neuen Wasserkrugs erinnert (siehe oben).

Die Erneuerung der Formen, die die Manufaktur in einem Zeitraum unternahm, den wir zwischen 1795 und 1798 ansetzen, erstreckte sich auch auf komplexere Formen im Zusammenhang mit dem Tafelgeschirr. In dieser Phase verzeichnet Droz eine relativ hohe Auslastung (gemessen z. B. an den Löhnen), auch wenn die Verkaufszahlen bereits zu stagnieren begannen.

Das Kühlgefäss zum Beispiel zeigt nun einen zylindrischen Körper mit abgerundetem Unterteil auf einem Standring (MCAHL HIS 55-3841). Auch hier fallen zuerst die aufwendig ausgearbeiteten Seitengriffe auf. Im Bezug auf den «Stand der Waren im Laden» erwähnt das Journal der Manufaktur vom 1. Juli 1801 «Kühlgefässe, neue Form», die unverziert 20 Pfund pro Stück kosteten, während die «alte Form» sich auf 12 Pfund belief (MCAHL 30021).

Im selben Dokument werden Saucieren mit der Bezeichnung «neue Form» aufgeführt, ein Modell, das 1795 und 1796 in den Rechnungsbüchern erwähnt wurde (MHPN MH-2015-93 – Das Nationalmuseum bewahrt ein Beispiel zusammen mit seinem Untersetzer, Inv. LM-42112). Der Henkel dieser Sauciere zeigt Ähnlichkeiten mit dem Henkel der neuen Modelle der Wasser- und Kaffeekanne.

In die gleiche Richtung geht auch der neue Gläserkühler, der im Wesentlichen dem alten Modell mit schrägen Zinnen nachempfunden ist, aber hier mit aufwendig gestalteten Griffen versehen wurde (MHPN MH-2015-142).

Das neue Formenrepertoire umfasste auch eine Terrine (CLS MURO 585), die sich ebenfalls durch ihre etwas manierierten Griffe auszeichnet. Die Form war offensichtlich nicht sehr erfolgreich: Neben dem Exemplar im Schloss La Sarraz mit seinem einfachen Dekor (man wollte diese Form, die die Lager überfüllte, billig absetzen) sind nur zwei weitere Beispiele bekannt; das erste ist in Blondel 1902 abgebildet, das zweite befindet sich in einer Privatsammlung und weist ein Dekor «mille-fleurs, reiche Vergoldung» (Mitteilung von Grégoire Gonin) auf. Im Allgemeinen kamen diese neuen, ehrgeizigen Formen, die wesentlich teurer waren als die alten Modelle, zu einer Zeit heraus, als der Markt sich verschlechterte, weshalb sie in Museums- und Privatsammlungen sehr selten sind.

Das letzte grosse Vasenmodell, das in Nyon entstand, war wahrscheinlich die Potpourri-Vase «Medici», die 1796 und 1801 in den Rechnungsbüchern erwähnt wird. Das Musée du Château de Nyon besitzt mehrere Beispiele mit minimalem Dekor oder sogar aus weissem Porzellan (MHPN MH-PO-4233; MHPN MH-2015-176; MHPN MH-PO-489), während das Musée Ariana ein Exemplar mit etwas kunstvoller ausgearbeitetem Dekor besitzt (Inv. AR 05601). Ariana bewahrt auch eine «reich verzierte» Variante der «Medici»-Vase mit komplexen seitlichen Griffen, die mit den Griffen der oben erwähnten neuen Formen übereinstimmen (Inv. AR 01283; AR 01284 – für moderne Repliken dieser Version siehe MCAHL 28696B und MHPN MH-1999-45). Der Fall der «Medici»-Vase ist ein Beispiel für die zunehmenden Schwierigkeiten der Manufaktur beim Absatz ihrer teuersten Produkte. Da sich die weissen Formen in den Lagern stapelten, versuchte man, sie zu erschwinglicheren Preisen zu verkaufen, indem man sie mit sparsamen Verzierungen wie etwa vergoldete Ränder und schwarze Hervorhebungen versah (siehe MHPN MH-PO-4233) oder monochrom violette Sträusse ohne Vergoldung malte (im Landesmuseum Zürich befinden sich zwei Exemplare dazu Inv. LM-5163).

Die Dekore

Die Blumenstraussmotive werden beibehalten, wobei sie «grafischer» und steifer behandelt werden, hingegen wird die Farbpalette wieder kontrastreicher. Häufig werden die Sträusse von einem blauen Netz begleitet, das mit goldenen Doppelstrichen durchkreuzt ist (MCAHL 29402; MHPN MH-PO-1658; MHPN MH-1999-16). Charakteristisch für die späteren Jahre sind Rosen mit stark ausgeprägten ovalen Blütenblättern (z. B. auf MHPN MH-2003-2 mit einem solchen Strauss in einem für die Zeit nach 1800 typischen, monochromen Braunton) und das Vorhandensein eines kräftigen Blaus, das oft zum Abblättern neigt.

Kornblumendekore stellten weiterhin grosse Kontingente innerhalb der Produktion: Streumuster mit Zweigen oder einzelnen Blüten in Blau, Purpurrot oder auch «gemischte Kornblumen» in Blau und Purpurrot. In dieser Zeit entfaltete sich eine neue Variante von Kornblumen – oft in Reihen angeordnet – mit zweifarbigem grün-gelbem Laub (MHPN MH-PO-1440; MHPN MH-PO-1362; CLS MURO 1276; CLS MURO 1286 und 1285; CLS MURO 1281; CLS MURO 1278). Der «Stand der Waren» vom Juli 1801 erwähnt eine beträchtliche Menge an unvergoldeten Kornblumendekoren, was nicht unbedingt eine Strategie zum Abbau von Überschüssen widerspiegelt, denn wie die Liste für die Lotterie von 1809 (Bonnard 1934/2 und 3) belegt, dienten diese Dekore ohne Vergoldung in erster Linie dazu, Porzellan zweiter Wahl abzusetzen, und dies wahrscheinlich in allen Perioden der Manufaktur. Derselbe Eintrag, der offenbar nur bemaltes Porzellan «zweiter Klasse» erwähnt, zeigt deutlich, dass die verschiedenen Kornblumenmotive – mit oder ohne Vergoldung – bei weitem die grössten Lagerbestände darstellten, gefolgt mit einigem Abstand vom Dekor «Griechisch Violett, Gold» (siehe weiter unten).

Die Dekore «mille-fleurs, Goldrand» (MCAHL 30792B; MCAHL 30017) und «mille-fleurs, reich vergoldet» (MCAHL 29807B; MCAHL 29807C) waren in gewisser Weise das Äquivalent zu den Kornblumen, jedoch in der höheren Preiskategorie (1809 war ein flacher Teller verziert mit «mille-fleurs, reich vergoldet» 5 Pfund wert, und etwas mehr als 3 Pfund kostete der Kornblumendekor mit Vergoldung – Bonnard 1934/2). Im Journal der Manufaktur haben wir zwischen 1795 und 1801 ein Dutzend mehr oder weniger vollständige Dinnerservices aufgelistet, von denen einige nach Italien exportiert wurden. Acht von ihnen waren mit dem Dekor «Mille-fleurs, reich vergoldet» ausgestattet. Dieses Streumuster bestand ausnahmslos aus Rosen, Stiefmütterchen und Fantasieblümchen. In dieser letzten Phase sind die Stiele der Hauptblüten lang, die Blätter haben immer das gleiche schematisierte Aussehen (zwei runde Blätter bei den Rosen, ein längliches Blatt bei den Stiefmütterchen) und der Goldrand besteht durchweg aus den gleichen Arten von übereinander gelegten Blattgirlanden.

Der vereinfachte «Trevor»-Dekor blieb bis zur Jahrhundertwende auf Trinkgefässen oder vereinzelten Objekten erhalten (MAF C 516A; MAF C 516B). Das in der vorherigen Periode eingeführte Motiv «Stiefmütterchen, Rosen, Gold sandfarben» (MHPN MH-PO-4211) wurde weiterentwickelt, wobei das Pflanzengeflecht von Seladongrün zu Schwarz (MHPN MH-2007-135; MCAHL HIS 55-3823) und dann zu Purpurrot überging und schliesslich der Hintergrund weggelassen wurde (MHPN MH-2007-141). Wie bei den Streumustern weisen die Blüten nun längliche Stiele auf.

Zu den Innovationen gehörte der Dekor «Medaillons mit Rosen und Stiefmütterchen, purpurrotes Band» (MCAHL 30008; MCAHL 30007; MHPN MH-2015-100), eingeführt um 1795. Das Muster «Perlen, Blumengirlanden» ist seit 1793 mit einer grauen Perlenborte belegt (MHPN MH-PO-1403 und –1404), erlebte aber seinen eigentlichen Aufschwung in der von uns untersuchten Zeitspanne in der Ausführung mit blauen Perlen (MHPN MH-2010-18P und -18K). Grégoire Gonin hat ein Trinkservice mit diesem Dekor und einem Monogramm «CB» als Auftrag von Caroline Burnand aus Yverdon identifiziert, das laut den Büchern der Manufaktur 1795 geliefert wurde (Gonin 2019).

Ebenfalls neu sind die Motive «Kranz aus Rosen» (MHPN MH-PO-1291; MHPN MH-PO-3176) oder «blauer Kranz, Gold sandfarben» (MHPN MH-PO-1491 und -1492). Ein ziemlich präziser Eintrag in den Rechnungsbüchern ermöglichte uns die Datierung des Dekors «violetter Kranz, griechisch Gold» den Pelichet einst als «service bâlois» (Basler Service) bezeichnete (MHPN MH-PO-3906; MHPN MH-PO-2868 – siehe «Service Fischer»).

Der Blumenkranz auf farbigem Hintergrund existiert bereits 1793 mit einem braunen Hintergrund. Vielleicht galt das auch für die Variante mit goldenem Hintergrund (MHPN MH-2007-134C und -D; MHPN MH-2007-134B; MHPN MH-2007-134A). Der schwarze Hintergrund hingegen wird erst ab 1796 in den Büchern erwähnt (MCAHL 30804A; MCAHL 30804B; MHPN MH-2007-136).

 

Der Genfer Maler Étienne Gide (1761– nach 1804) nimmt in der Geschichte der Manufaktur einen besonderen Platz ein. Er ist der einzige Künstler, der Werke signiert hat, in diesem Fall zwei, von denen eines kürzlich in der Sammlung des Musée du Château de Nyon (MHPN MH-2015-132) entdeckt wurde. Zudem profiliert er sich offensichtlich als der beste Figurenmaler der Jahre 1795–1800. Seine Werke zeugen von einem ausgesprochen persönlichen Stil, der vor allem in seinen sehr grossen Figuren zum Ausdruck kommt (MHPN MH-2015-132; MHPN MH-2015-133; MHPN MH-2015-134).

Gide arbeitete auch in kleinerem Massstab, insbesondere bei den Schweizer Trachten (MHPN MH-PO-1420; MHPN MH-2007-184). Pelichet berichtet, dass er 1796 infolge seines übermässigen Alkoholkonsums nur knapp einer Ausweisung wegen nächtlicher Ruhestörung entging (Pelichet 1985/1, 29).

Das sehr schöne Frauenporträt in monochromem Violett auf blauem Hintergrund, das zur gleichen Zeit entstand und im Schloss Nyon aufbewahrt wird, ist höchstwahrscheinlich das Werk eines anderen talentierten Malers (MHPN MH-2015-21). Im Allgemeinen gibt es nur relativ wenige Dekore, die menschliche Figuren zeigen, wobei sich die häufigsten immer noch auf das Thema der Schweizer Trachten beziehen. Sie werden nun in satteren Farben gehalten und mit Goldborten eingefasst (MHPN MH-2003-3; MHPN MH-2015-129).

Um die Jahrhundertwende kommen die «Russschwarzen Figuren» sowie die «Schwarzen Figuren» auf, die Genreszenen, Allegorien und andere mythologische Themen darstellen (MHPN MH-PO-3219; MHPN MH-PO-1454; MHPN MH-PO-3220; MHPN MH-PO-1475; MHPN MH-2015-137; MHPN MH-2015-136; MHPN MH-PO-3225). In dieser Phase ist die Qualität der Malerei zunehmend uneinheitlich. Da die Stücke nicht mehr systematisch markiert wurden, schrieb man diese Art der Produktion oft der Genfer Werkstatt von Pierre Mülhauser zu, was unserer Meinung nach etwas zu voreilig geschah.

In diesem Zusammenhang sind auch einige Tiermotive zu erwähnen, darunter Szenen, die von Jean-Baptiste Oudry inspiriert sind (MHPN MH-PO-3221; MHPN MH-PO-3222).

Die Streumuster mit Schmetterlingen und anderen Insekten blieben weiterhin ein beliebtes Thema. Sie sind nun systematisch begleitet von einer kleinen, goldenen Kettenbordüre. Die Schmetterlinge werden grösser und präziser dargestellt, sie sind auch in einer sehr dichten Farbpalette gemalt (MHPN MH-2008-53; MHPN MH-2015-104; MHPN MH-PO-1278). Nach 1800 werden die Insekten noch imposanter und sind meist mit einem Schlagschatten versehen (MHPN MH-PO-1292; MHPN MH-PO-1293; MCAHL 30802). Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dieser Dekor häufig imitiert, vermutlich in Frankreich, wie die der Manufaktur in Nyon völlig fremden Formen nahelegen (MCAHL 30802A; MCAHL 30802C; MHPN MH-PO-1321). Da die Exemplare aus Nyon aus dieser Zeit keine Marken aufweisen, ist die Unterscheidung manchmal schwierig, da die Form das einzige entscheidende Kriterium bleibt.

Das Thema der Trophäen taucht in dieser späten Phase gelegentlich wieder auf, meist in Verbindung mit der goldenen Kette (MHPN MH-2015-183; MAF C 529). Auch hier ist die malerische Qualität deutlich zurückgegangen. Im Bereich der Ornamentmalerei wird der Dekor «griechisch Violett» noch lange praktiziert werden, vor allem wegen seiner fast zeitlosen Schlichtheit (MCAHL 29401; MHPN MH-2007-202). Der Dekor «Rosengirlanden, graublaues Band, Lorbeer in Gold» wurde 1795 offenbar für einen besonderen Auftrag entworfen (MHPN MH-2015-95; MHPN MH-PO-3230). Dekore, die Blumenkränze, Kordeln oder Bänder kombinieren und wahrscheinlich in der vorherigen Periode entstanden sind, werden mit leichten Variationen beibehalten (MHPN MH-PO-1515 und -1567), beispielsweise in der Farbgebung eines Bandes (MHPN MH-PO-1464 und -1465; MHPN MH-2007-156). Neu ist eine kuriose Komposition, die traditionell als «Kornfelddekor» bezeichnet wird (MHPN MH-2015-113; MHPN MH-2008-3). Der sehr späte Dekor «blaues Band, Gold» (MHPN MH-2007-159; MHPN MH-2007-105) wird manchmal von einer grossen Rosette in der Mitte begleitet, ein sekundäres Motiv, das man nach 1800 regelmässig findet (MHPN MH-2015-107; MHPN MH-PO-4231; MHPN MH-PO-1262 und -1263; MHPN MH-2007-178).

Im Kontext der reich ausgestatteten Ornamente bietet das Repertoire nun verschiedene Arten von Rankenfriesen an (in den Büchern als «Arabesken» bezeichnet) mit Früchten, Blumen, Vasen oder Pfeilen. Einige sind Weiterentwicklungen von Ausführungen, die sich offenbar seit einigen Jahren bewährt hatten, die nun aber mit neuem Nachdruck behandelt werden. Bemerkenswert ist das auffallende, leuchtende Blau der späten Version des Dekors «Arabesken, blaue Vasen» (MHPN MH-2007-108). Andere Motive sind echte Neuheiten wie die «Arabesken, Vasen auf blauem Hintergrund» (MHPN MH-2015-107; MHPN MH-2015-128; MHPN MH-PO-4231). Der Dekor «schwarze Arabesken, Hintergrund aus sandfarbigem Gold» stammt aus den frühen 1790er-Jahren (MCAHL 30067 und 30066; MCAHL HIS 55-3551). Ein Vergleich mit der MHPN-Nummer MH-PO-1363 zeigt, wie sehr die malerische Ausführung in der letzten Periode an Präzision und Sensibilität verloren hat. Um 1805 wurde der goldene, sandfarbene Hintergrund des Friesbandes durch feine vergoldete Zweige ersetzt (MHPN MH-PO-4389; MHPN MH-2007-161), deren malerische Qualität noch weiter abnahm. Um die Jahrhundertwende erschienen «graue Arabesken, reich vergoldet» in luftigeren Kompositionen (MHPN MH-PO-1262 und -1263; MHPN MH-2007-178). Ebenfalls neu, aber häufiger anzutreffen, ist das Motiv «rote Kette, Rosen und Stäbe, Gold» (MHPN MH-2007-171). In der gleichen Zeit wurden auch farbige Hintergründe, kombiniert mit leichten, goldenen Blumen entworfen (MHPN MH-2007-119A und -B; MHPN MH-2007-119C und -D; MHPN MH-PO-1265 und -1264). Bei den Dekoren, die andere Materialien imitieren, geht das Motiv «holzartig» auf die frühen Jahre der Manufaktur zurück und findet sich hier und da ab 1795 (MAF C 531; MHPN MH-PO-1480).

Die Dekore «Weiss und Gold» erlebten aufgrund ihrer relativ niedrigen Kosten einen spektakulären Aufschwung. Dies galt insbesondere für die Motive «Lorbeer Gold» (MAF C 527; MCAHL 30341; MHPN MH-PO-3228) und «Goldkette» (MAF C 526A; MAF C 526D; MHPN MH-2015-121; MHPN MH-2015-138). In der Liste der Waren, die zwischen Juli und Dezember 1805 in den Laden kamen, lieferten beispielsweise die Verzierungen «Weiss und Gold» zusammengenommen das zweitgrösste Kontingent nach dem Kornblumenmotiv ohne Vergoldung (1526 bzw. 2247 Stück).

Aufglasur-Dekore ohne Vergoldung waren, wie wir oben erfahren haben, in erster Linie dazu gedacht, den Absatz von Porzellan zweiter Wahl, das mit dem einen oder anderen Brennfehler behaftet war, zu erleichtern. Lange Zeit wurde diese Funktion allein durch die Stücke mit Kornblumenmotiv erfüllt. Ab Ende der 1790er-Jahre wurde das niedrige Preissegment mit neuen Motiven wie «griechisch Braun» (MHPN MH-PO-10053) angereichert. Nach 1800 wurde das Sortiment an preiswerten Dekoren noch vielfältiger und ihre Verwendung beschränkte sich nicht mehr unbedingt nur auf fehlerhafte Stücke. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Verantwortlichen der Manufaktur, nachdem sie die selbstverursachte Schieflage, die an der wirtschaftlichen Gesundheit des Unternehmens nagte, festgestellt hatten, mit allen Mitteln versuchten, billigere Produkte zu entwickeln, die ihnen helfen konnten, die Lagerbestände zu verringern.

Zu «Griechisch Braun» gesellten sich «Griechisch Gelb mit braunem Rand» (MCAHL 29819; MCAHL 29814) und «Griechisch Grün mit braunem Rand» (MHPN MH-PO-1379). Weiter finden sich aufwendigere Muster, die meist aus beige-gelben oder braun-roten Borten bestehen und mit Kränzen oder geflochtenen Pflanzen verziert sind (MHPN MH-PO-1439; MBL 20098; MCAHL 31647; MBL 20097; MAF C 528A; CLS MURO 585; MBL 20101; MHPN MH-PO-1588; MHPN MH-PO-2259). Eines der am weitesten verbreiteten Dekore in dieser Kategorie, natürlich neben dem Kornblumenmotiv ohne Vergoldung, war offenbar das Muster «Girlanden ohne Gold» (MCAHL 29322; MCAHL 29403; MCAHL 30065). Wie der Name in den Rechnungsbüchern andeutet, war der Dekor «Stäbchen nach Pariser Vorbild» von einem Motiv inspiriert, das in einer der vielen Pariser Manufakturen der damaligen Zeit hergestellt wurde (MHPN MH-PO-1400; MHPN MH-PO-1516 und -1517). Das Musée Adrien-Dubouché in Limoges (Inv. ADL 11056) bewahrt eine Schale mit demselben Dekor auf, die der Pariser Manufaktur Locré-Russinger zugeschrieben wird.

Der Scherben und die Marken: Ab etwa 1795 sieht der Scherben wieder weisser und kälter aus. Die Durchsichtigkeit ist sehr ausgeprägt und zeigt zudem einen leicht gelblichen Farbton.

