Museo Ciäsa Granda
Strada Cantonale 102
7605 Stampa, Bregaglia
Tel.: +41 (0)81 822 17 16
E-Mail: info@ciaesagranda.ch
Translation in preparation
Keramik des Museo Ciäsa Granda in CERAMICA CH
Andreas Heege, 2021
Ciäsa Granda bedeutet im Bergeller Dialekt «grosses Haus» und tatsächlich ist das Museum in einem stattlichen Patrizierhaus aus dem Jahr 1581 untergebracht. An das Originalgebäude wurde ein unterirdisch gelegener Ausstellungsraum gefügt, in dem man zahlreiche Werke der Künstler Giovanni, Alberto und Diego Giacometti sowie Augusto Giacometti und Varlin besichtigen kann. Das Museum gibt Besuchern und Besucherinnen einen Einblick in das bäuerlichen Leben vergangener Zeiten: wie man Butter und Käse herstellte, wie und wo die Wäsche gewaschen wurde, aber auch, welche Geräte und Werkzeuge für das Schlachten und die Wurstproduktion verwendet wurden. Weiter beherbergt das Museum verschiedene rekonstruierte Werkstätten wie die Weberei, eine Lavez-Werkstatt, eine Schmiede und den Arbeitsplatz eines Zuckerbäckers. Das Museum Ciäsa Granda sowie das historische Archiv des Bergells im Palazzo Castelmur gehören der Società culturale, Sezione Pgi. Der Kulturverein Bregaglia wurde 1942 gegründet und entstand um die Ciäsa Granda herum, die 1952 gekauft und zu einem Kulturzentrum bzw. ethnografischen Museum ausgebaut wurde.
Aus der Museumssammlung wurden 52 Keramikobjekte aufgenommen, die sich im Museum in zwei Gruppen teilen. Zum einen handelt es sich um 15 Keramiken, die im Museum im Kontext der “Küche” ausgestellt und inventarisiert wurden und die, soweit verwertbare Inventardaten vorliegen, meist aus der Region, d.h. dem Bergell stammen oder stammen dürften. Leider ist die auf die Region bezogene Museumssammlung nicht umfangreicher, eine Einschätzung der “Keramiklandschaft” des Bergell bleibt daher nach wie vor problematisch. Nur eine aktive Sammelpolitik des Museums, die ausschliesslich Objekte mit eindeutiger Herkunft aus dem Bergell berücksichtigt, könnte diese Situation verbessern.
Die zweite Gruppe von 37 Keramiken wurde von Florio Pult aus Genf im Jahr 1984 zusammengestellt, um eine Zuckerbäckerei zu inszenieren. Bei diesen Objekten steht zu vermuten, dass sie überwiegend in der Region Genf im Antiquitätenhandel erworben wurden. Eine kleine Gruppe süddeutscher Gebäckmodel wurde von einer Zürcherin geschenkt.
Betrachten wir zunächst die Küchenobjekte.
Drei Objekte, die man aus typologischen Gründen wohl nicht einer Produktion in der Schweiz zuweisen kann, sind leider ohne Inventarinformation. Vermutlich wurden die grosse Schüssel und die beiden grossen und schweren Vorratstöpfe (Schmalztöpfe?) in Norditalien (Piemont?) hergestellt (vgl. Martelli/Bianchetti/Volorio 2003, 77-80, Vasi per alimenti). Ähnliche Formen erwarb das Rätische Museum aus dem Haus Baldini in Stampa, Borgonovo (RMC_H1972.780, RMC_H1972.781). Und auch im Museum Tgea da Schons in Zillis gibt es ein ähnliches Stück (TSZ_684). Die spritzverzierte Schüssel ist bislang ein singuläres Stück in der Schweiz.
Zwei typische, hellscherbige und grün spritzverzierte Keramiken mit Hohldeckel stammen mit grosser Wahrscheinlichkeit aus Süddeutschland. Identische Formen und Dekore sind in Graubünden und Liechtenstein weit verbreitet. Sie können nicht genauer als ins 19. Jahrhundert datiert werden. Das Stück mit den oberrandständigen Henkeln wurde aus Vicosoprano geschenkt, eine letzte Verwendung im Bergell ist daher sehr wahrscheinlich. Das zweite Stück ist ohne Herkunftsangabe.
