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Berneck SG

Andreas Heege, Andreas Kistler 2019

Forschungsgeschichte

Der älteste Literaturhinweis auf die Töpferei in Berneck stammt aus dem Jahr 1921. Damals beschäftigte sich Fernand Schwab intensiv mit der Entstehung und Entwicklung der Töpferei in Heimberg und ihrer Ausstrahlung, u. a. nach Berneck (Schwab 1921, 60). 1924 schrieb Daniel Baud-Bovy (1870–1958), Präsident der Eidgenössischen Kunstkommission (1916–1938) in seinem Buch «Peasant Art in Switzerland» auch über die Keramikproduktion in der Schweiz. In diesem Zusammenhang konnte er auf ein bereits damals im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen musealisiertes Aushängeschild eines Bernecker Töpfers hinweisen (Baud-Bovy 1924, 61 mit Abb. 369. Deutsche Übersetzung: Baud-Bovy 1926, 77 mit Abb. 311; HVMSG 9528).

Aus dem Historischen und Völkerkundemuseum in St. Gallen

Es zeigt einen Töpfer an der Spindelscheibe. Produkte der Bernecker Werkstätten wurden jedoch nicht erwähnt. Ein weiterer Hinweis aus dem Jahr 1947 stammt aus der Feder von Karl Frei, dem damals profundesten Kenner der schweizerischen Irdenwaren und zugleich stellvertretendem Direktor des Schweizerischen Landesmuseums (Frei 1947, 31). Anlässlich der Ausstellung «Schweizerische Keramik von der Urzeit bis heute», die im Kunstgewerbemuseum Zürich gezeigt wurde, verwies er auf die Produktion von «schwarzgrundigem Geschirr nach Heimberger Art», das durch «Hausierer im Appenzellerland und Vorarlberg, in Graubünden und bis nach Bayern hinein» verhandelt wurde (Vermutlich darauf basierend Creux 1970, 125 ohne Zitat). Woher diese Informationen stammen, wird nicht belegt, auch wird keine Keramik abgebildet, vermutlich weil das Schweizerische Nationalmuseum selbst keine umfangreicheren Geschirrbestände, sondern fast nur Gipsmodel und Malhörnchen der aufgelösten Bernecker Werkstatt von G. Federer besitzt (SNM LM-68232 bis LM-68240, Malhörnchen; LM-68241 bis LM-68245, Gerätschaften; LM-68246 bis LM-68315, Gipsmodel und Ausformungen). Das wichtigste in Zürich vorhandene Objekt aus Berneck ist ein Streichholzhalter in Form eines Bären, der zudem ein Wappenschild des Kantons Appenzell Innerrhoden hält. Er ist mit «I. O. K.» signiert und kann daher der Bernecker Werkstatt von Josef Othmar Kurer zugewiesen werden (Schnyder 1998, 113 Kat. 178; SNM LM-13187). Der Streichholzhalter belegt zugleich, dass in Berneck auch Keramik mit Farbkörper in der Grundengobe gefertigt wurde.

Streichholzhalter in Form eines Bären aus dem Schweizerischen Nationalmuseum

Erst mit einer Arbeit von Robert Gschwend (Gschwend 1948) und zwei Arbeiten von Leo Broder aus den Jahren 1955 und 1975 (Broder 1955; Broder 1975) liegen erstmals grössere, leider nicht hinreichend mit Archivalien unterlegte Studien zu Berneck vor. Basierend auf diesen und ersten zusätzlichen Sichtungen der Quellen im Gemeindearchiv durch Altgemeindepräsidenten Jakob Schegg wurde 2006 im Ortsmuseum Berneck (OMB) eine Keramikausstellung organisiert, in deren Folge 2007 eine reichhaltiger bebilderte Zusammenstellung zur Bernecker Hafnereigeschichte von Margrit Wellinger-Moser erschien (Wellinger-Moser 2007).

Die Geschichte der Hafnerei reicht in Berneck sicher in das späte 17. bzw. in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurück, da im «Salis-Haus» in Maienfeld ein signierter, aber undatierter Barock-Kachelofen des Hafners «Johan Ulerich in der Mur, Haffner In Berneg» steht (Broder 1955, Abb. S. 45. Zum Ofen: Poeschel 1937, 30, Abb. 28).