Die Marken werden zunehmend skizzenhaft (siehe zum Beispiel MHPN MH-2008-52A; MHPN MH-2015-95; MHPN MH-PO-4389; MHPN MH-2015-161; MHPN MH-2015-465 bis hin zu einer vagen Andeutung des ursprünglichen Motivs, einer Art Kaulquappe, bestehend aus einem Oval und einem einfachen Strich (MHPN MH-2007-148; MHPN MH-PO-4389; MHPN MH-PO-3228; MHPN MH-2015-176; MHPN MH-PO-3912). Um die Jahrhundertwende wurde die Marke immer mehr weggelassen. Im Gegensatz zu den Behauptungen anderer Autoren ist das Fehlen der Marke in früheren Perioden eher die Ausnahme. In den letzten Jahren der Produktion erscheinen einige Formen dicker und weniger gut ausgearbeitet, was wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass gewisse Giessformen aus Kostengründen nicht mehr erneuert wurden.

Nachbestellungen von Tafelgeschirr

Bei der Untersuchung des vorliegenden Materials sind wir auf drei Fälle gestossen, in denen ein Ensemble von Nyoner Porzellan ein offensichtlich späteres Stück enthält, das in der Regel von geringerer Qualität ist als die anderen Exemplare (MHPN MH-2007-185; vergleiche MHPN MH-1999-65 und MHPN MH-1999-57 und -62; MHPN MH-2015-495 und -496); in zwei dieser Fälle ist der «Eindringling» auch noch ohne Marke. In einem ersten Schritt ist man versucht, diese Gegenstände als einfache moderne Fälschungen zu betrachten, insbesondere wenn die Marke fehlt. Eine genauere Untersuchung der «verdächtigen» Objekte, insbesondere ihrer Bemalungen, zeigt jedoch, dass diese vollkommen mit der Palette der Manufaktur übereinstimmen und dass die Art und Weise, wie bestimmte sekundäre Elemente wie etwa Blumenmotive bemalt wurden, dem Stil der Manufaktur entspricht, wenn auch einem eher späten Stil. Andererseits konnten wir bei der Durchsicht der Geschäftsbücher feststellen, dass die Manufaktur nicht nur ausländische Services ergänzte, sondern auch eigene Serien. Es kam nämlich recht häufig vor, dass Kunden ein einzelnes Stück bestellten, um ein bereits vor einiger Zeit erworbenes Service zu vervollständigen, beispielsweise einen verlorenen oder zerbrochenen Deckel, und oft mit einem Dekor, der nicht mehr unbedingt im gängigen Sortiment enthalten war. In den oben genannten Fällen mit Nachbestellungen, die 15 oder 20 Jahre nach den ursprünglichen Stücken ausgeführt wurden (besonders deutlich wird dies bei der MHPN-Nummer MH-1999-65), wird deutlich, dass das handwerkliche Können nicht mehr auf der Höhe der Zeit war, zumindest für die anspruchsvollsten Teile des Motivs wie die menschliche Figur.

Übersetzung Stephanie Tremp

Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 21-37.

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Auguste Blondel, La porcelaine à l’Exposition de céramique suisse ancienne. In: Nos Anciens et leurs œuvres. Recueil genevois d’art II, 1902, 115-134.

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Hilde Bobbink-De Wilde, Porcelaines de Nyon. Collections du Musée Ariana de Genève et du Musée historique et des porcelaines de Nyon. Musées et collections 3. Genève 1992 (1ère édition: 1983).

Bonnard 1934/2
Georges Bonnard, Trois documents relatifs à la manufacture de porcelaine de Nyon. II. In: Indicateur d’antiquités suisses 36/3, 1934, 208-213.

Bonnard 1934/3
Georges Bonnard, Trois documents relatifs à la manufacture de porcelaine de Nyon. III. In: Indicateur d’antiquités suisses 36/4, 1934, 273-283.

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Aloys de Molin, Histoire documentaire de la manufacture de porcelaine de Nyon, 1781-1813, publiée sous les auspices de la Société d’histoire de la Suisse romande et de la Société vaudoise des beaux-arts. Lausanne 1904.

Droz 1997
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Siegfried Ducret, Unbekanntes Porzellan, in: Weltkunst 4, 1962, 9.

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Grégoire Gonin, Le vieux Nyon. Splendeur et fragilité d’une porcelaine, in: Passé simple 31, 4-12.

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Grégoire Gonin, La porcelaine de Nyon et ses acteurs socio-économiques: le «déjeuner Burnand» (1795) de sa commande à sa dispersion et à sa réapparition contemporaines. Revue des Amis suisses de la céramique 133, 3-14.

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Aimé Martinet, Guide de l’amateur de porcelaine de Nyon, 1781-1813. En souvenir d’une exposition de porcelaine de Nyon à la salle Thellusson. Genève 1911.

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Edgar Pelichet, Merveilleuse porcelaine de Nyon. Nouvelle édition remaniée et définitive. Lausanne 1985.

Nyon VD, Porzellanmanufaktur, 1781–1813

Roland Blaettler 2019

Die Geschichtsschreibung des Nyoner Porzellans begann mit dem 1904 von Aloys de Molin veröffentlichten Grundlagenwerk «Histoire documentaire de la manufacture de porcelaine de Nyon». Da im Rahmen der Landesausstellung von 1896 wenig Informationen zur Porzellanmanufaktur vorlagen, hat sich der Autor daran gemacht, die Primärquellen, die Aufschluss über das Thema geben könnten, methodisch zu erforschen. Fündig wurde er vor allem in den Waadtländer Kantonsarchiven, im Stadtarchiv von Nyon, in den Archiven der Töpfermanufaktur in Nyon und in den Ratsregistern in Genf. Zum ersten Mal wurden die Umstände der Gründung des Unternehmens ermittelt und die Hauptakteure klar identifiziert.

Das zweite Referenzwerk zu diesem Thema wurde 1957 von Edgar Pelichet veröffentlicht, knapp zwanzig Jahre nach seiner Ernennung zum Kurator des Museums von Nyon und vor allem zehn Jahre nach der Nationalen Porzellanausstellung in Nyon, die es ihm ermöglichte, sich intensiv mit dem Thema zu befassen und mit den meisten bedeutenden privaten und öffentlichen Sammlungen der damaligen Zeit in Kontakt zu treten. Darin liegt der originelle Beitrag von Pelichet im Vergleich zu Molins hauptsächlich dokumentarischer Studie. Geht es um die Geschichte der Manufaktur, stützt sich Pelichet fast ausschliesslich auf die Arbeit von de Molin. In seiner Publikation hingegen gibt er einen viel umfassenderen Überblick von der Produktion in Nyon selbst, indem er die Vielfalt der Formen und Dekore hervorhebt. Im Vergleich zu de Molin konnte Pelichet auch neue archivalische Quellen nutzen, die in der Zwischenzeit gefunden wurden: einen Teil der – zugegebenermassen etwas unvollständigen – Rechnungsbücher der Fabrik und das sehr interessante Fabrikbuch von 1801 (das Pelichet auf das Jahr 1799 datierte). Auf diese Weise konnte der Autor eine erste Annäherung an den wirtschaftlichen Aspekt des Unternehmens skizzieren, insbesondere an den kommerziellen Vertrieb von Porzellan. Ein wichtiger Teil des Werks von Pelichet ist einem detaillierten Katalog von Formen und Dekoren gewidmet. Aus den alten Buchhaltungsunterlagen bezieht er sogar chronologische Daten in seine umfangreiche Aufzählung ein, allerdings in einer sehr punktuellen Weise, mit falschen Interpretationen und vor allem ohne jede systemische Perspektive.

Pelichet unternahm den Versuch, die Produktion auf der Grundlage vager stilistischer Überlegungen zu periodisieren (Pelichet 1957, 69–70 und 135–136; Pelichet 1985/1, 89 und 173). Auch wenn der Autor hier und da einige Überlegungen äussert, die man in Betracht ziehen könnte, überzeugt das Resultat nicht gänzlich. Es ist sicher nicht falsch zu behaupten, dass der Insektendekor zum Beispiel von Beginn der Produktion an «jedenfalls bis 1809» (Pelichet 1985/1, 173) ausgeführt wurde, aber das greift zu kurz! In Wirklichkeit können wir mindestens fünf Varianten des Insektendekors unterscheiden, die alle einer anderen Phase in der Entwicklung des Repertoires entsprechen.

Laurent Droz analysierte 1997 die Buchhaltungsquellen der Fabrik neu und wertete sie unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden aus. Trotz der unvollständigen und sich widersprechenden Quellen ist es dem Autor gelungen, die wichtigsten Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens darzustellen. Diese neuen Erkenntnisse werden für die Erstellung unserer relativen Chronologie der Produktion nützlich sein. Die Arbeit von Droz bezieht sich insbesondere auf die einzigen Dokumente, die aus der Fabrik stammen und bis heute in den Archiven des Schlosses von Nyon aufbewahrt werden:

– Das grosse Buchhaltungsbuch (le Grand livre comptable) vom 1. Juni 1787 bis 27. November 1794 (inv. 4187)

– Das grosse Buchhaltungsbuch (le Grand livre comptable) vom 1. Juli 1801 bis 1. Januar 1809 (inv. 4188)

– Das Fabrikjournal (le Journal de fabrique) (mit detaillierterer Buchhaltung), vom 8. September 1794 bis 1. Juli 1801 (inv. 4190)

– Das Fabrikbuch (le «Livre de fabrique»), ohne Datum (Droz datiert es ins Jahr 1801– inv. 4189).

Erst kürzlich hat der Historiker Grégoire Gonin einen neuen Blick auf das Thema, das uns beschäftigt, geworfen und dazu eine anregende Fragestellung formuliert (Gonin 2017). Der Autor leistete Pionierarbeit, indem er die Bedingungen der Verbreitung und Rezeption des Nyoner Porzellans weiter erforschte. Obwohl sein Ansatz, was das 18. Jahrhundert betrifft, aufgrund der äusserst spärlichen Quellenlage eher theoretisch bleibt, lieferte Gonin eine Fülle äusserst wertvoller Daten über die Umstände, unter denen das Nyoner Porzellan in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde, und über den Platz, den es fortan im Kreis der Sammler und auf dem Kunstmarkt einnahm. Der Autor eröffnete damit neue und oft sehr konkrete Perspektiven, um die Geschichte bestimmter Objektgruppen neu einzuordnen, zum Beispiel das berühmte «neapolitanische» Service, dessen Entstehung lange Zeit von einem relativ mythischen Nimbus umgeben war (Gonin 2017, 61–66).

Grégoire Gonin plädiert zudem für einen umfassenderen historiografischen Ansatz für das Phänomen des Nyoner Porzellans, der nicht nur seine technischen oder künstlerischen, sondern auch seine wirtschaftlichen, soziologischen und kulturellen Aspekte im weitesten Sinne berücksichtigt.

Von unserer Seite konzentrieren wir uns auf die Produktion selbst, ihre Formen und Dekore und versuchen, die verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung zu beleuchten. Siehe das Kapitel «Nyon VD, Manufacture de porcelaine – Chronologie relative de la production».

Kurze Geschichte der Manufaktur

Aloys de Molin begann seine Studie damit, dass er mit den verschiedenen Legenden aufräumte, die über die Entstehung der Manufaktur kursierten, insbesondere mit derjenigen, die die Gründung des Unternehmens einem Pariser Maler namens François Maubrée zuschrieb. Diese Hypothese wurde noch von Maurice Girod in seiner Präsentation der Manufaktur für die Landesausstellung 1896 vertreten (Girod 1896, 383–386). Andererseits hatte Girod auch die beiden Schlüsselfiguren des ganzen Abenteuers identifiziert: Ferdinand Müller, den er zum Partner von Maubrée machte, und Jacob Dortu, den er schon ab 1789 als Direktor der Manufaktur erwähnte. Girod hatte auch das Verdienst, eine andere Legende zu widerlegen, wonach die Manufaktur in Nyon während der Revolutionszeit von Arbeitern aus Sèvres gegründet wurde, die in die Waadt geflüchtet waren. Dank der in den Genfer Archiven gefundenen Dokumente (offenbar die einzigen, die er konsultiert hat) konnte er feststellen, dass die Fabrik «bereits um 1780 in Betrieb war».

Die von Aloys de Molin durchgeführte Untersuchung der Akten des Rats von Nyon ergab, dass Jacob Dortu, «Chemiker und Porzellanfabrikant», und sein Schwiegervater Ferdinand Müller im Frühjahr 1781 in Nyon eintrafen. Müller stammte aus Frankenthal und gab später bekannt, in der Porzellanindustrie in Russland und Dänemark gearbeitet zu haben, was jedoch nie überprüft werden konnte. In einem Brief an die bernischen Behörden behauptete Müller 1787, er habe die Gründung der Fabrik in Nyon allein finanziert. Diese Aussage war höchst wahrscheinlich übertrieben, da de Molin davon ausgeht, dass sich auch Dortu an den anfänglichen Kosten beteiligte.

Jacob (oder Jean-Jacques) Dortu (1749–1819) stammte aus Berlin, wo seine Familie, die ursprünglich aus der Champagne stammte und protestantischen Glaubens war, auf der Flucht vor den Hugenottenverfolgungen durch Ludwig XIV. Zuflucht gefunden hatte. Jacob wurde am 23. Mai 1749 in Berlin geboren. Dort machte er zwischen 1764 und 1767 eine Lehre als Maler in der Königlichen Porzellanmanufaktur. Im Laufe der Jahre erweiterte der junge Dortu sein Wissen über alle Aspekte der Porzellantechnologie. Er spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung mehrerer europäischer Manufakturen. Laut Pelichet arbeitete er 1773 in der kleinen Fabrik von Pontenx in der Region Landes in Frankreich, wo er Ferdinand Müller, seinen späteren Partner, kennenlernte (Pelichet 1985/1, 24). Zwischen 1773 und 1777 wurde er von dem Steingutfabrikanten Gaspard Robert in Marseille mit dem Aufbau einer Porzellanproduktion beauftragt (Pelichet veröffentlichte den Vertrag zwischen Robert und Dortu: Pelichet 1985/1, 219–220). Später stösst man im schwedischen Marieberg auf seinen Namen, wo er 1777/78 die Produktion von Hartporzellan einführte.

In Nyon machte sich Dortu bald einen Namen in der Stadt, wurde Mitglied und später Direktor der französischen Börse und knüpfte enge Beziehungen zu einigen der führenden Familien der Stadt. Im Jahr 1799 wurde er in den Stadtrat gewählt.

Müller und Dortu installierten ihre Fabrik 1781 in einem Haus auf einem gepachteten Grundstück. Da beide nur eine befristete Aufenthaltsbewilligung besassen und nicht den Status von Einwohnern erhielten, waren sie nicht berechtigt, Grundbesitz zu erwerben. Pelichet verortet das betreffende Gebäude in der Rue de la Colombière (Pelichet 1985/1, 24).

Im Frühjahr 1785 richteten Müller und Dortu ein Gesuch an Ihre Exzellenzen in Bern, um eine fast vollständige Zollbefreiung für ihre Waren zu erhalten. In ihrer Stellungnahme betonte die Westschweizer Zollverwaltung, dass «die Fabrik eine sehr nützliche Einrichtung für das Land sei, vor allem weil sie den Einwohnern von Nyon und der Region ein monatliches Einkommen von etwa 80 neuen Dublonen, d.h. mehr als 50’000 Livres pro Jahr, verschafft [und dass] die von ihr hergestellten Porzellanwaren zum grössten Teil ins Ausland gehen und folglich beachtliche Geldsummen einbringen» (De Molin 1904, 20). In einer 1787 an Ihre Exzellenzen in Bern gerichteten Denkschrift erklärte Ferdinand Müller, dass die Fabrikdirektoren, nachdem sie im August 1785 die gewünschten Zollbefreiungen erhalten hatten, einen neuen Ofen bauen liessen, um das Produktionsvolumen zu erhöhen und um somit «den Fortbestand der Fabrik zu sichern» (De Molin 1904, 29). In einem Memorandum vom 23. März, das an dieselben Behörden gerichtet ist, kommt Müller auf die 1785 getätigten Investitionen zurück und schreibt: «Nach einem Versuch in kleinem Rahmen hat er [der Bittsteller] seine Produktion entwickelt …» (De Molin 1904, 40).

Die Geschäfte liefen anscheinend gut, die Fabrik begann ihre Infrastruktur auszubauen, als Ferdinand Müller eine Krise auslöste. Im Juni 1786 richtete Jean-Adam Mülhauser, der Genfer Treuhänder der Fabrik, ein Gesuch an den Genfer Rat, um die Erlaubnis zu erhalten, in der Stadt am Ende des Sees zusammen mit Müller eine Porzellanfabrik zu gründen. Darin wird mitgeteilt, dass sich die «Société des fabricants de Nyon» aufgelöst und Dortu die Stadt verlassen habe. Letzterer hatte sich tatsächlich am 2. Juni 1786 einen Pass besorgt, um nach Berlin zu reisen. Die Genfer Behörden hielten das Projekt für interessant und verpflichteten sich, die Ansiedlung der neuen Industrie im Bezirk Pâquis zu unterstützen (De Molin 1904, 27).

Müller hatte bereits mit der Verlagerung seiner Produktionsanlagen und Rohstoffe begonnen, als in Nyon die wahre Natur seines Vorhabens – die reine Verlagerung der Fabrik und nicht die Eröffnung einer einfachen Genfer Niederlassung – ans Licht kam. Ein Konsortium von Kreditgebern wurde gebildet und die städtischen Behörden nahmen sich der Sache an, indem sie Ihre Exzellenzen um ein Darlehen von 12.000 Franken baten «für den Bau der Öfen, die Anschaffung von Utensilien [sic] und die Löhne der Arbeiter für ein Jahr». Die Idee war, nach der endgültigen Liquidation der alten Fabrik einen neuen Betrieb zu errichten.

Nach der Befragung, zuerst durch den Stadtrat von Nyon und darauf durch den stellvertretenden Vize-Gerichtsvollzieher Stettler, behauptete Müller, dass er nicht die Absicht habe, die Porzellanfabrik in Nyon zu schliessen, sondern in Genf eine Fabrik für Fayence und Steingut zu eröffnen, «da es dem Land an dieser Art von Industrie fehle». Dank der aus Genf erhaltenen Informationen konnte der stellvertretende Gerichtsvollzieher mühelos feststellen, dass Müller tatsächlich plante, in Genf Porzellan herzustellen (De Molin 1904, 33–37). In einem letzten Versuch, sich zu rechtfertigen, schrieb Müller im März 1787 eine Eingabe an die bernische Regierung, ein Dokument, das einige interessante Überlegungen zu den wirtschaftlichen Bedingungen enthält, unter denen er seine Industrie betrieb. Wir erfahren zum Beispiel, dass Genf drei Viertel der Produktion der Manufaktur beanspruchte (De Molin 1904, 39-42). Die Behörden gingen auf die Argumente Ferdinand Müllers nicht ein, er verlor all seine Rechte und wurde aus dem Waadtland ausgewiesen; er fand vorübergehend Zuflucht in Genf.

Nachdem Meine Gnädigen Herren in Bern das Darlehen von 12.000 Franken gewährt hatten, übernahm Jean-Georges-Jules Zinkernagel, ein einfacher Vorarbeiter der Fabrik, vorübergehend das Unternehmen. Zurück in Nyon wurde Dortu im April 1787 zunächst zur Persona non grata erklärt. In der Zwischenzeit unternahm Zinkernagel die notwendigen Schritte, um eine Liegenschaft zu erwerben, und beim Staat bat er um die Nutzung eines angrenzenden Grundstücks mit dem Flurnamen Croset. Der Vertrag für das Haus Ducosterd am Chemin du Port wurde am 7. Juni 1787 abgeschlossen. Die Käufer waren Henri Veret, ein Kaufmann aus Nyon, Moïse Bonnard, Zinkernagel und Dortu, wobei Letzterer wahrscheinlich zugezogen wurde, um die Zukunft der Fabrik zu sichern (De Molin 1904, 47–50; Droz 1997, 27–32). Die Manufaktur zog im September 1787 in das Haus Ducosterd ein, in der Folge wurde die Arbeit ohne grosse Verzögerung wieder aufgenommen. Der Erwerb des Geländes von Croset, das den Ausbau der Infrastrukturen ermöglichen sollte, nahm einige Zeit in Anspruch: Das Geschäft wurde erst im März 1789 abgeschlossen.

