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Nyon VD, Porzellanmanufaktur, 1781–1813

Roland Blaettler 2019

Die Geschichtsschreibung des Nyoner Porzellans begann mit dem 1904 von Aloys de Molin veröffentlichten Grundlagenwerk «Histoire documentaire de la manufacture de porcelaine de Nyon». Da im Rahmen der Landesausstellung von 1896 wenig Informationen zur Porzellanmanufaktur vorlagen, hat sich der Autor daran gemacht, die Primärquellen, die Aufschluss über das Thema geben könnten, methodisch zu erforschen. Fündig wurde er vor allem in den Waadtländer Kantonsarchiven, im Stadtarchiv von Nyon, in den Archiven der Töpfermanufaktur in Nyon und in den Ratsregistern in Genf. Zum ersten Mal wurden die Umstände der Gründung des Unternehmens ermittelt und die Hauptakteure klar identifiziert.

Das zweite Referenzwerk zu diesem Thema wurde 1957 von Edgar Pelichet veröffentlicht, knapp zwanzig Jahre nach seiner Ernennung zum Kurator des Museums von Nyon und vor allem zehn Jahre nach der Nationalen Porzellanausstellung in Nyon, die es ihm ermöglichte, sich intensiv mit dem Thema zu befassen und mit den meisten bedeutenden privaten und öffentlichen Sammlungen der damaligen Zeit in Kontakt zu treten. Darin liegt der originelle Beitrag von Pelichet im Vergleich zu Molins hauptsächlich dokumentarischer Studie. Geht es um die Geschichte der Manufaktur, stützt sich Pelichet fast ausschliesslich auf die Arbeit von de Molin. In seiner Publikation hingegen gibt er einen viel umfassenderen Überblick von der Produktion in Nyon selbst, indem er die Vielfalt der Formen und Dekore hervorhebt. Im Vergleich zu de Molin konnte Pelichet auch neue archivalische Quellen nutzen, die in der Zwischenzeit gefunden wurden: einen Teil der – zugegebenermassen etwas unvollständigen – Rechnungsbücher der Fabrik und das sehr interessante Fabrikbuch von 1801 (das Pelichet auf das Jahr 1799 datierte). Auf diese Weise konnte der Autor eine erste Annäherung an den wirtschaftlichen Aspekt des Unternehmens skizzieren, insbesondere an den kommerziellen Vertrieb von Porzellan. Ein wichtiger Teil des Werks von Pelichet ist einem detaillierten Katalog von Formen und Dekoren gewidmet. Aus den alten Buchhaltungsunterlagen bezieht er sogar chronologische Daten in seine umfangreiche Aufzählung ein, allerdings in einer sehr punktuellen Weise, mit falschen Interpretationen und vor allem ohne jede systemische Perspektive.

Pelichet unternahm den Versuch, die Produktion auf der Grundlage vager stilistischer Überlegungen zu periodisieren (Pelichet 1957, 69–70 und 135–136; Pelichet 1985/1, 89 und 173). Auch wenn der Autor hier und da einige Überlegungen äussert, die man in Betracht ziehen könnte, überzeugt das Resultat nicht gänzlich. Es ist sicher nicht falsch zu behaupten, dass der Insektendekor zum Beispiel von Beginn der Produktion an «jedenfalls bis 1809» (Pelichet 1985/1, 173) ausgeführt wurde, aber das greift zu kurz! In Wirklichkeit können wir mindestens fünf Varianten des Insektendekors unterscheiden, die alle einer anderen Phase in der Entwicklung des Repertoires entsprechen.

Laurent Droz analysierte 1997 die Buchhaltungsquellen der Fabrik neu und wertete sie unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden aus. Trotz der unvollständigen und sich widersprechenden Quellen ist es dem Autor gelungen, die wichtigsten Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens darzustellen. Diese neuen Erkenntnisse werden für die Erstellung unserer relativen Chronologie der Produktion nützlich sein. Die Arbeit von Droz bezieht sich insbesondere auf die einzigen Dokumente, die aus der Fabrik stammen und bis heute in den Archiven des Schlosses von Nyon aufbewahrt werden:

– Das grosse Buchhaltungsbuch (le Grand livre comptable) vom 1. Juni 1787 bis 27. November 1794 (inv. 4187)

– Das grosse Buchhaltungsbuch (le Grand livre comptable) vom 1. Juli 1801 bis 1. Januar 1809 (inv. 4188)

– Das Fabrikjournal (le Journal de fabrique) (mit detaillierterer Buchhaltung), vom 8. September 1794 bis 1. Juli 1801 (inv. 4190)

– Das Fabrikbuch (le «Livre de fabrique»), ohne Datum (Droz datiert es ins Jahr 1801– inv. 4189).

Erst kürzlich hat der Historiker Grégoire Gonin einen neuen Blick auf das Thema, das uns beschäftigt, geworfen und dazu eine anregende Fragestellung formuliert (Gonin 2017). Der Autor leistete Pionierarbeit, indem er die Bedingungen der Verbreitung und Rezeption des Nyoner Porzellans weiter erforschte. Obwohl sein Ansatz, was das 18. Jahrhundert betrifft, aufgrund der äusserst spärlichen Quellenlage eher theoretisch bleibt, lieferte Gonin eine Fülle äusserst wertvoller Daten über die Umstände, unter denen das Nyoner Porzellan in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde, und über den Platz, den es fortan im Kreis der Sammler und auf dem Kunstmarkt einnahm. Der Autor eröffnete damit neue und oft sehr konkrete Perspektiven, um die Geschichte bestimmter Objektgruppen neu einzuordnen, zum Beispiel das berühmte «neapolitanische» Service, dessen Entstehung lange Zeit von einem relativ mythischen Nimbus umgeben war (Gonin 2017, 61–66).

Grégoire Gonin plädiert zudem für einen umfassenderen historiografischen Ansatz für das Phänomen des Nyoner Porzellans, der nicht nur seine technischen oder künstlerischen, sondern auch seine wirtschaftlichen, soziologischen und kulturellen Aspekte im weitesten Sinne berücksichtigt.

Von unserer Seite konzentrieren wir uns auf die Produktion selbst, ihre Formen und Dekore und versuchen, die verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung zu beleuchten. Siehe das Kapitel «Nyon VD, Manufacture de porcelaine – Chronologie relative de la production».

Kurze Geschichte der Manufaktur

Aloys de Molin begann seine Studie damit, dass er mit den verschiedenen Legenden aufräumte, die über die Entstehung der Manufaktur kursierten, insbesondere mit derjenigen, die die Gründung des Unternehmens einem Pariser Maler namens François Maubrée zuschrieb. Diese Hypothese wurde noch von Maurice Girod in seiner Präsentation der Manufaktur für die Landesausstellung 1896 vertreten (Girod 1896, 383–386). Andererseits hatte Girod auch die beiden Schlüsselfiguren des ganzen Abenteuers identifiziert: Ferdinand Müller, den er zum Partner von Maubrée machte, und Jacob Dortu, den er schon ab 1789 als Direktor der Manufaktur erwähnte. Girod hatte auch das Verdienst, eine andere Legende zu widerlegen, wonach die Manufaktur in Nyon während der Revolutionszeit von Arbeitern aus Sèvres gegründet wurde, die in die Waadt geflüchtet waren. Dank der in den Genfer Archiven gefundenen Dokumente (offenbar die einzigen, die er konsultiert hat) konnte er feststellen, dass die Fabrik «bereits um 1780 in Betrieb war».

Die von Aloys de Molin durchgeführte Untersuchung der Akten des Rats von Nyon ergab, dass Jacob Dortu, «Chemiker und Porzellanfabrikant», und sein Schwiegervater Ferdinand Müller im Frühjahr 1781 in Nyon eintrafen. Müller stammte aus Frankenthal und gab später bekannt, in der Porzellanindustrie in Russland und Dänemark gearbeitet zu haben, was jedoch nie überprüft werden konnte. In einem Brief an die bernischen Behörden behauptete Müller 1787, er habe die Gründung der Fabrik in Nyon allein finanziert. Diese Aussage war höchst wahrscheinlich übertrieben, da de Molin davon ausgeht, dass sich auch Dortu an den anfänglichen Kosten beteiligte.

Jacob (oder Jean-Jacques) Dortu (1749–1819) stammte aus Berlin, wo seine Familie, die ursprünglich aus der Champagne stammte und protestantischen Glaubens war, auf der Flucht vor den Hugenottenverfolgungen durch Ludwig XIV. Zuflucht gefunden hatte. Jacob wurde am 23. Mai 1749 in Berlin geboren. Dort machte er zwischen 1764 und 1767 eine Lehre als Maler in der Königlichen Porzellanmanufaktur. Im Laufe der Jahre erweiterte der junge Dortu sein Wissen über alle Aspekte der Porzellantechnologie. Er spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung mehrerer europäischer Manufakturen. Laut Pelichet arbeitete er 1773 in der kleinen Fabrik von Pontenx in der Region Landes in Frankreich, wo er Ferdinand Müller, seinen späteren Partner, kennenlernte (Pelichet 1985/1, 24). Zwischen 1773 und 1777 wurde er von dem Steingutfabrikanten Gaspard Robert in Marseille mit dem Aufbau einer Porzellanproduktion beauftragt (Pelichet veröffentlichte den Vertrag zwischen Robert und Dortu: Pelichet 1985/1, 219–220). Später stösst man im schwedischen Marieberg auf seinen Namen, wo er 1777/78 die Produktion von Hartporzellan einführte.

In Nyon machte sich Dortu bald einen Namen in der Stadt, wurde Mitglied und später Direktor der französischen Börse und knüpfte enge Beziehungen zu einigen der führenden Familien der Stadt. Im Jahr 1799 wurde er in den Stadtrat gewählt.

Müller und Dortu installierten ihre Fabrik 1781 in einem Haus auf einem gepachteten Grundstück. Da beide nur eine befristete Aufenthaltsbewilligung besassen und nicht den Status von Einwohnern erhielten, waren sie nicht berechtigt, Grundbesitz zu erwerben. Pelichet verortet das betreffende Gebäude in der Rue de la Colombière (Pelichet 1985/1, 24).

Im Frühjahr 1785 richteten Müller und Dortu ein Gesuch an Ihre Exzellenzen in Bern, um eine fast vollständige Zollbefreiung für ihre Waren zu erhalten. In ihrer Stellungnahme betonte die Westschweizer Zollverwaltung, dass «die Fabrik eine sehr nützliche Einrichtung für das Land sei, vor allem weil sie den Einwohnern von Nyon und der Region ein monatliches Einkommen von etwa 80 neuen Dublonen, d.h. mehr als 50’000 Livres pro Jahr, verschafft [und dass] die von ihr hergestellten Porzellanwaren zum grössten Teil ins Ausland gehen und folglich beachtliche Geldsummen einbringen» (De Molin 1904, 20). In einer 1787 an Ihre Exzellenzen in Bern gerichteten Denkschrift erklärte Ferdinand Müller, dass die Fabrikdirektoren, nachdem sie im August 1785 die gewünschten Zollbefreiungen erhalten hatten, einen neuen Ofen bauen liessen, um das Produktionsvolumen zu erhöhen und um somit «den Fortbestand der Fabrik zu sichern» (De Molin 1904, 29). In einem Memorandum vom 23. März, das an dieselben Behörden gerichtet ist, kommt Müller auf die 1785 getätigten Investitionen zurück und schreibt: «Nach einem Versuch in kleinem Rahmen hat er [der Bittsteller] seine Produktion entwickelt …» (De Molin 1904, 40).

Die Geschäfte liefen anscheinend gut, die Fabrik begann ihre Infrastruktur auszubauen, als Ferdinand Müller eine Krise auslöste. Im Juni 1786 richtete Jean-Adam Mülhauser, der Genfer Treuhänder der Fabrik, ein Gesuch an den Genfer Rat, um die Erlaubnis zu erhalten, in der Stadt am Ende des Sees zusammen mit Müller eine Porzellanfabrik zu gründen. Darin wird mitgeteilt, dass sich die «Société des fabricants de Nyon» aufgelöst und Dortu die Stadt verlassen habe. Letzterer hatte sich tatsächlich am 2. Juni 1786 einen Pass besorgt, um nach Berlin zu reisen. Die Genfer Behörden hielten das Projekt für interessant und verpflichteten sich, die Ansiedlung der neuen Industrie im Bezirk Pâquis zu unterstützen (De Molin 1904, 27).

Müller hatte bereits mit der Verlagerung seiner Produktionsanlagen und Rohstoffe begonnen, als in Nyon die wahre Natur seines Vorhabens – die reine Verlagerung der Fabrik und nicht die Eröffnung einer einfachen Genfer Niederlassung – ans Licht kam. Ein Konsortium von Kreditgebern wurde gebildet und die städtischen Behörden nahmen sich der Sache an, indem sie Ihre Exzellenzen um ein Darlehen von 12.000 Franken baten «für den Bau der Öfen, die Anschaffung von Utensilien [sic] und die Löhne der Arbeiter für ein Jahr». Die Idee war, nach der endgültigen Liquidation der alten Fabrik einen neuen Betrieb zu errichten.

Nach der Befragung, zuerst durch den Stadtrat von Nyon und darauf durch den stellvertretenden Vize-Gerichtsvollzieher Stettler, behauptete Müller, dass er nicht die Absicht habe, die Porzellanfabrik in Nyon zu schliessen, sondern in Genf eine Fabrik für Fayence und Steingut zu eröffnen, «da es dem Land an dieser Art von Industrie fehle». Dank der aus Genf erhaltenen Informationen konnte der stellvertretende Gerichtsvollzieher mühelos feststellen, dass Müller tatsächlich plante, in Genf Porzellan herzustellen (De Molin 1904, 33–37). In einem letzten Versuch, sich zu rechtfertigen, schrieb Müller im März 1787 eine Eingabe an die bernische Regierung, ein Dokument, das einige interessante Überlegungen zu den wirtschaftlichen Bedingungen enthält, unter denen er seine Industrie betrieb. Wir erfahren zum Beispiel, dass Genf drei Viertel der Produktion der Manufaktur beanspruchte (De Molin 1904, 39-42). Die Behörden gingen auf die Argumente Ferdinand Müllers nicht ein, er verlor all seine Rechte und wurde aus dem Waadtland ausgewiesen; er fand vorübergehend Zuflucht in Genf.

Nachdem Meine Gnädigen Herren in Bern das Darlehen von 12.000 Franken gewährt hatten, übernahm Jean-Georges-Jules Zinkernagel, ein einfacher Vorarbeiter der Fabrik, vorübergehend das Unternehmen. Zurück in Nyon wurde Dortu im April 1787 zunächst zur Persona non grata erklärt. In der Zwischenzeit unternahm Zinkernagel die notwendigen Schritte, um eine Liegenschaft zu erwerben, und beim Staat bat er um die Nutzung eines angrenzenden Grundstücks mit dem Flurnamen Croset. Der Vertrag für das Haus Ducosterd am Chemin du Port wurde am 7. Juni 1787 abgeschlossen. Die Käufer waren Henri Veret, ein Kaufmann aus Nyon, Moïse Bonnard, Zinkernagel und Dortu, wobei Letzterer wahrscheinlich zugezogen wurde, um die Zukunft der Fabrik zu sichern (De Molin 1904, 47–50; Droz 1997, 27–32). Die Manufaktur zog im September 1787 in das Haus Ducosterd ein, in der Folge wurde die Arbeit ohne grosse Verzögerung wieder aufgenommen. Der Erwerb des Geländes von Croset, das den Ausbau der Infrastrukturen ermöglichen sollte, nahm einige Zeit in Anspruch: Das Geschäft wurde erst im März 1789 abgeschlossen.

Die neue Gesellschaft, die das Unternehmen betreiben sollte, wurde am 1. Juni 1787 gegründet; Henri Veret und Moïse Bonnard brachten die von Bern geliehenen 12.000 Francs als Anzahlung auf, für die sie gegenüber der Stadtverwaltung bürgten, und Dortu steuerte 8.000 Livres bei, die den Bau eines Ofens und der Rohstoffe miteinschlossen. In offiziellen Dokumenten erschien die Firma zunächst unter dem Namen «Dortu, Zinkernagel et Cie»; ab März 1789 wurde Zinkernagels Name nicht mehr erwähnt (die Firma hatte ihn im Juli 1788 ausbezahlt); danach lautete der Firmenname «Bonnard, Veret et Cie», häufiger auch «Dortu et Cie». Im Jahr 1790 zog sich Henri Veret aus dem Unternehmen zurück, blieb jedoch finanziell beteiligt und wurde durch seinen Sohn Bernard-Henry ersetzt, der 1804 Dortus Tochter Louise heiratete. Was Moïse Bonnard betrifft, so scheint er 1795 aus dem Unternehmen ausgeschieden zu sein, nachdem er seine Anteile an Bernard-Henri Veret verkauft hatte (Bonnard 1934/1, 118; Pelichet 1985/1, 120). Ein neuer Partner, César Soulier (1763–1830), Jurist und Geschäftsmann in Nyon, soll 1797 in die Leitung des Unternehmens eingetreten sein (Droz 1997, 36).

Das Unternehmen konnte endlich in grösseren Räumen und mit besserer Infrastruktur durchstarten. Die Fabrik, insbesondere die Dekorationswerkstatt, waren nun voll ausgelastet. Das Produktionsvolumen sollte zügig wachsen, leider geschah diese Entwicklung in einem zu hohen Tempo mit dem Resultat, dass die Bestände zwischen 1790 und 1795 und dann wieder zwischen 1797 und 1801 weiter anwuchsen (Droz 1997, 42–44). Die Überproduktion entpuppte sich immer mehr als das selbst verursachte Übel, das die wirtschaftliche Gesundheit des Unternehmens unwiederbringlich untergraben würde. Trotz der äusserst lückenhaften Quellenlage stellt Droz einen erheblichen Anstieg der Verkaufszahlen fest, insbesondere zwischen 1790 und 1793. Auf der Grundlage der verfügbaren Lohndaten schätzt er, dass die Belegschaft der Fabrik nie so gross war wie zwischen 1790 und 1798 (Droz 1997, 51).

Vermutlich um zusätzliche und regelmässige Einnahmen zu erzielen, begann das Unternehmen 1792 mit der Vermarktung von Steingut aus England, insbesondere aus der berühmten Wedgwood-Manufaktur Etruria (De Molin 1904, 64). Die im Jahr 1785 gewährte Zollbefreiung wurde im August 1793 erneuert.

Laurent Droz ist der Ansicht, dass die Jahre zwischen 1798 und 1801 durch einen schlechten Geschäftsgang und insbesondere durch einen zunehmenden Mangel an Liquidität geprägt waren. Trotz dieser ungünstigen Situation scheint die Produktion bis 1801 auf demselben Niveau geblieben zu sein. Die Verkäufe konnten jedoch nicht Schritt halten.

1801 wurde die alte Firma zugunsten einer neuen Gesellschaft («Dortu, Soulier, Monod & Cie») aufgelöst, in der César Monod, Forstinspektor und Abgeordneter des Grossen Rats, als neuer Gesellschafter auftrat, eine Position, die er bis 1808 innehaben sollte. Bernard-Henry Veret war bereits 1798/99 aus dem Unternehmen ausgeschieden, um sich in Marseille niederzulassen- Laut Pelichet folgte ihm sein Bruder Samuel als Teilhaber nach, was Droz in seinen Quellen nicht verifizieren konnte (Pelichet 1985/1, 120; Droz 1997, 36).

Das 1801 verfasste «Fabrikbuch» gab eine klare Einschätzung des Problems der Überproduktion und empfahl, die Aktivitäten auf «günstigere» Produkte auszurichten und «aufwändige Muster nur zur Verzierung und Ausstattung des Ladens» herzustellen (Archives du Château de Nyon, Inv. 4189). Wie Laurent Droz hervorhebt, suggeriert dieses Dokument «eine Erneuerung, einen Neuanfang» (Droz 1997, 37). Die Verantwortlichen des Unternehmens zogen die Konsequenzen aus dieser alarmierenden Feststellung: Die Produktion wurde reduziert, während sich der Umsatz zwischen 1801 und 1805 erholte und das Unternehmen seine Schulden abbauen konnte. Aber auch diese Massnahme konnte die Firma nicht retten: 1808 wurde das Unternehmen ein weiteres Mal aufgelöst.

Im Dezember desselben Jahres wurde ein neues Unternehmen gegründet, eine Aktiengesellschaft mit dem Namen «Dortu, Soulier, Doret et Cie», die die Aktiven und Passiven des vorherigen Unternehmens übernahm. Das Aktienkapital belief sich auf 120.000 Franken, auf 80 Aktien verteilt. Dortu und sein Schwiegersohn Bernard-Henry Veret hielten zusammen fünfzehn Anteile (De Molin 1904, 72).

Dreissig Jahre nach Erscheinen der Publikation von de Molin entdeckte Georges Bonnard die Statuten der neuen Gesellschaft in den Archiven der Familie Guiger in Prangins. Der Text vom 9. Dezember 1808 nennt eindeutig den Hauptzweck des Unternehmens: «die Herstellung und den Verkauf von Porzellan, Steingut und rotem Steingut («poteries étrusques»). Die Leiter des Etablissements waren Jacob Dortu, «verantwortlich für die Zusammensetzung des Tons, die Herstellung der Farben und die allgemeine Leitung der Fabrik»; César Soulier, «verantwortlich für die Geschäftsreisen und die Buchführung», und Vincent Doret, «verantwortlich für die Kasse, […] den Verkauf und den Versand, die Führung der Journale, die Korrespondenz und die Überwachung der Produktion». Die neue Gesellschaft ersetzte die alte ab dem 1. Januar 1809 (Bonnard 1934/1, 115–117).

Jacob Dortu hatte sich in der Tat bemüht, seine Produktion zu diversifizieren, indem er Keramiksorten entwickelte, die günstiger zu erwerben waren als Porzellan, in der Hoffnung, einen grösseren Kundenkreis zu erreichen. Seine erste Innovation, die er 1807 einführte, war die rotorange «terre étrusque», Keramik, die offensichtlich an griechisch-römische Töpferwaren erinnerte und damals Etrurien zugeschrieben wurde. Später, wahrscheinlich bereits 1809, produzierte die Fabrik ihr erstes Steingut, das in den Archiven der Fabrik als «terre de pipe» bezeichnet wurde (siehe Kapitel «Nyon – Steingutfabriken [2]»).

Da das Unternehmen einen überdimensionierten Lagerbestand an Porzellan aufwies, beschlossen die Verantwortlichen, einen grossen Teil davon im Rahmen einer Lotterie an ihre Aktionäre zu verkaufen. Der Erlös sollte zur Finanzierung der Herstellung von Steingut verwendet werden. Die von Georges Bonnard veröffentlichte detaillierte Liste der Lose liefert wertvolle Informationen über die in der Fabrik verwendeten Formen und Dekore sowie über die damals zur Charakterisierung verwendeten Begriffe (Bonnard 1934/2; Bonnard 1934/3).

Angesichts der verzweifelten finanziellen Lage der Porzellan- und Steingutfabrik, setzten die Aktionäre am 31. Januar 1813 eine fünfköpfige Kommission unter dem Vorsitz von Pierre-Louis Roguin de Bons (1756–1840) ein, die eine Bilanz erstellen und Vorschläge für die Zukunft machen sollte. In den Augen der Kommission erforderte die Aufrechterhaltung einer Keramikindustrie in Nyon die Auflösung des ehemaligen Unternehmens «Dortu, Solier, Doret & Cie» und die Gründung einer neuen Einheit, die sich auf die Herstellung von Steingut beschränken sollte. In einer Plenarsitzung am 3. März beschloss die Generalversammlung der Aktionäre, den Markennamen «Dortu et C.e» aufzugeben und ihn auf künftigen Produkten durch «Commandite de Nyon» oder die Kurzformel «Comte de Nyon» zu ersetzen. Dieser Beschluss wurde wahrscheinlich nie umgesetzt: Bereits im April erwarben Jean-François Delafléchère, Pierre-Louis Roguin de Bons und Jean-André Bonnard (1780-1859) die Manufaktur einschliesslich Fabrikationsgeheimnis (Archives du Château de Nyon, Protocole de la liquidation de 1813; De Molin 1904, 74-79).