Bei den übrigen Irdenwaren sind wenige Schüsseln und ein Milchtopf wohl aus Berneck SG belegt, die ins späte 19. oder das frühe 20. Jahrhundert datieren. Eine der Schüsseln trägt unüblicherweise eine Blindmarke mit Volumenangabe, wie wir sie sonst eher von den Milchtöpfen kennen. Diese Schüssel wurde aus Vicosoprano dem Museum geschenkt.
Eine Schüssel mit scharfkantigem Kragenrand und einer charakteristischen hellgelben Glasur ist leider ebenfalls ein Stück ohne Herkunftsangabe. Keramiken mit dieser Glasur und diesem Dekor sind in Graubünden weit verbreitet. Sie wurden in der Westschweiz und in Frankreich im weiteren Umfeld des Genfersees bzw. in der Haute Savoie produziert. Ein Massenexport nach Graubünden ist eigentlich erst im Kontext einer flächendeckenden Eisenbahnerschliessung denkbar. Es scheint daher auch, dass alle diese Keramiken erst in das späteste 19. und vor allem das erste Drittel des 20. Jahrhunderts datieren.
Fayencen sind eine grosse Seltenheit im Museumsinventar, wobei besonders überrascht, dass auch keinerlei sonstige italienische Fayencen vorhanden sind. Das einzige Objekt ist eine Teekanne, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Kilchberg-Schooren hergestellt wurde. Sie wurde aus Vicosoprano dem Museum geschenkt.
Steingut hat dagegen am Museumsinventar einen etwas grösseren Anteil. Es sind drei gemarkte Objekte vorhanden. Eine besonders grosse und repräsentative Suppenterrine wurde dem Museum aus Vicosoprano geschenkt. Sie trägt die Marke von Schramberg und ist in beiden Musterbüchern der Manufaktur verzeichnet (Staffhorst 2020, Musterbuch Schramberg I, Nr. 244 «Suppen-Terrine rund, ohne Unterplatte; Musterbuch Schramberg II, Nr. 106 «Terrine, englische, rund, hoch»).
Aus der Manufaktur von Johannes Scheller in Kilchberg-Schooren bei Zürich stammt eine der sehr seltenen, “SCHELLER” gemarkten, aber unverzierten Suppenschüsseln (vgl. Ducret 2007, 16 und 23 bzw. Abb. 37: Musterbuch Scheller «Suppenschüssel, Casserolle» bzw. bzw.«Casserolleschüssel»). Diese wurde zwischen 1846 und 1869 hergestellt. Das Stück wurde bis 1980 in Vicosoprano aufbewahrt und dann dem Museum geschenkt.
Aus der Niederweiler Steingutfabrik in Möhlin im Kanton Aargau stammt ein Milchtopf, der nach 1906 produziert wurde. Er trägt eine technisch merkwürdige Kombination von Pinsel- und Schablonendekor. Auch dieser Milchtopf wurde aus Vicosoprano dem Museum geschenkt.
Eine gedrehte Steinzeugflasche (Heilwasserflasche) ist das einzige Steinzeugobjekt der Küche. Auf der Vorderseite findet sich die eingestempelte Blindmarke (Brunnenmarke) von Niederselters „SELTERS NASSAU, Preussischer Adler“. Die Flasche ist demnach zwischen 1866 etwa 1879 entstanden (Heege 2009). Leider ist sie ohne Herkunftsangabe.
Die Keramiken aus der Zuckerbäckerei haben eine erkennbar abweichende Zusammensetzung. Aufgrund ihrer unbekannten Erwerbungsumstände, können sie nicht als Objekte aus dem Bergell betrachtet werden.
In einen Zuckerbäcker-Kontext passen natürlich Backformen. Die beiden vorhandenen Objekte für das Backen von liegenden Osterlämmern, dürften in Soufflenheim im Elsass hergestellt worden sein (Vgl. Legendre/Maire 1996, 148 Nr. 131; Demay 2003, 25-33; Decker/Haegel/Legendre u.a. 2003, 38-39). Ganz ähnliche gibt es aus einem Zuckerbäcker-Inventar im Museum in Poschiavo (MPO_19003).