Die neue Gesellschaft, die das Unternehmen betreiben sollte, wurde am 1. Juni 1787 gegründet; Henri Veret und Moïse Bonnard brachten die von Bern geliehenen 12.000 Francs als Anzahlung auf, für die sie gegenüber der Stadtverwaltung bürgten, und Dortu steuerte 8.000 Livres bei, die den Bau eines Ofens und der Rohstoffe miteinschlossen. In offiziellen Dokumenten erschien die Firma zunächst unter dem Namen «Dortu, Zinkernagel et Cie»; ab März 1789 wurde Zinkernagels Name nicht mehr erwähnt (die Firma hatte ihn im Juli 1788 ausbezahlt); danach lautete der Firmenname «Bonnard, Veret et Cie», häufiger auch «Dortu et Cie». Im Jahr 1790 zog sich Henri Veret aus dem Unternehmen zurück, blieb jedoch finanziell beteiligt und wurde durch seinen Sohn Bernard-Henry ersetzt, der 1804 Dortus Tochter Louise heiratete. Was Moïse Bonnard betrifft, so scheint er 1795 aus dem Unternehmen ausgeschieden zu sein, nachdem er seine Anteile an Bernard-Henri Veret verkauft hatte (Bonnard 1934/1, 118; Pelichet 1985/1, 120). Ein neuer Partner, César Soulier (1763–1830), Jurist und Geschäftsmann in Nyon, soll 1797 in die Leitung des Unternehmens eingetreten sein (Droz 1997, 36).

Das Unternehmen konnte endlich in grösseren Räumen und mit besserer Infrastruktur durchstarten. Die Fabrik, insbesondere die Dekorationswerkstatt, waren nun voll ausgelastet. Das Produktionsvolumen sollte zügig wachsen, leider geschah diese Entwicklung in einem zu hohen Tempo mit dem Resultat, dass die Bestände zwischen 1790 und 1795 und dann wieder zwischen 1797 und 1801 weiter anwuchsen (Droz 1997, 42–44). Die Überproduktion entpuppte sich immer mehr als das selbst verursachte Übel, das die wirtschaftliche Gesundheit des Unternehmens unwiederbringlich untergraben würde. Trotz der äusserst lückenhaften Quellenlage stellt Droz einen erheblichen Anstieg der Verkaufszahlen fest, insbesondere zwischen 1790 und 1793. Auf der Grundlage der verfügbaren Lohndaten schätzt er, dass die Belegschaft der Fabrik nie so gross war wie zwischen 1790 und 1798 (Droz 1997, 51).

Vermutlich um zusätzliche und regelmässige Einnahmen zu erzielen, begann das Unternehmen 1792 mit der Vermarktung von Steingut aus England, insbesondere aus der berühmten Wedgwood-Manufaktur Etruria (De Molin 1904, 64). Die im Jahr 1785 gewährte Zollbefreiung wurde im August 1793 erneuert.

Laurent Droz ist der Ansicht, dass die Jahre zwischen 1798 und 1801 durch einen schlechten Geschäftsgang und insbesondere durch einen zunehmenden Mangel an Liquidität geprägt waren. Trotz dieser ungünstigen Situation scheint die Produktion bis 1801 auf demselben Niveau geblieben zu sein. Die Verkäufe konnten jedoch nicht Schritt halten.

1801 wurde die alte Firma zugunsten einer neuen Gesellschaft («Dortu, Soulier, Monod & Cie») aufgelöst, in der César Monod, Forstinspektor und Abgeordneter des Grossen Rats, als neuer Gesellschafter auftrat, eine Position, die er bis 1808 innehaben sollte. Bernard-Henry Veret war bereits 1798/99 aus dem Unternehmen ausgeschieden, um sich in Marseille niederzulassen- Laut Pelichet folgte ihm sein Bruder Samuel als Teilhaber nach, was Droz in seinen Quellen nicht verifizieren konnte (Pelichet 1985/1, 120; Droz 1997, 36).

Das 1801 verfasste «Fabrikbuch» gab eine klare Einschätzung des Problems der Überproduktion und empfahl, die Aktivitäten auf «günstigere» Produkte auszurichten und «aufwändige Muster nur zur Verzierung und Ausstattung des Ladens» herzustellen (Archives du Château de Nyon, Inv. 4189). Wie Laurent Droz hervorhebt, suggeriert dieses Dokument «eine Erneuerung, einen Neuanfang» (Droz 1997, 37). Die Verantwortlichen des Unternehmens zogen die Konsequenzen aus dieser alarmierenden Feststellung: Die Produktion wurde reduziert, während sich der Umsatz zwischen 1801 und 1805 erholte und das Unternehmen seine Schulden abbauen konnte. Aber auch diese Massnahme konnte die Firma nicht retten: 1808 wurde das Unternehmen ein weiteres Mal aufgelöst.

Im Dezember desselben Jahres wurde ein neues Unternehmen gegründet, eine Aktiengesellschaft mit dem Namen «Dortu, Soulier, Doret et Cie», die die Aktiven und Passiven des vorherigen Unternehmens übernahm. Das Aktienkapital belief sich auf 120.000 Franken, auf 80 Aktien verteilt. Dortu und sein Schwiegersohn Bernard-Henry Veret hielten zusammen fünfzehn Anteile (De Molin 1904, 72).

Dreissig Jahre nach Erscheinen der Publikation von de Molin entdeckte Georges Bonnard die Statuten der neuen Gesellschaft in den Archiven der Familie Guiger in Prangins. Der Text vom 9. Dezember 1808 nennt eindeutig den Hauptzweck des Unternehmens: «die Herstellung und den Verkauf von Porzellan, Steingut und rotem Steingut («poteries étrusques»). Die Leiter des Etablissements waren Jacob Dortu, «verantwortlich für die Zusammensetzung des Tons, die Herstellung der Farben und die allgemeine Leitung der Fabrik»; César Soulier, «verantwortlich für die Geschäftsreisen und die Buchführung», und Vincent Doret, «verantwortlich für die Kasse, […] den Verkauf und den Versand, die Führung der Journale, die Korrespondenz und die Überwachung der Produktion». Die neue Gesellschaft ersetzte die alte ab dem 1. Januar 1809 (Bonnard 1934/1, 115–117).

Jacob Dortu hatte sich in der Tat bemüht, seine Produktion zu diversifizieren, indem er Keramiksorten entwickelte, die günstiger zu erwerben waren als Porzellan, in der Hoffnung, einen grösseren Kundenkreis zu erreichen. Seine erste Innovation, die er 1807 einführte, war die rotorange «terre étrusque», Keramik, die offensichtlich an griechisch-römische Töpferwaren erinnerte und damals Etrurien zugeschrieben wurde. Später, wahrscheinlich bereits 1809, produzierte die Fabrik ihr erstes Steingut, das in den Archiven der Fabrik als «terre de pipe» bezeichnet wurde (siehe Kapitel «Nyon – Steingutfabriken [2]»).

Da das Unternehmen einen überdimensionierten Lagerbestand an Porzellan aufwies, beschlossen die Verantwortlichen, einen grossen Teil davon im Rahmen einer Lotterie an ihre Aktionäre zu verkaufen. Der Erlös sollte zur Finanzierung der Herstellung von Steingut verwendet werden. Die von Georges Bonnard veröffentlichte detaillierte Liste der Lose liefert wertvolle Informationen über die in der Fabrik verwendeten Formen und Dekore sowie über die damals zur Charakterisierung verwendeten Begriffe (Bonnard 1934/2; Bonnard 1934/3).

Angesichts der verzweifelten finanziellen Lage der Porzellan- und Steingutfabrik, setzten die Aktionäre am 31. Januar 1813 eine fünfköpfige Kommission unter dem Vorsitz von Pierre-Louis Roguin de Bons (1756–1840) ein, die eine Bilanz erstellen und Vorschläge für die Zukunft machen sollte. In den Augen der Kommission erforderte die Aufrechterhaltung einer Keramikindustrie in Nyon die Auflösung des ehemaligen Unternehmens «Dortu, Solier, Doret & Cie» und die Gründung einer neuen Einheit, die sich auf die Herstellung von Steingut beschränken sollte. In einer Plenarsitzung am 3. März beschloss die Generalversammlung der Aktionäre, den Markennamen «Dortu et C.e» aufzugeben und ihn auf künftigen Produkten durch «Commandite de Nyon» oder die Kurzformel «Comte de Nyon» zu ersetzen. Dieser Beschluss wurde wahrscheinlich nie umgesetzt: Bereits im April erwarben Jean-François Delafléchère, Pierre-Louis Roguin de Bons und Jean-André Bonnard (1780-1859) die Manufaktur einschliesslich Fabrikationsgeheimnis (Archives du Château de Nyon, Protocole de la liquidation de 1813; De Molin 1904, 74-79).

Am 23. Mai 1813 bestätigte die Aktionärsversammlung den Verkauf des Unternehmens an eine Kommanditgesellschaft, die von Jean-François Delafléchère, Jean-André Bonnard, Moïse Bonnard, seinem Vater, Pierre-Louis Roguin de Bons, Augustin-Alexandre Bonnard und André-Urbain Delafléchère de Beausobre gegründet wurde (De Molin 1904, 82 – Die Identität der Eigentümer ist in zwei notariellen Urkunden von 1814 und 1817 über Landkäufe belegt: Archives communales de Nyon [ACN], R 810). Siehe Kapitel «Nyon –Steingutmanufakturen (2)».

Das Fabrikationsgeheimnis wurde von seinem wichtigsten Produzenten, Jacob Dortu, gehütet, der es nur ungern preisgab. Mit dem Argument, dass Dortu sein Verfahren nur dank der vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Mittel entwickeln konnte, überzeugte ihn die Kommission schliesslich davon, seine Kenntnisse gegen eine Entschädigung von 200 Louis d’Or zu lüften. Nach Abschluss des Geschäfts im Juni 1813 verliess Dortu Nyon, um sich in Carouge niederzulassen.

Bereits 64 Jahre alt, eröffnete er dort zusammen mit seinem Schwiegersohn Bernard-Henry Veret und dessen Neffen Auguste Bouverot eine neue Manufaktur für Steingut. Die Einrichtung arbeitete bis 1824 erfolgreich unter dem Firmennamen «Dortu, Veret et Cie» oder «Dortu, Veret et Bouverot». Nach dem Tod von Jacob Dortu im Jahr 1819 trat sein Sohn Frédéric die Nachfolge an. 1824 verlegte er seine Fabrik nach Turin (Dumaret 2006, 100–102).

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

Archives communales de Nyon, R 810, Fonds Fernand Jaccard

Bibliographie:

Bonnard 1934/1
Georges Bonnard, Trois documents relatifs à la manufacture de porcelaine de Nyon I. In: Indicateur d’antiquités suisses, 36/2, 1934, 115-118.

Bonnard 1934/2
Georges Bonnard, Trois documents relatifs à la manufacture de porcelaine de Nyon II. In: Indicateur d’antiquités suisses, 36/3, 1934, 208-213.

Bonnard 1934/3
Georges Bonnard, Trois documents relatifs à la manufacture de porcelaine de Nyon III. In: Indicateur d’antiquités suisses, 36/4, 1934, 273-283.

De Molin 1904
Aloys de Molin, Histoire documentaire de la manufacture de porcelaine de Nyon, 1781-1813, publiée sous les auspices de la Société d’histoire de la Suisse romande et de la Société vaudoise des beaux-arts. Lausanne 1904.

Droz 1997
Laurent Droz, Les comptes de la manufacture de porcelaine de Nyon, 1791-1813. Aspects économiques. Mémoire de licence, Université de Lausanne. Lausanne 1997.

Dumaret 2006
Isabelle Dumaret, Faïenceries et faïenciers à Carouge. In: Arts à Carouge: Céramistes et figuristes. Dictionnaire carougeois IVA. Carouge 2006, 15-253.

Girod 1896
Maurice Girod, Les porcelaines de Zurich, de Nyon et de Genève. In: Exposition nationale suisse Genève 1896. Catalogue de l’art ancien, Groupe 25, 381-389.

Gonin 2017
Grégoire Gonin, Redécouvrir la porcelaine de Nyon (1781-1813). Diffusion et réception d’un artisanat de luxe en Suisse et en Europe du XVIIIe siècle à nos jours. Neuchâtel 2017.

Pelichet 1957
Edgar Pelichet, Porcelaines de Nyon. Nyon 1957.

Pelichet 1985/1
Edgar Pelichet, Merveilleuse porcelaine de Nyon. Nouvelle édition remaniée et définitive. Lausanne 1985.

Nyon VD, Steingutmanufaktur AG, 1917–1978

Roland Blaettler 2019

Keramik der Steingutmanufaktur Nyon SA in CERAMICA CH

Jules Michaud starb im Februar 1917 – laut Nachruf, der im Courrier de la Côte vom 13. Februar (S. 1) erschien, wurde er «seiner Aufgabe […] unerwartet entrissen». An die Spitze der Manufaktur trat sein Sohn Louis (1874–1954), der seit spätestens 1910 im Unternehmen tätig war. 1910 hatte sich Louis nämlich in Bezug auf die Manufaktur an die Gemeinde gewandt (Gemeindearchiv Nyon [ACN], Bleu A-72, Sitzung vom 17. Januar 1910). Im folgenden Jahr wurde Louis, «Fayencehersteller in Nyon», an der konstituierenden Versammlung vom 10. Juli in den Verwaltungsrat der Schweizerischen Keramikfachschule (École suisse de céramique) berufen (Tribune de Lausanne vom 13. Juli 1911, 2). Im gleichen Jahr unterzeichnete er einen Brief an die Gemeinde, in dem er sich als «kleinen Angestellten der Manufaktur» bezeichnete (Mitteilung von Frau Bourban-Mayor, Archivarin der Stadt Nyon). Louis wurde von der Generalversammlung der Aktionäre am 14. März 1917 zum Geschäftsführer der Manufaktur ernannt, knapp einen Monat nach dem Tod seines Vaters, was bedeutete, dass er sich im Unternehmen bewährt hatte (Schweizerisches Handelsamtsblatt [SHAB], Bd. 35, 1917, 498).

Der Name des Unternehmens variierte lange Zeit immer wieder. In der Urkunde für die Wasserrechte vom September 1880 (siehe Kapitel «Nyon – die Steingutmanufakturen [2]») wird sowohl die «Manufacture de poterie de Nyon, société anonyme» als auch die «Manufacture de poterie fine de Nyon» erwähnt. Anscheinend wurden beide Formulierungen in der Folge nebeneinander verwendet. Im ersten Band des SHAB tauchte das Unternehmen 1883 unter dem Namen «Manufacture de poteries de Nyon» auf. Auf einem Briefbogen mit gedrucktem Briefkopf aus dem Jahr 1897 steht «Manufacture de poteries fines de Nyon». Die neue Leitung klärte diesen Punkt ziemlich rasch: Im Juni 1917 genehmigte die Aktionärsversammlung den neuen Namen des Unternehmens: «Manufacture de poteries fines de Nyon S. A.» (SHAB, Bd. 36, 1918, 1044).

Das Gemeindearchiv Nyon verfügt über einen illustrierten Katalog der Manufaktur, der offensichtlich unvollständig ist und aus nicht gebundenen Fototafeln und einer Titelseite mit dem Titel «Album – Manufacture de poteries fines de Nyon S. A. – Louis Michaud, directeur» besteht (ACN, R 1224, in den Notizen des vorliegenden Inventars als «Album Michaud» bezeichnet). Wir gehen davon aus, dass dieses Dokument aus der Zeit kurz nach der Übernahme der Geschäftsleitung durch Louis Michaud und der Namensänderung stammt, d. h. aus den Jahren 1917/18. Die Formen sind noch stark vom eklektischen Geschmack geprägt, der um die Jahrhundertwende vorherrschte.

Die verzierten Objekte weisen hauptsächlich gedruckte Blumenmotive auf. So etwa die Form der Nummer MHPN MH-2013-46, mit einem anderen gedruckten Motiv; die Suppenterrine MHPN MH-2015-532, jedoch ohne Verzierung; das alte Saucieremodell MHPN MH-2003-118 oder die weisse Platte MHPN MH-2000-125. Einige dekorative Stücke, Vasen oder Blumentöpfe, sind mit relativ kunstvollen Auflagendekoren versehen.

Die Produktion veränderte sich im Laufe der 1920er-Jahre, zunächst bei den Dekoren, beträchtlich. Die Motive der Umdruckdekore wurden zusehends bunter, insbesondere bei den Jubiläums- und Ereignisobjekten (MHPN MH-2000-91; MHPN MH-FA-4656).

Vor allem aber tauchten das erste Mal seit über einem halben Jahrhundert in der laufenden Produktion wieder gemalte Motive auf, die künftig von Malern/Malerinnen ausgeführt wurden, die in der Manufaktur angestellt waren (MHPN MH-FA-4538B; MHPN MH-1993-341; MHPN MH-FA-4531; MHPN MH-FA-4577; MHPN MH-FA-4566; MHPN MH-2015-410; MHPN MH-2006-3; MHPN MH-2015-407; MHPN MH-2015-406).

Dieser erneute Aufschwung der bemalten Objekte wird in der Literatur mit Henri Terribilini (1898–1982) (siehe Kapitel «Henri Terribilini») in Verbindung gebracht. Dieser hatte 1917 einige Steingutobjekte aus Nyon verziert, wahrscheinlich als selbstständiger Dekorateur, als seine Tutorin Nora Gross mit der Fabrik zusammenarbeitete (MHPN MH-FA-10010; MHPN MH-1998-140).

Im Mai 1920 liess sich der junge Künstler für ein Jahr in Nyon nieder, wo er gemeinsam mit Georges Vallotton (siehe Kapitel «Georges Vallotton) wirkte. Es ist nicht auszuschliessen, dass er ab dieser Zeit punktuell für die Manufaktur arbeitete. 1925 liess sich Terribilini schliesslich definitiv in Nyon nieder, nachdem er von Michaud als Leiter des Malerateliers eingestellt worden war. Diese Funktion übte er bis 1928 aus. Er zeichnete ganz klar für einige der beliebtesten Pinseldekore der Manufaktur in den Jahren 1925–1935 verantwortlich (MHPN MH-FA-10006; MHPN MH-FA-4037; MHPN MH-FA-4039; MHPN MH-FA-4648; MHPN MH-2014-18; MHPN MH-2000-75; MHPN MH-FA-10005; MHPN MH-FA-4400A; MHPN MH-2003-110; MHPN MH-FA-4398; MHPN MH-205-389; MHPN MH-FA-4564).

Als er 1920 vorübergehend nach Nyon zog, gab die Einwohnerkontrolle an, dass Terribilini aus Langenthal kam, wo er als Porzellanmaler tätig war (ACN, Dossier der Einwohnerkontrolle). In der Produktion aus Langenthal sind mehrere Beispiele von Blumenmalereien auf farbigem Hintergrund bekannt, die an bestimmte Motive aus Nyon erinnern. Das Schweizerische Nationalmuseum in Zürich bewahrt eine Tasse aus dem Jahr 1918 (SNM LM-59169) und eine Vase aus dem Jahr 1924 (SNM LM-158592), das Musée Ariana zwei Vasen, die aus der Zeit um 1920 stammen (MAG AR 2002-309; AR 2007-113 – Schumacher und Quintero 2012, Abb. S. 67).

Wenn man diese Dekore mit dem Objekt aus Nyon (MHPN MH-FA-4564) vergleicht, erscheint es plausibel, dass Terribilini diese Art von Dekor ab 1925 nach Nyon gebracht hat. Allerdings wissen wir nicht, ob er diese Verzierungen in Langenthal erfunden hat. Da er dort als «Dekorateurgeselle» arbeitete, ist das ungewiss.

Die von der Manufaktur angebotenen Formen wurden ebenfalls laufend modernisiert – zunächst beim Trinkgeschirr, wo man insbesondere eher gewagte konische Profile feststellt (MHPN MH-2015-408; MHPN MH-2000-69).

Beim Essgeschirr, etwa bei Terrinen und Suppenschüsseln, hielten sich die älteren Formen manchmal bis in die 1940er-Jahre (MHPN MH-1999-78; MHPN MH-2015-532; MHPN MH-FA-4549).

Im Stadtarchiv Nyon gibt es einen zweiten Verkaufskatalog, bestimmt für die Deutschschweiz, mit dem Titel «Steingutfabrik Nyon A.-G.» (ACN, R 1224, zitiert in den Notizen des betreffenden Inventars als «Steingutfabrik Nyon»). Unseren Schätzungen zufolge stammt dieses Dokument, das klar ein Vorherrschen der Pinseldekore bezeugt, aus den Jahren 1920–1925. Es werden einige Service, Waschtischgarnituren und Vasen gezeigt, alle verschönert hauptsächlich mit gepinselten Motiven.

Zu sehen ist namentlich eine Platte der gleichen Art wie die Nummer MHPN MH-2014-18, Dosen, die der Nummer MHPN MH-2015-410 ähneln, und eine Vase, die stark an MHPN MH-FA-4037 erinnert.