Am 23. Mai 1813 bestätigte die Aktionärsversammlung den Verkauf des Unternehmens an eine Kommanditgesellschaft, die von Jean-François Delafléchère, Jean-André Bonnard, Moïse Bonnard, seinem Vater, Pierre-Louis Roguin de Bons, Augustin-Alexandre Bonnard und André-Urbain Delafléchère de Beausobre gegründet wurde (De Molin 1904, 82 – Die Identität der Eigentümer ist in zwei notariellen Urkunden von 1814 und 1817 über Landkäufe belegt: Archives communales de Nyon [ACN], R 810). Siehe Kapitel «Nyon –Steingutmanufakturen (2)».

Das Fabrikationsgeheimnis wurde von seinem wichtigsten Produzenten, Jacob Dortu, gehütet, der es nur ungern preisgab. Mit dem Argument, dass Dortu sein Verfahren nur dank der vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Mittel entwickeln konnte, überzeugte ihn die Kommission schliesslich davon, seine Kenntnisse gegen eine Entschädigung von 200 Louis d’Or zu lüften. Nach Abschluss des Geschäfts im Juni 1813 verliess Dortu Nyon, um sich in Carouge niederzulassen.

Bereits 64 Jahre alt, eröffnete er dort zusammen mit seinem Schwiegersohn Bernard-Henry Veret und dessen Neffen Auguste Bouverot eine neue Manufaktur für Steingut. Die Einrichtung arbeitete bis 1824 erfolgreich unter dem Firmennamen «Dortu, Veret et Cie» oder «Dortu, Veret et Bouverot». Nach dem Tod von Jacob Dortu im Jahr 1819 trat sein Sohn Frédéric die Nachfolge an. 1824 verlegte er seine Fabrik nach Turin (Dumaret 2006, 100–102).

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

Archives communales de Nyon, R 810, Fonds Fernand Jaccard

Bibliographie:

Bonnard 1934/1
Georges Bonnard, Trois documents relatifs à la manufacture de porcelaine de Nyon I. In: Indicateur d’antiquités suisses, 36/2, 1934, 115-118.

Bonnard 1934/2
Georges Bonnard, Trois documents relatifs à la manufacture de porcelaine de Nyon II. In: Indicateur d’antiquités suisses, 36/3, 1934, 208-213.

Bonnard 1934/3
Georges Bonnard, Trois documents relatifs à la manufacture de porcelaine de Nyon III. In: Indicateur d’antiquités suisses, 36/4, 1934, 273-283.

De Molin 1904
Aloys de Molin, Histoire documentaire de la manufacture de porcelaine de Nyon, 1781-1813, publiée sous les auspices de la Société d’histoire de la Suisse romande et de la Société vaudoise des beaux-arts. Lausanne 1904.

Droz 1997
Laurent Droz, Les comptes de la manufacture de porcelaine de Nyon, 1791-1813. Aspects économiques. Mémoire de licence, Université de Lausanne. Lausanne 1997.

Dumaret 2006
Isabelle Dumaret, Faïenceries et faïenciers à Carouge. In: Arts à Carouge: Céramistes et figuristes. Dictionnaire carougeois IVA. Carouge 2006, 15-253.

Girod 1896
Maurice Girod, Les porcelaines de Zurich, de Nyon et de Genève. In: Exposition nationale suisse Genève 1896. Catalogue de l’art ancien, Groupe 25, 381-389.

Gonin 2017
Grégoire Gonin, Redécouvrir la porcelaine de Nyon (1781-1813). Diffusion et réception d’un artisanat de luxe en Suisse et en Europe du XVIIIe siècle à nos jours. Neuchâtel 2017.

Pelichet 1957
Edgar Pelichet, Porcelaines de Nyon. Nyon 1957.

Pelichet 1985/1
Edgar Pelichet, Merveilleuse porcelaine de Nyon. Nouvelle édition remaniée et définitive. Lausanne 1985.

Nyon VD, Steingutmanufaktur AG, 1917–1978

Roland Blaettler 2019

Keramik der Steingutmanufaktur Nyon SA in CERAMICA CH

Jules Michaud starb im Februar 1917 – laut Nachruf, der im Courrier de la Côte vom 13. Februar (S. 1) erschien, wurde er «seiner Aufgabe […] unerwartet entrissen». An die Spitze der Manufaktur trat sein Sohn Louis (1874–1954), der seit spätestens 1910 im Unternehmen tätig war. 1910 hatte sich Louis nämlich in Bezug auf die Manufaktur an die Gemeinde gewandt (Gemeindearchiv Nyon [ACN], Bleu A-72, Sitzung vom 17. Januar 1910). Im folgenden Jahr wurde Louis, «Fayencehersteller in Nyon», an der konstituierenden Versammlung vom 10. Juli in den Verwaltungsrat der Schweizerischen Keramikfachschule (École suisse de céramique) berufen (Tribune de Lausanne vom 13. Juli 1911, 2). Im gleichen Jahr unterzeichnete er einen Brief an die Gemeinde, in dem er sich als «kleinen Angestellten der Manufaktur» bezeichnete (Mitteilung von Frau Bourban-Mayor, Archivarin der Stadt Nyon). Louis wurde von der Generalversammlung der Aktionäre am 14. März 1917 zum Geschäftsführer der Manufaktur ernannt, knapp einen Monat nach dem Tod seines Vaters, was bedeutete, dass er sich im Unternehmen bewährt hatte (Schweizerisches Handelsamtsblatt [SHAB], Bd. 35, 1917, 498).

Der Name des Unternehmens variierte lange Zeit immer wieder. In der Urkunde für die Wasserrechte vom September 1880 (siehe Kapitel «Nyon – die Steingutmanufakturen [2]») wird sowohl die «Manufacture de poterie de Nyon, société anonyme» als auch die «Manufacture de poterie fine de Nyon» erwähnt. Anscheinend wurden beide Formulierungen in der Folge nebeneinander verwendet. Im ersten Band des SHAB tauchte das Unternehmen 1883 unter dem Namen «Manufacture de poteries de Nyon» auf. Auf einem Briefbogen mit gedrucktem Briefkopf aus dem Jahr 1897 steht «Manufacture de poteries fines de Nyon». Die neue Leitung klärte diesen Punkt ziemlich rasch: Im Juni 1917 genehmigte die Aktionärsversammlung den neuen Namen des Unternehmens: «Manufacture de poteries fines de Nyon S. A.» (SHAB, Bd. 36, 1918, 1044).

Das Gemeindearchiv Nyon verfügt über einen illustrierten Katalog der Manufaktur, der offensichtlich unvollständig ist und aus nicht gebundenen Fototafeln und einer Titelseite mit dem Titel «Album – Manufacture de poteries fines de Nyon S. A. – Louis Michaud, directeur» besteht (ACN, R 1224, in den Notizen des vorliegenden Inventars als «Album Michaud» bezeichnet). Wir gehen davon aus, dass dieses Dokument aus der Zeit kurz nach der Übernahme der Geschäftsleitung durch Louis Michaud und der Namensänderung stammt, d. h. aus den Jahren 1917/18. Die Formen sind noch stark vom eklektischen Geschmack geprägt, der um die Jahrhundertwende vorherrschte.

Die verzierten Objekte weisen hauptsächlich gedruckte Blumenmotive auf. So etwa die Form der Nummer MHPN MH-2013-46, mit einem anderen gedruckten Motiv; die Suppenterrine MHPN MH-2015-532, jedoch ohne Verzierung; das alte Saucieremodell MHPN MH-2003-118 oder die weisse Platte MHPN MH-2000-125. Einige dekorative Stücke, Vasen oder Blumentöpfe, sind mit relativ kunstvollen Auflagendekoren versehen.

Die Produktion veränderte sich im Laufe der 1920er-Jahre, zunächst bei den Dekoren, beträchtlich. Die Motive der Umdruckdekore wurden zusehends bunter, insbesondere bei den Jubiläums- und Ereignisobjekten (MHPN MH-2000-91; MHPN MH-FA-4656).

Vor allem aber tauchten das erste Mal seit über einem halben Jahrhundert in der laufenden Produktion wieder gemalte Motive auf, die künftig von Malern/Malerinnen ausgeführt wurden, die in der Manufaktur angestellt waren (MHPN MH-FA-4538B; MHPN MH-1993-341; MHPN MH-FA-4531; MHPN MH-FA-4577; MHPN MH-FA-4566; MHPN MH-2015-410; MHPN MH-2006-3; MHPN MH-2015-407; MHPN MH-2015-406).

Dieser erneute Aufschwung der bemalten Objekte wird in der Literatur mit Henri Terribilini (1898–1982) (siehe Kapitel «Henri Terribilini») in Verbindung gebracht. Dieser hatte 1917 einige Steingutobjekte aus Nyon verziert, wahrscheinlich als selbstständiger Dekorateur, als seine Tutorin Nora Gross mit der Fabrik zusammenarbeitete (MHPN MH-FA-10010; MHPN MH-1998-140).

Im Mai 1920 liess sich der junge Künstler für ein Jahr in Nyon nieder, wo er gemeinsam mit Georges Vallotton (siehe Kapitel «Georges Vallotton) wirkte. Es ist nicht auszuschliessen, dass er ab dieser Zeit punktuell für die Manufaktur arbeitete. 1925 liess sich Terribilini schliesslich definitiv in Nyon nieder, nachdem er von Michaud als Leiter des Malerateliers eingestellt worden war. Diese Funktion übte er bis 1928 aus. Er zeichnete ganz klar für einige der beliebtesten Pinseldekore der Manufaktur in den Jahren 1925–1935 verantwortlich (MHPN MH-FA-10006; MHPN MH-FA-4037; MHPN MH-FA-4039; MHPN MH-FA-4648; MHPN MH-2014-18; MHPN MH-2000-75; MHPN MH-FA-10005; MHPN MH-FA-4400A; MHPN MH-2003-110; MHPN MH-FA-4398; MHPN MH-205-389; MHPN MH-FA-4564).

Als er 1920 vorübergehend nach Nyon zog, gab die Einwohnerkontrolle an, dass Terribilini aus Langenthal kam, wo er als Porzellanmaler tätig war (ACN, Dossier der Einwohnerkontrolle). In der Produktion aus Langenthal sind mehrere Beispiele von Blumenmalereien auf farbigem Hintergrund bekannt, die an bestimmte Motive aus Nyon erinnern. Das Schweizerische Nationalmuseum in Zürich bewahrt eine Tasse aus dem Jahr 1918 (SNM LM-59169) und eine Vase aus dem Jahr 1924 (SNM LM-158592), das Musée Ariana zwei Vasen, die aus der Zeit um 1920 stammen (MAG AR 2002-309; AR 2007-113 – Schumacher und Quintero 2012, Abb. S. 67).

Wenn man diese Dekore mit dem Objekt aus Nyon (MHPN MH-FA-4564) vergleicht, erscheint es plausibel, dass Terribilini diese Art von Dekor ab 1925 nach Nyon gebracht hat. Allerdings wissen wir nicht, ob er diese Verzierungen in Langenthal erfunden hat. Da er dort als «Dekorateurgeselle» arbeitete, ist das ungewiss.

Die von der Manufaktur angebotenen Formen wurden ebenfalls laufend modernisiert – zunächst beim Trinkgeschirr, wo man insbesondere eher gewagte konische Profile feststellt (MHPN MH-2015-408; MHPN MH-2000-69).

Beim Essgeschirr, etwa bei Terrinen und Suppenschüsseln, hielten sich die älteren Formen manchmal bis in die 1940er-Jahre (MHPN MH-1999-78; MHPN MH-2015-532; MHPN MH-FA-4549).

Im Stadtarchiv Nyon gibt es einen zweiten Verkaufskatalog, bestimmt für die Deutschschweiz, mit dem Titel «Steingutfabrik Nyon A.-G.» (ACN, R 1224, zitiert in den Notizen des betreffenden Inventars als «Steingutfabrik Nyon»). Unseren Schätzungen zufolge stammt dieses Dokument, das klar ein Vorherrschen der Pinseldekore bezeugt, aus den Jahren 1920–1925. Es werden einige Service, Waschtischgarnituren und Vasen gezeigt, alle verschönert hauptsächlich mit gepinselten Motiven.

Zu sehen ist namentlich eine Platte der gleichen Art wie die Nummer MHPN MH-2014-18, Dosen, die der Nummer MHPN MH-2015-410 ähneln, und eine Vase, die stark an MHPN MH-FA-4037 erinnert.

Die Seite mit der Preisliste zeigt die neue Fabrikmarke, die aus einem runden Medaillon mit dem traditionellen Fisch von Nyon und den Initialen «MN» (Manufacture – Nyon) besteht. Unter dem Medaillon steht die Erwähnung «NYON». Auf den Objekten wird die Marke in blauer Unterglasurfarbe aufgestempelt (z. B. MHPN MH-2006-4). Eine Variante ziert die handgemalten Dekore (MHPN MH-FA-4400H). Die neue Marke erscheint bislang erstmals auf einem Objekt aus dem Jahr 1925, letztmals 1931. Sie wurde wahrscheinlich zwischen 1920 und 1925 eingeführt.

 

Diese Marke wird 1933 durch eine neue Stempelmarke ersetzt, die das Wappen von Nyon zeigt mit dem Vermerk «NYON» und das in grüner Unterglasurfarbe aufgestempelt wird (MHPN MH-1993-47; MHPN MH-2015-368). Unseres Wissens erscheinen diese grünen Kennzeichnungen ausschliesslich auf Jubiläums- oder Ereignisobjekten aus dem Jahr 1933.

Ab 1934 wurden sie durch eine blaue Marke ersetzt (MHPN MH-2000-170; MHPN MH-FA-10033A bis -C). Die blauen Marken sind äusserst rar.

 

Offenbar wurden sie rasch wieder abgelöst, vermutlich bereits 1934, durch eine braun-schwarze Version (MHPN MH-1997-39; MHPN MH-FA-4438), deren letzte Verwendung auf einem Objekt aus dem Jahr 1939 nachgewiesen wurde.

Eine weitere Variante in Braun-Schwarz ist auf den Jubiläum- oder Erinnerungsobjekten bzw. Werbegeschenken der Jahre 1937–1939 belegt, sie unterscheidet sich durch den Zusatz «Pinx’ Man» (MHPN MH-2015-422). Dieser merkwürdige Schriftzug scheint auf einen handgemalten Dekor hinzuweisen, doch er erscheint immer im Zusammenhang mit einem schablonierten Motiv (siehe auch Ethenoz-Damond 2008, 62).

In den 1930er-Jahren erfuhr die Produktion der Steingutmanufaktur beträchtliche Neuerungen, sowohl aus ästhetischer als auch als technologischer Sicht, da drei bedeutende Persönlichkeiten zum Unternehmen stiessen. Als Erstes trat 1930 Josué Rieben (geb. 1907) als Vorarbeiter in die Manufaktur ein. Er hatte an der Schweizerischen Keramikfachschule eine Ausbildung als Keramikformer absolviert. Im Register der Einwohnerkontrolle wurde vermerkt, dass er vorher in Château-d’Œx wohnhaft war. Nach einigen Jahren im Unternehmen nahm er zudem eine Tätigkeit als Geschäftsreisender auf (Ethenoz-Damond 2008).

Eine weitere prägende Persönlichkeit war Henri Crétenet (1905–1999), ein jurassischer Uhrmacher und Graveur, der sich wegen der Wirtschaftskrise beruflich umorientieren musste. Er wurde 1933 eingestellt. Die Einwohnerkontrolle trug ihn mit dem Vermerk «Töpferarbeiter» ins Register ein, er kam aus Monthey. Dank seinem Geschick bei Feinarbeiten stieg er rasch zum Leiter des Dekorationsateliers auf (Pelichet 1985/2, 37; Desponds 1999, 81; Ethenoz-Damond 2008, 52). Crétenet zeichnete sich in der Herstellung von Schablonen aus, die aus Aluminiumbogen ausgeschnitten wurden und die zur Ausführung mehrfarbiger aufgespritzter oder aufgepinselter Motive verwendet wurden. Diese Technik wurde bis in die 1970er-Jahre hauptsächlich auf Erinnerungs- und Jubiläumsobjekten verwendet (MHPN ; MHPN MH-2015-416; MHPN MH-2015-436; MHPN MH-2015-417; MHPN MH-FA-4598; MHPN MH-2015-365; MHPN MH-FA-4491; MHPN MH-1993-78; MHPN MH-2000-54; MHPN MH-2000-170; MHPN MH-FA-4650; MHPN MH-1997-39; MHPN MH-2003-6; MHPN MH-2005-6; MHPN MH-FA-4658; MHPN MH-2015-409; MHPN MH-2015-52; MHPN MH-FA-4732C; MHPN MH-2015-422; MHPN MH-1993-4; MHPN MH-2015-447; MHPN MH-FA-4399; MHPN MH-2010-55; MHPN MH-FA-10025A; MHPN MH-2000-89; MHPN MH-FA-4586; MHPN MH-2015-420; MHPN MH-2015-369).

Crétenet hat die Motive nicht nur ausgeführt, sondern auch selbst einige entworfen, wie seine Initialen «HC» bei einigen Motiven belegen (MHPN MH-FA-4518; MHPN MH-2000-47).

Bei den klassischen Umdruckdekoren kommt er nur ausnahmsweise zum Zug (MHPN ).

1947 zog Crétenet nach Prangins um, bevor er 1950 wieder nach Nyon zurückkehrte, wo er neu die Wohnung im Gebäude der Manufaktur bezog. Zu dem Zeitpunkt registrierte ihn die Einwohnerkontrolle mit der Funktion «Produktionsleiter». Der Funktionswechsel kann natürlich auch schon vorher vollzogen worden sein.

Für einige innovative Modelle zeichnete ein weiterer Neuankömmling verantwortlich. Louis Guex (1910–1988) wurde von Josué Rieben 1932 als Keramikformer angestellt (siehe Kapitel «Louis Guex, Kunstkeramik»). Guex wurde von der Einwohnerkontrolle im September 1932 als «Keramikformer» eingetragen. In der Manufaktur umfasste diese Funktion die Schaffung neuer Formen, aber auch – und vielleicht insbesondere – die Kontrolle, die Erneuerung und die Herstellung von Formen. In diesem Bereich hatte sich Guex bei Paul Bonifas in Ferney-Voltaire spezialisiert.

Louis Guex kann die charakteristische Form der Scheibenkanne mit Fuss zugeschrieben werden (MHPN MH-2003-6; MHPN MH-2005-6; MHPN MH-FA-4399; MHPN MH-FA-4499B; MHPN MH-FA-10037). Viele Exemplare davon tragen sein Monogramm «LG» (MHPN MH-2015-375).

Guex überarbeitete auch einige klassische Formen wie den Teller mit fassoniertem Rand (z. B. MHPN MH-1997-39). Im vorliegenden Bestand lassen sich diese Innovationen mit Gedenkobjekten ab 1938 nachweisen, was aber nicht ausschliesst, dass diese Neuerungen bereits etwas älter sind.

Ab den 1920er-Jahren hatte die Manufaktur mit den ersten deckenden Pinseldekoren begonnen, ein neues Stilbewusstsein umzusetzen, das sich dadurch auszeichnete, dass der eigentliche Charakter der Keramik auf gewisse Art und Weise verdeckt werden sollte (z. B. MHPN MH-2015-406; MHPN MH-2006-3; MHPN MH-FA-4039). Das Steingut, das hauptsächlich industriell hergestellt wurde, versuchte gewissermassen wie Fayencen auszusehen, die als nobler und «künstlerischer» galten. Diese Tendenz verstärkte sich gegen Anfang der 1940er-Jahre noch, als opake bzw. matte Glasuren die herkömmlichen transparenten Glasuren ablösten.

Die wichtigsten Glasuren, die in der Terminologie des Ateliers als «matt» bezeichnet wurden (Ethenoz-Damond 2008, 58–60), waren ein leicht rosa angehauchtes Beige (Glasur «rosa» – MHPN ; MHPN MH-FA-10037; MHPN MH-FA-4557; MHPN MH-FA-4529) und ein glänzendes Schwarz, das an den Überzug der berühmten «terres lustrées noires» von Paul Bonifas in Ferney-Voltaire erinnert (MHPN MH-2000-116; MHPN MH-FA-4457; MHPN MH-FA-4499B; MHPN MH-FA-4455).

Die letztgenannte Glasur wurde wahrscheinlich nach dem Eintritt von Louis Guex in die Manufaktur im Jahr 1932 kreiert. Dieses Zusammentreffen erklärt sich durch die Tatsache, dass Guex um 1931/1932 im Atelier von Bonifas als Keramikformer tätig war.

Die kreative Ader von Louis Guex zeigte sich auch in der Vase mit der Tänzerin, die als spätes Art-déco-Objekt konzipiert wurde (MHPN MH-2015-387; MHPN MH-1994-1), sowie bei den Tierfiguren, die neu in das Sortiment der Manufaktur aufgenommen wurden.

 

In der Art-déco-Bewegung widmeten sich viele Keramikateliers in Europa den Tierfiguren, häufig im Bereich Steingut. In Ferney-Voltaire gab Paul Bonifas verschiedene Skulpturen diverser schweizerischer Künstler heraus (siehe weiter unten). Die Manufaktur in Nyon wagte den Schritt in diese Richtung ebenfalls, wenn auch etwas spät. Laut Pelichet (Pelichet 1992) wurden die ersten Erfahrungen mit dieser Kunstrichtung in Nyon auf Anfrage des berühmten Tierbildhauers Édouard Marcel Sandoz für dessen persönlichen Gebrauch gemacht (MHPN MH-2015-354; MHPN MH-2015-352; MHPN MH-2015-355 und -356).

Die ersten Originale ordnet Pelichet Josué Rieben zu und er datiert sie auf 1936 (MHPN MH-2015-340; MHPN ; MHPN MH-2015-341; MHPN MH-2015-361).

Diese Produktionslinie nahm ganz offensichtlich wirklich Fahrt auf, nachdem Louis Guex 1932 zum Unternehmen gestossen war. Dieser hatte sich bei Bonifas zum Keramikformer weitergebildet. Er übernahm mehrere Formen, die einige Jahre zuvor vom berühmten Keramiker aus Ferney-Voltaire hergestellt worden waren. Dies wird klar ersichtlich, wenn man etwa das Originalobjekt eines Pelikans, der bei Bonifas nach einem Modell von Hélène Wyss-Pilet (MHPN MH-1994-3) hergestellt wurde, und die von Guex leicht überarbeitete Version für die Fabrik in Nyon vergleicht (MHPN MH-2015-362; MHPN MH-1994-2).

Bei einem anderen Modell nach Wyss-Pilet, einer Chinchillafigur, die ursprünglich bei Bonifas gefertigt wurde, zögert Guex nicht, sein eigenes Monogramm zu verwenden (MHPN MH-2015-375). Auch wenn Guex wahrscheinlich die Form hergestellt hat, erscheint die Verwendung seiner Initialen in diesem Fall etwas vermessen. In der Tat hat das Monogramm Pelichet dazu verleitet, den Chinchilla Guex zuzuordnen.

Bei einem Modell von Édouard Marcel Sandoz (MHPN MH-2015-434) konnte das gleiche Phänomen beobachtet werden.

Weitere Figuren tragen den Namen oder die Initialen ihres Urhebers, namentlich die Kreationen von Juliette Mayor (1896-1979): MHPN MH-2015-442; MHPN MH-2015-378; MHPN MH-2015-367; MHPN MH-2015-385; MHPN MH-2015-360; MHPN MH-2015-363.