Ebenfalls in einen solchen Kontext könnten möglicherweise kleine innenglasierte Model gehört haben, für die man annimmt, dass sie für die Verzierung unterschiedlicher Gebäcke (Lebkuchen, Biber, Tirggel, Springerle, Anisbrötchen), zur Formung von Marzipan und Tragant oder zur Herstellung gemodelter Quittenpaste/”Quittenzeltlein” gedient haben (Brunold-Bigler 1985; Morel 2000, 101; Bernerisches Koch-Büchlein 1749, Rezept 303). Wahrscheinlicher ist jedoch die Annahme, dass wir es mit Objekten aus einem gutbürgerlichen deutschschweizerischen Haushalt zu tun haben, denn die Stücke wurden dem Museum von einer Zürcherin geschenkt. Das Rätische Museum in Chur verwahrt eine grössere Menge ähnlicher Model (Brunold-Bigler 1985). Leider wissen wir bis heute nicht, in welcher deutschschweizerischen oder süddeutschen Werkstatt diese Model entstanden sind. Stilistisch betrachtet, dürften sie aus dem 18. oder der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen.
Mit einer dunkelbraunen Manganglasur wurden eine ganze Reihe von Kuchen-/Back- oder Puddingformen versehen. Keine davon trägt eine Marke. Während vergleichbare Gugelhupfformen in Graubünden ansonsten ebenfalls recht häufig auftreten, sind die beiden anderen Form seltene Ausnahmen. Das flachere Stück im Vordergrund könnte tatsächlich eine Puddingform sein. Die linke Form, zu der es noch ein zweites, kleineres Exemplar gibt, stellt dagegen eine “Krone” dar. Ähnliche Stücke finden sich im Musterbuch Ziegler’sche Tonwarenfabrik Schaffhausen unter Nr. 35, und im Musterbuch Aedermannsdorf 1895, Nr. 70 mit der Bezeichnung «Krone, Couronne». Offenbar wurde darin eine ganz spezielle Kuchenform gebacken.
Die beiden Musterbücher können auch als unmittelbarer Hinweis auf die Herkunft des manganglasierten Geschirrs aufgefasst werden, das wohl überwiegend in der Deutschschweiz, u.a. auch in Kilchberg-Schooren gefertigt und in Graubünden in grossen Mengen verhandelt wurde. Häufiger sind dabei in den Museumssammlungen aber runde und ovale Terrinen vorhanden.
Zu den Terrinen gehört auch ein auffällig dekoriertes und gemarktes Stück. Es wurde wohl vor 1910 im Deutschen Kaiserreich in Dessau, Sachsen Anhalt, in der Anhaltischen Kunsttöpferei (A.K.T.) von Friedrich Franz Krätzel gefertigt. Wie sich dieses Stück in die Schweiz “verirrt” hat, bleibt leider ein Rätsel.
Ansonsten steht in der Zuckerbäckerei Keramik “Heimberger Art” aus Berneck SG neben lehmglasiertem Braungeschirr “Bunzlauer Art” vor allem wohl aus dem heute polnischen Schlesien. Als angeblich bleifreies “Gesundheitsgeschirr” handelte es sich um einen europäischen Exportschlager des Deutschen Kaiserreichs im späten 19., vor allem aber in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es gibt bislang keine Hinweise, dass die Keramikart auch in der Schweiz kopierend nachgeahmt wurde.
Eine rechteckige Platte der SOCIÉTÉ INDUSTRIELLE VALLAURIS A.M kann im Zusammenhang mit der eingerichteten Zuckerbäckerei eigentlich nur als Flohmarkt-Fehlgriff gewertet werden.
Dagegen würde eine ganze Keramikserie sehr gut in die Region Genf, aber auch nach Graubünden passen. Schüsseln, Milchtöpfe und Vorratstöpfe (Toupine) für Schmalz sind klassische Produkte der Genferseeregion (z.B. der Töpferei Knecht) bzw. der Haute Savoie (Buttin/Pachoud-Chevrier/Faÿ-Hallé 2007; Buttin 2019) oder des Départements Jura in der Franche-Comte (Töpferort z.B. Nermier: Pétrequin/Monnier 1995).