Die Seite mit der Preisliste zeigt die neue Fabrikmarke, die aus einem runden Medaillon mit dem traditionellen Fisch von Nyon und den Initialen «MN» (Manufacture – Nyon) besteht. Unter dem Medaillon steht die Erwähnung «NYON». Auf den Objekten wird die Marke in blauer Unterglasurfarbe aufgestempelt (z. B. MHPN MH-2006-4). Eine Variante ziert die handgemalten Dekore (MHPN MH-FA-4400H). Die neue Marke erscheint bislang erstmals auf einem Objekt aus dem Jahr 1925, letztmals 1931. Sie wurde wahrscheinlich zwischen 1920 und 1925 eingeführt.

 

Diese Marke wird 1933 durch eine neue Stempelmarke ersetzt, die das Wappen von Nyon zeigt mit dem Vermerk «NYON» und das in grüner Unterglasurfarbe aufgestempelt wird (MHPN MH-1993-47; MHPN MH-2015-368). Unseres Wissens erscheinen diese grünen Kennzeichnungen ausschliesslich auf Jubiläums- oder Ereignisobjekten aus dem Jahr 1933.

Ab 1934 wurden sie durch eine blaue Marke ersetzt (MHPN MH-2000-170; MHPN MH-FA-10033A bis -C). Die blauen Marken sind äusserst rar.

 

Offenbar wurden sie rasch wieder abgelöst, vermutlich bereits 1934, durch eine braun-schwarze Version (MHPN MH-1997-39; MHPN MH-FA-4438), deren letzte Verwendung auf einem Objekt aus dem Jahr 1939 nachgewiesen wurde.

Eine weitere Variante in Braun-Schwarz ist auf den Jubiläum- oder Erinnerungsobjekten bzw. Werbegeschenken der Jahre 1937–1939 belegt, sie unterscheidet sich durch den Zusatz «Pinx’ Man» (MHPN MH-2015-422). Dieser merkwürdige Schriftzug scheint auf einen handgemalten Dekor hinzuweisen, doch er erscheint immer im Zusammenhang mit einem schablonierten Motiv (siehe auch Ethenoz-Damond 2008, 62).

In den 1930er-Jahren erfuhr die Produktion der Steingutmanufaktur beträchtliche Neuerungen, sowohl aus ästhetischer als auch als technologischer Sicht, da drei bedeutende Persönlichkeiten zum Unternehmen stiessen. Als Erstes trat 1930 Josué Rieben (geb. 1907) als Vorarbeiter in die Manufaktur ein. Er hatte an der Schweizerischen Keramikfachschule eine Ausbildung als Keramikformer absolviert. Im Register der Einwohnerkontrolle wurde vermerkt, dass er vorher in Château-d’Œx wohnhaft war. Nach einigen Jahren im Unternehmen nahm er zudem eine Tätigkeit als Geschäftsreisender auf (Ethenoz-Damond 2008).

Eine weitere prägende Persönlichkeit war Henri Crétenet (1905–1999), ein jurassischer Uhrmacher und Graveur, der sich wegen der Wirtschaftskrise beruflich umorientieren musste. Er wurde 1933 eingestellt. Die Einwohnerkontrolle trug ihn mit dem Vermerk «Töpferarbeiter» ins Register ein, er kam aus Monthey. Dank seinem Geschick bei Feinarbeiten stieg er rasch zum Leiter des Dekorationsateliers auf (Pelichet 1985/2, 37; Desponds 1999, 81; Ethenoz-Damond 2008, 52). Crétenet zeichnete sich in der Herstellung von Schablonen aus, die aus Aluminiumbogen ausgeschnitten wurden und die zur Ausführung mehrfarbiger aufgespritzter oder aufgepinselter Motive verwendet wurden. Diese Technik wurde bis in die 1970er-Jahre hauptsächlich auf Erinnerungs- und Jubiläumsobjekten verwendet (MHPN ; MHPN MH-2015-416; MHPN MH-2015-436; MHPN MH-2015-417; MHPN MH-FA-4598; MHPN MH-2015-365; MHPN MH-FA-4491; MHPN MH-1993-78; MHPN MH-2000-54; MHPN MH-2000-170; MHPN MH-FA-4650; MHPN MH-1997-39; MHPN MH-2003-6; MHPN MH-2005-6; MHPN MH-FA-4658; MHPN MH-2015-409; MHPN MH-2015-52; MHPN MH-FA-4732C; MHPN MH-2015-422; MHPN MH-1993-4; MHPN MH-2015-447; MHPN MH-FA-4399; MHPN MH-2010-55; MHPN MH-FA-10025A; MHPN MH-2000-89; MHPN MH-FA-4586; MHPN MH-2015-420; MHPN MH-2015-369).

Crétenet hat die Motive nicht nur ausgeführt, sondern auch selbst einige entworfen, wie seine Initialen «HC» bei einigen Motiven belegen (MHPN MH-FA-4518; MHPN MH-2000-47).

Bei den klassischen Umdruckdekoren kommt er nur ausnahmsweise zum Zug (MHPN ).

1947 zog Crétenet nach Prangins um, bevor er 1950 wieder nach Nyon zurückkehrte, wo er neu die Wohnung im Gebäude der Manufaktur bezog. Zu dem Zeitpunkt registrierte ihn die Einwohnerkontrolle mit der Funktion «Produktionsleiter». Der Funktionswechsel kann natürlich auch schon vorher vollzogen worden sein.

Für einige innovative Modelle zeichnete ein weiterer Neuankömmling verantwortlich. Louis Guex (1910–1988) wurde von Josué Rieben 1932 als Keramikformer angestellt (siehe Kapitel «Louis Guex, Kunstkeramik»). Guex wurde von der Einwohnerkontrolle im September 1932 als «Keramikformer» eingetragen. In der Manufaktur umfasste diese Funktion die Schaffung neuer Formen, aber auch – und vielleicht insbesondere – die Kontrolle, die Erneuerung und die Herstellung von Formen. In diesem Bereich hatte sich Guex bei Paul Bonifas in Ferney-Voltaire spezialisiert.

Louis Guex kann die charakteristische Form der Scheibenkanne mit Fuss zugeschrieben werden (MHPN MH-2003-6; MHPN MH-2005-6; MHPN MH-FA-4399; MHPN MH-FA-4499B; MHPN MH-FA-10037). Viele Exemplare davon tragen sein Monogramm «LG» (MHPN MH-2015-375).

Guex überarbeitete auch einige klassische Formen wie den Teller mit fassoniertem Rand (z. B. MHPN MH-1997-39). Im vorliegenden Bestand lassen sich diese Innovationen mit Gedenkobjekten ab 1938 nachweisen, was aber nicht ausschliesst, dass diese Neuerungen bereits etwas älter sind.

Ab den 1920er-Jahren hatte die Manufaktur mit den ersten deckenden Pinseldekoren begonnen, ein neues Stilbewusstsein umzusetzen, das sich dadurch auszeichnete, dass der eigentliche Charakter der Keramik auf gewisse Art und Weise verdeckt werden sollte (z. B. MHPN MH-2015-406; MHPN MH-2006-3; MHPN MH-FA-4039). Das Steingut, das hauptsächlich industriell hergestellt wurde, versuchte gewissermassen wie Fayencen auszusehen, die als nobler und «künstlerischer» galten. Diese Tendenz verstärkte sich gegen Anfang der 1940er-Jahre noch, als opake bzw. matte Glasuren die herkömmlichen transparenten Glasuren ablösten.

Die wichtigsten Glasuren, die in der Terminologie des Ateliers als «matt» bezeichnet wurden (Ethenoz-Damond 2008, 58–60), waren ein leicht rosa angehauchtes Beige (Glasur «rosa» – MHPN ; MHPN MH-FA-10037; MHPN MH-FA-4557; MHPN MH-FA-4529) und ein glänzendes Schwarz, das an den Überzug der berühmten «terres lustrées noires» von Paul Bonifas in Ferney-Voltaire erinnert (MHPN MH-2000-116; MHPN MH-FA-4457; MHPN MH-FA-4499B; MHPN MH-FA-4455).

Die letztgenannte Glasur wurde wahrscheinlich nach dem Eintritt von Louis Guex in die Manufaktur im Jahr 1932 kreiert. Dieses Zusammentreffen erklärt sich durch die Tatsache, dass Guex um 1931/1932 im Atelier von Bonifas als Keramikformer tätig war.

Die kreative Ader von Louis Guex zeigte sich auch in der Vase mit der Tänzerin, die als spätes Art-déco-Objekt konzipiert wurde (MHPN MH-2015-387; MHPN MH-1994-1), sowie bei den Tierfiguren, die neu in das Sortiment der Manufaktur aufgenommen wurden.

 

In der Art-déco-Bewegung widmeten sich viele Keramikateliers in Europa den Tierfiguren, häufig im Bereich Steingut. In Ferney-Voltaire gab Paul Bonifas verschiedene Skulpturen diverser schweizerischer Künstler heraus (siehe weiter unten). Die Manufaktur in Nyon wagte den Schritt in diese Richtung ebenfalls, wenn auch etwas spät. Laut Pelichet (Pelichet 1992) wurden die ersten Erfahrungen mit dieser Kunstrichtung in Nyon auf Anfrage des berühmten Tierbildhauers Édouard Marcel Sandoz für dessen persönlichen Gebrauch gemacht (MHPN MH-2015-354; MHPN MH-2015-352; MHPN MH-2015-355 und -356).

Die ersten Originale ordnet Pelichet Josué Rieben zu und er datiert sie auf 1936 (MHPN MH-2015-340; MHPN ; MHPN MH-2015-341; MHPN MH-2015-361).

Diese Produktionslinie nahm ganz offensichtlich wirklich Fahrt auf, nachdem Louis Guex 1932 zum Unternehmen gestossen war. Dieser hatte sich bei Bonifas zum Keramikformer weitergebildet. Er übernahm mehrere Formen, die einige Jahre zuvor vom berühmten Keramiker aus Ferney-Voltaire hergestellt worden waren. Dies wird klar ersichtlich, wenn man etwa das Originalobjekt eines Pelikans, der bei Bonifas nach einem Modell von Hélène Wyss-Pilet (MHPN MH-1994-3) hergestellt wurde, und die von Guex leicht überarbeitete Version für die Fabrik in Nyon vergleicht (MHPN MH-2015-362; MHPN MH-1994-2).

Bei einem anderen Modell nach Wyss-Pilet, einer Chinchillafigur, die ursprünglich bei Bonifas gefertigt wurde, zögert Guex nicht, sein eigenes Monogramm zu verwenden (MHPN MH-2015-375). Auch wenn Guex wahrscheinlich die Form hergestellt hat, erscheint die Verwendung seiner Initialen in diesem Fall etwas vermessen. In der Tat hat das Monogramm Pelichet dazu verleitet, den Chinchilla Guex zuzuordnen.

Bei einem Modell von Édouard Marcel Sandoz (MHPN MH-2015-434) konnte das gleiche Phänomen beobachtet werden.

Weitere Figuren tragen den Namen oder die Initialen ihres Urhebers, namentlich die Kreationen von Juliette Mayor (1896-1979): MHPN MH-2015-442; MHPN MH-2015-378; MHPN MH-2015-367; MHPN MH-2015-385; MHPN MH-2015-360; MHPN MH-2015-363.

Louis Guex hat sich vermutlich nicht darauf beschränkt, die Modelle anderer Künstler zu überarbeiten, wie wir gesehen haben. Aber da die Verwendung seiner Monogramme mit Vorsicht zu geniessen ist, sind seine eigenen Schöpfungen nicht einfach zu identifizieren (vielleicht MHPN MH-1994-6 oder MHPN MH-2015-377). Louis Guex verliess die Manufaktur 1946, um sich selbstständig zu machen (siehe Kapitel «Louis Guex, Kunstkeramik»).

Mitte der 1930er-Jahre, mitten in der Wirtschaftskrise, erlebte die Manufaktur einige starke Turbulenzen, wie diverse Unterlagen aus dem Gemeindearchiv belegen (ACN, R 810). In einem Bericht vom Mai 1935 zog Josué Rieben eine alarmierende Bilanz: Die Qualität der Produktion befindet sich im freien Fall … «Zu viel zweite und vor allem zu viel dritte Wahl». Seinen Aussagen zufolge war es unmöglich, von den bisherigen Mitarbeitenden eine «saubere und verkaufswürdige Arbeit» zu erhalten. Die Atmosphäre am Arbeitsplatz war vergiftet und verhinderte jegliche Innovationsversuche. Der Vorarbeiter empfahl, die gesamte Belegschaft zu entlassen und nur die besten Mitarbeitenden wieder einzustellen. Die Verwaltungsräte des Unternehmens, die sich ebenfalls Sorgen um die Manufaktur machten, waren bereits auf einen Hoffnungsträger zugegangen, der die Manufaktur aus der Krise führen sollte: Albert Jaccard (1897–1965), ein ausgebildeter Ingenieur.

In einem Brief an seine Mitverwaltungsräte vom 5. Dezember 1935 präzisierte Bankier Alfred Baup, der von 1917 bis 1926 sowie von 1936 bis 1955 Verwaltungsratspräsident war, dass Jaccard bereit sei, reserviertes Kapital in der Höhe von 50 000 Franken bereitzustellen, ein «unerwarteter Vorschlag, eine Gelegenheit, die nicht wiederkommt!». In einem nicht datierten Schreiben bestätigt Jaccard, dass sein Angebot weiterhin stehe, «sofern die Bedingungen gemäss [seinem] Schreiben vom 5. März betreffend die allfällige Übernahme der Mehrheit des Gesellschaftskapitals aufrechterhalten würden». Am 27. März 1936 übermittelte er zwei Vertragsentwürfe im Hinblick auf seine Zusammenarbeit bei der Reorganisation der Manufaktur (nicht im Dossier enthalten). An ihrer Sitzung vom 20. April 1936 erfuhr die Gemeinde von «Herrn Albert Jaccard, dem neuen Direktor der Manufaktur», dass dieser mit der Prüfung einer Reorganisation des Unternehmens betraut sei und eine Schliessung in Betracht gezogen würde. Um die Entlassung von Mitarbeitenden der Fabrik zu vermeiden, verlangte er einen beträchtlichen Rabatt für die von der Gemeinde gelieferte elektrische Energie. Am 18. Mai stellt die Stadtregierung fest, dass laut Jaccard ein Mitarbeiter entlassen worden war, während die Polizeikommission fünf Entlassungen vermeldete (ACN, Bleu A-88).

Die Reorganisation an der Spitze des Unternehmens wurde von der Generalversammlung der Aktionäre vom 22. April 1936 gutgeheissen (SHAB, Bd. 54, 1939, 1343: Artikel 23 der Statuten wurde geändert und sah nun vor, dass die Geschäftsführung des Unternehmens «einem Direktor oder einem Delegierten des Verwaltungsrats übertragen werde, der vom Verwaltungsrat zu ernennen sei. Der Direktor und der Delegierte des Verwaltungsrats sind beide zeichnungsberechtigt (Einzelunterschrift)». In einer ordentlichen Generalversammlung, die am gleichen Tag stattfand, beriefen die Aktionäre Louis Michaud und Albert Jaccard neu in den Verwaltungsrat. Verwaltungsratspräsident war Alfred Baup, Louis Michaud war als Sekretär tätig. Albert Jaccard wurde zum Delegierten des Verwaltungsrats ernannt. Louis Michaud wurde seiner Funktion als Geschäftsführer enthoben.

Jaccard übernahm nun also die effektive Geschäftsführung des Unternehmens, auch wenn er als Delegierter des Verwaltungsrats fungierte. In der Waadtländer Presse wurde er regelmässig als «Direktor» der Manufaktur bezeichnet. Mit seiner Ernennung zum einfachen Verwaltungsrat – diese Funktion übte er bis zu seinem Tod aus – wurde Michaud in den Hintergrund versetzt. Albert Jaccard verlieh dem Unternehmen gewiss neuen Wind. Er hatte hochrangige Positionen in verschiedenen Unternehmen der Region inne, etwa bei der Bahngesellschaft Nyon–Saint-Cergue–Morez, den Bahnunternehmen Gland–Begnins und Rolle–Gimel oder beim Elektrizitätswerk La Côte. Er war auch politisch aktiv: Er amtete als Gemeinderat und als Grossrat (Tribune de Lausanne vom 22. August 1965, 13).

Allgemein lässt sich bei der Betrachtung der Objekte in den Sammlungen ab 1937/38 eine Verbesserung und eine grössere Regelmässigkeit in der Produktion festellen. Das keramische Trägermaterial hatte eine wärmere Farbe, das harte Weiss wich einem elfenbeinartigen Weiss. Die Formen wurden im Allgemeinen besser ausgeführt und waren konstanter. Mit Henri Crétenet und Louis Guex verfügte die Manufaktur eindeutig über zwei gute Techniker, die einen hohen Anspruch an die Arbeitsqualität hatten.

 

Ab 1939/40 wurden mehrere neue Fabrikmarken verwendet, die alle mit Schablonen und in blauer Unterglasurfarbe ausgeführt wurden. Allerdings ist der Bestand an datierten Stücken nicht ausreichend gross, um eine genauere Datierung der verschiedenen Marken durchzuführen. Ausserdem scheinen sich die Verwendungsperioden bestimmter Varianten zu überschneiden. Einige Marken repräsentieren nur die Ortsbezeichnung «NYON» mit einem Grossbuchstaben und kursiven Kleinbuchstaben (MHPN MH-2000-89) – auf Objekten, die von 1942 bis 1945 gefertigt wurden – oder in serifenlosen Grossbuchstaben (MHPN MH-FA-4597) – auf Gegenständen von 1945 bis 1949.

 

Die erste Variante ist vielleicht leicht älter als die zweite, aber das müsste noch geprüft werden.

Eine Variante der ersten Marke setzt sich aus einem stilisierten Fisch und der Ortsbezeichnung zusammen (MHPN MH-2010-55; MHPN MH-FA-10025A). Diese Variante haben wir auf zwei Tellern aus dem Jahr 1942 gefunden. Der stilisierte Fisch wurde am 8. Juli 1939 als Fabrikmarke eingetragen (Schweizerisches Handelsamtsblatt, Bd. 57, 1581).

Dieses Motiv findet sich auch mit einer dritten Variante der Ortsbezeichnung (MHPN MH-2000-172), die wir bisher nur auf einem Objekt festgestellt haben.

 

Der stilisierte Fisch ohne Ortsbezeichnung, jedoch mit dem Vermerk «paint à la main» scheint am weitesten verbreitet zu sein (MHPN MH-2000-45; MHPN MH-FA-4570). Anhand des einzelnen Buchstabens, der unterhalb dieser Markenvariante angebracht wurde, konnte die Dekorateurin zu Kontrollzwecken identifiziert werden. Das «D» beim gezeigten Teller steht für Gabrielle Damond, Malerin in der Manufaktur von 1938 bis 1952 (Ethenoz-Damond 2008, 62).

 

Eine letzte Variante finden wir auf der Rückseite einer Gedenkplatte aus dem Jahr 1950, die sich im Musée du Vieux-Moudon befindet: Auch hier zeigt sich der stilisierte Fisch, jedoch mit dem Zusatz «Manufacture de Poteries fines S. A. Nyon» (MVM M 1936).

Fernand Jaccard, Chemieingenieur, trat 1951 die Nachfolge seines Vaters an (SHAB, Bd. 69, 1951, 992). 1965 produzierte das Unternehmen noch 300 Tonnen Geschirr pro Jahr, d. h. eine Million Stücke, mit Serien, die bis zu 200 000 Einheiten umfassen konnten und die für Grossverteiler bestimmt waren. Die Teilautomatisierung der Produktion hatte es erlaubt, das Personal in 12 Jahren auf 30 Mitarbeitende zu halbieren (Nouvelle Revue de Lausanne vom 25. März 1965, 15). Anfang der 1970er-Jahre bereitete die finanzielle Lage des Unternehmens grosse Sorgen. Seine Produkte waren wegen der grossen Mengen importierter Keramikprodukte nicht mehr konkurrenzfähig, die Löhne und die Rohstoffpreise waren gestiegen.

Im April 1972 verliess Fernand Jaccard Nyon und trat vorübergehend eine Stelle als Dozent an der École des arts et métiers in Vevey an (24 Heures vom 18. April 1972, 19). Im Juni 1972 wurden Josué Rieben, Henri Crétenet und Noëlie Barbey zu Bevollmächtigten mit Kollektivunterschrift zu zweien ernannt (SHAB, Bd. 90, 1972, 1577). Im Februar 1974 war die Manufaktur in Kurzarbeit, «wegen einer unvorhersehbaren Marktentwicklung», obwohl Angestellte ins Ausland abwanderten, insbesondere nach Frankreich. Das Unternehmen zählte noch rund zwanzig Mitarbeitende, rund ein Drittel der Belegschaft war 1973 entlassen worden (24 Heures vom 2./3. Februar 1974, 17 [Beschreibung der Produktionsprozesse] – 24 Heures vom 5. Februar 1974, 19).