Louis Guex hat sich vermutlich nicht darauf beschränkt, die Modelle anderer Künstler zu überarbeiten, wie wir gesehen haben. Aber da die Verwendung seiner Monogramme mit Vorsicht zu geniessen ist, sind seine eigenen Schöpfungen nicht einfach zu identifizieren (vielleicht MHPN MH-1994-6 oder MHPN MH-2015-377). Louis Guex verliess die Manufaktur 1946, um sich selbstständig zu machen (siehe Kapitel «Louis Guex, Kunstkeramik»).

Mitte der 1930er-Jahre, mitten in der Wirtschaftskrise, erlebte die Manufaktur einige starke Turbulenzen, wie diverse Unterlagen aus dem Gemeindearchiv belegen (ACN, R 810). In einem Bericht vom Mai 1935 zog Josué Rieben eine alarmierende Bilanz: Die Qualität der Produktion befindet sich im freien Fall … «Zu viel zweite und vor allem zu viel dritte Wahl». Seinen Aussagen zufolge war es unmöglich, von den bisherigen Mitarbeitenden eine «saubere und verkaufswürdige Arbeit» zu erhalten. Die Atmosphäre am Arbeitsplatz war vergiftet und verhinderte jegliche Innovationsversuche. Der Vorarbeiter empfahl, die gesamte Belegschaft zu entlassen und nur die besten Mitarbeitenden wieder einzustellen. Die Verwaltungsräte des Unternehmens, die sich ebenfalls Sorgen um die Manufaktur machten, waren bereits auf einen Hoffnungsträger zugegangen, der die Manufaktur aus der Krise führen sollte: Albert Jaccard (1897–1965), ein ausgebildeter Ingenieur.

In einem Brief an seine Mitverwaltungsräte vom 5. Dezember 1935 präzisierte Bankier Alfred Baup, der von 1917 bis 1926 sowie von 1936 bis 1955 Verwaltungsratspräsident war, dass Jaccard bereit sei, reserviertes Kapital in der Höhe von 50 000 Franken bereitzustellen, ein «unerwarteter Vorschlag, eine Gelegenheit, die nicht wiederkommt!». In einem nicht datierten Schreiben bestätigt Jaccard, dass sein Angebot weiterhin stehe, «sofern die Bedingungen gemäss [seinem] Schreiben vom 5. März betreffend die allfällige Übernahme der Mehrheit des Gesellschaftskapitals aufrechterhalten würden». Am 27. März 1936 übermittelte er zwei Vertragsentwürfe im Hinblick auf seine Zusammenarbeit bei der Reorganisation der Manufaktur (nicht im Dossier enthalten). An ihrer Sitzung vom 20. April 1936 erfuhr die Gemeinde von «Herrn Albert Jaccard, dem neuen Direktor der Manufaktur», dass dieser mit der Prüfung einer Reorganisation des Unternehmens betraut sei und eine Schliessung in Betracht gezogen würde. Um die Entlassung von Mitarbeitenden der Fabrik zu vermeiden, verlangte er einen beträchtlichen Rabatt für die von der Gemeinde gelieferte elektrische Energie. Am 18. Mai stellt die Stadtregierung fest, dass laut Jaccard ein Mitarbeiter entlassen worden war, während die Polizeikommission fünf Entlassungen vermeldete (ACN, Bleu A-88).

Die Reorganisation an der Spitze des Unternehmens wurde von der Generalversammlung der Aktionäre vom 22. April 1936 gutgeheissen (SHAB, Bd. 54, 1939, 1343: Artikel 23 der Statuten wurde geändert und sah nun vor, dass die Geschäftsführung des Unternehmens «einem Direktor oder einem Delegierten des Verwaltungsrats übertragen werde, der vom Verwaltungsrat zu ernennen sei. Der Direktor und der Delegierte des Verwaltungsrats sind beide zeichnungsberechtigt (Einzelunterschrift)». In einer ordentlichen Generalversammlung, die am gleichen Tag stattfand, beriefen die Aktionäre Louis Michaud und Albert Jaccard neu in den Verwaltungsrat. Verwaltungsratspräsident war Alfred Baup, Louis Michaud war als Sekretär tätig. Albert Jaccard wurde zum Delegierten des Verwaltungsrats ernannt. Louis Michaud wurde seiner Funktion als Geschäftsführer enthoben.

Jaccard übernahm nun also die effektive Geschäftsführung des Unternehmens, auch wenn er als Delegierter des Verwaltungsrats fungierte. In der Waadtländer Presse wurde er regelmässig als «Direktor» der Manufaktur bezeichnet. Mit seiner Ernennung zum einfachen Verwaltungsrat – diese Funktion übte er bis zu seinem Tod aus – wurde Michaud in den Hintergrund versetzt. Albert Jaccard verlieh dem Unternehmen gewiss neuen Wind. Er hatte hochrangige Positionen in verschiedenen Unternehmen der Region inne, etwa bei der Bahngesellschaft Nyon–Saint-Cergue–Morez, den Bahnunternehmen Gland–Begnins und Rolle–Gimel oder beim Elektrizitätswerk La Côte. Er war auch politisch aktiv: Er amtete als Gemeinderat und als Grossrat (Tribune de Lausanne vom 22. August 1965, 13).

Allgemein lässt sich bei der Betrachtung der Objekte in den Sammlungen ab 1937/38 eine Verbesserung und eine grössere Regelmässigkeit in der Produktion festellen. Das keramische Trägermaterial hatte eine wärmere Farbe, das harte Weiss wich einem elfenbeinartigen Weiss. Die Formen wurden im Allgemeinen besser ausgeführt und waren konstanter. Mit Henri Crétenet und Louis Guex verfügte die Manufaktur eindeutig über zwei gute Techniker, die einen hohen Anspruch an die Arbeitsqualität hatten.

 

Ab 1939/40 wurden mehrere neue Fabrikmarken verwendet, die alle mit Schablonen und in blauer Unterglasurfarbe ausgeführt wurden. Allerdings ist der Bestand an datierten Stücken nicht ausreichend gross, um eine genauere Datierung der verschiedenen Marken durchzuführen. Ausserdem scheinen sich die Verwendungsperioden bestimmter Varianten zu überschneiden. Einige Marken repräsentieren nur die Ortsbezeichnung «NYON» mit einem Grossbuchstaben und kursiven Kleinbuchstaben (MHPN MH-2000-89) – auf Objekten, die von 1942 bis 1945 gefertigt wurden – oder in serifenlosen Grossbuchstaben (MHPN MH-FA-4597) – auf Gegenständen von 1945 bis 1949.

 

Die erste Variante ist vielleicht leicht älter als die zweite, aber das müsste noch geprüft werden.

Eine Variante der ersten Marke setzt sich aus einem stilisierten Fisch und der Ortsbezeichnung zusammen (MHPN MH-2010-55; MHPN MH-FA-10025A). Diese Variante haben wir auf zwei Tellern aus dem Jahr 1942 gefunden. Der stilisierte Fisch wurde am 8. Juli 1939 als Fabrikmarke eingetragen (Schweizerisches Handelsamtsblatt, Bd. 57, 1581).

Dieses Motiv findet sich auch mit einer dritten Variante der Ortsbezeichnung (MHPN MH-2000-172), die wir bisher nur auf einem Objekt festgestellt haben.

 

Der stilisierte Fisch ohne Ortsbezeichnung, jedoch mit dem Vermerk «paint à la main» scheint am weitesten verbreitet zu sein (MHPN MH-2000-45; MHPN MH-FA-4570). Anhand des einzelnen Buchstabens, der unterhalb dieser Markenvariante angebracht wurde, konnte die Dekorateurin zu Kontrollzwecken identifiziert werden. Das «D» beim gezeigten Teller steht für Gabrielle Damond, Malerin in der Manufaktur von 1938 bis 1952 (Ethenoz-Damond 2008, 62).

 

Eine letzte Variante finden wir auf der Rückseite einer Gedenkplatte aus dem Jahr 1950, die sich im Musée du Vieux-Moudon befindet: Auch hier zeigt sich der stilisierte Fisch, jedoch mit dem Zusatz «Manufacture de Poteries fines S. A. Nyon» (MVM M 1936).

Fernand Jaccard, Chemieingenieur, trat 1951 die Nachfolge seines Vaters an (SHAB, Bd. 69, 1951, 992). 1965 produzierte das Unternehmen noch 300 Tonnen Geschirr pro Jahr, d. h. eine Million Stücke, mit Serien, die bis zu 200 000 Einheiten umfassen konnten und die für Grossverteiler bestimmt waren. Die Teilautomatisierung der Produktion hatte es erlaubt, das Personal in 12 Jahren auf 30 Mitarbeitende zu halbieren (Nouvelle Revue de Lausanne vom 25. März 1965, 15). Anfang der 1970er-Jahre bereitete die finanzielle Lage des Unternehmens grosse Sorgen. Seine Produkte waren wegen der grossen Mengen importierter Keramikprodukte nicht mehr konkurrenzfähig, die Löhne und die Rohstoffpreise waren gestiegen.

Im April 1972 verliess Fernand Jaccard Nyon und trat vorübergehend eine Stelle als Dozent an der École des arts et métiers in Vevey an (24 Heures vom 18. April 1972, 19). Im Juni 1972 wurden Josué Rieben, Henri Crétenet und Noëlie Barbey zu Bevollmächtigten mit Kollektivunterschrift zu zweien ernannt (SHAB, Bd. 90, 1972, 1577). Im Februar 1974 war die Manufaktur in Kurzarbeit, «wegen einer unvorhersehbaren Marktentwicklung», obwohl Angestellte ins Ausland abwanderten, insbesondere nach Frankreich. Das Unternehmen zählte noch rund zwanzig Mitarbeitende, rund ein Drittel der Belegschaft war 1973 entlassen worden (24 Heures vom 2./3. Februar 1974, 17 [Beschreibung der Produktionsprozesse] – 24 Heures vom 5. Februar 1974, 19).

Gerüchte über eine Schliessung der Manufaktur hielten sich hartnäckig bis ins Frühjahr 1977, als die Verwaltungsräte des Unternehmens in Maurice Colin, Besitzer einer Töpferei im Wallis, einen letzten Hoffnungsschimmer sahen. Er, der vielleicht das Unternehmen retten könnte, wurde anstelle von Fernand Jaccard am 3. Mai 1977 zum Direktor ernannt. Der belgische Staatsangehörige Colin hatte 1961 gemeinsam mit seiner Frau die Töpferei «Valcera» mit Sitz in Châteauneuf-Conthey gegründet. Er war im Begriff, seine Fabrik im Wallis zu schliessen, und plante, seine Ausrüstung nach Nyon zu verlegen. Denn die Zusammenlegung der Kundenstämme der beiden Unternehmen schien genügend Absatzmöglichkeiten zu bieten. Das Unternehmen «Valcera» wurde im Dezember 1978 aufgelöst (24 Heures vom 5. Mai 1977, 19 – SHAB, Bd. 79, 1961, 2764 – SHAB, Bd. 97, 1979, 420). Der Wechsel an der Spitze der Manufaktur in Nyon wurde im Juni 1977 offiziell eingetragen, Fernand Jaccard wurde im Juli Mitglied des Verwaltungsrats (SHAB, Bd. 95, 1977, 2042). Der neue Mann der Stunde hatte kaum Zeit, eine neue Kollektion zu erschaffen, weshalb er «häufig die Formen und die alten Kupferplatten [die gravierten Platten für die Herstellung der gedruckten Motive] übernahm». Die Aktionäre beschlossen an einer ausserordentlichen Generalversammlung am 4. April 1978 jedoch, die Produktion ab dem Ende des Monats einzustellen. Colin bedauerte «den mangelnden Mut seitens des Verwaltungsrats». Als einflussreiches Verwaltungsratsmitglied stellte Max Thomas fest, dass die finanzielle Lage des Unternehmens stabil war, dass es aber nicht infrage kam, das Kapital aufzuzehren (24 Heures vom 5. April 1978, 19).

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

 Archives communales de Nyon [ACN], Série Bleu A, Registres de la Municipalité – Contrôle des habitants – R 1224, Fonds Josué Rieben – R 810, Fonds Fernand Jaccard

La presse et les annuaires vaudois, consultés sur le site Scriptorium de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne

La Feuille officielle suisse du commerce, consultée sur le site e-periodica.ch

 Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, , 57-60, 380, 414, 418.

Desponds 1999
Liliane Desponds, Terre d’argile et mains agiles. La poterie de Nyon 1860-1978. Collection Archives vivantes. Yens-sur-Morges 1999.

Ethenoz-Damond 2008
Gabrielle Ethenoz-Damond, La Manufacture de poteries fines de Nyon. Souvenirs d’une ouvrière 1938-1952. Nyon 2008.

Maggetti et Serneels 2017
Marino Maggetti et Vincent Serneels, Étude archéométrique des terres blanches poreuses («faïences fines») des manufactures de Carouge, Jussy, Nyon et Turin. Revue des Amis suisses de la céramique 131, 158-222.

Pelichet 1992
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. De surprenants animaux et des vases. Manuscrit inachevé, 1992 (Archives du Château de Nyon).

Schumacher et Quintero 2012
Anne-Claire Schumacher et Ana Quintero (éd.), La manufacture de porcelaine de Langenthal, entre design industriel et vaisselle du dimanche – Die Porzellanmanufaktur Langenthal, zwischen Industriedesign und Sonntagsgeschirr. Milan/Genève 2012.

 

 

Nyon VD, Terribilini, Henri (1898-1982)

Roland Blaettler 2019

Keramik von Henri Terribilini in CERAMICA CH

Der in Montreux geborene Henri Terribilini (1898–1982) wurde im Alter von drei Jahren Waise und folglich mit seiner Schwester und zwei Brüdern von einer Familie in Noville bei Villeneuve aufgenommen. Er besuchte die Schweizerische Keramikschule in Chavannes-Renens (wahrscheinlich 1913/14, da Paul Bonifas sein Klassenkamerad war, wie Familienangehörige dem Museum von Nyon mitteilten) und darauf die von seiner Tutorin Nora Gross (1871–1929) gegründete Schule für dekorative und angewandte Kunst in Lausanne.

In den Jahren 1917 und 1918 dekorierte er flache Schüsseln aus Steingut, deren Marken die Erwähnung «Nyon» tragen (MHPN MH-FA-10010; MHPN MH-1998-140). Im Gegensatz zu gewissen Autoren (Pelichet 1985/2, 36; Desponds 1999, 80) können wir nicht davon ausgehen, dass Terribilini bereits zu diesem Zeitpunkt bei der Manufacture de poteries fines beschäftigt war. Er stand der Manufaktur sicherlich nahe, wahrscheinlich im Gefolge von Nora Gross, die in der gleichen Zeit mit der Manufaktur zusammenarbeitete (siehe das Kapitel «Nora Gross»), aber unserer Meinung nach blieb die Arbeit, die er dort verrichtete, punktuell und rein persönlich. Wie wir dem Kapitel über die Manufaktur entnehmen, pflegte diese, ihre Infrastruktur immer wieder unabhängigen Dekorateuren zur Verfügung zu stellen.

1920 wird er von Georges Vallotton nach Nyon berufen, um ihn in seiner Manufacture de porcelaines décorées als Werkstattmeister zu unterstützen (siehe Kapitel «Georges Vallotton»). Tatsächlich wurde Terribilini erstmals im Mai 1920 im Einwohnerregister von Nyon als Porzellandekorateur eingetragen. Weiter erfahren wir, dass er aus Langenthal kam, wo er in der Porzellanmanufaktur gearbeitet hatte. Nach Angaben der Einwohnerkontrolle reiste Terribilini im Juni 1921 nach Paris. Wahrscheinlich besuchte er zu dieser Zeit, der Familientradition folgend, kunsthistorische Kurse an der École du Louvre.

Im Frühjahr 1922 ernannte ihn der Staatsrat provisorisch zum Fachlehrer für den praktischen Unterricht an der Schweizerischen Keramikschule (Gazette de Lausanne, 4. Mai 1922, S. 2). Im Juni stellt er auf der Exposition nationale d’art appliqué, die vom 6. Mai bis 25. Juni in Lausanne stattfand, zwei Steingutvasen «mit Unterglasurmalerei» aus (Kat. Nr. 222 und 223). Die angegebene Adresse ist Lausanne. Im Indicateur vaudois von 1923 erscheint Terribilini als «Fachlehrer an der Schweizerischen Keramikschule in Renens».

Der einzige bekannte Gegenstand, der mit Terribilinis Tätigkeit an der Keramikschule in Verbindung steht, ist ein kleiner Flacon aus dem Jahr 1923 (MHPN MH-FA-10008). Im Jahr 1924 hielt er sich in Frankreich auf, wo er sein Fachwissen in verschiedenen Keramikfabriken weiter ausbaute, insbesondere in Givors (MHPN MH-FA-10007; MHPN MH-FA-10001; MHPN MH-FA-10003).

Im Jahr 1925 liess sich Henri Terribilini dauerhaft in Nyon nieder, nachdem er von Louis Michaud mit der Leitung der Dekorationswerkstatt der Manufacture de poteries fines beauftragt worden war. Im November desselben Jahres trägt ihn das Einwohnerregister von Nyon zum zweiten Mal ein, diesmal allerdings als «Keramiker».

In der Manufaktur war er wahrscheinlich der Hauptverantwortliche für den Aufschwung des bemalten Dekors in der laufenden Produktion (siehe Kapitel «Manufacture de poteries fines de Nyon S. A.»). Die Vase MHPN  ist vielleicht ein Prototyp des «Cataneo»-Dekors, ein Motiv, das zu einem der wichtigsten Merkmale der Fabrik wurde (siehe z. B. MHPN MH-2003-110; MHPN MH-2003-109; MHPN MH-2015-408; MHPN MH-2003-108).

Ausser der oben gezeigten Vase sind nur wenige von Terribilini signierte Stücke aus der Produktion der Manufaktur bekannt (MHPN MH-FA-10011; MHPN MH-FA-10005). Auch einige unsignierte, innovative Entwürfe können ihm zugeschrieben werden (z. B. MHPN MH-FA 4037; MHPN MH-FA-4039; MHPN MH-FA-4648; MHPN MH-2014-18; MHPN MH-2000-75).

Henri Terribilini verliess die Manufaktur 1928, um sich in der «Villa Saint-Jean» eine eigene Werkstatt einzurichten. Im selben Jahr organisierte er einen «Cours breveté de peinture sur porcelaine par correspondance» (La Revue vom 11. Juli 1928, S. 6, Anzeige), eine Initiative, die gemäss dem Zeugnis eines Familienmitglieds offenbar nur mässigen Erfolg hatte. Im Jahr 1930 zog er in die Villa «La Primevère», rue du Canal 15, wo er bis zu seinem Tod lebte.

Mehr als dreissig Jahre lang widmete sich Terribilini der Malerei auf Porzellan, die weissen Stücke stammten aus deutschen Manufakturen oder aus Langenthal. Am 4. Januar 1930 liess er seine Werkstattmarke eintragen, die aus seinen Initialen, dem Fisch der ehemaligen Porzellanfabrik und dem Schriftzug «Nyon» bestand (SHAB, Bd. 48, S. 349). Die ursprünglichen Fabrikmarken sind in der Regel unter einer goldenen Oberfläche verborgen (MHPN MH-PO-4033; MHPN MH-PO-4036). Die Marke wurde 1950 erneut eingetragen und blieb bis zur Aufgabe des Ateliers in Kraft.

Mit der Zeit verzichtete Terribilini immer mehr auf seine persönlichen Kreationen (MHPN MH-PO-10028; MHPN MH-PO-10029; MHPN MH-PO-10024; MHPN MH-2000-227E), um sich hauptsächlich der Erhaltung der Dekore aus dem Repertoire des Nyoner Porzellans des 18. Jahrhunderts zu widmen (MHPN MH-PO-4036; MHPN MH-PO-4033).

Seinem Beispiel folgten unzählige selbstständige, mehr oder weniger professionelle Dekorateure in der Region Nyon und in der ganzen Schweiz. Keiner dieser Maler erreichte den Ruhm von Henri Terribilini, der 1957 sogar mit der Dekoration des Staats-Service des Waadtländer Staatsrats betraut wurde, einer Serie von 350 Stücken, die für Regierungsempfänge im Schloss Chillon reserviert waren und mit einem «Louis XVI»-Dekor aus «roten Rosen und violetten Schnörkeln» verziert wurden (Nouvelle Revue de Lausanne vom 10. September 1957, S. 5 – Idem, Ausgabe vom 25. März 1965, S. 15).

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen

Schweizerisches Handelsamtsblatt ab 1883 (konsultiert auf der Website e-periodica.ch)

Waadtländer Presse und Jahresbücher, konsultiert auf der Website Scriptorium der Kantons- und Universitätsbibliothek Lausanne.

Bibliographie

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 67-68, 444.

Desponds 1999
Liliane Desponds, Terre d’argile et mains agiles. La poterie de Nyon 1860-1978. Collection Archives vivantes. Yens-sur-Morges 1999.

Pelichet 1985/2
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. Nyon 1985.

Oberwil BL, Töpferei des Johann Jakob Bannier

 

Roland Blaettler und Rudolf Schnyder 2014

Zwei Tintengeschirre im Museum Blumenstein Solothurn (MBS 1933.9) und im Historischen Museum Olten (HMO 8227) sind nach Form, Stil und Technik eindeutig Erzeugnisse aus ein und derselben Werkstatt.

Das Musée d’art et d’histoire von Neuchâtel besitzt ein drittes Stück vom gleichen Typ, mit Datum 1777 und brauner Glasur (MAHN AA 1470).

Die Inschrift auf dem Exemplar vom Museum Blumenstein (MBS 1933.9) – «Jocob Bannir – H I O W» – gibt einen wertvollen Hinweis auf die Herkunft dieser drei Keramiken. Der Jakob Bannier (oder Pannier), der hier genannt wird, ist zweifellos Glied einer Familie aus Oberwil bei Basel. Das Historische Museum Basel besitzt einen Krug mit Datum 1737 und Inschrift «… von Johannes p … gemacht in Oberwill» (Peter-Müller 1978, Abb. 1, HMB 1878.31).

Nachforschungen im Staatsarchiv Baselland haben ergeben, dass zwei Johannes Pannier (Bannier) in Oberwil lebten in den Jahren, die uns interessieren. Unklar ist aber, welcher von beiden Töpfer war. Sie waren Cousins. Der eine lebte von 1683 bis 1751, der andere von 1693 bis 1785. Der erste hatte einen Sohn mit Namen Johann Jakob (1712–1769), dem 1736 selbst auch ein Sohn mit dem gleichen Vornamen geboren wurde.

Da das Tintengeschirr von Neuchâtel erst nach dem Tod des Vaters entstanden ist, kann man wohl annehmen, dass die drei Keramiken das Werk des Johann Jakob Junior sind. Das ältere Stück hätte er also mit achtzehn Jahren hergestellt, was durchaus möglich ist.

Bibliographie

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz (1500-1950) 2). Sulgen 2014, 48.

Blaettler/Ducret/Schnyder 2013
Roland Blaettler/Peter Ducret/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH: Neuchâtel (Inventaire national de la céramique dans les collections publiques suisses (1500-1950) 1). Sulgen 2013, 62.

Peter-Müller 1978
Irmgard Peter-Müller, Geschirr des 18. Jahrhunderts im Kirschgarten aus Basler Besitz. Basel 1978.