Ein Steingutobjekte gilt es noch zu erwähnen. Eine grosser Eimer für Wasser oder Abwasser, dem der aus organischem Material bestehende Henkel fehlt, wurde bei Villeroy & Boch in Wallerfangen wohl im späten 19. Jahrhundert gefertigt. Er gehört eigentlich in den Kontext der Hygiene-Artikel (Waschsets oder Nachtgeschirre) und hat mit einer Zuckerbäckerei funktional wohl nichts zu tun.
Zum Schluss ist noch eine schwarze, schwarz glasierte Steingut-Kanne vorzustellen, die wohl ebenfalls einen Altbestand des Museums darstellt, aber im räumlichen Kontext der Zuckerbäckerei nachinventarisiert wurde. Es handelt sich laut dem Musterbuch I von Schramberg, Nr. 102 um eine «Kaffe-Kanne, englische Facon, gleichweit» oder Nr. 174 einen «Rahm Giesser, gleichweit mit Deckel». Das Musterbuch II, Nr. 1 bezeichnet eine identische Form als «Caffee-Kanne, gleichweit» (Staffhorst 2020). Gefässkeramik in Form von “schwarzem Steingut” gehört für die Schramberger Manufaktur zu den grossen Ausnahmeerscheinungen. Die Kanne ist das einzige in Graubünden belegte Exemplar.
Dank
Die CERAMICA-Stiftung dankt Bruna Ruinelli sehr herzlich für die gute Betreuung und Unterstützung der Dokumentationsarbeiten.
Bibliographie:
Bernerisches Koch-Büchlein 1749
Bernerisches Koch-Büchlein (Nachdruck 1970), Bern 1749.
Brunold-Bigler 1985
Ursula Brunold-Bigler, “Trukhs in die Mödel”: Bemerkungen zur Gebäckmodelsammlung des Rätischen Museums, in: Jahrbuch der Historisch-Antiquarischen Gesellschaft von Graubünden 115, 1985, 43-66.
Buttin 2019
Anne Buttin, La poterie – De terre et de feu, Magland 2019.
Buttin/Pachoud-Chevrier/Faÿ-Hallé 2007
Anne Buttin/Michèle Pachoud-Chevrier/Antoinette Faÿ-Hallé, La Poterie domestique en Savoie, Annecy 2007.
Decker/Haegel/Legendre u.a. 2003
Emile Decker/Olivier Haegel/Jean-Pierre Legendre u.a., La céramique de Soufflenheim. Cent cinquante ans de production en Alsace 1800-1950, Lyon 2003.
Demay 2003
Bernard Demay, Les moules à gâteaux, Bouxwiller 2003.
Heege 2009
Andreas Heege, Steinzeug in der Schweiz (14.–20. Jh.). Ein Überblick über die Funde im Kanton Bern und den Stand der Forschung zu deutschem, französischem und englischem Steinzeug in der Schweiz, Bern 2009.
Legendre/Maire 1996
Jean-Pierre Legendre/Jean Maire, La céramique de Soufflenheim (Bas-Rhin) du milieu du XIXe siècle au début du XXe siècle. Typologie de la production et éléments de chronologie, in: Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire 39, 1996, 139-170.
Martelli/Bianchetti/Volorio 2003
Alessandro Martelli/Gianfranco Bianchetti/Paolo Volorio, La manifattura delle ceramiche di Premia (1808-1862), Villadossola 2003.
Maurizio 1990
Remo Maurizio, Guida al museo di valle Ciäsa granda (Stampa, Val Bregaglia), Stampa 1990.
Morel 2000
Andreas Morel, Basler Kost. So kochte Jacob Burckhardts Grossmutter (178. Neujahrsblatt, herausgegeben von der Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige), Basel 2000.
Pétrequin/Monnier 1995
Pierre Pétrequin/Jean-Louis Monnier, Potiers Jurassiens. Ethno-archéologie d´un atelier du XIXe siècle, Lons-Le-Saunier 1995.
Staffhorst 2020
Andreas Staffhorst, Schramberger Steingut 1820-1882 (Schriftenreihe des Stadtarchivs und Stadtmuseums Schramberg 30), Schramberg 2020.