Gerüchte über eine Schliessung der Manufaktur hielten sich hartnäckig bis ins Frühjahr 1977, als die Verwaltungsräte des Unternehmens in Maurice Colin, Besitzer einer Töpferei im Wallis, einen letzten Hoffnungsschimmer sahen. Er, der vielleicht das Unternehmen retten könnte, wurde anstelle von Fernand Jaccard am 3. Mai 1977 zum Direktor ernannt. Der belgische Staatsangehörige Colin hatte 1961 gemeinsam mit seiner Frau die Töpferei «Valcera» mit Sitz in Châteauneuf-Conthey gegründet. Er war im Begriff, seine Fabrik im Wallis zu schliessen, und plante, seine Ausrüstung nach Nyon zu verlegen. Denn die Zusammenlegung der Kundenstämme der beiden Unternehmen schien genügend Absatzmöglichkeiten zu bieten. Das Unternehmen «Valcera» wurde im Dezember 1978 aufgelöst (24 Heures vom 5. Mai 1977, 19 – SHAB, Bd. 79, 1961, 2764 – SHAB, Bd. 97, 1979, 420). Der Wechsel an der Spitze der Manufaktur in Nyon wurde im Juni 1977 offiziell eingetragen, Fernand Jaccard wurde im Juli Mitglied des Verwaltungsrats (SHAB, Bd. 95, 1977, 2042). Der neue Mann der Stunde hatte kaum Zeit, eine neue Kollektion zu erschaffen, weshalb er «häufig die Formen und die alten Kupferplatten [die gravierten Platten für die Herstellung der gedruckten Motive] übernahm». Die Aktionäre beschlossen an einer ausserordentlichen Generalversammlung am 4. April 1978 jedoch, die Produktion ab dem Ende des Monats einzustellen. Colin bedauerte «den mangelnden Mut seitens des Verwaltungsrats». Als einflussreiches Verwaltungsratsmitglied stellte Max Thomas fest, dass die finanzielle Lage des Unternehmens stabil war, dass es aber nicht infrage kam, das Kapital aufzuzehren (24 Heures vom 5. April 1978, 19).

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

 Archives communales de Nyon [ACN], Série Bleu A, Registres de la Municipalité – Contrôle des habitants – R 1224, Fonds Josué Rieben – R 810, Fonds Fernand Jaccard

La presse et les annuaires vaudois, consultés sur le site Scriptorium de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne

La Feuille officielle suisse du commerce, consultée sur le site e-periodica.ch

 Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, , 57-60, 380, 414, 418.

Desponds 1999
Liliane Desponds, Terre d’argile et mains agiles. La poterie de Nyon 1860-1978. Collection Archives vivantes. Yens-sur-Morges 1999.

Ethenoz-Damond 2008
Gabrielle Ethenoz-Damond, La Manufacture de poteries fines de Nyon. Souvenirs d’une ouvrière 1938-1952. Nyon 2008.

Maggetti et Serneels 2017
Marino Maggetti et Vincent Serneels, Étude archéométrique des terres blanches poreuses («faïences fines») des manufactures de Carouge, Jussy, Nyon et Turin. Revue des Amis suisses de la céramique 131, 158-222.

Pelichet 1992
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. De surprenants animaux et des vases. Manuscrit inachevé, 1992 (Archives du Château de Nyon).

Schumacher et Quintero 2012
Anne-Claire Schumacher et Ana Quintero (éd.), La manufacture de porcelaine de Langenthal, entre design industriel et vaisselle du dimanche – Die Porzellanmanufaktur Langenthal, zwischen Industriedesign und Sonntagsgeschirr. Milan/Genève 2012.

 

 

Nyon VD, Terribilini, Henri (1898-1982)

Roland Blaettler 2019

Keramik von Henri Terribilini in CERAMICA CH

Der in Montreux geborene Henri Terribilini (1898–1982) wurde im Alter von drei Jahren Waise und folglich mit seiner Schwester und zwei Brüdern von einer Familie in Noville bei Villeneuve aufgenommen. Er besuchte die Schweizerische Keramikschule in Chavannes-Renens (wahrscheinlich 1913/14, da Paul Bonifas sein Klassenkamerad war, wie Familienangehörige dem Museum von Nyon mitteilten) und darauf die von seiner Tutorin Nora Gross (1871–1929) gegründete Schule für dekorative und angewandte Kunst in Lausanne.

In den Jahren 1917 und 1918 dekorierte er flache Schüsseln aus Steingut, deren Marken die Erwähnung «Nyon» tragen (MHPN MH-FA-10010; MHPN MH-1998-140). Im Gegensatz zu gewissen Autoren (Pelichet 1985/2, 36; Desponds 1999, 80) können wir nicht davon ausgehen, dass Terribilini bereits zu diesem Zeitpunkt bei der Manufacture de poteries fines beschäftigt war. Er stand der Manufaktur sicherlich nahe, wahrscheinlich im Gefolge von Nora Gross, die in der gleichen Zeit mit der Manufaktur zusammenarbeitete (siehe das Kapitel «Nora Gross»), aber unserer Meinung nach blieb die Arbeit, die er dort verrichtete, punktuell und rein persönlich. Wie wir dem Kapitel über die Manufaktur entnehmen, pflegte diese, ihre Infrastruktur immer wieder unabhängigen Dekorateuren zur Verfügung zu stellen.

1920 wird er von Georges Vallotton nach Nyon berufen, um ihn in seiner Manufacture de porcelaines décorées als Werkstattmeister zu unterstützen (siehe Kapitel «Georges Vallotton»). Tatsächlich wurde Terribilini erstmals im Mai 1920 im Einwohnerregister von Nyon als Porzellandekorateur eingetragen. Weiter erfahren wir, dass er aus Langenthal kam, wo er in der Porzellanmanufaktur gearbeitet hatte. Nach Angaben der Einwohnerkontrolle reiste Terribilini im Juni 1921 nach Paris. Wahrscheinlich besuchte er zu dieser Zeit, der Familientradition folgend, kunsthistorische Kurse an der École du Louvre.

Im Frühjahr 1922 ernannte ihn der Staatsrat provisorisch zum Fachlehrer für den praktischen Unterricht an der Schweizerischen Keramikschule (Gazette de Lausanne, 4. Mai 1922, S. 2). Im Juni stellt er auf der Exposition nationale d’art appliqué, die vom 6. Mai bis 25. Juni in Lausanne stattfand, zwei Steingutvasen «mit Unterglasurmalerei» aus (Kat. Nr. 222 und 223). Die angegebene Adresse ist Lausanne. Im Indicateur vaudois von 1923 erscheint Terribilini als «Fachlehrer an der Schweizerischen Keramikschule in Renens».

Der einzige bekannte Gegenstand, der mit Terribilinis Tätigkeit an der Keramikschule in Verbindung steht, ist ein kleiner Flacon aus dem Jahr 1923 (MHPN MH-FA-10008). Im Jahr 1924 hielt er sich in Frankreich auf, wo er sein Fachwissen in verschiedenen Keramikfabriken weiter ausbaute, insbesondere in Givors (MHPN MH-FA-10007; MHPN MH-FA-10001; MHPN MH-FA-10003).

Im Jahr 1925 liess sich Henri Terribilini dauerhaft in Nyon nieder, nachdem er von Louis Michaud mit der Leitung der Dekorationswerkstatt der Manufacture de poteries fines beauftragt worden war. Im November desselben Jahres trägt ihn das Einwohnerregister von Nyon zum zweiten Mal ein, diesmal allerdings als «Keramiker».

In der Manufaktur war er wahrscheinlich der Hauptverantwortliche für den Aufschwung des bemalten Dekors in der laufenden Produktion (siehe Kapitel «Manufacture de poteries fines de Nyon S. A.»). Die Vase MHPN  ist vielleicht ein Prototyp des «Cataneo»-Dekors, ein Motiv, das zu einem der wichtigsten Merkmale der Fabrik wurde (siehe z. B. MHPN MH-2003-110; MHPN MH-2003-109; MHPN MH-2015-408; MHPN MH-2003-108).

Ausser der oben gezeigten Vase sind nur wenige von Terribilini signierte Stücke aus der Produktion der Manufaktur bekannt (MHPN MH-FA-10011; MHPN MH-FA-10005). Auch einige unsignierte, innovative Entwürfe können ihm zugeschrieben werden (z. B. MHPN MH-FA 4037; MHPN MH-FA-4039; MHPN MH-FA-4648; MHPN MH-2014-18; MHPN MH-2000-75).

Henri Terribilini verliess die Manufaktur 1928, um sich in der «Villa Saint-Jean» eine eigene Werkstatt einzurichten. Im selben Jahr organisierte er einen «Cours breveté de peinture sur porcelaine par correspondance» (La Revue vom 11. Juli 1928, S. 6, Anzeige), eine Initiative, die gemäss dem Zeugnis eines Familienmitglieds offenbar nur mässigen Erfolg hatte. Im Jahr 1930 zog er in die Villa «La Primevère», rue du Canal 15, wo er bis zu seinem Tod lebte.

Mehr als dreissig Jahre lang widmete sich Terribilini der Malerei auf Porzellan, die weissen Stücke stammten aus deutschen Manufakturen oder aus Langenthal. Am 4. Januar 1930 liess er seine Werkstattmarke eintragen, die aus seinen Initialen, dem Fisch der ehemaligen Porzellanfabrik und dem Schriftzug «Nyon» bestand (SHAB, Bd. 48, S. 349). Die ursprünglichen Fabrikmarken sind in der Regel unter einer goldenen Oberfläche verborgen (MHPN MH-PO-4033; MHPN MH-PO-4036). Die Marke wurde 1950 erneut eingetragen und blieb bis zur Aufgabe des Ateliers in Kraft.

Mit der Zeit verzichtete Terribilini immer mehr auf seine persönlichen Kreationen (MHPN MH-PO-10028; MHPN MH-PO-10029; MHPN MH-PO-10024; MHPN MH-2000-227E), um sich hauptsächlich der Erhaltung der Dekore aus dem Repertoire des Nyoner Porzellans des 18. Jahrhunderts zu widmen (MHPN MH-PO-4036; MHPN MH-PO-4033).

Seinem Beispiel folgten unzählige selbstständige, mehr oder weniger professionelle Dekorateure in der Region Nyon und in der ganzen Schweiz. Keiner dieser Maler erreichte den Ruhm von Henri Terribilini, der 1957 sogar mit der Dekoration des Staats-Service des Waadtländer Staatsrats betraut wurde, einer Serie von 350 Stücken, die für Regierungsempfänge im Schloss Chillon reserviert waren und mit einem «Louis XVI»-Dekor aus «roten Rosen und violetten Schnörkeln» verziert wurden (Nouvelle Revue de Lausanne vom 10. September 1957, S. 5 – Idem, Ausgabe vom 25. März 1965, S. 15).

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen

Schweizerisches Handelsamtsblatt ab 1883 (konsultiert auf der Website e-periodica.ch)

Waadtländer Presse und Jahresbücher, konsultiert auf der Website Scriptorium der Kantons- und Universitätsbibliothek Lausanne.

Bibliographie

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 67-68, 444.

Desponds 1999
Liliane Desponds, Terre d’argile et mains agiles. La poterie de Nyon 1860-1978. Collection Archives vivantes. Yens-sur-Morges 1999.

Pelichet 1985/2
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. Nyon 1985.

Oberwil BL, Töpferei des Johann Jakob Bannier

 

Roland Blaettler und Rudolf Schnyder 2014

Zwei Tintengeschirre im Museum Blumenstein Solothurn (MBS 1933.9) und im Historischen Museum Olten (HMO 8227) sind nach Form, Stil und Technik eindeutig Erzeugnisse aus ein und derselben Werkstatt.

Das Musée d’art et d’histoire von Neuchâtel besitzt ein drittes Stück vom gleichen Typ, mit Datum 1777 und brauner Glasur (MAHN AA 1470).

Die Inschrift auf dem Exemplar vom Museum Blumenstein (MBS 1933.9) – «Jocob Bannir – H I O W» – gibt einen wertvollen Hinweis auf die Herkunft dieser drei Keramiken. Der Jakob Bannier (oder Pannier), der hier genannt wird, ist zweifellos Glied einer Familie aus Oberwil bei Basel. Das Historische Museum Basel besitzt einen Krug mit Datum 1737 und Inschrift «… von Johannes p … gemacht in Oberwill» (Peter-Müller 1978, Abb. 1, HMB 1878.31).

Nachforschungen im Staatsarchiv Baselland haben ergeben, dass zwei Johannes Pannier (Bannier) in Oberwil lebten in den Jahren, die uns interessieren. Unklar ist aber, welcher von beiden Töpfer war. Sie waren Cousins. Der eine lebte von 1683 bis 1751, der andere von 1693 bis 1785. Der erste hatte einen Sohn mit Namen Johann Jakob (1712–1769), dem 1736 selbst auch ein Sohn mit dem gleichen Vornamen geboren wurde.

Da das Tintengeschirr von Neuchâtel erst nach dem Tod des Vaters entstanden ist, kann man wohl annehmen, dass die drei Keramiken das Werk des Johann Jakob Junior sind. Das ältere Stück hätte er also mit achtzehn Jahren hergestellt, was durchaus möglich ist.

Bibliographie

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz (1500-1950) 2). Sulgen 2014, 48.

Blaettler/Ducret/Schnyder 2013
Roland Blaettler/Peter Ducret/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH: Neuchâtel (Inventaire national de la céramique dans les collections publiques suisses (1500-1950) 1). Sulgen 2013, 62.

Peter-Müller 1978
Irmgard Peter-Müller, Geschirr des 18. Jahrhunderts im Kirschgarten aus Basler Besitz. Basel 1978.

Olten SO, Hafnerei des Franz von Arx (1794–1851)

Keramik der Hafnerei Franz von Arx in CERAMICA CH

Roland Blaettler 2019

Franz Josef von Arx-Büttiker (1794–1851) war in Olten als Hafner tätig, wo er scheinbar die Werkstatt seines Onkels, des Ofenhafners Franz von Arx-Hofmann (1759–1851) weiterführte (Fischer 1989). Fest steht, dass er 1847 an der Solothurner Gewerbeausstellung mit zwei «Hängevasen» teilnahm, im folgenden Jahr war er an der Zweiten, Allgemeinen Schweizerischen Gewerbe- und Industrieausstellung in Bern mit «Hängelampen für Blumen in sechs verschiedenen Grössen» vertreten (Kat. Solothurn 1847; Frei 1951, 4 und 6; Messerli Bolliger 1991, 14).

 Von seinen Hängevasen oder Blumenampeln haben sich zwei Exemplare im Historischen Museum in Olten erhalten (HMO 8777 und HMO 8778).

Bibliographie

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2014,50

Fischer 1989
Fischer, Martin Eduard, «Hafner und Hafnerhandwerk in Olten», in: Jurablätter. Monatszeit­schrift für Heimat- und Volkskunde, 51. Jg., 1989, 189–196.

Frei 1951
Karl Frei, Die Keramik an den schweizerischen Industrie- und Gewerbeausstellungen in Bern 1848 und 1857, Teil I, in: Freunde der Schweizer Keramik, Mitteilungsblatt 20, 1951, 4–7.

Kat. Solothurn 1847
Katalog zur Gewerbe-Ausstellung in Solothurn, eröffnet vom 9. bis zum 25. Mai 1847, Solothurn 1847.

Messerli Bolliger 1991
Barbara E. Messerli Bolliger, Der dekorative Entwurf in der Schweizer Keramik im 19. Jahrhundert, zwei Beispiele: Das Töpfereigebiet Heimberg-Steffisburg-Thun und die Tonwarenfabrik Ziegler in Schaffhausen, in: Keramik-Freunde der Schweiz, Mitteilungsblatt 106, 1991, 5–100.

Passau, Dressel, Kister und Cie (1853–1942) – Porzellanfiguren

Deutschland, Bayern, Passau, Manufaktur Dressel, Kister und Cie, um 1906-1936, aus der Folge der Türkenkapelle der Höchster Porzellanmanufaktur, nach Modellen von Johann Peter Melchior, um 1779.

Betrifft auch: Höchst, Porzellanmanufaktur (1746–1796), Aschaffenburg, Damm, Steingutfabrik (1827–1884)

Roland Blaettler, Andreas Heege 2019

Die Höchster Porzellanmanufaktur (Hessen) ist bekannt für die Vielfalt ihrer Figuren, die während der 50jährigen Produktionszeit von zahlreichen Modelleuren geschaffen wurden. Diese orientierten sich oft an Meissener Vorbildern, die sie nachahmten oder variierten. Nach grafischen Vorlagen wurden aber auch eigene Modelle entworfen (Stahl 1994, 185-314).  Sie konnten sowohl als Biscuit ausgeführt sein, als auch unbemalt bleiben oder farbig staffiert verkauft werden.

Nachdem die Porzellanmanufaktur in Höchst 1796 geschlossen worden war, wurde die Fabrik samt Inventar am 26. August 1798 versteigert. 1840 erwarb Daniel Ernst Müller die alten Figurenmodelle für die von ihm 1827 gegründete Steingutfabrik in Aschaffenburg, Damm (Bayern). Mit ihrer Hilfe wurden neue Arbeitsformen aus Gips geschaffen und gebrannte Tonmodelle zur Formensicherung hergestellt. Bis 1884 entstanden so zum Teil retuschierte Steingutfiguren, vereinzelt auch Porzellanausformungen der beliebten Höchster Figuren (Stenger 1949; Schad 1991; Zoike 1986; Stahl 1994, 297-302).

1886–1887 gelangten die Formen in den Besitz der 1755 gegründeten Steingutfabrik Franz  Anton Mehlem in Poppelsdor bei Bonn. Die alten Formen wurden restauriert und neue Steingutfiguren ausgeformt,  die  jedoch nicht in den Verkauf gelangten (Stahl 1994,  302). 1903 wurden etwa 350 Modelle von der Porzellanfabrik Dressel, Kister und Cie in Passau (1853-1919) erworben. Dort wurden sie erneut retuschiert und vermutlich bis 1919 als Porzellanfiguren ausgeformt. Sei es in Aschaffenburg, Damm oder in Passau, die neuen Ausformungen wurden fast systematisch mit der Höchster Radmarke versehen, manchmal in Zusammenhang mit dem Buchstaben «D» (HMO 8661), manchmal mit einem Bischofsstab (Passau, Reber 1988, 192–200; Werhahn 2002). 1919 wurde die Firma verkauft und firmierte bis zum Konkurs im Jahr 1936 unter “Aelteste Volkstedter Porzellanfabrik AG, Zweigniederlassung Passau”. 1927 bestellte die Stadt Höchst noch vor ihrer Eingemeindung nach Frankfurt dort einen kompletten, neu ausgeformten Satz von allen erhaltenen Höchster Modellen. Die rund 350 „Alt-Höchster Reproduktionen” sind bis heute in den festlich ausgestatteten Zimmern des Bolongaropalastes in Frankfurt-Höchst ausgestellt und werden vom Historischen Museum Frankfurt wissenschaftlich betreut.

Von 1937 bis 1942 wurde die Produktion als “Porzellanfabrik Passau” fortgesetzt, bevor der Betrieb  am Ende des Zweiten Weltkrieges zerstört und geplündert wurde.  “Alt-Höchster Reproduktionen” wurden mit den vorhandenen Modeln letztlich wohl bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in der Passauer Porzellanmanufaktur  hergestellt.

Ein Teil der Formen kam in das Oberhausmuseum in Passau und wurde bei dessen Auflösung an einen Privatmann verkauft, der sie an die Porzellanmanufaktur Frankenthal weiterverkaufte. Nach deren Stilllegung um 1950 verlieren sich die Spuren der Formen (Stahl 1994, 302).

Bibliographie

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950). Sulgen 2014, 382.

Reber 1988
Horst Reber, Höchster Porzellan aus drei Jahrhunderten. Ausstellung zu Aspekten der Kunst-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Hohenberg an der Eger 1988.

Schad 1991
Brigitte Schad, Die figürlichen Erzeugnisse der Steingutfabrik Damm 1840-1884. Aschaffenburg 1991.

Stahl 1994
Patricia Stahl, Höchster Porzellan 1746-1796. Katalog zur Ausstellung Höchster Porzellan 1994, Frankfurt 1994.

Stenger 1949
Erich Stenger, Die Steingutfabrik Damm bei Aschaffenburg 1827-1884. Aschaffenburg 1949.

Werhahn 2002
Maria Christiane Werhahn, Die Porzellanfiguren der Passauer Manufaktur aus den Höchster Originalformen. Ein Beitrag zur Geschichte des Porzellans im 19. und 20. Jahrhundert. Neuss 2002.

Zoike 1986
Birgit Zoike, Die figürlichen Erzeugnisse der Steingutfabrik Damm nach Formen der kurmainzischen Porzellanmanufaktur in Höchst am Main (Höchster Geschichtshefte 44). Frankfurt 1986.