Olten SO, Hafnerei des Franz von Arx (1794–1851)

Keramik der Hafnerei Franz von Arx in CERAMICA CH

Roland Blaettler 2019

Franz Josef von Arx-Büttiker (1794–1851) war in Olten als Hafner tätig, wo er scheinbar die Werkstatt seines Onkels, des Ofenhafners Franz von Arx-Hofmann (1759–1851) weiterführte (Fischer 1989). Fest steht, dass er 1847 an der Solothurner Gewerbeausstellung mit zwei «Hängevasen» teilnahm, im folgenden Jahr war er an der Zweiten, Allgemeinen Schweizerischen Gewerbe- und Industrieausstellung in Bern mit «Hängelampen für Blumen in sechs verschiedenen Grössen» vertreten (Kat. Solothurn 1847; Frei 1951, 4 und 6; Messerli Bolliger 1991, 14).

 Von seinen Hängevasen oder Blumenampeln haben sich zwei Exemplare im Historischen Museum in Olten erhalten (HMO 8777 und HMO 8778).

Bibliographie

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2014,50

Fischer 1989
Fischer, Martin Eduard, «Hafner und Hafnerhandwerk in Olten», in: Jurablätter. Monatszeit­schrift für Heimat- und Volkskunde, 51. Jg., 1989, 189–196.

Frei 1951
Karl Frei, Die Keramik an den schweizerischen Industrie- und Gewerbeausstellungen in Bern 1848 und 1857, Teil I, in: Freunde der Schweizer Keramik, Mitteilungsblatt 20, 1951, 4–7.

Kat. Solothurn 1847
Katalog zur Gewerbe-Ausstellung in Solothurn, eröffnet vom 9. bis zum 25. Mai 1847, Solothurn 1847.

Messerli Bolliger 1991
Barbara E. Messerli Bolliger, Der dekorative Entwurf in der Schweizer Keramik im 19. Jahrhundert, zwei Beispiele: Das Töpfereigebiet Heimberg-Steffisburg-Thun und die Tonwarenfabrik Ziegler in Schaffhausen, in: Keramik-Freunde der Schweiz, Mitteilungsblatt 106, 1991, 5–100.

Passau, Dressel, Kister und Cie (1853–1942) – Porzellanfiguren

Betrifft auch: Höchst, Porzellanmanufaktur (1746–1796), Aschaffenburg, Damm, Steingutfabrik (1827–1884)

Roland Blaettler, Andreas Heege 2019

Die Höchster Porzellanmanufaktur (Hessen) ist bekannt für die Vielfalt ihrer Figuren, die während der 50jährigen Produktionszeit von zahlreichen Modelleuren geschaffen wurden. Diese orientierten sich oft an Meissener Vorbildern, die sie nachahmten oder variierten. Nach grafischen Vorlagen wurden aber auch eigene Modelle entworfen (Stahl 1994, 185-314).  Sie konnten sowohl als Biscuit ausgeführt sein, als auch unbemalt bleiben oder farbig staffiert verkauft werden.

Nachdem die Porzellanmanufaktur in Höchst 1796 geschlossen worden war, wurde die Fabrik samt Inventar am 26. August 1798 versteigert. 1840 erwarb Daniel Ernst Müller die alten Figurenmodelle für die von ihm 1827 gegründete Steingutfabrik in Aschaffenburg, Damm (Bayern). Mit ihrer Hilfe wurden neue Arbeitsformen aus Gips geschaffen und gebrannte Tonmodelle zur Formensicherung hergestellt. Bis 1884 entstanden so zum Teil retuschierte Steingutfiguren, vereinzelt auch Porzellanausformungen der beliebten Höchster Figuren (Stenger 1949; Schad 1991; Zoike 1986; Stahl 1994, 297-302).

1886–1887 gelangten die Formen in den Besitz der 1755 gegründeten Steingutfabrik Franz  Anton Mehlem in Poppelsdor bei Bonn. Die alten Formen wurden restauriert und neue Steingutfiguren ausgeformt,  die  jedoch nicht in den Verkauf gelangten (Stahl 1994,  302). 1903 wurden etwa 350 Modelle von der Porzellanfabrik Dressel, Kister und Cie in Passau (1853-1919) erworben. Dort wurden sie erneut retuschiert und vermutlich bis 1919 als Porzellanfiguren ausgeformt. Sei es in Aschaffenburg, Damm oder in Passau, die neuen Ausformungen wurden fast systematisch mit der Höchster Radmarke versehen, manchmal in Zusammenhang mit dem Buchstaben «D» (HMO 8661), manchmal mit einem Bischofsstab (Passau, Reber 1988, 192–200; Werhahn 2002). 1919 wurde die Firma verkauft und firmierte bis zum Konkurs im Jahr 1936 unter “Aelteste Volkstedter Porzellanfabrik AG, Zweigniederlassung Passau”. 1927 bestellte die Stadt Höchst noch vor ihrer Eingemeindung nach Frankfurt dort einen kompletten, neu ausgeformten Satz von allen erhaltenen Höchster Modellen. Die rund 350 „Alt-Höchster Reproduktionen” sind bis heute in den festlich ausgestatteten Zimmern des Bolongaropalastes in Frankfurt-Höchst ausgestellt und werden vom Historischen Museum Frankfurt wissenschaftlich betreut.

Von 1937 bis 1942 wurde die Produktion als “Porzellanfabrik Passau” fortgesetzt, bevor der Betrieb  am Ende des Zweiten Weltkrieges zerstört und geplündert wurde.  “Alt-Höchster Reproduktionen” wurden mit den vorhandenen Modeln letztlich wohl bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in der Passauer Porzellanmanufaktur  hergestellt.

Ein Teil der Formen kam in das Oberhausmuseum in Passau und wurde bei dessen Auflösung an einen Privatmann verkauft, der sie an die Porzellanmanufaktur Frankenthal weiterverkaufte. Nach deren Stilllegung um 1950 verlieren sich die Spuren der Formen (Stahl 1994, 302).

Bibliographie

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950). Sulgen 2014, 382.

Reber 1988
Horst Reber, Höchster Porzellan aus drei Jahrhunderten. Ausstellung zu Aspekten der Kunst-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Hohenberg an der Eger 1988.

Schad 1991
Brigitte Schad, Die figürlichen Erzeugnisse der Steingutfabrik Damm 1840-1884. Aschaffenburg 1991.

Stahl 1994
Patricia Stahl, Höchster Porzellan 1746-1796. Katalog zur Ausstellung Höchster Porzellan 1994, Frankfurt 1994.

Stenger 1949
Erich Stenger, Die Steingutfabrik Damm bei Aschaffenburg 1827-1884. Aschaffenburg 1949.

Werhahn 2002
Maria Christiane Werhahn, Die Porzellanfiguren der Passauer Manufaktur aus den Höchster Originalformen. Ein Beitrag zur Geschichte des Porzellans im 19. und 20. Jahrhundert. Neuss 2002.

Zoike 1986
Birgit Zoike, Die figürlichen Erzeugnisse der Steingutfabrik Damm nach Formen der kurmainzischen Porzellanmanufaktur in Höchst am Main (Höchster Geschichtshefte 44). Frankfurt 1986.

 

 

Reber, Burkhard (1848–1926), Genfer Apotheker und Sammler (Sammlung Unil)

Roland Blaettler 2019

1922 erwarb die Universität Lausanne die Sammlung, die der Genfer Apotheker Burkhard Reber seit den späten 1860er-Jahren zusammengetragen hatte. Es handelt sich dabei um eine bemerkenswerte Sammlung von Objekten und Dokumenten zur Geschichte der Pharmazie und Medizin. Die Gruppe der Apothekengefässe aus Keramik, die mehr als 450 Exemplare umfasst und zu den grössten dieser Art in der Schweiz gehört, ist zweifellos einer der Höhepunkte der Sammlung Reber. Sie ist heute in den Magazinen des Musée du Château de Nyon (Musée historique et des porcelaines) untergebracht.

Burkhard Reber (1848–1926) wurde in Benzenschwil (AG) in einer bescheidenen Bauernfamilie geboren. Schon in jungen Jahren interessierte er sich aufgrund seines wachen Geistes und seiner Neugier für Naturwissenschaften, sammelte Fossilien und legte einen kleinen botanischen Garten an. Trotz aller Opfer, die dies mit sich brachte, meldeten seine Eltern ihn in der Sekundarschule in Muri an, wo er einen der Gründer des Schweizer Alpenvereins, den Chemiker Theodor Simmler, kennen lernte, der sein erster Mentor werden sollte. Nach und nach weiteten sich seine Interessen auf Archäologie und Geschichte aus. Im Jahr 1886 entdeckte der junge Burkhard die Überreste einer römischen Villa in der Nähe von Muri, die später von den zuständigen Stellen ordnungsgemäss erforscht wurden. Trotz der Ratschläge seiner Lehrer, die ihn zu einer Karriere als Lehrer drängten, entschied sich der junge Mann, der sich unwiderstehlich von den Naturwissenschaften angezogen fühlte, Apotheker zu werden.

So begann er 1868 eine Lehre in einer Apotheke in Weinfelden, seine Freizeit widmete er der Botanik. Bei seinen aufmerksamen Streifzügen durch die umliegende Region entdeckte er in den Mooren von Heimenlachen (TG) die Überreste einer prähistorischen Siedlung. Dieser Fund brachte ihn in Kontakt mit dem berühmten Zürcher Prähistoriker Ferdinand Keller (1800–1881), mit dem er bis zu seinem Lebensende korrespondierte, und zudem lieferte ihm seine Entdeckung Ausgangsmaterial für seine ersten Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Archäologie. Von 1872 bis 1874 hielt sich Reber in Neuchâtel auf, wo er seine propädeutischen Prüfungen ablegte. Nach einem ersten Semester an der Universität Straßburg setzte er sein Studium an der Universität Zürich fort, wo er 1877 das Apothekerdiplom erwarb.

1879 ernannte die Verwaltung des Genfer Kantonsspitals Burkhard Reber zum Leiter der Apotheke, die sie gerade innerhalb des Unternehmens geschaffen hatte. Die bescheidene Entlöhnung, die er bei seinem Dienstantritt erhielt, sollte durch das Versprechen ausgeglichen werden, dass er nach einem Jahr Probezeit befördert würde, sofern der neue Chefapotheker in der Lage sein würde, beim Einkauf von Medikamenten erhebliche Einsparungen zu erzielen. Es wurde ihm sogar eine Stelle an der Universität in Aussicht gestellt. Trotz greifbarer Einsparungen im ersten Jahr seiner Tätigkeit sollten all diese Versprechungen ins Leere laufen. Reber hatte die Kosten gesenkt, indem er einige Präparate selbst herstellte und vor allem zentral einkaufte. Damit schaffte er das alte System der Medikamentenbeschaffung durch Ausschreibungen ab, sehr zum Missfallen der örtlichen Vermittler, Klinikchefs und Apotheker, die davon profitiert hatten und die bald alle möglichen Widerstände gegen seine innovativen Initiativen hervorriefen. So geschehen auch mit seinem Projekt zur Schaffung einer Staatsapotheke für alle Krankenhäuser, das er dem Grossen Rat vorlegte und das für immer in den Schubladen der Staatskanzlei versanden sollte. 1885 machte sich Reber, der von seiner anstrengenden und frustrierenden Tätigkeit erschöpft war, selbstständig und eröffnete eine Apotheke am Boulevard James-Fazy. Obwohl er nun sein eigenes Firmenschild besass, legte er weiterhin Wert auf den wissenschaftlichen Aspekt seines Berufs und nicht auf die kommerzielle Komponente: In seiner Apotheke war kein einziges Werbeplakat zu sehen. Er widmete sich der Forschung und der Veröffentlichung von Publikationen im Bereich der Pharmazie. Gleichzeitig leitete er die internationale Zeitschrift für Pharmazie und Therapie, Le Progrès – Der Fortschritt, die er mitbegründet hatte.

Aufgrund der Empfehlungen des Vierten Internationalen Kongresses für Hygiene und Demografie, der 1882 in Genf stattfand, war Reber massgeblich an der Gründung der Genfer Gesellschaft für Feuerbestattung beteiligt sowie an der Förderung der Einäscherung auf nationaler und internationaler Ebene. Im Jahr 1889 erkrankte er an einer akuten Form der Influenza, die zu schweren Herzkomplikationen führte. Reber musste sich dazu entschliessen, seinen Posten als Redakteur aufzugeben, vier Jahre später gab er auch seine Apotheke auf.

Da ihm seine Ärzte zu längeren Aufenthalten in höheren Lagen rieten, nutzte er die Gelegenheit zu Studienexkursionen im Wallis, wo er weitere archäologische Entdeckungen machte. Nach seiner Ankunft in Genf im Jahr 1879 hatte Reber seine ursprüngliche Neugier für die Frühgeschichte weiter gepflegt und die Region Genf, aber auch das Wallis, die Waadt, Savoyen und den französischen Jura erkundet.

Die wohl markantesten und nachhaltigsten Spuren hinterliess Burkhard Reber auf dem Gebiet der Pharmaziegeschichte, einer Disziplin, die gerade gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufkam. Die umfassendste Bibliografie seiner Schriften in den verschiedensten Bereichen findet sich in dem Buch, das Peter Jaroschinsky 1988 über ihn verfasste.

Entsprechend seiner schon als Kind entwickelten Sammelleidenschaft führte sein Interesse an der Geschichte der Pharmazie und Medizin – nach eigenen Angaben ab 1868 (Reber 1905/1, 130) – zu einer Anhäufung alter Gegenstände und Dokumente aus der Pharmazie, aber auch aus den Bereichen Medizin, Physik, Chemie, Botanik und Zoologie. Von seinen Kollegen oft belächelt oder zumindest missverstanden, wird sein leidenschaftliches Engagement als Sammler als das Werk eines Pioniers der Pharmaziegeschichte in die Annalen eingehen.

1893, im selben Jahr in dem er seine Apotheke aufgeben musste, feierte Reber das 25-Jahr-Jubiläum seines Abschlusses in Pharmazie. Zahlreiche Kollegen aus dem In- und Ausland versammelten sich, um ihm eine eigens für diesen Anlass geprägte Gedenkmedaille und ein Glückwunschalbum zu überreichen. Gerührt von dieser Anerkennung entschloss sich der Jubilar, seine Sammlungen mit der Öffentlichkeit zu teilen. Die «Exposition historique de médecine et de pharmacie» wurde vom 26. Dezember 1893 bis zum 9. März 1894 im Musée des arts décoratifs in Genf gezeigt (Reber 1905/1, 133). Die Gazette de Lausanne (26. Dezember 1893, S. 2) präzisierte in ihrem Bericht über die Veranstaltung, dass sie in den Räumlichkeiten der École d’horlogerie stattgefunden hätte und auf die Initiative der Société des arts et métiers zurückzuführen sei. Mit rund 420 Objekten bildete die Abteilung der Apothekengefässe aus Fayence und Porzellan das für den Besucher beeindruckendste Ensemble, wie einige in den Ausstellungsräumen aufgenommene Fotografien zeigen (Reber 1909/1, Abb. nach S. 4, Abb. nach S. 8 – Heger 1908). Die Präsentation umfasste auch 194 Glasflaschen, 37 Mörser, 140 Laborinstrumente aus verschiedenen Materialien, Reise- und Hausapotheken, 800 Exemplare antiker Drogen, mehr als 500 Stiche, zahlreiche Manuskripte und eine reiche Bibliothek mit 800 Bänden aus allen Epochen (Reber 1909/1, 11 und 12).

Wie das Echo in über 50 Zeitungen und Fachzeitschriften der damaligen Zeit im In- und Ausland belegt, waren die von Reber gesammelten Dokumente ein bemerkenswertes Ensemble und eine Pionierleistung für die aufkommende Pharmaziegeschichte (erst 1883 hatte beispielsweise die Direktion des Germanischen Museums in Nürnberg den Grundstein für eine neue Abteilung für Pharmaziegeschichte gelegt). Eine besondere Ehre für Reber war der Besuch seines ehemaligen Lehrers, des Schweizers Friedrich August Flückiger (1828–1894), Professor für Pharmazie an der Universität Straßburg, der trotz seines hohen Alters aus Genf angereist war. Flückiger lieferte einen ausführlichen und lobenden Bericht über die Ausstellung in der Berliner Apotheker-Zeitung, in dem er sich vor allem für die alten Bücher, Manuskripte und andere Bilddokumente interessierte, die der Sammler zusammengetragen hatte. Der Artikel endet mit einer nachdrücklichen und dankbaren Würdigung von Rebers selbstlosem Einsatz für die Förderung der Geschichte der Pharmazie. Der bedeutende Gelehrte äusserte auch den Wunsch, dass die Sammlung eines Tages von den Genfer Behörden übernommen werden möge, um ihren Fortbestand zu sichern (Flückiger 1894, Ausschnitt zitiert in Reber 1905/1, 131).

Einige Objekte aus Rebers Sammlung waren 1896 in den Vitrinen der Schweizerischen Landesausstellung in Genf zu sehen. Eine Auswahl von etwa 120 Stücken wurde 1898 in Düsseldorf im dortigen Kunstgewerbemuseum gezeigt unter dem Titel «Historische Ausstellung. Naturwissenschaft und Medizin». Die Ausstellung wurde im Rahmen der 70. Zusammenkunft der Deutschen Gesellschaft für Naturforscher und Ärzte organisiert (Jaroschinsky 1988, 204–208: Abdruck eines Auszugs aus dem Katalog; die Leihgaben Rebers – fast ausschliesslich Keramikgefässe – tragen die Nummern 844–965). Kurz darauf traten die Organisatoren des Ersten Russischen Medizinkongresses, der 1901 in Moskau stattfinden sollte, an Reber heran, in der Hoffnung, seine Sammlung bei dieser Gelegenheit ausstellen zu können. Der Sammler lehnte die Einladung ab, schickte jedoch ein Album mit grossformatigen Fotografien, die einen Teil seiner Schätze zeigten.

Das Schicksal der Sammlung

Wie man sieht, war die Sammlung nun über die Landesgrenzen hinaus bekannt, und Rebers Position in der Republik wurde weiter gestärkt. Nach seiner Mitgliedschaft im Genfer Stadtrat wurde er 1904–1907 als Abgeordneter in den Grossen Rat gewählt. 1908 wurde er zum Konservator des kantonalen epigraphischen Museums ernannt und 1913 berief ihn die Universität zum Privatdozenten für Archäologie.

Die Genfer Behörden hingegen scheinen sich nicht um das Schicksal seiner Sammlung gekümmert zu haben, sodass Reber, der mit einer zunehmend ungemütlichen finanziellen Situation konfrontiert war, bald in Erwägung zog, sie zum Verkauf anzubieten. Paul Röthlisberger identifizierte in den Akten der Nationalbibliothek einen Verkaufskatalog, der 1907 vom berühmten Zürcher Antiquitätenhändler Heinrich Messikommer herausgegeben worden war, doch das Dokument selbst blieb unauffindbar. In den Archiven des Musée Ariana fanden wir eine Fotokopie der vier einleitenden Seiten des Katalogs, der laut Inventarkarte der Nationalbibliothek offenbar 55 Seiten umfasste. Das Heft mit dem Titel «Katalog hervorragender Sammlungsstücke. Sammlung von Glasgemälden des 13. bis 15. Jahrhunderts, Öfen, Möbel, etc. Das B. Reber’sche Medizin-pharmaceutische Museum in Genf. Auktion Zunfthaus zur Meise durch H. Messikommer» beginnt mit einer Bekanntmachung, dass sich eine Reihe von Objekten aufgrund ihrer Grösse oder weil sie sich noch im Haus des Verkäufers befanden, nicht für einen öffentlichen Verkauf eigneten, Messikommer aber ordnungsgemäss berechtigt war, sie in die Transaktionen aufzunehmen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser Verkauf nie stattgefunden hat. Tatsächlich zeigt eine der Abbildungen auf den Einleitungsseiten eine Auswahl von sieben italienischen Fayencetöpfen, die wir alle in der aktuellen Sammlung wiedergefunden haben (Unil MH-RE-43, Unil MH-RE-44, Unil MH-RE-154, Unil MH-RE-155, Unil MH-RE-156, Unil MH-RE-157 und Unil MH-RE-188).

In den folgenden Jahren unternahm Reber offenbar mehrere Versuche, seine Sammlung unterzubringen. 1913, am Tag ihrer Gründung, beschloss die Société française d’histoire de la pharmacie, eine Subskription für einen möglichen Erwerb der Genfer Sammlung zugunsten des Musée historique de l’École supérieure de pharmacie in Paris zu starten (Bulletin de la Société d’histoire de la pharmacie 3, 1913, 47 – Ibidem, 173–174, 1962, S. 285). Die Subskription war kein grosser Erfolg und das Projekt wurde mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs endgültig aufgegeben. Im Frühjahr 1914 veröffentlichte Reber einen Leserbrief im Journal de Genève unter dem Titel «Collection médico-pharmaceutique» (Ausgabe vom 10. März, S. 4): «In der letzten Zeit haben sich die Zeitungen sehr mit meiner Sammlung beschäftigt […] Herr Dr. Louis Reutter, Privatdozent an unserer Universität, hat freundlicherweise die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema geweckt. Seine Bemühungen zielen darauf ab, diese 1868 begonnene Sammlung in unseren akademischen Einrichtungen und Museen zu konservieren. Ähnliche Versuche wurden 1893 unternommen, als ich im Musée des arts décoratifs eine öffentliche Ausstellung organisierte, die mehrere Monate dauerte […]» – Es folgen Auszüge aus lobenden Beurteilungen von Genfer Persönlichkeiten und von Professor Flückiger – «Der Wunsch, die Sammlung zu erhalten, hat sich bis heute nicht erfüllt. Auch ich hätte es vorgezogen, wenn diese Sammlung in Genf geblieben wäre. Aber da man heute Schritte unternimmt, um sie in der Schweiz zu erhalten, schliesse ich mich dem mit Genugtuung an. Dass sie doch in der Schweiz bleibt, war mein ständiger Gedanke». Wir wissen noch nichts über die Schritte, auf die Reber anspielt. Laut einem Artikel, den Anne-Françoise Hebeisen anlässlich der Eröffnung des Reber-Saals im Schloss Nyon im Mai 1987 veröffentlichte, hatte der Sammler eine Zeit lang gehofft, seine Sammlung für 100.000 Franken an das Schweizerische Nationalmuseum zu verkaufen, ein Betrag, der für die Züricher Institution offenbar zu hoch war (Gazette de Lausanne vom 8. Mai 1987, S. 19). Die Journalistin gibt nicht an, wann diese Gespräche stattgefunden haben.

Das Schicksal der Sammlung wurde erst 1922 festgelegt, als die Universität Lausanne beschloss, sie mit Unterstützung der Société vaudoise de pharmacie und dank der Bemühungen von Dr. Ernest Wilczek, dem Direktor der École de pharmacie, zu erwerben (Gazette de Lausanne vom 15. Oktober 1922, S. 4). Der Erwerb erfolgte im Rahmen der für das folgende Jahr geplanten Feierlichkeiten zum zweifachen 50-jährigen Bestehen der École de pharmacie und der Société vaudoise de pharmacie. Am 16. Juli 1923 begannen die Feierlichkeiten tatsächlich mit einem Besuch der Sammlung Reber, die nunmehr Eigentum der Universität war und in den Räumlichkeiten des Laboratoriums für Botanik im Palais de Rumine untergebracht war (Feuille d’avis de Lausanne vom 17. Juli 1923, S. 14 und 15 – La Revue vom selben Tag, S. 1). Die Gegenleistung, die der Sammler erhielt, bestand aus einer einmaligen Zahlung von 15.000 Franken und einer jährlichen Lebensrente von 5.500 Franken, die ihm ein von materiellen Sorgen befreites Alter sichern sollte (Jaroschinsky 1988, 50). Burkhard Reber konnte diesen neuen finanziellen Komfort nicht lange geniessen, er verstarb am 9. Juni 1926.