 

 

Reber, Burkhard (1848–1926), Genfer Apotheker und Sammler (Sammlung Unil)

Roland Blaettler 2019

1922 erwarb die Universität Lausanne die Sammlung, die der Genfer Apotheker Burkhard Reber seit den späten 1860er-Jahren zusammengetragen hatte. Es handelt sich dabei um eine bemerkenswerte Sammlung von Objekten und Dokumenten zur Geschichte der Pharmazie und Medizin. Die Gruppe der Apothekengefässe aus Keramik, die mehr als 450 Exemplare umfasst und zu den grössten dieser Art in der Schweiz gehört, ist zweifellos einer der Höhepunkte der Sammlung Reber. Sie ist heute in den Magazinen des Musée du Château de Nyon (Musée historique et des porcelaines) untergebracht.

Burkhard Reber (1848–1926) wurde in Benzenschwil (AG) in einer bescheidenen Bauernfamilie geboren. Schon in jungen Jahren interessierte er sich aufgrund seines wachen Geistes und seiner Neugier für Naturwissenschaften, sammelte Fossilien und legte einen kleinen botanischen Garten an. Trotz aller Opfer, die dies mit sich brachte, meldeten seine Eltern ihn in der Sekundarschule in Muri an, wo er einen der Gründer des Schweizer Alpenvereins, den Chemiker Theodor Simmler, kennen lernte, der sein erster Mentor werden sollte. Nach und nach weiteten sich seine Interessen auf Archäologie und Geschichte aus. Im Jahr 1886 entdeckte der junge Burkhard die Überreste einer römischen Villa in der Nähe von Muri, die später von den zuständigen Stellen ordnungsgemäss erforscht wurden. Trotz der Ratschläge seiner Lehrer, die ihn zu einer Karriere als Lehrer drängten, entschied sich der junge Mann, der sich unwiderstehlich von den Naturwissenschaften angezogen fühlte, Apotheker zu werden.

So begann er 1868 eine Lehre in einer Apotheke in Weinfelden, seine Freizeit widmete er der Botanik. Bei seinen aufmerksamen Streifzügen durch die umliegende Region entdeckte er in den Mooren von Heimenlachen (TG) die Überreste einer prähistorischen Siedlung. Dieser Fund brachte ihn in Kontakt mit dem berühmten Zürcher Prähistoriker Ferdinand Keller (1800–1881), mit dem er bis zu seinem Lebensende korrespondierte, und zudem lieferte ihm seine Entdeckung Ausgangsmaterial für seine ersten Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Archäologie. Von 1872 bis 1874 hielt sich Reber in Neuchâtel auf, wo er seine propädeutischen Prüfungen ablegte. Nach einem ersten Semester an der Universität Straßburg setzte er sein Studium an der Universität Zürich fort, wo er 1877 das Apothekerdiplom erwarb.

1879 ernannte die Verwaltung des Genfer Kantonsspitals Burkhard Reber zum Leiter der Apotheke, die sie gerade innerhalb des Unternehmens geschaffen hatte. Die bescheidene Entlöhnung, die er bei seinem Dienstantritt erhielt, sollte durch das Versprechen ausgeglichen werden, dass er nach einem Jahr Probezeit befördert würde, sofern der neue Chefapotheker in der Lage sein würde, beim Einkauf von Medikamenten erhebliche Einsparungen zu erzielen. Es wurde ihm sogar eine Stelle an der Universität in Aussicht gestellt. Trotz greifbarer Einsparungen im ersten Jahr seiner Tätigkeit sollten all diese Versprechungen ins Leere laufen. Reber hatte die Kosten gesenkt, indem er einige Präparate selbst herstellte und vor allem zentral einkaufte. Damit schaffte er das alte System der Medikamentenbeschaffung durch Ausschreibungen ab, sehr zum Missfallen der örtlichen Vermittler, Klinikchefs und Apotheker, die davon profitiert hatten und die bald alle möglichen Widerstände gegen seine innovativen Initiativen hervorriefen. So geschehen auch mit seinem Projekt zur Schaffung einer Staatsapotheke für alle Krankenhäuser, das er dem Grossen Rat vorlegte und das für immer in den Schubladen der Staatskanzlei versanden sollte. 1885 machte sich Reber, der von seiner anstrengenden und frustrierenden Tätigkeit erschöpft war, selbstständig und eröffnete eine Apotheke am Boulevard James-Fazy. Obwohl er nun sein eigenes Firmenschild besass, legte er weiterhin Wert auf den wissenschaftlichen Aspekt seines Berufs und nicht auf die kommerzielle Komponente: In seiner Apotheke war kein einziges Werbeplakat zu sehen. Er widmete sich der Forschung und der Veröffentlichung von Publikationen im Bereich der Pharmazie. Gleichzeitig leitete er die internationale Zeitschrift für Pharmazie und Therapie, Le Progrès – Der Fortschritt, die er mitbegründet hatte.

Aufgrund der Empfehlungen des Vierten Internationalen Kongresses für Hygiene und Demografie, der 1882 in Genf stattfand, war Reber massgeblich an der Gründung der Genfer Gesellschaft für Feuerbestattung beteiligt sowie an der Förderung der Einäscherung auf nationaler und internationaler Ebene. Im Jahr 1889 erkrankte er an einer akuten Form der Influenza, die zu schweren Herzkomplikationen führte. Reber musste sich dazu entschliessen, seinen Posten als Redakteur aufzugeben, vier Jahre später gab er auch seine Apotheke auf.

Da ihm seine Ärzte zu längeren Aufenthalten in höheren Lagen rieten, nutzte er die Gelegenheit zu Studienexkursionen im Wallis, wo er weitere archäologische Entdeckungen machte. Nach seiner Ankunft in Genf im Jahr 1879 hatte Reber seine ursprüngliche Neugier für die Frühgeschichte weiter gepflegt und die Region Genf, aber auch das Wallis, die Waadt, Savoyen und den französischen Jura erkundet.

Die wohl markantesten und nachhaltigsten Spuren hinterliess Burkhard Reber auf dem Gebiet der Pharmaziegeschichte, einer Disziplin, die gerade gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufkam. Die umfassendste Bibliografie seiner Schriften in den verschiedensten Bereichen findet sich in dem Buch, das Peter Jaroschinsky 1988 über ihn verfasste.

Entsprechend seiner schon als Kind entwickelten Sammelleidenschaft führte sein Interesse an der Geschichte der Pharmazie und Medizin – nach eigenen Angaben ab 1868 (Reber 1905/1, 130) – zu einer Anhäufung alter Gegenstände und Dokumente aus der Pharmazie, aber auch aus den Bereichen Medizin, Physik, Chemie, Botanik und Zoologie. Von seinen Kollegen oft belächelt oder zumindest missverstanden, wird sein leidenschaftliches Engagement als Sammler als das Werk eines Pioniers der Pharmaziegeschichte in die Annalen eingehen.

1893, im selben Jahr in dem er seine Apotheke aufgeben musste, feierte Reber das 25-Jahr-Jubiläum seines Abschlusses in Pharmazie. Zahlreiche Kollegen aus dem In- und Ausland versammelten sich, um ihm eine eigens für diesen Anlass geprägte Gedenkmedaille und ein Glückwunschalbum zu überreichen. Gerührt von dieser Anerkennung entschloss sich der Jubilar, seine Sammlungen mit der Öffentlichkeit zu teilen. Die «Exposition historique de médecine et de pharmacie» wurde vom 26. Dezember 1893 bis zum 9. März 1894 im Musée des arts décoratifs in Genf gezeigt (Reber 1905/1, 133). Die Gazette de Lausanne (26. Dezember 1893, S. 2) präzisierte in ihrem Bericht über die Veranstaltung, dass sie in den Räumlichkeiten der École d’horlogerie stattgefunden hätte und auf die Initiative der Société des arts et métiers zurückzuführen sei. Mit rund 420 Objekten bildete die Abteilung der Apothekengefässe aus Fayence und Porzellan das für den Besucher beeindruckendste Ensemble, wie einige in den Ausstellungsräumen aufgenommene Fotografien zeigen (Reber 1909/1, Abb. nach S. 4, Abb. nach S. 8 – Heger 1908). Die Präsentation umfasste auch 194 Glasflaschen, 37 Mörser, 140 Laborinstrumente aus verschiedenen Materialien, Reise- und Hausapotheken, 800 Exemplare antiker Drogen, mehr als 500 Stiche, zahlreiche Manuskripte und eine reiche Bibliothek mit 800 Bänden aus allen Epochen (Reber 1909/1, 11 und 12).

Wie das Echo in über 50 Zeitungen und Fachzeitschriften der damaligen Zeit im In- und Ausland belegt, waren die von Reber gesammelten Dokumente ein bemerkenswertes Ensemble und eine Pionierleistung für die aufkommende Pharmaziegeschichte (erst 1883 hatte beispielsweise die Direktion des Germanischen Museums in Nürnberg den Grundstein für eine neue Abteilung für Pharmaziegeschichte gelegt). Eine besondere Ehre für Reber war der Besuch seines ehemaligen Lehrers, des Schweizers Friedrich August Flückiger (1828–1894), Professor für Pharmazie an der Universität Straßburg, der trotz seines hohen Alters aus Genf angereist war. Flückiger lieferte einen ausführlichen und lobenden Bericht über die Ausstellung in der Berliner Apotheker-Zeitung, in dem er sich vor allem für die alten Bücher, Manuskripte und andere Bilddokumente interessierte, die der Sammler zusammengetragen hatte. Der Artikel endet mit einer nachdrücklichen und dankbaren Würdigung von Rebers selbstlosem Einsatz für die Förderung der Geschichte der Pharmazie. Der bedeutende Gelehrte äusserte auch den Wunsch, dass die Sammlung eines Tages von den Genfer Behörden übernommen werden möge, um ihren Fortbestand zu sichern (Flückiger 1894, Ausschnitt zitiert in Reber 1905/1, 131).

Einige Objekte aus Rebers Sammlung waren 1896 in den Vitrinen der Schweizerischen Landesausstellung in Genf zu sehen. Eine Auswahl von etwa 120 Stücken wurde 1898 in Düsseldorf im dortigen Kunstgewerbemuseum gezeigt unter dem Titel «Historische Ausstellung. Naturwissenschaft und Medizin». Die Ausstellung wurde im Rahmen der 70. Zusammenkunft der Deutschen Gesellschaft für Naturforscher und Ärzte organisiert (Jaroschinsky 1988, 204–208: Abdruck eines Auszugs aus dem Katalog; die Leihgaben Rebers – fast ausschliesslich Keramikgefässe – tragen die Nummern 844–965). Kurz darauf traten die Organisatoren des Ersten Russischen Medizinkongresses, der 1901 in Moskau stattfinden sollte, an Reber heran, in der Hoffnung, seine Sammlung bei dieser Gelegenheit ausstellen zu können. Der Sammler lehnte die Einladung ab, schickte jedoch ein Album mit grossformatigen Fotografien, die einen Teil seiner Schätze zeigten.

Das Schicksal der Sammlung

Wie man sieht, war die Sammlung nun über die Landesgrenzen hinaus bekannt, und Rebers Position in der Republik wurde weiter gestärkt. Nach seiner Mitgliedschaft im Genfer Stadtrat wurde er 1904–1907 als Abgeordneter in den Grossen Rat gewählt. 1908 wurde er zum Konservator des kantonalen epigraphischen Museums ernannt und 1913 berief ihn die Universität zum Privatdozenten für Archäologie.

Die Genfer Behörden hingegen scheinen sich nicht um das Schicksal seiner Sammlung gekümmert zu haben, sodass Reber, der mit einer zunehmend ungemütlichen finanziellen Situation konfrontiert war, bald in Erwägung zog, sie zum Verkauf anzubieten. Paul Röthlisberger identifizierte in den Akten der Nationalbibliothek einen Verkaufskatalog, der 1907 vom berühmten Zürcher Antiquitätenhändler Heinrich Messikommer herausgegeben worden war, doch das Dokument selbst blieb unauffindbar. In den Archiven des Musée Ariana fanden wir eine Fotokopie der vier einleitenden Seiten des Katalogs, der laut Inventarkarte der Nationalbibliothek offenbar 55 Seiten umfasste. Das Heft mit dem Titel «Katalog hervorragender Sammlungsstücke. Sammlung von Glasgemälden des 13. bis 15. Jahrhunderts, Öfen, Möbel, etc. Das B. Reber’sche Medizin-pharmaceutische Museum in Genf. Auktion Zunfthaus zur Meise durch H. Messikommer» beginnt mit einer Bekanntmachung, dass sich eine Reihe von Objekten aufgrund ihrer Grösse oder weil sie sich noch im Haus des Verkäufers befanden, nicht für einen öffentlichen Verkauf eigneten, Messikommer aber ordnungsgemäss berechtigt war, sie in die Transaktionen aufzunehmen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Verkauf nie stattgefunden hat. Tatsächlich zeigt eine der Abbildungen auf den Einleitungsseiten eine Auswahl von sieben italienischen Fayencetöpfen, die wir alle in der aktuellen Sammlung wiedergefunden haben (Unil MH-RE-43, Unil MH-RE-44, Unil MH-RE-154, Unil MH-RE-155, Unil MH-RE-156, Unil MH-RE-157 und Unil MH-RE-188).

In den folgenden Jahren unternahm Reber offenbar mehrere Versuche, seine Sammlung unterzubringen. 1913, am Tag ihrer Gründung, beschloss die Société française d’histoire de la pharmacie, eine Subskription für einen möglichen Erwerb der Genfer Sammlung zugunsten des Musée historique de l’École supérieure de pharmacie in Paris zu starten (Bulletin de la Société d’histoire de la pharmacie 3, 1913, 47 – Ibidem, 173–174, 1962, S. 285). Die Subskription war kein grosser Erfolg und das Projekt wurde mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs endgültig aufgegeben. Im Frühjahr 1914 veröffentlichte Reber einen Leserbrief im Journal de Genève unter dem Titel «Collection médico-pharmaceutique» (Ausgabe vom 10. März, S. 4): «In der letzten Zeit haben sich die Zeitungen sehr mit meiner Sammlung beschäftigt […] Herr Dr. Louis Reutter, Privatdozent an unserer Universität, hat freundlicherweise die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema geweckt. Seine Bemühungen zielen darauf ab, diese 1868 begonnene Sammlung in unseren akademischen Einrichtungen und Museen zu konservieren. Ähnliche Versuche wurden 1893 unternommen, als ich im Musée des arts décoratifs eine öffentliche Ausstellung organisierte, die mehrere Monate dauerte […]» – Es folgen Auszüge aus lobenden Beurteilungen von Genfer Persönlichkeiten und von Professor Flückiger – «Der Wunsch, die Sammlung zu erhalten, hat sich bis heute nicht erfüllt. Auch ich hätte es vorgezogen, wenn diese Sammlung in Genf geblieben wäre. Aber da man heute Schritte unternimmt, um sie in der Schweiz zu erhalten, schliesse ich mich dem mit Genugtuung an. Dass sie doch in der Schweiz bleibt, war mein ständiger Gedanke». Wir wissen noch nichts über die Schritte, auf die Reber anspielt. Laut einem Artikel, den Anne-Françoise Hebeisen anlässlich der Eröffnung des Reber-Saals im Schloss Nyon im Mai 1987 veröffentlichte, hatte der Sammler eine Zeit lang gehofft, seine Sammlung für 100.000 Franken an das Schweizerische Nationalmuseum zu verkaufen, ein Betrag, der für die Züricher Institution offenbar zu hoch war (Gazette de Lausanne vom 8. Mai 1987, S. 19). Die Journalistin gibt nicht an, wann diese Gespräche stattgefunden haben.

Das Schicksal der Sammlung wurde erst 1922 festgelegt, als die Universität Lausanne beschloss, sie mit Unterstützung der Société vaudoise de pharmacie und dank der Bemühungen von Dr. Ernest Wilczek, dem Direktor der École de pharmacie, zu erwerben (Gazette de Lausanne vom 15. Oktober 1922, S. 4). Der Erwerb erfolgte im Rahmen der für das folgende Jahr geplanten Feierlichkeiten zum zweifachen 50-jährigen Bestehen der École de pharmacie und der Société vaudoise de pharmacie. Am 16. Juli 1923 begannen die Feierlichkeiten tatsächlich mit einem Besuch der Sammlung Reber, die nunmehr Eigentum der Universität war und in den Räumlichkeiten des Laboratoriums für Botanik im Palais de Rumine untergebracht war (Feuille d’avis de Lausanne vom 17. Juli 1923, S. 14 und 15 – La Revue vom selben Tag, S. 1). Die Gegenleistung, die der Sammler erhielt, bestand aus einer einmaligen Zahlung von 15.000 Franken und einer jährlichen Lebensrente von 5.500 Franken, die ihm ein von materiellen Sorgen befreites Alter sichern sollte (Jaroschinsky 1988, 50). Burkhard Reber konnte diesen neuen finanziellen Komfort nicht lange geniessen, er verstarb am 9. Juni 1926.

So verschwand eine schillernde Figur, ein neugieriger und vielseitiger Geist, ein integrer und um das Gemeinwohl bemühter Mann des Fortschritts und ein mehr oder weniger strenger Wissenschaftler (vor allem in seinen Arbeiten zur Archäologie)… wie der Verfasser des Nachrufs im Journal de Genève vom 11. Juni 1926 (S. 6) betonte: «Zu vielen seiner Arbeiten haben die Gelehrten zweifellos einige Vorbehalte. Vielleicht fehlte es Reber ein wenig an Methode und kritischem Denken. Nichtsdestotrotz hat er sich in der Geschichtswissenschaft verdient gemacht und wird die Erinnerung an einen ausgezeichneten Mann, einen unermüdlichen Schaffer mit enzyklopädischem Geist, der neugierig auf alle Dinge war, einen Gelehrten, der originell und witzig in seinen Äusserungen, hilfsbereit und der öffentlichen Sache verpflichtet war, hinterlassen».

Relativ schnell stellte die Sammlung im Palais de Rumine ein Platzproblem dar. 1932 wurde die Vereinigung Alt-Lausanne aufgefordert, über die Neugestaltung ihres Museums im Rahmen eines Projekts zur Vergrösserung und Modernisierung der Institution auf dem Gelände der Gefängnisse des alten Bistums nachzudenken. Die Wünsche des Vereins umfassten einen etwa 100 Quadratmeter grossen Raum, der der Heilkunde und Pharmazie in Lausanne gewidmet sein sollte und in dem insbesondere die Sammlung Reber, die sich im Besitz der Universität befand, untergebracht werden sollte (Gazette de Lausanne vom 25. Mai 1932, S. 4). Diese Idee wurde nie verwirklicht und die Sammlung blieb bis 1937 im Palais de Rumine ausgestellt, bevor sie in Depots eingelagert wurde und für ein Vierteljahrhundert in Vergessenheit geriet.

Um die Jahreswende 1962 trat die École de pharmacie an Edgar Pelichet heran, den Konservator des archäologischen und historischen Museums von Nyon, in der Hoffnung, in seiner Institution, die nun als das Waadtländer Keramikmuseum wahrgenommen wurde, einen Heimathafen und einen Ausstellungsort für die Sammlung zu finden. In einem Brief an die Stadtverwaltung von Nyon vom 12. Januar 1962 erklärte Pelichet, dass der Schritt der Universität unter anderem durch «Proteste von Personen, die diese Sammlung kennen» motiviert sei und dass die Sammlung «als einzigartig in Europa gelte». Die wichtige Sammlung würde dem Museum, ohne Kosten für die Stadt, eine zusätzliche Attraktivität verleihen; aus diesem Grund schlug er der Stadtregierung vor, einer Hinterlegung auf unbestimmte Zeit zuzustimmen (Gemeindearchiv der Stadt Nyon, Inv. R.693). Die Sammlung wurde in den folgenden Monaten nach Nyon gebracht, und Pelichet, unterstützt von einem Komitee unter dem Vorsitz von Dr. Joris, einem Zahnarzt in Nyon und Liebhaber der Medizingeschichte, beeilte sich, sie im Rahmen der Ausstellung «Alchimistes, apothicaires et médecins d’autrefois», die vom 16. Juni bis 16. September 1962 im Schloss von Nyon gezeigt wurde, zur Geltung zu bringen (Journal de Genève vom 31. Juli 1962, S. 9; Tribune de Lausanne vom 18. Juni 1962, S. 9). Neben einigen Leihgaben von Privatpersonen wurden vor allem Objekte aus den Beständen des Medizinhistorischen Museums Zürich und der Sammlung Reber gezeigt, darunter eine Auswahl von 169 Keramikgefässen. Die Beschreibungen, Zuordnungen und Datierungen der Keramik sind oft aus der Luft gegriffen (Nyon 1962)!

Laut Lydia Mez, die von 1970 bis 1980 Kuratorin des Pharmazie-Historischen Museums in Basel war, hatte Pelichet Mitte der 1970er-Jahre den Traum, auf der Grundlage der Sammlung Reber ein Westschweizer Apothekenmuseum zu gründen. Er soll sich an einen Schweizer Pharmakonzern gewandt haben, um die Finanzierung des Projekts zu sichern, doch das Projekt geriet schliesslich ins Stocken (Mez 1985, 92). Als 1979 in der Schweiz – in Basel und Lausanne – der Internationale Kongress zur Geschichte der Pharmazie stattfand, bot sich Pelichet eine weitere Gelegenheit, die Sammlung wieder in Erinnerung zu rufen, indem er ihr eine zweite Sonderausstellung widmete, die in vier Räumen des Schlosses untergebracht war und die die Kongressteilnehmer am 19. Juni besuchten (Bericht über den Kongress von Pierre Julien, in: Revue d’histoire de la pharmacie, XXVI, 242, 1979, 191–196, mit zwei Fototafeln, die verschiedene Vitrinen der Ausstellung abbildeten). Die Ausstellung war natürlich von Mai bis Ende August für die breite Öffentlichkeit zugänglich (24 Heures vom 25. Mai 1979, S. 21).

Nach der Ausstellung kehrte die Sammlung in die Lagerräume zurück, geriet aber nicht in Vergessenheit. Die Behörden von Nyon, die sich nun ihrer Bedeutung als Kulturerbe bewusst waren, beschlossen, die Sammlung zu untersuchen und zu inventarisieren. Mit dieser Aufgabe wurde 1981 eine der besten Expertinnen des Landes, Lydia Mez, betraut, die kurz zuvor ihre Stelle am Museum in Basel aufgegeben hatte. Die Idee eines «permanenten Museums zur Geschichte der Pharmazie», das in den Mauern des Schlosses untergebracht werden sollte, tauchte wieder auf (Nouvelle Revue de Lausanne vom 19. Dezember 1986, S. 9). Das ehrgeizige Projekt führte schliesslich zur Einrichtung eines Saals für die Reber-Sammlung, in dem vor allem die schönsten Exemplare von Apothekengefässen aus Keramik in einem eigens dafür restaurierten Möbel gezeigt werden sollten. Der Reber-Saal wurde im Mai 1987 eingeweiht (24 Heures vom 8. und 9. Mai 1987, S. 24 – Jaroschinsky 1988 veröffentlicht drei Ansichten der neuen Einrichtung: Abb. 19–21) und 1999 wieder abgebaut, als das Schloss für die Öffentlichkeit geschlossen wurde, um Platz für die Renovierungsarbeiten zu schaffen, die bis 2006 dauern sollten. Da das neu ausgerichtete Konzept des Museums es leider nicht erlaubte, die Sammlung zu integrieren, befindet sich die Sammlung Reber seither in den Lagerräumen und die Objekte, aus denen sie sich zusammensetzt, werden nur gelegentlich und sehr unvollständig gezeigt. Im Jahr 2013 beispielsweise stellte der Konservator des Schlosses, Vincent Lieber, einen der Schwerpunkte der Reber-Sammlung vor: die sizilianischen Fayencen. Unter dem Titel «Ein sizilianischer Sommer. Alte Majoliken und zeitgenössische Kunst» inszenierte er eine visuelle Welt, in der sich Apothekengefässe aus dem 17. und 18. Jahrhundert, sizilianische und neapolitanische Fliesen aus dem 16. und 19. Jahrhundert aus einer Privatsammlung und Eindrücke aus dem heutigen Sizilien durch die Werke von sechs zeitgenössischen bildenden Künstlern aufeinandertrafen (Lieber und Ryf 2013).

Die Keramik in der Sammlung Reber

Burkhard Reber hat uns keinen Katalog seiner Sammlung hinterlassen, aber er veröffentlichte ausgewählte Stücke in einer Reihe von illustrierten Artikeln, die 1905/06 in der in Genf herausgegebenen Zeitschrift Journal des collectionneurs erschienen, insbesondere im Bereich der Keramik (Reber 1905/2 und /3; Reber 1906/1 bis /3). 1909 fasste er diese Artikel, ergänzt durch einige unveröffentlichte Texte, in einem Heft mit dem Titel «Betrachtungen über meine Antiquitätensammlung aus der Sicht der Geschichte der Medizin, Pharmazie und Naturwissenschaften» (Reber 1909/1) zusammen, während die Wiener Pharmazeutische Post eine komprimierte deutsche Version der gleichen Artikel (Reber 1909/2, 1910/1) sowie einen unveröffentlichten Beitrag über österreichisch-ungarische und spanische Apothekengefässe (Reber 1910/2) veröffentlichte. Im Jahr 1920 erschienen in einer anderen Genfer Zeitschrift, Pages d’art, noch zwei grosszügig illustrierte Artikel, die sich vorwiegend Rebers italienischen Majoliken widmeten (Reber 1920/1 und /2).

Im Allgemeinen und gemessen an unserem heutigen Wissen sind die Zuordnungen und Datierungen, die der Sammler zu seinen Keramiken vornimmt, oft falsch. Reber trifft hier keine Schuld: Seine Kommentare spiegeln lediglich den Stand der Dinge zu seiner Zeit wider, einen Stand, dessen Lückenhaftigkeit er als erster bedauerte: «In der Tat gibt es in der Kunstgeschichte keinen schwierigeren Teil als den der Keramik im Allgemeinen und für viele Länder im Besonderen, vor allem für das Mittelalter und die Antike. Selbst für die relativ moderne Periode fehlen oft exakte Studien oder auch nur einfache Hinweise» (Reber 1905/2, 165). Wenn man seine Veröffentlichungen von 1905/06, 1909 und 1920 vergleicht, sieht man übrigens, dass sich seine Beurteilung ein und desselben Objekts ändern konnte, dass der Sammler sich über die Entwicklung des Wissens offenbar auf dem Laufenden hielt, und das in manchmal sehr speziellen Bereichen.

Rebers Kommentare sind in der Regel äusserst knapp gehalten. Wir wissen praktisch nichts über die Herkunft der Stücke und darüber, wie er sie erworben hat. Die wenigen Ausnahmen betrafen Objekte aus alten Apotheken in der Schweiz und Objekte mit einem Sammlerzeichen, in diesem Fall das des bekannten Budapester Keramikliebhabers und Sammlers Imre Pekár (siehe unten).

Unter die erste Kategorie fallen die Winterthurer Fayencetöpfe aus dem späten 17. Jahrhundert, die zu den wertvollsten Exemplaren der Sammlung zählen. Die drei Apothekengefässe, sehr wahrscheinlich hergestellt in der Werkstatt von David Pfau II (Unil MH-RE-354, Unil MH-RE-355, Unil MH-RE-356), stammen aus einer alten Apotheke in Payerne. Reber war in diesem speziellen Fall relativ gut informiert, da er angibt, dass ein Teil des Mobiliars dieser Apotheke um 1850 auf dem lokalen Markt durch eine Altwarenhändlerin zu Spottpreisen verkauft worden sei. Ein Genfer Antiquitätenhändler habe einen Teil davon aufgekauft, um sie unter anderem an Reber, an das Musée Ariana und das Musée de Genève zu verkaufen (Reber 1906/2, 235). Was die beiden Deckeltöpfe anbetrifft, für die bis heute weder in öffentlichen Sammlungen noch in der Literatur Entsprechungen bekannt sind (Unil MH-RE-351 und Unil MH-RE-352), so sollen sie aus einer alten Apotheke in Moudon stammen.

Neben diesen leicht identifizierbaren Exemplaren enthält die Sammlung mehrere Beispiele aus alten Apotheken des Landes, für die Reber eine Schweizer Herkunft vorschlug. Diese Zuschreibungen bleiben jedoch sehr problematisch, da es keine Möglichkeit gibt, sie mit einer der bislang bekannten Produktionen in Verbindung zu bringen. Der erste Typ besteht aus zwei «pots canon» (Unil MH-RE-337; Unil MH-RE-338) und zwei Apothekengefässen (Unil MH-RE-339; Unil MH-RE-340) die aus einer hochwertigen Produktion stammen, versehen mit einem für das Ende des 18. Jahrhunderts typischen polychromen Blumendekor in Aufglasurmalerei. Diese Serie ist mit zwei Apothekengefässen im Musée d’art et d’histoire de Neuchâtel zu vergleichen, für die wir zusammen mit Rudolf Schnyder eine Zuschreibung an die Manufaktur von Andreas Dolder in Beromünster (oder Luzern, ab 1780 – Ceramica CH, t. I, pl. 92, No. 5 und 6 – MAHN AA 3337; MAHN AA 3338) vorschlugen. Sowohl für diese beiden Töpfe als auch für die vorliegende Serie schliesst Jacques Bastian eine Zuordnung zu Ostfrankreich aus und tendiert zu einer Schweizer Herstellung. Peter Ducret, der derzeit beste Kenner der Schweizer Fayencen, steht einer solchen Hypothese sehr skeptisch gegenüber. Reber selbst gab an, dass die Objekte aus Sitten stammten (ohne zu sagen, ob er sich auf eine alte Apotheke in Sitten bezog oder ob er sie einfach bei einem Händler in Sitten gekauft hatte – Reber 1906/2, 236). Nachdem er eine lokale Produktion in Betracht gezogen hatte, schlug er vor, die Gruppe einer Manufaktur in Mailand zuzuschreiben (Reber 1909/2), bevor er schliesslich Beromünster erwähnte (Reber 1920/2).

Die Sammlung enthält drei weitere Fayence-Typen, die Reber vage der «Zentralschweiz» zuordnet und die nach heutigem Wissensstand noch rätselhafter sind: Eine Gruppe von fünf Albarelli mit Dekor aus Scharffeuerfarben (Inglasurmalerei) aus einer alten Apotheke in Zofingen (Unil MH-RE-343; Unil MH-RE -347); zwei pots canons von relativ ähnlicher, aber nicht identischer Machart aus einer ehemaligen Apotheke in Aarau, ebenfalls mit Inglasurmalerei verziert (Unil MH-RE-265; Unil MH-RE-350) und schliesslich eine mit Aufglasurmalerei dekorierte Vase aus dem Kanton Aargau (Unil MH-RE-346). Auch in diesen Fällen sehen die Experten keine Verbindung zu französischen oder deutschen Produkten.

Ebenfalls im Bereich der Schweizer Fayence konnte dank Peter Ducret ein bisher völlig unbekannter Objekttyp aus der Produktion der Manufaktur in Zürich-Schooren aus den Jahren 1770 bis 1780 identifiziert werden (Unil MH-RE-24; Unil MH-RE-25).

Wie bereits angekündigt, tragen siebzehn Fayencen auf der Unterseite des Fusses eine Inschrift in schwarzer Tinte, die in der Regel den Namen Imre Pekár, den Begriff «Patika» (ungarisch für «Apotheke»), einen Ortsnamen und seltener das Datum des Erwerbs (zwischen 1904 und 1908) enthält. Ein Beispiel für eine Inschrift von Pekárs Hand findet sich unter Unil MH-RE-434.

Imre Pekár (1838–1923) war ein ungarischer Ingenieur, der durch seinen Beitrag zur Verbesserung des industriellen Mühlenwesens internationale Bekanntheit erlangte. Seine Sammlung von Apothekengefässen, die er etwa zur gleichen Zeit wie Reber aufbaute, war unter ungarischen Keramikliebhabern sehr bekannt. 1922 wurde sie offenbar bei einer öffentlichen Versteigerung im Museum Ernst in Budapest kurz vor seinem Tod aufgelöst, wie aus dem Katalog der Versteigerung der Sammlung von Dr. Urai László im Jahr 2012 hervorgeht, aus der einige Objekte von Pekár stammten (Nagyházi Auktionskatalog, Budapest, Auktion 192, 23. Mai 2012, 48 – abgerufen auf fr. calameo.com/read/002416380d75f7f48a066).

Die Objekte aus Pekárs Sammlung gelangten zwischen 1908 und 1909 in Rebers Besitz, also lange vor der Auflösung im Jahr 1922. Es ist daher gut möglich, dass die beiden Sammler persönliche Kontakte unterhielten, beispielsweise um Stücke auszutauschen. Im Jahr 1909 kündigte Reber in der Wiener Zeitschrift Die Pharmazeutische Post einen Artikel über 40 «kürzlich erworbene» Töpfe an (Reber 1909/2, 25). Der Beitrag erschien bereits 1910 unter dem Titel «Standgefässe alter Apotheken aus Österreich-Ungarn und Spanien» (Reber 1910/2). Die meisten Objekte, die eine Inschrift von Pekárs Hand tragen, werden darin beschrieben oder sogar abgebildet. Die Gruppe aus der ungarischen Sammlung umfasste vor allem Fayencen, die in Ungarn, der Slowakei oder Böhmen hergestellt wurden, sowie zwei Porzellanstücke aus Wien und einige italienische Fayencen, die in Istrien oder Triest gefunden wurden.

Von den etwa 460 inventarisierten Keramikobjekten in der Sammlung von Burkhard Reber haben wir zwölf Porzellan- und etwa 50 Steingutobjekte gefunden, der Rest sind Fayencen. Etwas mehr als die Hälfte dieser Fayencen stammt aus Italien, die französische Produktion ist mit etwa 60 Stücken vertreten und der Rest verteilt sich auf die Schweiz, Deutschland, Spanien, Delft oder Ungarn. Bei gut 40 Objekten war es nicht möglich, eine auch nur annähernd zutreffende geographische Herkunft zu bestimmen, da ihre Formen und ihre rudimentären, nur blau bemalten Verzierungen zu einfach waren.

Die Reber-Sammlung ist sehr uneinheitlich und spiegelt nicht immer die anspruchsvolle Auswahl eines Ästheten oder eines anspruchsvollen Liebhabers alter Keramik wider. Neben einigen bemerkenswerten Exemplaren und einer ansehnlichen Gruppe von Stücken guter Qualität gehören viele Objekte zu den üblichen, sich manchmal wiederholenden und oft «unpersönlichen» Produktionen; hier überwiegt eindeutig der Standpunkt des Pharmaziehistorikers, für den eine alte pharmakologische Inschrift ebenso wichtig sein kann wie der eigentliche Wert einer Töpferware. Sein Blick war nicht der eines Liebhabers schöner Objekte. Man sollte sich auch an Rebers begrenzte finanzielle Mittel erinnern, zu einer Zeit, als einige hochkarätige Produktionen, insbesondere im Bereich der italienischen Majolika, bereits beträchtliche Preise erzielen konnten.

Einige Ankäufe, wie die Gruppe von Stücken, die er von Pekár erworben hatte, sind wahrscheinlich durch das Bestreben motiviert, eine möglichst vollständige geografische Sortierung in seiner Sammlung zusammenzustellen. Andere hingegen scheinen einfach aus einer Gelegenheit heraus entstanden zu sein, wie die Gruppe von etwa 100 Vasen, die 1889 im Tessin erworben wurde (Reber 1906/2, 236 und 237). Davon sind nur noch 22 Exemplare in der heutigen Sammlung vorhanden (Unil MH-RE-122; Unil MH-RE-125; Unil MH-RE-135; Unil MH-RE-136; Unil MH-RE-144; Unil MH-RE-145), darunter viele moderne Kopien von Modellen aus dem 18. Jahrhundert.

Apropos Kopien: Rebers italienisches Kontingent enthält einen beträchtlichen Anteil an modernen Stücken, die in einem alten Stil gestaltet wurden: etwa 60 von insgesamt 220 Stücken. Einige davon sind offensichtliche Fälschungen, insbesondere diejenigen, die ein falsches Datum tragen (z. B. Unil MH-RE-61; Unil MH-RE-152; Unil MH-RE-147; Unil MH-RE-88; Unil MH-RE-93). In den meisten anderen Fällen ist die Qualität der Objekte jedoch nicht so eindeutig: Sie wurden nicht unbedingt entworfen, um den Käufer zu täuschen; diese Imitationen können durchaus dazu gedient haben, eine alte Garnitur wieder aufzufüllen, es sei denn, der eine oder andere Apotheker des 19. Jahrhunderts war bei der Wahl seiner Berufsausstattung einfach dem historistischen Geschmack erlegen.

Etwa zwanzig Fayencen – hauptsächlich italienische – können ins 16. Jahrhundert datiert werden. Das 17. Jahrhundert ist mit etwa 50 Stücken vertreten, während das 18. Jahrhundert mit über 200 Stücken die grösste Gruppe stellt.

Unter den Majoliken aus dem 16. Jahrhundert ist der Albarello aus Faenza mit Porträtmedaillon und Trophäendekor besonders hervorzuheben. Das Apothekengefäss aus Fayence ist eines der wenigen Exemplare dieses relativ häufig vorkommenden Typs, das ein Datum (1555) trägt, was es zu einem Referenzstück für italienische Spezialisten macht (Unil MH-RE-160A). Ebenfalls aus Faenza stammen zwei Albarelli, die ungefähr aus der gleichen Zeit stammen und schöne Beispiele für einen anderen klassischen Typ darstellen, der mit Medaillons mit religiösen Themen und einem «a quartieri»-Motiv verziert ist, in diesem Fall eine Kreuzigung und das Martyrium des heiligen Laurentius (Unil MH-RE-171; Unil MH-RE-172). Obwohl es sich nicht um ein pharmazeutisches Gefäss im eigentlichen Sinne handelt, ist diese interessante Kanne aus der Produktion der «Bianchi» (weisses Fayencegeschirr) von Faenza (Unil MH-RE-244) zu erwähnen, die leider im oberen Teil unvollständig ist, aber mit einem hochwertigen «a compendiario»-Dekor verziert ist, das laut unserer Expertin Raffaella Ausenda an den berühmten «Meister des V-Services» erinnert.

Drei weitere Albarelli gehören zu der umfangreichen Produktion von Apothekengefässen, die der venezianischen Werkstatt von Mastro Domenico in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zugeschrieben wird, mit ihrem klassischen Dekor aus Medaillons, die Heilige darstellen und sich von einem blauen Hintergrund mit mehrfarbigen Pflanzenmotiven abheben (Unil MH-RE-124; Unil MH-RE-176; Unil MH-RE-177). Ebenfalls aus dem auslaufenden Jahrhundert stammt dieses Gefäss von Castelli, das zu einer bekannten Serie gehört, die in der Literatur gut dokumentiert ist, ausser dass die Apotheke, die den Auftrag erteilt hat, noch nicht ausfindig gemacht werden konnte (Unil MH-RE-26). Aus der gleichen Zeit stammt dieser Albarello, der zur Typologie der auf einem hellblauen Emailhintergrund («a berettino») gemalten Dekor gehört, der hier durch einen gelben und ockerfarbenen Löwenkopf hervorgehoben wird. Sehr wahrscheinlich verweist der Dekor auf ein Apothekenschild (Unil MH-RE-63). Dieser Ornamentstil, der sich durch zweifarbige (hell- und dunkelblaue) Blätterranken auszeichnet, war von Venetien bis Latium weit verbreitet, sodass eine genaue Zuordnung nicht immer möglich ist; in diesem Fall schwankt Raffaella Ausenda zwischen Rom und Pesaro. In einem ähnlichen Stil sind auch zwei Chevrette und ein Albarello mit Wappen zu finden, die wahrscheinlich aus Rom und aus derselben Apotheke stammen (Unil MH-RE-58; Unil MH-RE-59; Unil MH-RE-60).

Der gängige «a berettino»-Stil mit zweifarbigen Blätterrankenmotiven hielt sich bis ins 17. Jahrhundert. Die Sammlung enthält etwa 15 dieser späteren Beispiele, die alle aus Werkstätten in der Region um Rom oder in Mittelitalien stammen (z. B. Unil MH-RE-62; Unil MH-RE-67; Unil MH-RE-66; Unil MH-RE-72).