So verschwand eine schillernde Figur, ein neugieriger und vielseitiger Geist, ein integrer und um das Gemeinwohl bemühter Mann des Fortschritts und ein mehr oder weniger strenger Wissenschaftler (vor allem in seinen Arbeiten zur Archäologie)… wie der Verfasser des Nachrufs im Journal de Genève vom 11. Juni 1926 (S. 6) betonte: «Zu vielen seiner Arbeiten haben die Gelehrten zweifellos einige Vorbehalte. Vielleicht fehlte es Reber ein wenig an Methode und kritischem Denken. Nichtsdestotrotz hat er sich in der Geschichtswissenschaft verdient gemacht und wird die Erinnerung an einen ausgezeichneten Mann, einen unermüdlichen Schaffer mit enzyklopädischem Geist, der neugierig auf alle Dinge war, einen Gelehrten, der originell und witzig in seinen Äusserungen, hilfsbereit und der öffentlichen Sache verpflichtet war, hinterlassen».

Relativ schnell stellte die Sammlung im Palais de Rumine ein Platzproblem dar. 1932 wurde die Vereinigung Alt-Lausanne aufgefordert, über die Neugestaltung ihres Museums im Rahmen eines Projekts zur Vergrösserung und Modernisierung der Institution auf dem Gelände der Gefängnisse des alten Bistums nachzudenken. Die Wünsche des Vereins umfassten einen etwa 100 Quadratmeter grossen Raum, der der Heilkunde und Pharmazie in Lausanne gewidmet sein sollte und in dem insbesondere die Sammlung Reber, die sich im Besitz der Universität befand, untergebracht werden sollte (Gazette de Lausanne vom 25. Mai 1932, S. 4). Diese Idee wurde nie verwirklicht und die Sammlung blieb bis 1937 im Palais de Rumine ausgestellt, bevor sie in Depots eingelagert wurde und für ein Vierteljahrhundert in Vergessenheit geriet.

Um die Jahreswende 1962 trat die École de pharmacie an Edgar Pelichet heran, den Konservator des archäologischen und historischen Museums von Nyon, in der Hoffnung, in seiner Institution, die nun als das Waadtländer Keramikmuseum wahrgenommen wurde, einen Heimathafen und einen Ausstellungsort für die Sammlung zu finden. In einem Brief an die Stadtverwaltung von Nyon vom 12. Januar 1962 erklärte Pelichet, dass der Schritt der Universität unter anderem durch «Proteste von Personen, die diese Sammlung kennen» motiviert sei und dass die Sammlung «als einzigartig in Europa gelte». Die wichtige Sammlung würde dem Museum, ohne Kosten für die Stadt, eine zusätzliche Attraktivität verleihen; aus diesem Grund schlug er der Stadtregierung vor, einer Hinterlegung auf unbestimmte Zeit zuzustimmen (Gemeindearchiv der Stadt Nyon, Inv. R.693). Die Sammlung wurde in den folgenden Monaten nach Nyon gebracht, und Pelichet, unterstützt von einem Komitee unter dem Vorsitz von Dr. Joris, einem Zahnarzt in Nyon und Liebhaber der Medizingeschichte, beeilte sich, sie im Rahmen der Ausstellung «Alchimistes, apothicaires et médecins d’autrefois», die vom 16. Juni bis 16. September 1962 im Schloss von Nyon gezeigt wurde, zur Geltung zu bringen (Journal de Genève vom 31. Juli 1962, S. 9; Tribune de Lausanne vom 18. Juni 1962, S. 9). Neben einigen Leihgaben von Privatpersonen wurden vor allem Objekte aus den Beständen des Medizinhistorischen Museums Zürich und der Sammlung Reber gezeigt, darunter eine Auswahl von 169 Keramikgefässen. Die Beschreibungen, Zuordnungen und Datierungen der Keramik sind oft aus der Luft gegriffen (Nyon 1962)!

Laut Lydia Mez, die von 1970 bis 1980 Kuratorin des Pharmazie-Historischen Museums in Basel war, hatte Pelichet Mitte der 1970er-Jahre den Traum, auf der Grundlage der Sammlung Reber ein Westschweizer Apothekenmuseum zu gründen. Er soll sich an einen Schweizer Pharmakonzern gewandt haben, um die Finanzierung des Projekts zu sichern, doch das Projekt geriet schliesslich ins Stocken (Mez 1985, 92). Als 1979 in der Schweiz – in Basel und Lausanne – der Internationale Kongress zur Geschichte der Pharmazie stattfand, bot sich Pelichet eine weitere Gelegenheit, die Sammlung wieder in Erinnerung zu rufen, indem er ihr eine zweite Sonderausstellung widmete, die in vier Räumen des Schlosses untergebracht war und die die Kongressteilnehmer am 19. Juni besuchten (Bericht über den Kongress von Pierre Julien, in: Revue d’histoire de la pharmacie, XXVI, 242, 1979, 191–196, mit zwei Fototafeln, die verschiedene Vitrinen der Ausstellung abbildeten). Die Ausstellung war natürlich von Mai bis Ende August für die breite Öffentlichkeit zugänglich (24 Heures vom 25. Mai 1979, S. 21).

Nach der Ausstellung kehrte die Sammlung in die Lagerräume zurück, geriet aber nicht in Vergessenheit. Die Behörden von Nyon, die sich nun ihrer Bedeutung als Kulturerbe bewusst waren, beschlossen, die Sammlung zu untersuchen und zu inventarisieren. Mit dieser Aufgabe wurde 1981 eine der besten Expertinnen des Landes, Lydia Mez, betraut, die kurz zuvor ihre Stelle am Museum in Basel aufgegeben hatte. Die Idee eines «permanenten Museums zur Geschichte der Pharmazie», das in den Mauern des Schlosses untergebracht werden sollte, tauchte wieder auf (Nouvelle Revue de Lausanne vom 19. Dezember 1986, S. 9). Das ehrgeizige Projekt führte schliesslich zur Einrichtung eines Saals für die Reber-Sammlung, in dem vor allem die schönsten Exemplare von Apothekengefässen aus Keramik in einem eigens dafür restaurierten Möbel gezeigt werden sollten. Der Reber-Saal wurde im Mai 1987 eingeweiht (24 Heures vom 8. und 9. Mai 1987, S. 24 – Jaroschinsky 1988 veröffentlicht drei Ansichten der neuen Einrichtung: Abb. 19–21) und 1999 wieder abgebaut, als das Schloss für die Öffentlichkeit geschlossen wurde, um Platz für die Renovierungsarbeiten zu schaffen, die bis 2006 dauern sollten. Da das neu ausgerichtete Konzept des Museums es leider nicht erlaubte, die Sammlung zu integrieren, befindet sich die Sammlung Reber seither in den Lagerräumen und die Objekte, aus denen sie sich zusammensetzt, werden nur gelegentlich und sehr unvollständig gezeigt. Im Jahr 2013 beispielsweise stellte der Konservator des Schlosses, Vincent Lieber, einen der Schwerpunkte der Reber-Sammlung vor: die sizilianischen Fayencen. Unter dem Titel «Ein sizilianischer Sommer. Alte Majoliken und zeitgenössische Kunst» inszenierte er eine visuelle Welt, in der sich Apothekengefässe aus dem 17. und 18. Jahrhundert, sizilianische und neapolitanische Fliesen aus dem 16. und 19. Jahrhundert aus einer Privatsammlung und Eindrücke aus dem heutigen Sizilien durch die Werke von sechs zeitgenössischen bildenden Künstlern aufeinandertrafen (Lieber und Ryf 2013).

Die Keramik in der Sammlung Reber

Burkhard Reber hat uns keinen Katalog seiner Sammlung hinterlassen, aber er veröffentlichte ausgewählte Stücke in einer Reihe von illustrierten Artikeln, die 1905/06 in der in Genf herausgegebenen Zeitschrift Journal des collectionneurs erschienen, insbesondere im Bereich der Keramik (Reber 1905/2 und /3; Reber 1906/1 bis /3). 1909 fasste er diese Artikel, ergänzt durch einige unveröffentlichte Texte, in einem Heft mit dem Titel «Betrachtungen über meine Antiquitätensammlung aus der Sicht der Geschichte der Medizin, Pharmazie und Naturwissenschaften» (Reber 1909/1) zusammen, während die Wiener Pharmazeutische Post eine komprimierte deutsche Version der gleichen Artikel (Reber 1909/2, 1910/1) sowie einen unveröffentlichten Beitrag über österreichisch-ungarische und spanische Apothekengefässe (Reber 1910/2) veröffentlichte. Im Jahr 1920 erschienen in einer anderen Genfer Zeitschrift, Pages d’art, noch zwei grosszügig illustrierte Artikel, die sich vorwiegend Rebers italienischen Majoliken widmeten (Reber 1920/1 und /2).

Im Allgemeinen und gemessen an unserem heutigen Wissen sind die Zuordnungen und Datierungen, die der Sammler zu seinen Keramiken vornimmt, oft falsch. Reber trifft hier keine Schuld: Seine Kommentare spiegeln lediglich den Stand der Dinge zu seiner Zeit wider, einen Stand, dessen Lückenhaftigkeit er als erster bedauerte: «In der Tat gibt es in der Kunstgeschichte keinen schwierigeren Teil als den der Keramik im Allgemeinen und für viele Länder im Besonderen, vor allem für das Mittelalter und die Antike. Selbst für die relativ moderne Periode fehlen oft exakte Studien oder auch nur einfache Hinweise» (Reber 1905/2, 165). Wenn man seine Veröffentlichungen von 1905/06, 1909 und 1920 vergleicht, sieht man übrigens, dass sich seine Beurteilung ein und desselben Objekts ändern konnte, dass der Sammler sich über die Entwicklung des Wissens offenbar auf dem Laufenden hielt, und das in manchmal sehr speziellen Bereichen.

Rebers Kommentare sind in der Regel äusserst knapp gehalten. Wir wissen praktisch nichts über die Herkunft der Stücke und darüber, wie er sie erworben hat. Die wenigen Ausnahmen betrafen Objekte aus alten Apotheken in der Schweiz und Objekte mit einem Sammlerzeichen, in diesem Fall das des bekannten Budapester Keramikliebhabers und Sammlers Imre Pekár (siehe unten).

Unter die erste Kategorie fallen die Winterthurer Fayencetöpfe aus dem späten 17. Jahrhundert, die zu den wertvollsten Exemplaren der Sammlung zählen. Die drei Apothekengefässe, sehr wahrscheinlich hergestellt in der Werkstatt von David Pfau II (Unil MH-RE-354, Unil MH-RE-355, Unil MH-RE-356), stammen aus einer alten Apotheke in Payerne. Reber war in diesem speziellen Fall relativ gut informiert, da er angibt, dass ein Teil des Mobiliars dieser Apotheke um 1850 auf dem lokalen Markt durch eine Altwarenhändlerin zu Spottpreisen verkauft worden sei. Ein Genfer Antiquitätenhändler habe einen Teil davon aufgekauft, um sie unter anderem an Reber, an das Musée Ariana und das Musée de Genève zu verkaufen (Reber 1906/2, 235). Was die beiden Deckeltöpfe anbetrifft, für die bis heute weder in öffentlichen Sammlungen noch in der Literatur Entsprechungen bekannt sind (Unil MH-RE-351 und Unil MH-RE-352), so sollen sie aus einer alten Apotheke in Moudon stammen.

Neben diesen leicht identifizierbaren Exemplaren enthält die Sammlung mehrere Beispiele aus alten Apotheken des Landes, für die Reber eine Schweizer Herkunft vorschlug. Diese Zuschreibungen bleiben jedoch sehr problematisch, da es keine Möglichkeit gibt, sie mit einer der bislang bekannten Produktionen in Verbindung zu bringen. Der erste Typ besteht aus zwei «pots canon» (Unil MH-RE-337; Unil MH-RE-338) und zwei Apothekengefässen (Unil MH-RE-339; Unil MH-RE-340) die aus einer hochwertigen Produktion stammen, versehen mit einem für das Ende des 18. Jahrhunderts typischen polychromen Blumendekor in Aufglasurmalerei. Diese Serie ist mit zwei Apothekengefässen im Musée d’art et d’histoire de Neuchâtel zu vergleichen, für die wir zusammen mit Rudolf Schnyder eine Zuschreibung an die Manufaktur von Andreas Dolder in Beromünster (oder Luzern, ab 1780 – Ceramica CH, t. I, pl. 92, No. 5 und 6 – MAHN AA 3337; MAHN AA 3338) vorschlugen. Sowohl für diese beiden Töpfe als auch für die vorliegende Serie schliesst Jacques Bastian eine Zuordnung zu Ostfrankreich aus und tendiert zu einer Schweizer Herstellung. Peter Ducret, der derzeit beste Kenner der Schweizer Fayencen, steht einer solchen Hypothese sehr skeptisch gegenüber. Reber selbst gab an, dass die Objekte aus Sitten stammten (ohne zu sagen, ob er sich auf eine alte Apotheke in Sitten bezog oder ob er sie einfach bei einem Händler in Sitten gekauft hatte – Reber 1906/2, 236). Nachdem er eine lokale Produktion in Betracht gezogen hatte, schlug er vor, die Gruppe einer Manufaktur in Mailand zuzuschreiben (Reber 1909/2), bevor er schliesslich Beromünster erwähnte (Reber 1920/2).

Die Sammlung enthält drei weitere Fayence-Typen, die Reber vage der «Zentralschweiz» zuordnet und die nach heutigem Wissensstand noch rätselhafter sind: Eine Gruppe von fünf Albarelli mit Dekor aus Scharffeuerfarben (Inglasurmalerei) aus einer alten Apotheke in Zofingen (Unil MH-RE-343; Unil MH-RE -347); zwei pots canons von relativ ähnlicher, aber nicht identischer Machart aus einer ehemaligen Apotheke in Aarau, ebenfalls mit Inglasurmalerei verziert (Unil MH-RE-265; Unil MH-RE-350) und schliesslich eine mit Aufglasurmalerei dekorierte Vase aus dem Kanton Aargau (Unil MH-RE-346). Auch in diesen Fällen sehen die Experten keine Verbindung zu französischen oder deutschen Produkten.

Ebenfalls im Bereich der Schweizer Fayence konnte dank Peter Ducret ein bisher völlig unbekannter Objekttyp aus der Produktion der Manufaktur in Zürich-Schooren aus den Jahren 1770 bis 1780 identifiziert werden (Unil MH-RE-24; Unil MH-RE-25).

Wie bereits angekündigt, tragen siebzehn Fayencen auf der Unterseite des Fusses eine Inschrift in schwarzer Tinte, die in der Regel den Namen Imre Pekár, den Begriff «Patika» (ungarisch für «Apotheke»), einen Ortsnamen und seltener das Datum des Erwerbs (zwischen 1904 und 1908) enthält. Ein Beispiel für eine Inschrift von Pekárs Hand findet sich unter Unil MH-RE-434.

Imre Pekár (1838–1923) war ein ungarischer Ingenieur, der durch seinen Beitrag zur Verbesserung des industriellen Mühlenwesens internationale Bekanntheit erlangte. Seine Sammlung von Apothekengefässen, die er etwa zur gleichen Zeit wie Reber aufbaute, war unter ungarischen Keramikliebhabern sehr bekannt. 1922 wurde sie offenbar bei einer öffentlichen Versteigerung im Museum Ernst in Budapest kurz vor seinem Tod aufgelöst, wie aus dem Katalog der Versteigerung der Sammlung von Dr. Urai László im Jahr 2012 hervorgeht, aus der einige Objekte von Pekár stammten (Nagyházi Auktionskatalog, Budapest, Auktion 192, 23. Mai 2012, 48 – abgerufen auf fr. calameo.com/read/002416380d75f7f48a066).

Die Objekte aus Pekárs Sammlung gelangten zwischen 1908 und 1909 in Rebers Besitz, also lange vor der Auflösung im Jahr 1922. Es ist daher gut möglich, dass die beiden Sammler persönliche Kontakte unterhielten, beispielsweise um Stücke auszutauschen. Im Jahr 1909 kündigte Reber in der Wiener Zeitschrift Die Pharmazeutische Post einen Artikel über 40 «kürzlich erworbene» Töpfe an (Reber 1909/2, 25). Der Beitrag erschien bereits 1910 unter dem Titel «Standgefässe alter Apotheken aus Österreich-Ungarn und Spanien» (Reber 1910/2). Die meisten Objekte, die eine Inschrift von Pekárs Hand tragen, werden darin beschrieben oder sogar abgebildet. Die Gruppe aus der ungarischen Sammlung umfasste vor allem Fayencen, die in Ungarn, der Slowakei oder Böhmen hergestellt wurden, sowie zwei Porzellanstücke aus Wien und einige italienische Fayencen, die in Istrien oder Triest gefunden wurden.

Von den etwa 460 inventarisierten Keramikobjekten in der Sammlung von Burkhard Reber haben wir zwölf Porzellan- und etwa 50 Steingutobjekte gefunden, der Rest sind Fayencen. Etwas mehr als die Hälfte dieser Fayencen stammt aus Italien, die französische Produktion ist mit etwa 60 Stücken vertreten und der Rest verteilt sich auf die Schweiz, Deutschland, Spanien, Delft oder Ungarn. Bei gut 40 Objekten war es nicht möglich, eine auch nur annähernd zutreffende geographische Herkunft zu bestimmen, da ihre Formen und ihre rudimentären, nur blau bemalten Verzierungen zu einfach waren.

Die Reber-Sammlung ist sehr uneinheitlich und spiegelt nicht immer die anspruchsvolle Auswahl eines Ästheten oder eines anspruchsvollen Liebhabers alter Keramik wider. Neben einigen bemerkenswerten Exemplaren und einer ansehnlichen Gruppe von Stücken guter Qualität gehören viele Objekte zu den üblichen, sich manchmal wiederholenden und oft «unpersönlichen» Produktionen; hier überwiegt eindeutig der Standpunkt des Pharmaziehistorikers, für den eine alte pharmakologische Inschrift ebenso wichtig sein kann wie der eigentliche Wert einer Töpferware. Sein Blick war nicht der eines Liebhabers schöner Objekte. Man sollte sich auch an Rebers begrenzte finanzielle Mittel erinnern, zu einer Zeit, als einige hochkarätige Produktionen, insbesondere im Bereich der italienischen Majolika, bereits beträchtliche Preise erzielen konnten.

Einige Ankäufe, wie die Gruppe von Stücken, die er von Pekár erworben hatte, sind wahrscheinlich durch das Bestreben motiviert, eine möglichst vollständige geografische Sortierung in seiner Sammlung zusammenzustellen. Andere hingegen scheinen einfach aus einer Gelegenheit heraus entstanden zu sein, wie die Gruppe von etwa 100 Vasen, die 1889 im Tessin erworben wurde (Reber 1906/2, 236 und 237). Davon sind nur noch 22 Exemplare in der heutigen Sammlung vorhanden (Unil MH-RE-122; Unil MH-RE-125; Unil MH-RE-135; Unil MH-RE-136; Unil MH-RE-144; Unil MH-RE-145), darunter viele moderne Kopien von Modellen aus dem 18. Jahrhundert.

Apropos Kopien: Rebers italienisches Kontingent enthält einen beträchtlichen Anteil an modernen Stücken, die in einem alten Stil gestaltet wurden: etwa 60 von insgesamt 220 Stücken. Einige davon sind offensichtliche Fälschungen, insbesondere diejenigen, die ein falsches Datum tragen (z. B. Unil MH-RE-61; Unil MH-RE-152; Unil MH-RE-147; Unil MH-RE-88; Unil MH-RE-93). In den meisten anderen Fällen ist die Qualität der Objekte jedoch nicht so eindeutig: Sie wurden nicht unbedingt entworfen, um den Käufer zu täuschen; diese Imitationen können durchaus dazu gedient haben, eine alte Garnitur wieder aufzufüllen, es sei denn, der eine oder andere Apotheker des 19. Jahrhunderts war bei der Wahl seiner Berufsausstattung einfach dem historistischen Geschmack erlegen.

Etwa zwanzig Fayencen – hauptsächlich italienische – können ins 16. Jahrhundert datiert werden. Das 17. Jahrhundert ist mit etwa 50 Stücken vertreten, während das 18. Jahrhundert mit über 200 Stücken die grösste Gruppe stellt.

Unter den Majoliken aus dem 16. Jahrhundert ist der Albarello aus Faenza mit Porträtmedaillon und Trophäendekor besonders hervorzuheben. Das Apothekengefäss aus Fayence ist eines der wenigen Exemplare dieses relativ häufig vorkommenden Typs, das ein Datum (1555) trägt, was es zu einem Referenzstück für italienische Spezialisten macht (Unil MH-RE-160A). Ebenfalls aus Faenza stammen zwei Albarelli, die ungefähr aus der gleichen Zeit stammen und schöne Beispiele für einen anderen klassischen Typ darstellen, der mit Medaillons mit religiösen Themen und einem «a quartieri»-Motiv verziert ist, in diesem Fall eine Kreuzigung und das Martyrium des heiligen Laurentius (Unil MH-RE-171; Unil MH-RE-172). Obwohl es sich nicht um ein pharmazeutisches Gefäss im eigentlichen Sinne handelt, ist diese interessante Kanne aus der Produktion der «Bianchi» (weisses Fayencegeschirr) von Faenza (Unil MH-RE-244) zu erwähnen, die leider im oberen Teil unvollständig ist, aber mit einem hochwertigen «a compendiario»-Dekor verziert ist, das laut unserer Expertin Raffaella Ausenda an den berühmten «Meister des V-Services» erinnert.

Drei weitere Albarelli gehören zu der umfangreichen Produktion von Apothekengefässen, die der venezianischen Werkstatt von Mastro Domenico in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zugeschrieben wird, mit ihrem klassischen Dekor aus Medaillons, die Heilige darstellen und sich von einem blauen Hintergrund mit mehrfarbigen Pflanzenmotiven abheben (Unil MH-RE-124; Unil MH-RE-176; Unil MH-RE-177). Ebenfalls aus dem auslaufenden Jahrhundert stammt dieses Gefäss von Castelli, das zu einer bekannten Serie gehört, die in der Literatur gut dokumentiert ist, ausser dass die Apotheke, die den Auftrag erteilt hat, noch nicht ausfindig gemacht werden konnte (Unil MH-RE-26). Aus der gleichen Zeit stammt dieser Albarello, der zur Typologie der auf einem hellblauen Emailhintergrund («a berettino») gemalten Dekor gehört, der hier durch einen gelben und ockerfarbenen Löwenkopf hervorgehoben wird. Sehr wahrscheinlich verweist der Dekor auf ein Apothekenschild (Unil MH-RE-63). Dieser Ornamentstil, der sich durch zweifarbige (hell- und dunkelblaue) Blätterranken auszeichnet, war von Venetien bis Latium weit verbreitet, sodass eine genaue Zuordnung nicht immer möglich ist; in diesem Fall schwankt Raffaella Ausenda zwischen Rom und Pesaro. In einem ähnlichen Stil sind auch zwei Chevrette und ein Albarello mit Wappen zu finden, die wahrscheinlich aus Rom und aus derselben Apotheke stammen (Unil MH-RE-58; Unil MH-RE-59; Unil MH-RE-60).

Der gängige «a berettino»-Stil mit zweifarbigen Blätterrankenmotiven hielt sich bis ins 17. Jahrhundert. Die Sammlung enthält etwa 15 dieser späteren Beispiele, die alle aus Werkstätten in der Region um Rom oder in Mittelitalien stammen (z. B. Unil MH-RE-62; Unil MH-RE-67; Unil MH-RE-66; Unil MH-RE-72).