Eine der interessantesten Objektgruppen sind die sizilianischen Fayencen aus dem 17. und 18. Jahrhundert mit ihren mehrfarbigen Dekoren, die von Malstilen abgeleitet sind, die im 16. Jahrhundert in den berühmtesten Zentren der Halbinsel entwickelt wurden, wie die figürlichen Medaillons auf Trophäenhintergrund (inspiriert von Faenza – wie auf Unil MH-RE-160A – oder Casteldurante) oder die Medaillons auf blauem Grund mit mehrfarbigen, bescheidenen Pflanzenmotiven (inspiriert von Venedig – z. B. Unil MH-RE-124). Der erste Dekortyp wurde insbesondere von den Werkstätten in Palermo übernommen, bevor er in freierer Form von den Fayenceherstellern in Sciacca oder Burgio weitergeführt wurde. Die palermitanische Linie ist in der Sammlung durch fünf Fayencen vertreten, darunter ein erstklassiges Exemplar aus der Werkstatt von Cono Lazzaro, das höchstwahrscheinlich von Andrea Pantaleo bemalt wurde, eine Vase, die auf 1607 datiert ist und das Zeichen der Werkstatt trägt, was sie zu einem der meistzitierten Objekte in der Fachliteratur macht (Unil MH-RE-188). Drei Albarelli aus der konkurrierenden Werkstatt von Filippo Passalacqua zeigen etwas weniger sorgfältig ausgeführte Versionen desselben dekorativen Musters (Unil MH-RE-179; Unil MH-RE-183; Unil MH-RE-186). Die Reber-Sammlung enthält auch Beispiele für sehr spontane Interpretationen derselben Medaillons mit Trophäenhintergrund, wie sie von den Handwerkern in Sciacca und Burgio angeboten wurden (Unil MH-RE-178; Unil MH-RE-181; Unil MH-RE-182; Unil MH-RE-184).

Die aus Venedig stammenden Blumendekore auf blauem Grund, mit oder ohne Medaillons, wurden in Sizilien, in Caltagirone (Unil MH-RE-175; Unil MH-RE-165; Unil MH-RE-211), aber auch in Gerace in Kalabrien (Unil MH-RE-164; Unil MH-212; Unil MH-RE-166; Unil MH-RE-210) übernommen und mit Anpassungen ausgeführt.

In der Sammlung sind natürlich auch Fayencen mit blauem Dekor aus Ligurien, insbesondere aus Savona, vertreten. Sie zählten zu den häufigsten Produktionen im auslaufenden 17. Jahrhundert. Besonders hervorzuheben sind zwei Albarelli und drei Chevrettes mit einer Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit – wahrscheinlich ein Apothekenemblem – aus der Manufaktur Chiodo in Savona (Unil MH-RE-47; Unil MH-RE-50) sowie ein erstklassiges Beispiel für einen Dekor im «orientalisch-naturalistischen» Stil  aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Unil MH-RE-77).

Zu den «gängigen» Produkten gehören etwa 25 Beispiele mit einem sehr einfachen blauen Dekor, der an Friese mit eirunden Verzierungen erinnert («a ovuli»-Motiv), eine Art von Gefässen, die zwischen dem späten 17. und dem späten 18. Jahrhundert in den norditalienischen Apotheken weit verbreitet war (z. B. Unil MH-RE-94; Unil MH-RE-115; Unil MH-RE-111).

Unter den Dekoren mit polychromer Aufglasurmalerei sind zwei Gefässe und drei Deckeltöpfe zu erwähnen, ausgeführt von der Manufaktur Finck in Bologna im Auftrag der Apotheke der Erben Beretti Marzi, die im Borghetto von San Francesco in Bologna zwischen 1765 und 1792 nachgewiesen ist (Unil MH-RE-422; Unil MH-RE-417; Unil MH-RE-420).

Unter den französischen Fayencen ist zunächst eine grosse Vase aus Nevers aus dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts zu erwähnen, von der uns Reber berichtet, dass sie aus einer Apotheke in Carouge stammte (Unil MH-RE-1). Die anderen Töpfe, die diesem grossen Fayence-Zentrum zugeschrieben werden können, sind alle sehr einfach hergestellt und der Dekor besteht in der Regel aus einer Kartusche mit zwei sich kreuzenden blauen Blattzweigen, wobei die Kartusche manchmal als Rahmen für eine pharmazeutische Inschrift dient (z. B. Unil MH-RE-376; Unil MH-RE-279; Unil MH-RE-321; Unil-MH-RE-281; Unil MH-RE-285; Unil MH-RE-233). Die Sammlung enthält etwa dreissig Beispiele dieses Typs, bei denen die Zuordnung zu Nevers nur hypothetisch sein kann, da diese Typologie in ganz Zentralfrankreich und bis in die Franche-Comté weit verbreitet war.

Das interessanteste Objekt aus der französischen Gruppe ist ein Topf aus der Pariser Werkstatt von Louis-François Ollivier, um 1800 (Unil MH-RE-427). In der verzierten Kartusche, die normalerweise eine pharmakologische Inschrift einrahmen würde, liess der Fayencehersteller seinen Namen mit der Angabe «à Paris» malen; diese Besonderheit weist auf den einzigartigen Status dieses Objekts hin. Ollivier war ein sehr erfindungsreicher Keramiker, der ab 1791 mehrere Patente anmeldete. Es ist gut möglich, dass unser Topf mit seinem ungewöhnlichen doppelten Boden ein Prototyp oder ein Demonstrationsobjekt war, das zu Werbezwecken für dieses innovative Modell verwendet wurde.

Unter den wenigen Fayencen aus dem 18. Jahrhundert, die Deutschland zugeschrieben werden können, sind vor allem drei Vasen hervorzuheben, die aus einem bekannten Auftrag der Hanauer Manufaktur für die Frankfurter Apotheke «À la Tête d’Or» stammen (Unil MH-RE-430; Unil MH-RE-431; Unil MH-RE-432). Die anderen zehn Beispiele, die wir der deutschen Gruppe zugeordnet haben, sind wiederum von so einfacher Typologie (mit sehr einfachen, blau bemalten Dekoren), dass es generell unmöglich ist, sie einer bestimmten Manufaktur zuzuordnen.

Von den 52 Steingutobjekten der Sammlung sind 42 schweizerischer Herkunft, die hauptsächlich aus den verschiedenen Manufakturen in Nyon und Carouge stammen. Dieser kleine Korpus, der nur acht Formen umfasst, die bislang noch nie veröffentlicht worden waren, stellt eine Referenzgruppe von höchster Bedeutung für die Erforschung der Steinzeugproduktion in der Genferseeregion dar – ein Kapitel, das noch viele Grauzonen birgt …

Von der Manufaktur Dortu & Cie in Nyon ist eine gedeckte, urnenförmige Sockelvase auf einer quadratischen Sockelleiste zu erwähnen, die eindeutig durch ihre Marke gekennzeichnet ist (Unil MH-RE-407). Man beachte übrigens die beiden reliefartigen Griffe in Form von hängenden Ringen, ein wiederkehrendes Motiv der Manufaktur, insbesondere bei der Herstellung von Porzellan. Dieselbe Sockelleiste und der hängende Ring finden sich auch auf einer Chevrette, die ebenfalls mit einer Marke versehen ist (Uni MH-RE-465); hier ist der Flaschenhals mit Auflagendekor in Form eines ausgeschnittenen Blattmotivs zu erwähnen. Dieses Merkmal – in einer anderen Version – sowie der Hängering und der Sockel auf einer quadratischen Sockelleiste sind auf einer anderen, nicht markierten, aber mit einem gemalten Dekor verzierten Chevrette zu finden (Unil MH-RE-300), die wir der gleichen Manufaktur zuordnen. Ein drittes Gefäss, diesmal mit einem Doppelhals und ohne Markierung, weist ein ähnliches Reliefmuster an der Halsbefestigung auf (Unil MH-RE-522). Dieses Gefäss gehört offensichtlich zu einer anderen formalen Familie als die vorherigen Beispiele, wir schreiben es jedoch der gleichen Manufaktur zu, aufgrund eines Vergleichs mit einem Gefäss aus «terre étrusque» – mit einem Henkel und einem einzigen Hals – im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich (Inv. LM-24253). Beide Gefässe haben dieselbe Urnenform, das gleiche Reliefband unter der Schulter und denselben Halstyp. Das Beispiel aus dem Nationalmuseum, das bisher als «Kaffeekanne» bezeichnet wurde, ist unserer Meinung nach ein Apothekengefäss. Wir wussten aus den Geschäftsbüchern der Manufaktur, dass Dortu & Cie diese Art von Gefässen aus «terre étrusque» herstellte, aber wir wussten bislang nicht, wie sie aussehen könnten

Die Sammlung umfasst neun Exemplare von pots canons mit eiförmigem Korpus, ein Modell, das insbesondere in den Beständen des Musée Ariana und des Château de Nyon belegt ist. Drei Beispiele weisen gedruckte Etiketten mit dem Firmennamen der Apotheke Monnier in Nyon auf (Unil MH-RE-438), andere Exemplare sind ohne Etiketten, haben aber noch ihren Originaldeckel (Unil MH-RE-1077). Da kein Beispiel markiert ist, schlagen wir dennoch vor, dieses Modell der Manufaktur Robillard & Cie zuzuschreiben, insbesondere aufgrund der Daten, an denen die Apotheke Monnier aktiv war. Zwei weitere, bisher unveröffentlichte Formen tragen hingegen die Marke Robillard: ein urnenförmiger pot canon (Unil MH-RE-1064) und eine urnenförmige Chevrette (Unil MH-RE-438A).

Wir postulieren auch für den zylindrischen Deckeltopf Unil MH-RE-259 einen Ursprung in Nyon, eine Grundform, die vor allem den Manufakturen von Carouge zugeschrieben wurde. Das Pharmazie-Historische Museum in Basel bewahrt einen Topf desselben Typs mit der Aufschrift «Pom. de Lausanne» auf (Buchners epispastische Salbe, auch Lausanner Salbe genannt), ein Medikament, das offenbar bereits in den frühen 1830er-Jahren in pharmakologischen Abhandlungen auftauchte. Angesichts der Qualität des blauen Pigments wären wir geneigt, dieses Gefäss Robillard oder sogar der Ära Delafléchère zuzuschreiben.

Im Bereich des Steinguts aus Carouge enthält die Sammlung Reber zwei Exemplare eines bekannten Modells eines zylindrischen Topfs (Unil MH-RE-388), von dem das Musée Ariana sechs Exemplare aufbewahrt, die traditionell Carouge zugeschrieben werden. Keines der Objekte aus dieser Serie trägt eine Marke. Die Farbnuancen – insbesondere das zarte Grün – würden uns dazu veranlassen, sie der Manufaktur von Dortu zuzuschreiben. Die gleichen farblichen Merkmale und die Qualität der Schrift veranlassen uns, dasselbe für eine unveröffentlichte Form eines pot canon zu tun (Unil MH-RE-216).

Die Produktion der Manufaktur Baylon wird durch ein klassisches Beispiel eines zylindrischen Deckeltopfs repräsentiert, wie ihn das Musée Ariana in mehreren Exemplaren besitzt (Unil MH-RE-384). Die Sammlung umfasst ausserdem etwa zwanzig zylindrische Töpfe weit verbreiteter Qualität ohne Dekor, die leider alle ihren Deckel verloren haben. Einer von ihnen trägt die Ritzmarke «Baylon»  in kursiver Schrift, nach unserem Wissen ein einmaliges Phänomen (Unil MH-RE-1082). Vier weitere Töpfe haben die gleiche Form, bestehen aber aus einem anderen Material, das weisser und härter als herkömmliches Feinsteinzeug ist: kaolinhaltiges Feinsteinzeug, auch «opakes Porzellan» genannt, eine Innovation, die Antoine Baylon um 1853 in Carouge einführte. Alle vier Gefässe weisen eine blau unterlegte Marke mit der Erwähnung «Porcelaine opaque» und den Buchstaben «B» oder «AB» auf (Unil MH-RE-1042; Unil MH-RE-1044). Antoine Baylon leitete das Familienunternehmen zwischen 1843 und 1866 allein.

Übersetzung Stephanie Tremp

Bibliographie:

 Flückiger 1894
Friedrich August Flückiger, Die historische pharmaceutisch-medicinische Sammlung des Apothekers Burkhard Reber in Genf. Apotheker-Zeitung (Berlin) 2/31-35, 1894, 289-293, 297-300, 305-307, 315-317, 325-327.

Heger 1908
Hans Heger, Die historische pharm.-mediz. Sammlung des Apothekers Burkhard Reber in Genf (Tiré à part d’un article paru dans: Apothekenbilder von Nah und Fern, IV. Heft, Vienne, 1908, 65-74). In: Die historische parm.-mediz. Sammlung des Apothekers Burkhard Reber in Genf. Vienne 1910, 4-12.

Jaroschinsky 1988
Peter Jaroschinsky, Burkhard Reber (1848-1926). Ein Vorläufer der schweizerischen Parmaziegeschichte. Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 47. Stuttgart 1988.

Lieber et Ryf 2013
Vincent Lieber et Alexia Ryf (éd.), Un été sicilien. Majoliques anciennes et art contemporain, cat. d’exposition, Château de Nyon, 21 juin-27 octobre 2013.

Mez 1985
Lydia Mez, Burkhard Reber: A pharmacist-collector and his collection. Pharmacy in History 27/2, 90-95.

Nyon 1962
Exposition: Alchimistes, médecins, apothicaires d’autrefois. Objets relatifs à l’histoire de la médecine et de la pharmacie et meubles anciens, cat. d’exposition, Château de Nyon, juin-septembre 1962.

Röthlisberger 1977
Paul Röthlisberger, Burkhard Reber, Genf (1848-1926), und sein Beitrag zur Geschichte der Medizin und Pharmazie. Gesnerus. Swiss journal of the history of medicine and sciences 34, 213-231.

Röthlisberger 1979
Paul Röthlisberger, Le pharmacien Burkhard Reber, Genève (1848-1926). Sa vie et son apport à l’histoire de la pharmacie et la médecine. Médecine et hygiène 1338, 2329-2334.

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Burkhard Reber, Histoire de la médecine, de la pharmacie et des sciences naturelles. Journal des collectionneurs 11, juin 1905, 129-134.

Reber 1905/2
Burkhard Reber, Vases pharmaceutiques en faïence et majoliques italiennes. Journal des collectionneurs 14, octobre 1905, 165-168.

Reber 1905/3
Burkhard Reber, Vases pharmaceutiques en faïence et majoliques italiennes II. Journal des collectionneurs 15, novembre 1905, 181-184.

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Burkhard Reber, Poteries pharmaceutiques de France, Belgique, Allemagne, Autriche, etc. Journal des collectionneurs 18, février 1906, 221-223.

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Burkhard Reber, La poterie suisse. Journal des collectionneurs 19, mars 1906, 234-237.

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Burkhard Reber, Suite des faïences, flacons de pharmacie en verre et récipients en bois. Journal des collectionneurs 20, avril 1906, 246-247.

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Burkhard Reber, Considérations sur ma collection d’antiquités au point de vue de l’histoire de la médecine, la pharmacie et les sciences naturelles. Genève 1909 (Recueil des tirés à part des articles Reber 1905/1-3 et 1906/1-2, enrichi de quelques textes inédits).

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Burkhard Reber, Die Standgefässe der alten Apotheken (Tiré à part d’un article paru dans Die Pharmazeutische Post, Vienne, 42, 1909, 893-901). In: Die historische pharm.-mediz. Sammlung des Apothekers Burkhard Reber in Genf. Vienne 1910, 13-25.

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Burkhard Reber, Einzelheiten aus dem Innern der ehemaligen Apotheken und Laboratorien (Tiré à part d’un article paru dans Die Pharmazeutische Post, 43, 1910, 509-516). In: Die historische pharm.-mediz. Sammlung des Apothekers Burkhard Reber in Genf. Vienne 1910, 27-33.

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Burkhard Reber, Standgefässe alter Apotheken aus Österreich-Ungarn und Spanien (Tiré à part d’un article paru dans Die Pharmazeutische Post, 43, Vienne, 1910, 69-75, 709-714). In: Die historische pharm.-mediz. Sammlung des Apothekers Burkhard Reber in Genf. Vienne 1910, 34-37.

Reber 1913
Burkhard Reber, Quelques objets du Musée Reber. Bulletin de la Société d’histoire de la pharmacie 2 (Paris), 17-20.

Reber 1918
N.N., À propos de l’anniversaire de Burkhard Reber (Tiré à part du journal Le Genevois). Genève 1918.

Reber 1920/1
Burkhard Reber, Quelques pièces de majoliques italiennes et d’autres faïences de ma collection. Pages d’art. Revue mensuelle suisse illustrée, avril 1920, 105-128.

Reber 1920/2
Burkhard Reber, Quelques pièces de majoliques italiennes et d’autres faïences de ma collection. Deuxième série. Pages d’art. Revue mensuelle suisse illustrée, septembre 1920, 275-290.

Reichenbach-Zollikofen BE, Linck-Daepp, Margrit (1897-1983)

Roland Blaettler, 2019

Keramik von Margrit Linck-Daepp in CERAMICA CH

Margrit Linck-Daepp (1897–1983) absolvierte ihre Töpferlehre 1916–1920 in der Werkstatt des Töpfers Johann Gottfried Moser in Heimberg. Nach einem Jahr an der Keramischen Fachschule in Bern bildete sie sich 1922/23 an einer privaten Keramikschule in München weiter.

1927 heiratete Margrit Daepp den Bildhauer Walter Linck (1903–1975). In den Jahren 1924/25 hielt sich das junge Paar in Berlin auf und von 1927 bis 1930 lebten die beiden Künstler in Paris, wo sie die neuen künstlerischen Strömungen kennenlernten und sich davon inspirieren liessen. Sie waren Teil der damaligen jungen Kunstwelt. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz erkannte Margrit Linck ihre Berufung. Das Paar wohnte zunächst in Zürich und später in Wabern BE. Im Jahr 1941 liessen sie sich endgültig in Reichenbach-Zollikofen BE nieder, wo Margrit Linck sich richtiggehend in die Keramikproduktion stürzte (Messerli 2017, 159–221).

Lincks frühe originelle Arbeiten zeugen von ihrem Willen, die bewährte Technik der engobierten Irdenware aus der Berner Tradition kühn zu erneuern, indem sie eine neue Formensprache für Gebrauchskeramik entwickelte (frühe Beispiele siehe L’Œuvre, Vol. 24, 1937, Heft 12, Abb. S. 357–359).

Zunächst formte sie Gebrauchsgegenstände mit grosser gestischer Freiheit (MHL AA.MI.1954; MHL AA.MI.1869; MHL AA.MI.1868; MHL AA.MI.1921), ab 1943 entwarf sie mehr skulpturale und manchmal surrealistisch inspirierte Objekte (MHL AA.MI.2581).

Im Jahr 1957 bezog sie ein zweites Atelier im burgundischen Dorf Saint-Romain, wo sie sich künftig mit der Entwicklung von skulpturalen Objekten beschäftigte. In ihrem Berner Atelier hingegen konzentrierte sich auf die Gestaltung ihrer gedrehten und nachträglich verformten Gefässe aus makellos weisser Fayence, ohne jeglichen Dekor, damit nichts die Wahrnehmung der Form stören konnte (MHL AA.MI.1910).

Linck schöpfte zwar aus der jahrhundertealten Tradition der Töpfer ihres Heimatorts, ihre Arbeit orientierte sich aber stets an der Bewegung der innovativsten zeitgenössischen bildenden Künste, die sie frei in ihre Keramikarbeiten einbrachte. Diese Haltung brachte ihr eine internationale Anerkennung ein, wie sie nur wenige Keramiker erfahren haben. Im Jahr 1949 zeigte die Kunsthalle Bern ihre Keramiken neben den Gemälden von Oskar Dalvit und Joan Miró. Ab den 1950er-Jahren wurde sie eingeladen, ihre Arbeiten in Italien, den USA, Frankreich und vor allem in Deutschland auszustellen.

Nach dem Tod der Künstlerin übernahm ihre Schwiegertochter Regula Linck das Atelier in Reichenbach, wo sie die von Margrit geschaffenen Formen mit weisser Fayence weiter produzierte. Das Unternehmen Linck Keramik ist auch heute noch aktiv und seit 2015 in Worblaufen BE ansässig.

Übersetzung Stephanie Tremp

Internetquellen:

Linck-Keramik

Margrit Linck

Bibliographie: 

Altorfer 1981
Max Altorfer (éd.), Margrit Linck. Keramische Skulpturen – Weisse Vasen. Berne 1981.

Buchs 1988
Hermann Buchs, Vom Heimberger Geschirr zur Thuner Majolika. Thun 1988.

Dictionnaire historique de la Suisse (article Margrit Linck, par Michèle Baeriswil-Descloux – article Walter Linck, par Michael Baumgartner)

Messerli 2017
Christoph Messerli, 100 Jahre Berner Keramik von der Thuner Majolika bis zum künstlerischen Werk von Margrit Linck-Daepp (1987-1983). Hochschulschrift (Datenträger CD-ROM), Bern 2017.

Schnyder 1985
Rudolf Schnyder, Vier Berner Keramiker: Werner Burri, Benno Geiger, Margrit Linck, Jakob Stucki, Ausstellungskatalog im Rahmen der 10. Spiezer Keramik-Ausstellung, Schloss Spiez. Bern 1985.

Wismer/Kries 2021
Beat Wismer/Regula Linck von Kries, Margrit Linck – Vogelfrauen und Vasenkörper – Bird women and vase-shaped bodies, Berlin 2021.