Eine der interessantesten Objektgruppen sind die sizilianischen Fayencen aus dem 17. und 18. Jahrhundert mit ihren mehrfarbigen Dekoren, die von Malstilen abgeleitet sind, die im 16. Jahrhundert in den berühmtesten Zentren der Halbinsel entwickelt wurden, wie die figürlichen Medaillons auf Trophäenhintergrund (inspiriert von Faenza – wie auf Unil MH-RE-160A – oder Casteldurante) oder die Medaillons auf blauem Grund mit mehrfarbigen, bescheidenen Pflanzenmotiven (inspiriert von Venedig – z. B. Unil MH-RE-124). Der erste Dekortyp wurde insbesondere von den Werkstätten in Palermo übernommen, bevor er in freierer Form von den Fayenceherstellern in Sciacca oder Burgio weitergeführt wurde. Die palermitanische Linie ist in der Sammlung durch fünf Fayencen vertreten, darunter ein erstklassiges Exemplar aus der Werkstatt von Cono Lazzaro, das höchstwahrscheinlich von Andrea Pantaleo bemalt wurde, eine Vase, die auf 1607 datiert ist und das Zeichen der Werkstatt trägt, was sie zu einem der meistzitierten Objekte in der Fachliteratur macht (Unil MH-RE-188). Drei Albarelli aus der konkurrierenden Werkstatt von Filippo Passalacqua zeigen etwas weniger sorgfältig ausgeführte Versionen desselben dekorativen Musters (Unil MH-RE-179; Unil MH-RE-183; Unil MH-RE-186). Die Reber-Sammlung enthält auch Beispiele für sehr spontane Interpretationen derselben Medaillons mit Trophäenhintergrund, wie sie von den Handwerkern in Sciacca und Burgio angeboten wurden (Unil MH-RE-178; Unil MH-RE-181; Unil MH-RE-182; Unil MH-RE-184).

Die aus Venedig stammenden Blumendekore auf blauem Grund, mit oder ohne Medaillons, wurden in Sizilien, in Caltagirone (Unil MH-RE-175; Unil MH-RE-165; Unil MH-RE-211), aber auch in Gerace in Kalabrien (Unil MH-RE-164; Unil MH-212; Unil MH-RE-166; Unil MH-RE-210) übernommen und mit Anpassungen ausgeführt.

In der Sammlung sind natürlich auch Fayencen mit blauem Dekor aus Ligurien, insbesondere aus Savona, vertreten. Sie zählten zu den häufigsten Produktionen im auslaufenden 17. Jahrhundert. Besonders hervorzuheben sind zwei Albarelli und drei Chevrettes mit einer Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit – wahrscheinlich ein Apothekenemblem – aus der Manufaktur Chiodo in Savona (Unil MH-RE-47; Unil MH-RE-50) sowie ein erstklassiges Beispiel für einen Dekor im «orientalisch-naturalistischen» Stil  aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Unil MH-RE-77).

Zu den «gängigen» Produkten gehören etwa 25 Beispiele mit einem sehr einfachen blauen Dekor, der an Friese mit eirunden Verzierungen erinnert («a ovuli»-Motiv), eine Art von Gefässen, die zwischen dem späten 17. und dem späten 18. Jahrhundert in den norditalienischen Apotheken weit verbreitet war (z. B. Unil MH-RE-94; Unil MH-RE-115; Unil MH-RE-111).

Unter den Dekoren mit polychromer Aufglasurmalerei sind zwei Gefässe und drei Deckeltöpfe zu erwähnen, ausgeführt von der Manufaktur Finck in Bologna im Auftrag der Apotheke der Erben Beretti Marzi, die im Borghetto von San Francesco in Bologna zwischen 1765 und 1792 nachgewiesen ist (Unil MH-RE-422; Unil MH-RE-417; Unil MH-RE-420).

Unter den französischen Fayencen ist zunächst eine grosse Vase aus Nevers aus dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts zu erwähnen, von der uns Reber berichtet, dass sie aus einer Apotheke in Carouge stammte (Unil MH-RE-1). Die anderen Töpfe, die diesem grossen Fayence-Zentrum zugeschrieben werden können, sind alle sehr einfach hergestellt und der Dekor besteht in der Regel aus einer Kartusche mit zwei sich kreuzenden blauen Blattzweigen, wobei die Kartusche manchmal als Rahmen für eine pharmazeutische Inschrift dient (z. B. Unil MH-RE-376; Unil MH-RE-279; Unil MH-RE-321; Unil-MH-RE-281; Unil MH-RE-285; Unil MH-RE-233). Die Sammlung enthält etwa dreissig Beispiele dieses Typs, bei denen die Zuordnung zu Nevers nur hypothetisch sein kann, da diese Typologie in ganz Zentralfrankreich und bis in die Franche-Comté weit verbreitet war.

Das interessanteste Objekt aus der französischen Gruppe ist ein Topf aus der Pariser Werkstatt von Louis-François Ollivier, um 1800 (Unil MH-RE-427). In der verzierten Kartusche, die normalerweise eine pharmakologische Inschrift einrahmen würde, liess der Fayencehersteller seinen Namen mit der Angabe «à Paris» malen; diese Besonderheit weist auf den einzigartigen Status dieses Objekts hin. Ollivier war ein sehr erfindungsreicher Keramiker, der ab 1791 mehrere Patente anmeldete. Es ist gut möglich, dass unser Topf mit seinem ungewöhnlichen doppelten Boden ein Prototyp oder ein Demonstrationsobjekt war, das zu Werbezwecken für dieses innovative Modell verwendet wurde.

Unter den wenigen Fayencen aus dem 18. Jahrhundert, die Deutschland zugeschrieben werden können, sind vor allem drei Vasen hervorzuheben, die aus einem bekannten Auftrag der Hanauer Manufaktur für die Frankfurter Apotheke «À la Tête d’Or» stammen (Unil MH-RE-430; Unil MH-RE-431; Unil MH-RE-432). Die anderen zehn Beispiele, die wir der deutschen Gruppe zugeordnet haben, sind wiederum von so einfacher Typologie (mit sehr einfachen, blau bemalten Dekoren), dass es generell unmöglich ist, sie einer bestimmten Manufaktur zuzuordnen.

Von den 52 Steingutobjekten der Sammlung sind 42 schweizerischer Herkunft, die hauptsächlich aus den verschiedenen Manufakturen in Nyon und Carouge stammen. Dieser kleine Korpus, der nur acht Formen umfasst, die bislang noch nie veröffentlicht worden waren, stellt eine Referenzgruppe von höchster Bedeutung für die Erforschung der Steinzeugproduktion in der Genferseeregion dar – ein Kapitel, das noch viele Grauzonen birgt …

Von der Manufaktur Dortu & Cie in Nyon ist eine gedeckte, urnenförmige Sockelvase auf einer quadratischen Sockelleiste zu erwähnen, die eindeutig durch ihre Marke gekennzeichnet ist (Unil MH-RE-407). Man beachte übrigens die beiden reliefartigen Griffe in Form von hängenden Ringen, ein wiederkehrendes Motiv der Manufaktur, insbesondere bei der Herstellung von Porzellan. Dieselbe Sockelleiste und der hängende Ring finden sich auch auf einer Chevrette, die ebenfalls mit einer Marke versehen ist (Uni MH-RE-465); hier ist der Flaschenhals mit Auflagendekor in Form eines ausgeschnittenen Blattmotivs zu erwähnen. Dieses Merkmal – in einer anderen Version – sowie der Hängering und der Sockel auf einer quadratischen Sockelleiste sind auf einer anderen, nicht markierten, aber mit einem gemalten Dekor verzierten Chevrette zu finden (Unil MH-RE-300), die wir der gleichen Manufaktur zuordnen. Ein drittes Gefäss, diesmal mit einem Doppelhals und ohne Markierung, weist ein ähnliches Reliefmuster an der Halsbefestigung auf (Unil MH-RE-522). Dieses Gefäss gehört offensichtlich zu einer anderen formalen Familie als die vorherigen Beispiele, wir schreiben es jedoch der gleichen Manufaktur zu, aufgrund eines Vergleichs mit einem Gefäss aus «terre étrusque» – mit einem Henkel und einem einzigen Hals – im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich (Inv. LM-24253). Beide Gefässe haben dieselbe Urnenform, das gleiche Reliefband unter der Schulter und denselben Halstyp. Das Beispiel aus dem Nationalmuseum, das bisher als «Kaffeekanne» bezeichnet wurde, ist unserer Meinung nach ein Apothekengefäss. Wir wussten aus den Geschäftsbüchern der Manufaktur, dass Dortu & Cie diese Art von Gefässen aus «terre étrusque» herstellte, aber wir wussten bislang nicht, wie sie aussehen könnten

Die Sammlung umfasst neun Exemplare von pots canons mit eiförmigem Korpus, ein Modell, das insbesondere in den Beständen des Musée Ariana und des Château de Nyon belegt ist. Drei Beispiele weisen gedruckte Etiketten mit dem Firmennamen der Apotheke Monnier in Nyon auf (Unil MH-RE-438), andere Exemplare sind ohne Etiketten, haben aber noch ihren Originaldeckel (Unil MH-RE-1077). Da kein Beispiel markiert ist, schlagen wir dennoch vor, dieses Modell der Manufaktur Robillard & Cie zuzuschreiben, insbesondere aufgrund der Daten, an denen die Apotheke Monnier aktiv war. Zwei weitere, bisher unveröffentlichte Formen tragen hingegen die Marke Robillard: ein urnenförmiger pot canon (Unil MH-RE-1064) und eine urnenförmige Chevrette (Unil MH-RE-438A).

Wir postulieren auch für den zylindrischen Deckeltopf Unil MH-RE-259 einen Ursprung in Nyon, eine Grundform, die vor allem den Manufakturen von Carouge zugeschrieben wurde. Das Pharmazie-Historische Museum in Basel bewahrt einen Topf desselben Typs mit der Aufschrift «Pom. de Lausanne» auf (Buchners epispastische Salbe, auch Lausanner Salbe genannt), ein Medikament, das offenbar bereits in den frühen 1830er-Jahren in pharmakologischen Abhandlungen auftauchte. Angesichts der Qualität des blauen Pigments wären wir geneigt, dieses Gefäss Robillard oder sogar der Ära Delafléchère zuzuschreiben.

Im Bereich des Steinguts aus Carouge enthält die Sammlung Reber zwei Exemplare eines bekannten Modells eines zylindrischen Topfs (Unil MH-RE-388), von dem das Musée Ariana sechs Exemplare aufbewahrt, die traditionell Carouge zugeschrieben werden. Keines der Objekte aus dieser Serie trägt eine Marke. Die Farbnuancen – insbesondere das zarte Grün – würden uns dazu veranlassen, sie der Manufaktur von Dortu zuzuschreiben. Die gleichen farblichen Merkmale und die Qualität der Schrift veranlassen uns, dasselbe für eine unveröffentlichte Form eines pot canon zu tun (Unil MH-RE-216).

Die Produktion der Manufaktur Baylon wird durch ein klassisches Beispiel eines zylindrischen Deckeltopfs repräsentiert, wie ihn das Musée Ariana in mehreren Exemplaren besitzt (Unil MH-RE-384). Die Sammlung umfasst ausserdem etwa zwanzig zylindrische Töpfe weit verbreiteter Qualität ohne Dekor, die leider alle ihren Deckel verloren haben. Einer von ihnen trägt die Ritzmarke «Baylon»  in kursiver Schrift, nach unserem Wissen ein einmaliges Phänomen (Unil MH-RE-1082). Vier weitere Töpfe haben die gleiche Form, bestehen aber aus einem anderen Material, das weisser und härter als herkömmliches Feinsteinzeug ist: kaolinhaltiges Feinsteinzeug, auch «opakes Porzellan» genannt, eine Innovation, die Antoine Baylon um 1853 in Carouge einführte. Alle vier Gefässe weisen eine blau unterlegte Marke mit der Erwähnung «Porcelaine opaque» und den Buchstaben «B» oder «AB» auf (Unil MH-RE-1042; Unil MH-RE-1044). Antoine Baylon leitete das Familienunternehmen zwischen 1843 und 1866 allein.

Übersetzung Stephanie Tremp

Bibliographie:

 Flückiger 1894
Friedrich August Flückiger, Die historische pharmaceutisch-medicinische Sammlung des Apothekers Burkhard Reber in Genf. Apotheker-Zeitung (Berlin) 2/31-35, 1894, 289-293, 297-300, 305-307, 315-317, 325-327.

Heger 1908
Hans Heger, Die historische pharm.-mediz. Sammlung des Apothekers Burkhard Reber in Genf (Tiré à part d’un article paru dans: Apothekenbilder von Nah und Fern, IV. Heft, Vienne, 1908, 65-74). In: Die historische parm.-mediz. Sammlung des Apothekers Burkhard Reber in Genf. Vienne 1910, 4-12.

Jaroschinsky 1988
Peter Jaroschinsky, Burkhard Reber (1848-1926). Ein Vorläufer der schweizerischen Parmaziegeschichte. Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 47. Stuttgart 1988.

Lieber et Ryf 2013
Vincent Lieber et Alexia Ryf (éd.), Un été sicilien. Majoliques anciennes et art contemporain, cat. d’exposition, Château de Nyon, 21 juin-27 octobre 2013.

Mez 1985
Lydia Mez, Burkhard Reber: A pharmacist-collector and his collection. Pharmacy in History 27/2, 90-95.

Nyon 1962
Exposition: Alchimistes, médecins, apothicaires d’autrefois. Objets relatifs à l’histoire de la médecine et de la pharmacie et meubles anciens, cat. d’exposition, Château de Nyon, juin-septembre 1962.

Röthlisberger 1977
Paul Röthlisberger, Burkhard Reber, Genf (1848-1926), und sein Beitrag zur Geschichte der Medizin und Pharmazie. Gesnerus. Swiss journal of the history of medicine and sciences 34, 213-231.

Röthlisberger 1979
Paul Röthlisberger, Le pharmacien Burkhard Reber, Genève (1848-1926). Sa vie et son apport à l’histoire de la pharmacie et la médecine. Médecine et hygiène 1338, 2329-2334.

Reber 1905/1
Burkhard Reber, Histoire de la médecine, de la pharmacie et des sciences naturelles. Journal des collectionneurs 11, juin 1905, 129-134.

Reber 1905/2
Burkhard Reber, Vases pharmaceutiques en faïence et majoliques italiennes. Journal des collectionneurs 14, octobre 1905, 165-168.

Reber 1905/3
Burkhard Reber, Vases pharmaceutiques en faïence et majoliques italiennes II. Journal des collectionneurs 15, novembre 1905, 181-184.

Reber 1906/1
Burkhard Reber, Poteries pharmaceutiques de France, Belgique, Allemagne, Autriche, etc. Journal des collectionneurs 18, février 1906, 221-223.

Reber 1906/2
Burkhard Reber, La poterie suisse. Journal des collectionneurs 19, mars 1906, 234-237.

Reber 1906/3
Burkhard Reber, Suite des faïences, flacons de pharmacie en verre et récipients en bois. Journal des collectionneurs 20, avril 1906, 246-247.

Reber 1909/1
Burkhard Reber, Considérations sur ma collection d’antiquités au point de vue de l’histoire de la médecine, la pharmacie et les sciences naturelles. Genève 1909 (Recueil des tirés à part des articles Reber 1905/1-3 et 1906/1-2, enrichi de quelques textes inédits).

Reber 1909/2
Burkhard Reber, Die Standgefässe der alten Apotheken (Tiré à part d’un article paru dans Die Pharmazeutische Post, Vienne, 42, 1909, 893-901). In: Die historische pharm.-mediz. Sammlung des Apothekers Burkhard Reber in Genf. Vienne 1910, 13-25.

Reber 1910/1
Burkhard Reber, Einzelheiten aus dem Innern der ehemaligen Apotheken und Laboratorien (Tiré à part d’un article paru dans Die Pharmazeutische Post, 43, 1910, 509-516). In: Die historische pharm.-mediz. Sammlung des Apothekers Burkhard Reber in Genf. Vienne 1910, 27-33.

Reber 1910/2
Burkhard Reber, Standgefässe alter Apotheken aus Österreich-Ungarn und Spanien (Tiré à part d’un article paru dans Die Pharmazeutische Post, 43, Vienne, 1910, 69-75, 709-714). In: Die historische pharm.-mediz. Sammlung des Apothekers Burkhard Reber in Genf. Vienne 1910, 34-37.

Reber 1913
Burkhard Reber, Quelques objets du Musée Reber. Bulletin de la Société d’histoire de la pharmacie 2 (Paris), 17-20.

Reber 1918
N.N., À propos de l’anniversaire de Burkhard Reber (Tiré à part du journal Le Genevois). Genève 1918.

Reber 1920/1
Burkhard Reber, Quelques pièces de majoliques italiennes et d’autres faïences de ma collection. Pages d’art. Revue mensuelle suisse illustrée, avril 1920, 105-128.

Reber 1920/2
Burkhard Reber, Quelques pièces de majoliques italiennes et d’autres faïences de ma collection. Deuxième série. Pages d’art. Revue mensuelle suisse illustrée, septembre 1920, 275-290.

Reichenbach-Zollikofen BE, Linck-Daepp, Margrit (1897-1983)

Roland Blaettler, 2019

Keramik von Margrit Linck-Daepp in CERAMICA CH

Margrit Linck-Daepp (1897–1983) absolvierte ihre Töpferlehre 1916–1920 in der Werkstatt des Töpfers Johann Gottfried Moser in Heimberg. Nach einem Jahr an der Keramischen Fachschule in Bern bildete sie sich 1922/23 an einer privaten Keramikschule in München weiter.

1927 heiratete Margrit Daepp den Bildhauer Walter Linck (1903–1975). In den Jahren 1924/25 hielt sich das junge Paar in Berlin auf und von 1927 bis 1930 lebten die beiden Künstler in Paris, wo sie die neuen künstlerischen Strömungen kennenlernten und sich davon inspirieren liessen. Sie waren Teil der damaligen jungen Kunstwelt. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz erkannte Margrit Linck ihre Berufung. Das Paar wohnte zunächst in Zürich und später in Wabern BE. Im Jahr 1941 liessen sie sich endgültig in Reichenbach-Zollikofen BE nieder, wo Margrit Linck sich richtiggehend in die Keramikproduktion stürzte (Messerli 2017, 159–221).

Lincks frühe originelle Arbeiten zeugen von ihrem Willen, die bewährte Technik der engobierten Irdenware aus der Berner Tradition kühn zu erneuern, indem sie eine neue Formensprache für Gebrauchskeramik entwickelte (frühe Beispiele siehe L’Œuvre, Vol. 24, 1937, Heft 12, Abb. S. 357–359).

Zunächst formte sie Gebrauchsgegenstände mit grosser gestischer Freiheit (MHL AA.MI.1954; MHL AA.MI.1869; MHL AA.MI.1868; MHL AA.MI.1921), ab 1943 entwarf sie mehr skulpturale und manchmal surrealistisch inspirierte Objekte (MHL AA.MI.2581).

Im Jahr 1957 bezog sie ein zweites Atelier im burgundischen Dorf Saint-Romain, wo sie sich künftig mit der Entwicklung von skulpturalen Objekten beschäftigte. In ihrem Berner Atelier hingegen konzentrierte sich auf die Gestaltung ihrer gedrehten und nachträglich verformten Gefässe aus makellos weisser Fayence, ohne jeglichen Dekor, damit nichts die Wahrnehmung der Form stören konnte (MHL AA.MI.1910).

Linck schöpfte zwar aus der jahrhundertealten Tradition der Töpfer ihres Heimatorts, ihre Arbeit orientierte sich aber stets an der Bewegung der innovativsten zeitgenössischen bildenden Künste, die sie frei in ihre Keramikarbeiten einbrachte. Diese Haltung brachte ihr eine internationale Anerkennung ein, wie sie nur wenige Keramiker erfahren haben. Im Jahr 1949 zeigte die Kunsthalle Bern ihre Keramiken neben den Gemälden von Oskar Dalvit und Joan Miró. Ab den 1950er-Jahren wurde sie eingeladen, ihre Arbeiten in Italien, den USA, Frankreich und vor allem in Deutschland auszustellen.

Nach dem Tod der Künstlerin übernahm ihre Schwiegertochter Regula Linck das Atelier in Reichenbach, wo sie die von Margrit geschaffenen Formen mit weisser Fayence weiter produzierte. Das Unternehmen Linck Keramik ist auch heute noch aktiv und seit 2015 in Worblaufen BE ansässig.

Übersetzung Stephanie Tremp

Internetquellen:

Linck-Keramik

Margrit Linck

Bibliographie: 

Altorfer 1981
Max Altorfer (éd.), Margrit Linck. Keramische Skulpturen – Weisse Vasen. Berne 1981.

Buchs 1988
Hermann Buchs, Vom Heimberger Geschirr zur Thuner Majolika. Thun 1988.

Dictionnaire historique de la Suisse (article Margrit Linck, par Michèle Baeriswil-Descloux – article Walter Linck, par Michael Baumgartner)

Messerli 2017
Christoph Messerli, 100 Jahre Berner Keramik von der Thuner Majolika bis zum künstlerischen Werk von Margrit Linck-Daepp (1987-1983). Hochschulschrift (Datenträger CD-ROM), Bern 2017.

Schnyder 1985
Rudolf Schnyder, Vier Berner Keramiker: Werner Burri, Benno Geiger, Margrit Linck, Jakob Stucki, Ausstellungskatalog im Rahmen der 10. Spiezer Keramik-Ausstellung, Schloss Spiez. Bern 1985.

Wismer/Kries 2021
Beat Wismer/Regula Linck von Kries, Margrit Linck – Vogelfrauen und Vasenkörper – Bird women and vase-shaped bodies, Berlin 2021.

Renens VD, die Töpfereien

Roland Blaettler 2019

Die Gemeinde Renens, im Westen der Waadtländer Hauptstadt gelegen, erlebte ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eine rasante Entwicklung, die insbesondere durch die Einweihung des grossen Rangierbahnhofs der Westschweizer Eisenbahngesellschaft im Jahr 1876 angekurbelt wurde. Die Keramikindustrie, die vom Vorhandensein eines besonders geeigneten Tons auf dem Gemeindegebiet profitierte, nahm unter den zahlreichen Gewerbebetrieben, die sich in der Gegend ansiedelten, einen nicht zu unterschätzenden Platz ein.

Ein Artikel in der Feuille d’avis de Lausanne vom 16. Januar 1895 (S. 5) zählt nicht weniger als drei Töpfereien auf, die zu diesem Zeitpunkt aktiv waren: die Töpferei Bouchet mit acht Angestellten, die als die älteste beschrieben wird; die Töpferei Jaccard mit etwa 20 Angestellten und die von Emile Mercier, die sich in den Räumen seiner ehemaligen Kunstdüngerfabrik befand und etwa 25 Mitarbeiter beschäftigte. Die Produktion dieser Werkstätten, die sich auf rohe unbehandelte sowie engobierte und glasierte Irdenware beschränkte, beschrieb der Journalist kurz und bündig mit folgenden Worten: «[Die Töpfereien] liefern Alltagsgeschirr, Blumenvasen, Rohre und Kaminhüte, und besser noch, sie konkurrieren in der Herstellung von Kunstkeramik.»

Nebenbei bemerkt, figurieren diese drei Betriebe auf der «Tableau des mesures de poterie cuite adoptées par la Fédération des ouvriers tourneurs de la région de Genève, Ferney, Renens, Annecy et zones environnantes et de Messieurs les patrons soussignés» (Masstabelle für gebrannte Töpferwaren, die von der Föderation der Töpfer der Region Genf, Ferney, Renens, Annecy und der umliegenden Gebiete und von den unterzeichneten Arbeitgebern übernommen wurde (Ferney-Voltaire 1984, 264–265), was beweist, dass ihre Basisproduktion aus diesen Töpferwaren für den täglichen Gebrauch bestand – manchmal auch «Alltagsgeschirr» genannt (siehe weiter unten zu Jaccard) –, die wir unter dem Oberbegriff «engobierte Töpferwaren der Genferseeregion» einordnen, da wir nicht in der Lage sind, sie dem einen oder anderen Hersteller zuzuordnen (siehe das Kapitel «Les poteries engobées de la région lémanique»).

Renens VD, Töpferei Bouchet, um 1881–?

Joseph Bouchet lässt sich spätestens seit 1881 in Renens nachweisen. In diesem Jahr berichtete ein Leser der Feuille d’avis de Lausanne kurz über seinen Besuch in einer Fabrik für «Gebrauchskeramik», die sich in der Nähe des Bahnhofs von Renens niedergelassen hatte und deren Besitzer ein gewisser J. Bouchet war (Ausgabe vom 16. September 1881, 5). Im folgenden Jahr erschienen in der Lausanner Presse mehrere Werbeanzeigen, in denen für die «Töpferei» geworben wurde, die von Joseph Bouchet, einem «ehemaligen Arbeiter in Fernex-Voltaire [sic]», betrieben wurde (Feuille d’avis de Lausanne vom 7. Februar 1882, 1; La Revue vom 6. Juli 1882, 4). Im selben Jahr erhielt die Töpferei einen Preis 2. Klasse auf der Gartenbauausstellung in Morges (Nouvelliste vaudois vom 14. Juni 1882, 3).

1929 erschien ein kurzer Überblick zur Geschichte der Töpfereien in Renens, verfasst von einem gewissen Herrn Grivat, einem Schulinspektor. In diesem Text beschrieb er die Pionierrolle von Joseph Bouchet mit den folgenden Worten:

«Der Ton von Renens […] hat einen althergebrachten Ruf; es gab eine Zeit, in der die Ziegeleien von Renens, die entweder Privatpersonen oder der Gemeinde gehörten, ihre Produkte bis in die Deutschschweiz verschickten. Nach unglücklichen Umständen wurden diese Ziegeleien dank dem Südfranzosen Joseph Bouchet, einem ehemaligen Töpfereiarbeiter der grossen berühmten Fabriken von Ferney, in Töpfereien umgewandelt […]  Es war 1884, als Bouchet, ein guter Beobachter, geleitet von seiner langen Erfahrung, die zündende Idee hatte, dass eine gut etablierte Töpferei an einem Ort wie Renens erfolgreich sein müsste […] Bouchet kaufte ein kleines Landgut, dessen Gebäude er umbaute und selbst seinen Ofen hineinbaute […] Alles lief zum Besten in der neuen Töpferei, die ein Dutzend Arbeiter beschäftigte, als im zweiten Jahr ihres Bestehens ihr Gründer plötzlich an den Folgen eines Unfalls starb […]» (M. Grivat, «Industrie du pays: Poterie», in: Feuille d’avis du district de la Vallée vom 21. November 1929, 7–8).

Grivat irrt sich in der zeitlichen Abfolge: Bouchet starb tatsächlich früh, nämlich am 14. Januar 1883 (Feuille d’avis de Lausanne vom 15. Januar, S. 4). Bereits am 17. Januar wurde sein Sohn Paul im Schweizerischen Handelsamtsblatt [SHAB] als Chef der Töpferei Paul Bouchet eingetragen (Bd. 1, 1883, 69). Nach unserem derzeitigen Wissensstand wissen wir nicht, bis zu welchem Zeitpunkt der Betrieb fortgeführt wurde. Sicher scheint nur zu sein, dass die Töpferei 1895 noch existierte.

Renens VD, Töpferei Jean Debord, um 1885–1893

Eine zweite Töpferei entstand offenbar um 1885 in Renens. Am 2. März dieses Jahres wurde der aus dem Puy-de-Dôme stammende Jean Debord als Chef der Firma J. Debord eingetragen, die jedoch als «Handelsbetrieb für Töpferwaren» bezeichnet wurde (SHAB, Bd. 3, 1885, 182). Es ist denkbar, dass Debord sich zunächst auf den Handel mit Töpferwaren beschränkte, da er selbst nicht alle für die Herstellung erforderlichen Mittel besass. Am 4. Februar 1886 berichtete das Schweizerische Handelsamtsblatt, dass Debord sich mit Charles Nigg aus Gersau (Kanton Schwyz) zusammengetan hatte, um eine Kollektivgesellschaft namens «Nigg & Debord» zu gründen, die sich dieses Mal der Herstellung von Töpferwaren widmete (SHAB, Bd. 4, 1886, 90).

Das Unternehmen erhielt bei der Gartenbauausstellung in Lausanne von 1888 (La Revue vom 22. September 1888, 2) einen Preis 2. Klasse. Die Gesellschaft wurde am 12. September 1889 aufgelöst und Debord führte seine Geschäfte allein weiter (SHAB, Bd. 7, 1889, 783). In der Feuille d’avis de Lausanne vom 5. März 1890 veröffentlichte er die folgende Ankündigung: «Ich informiere meine alte Kundschaft, dass ich unter dem Firmennamen Jean Debord, in der Nähe des Bahnhofs von Renens, weiterhin alle Arten von Töpferwaren und Blumenvasen herstelle. Ich empfehle mich all jenen, die vielleicht geglaubt haben, dass das Haus nicht mehr existiert. – Jean Debord, Nachfolger von Nigg und Debord». Das Unternehmen wurde schliesslich am 4. Juli 1893 gelöscht, «infolge Geschäftsaufgabe des Inhabers» (SHAB, Bd. 11, 1893, 656). Jean Debord starb 1907. In der Todesanzeige wurde er als «Vorarbeiter in der grossen Töpferei» bezeichnet (Feuille d’avis de Lausanne vom 26. Januar 1907, 16).

Töpferei Samuel Jaccard, um 1890–1907

Ab Anfang 1890 druckte die regionale Presse Werbeanzeigen ab, in denen die Qualität der Töpferwaren von Samuel Jaccard in Renens angepriesen wurde. Beispielsweise in der Feuille d’avis de Lausanne vom 7. März 1890, S. 3, wo die Rede ist von der «Töpferfabrik S. Jaccard, vormals betrieben von den Herren Nig [sic] et Debord». Diese Angabe mag seltsam erscheinen, da wir wissen, dass Debord seine Geschäfte nach der Trennung von seinem Geschäftspartner fortsetzte. Die einzige plausible Erklärung wäre, dass Debord seine Einrichtungen an eine andere Adresse verlegt hatte und Jaccard in die ehemaligen Räumlichkeiten von «Nigg & Debord» einzog. Dies würde auch die Verwirrung erklären, die in der Öffentlichkeit zu herrschen schien, wie aus der von Debord am 5. März 1890 veröffentlichten Bekanntgabe hervorgeht.

Samuel Jaccard (1860-1922) wurde am 16. Januar 1891 im Schweizerischen Handelsamtsblatt als Chef des Unternehmens mit der Erwähnung «Art der Industrie: Töpferwaren aller Art» eingetragen (Bd. 9, 1891, 50). Im September 1891 gewann er auf der Gartenbauausstellung in Montreux einen Preis der II. Klasse für seine Blumentöpfe (Gazette de Lausanne vom 24. September 1891, 2). In der Anzeige, die Jaccard im folgenden Jahr in der Presse veröffentlichte, waren beide Seiten der in Montreux gewonnenen Medaille abgebildet. Neben der «Haushalts- und Gartenkeramik» werden in der Anzeige auch andere Spezialitäten wie Kaminhüte, mechanisch hergestellte Rohre und Schornsteinrohre erwähnt (z. B. in der Gazette de Lausanne vom 24. Oktober 1892, 4).

In der Feuille d’avis de Lausanne vom 1. Februar 1892, S. 3, veröffentlichte Jaccard folgende Mitteilung: Um der Verwirrung ein Ende zu setzen, informiert der Unterzeichnende die Öffentlichkeit darüber, dass er nichts mit dem auf den 2. Februar durch öffentlichen Anschlag angekündigten juristischen Verkauf der Töpferei zu tun hat. – S. Jaccard». Es ist möglich, dass der Zwangsverkauf in Wirklichkeit die Töpferei Debord betraf und die Öffentlichkeit die beiden Einrichtungen weiterhin verwechselte.

In Zusammenhang mit der von der Lausanner Gartenbaugesellschaft im Mai 1893 organisierten Ausstellung erwähnte die Gazette de Lausanne die Teilnahme der Töpferei Jaccard, «[…] die in der Region immer mehr geschätzt wird» (Ausgabe vom 29. Mai 1893, 3). In einer ihrer Rezensionen zur Kantonalen Ausstellung in Yverdon 1894 führt L’Estafette aus, dass «[…] diese Art Töpferwaren von den Herren S. Jaccard und Mercier vertreten wird. Der Ruf dieser Häuser, von denen das erste schon lange besteht, ist nicht mehr zu übertreffen. Hier stehen abgestuft und in Pyramiden Vasen in allen Formen und Grössen; Übertöpfe, Blumenkästen, Körbe, die einen glasiert, die anderen roh. Alle sind mit feinen von Hand modellierten Motiven verziert» (Ausgabe vom 7. August 1894, 1). Beide Betriebe wurden mit einer Silbermedaille ausgezeichnet.

Die Töpfereien von Renens nahmen auch an der Kantonalen Ausstellung von Vevey im Jahr 1901 teil: «M. S. Jaccard und die Fabrique de poterie [siehe unten] bieten eine sehr interessante Ausstellung ihrer Produkte, die vom Blumentopf in allen Grössen in der bekannten, klassischen Form bis zu monumentalen Amphoren, komplizierten Kaminhüten, ja sogar verzierten Platten und glasierten Blumenvasen gehen. Diese Serie Töpferwaren verdient Beachtung und eine eingehende Prüfung» (J. Marti, À travers les groupes – Industrie du bâtiment, Groupe I. In: Exposition cantonale de Vevey. Journal officiel illustré, Nr. 19, 10. November 1901, 218).

Die einzigen Exemplare, die wir mit Sicherheit Jaccard zuschreiben können, da sie eine gestempelte Marke «S JACCARD / RENENS» tragen, sind Teller, Platten, Tassen und Untertassen, die anlässlich der Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen des Kantons Waadt im Jahr 1903 hergestellt wurden. Neben den üblichen Gedenkinschriften besteht ihr Dekor aus einem gemodelten und applizierten Reliefschild mit dem Wappen der Gemeinde Cully (MCAHL HIS 11-6; MCAHL HIS 11-1; MCAHL HIS 11-2).

In einem Artikel, der die in dieser Ortschaft geplanten Feierlichkeiten ankündigte, lobte der Nouvelliste vaudois vom 13. Februar 1903 (S. 2) das Festkomitee der Gemeinde für die Hundertjahrfeier dafür, dass es «die originelle und ausgezeichnete Idee hatte, sich an Herrn S. Jaccard zu wenden, um für das Bankett ein ‹Hundertjahrfeier-Geschirr› herstellen zu lassen, Teller und Tassen mit den Wappen der Stadt Cully, des Kantons Waadt und der Eidgenossenschaft auf grünem Grund, die einen sehr schönen Effekt haben. Dieses Geschirr, das später zum Selbstkostenpreis verkauft wird, bleibt in den Familien als Erinnerung an das Fest». Es ist anzumerken, dass die Wappen des Kantons und der Eidgenossenschaft nicht auf den erfassten Gegenständen zu finden sind. Der Chronist hat sich wahrscheinlich geirrt, es sei denn, die Bestellung führte zu mehreren Versionen.

Es ist klar, dass diese Art von Produkten mit ihren mehrfarbigen Auflagendekoren eine ausgefeiltere Technik voraussetzte als die üblichen «Haushalts»-Töpferwaren, aber wir glauben gerne, dass die oben erwähnten «Kunstwerke» und «feinen von Hand modellierten Motive» ambitionierter ausgesehen haben müssen. Bisher konnten wir noch keine Exemplare dieser hochwertigen Kategorie identifizieren.

1904 beauftragte die Vereinigung des Schlosses Chillon Jaccard mit der Herstellung von 23 Faksimiles eines Kruges aus dem 13. Jahrhundert, der 1903 anhand von im Schlossgraben gefundenen Fragmenten rekonstruiert worden war (MCAHL PM 2561, nicht in diesem Inventar). Die Vereinigung versuchte, diese Reproduktionen, eine Art Vorläufer der heute weit verbreiteten Museumsderivate, im Bazar de Chillon und im Bazar vaudois in Lausanne zum Preis von 3,50 Franken zu vermarkten, offenbar ohne grossen Erfolg (Huguenin 2010, 48, Abb. 53 – Das Lausanner Kantonsmuseum für Archäologie und Geschichte bewahrt zwei Exemplare, PM 2562 und PM 4182, die nicht im vorliegenden Inventar aufgeführt sind). Eine ähnliche Reproduktion, die jedoch wahrscheinlich jüngeren Datums ist, haben wir in der Sammlung der ehemaligen Schweizerischen Keramikschule in Chavannes-près-Renens gefunden (CEPV 5.B.5).

Im Schweizerischen Handelsamtsblatt wird der Firmenname «S. Jaccard» (merkwürdigerweise mit Wohnsitz in Lausanne) am 13. November 1907 gelöscht, «infolge des Verkaufs des Geschäfts» (Bd. 25, 1907, 1974). Zwei Tage später registrierte das gleiche offizielle Organ die Löschung der Fabrique de poterie de Renens S. A. und die Gründung einer neuen Gesellschaft, der Fabrique de poterie et briqueterie de Renens S. A. (SHAB, Bd. 25, 1907, 1975).

Als die Gazette de Lausanne vom 7. Mai 1908 (S. 3) einige Monate später auf diese Umwälzungen in der lokalen Industrielandschaft zurückkam, berichtete sie, dass an der Spitze des neuen Unternehmens die Eigentümer «der Töpfereien Pasquier-Castella und Jaccard, die derzeit fusioniert sind», standen. Der Indicateur vaudois erwähnte in seiner Ausgabe für das Jahr 1908 die «Fabrique de poterie et briqueterie de Renens S. A. (Fusion der ehemaligen Fabriken Pasquier-Castella und S. Jaccard)».

Jaccards Unternehmen wurde daher mit dem von Pasquier-Castella (siehe unten) zusammengelegt, bevor es von der «grossen Ziegelei» übernommen wurde. Was Samuel Jaccard betrifft, so scheint er sich nach der Abtretung seines Geschäfts anderen Aktivitäten zugewandt zu haben, insbesondere im Immobilienbereich. Im Indicateur vaudois von 1908 wird sein Privatwohnsitz noch in Renens angegeben, von 1909 bis 1917 dann in Lausanne in einem Gebäude an der Avenue du Mont-Blanc Nummer 12. Dieses gehörte offenbar der Immobiliengesellschaft Belles-Roches und Jaccard wird als «Geschäftsführer» gemeldet. Im Juni 1908 wurde er zum Verwalter derselben Gesellschaft ernannt (SHAB, Bd. 26, 1908, 1082). In den folgenden Jahren fand man ihn in Verbindung mit verschiedenen in Lausanne ansässigen Immobiliengesellschaften, wie der Société de Sainte Luce, der er vorstand und die anlässlich ihrer Generalversammlung vom 22. Januar 1923 seinen Tod zur Kenntnis nahm (SHAB, Bd. 41, 1923, 244). Samuel Jaccard starb am 26. Mai 1922 in Paris (Feuille d’avis de Lausanne vom 29. Mai 1922, 22).

Die Keramikfabrik von Renens, 1892–1907

Émile Mercier, 1892–1898

Charles Lévy-Schwob, 1898–1900

Aktiengesellschaft, 1900–1907, Geschäftsführer Charles Lévy-Schwob (1900–1906) und Paul Pasquier-Castella (1906

Émile Mercier (geboren 1843 in Amsterdam, gestorben vor 1914 – Feuille d’avis de Lausanne vom 8. August 1884, 4) war der Sohn des Diplomaten Philippe Charles-Louis Mercier (1805–1869) und von Emma Doerr. Im Jahr 1863 heiratete er Suzanne Bugnion (1841–1914), die Enkelin von Charles-Timothée, dem Gründer der Bugnion-Bank in Lausanne, einem Institut, das bis zu seiner Übernahme im Jahr 1965 durch den Schweizerischen Bankverein bestand. Mercier war von 1864 bis 1874 Honorarkonsul der Schweiz in Hamburg, ein Amt, das er in einem sehr jungen Alter angetreten hatte (Nouvelliste vaudois vom 19. März 1874, 4 – vom 4. Juli 1891,4).

Mitbegründer und Direktor der Société vaudoise d’engrais chimiques S. A., die 1882 gegründet wurde und 1886 mit einer ähnlichen Gesellschaft in Freiburg unter dem Namen Fabrique d’engrais chimiques de Fribourg et Renens fusionierte; Mercier wurde zum zweiten Direktor ernannt, der für die Niederlassung in Renens verantwortlich war (SHAB, Bd. 1, 1883, 119 – Bd. 4, 1886, 833). Im Jahr 1892 stellte das Unternehmen den Betrieb der Fabrik in Renens ein und Mercier gab seine Direktorenfunktion auf, blieb jedoch Mitglied des Verwaltungsrats (SHAB, Bd. 10, 1892, 1121).

Im selben Jahr wurde er als Firmenchef und Besitzer der «Fabrique de poterie de Renens – Émile Mercier» registriert (SHAB, Bd. 10, 1892, 532). Es scheint, dass Mercier einen Teil der Einrichtungen der ehemaligen Düngemittelfabrik gekauft hatte, um dort sein neues Unternehmen zu errichten: «[Er] hat die Räumlichkeiten der ehemaligen Kunstdüngerfabrik in eine grosse Fabrik umgewandelt, die 25 Arbeiter beschäftigte und ausserdem 18 Wohnungen zu ihrer Nutzung umfasste» (Feuille d’avis de Lausanne vom 16. Januar 1895, 5). Als kluger Industrieller, der jedoch nicht speziell auf diesen neuen Tätigkeitsbereich vorbereitet war, verstand er es, die junge Töpferei auf den Weg des Erfolgs zu bringen. Die Werbeanzeigen, die ab 1894 in der regionalen Presse erschienen, warben vor allem für «ein grosses Sortiment an Kaminhüten mit den dazugehörigen Ofenrohren», das offensichtlich einen der Schwerpunkte im Sortiment der Fabrik darstellte (Feuille d’avis de Lausanne vom 9. Juni 1894, 5).

In einem Artikel über die Kantonale Ausstellung von Yverdon im Jahr 1894, beschreibt der Korrespondent der Gazette de Lausanne auch die Keramikabteilung und geht dabei vor allem auf die Ausstellungen der Töpfer Samuel Jaccard und Émile Mercier aus Renens ein: «Es gibt dort Dinge von sehr unterschiedlichem Wert und Geschmack: Auf der einen Seite die Ofenrohre mit den grossen Hauben, die heute stark verbreitet sind, auf der anderen Seite alle Gegenstände, die der Kultur oder der Verzierung eines Gartens dienen können: gewöhnliche Blumentöpfe, einfache oder verzierte Übertöpfe, Hängetöpfe für Hängepflanzen, Wasserbecken und auch Haushaltskeramik. Einige dieser Töpfe sind mit aufgelegten Blumen und Blättern verziert. Unter den schlichten Gegenständen habe ich im Sortiment von Herrn Mercier eine Pflanzschale im Stil Louis XVI mit zwei Übertöpfen gesehen, deren Design originell ist […]» (Ausgabe vom 2. Oktober 1894, 1–2, Unterschrift S. F.).

Im Rahmen der 6. Schweizerischen Landwirtschaftsausstellung, die 1895 in Bern stattfand, erhielt die Töpferei von Mercier eine Vermeil-Medaille für ihre Kaminhüte und Blumenvasen (Nouvelliste vaudois vom 4. Oktober 1895, 4). Die Feuille d’avis de Lausanne vom 20. September 1895 (S. 11) berichtete ausführlich über die Beteiligung der Fabrik (so ausführlich, dass man sich fragt, ob der Artikel nicht ein Auftragstext war): «[…] Mercier hat die ehemalige Kunstdüngerfabrik in eine Keramikfabrik umgewandelt, dabei profitierte er vom Standort und von den aussergewöhnlichen Eigenschaften des Tons auf dem Gelände. Es handelt sich um einen neuen Industriezweig, der wichtige Dienste leisten wird und sich dank der Beharrlichkeit von Herrn Mercier schnell entwickelt. […] Unter [den ausgestellten Produkten] bemerken wir Kaminhüte aus Ton, die sich durch ihre gute Verarbeitung, ihre Eleganz, ihre Festigkeit und ihren sehr günstigen Preis auszeichnen, der uns vom Bezug des Artikels im Ausland befreit. Der Kaminhut aus Ton […] ersetzt sehr vorteilhaft die Schornsteinkappen aus Metall, die leicht von den Destillationsprodukten der Brennstoffe und der Feuchtigkeit angegriffen werden […] Herr Mercier stellt gleichzeitig eine sehr vollständige Kollektion verschiedener Blumenvasen aus, die eine sehr regelmässige Form haben, sehr solide sind und dank der Perfektion, die bei der Verarbeitung des Rohmaterials und der Brennmethode erreicht wurde, nur ein geringes Gewicht aufweisen […]».

Im folgenden Jahr war die Fabrik auf der Landesausstellung in Genf mit «Töpferwaren aller Art und Spezialitäten von Kaminhüten aus Ton» vertreten (Offzieller Katalog der Aussteller. Genf 1896, 410, Ausstellernummer 4177 – Gazette de Lausanne vom 24. September 1896, 3). Das Unternehmen erhielt eine weitere Auszeichnung: eine Silbermedaille, die insbesondere und einmal mehr die Ausstellung von Kaminhüten belohnte (Feuille d’avis de Lausanne vom 23. September 1896, 8).

Der Firmenname «Fabrique de poterie de Renens, Émile Mercier» wurde im Juni 1898 gelöscht, da die Anlagen, die Bilanz und die Aktivitäten von Mercier von der Firma «Fabrique de poterie de Renens, Charles Lévy-Schwob» übernommen wurden (SHAB, Bd. 16, 1898, 713). Mercier wird in dem Unternehmen als Verwaltungsratsdelegierter wieder auftauchen, als dieses in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wird (siehe unten).

Henri, d. h. Charles Lévy-Schwob (1866–1933), der neue Besitzer der Töpferei, war ein aus Belfort (Franche-Comté) stammender Geschäftsmann. Bevor er sich der Keramikindustrie widmete, besass er in Morges einen Stoffladen und war in der Konfektion tätig, so 1883 im örtlichen Handelsregister eingetragen (SHAB, Bd. 14, 1896, 603).

1899 musste sich der neue Besitzer der Töpferei von Renens mit der ersten sozialen Bewegung auseinandersetzen, die jemals in der lokalen Keramikindustrie verzeichnet wurde, einem Streik, der am 19. Mai von den Drehern der Fabrik ausgerufen wurde und schliesslich nur drei Tage dauerte (La Revue vom 20. Mai 1899, 1). Die Feuille d’avis de Lausanne notierte lediglich, dass «[…] der Konflikt durch zwei Punkte von untergeordneter Bedeutung ausgelöst worden war, die zur allgemeinen Zufriedenheit geregelt wurden» (Ausgabe vom 22. Mai 1899, 7). Der Kommentar in der Feuille d’avis de Vevey stellte hingegen fest, dass «[…] dieser Vorfall angeblich darauf zurückzuführen sei, dass diese wichtige Fabrik den Besitzer gewechselt habe und das Führungspersonal nicht die Sympathien der Arbeiter hätte» (Ausgabe vom 19. Mai, 6).

Ein Jahr nach dem Vorfall wurde im Schweizerischen Handelsamtsblatt am 18. Mai 1900 die Gründung einer Aktiengesellschaft unter dem Namen «Fabrique de poterie de Renens S.A.» eingetragen, deren Statuten auf den 16. Mai 1900 datiert waren. Die Ziele der Gesellschaft waren einerseits die Herstellung von «gewöhnlicher Töpferware und Blumenvasen, Lüftungsrohren aus Ton, Kaminhüten, Rohren usw.» und andererseits «die Übernahme des Betriebs der in Renens unter der Firma ‘Charles Lévy-Schwob’ bestehenden Töpferei» (SHAB, Bd. 18, 1900, 748). Die Aktiengesellschaft hatte das Unternehmen lediglich aufgekauft (La Revue vom 29. Mai 1900, 1). Die Löschung des Firmennamens «Fabrique de poterie de Renens, Charles Lévy-Schwob» erfolgte am 19. Mai (SHAB, Bd. 18, 1900, 748). Das Kapital der neuen Gesellschaft wurde auf 200 000 Franken festgelegt und in 400 Inhaberaktien aufgeteilt. Charles Lévy-Schwob wurde zum Direktor und Émile Mercier zum geschäftsführenden Direktor ernannt, eine Funktion, die er mindestens bis 1903 innehaben sollte.

Die Töpferei arbeitete also ohne Unterbruch und unter demselben Direktor weiter. Sie stellte ihre Produkte 1901 auf der Kantonalen Ausstellung in Vevey vor (siehe oben unter Jaccard-Töpferei), nämlich «Urnen mit eleganten Formen, Blumenvasen, Kapitelle für Kamine, künstlerische Töpferwaren mit Blumen im Auflagendekor und Landschaften» (La Revue vom 24. Juli 1901, 1). Die Sendung wurde nur mit einer Silbermedaille ausgezeichnet.

In einem Brief, der in La Revue vom 27. September 1901 veröffentlicht wurde (S. 4) wetterte Charles Lévy-Schwob gegen diese Auszeichnung, die er für unzureichend hielt: «Wir haben bereits zwei Silbermedaillen erhalten, eine davon an der Landesausstellung in Genf […] Seitdem haben wir unsere Produkte verbessert, unsere Produktion und unsere Verkäufe haben sich verdoppelt, und hier werden wir durch die Kantonale Ausstellung in Vevey auf eine neue Silbermedaille herabgesetzt, die nach derjenigen von Genf nur von einem Rückschritt zeugen kann, den uns zu beschuldigen ungerecht wäre.» Der Direktor der «wichtigsten Töpferfabrik des Kantons» führte die schlechte Bewertung darauf zurück, dass sein Unternehmen in der Sektion «Bauwesen» der Ausstellung klassifiziert worden war, obwohl Bauelemente wie Kaminhüte nur ein Sechstel der ausgestellten Waren ausmachten. Folglich waren seine Produkte von Ingenieuren beurteilt worden, die nicht unbedingt die geeignetste Jury darstellten. Lévy-Schwob lehnte die Medaille ab und zitierte aus den Basler Nachrichten vom 21. August 1901: «La fabrique de poterie de Renens stellte schöne Platten und Vasen im Stil der Thuner Keramik aus. Eine handgedrehte Urne, etwa einen halben Meter hoch, gereicht dieser Einrichtung zur grössten Ehre».

Bisher haben wir nur ein einziges Objekt gefunden, das eindeutig aus der sogenannten «grossen Töpferei» stammt: eine Schüssel, die an die Waadtländer Hundertjahrfeier von 1903 erinnert und im Museum von Orbe aufbewahrt wird, mit der besonders hochtrabenden Marke «Fabrique poterie de Renens Société anonyme» (MO Nr. 1).

Der Töpfer war sichtlich stolz auf sein Werk, das im Vergleich zu den vagen, aber lobenden Beschreibungen, die Chronisten anlässlich verschiedener Ausstellungen lieferten, immer noch eine relativ bescheidene Leistung ist.

Das Jahr 1901 war durch einen weiteren Streik der Töpferarbeiter gekennzeichnet, der in den beiden Töpfereien von Renens (Töpferei S. Jaccard und Société anonyme) ausbrach, die «etwa siebzig Arbeiter beschäftigten, die meisten von ihnen Franzosen, die sich aber mit ihren Familien in Renens niedergelassen hatten» (Tribune de Lausanne vom 7. Mai 1901, 2). Tatsächlich betraf die Bewegung vor allem die Dreher, die in gewisser Weise die Aristokratie der Arbeiterschaft darstellten und besonders gut organisiert waren. Die Streikenden forderten eine Lohnerhöhung und eine Verkürzung der Arbeitszeit. Nach drei Wochen einigte sich Jaccard mit seinen Streikenden, während der Konflikt bei Lévy-Schwob weitergehen sollte (Feuille d’avis de Lausanne vom 23. Mai 1901, 11). Es dauerte fast zwei Jahre, bis die Differenzen innerhalb der «grossen Töpferei» beigelegt waren, wie die Arbeiterpresse feststellte: «Nach zwei Jahren Widerstand hat Herr Lévy, Direktor der Töpferei von Renens, die Dreher zum neuen Tarif wieder eingestellt […], einem Tarif, der in den anderen Fabriken von Renens [Jaccard und Poterie moderne, siehe unten] bezahlt wurde. Nach einer Streikbewegung im Mai 1901 wurde das ganze Dreherpersonal entlassen und durch mechanische Arbeit ersetzt. […] Nach diesem langen Kampf sind die Dreher siegreich, und ihren Sieg errangen sie über das Kapital und über den Maschinismus, der in diesem Zweig nicht die Ergebnisse gebracht hat, die unsere Geldgeber davon erwarteten» (Le Grutli vom 3. Juli 1903, 6).

Im selben Jahr 1903 durchlief die «grosse Töpferei» eine weitere Reorganisation. Am 16. April erweiterte die Fabrique de Poterie de Renens S. A. ihre Statuten um einen Zusatz, der besagte, dass «die Gesellschaft die Fabrik selbst betreiben oder durch Pächter betreiben lassen kann» (SHAB, Bd. 21, 1903, 757). Zwei Wochen später erklärte Charles Lévy-Schwob, dass er auf seinen Posten als Direktor verzichte, während Émile Mercier an seiner Stelle als geschäftsführender Direktor bestätigt wurde (SHAB, Bd. 21, 1903, 853).

Aber Lévy-Schwob verliess die Töpferei de facto nicht. Am 28. März des folgenden Jahres wurde er als Chef der Firma «Fabrique de poterie, Charles Lévy-Schwob» eingetragen (SHAB, Bd. 22, 1904, 553). Angesichts der obigen Ausführungen kann man davon ausgehen, dass er seine Tätigkeit wieder aufnahm – oder fortsetzte –, indem er das Gebäude und die technische Infrastruktur, die der Firma Fabrique de poterie S. A. gehörten, mietete.

Lévy-Schwob arbeitete noch bis Januar 1906. Der Firmenname wurde am 25. Januar «nach Verkauf des Geschäfts» gelöscht. Am selben Tag wurde Paul Pasquier- Castella aus Bulle, wohnhaft in Lausanne, als Chef der Firma «Fabrique de poterie, P. Pasquier-Castella» in Renens registriert (SHAB, Bd. 24, 1906, 161).

Charles Lévy-Schwob schaltete seinerseits ab März Werbeanzeigen, um sein «Bureau commercial et immobilier» mit Sitz in Grand-Pont 4 und Grand-Saint-Jean 18 in Lausanne zu bewerben, ein Unternehmen, das sich mit dem Kauf, Verkauf und der Verwaltung von Immobilien beschäftigte (siehe z. B. Feuille d’avis de Lausanne vom 3. März 1906, 9). Von 1912 bis 1919 tat er sich auch als Präsident der israelitischen Gemeinde von Lausanne hervor. Ausserdem blieb Lévy-Schwob dem Unternehmen in Renens als Vizepräsident des Verwaltungsrats der Briqueterie, Tuilerie et Poterie de Renens bis zu seinem Tod am 26. November 1933 verbunden (Gazette de Lausanne vom 28. November 1933, Todesanzeige auf S. 7).

1907 druckte der Indicateur vaudois unter der Rubrik der in Renens ansässigen Töpfereien einen Werbekasten mit der Bezeichnung «Fabrique de poterie P. Pasquier-Castella – poterie commune, vases à fleurs, capes, boisseaux, drains – Poteries artistiques de Mlle Nora Gross» (S. 389). Pasquier – der neue Mieter der Fabrique de poterie de Renens S. A. – begnügte sich also nicht damit, die traditionellen Produkte der Einrichtung fortzuführen, sondern war auch innovativ, indem er versuchte, eine echte künstlerische Linie einzuführen, die von einer unabhängigen Designerin entworfen wurde. Die obige Insertion ist jedoch die einzige Erwähnung, die wir von dieser Zusammenarbeit gefunden haben. Das Experiment war wahrscheinlich nur von kurzer Dauer, und wir haben keine Objekte identifiziert, die davon zeugen könnten (siehe auch den Text zu «Nora Gross»).

In seiner sehr kurzen Karriere als selbstständiger Unternehmer ging Pasquier-Castella eine weitere künstlerische Zusammenarbeit ein, die eine deutlichere Spur hinterliess: «Seit kurzem hat sich ein Arbeiter, der in den Fabriken von Rambervillers und auch bei Massier in Golfe-Juan Erfahrungen gesammelt hat, in Renens niedergelassen. Er betreibt seinen Brennofen in der Töpferei Pasquier-Castella, in den Räumen, in denen früher Kunstdünger hergestellt wurde […] Die Töpferwaren sind im Glattbrand hergestellt, das heisst, Produkte aus Steinzeug […] mindestens dreimal gebrannt […] und bei einer Temperatur von etwa 1300 Grad. […] Der Arbeiter heisst M. Beyer. Er kommt aus Strassburg […] Hier ein metallisierendes Blau, es sieht aus wie ein riesiger, alle Schattierungen von Azur ausstrahlender Rosenkäfer [sic]. Am anderen Ende ein mattes Aquamarin mit unvorhergesehenen Flammungen. Dazwischen die Palette der gesprenkelten, gefleckten, gestreiften, rosafarbenen, lilafarbenen, schwarzen […] Dekore» (D., «Une leçon d’art», in: Gazette de Lausanne vom 20. November 1906, 3).

Der erwähnte Keramiker war Paul Beyer (1873–1945), einer der grossen Namen der französischen Kunstkeramik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein Aufenthalt in Renens von 1906 bis1907 war vor allem geprägt durch seine Steinzeugarbeiten, eine Keramikart, die hierzulande völlig neu war. In begeisterten Zeitungsartikeln wurde die fast mystische Atmosphäre beschrieben, in der die langen Brennvorgänge bei hohen Temperaturen stattfanden, wobei man auch erfuhr, dass Beyer selbst einen von ihm erfundenen Töpferofen mit doppelter Einfeuerung in den Räumlichkeiten von Pasquier gebaut hatte (Cd., «Art domestique», in: Journal de Genève vom 14. September 1907, 5).

Die Steinzeugarbeiten, die Beyer ab 1906 in Renens herstellte, wurden in Lausanne (u. a. in den Räumen der Gazette de Lausanne), Genf (im Rahmen des Maison d’art de la Corraterie – Journal de Genève vom 26. April 1907, 4, und vom 14. September 1907, 5) und in der Kunstgewerbeschule in Zürich (Journal de Genève vom 20. Februar 1907, 1) ausgestellt. Das Musée des arts industriels in Genf und das Kunstgewerbemuseum in Zürich sollen mehrere Exemplare erworben haben. In Genf bewahrt das Musée Ariana eine Vase auf, die 1906 oder 1907 vom damaligen Musée des arts industriels im Maison d’art erworben wurde (MAG AR 05458); die Genfer Institution besitzt ausserdem elf Exemplare, die später in der Schweiz erworben wurden und die ebenfalls auf die Waadtländer Episode in der Karriere des Keramikers zurückgehen könnten (MAG AR 05457; AR 05539; AR 06939; AR 11332 bis AR 11339). In Zürich befinden sich acht Stücke von Beyer im Inventar des Museums für Gestaltung (ZHdK KGS-06744 à -06749, -06751 et -6903). Auch das Musée d’art et d’histoire de Neuchâtel bewahrt eine Vase von Beyer auf, die 1909 auf dem örtlichen Grand Bazar erworben wurde. Das alte Inventar des Museums gibt an, dass das Objekt 1906 in der Werkstatt von Paul Pasquier-Castella hergestellt wurde (MAHN AA 1046).

Auch das Musée d’art et d’histoire de Neuchâtel bewahrt eine Vase von Beyer auf, die 1909 auf dem örtlichen Grand Bazar erworben wurde. Das alte Inventar des Museums gibt an, dass das Objekt 1906 in der Werkstatt von Paul Pasquier-Castella hergestellt wurde (MAHN AA 1046).

Nebenbei sei bemerkt, dass einige Stücke im Musée Ariana – darunter die Vase, die für die Ausstellung von Beyer im Maison d’art erworben wurde – und die Vase aus Neuchâtel kein Steinzeug sind, sondern mit Glanzglasuren überzogene Fayencen, ein wenig in der Manier des Keramikers Massier. Im Fall des Genfer Beispiels heisst es im alten Inventar des Musée des arts industriels tatsächlich «faïence dure, imitation de grès» (harte Fayence, Nachahmung von Steinzeug). Es scheint also, dass der Keramiker eine Zwischenphase durchlaufen musste, bevor er echtes Steinzeug herstellen konnte, es sei denn, er experimentierte mit beiden Techniken parallel.

Am 14. März 1907 wurde Pasquier zum Sekretär des Verwaltungsrats und Émile Paccaud zum Präsidenten der Fabrique de poterie de Renens S. A. ernannt (SHAB, Bd. 25, 1907, 475). Eine tiefgreifende Umgestaltung des Betriebs stand an: Die Aktionäre der Aktiengesellschaft wurden zu einer ausserordentlichen Generalversammlung am 16. Oktober eingeladen, auf der eine Änderung der Statuten, die «Abtretung der Immobilien, Anlagen und Werkzeuge» sowie die Frage des Aktienumtauschs auf der Tagesordnung standen (Feuille d’avis de Lausanne vom 28. September 1907, 24).

Konkret und in Übereinstimmung mit der im Schweizerischen Handelsamtsblatt vom 15. November eingetragenen Information hatte die Generalversammlung beschlossen, die Aktiengesellschaft aufzulösen und ihre Liquidation drei Verwaltungsratsmitgliedern anzuvertrauen: Émile Paccaud, Charles Lévy-Schwob und Paul Pasquier (SHAB, Bd. 25, 1907, 1975 – La Revue vom 21. November 1907, 2). Die Liquidation wurde erst im März 1917 mit der endgültigen Löschung der Firma Fabrique de poterie de Renens S. A. vollendet.

Am selben 15. November 1907 verkündete das SHAB die am 30. Oktober erfolgte Gründung einer neuen Gesellschaft unter dem Namen «Fabrique de poterie et briqueterie de Renens S. A.» dotiert mit einem Kapital von 600 000 Franken, aufgeteilt in 1200 Aktien. Es wurde festgelegt, dass die Gesellschaft «…] sich nach Bedarf die notwendigen Immobilien, Einrichtungen und Materialien beschaffen und diejenigen, die überflüssig werden, liquidieren[a] wird, wenn dies Vorteile bringen würde». Der Präsident des Verwaltungsrats war Émile Paccaud, der Sekretär Aloys Fonjallaz, Gemeindepräsident von Cully, der Verwaltungsratsdelegierte Auguste Ludowici aus Genf. Die Leitung des Unternehmens wurde Paul Pasquier anvertraut (SHAB, Bd. 25, 1907, 1975).

Fabrique de poterie et briqueterie de Renens S. A. (1907–1923), nachher Briqueterie, tuilerie et poterie de Renens S. A. (1923–1969)

Im folgenden Frühjahr berichtete die Gazette de Lausanne mit folgenden Worten über das Ereignis: «In Renens-Gare wurde eine Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 600 000 Franken gegründet, um in kurzer Zeit eine grosse Ziegelbrennerei zu errichten. An der Spitze dieser neuen Gesellschaft stehen die Eigentümer der Töpfereien Pasquier-Castella und Jaccard, die derzeit fusioniert sind. Die neue Fabrik wird südlich der Töpferei Pasquier, ehemals Lévy-Schwob, entstehen. Die Erdarbeiten haben bereits begonnen, und man beabsichtigt, die neue Fabrik bereits im nächsten Winter in Betrieb zu nehmen» (Ausgabe vom 7. Mai 1908, 2).

Dieser kurze Artikel beleuchtet die Modalitäten der «Fusion» der ehemaligen Unternehmen: Anscheinend erwarb die Fabrique de poterie de Renens S. A. die Töpferei Jaccard (oder zumindest ihren Geschäftswert); in einem zweiten Schritt wurde die alte Aktiengesellschaft aufgelöst und die Verantwortlichen gründeten eine neue Gesellschaft, ebenfalls in der Form einer S. A. und mit dem Ziel, eine Fabrik aus dem Nichts zu errichten. Die Ausrüstung und das Gebäude der Töpferfabrik wurden wahrscheinlich auf die neue Einheit übertragen, die anscheinend bereits im Winter 1908 ihre Arbeit aufnahm. Von Oktober bis Dezember 1908 veröffentlichte die Fabrique de poterie et briqueterie de Renens S. A. eine Anzeige über den Verkauf einer Fabrik in Renens, «mit Keramiköfen, Grundstück ad libitum»; dabei handelte es sich um das Gebäude der früheren Aktiengesellschaft (z. B. SHAB, Bd. 26, 1908, 2172).

Bis zur Fertigstellung der neuen Anlagen wurde die Produktion offenbar in der alten «grossen Töpferei» fortgesetzt, denn Le Grütli vom 30. Oktober 1908 (S. 2) berichtet über einen Streik der Dreher und Lackierer der Poterie et briqueterie de Renens, die die gleichen Löhne wie in der Poterie moderne verlangten (siehe unten).

Mit der Gründung der neuen Gesellschaft wurde deutlich, dass sich das Unternehmen nun auf einer höheren Stufe bewegte, sowohl in Bezug auf das Kapital als auch auf die Produktionsmittel. Die angekündigten Produkte umfassten immer noch gewöhnliche Töpferwaren und Blumenvasen, doch der Schwerpunkt sollte nun auf «Baukeramik» liegen, insbesondere auf Dachziegel, Backsteine und Rohre.

Paul Pasquier-Castella blieb bis 1909 in der Geschäftsleitung; im Indicateur vaudois gab er fortan den Beruf des Vertreters an. Die Fabrique de poterie et briqueterie de Renens S. A. änderte im Jahr 1923 ihren Firmennamen in Briqueterie, tuilerie et poterie de Renens S. A., eine Umbenennung, die ihre immer stärkere Ausrichtung auf die industrielle Herstellung von Bauelementen widerspiegelte (SHAB, Bd. 41, 1923, 556).

Eine ganzseitige illustrierte Anzeige, erschienen im Indicateur pratique du commerce et de l’industrie du canton de Vaud im Jahr 1931 (S. X), zeigt deutlich, wie gross die neuen Anlagen geworden waren, die nun wie ein moderner Industriekomplex aussahen, der ordnungsgemäss an das Eisenbahn- und Strassennetz angeschlossen war. Das gleiche Jahrbuch enthält ähnlich illustrierte Anzeigen von drei weiteren grossen Ziegelindustrien des Kantons: Dutoit & Cie in Yvonand (unpag. vor S. I); Barraud & Cie in Bussigny, Chavornay, Éclépens und Yverdon (S. III); Morandi Frères in Corcelles-près-Payerne (S. VI).

Das Unternehmen wurde 1966 in «Briqueterie Renens S. A.» umbenannt mit Verlegung des Firmensitzes nach Crissier (SHAB, Bd. 84, 1966, 3109). Zu diesem Zeitpunkt stellte das Unternehmen hauptsächlich Materialien auf der Basis von Zement, Sandstein oder mit Silizium angereichertem Beton her.

1972 wird der Firmenname in BTR Matériaux S. A. umbenannt.

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

La presse vaudoise et genevoise, ainsi que les annuaires du canton de Vaud (consultés sur le site Scriptorium de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne et sur le site letempsarchives.ch)
La Feuille officielle suisse du commerce, dès 1883 (consultée sur le site e-periodica.ch)

Bibliographie:

Ferney-Voltaire 1984
Ferney-Voltaire. Pages d’histoire. Ferney-Voltaire/Annecy 1984.

Huguenin 2010
Claire Huguenin (éd.), Patrimoines en stock. Les collections de Chillon. Une exposition du Musée cantonal d’archéologie et d’histoire de Lausanne en collaboration avec la Fondation du château de Chillon, Espace Arlaud, Lausanne et Château de Chillon. Lausanne 2010.

Rüschlikon ZH, Fayencemanufaktur Abegg (1836-1842)

Roland Blaettler, Andreas Heege 2019

In Rüschlikon, nahe bei Kilchberg-Schooren, produzierten ab den 1830er-Jahren zwei Fayencemanufakturen, aber wohl in einem geringeren Umfang als die von Scheller bzw. Nägeli in Kilchberg-Schooren. Die Manufaktur von Jakob Fehr war von 1832 bis 1866 aktiv, die der Gebrüder Abegg von 1836 bis 1842 (Matter 2012, 17).

 Fayencen aus Kilchberg und Rüschlikon

Die grosse Produktion der vier Manufakturen am Zürichsee bietet besonders in Hinblick auf die Unterscheidung ihrer einfachen, fast identischen Grundformen noch viele Probleme. Die komplexeren Formen der Suppenschüsseln zeigen dagegen formale Eigenheiten, die erlauben, sie verschiedenen Fabriken zuzuweisen. So ist es Rudolf Schnyder überzeugend gelungen, typische Formen der zwei wichtigsten Manufakturen Nägeli (HMO 8689; AF Nr. 28) und Scheller zu definieren (AF Nr. 25; AF Nr. 73; HMO 8149) (Schnyder 1990). Diese erste Unterscheidung nach formalen Kriterien erlaubt zwar, die Dekore auf den Erzeugnissen der beiden sich konkurrenzierenden Unternehmen zu vergleichen, nicht aber endgültig dem einen oder andern Betrieb zuzuweisen. Die Dekorfrage bleibt problematisch, weil man weiss, dass die Maler einmal in dieser, einmal in jener Fabrik arbeiteten.

Schnyder hat auch auf Formen von Suppenschüsseln hingewiesen, die als Modelle von Fehr oder Abegg in Rüschlikon in Frage kommen; doch sind deren Erzeugnisse seltener und die Zuweisungen noch weitgehend hypothetisch (KMM 225; MBS 1944.93; HMO 8141; SFM 113; SFM 111; SFM 112; AF Nr. 74).

Bei den Fayencen aus Kilchberg und Rüschlikon haben wir auf Vergleiche und vertiefte Studien zu jedem Objekt verzichtet. Eine präzisere Zuordnung haben wir nur in Fällen vorgenommen, die klar erscheinen, vermerken aber auch von Rudolf Schnyder gemachte Vorschläge zu Produkten von Rüschlikon. Der Begriff «Kilchberg» bezieht sich auf Stücke, die Nägeli im Schooren oder Scheller im Böndler vor seinem 1835 erfolgten Umzug nach Schooren produzierten. «Kilchberg-Schooren» aber bezeichnet Objekte von Nägeli oder Scheller von nach 1835. Es ist durchaus möglich, dass es unter den hier «Kilchberg» und «Kilchberg-Schooren» zugewiesenen Fayencen auch Exemplare gibt, die, wenn wir einmal klarer sehen sollten, sich dereinst als Erzeugnisse von Rüschlikon erweisen.

 Bibliographie

Blaettler/Schnyder 2014
Roland Blaettler/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH II: Solothurn (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz (1500–1950), Sulgen 2014, 42–43

Matter 2012
Annamaria Matter, Die archäologische Untersuchung in der ehemaligen Porzellanmanufaktur Kilchberg-Schooren. Keramikproduktion am linken Zürichseeufer 1763–1906. Monographien der Kantonsarchäologie Zürich 43. Zürich 2012.

Schnyder 1990
Rudolf Schnyder, Schweizer Biedermeier-Fayencen, Schooren und Matzendorf. Sammlung Gubi Leemann. Bern 1990.