Kachelofen in Maienfeld

Er ist mit polychromem Unterglasur-Pinseldekor bemalt und zeigt am Turm Allegorien der Tugenden in Verbindung mit entsprechenden Zitaten aus dem Alten und Neuen Testament. Der Unterbau trägt im Gegensatz dazu die Untugenden oder Laster. Stilistisch steht der Ofen den Produkten von Steckborn nahe. Der im Haus auf dem Dachboden gelagerte Ofen wurde 1933 durch die Zuger Hafnerei Keiser neu aufgesetzt und um den seitlichen Ofensitz erweitert. Ein Vorfahre des Hafners «Johan Ulerich in der Mur, Haffner In Berneg» ein «Ulrich Indermauer, Hafner» erscheint erstmals 1685 in einem Gerichtsprotokoll des Hofes Bernang (Bernang = alter Name für Berneck; Artikel ohne Autor: Einiges über Töpferei, Unser Rheintal 5, 1948, 81–82). Weitere Informationen liegen erst wieder aus dem 19. Jahrhundert vor. Demnach hätten 1828 in Berneck vier Werkstätten bestanden, während zwischen 1830 und 1850 im benachbarten Au, Balgach und Lüchingen bei Altstätten je drei sowie in Altstätten zwei Töpfereien und in Rebstein und Marbach je eine Töpferei existiert hätten. Für das Jahr 1836 sind Streitigkeiten über die Ausfuhr von Ton nach Österreich belegt, die auf eine entsprechende Konkurrenzsituation (mit den Hafnern in Vorarlberg?) hinweisen. Die Hafner Indermauer und Lang setzten damals ihre restriktive Haltung beim Gemeinderat durch (Boesch 1968). Nach Aussage des 1931 schon verstorbenen Töpfermeisters Ritz sen. bestanden um 1870 in Berneck 21 und in Lustenau auf der gegenüberliegenden Rheinseite in Vorarlberg 19 Hafnereien. 1872 werden für Berneck 18 Hafnermeister genannt (Boesch 1968, 180). 1878 gab es mindestens 17 Hafner aus folgenden Familien:

Federer, Grüninger, Hasler, Hongler, Jüstrich, Kurer, Lang, Mätzler, Ritz, Schädeli, Schuppli, Seiz, Thurnherr und Zangger.

Es handelt sich um Namen aus der Subskribentenliste der 1879 erschienenen «Geschichte der Gemeinde Bernang» des katholischen Pfarrers in Berneck Franz Xaver Kern (Kern 1879). Die Zahl der Hafner bzw. Betriebe reduzierte sich bis 1899 auf zwölf, 1905 auf neun, 1913 auf sieben, 1920 auf sechs, 1931/1937 auf drei Hafnereien und 1948/1955 noch auf eine, die 1902 von Töpfermeister Hans Ehrat erbaut wurde. In der Folgezeit wurde daraus die Töpferei Hanselmann, dann Hans Plattner, heute Fred Braun (Gschwend 1948; Broder 1955; Boesch 1968, 209; Wellinger-Moser 2007, 251–255).

2016 wurde die Forschungsgeschichte von Berneck erstmals grundlegender aus archäologisch-kulturhistorischer Perspektive betrachtet (Heege 2016, 28-36). 2017 wurden erste Forschungsergebnisse von Andreas Kistler integriert (Heege/Kistler 2017, 369-373) und 2019 wurde die  typologische Trennung von Bernecker Keramik und Geschirr der Hafnerei Lötscher aus St. Antönien grundlegend dokumentiert (Heege 2019) und gleichzeitig der Keramikgesamtbestand des Rätischen Museums (RMC) vergleichend analysiert. Auf diesen Arbeiten beruhen die im Folgenden mitgeteilten Ergebnisse.

Berneck SG und Heimberg BE – Das Problem der „Keramik Heimberger Art“

Der typologische Zusammenhang zwischen Berneck und Heimberg wurde 1921, 1955 und 1975 auf dem Weg über eingeheiratete «Heimbergerinnen» erklärt, jedoch genealogisch weder von Fernand Schwab und Leo Broder noch von Hermann Buchs aus Thun belegt (Hermann Buchs, Auskunft in Gresky 1969, 41). Fernand Schwab schrieb: «Noch vor 20 Jahren konnte man eine ganz ähnliche Erscheinung in den Beziehungen zwischen Heimberg und Bernegg beobachten: Viele junge Bernegger Töpfer, die in Heimberg das Handwerk erlernt oder dort ihre Gesellenzeit verbracht hatten, führten Heimberger Töpferstöchter heim, um sich zu Hause als Meister niederlassen zu können» (Schwab 1921, 60). Da bereits für das Jahr 1836 belegt werden kann, dass in Heimberg klassischerweise die Frauen als Keramikmalerinnen arbeiteten (Reise von Alexandre Brongniart, Direktor der wichtigsten französischen Porzellanmanufaktur in Sèvres, durch die Schweiz mit Besuch in Heimberg: Brongniart 1854, Bd. 2, 14–15), würde sich auf diesem Wege möglicherweise tatsächlich die grosse, seit etwa 1800/1820 bestehende Nähe im Dekor zwischen Heimberg und Berneck erklären lassen. Leider ist das Argument nicht stichhaltig.

Eine Kontrolle der Herkunft der Ehepartner der bekannten Bernecker Hafner des 19. Jahrhunderts anhand der Kirchenbücher durch Jakob Schegg (Ich danke Jakob Schegg, Alt-Gemeindepräsident, für die ausführliche und sehr informative Diskussion seiner noch unveröffentlichten Forschungsergebnisse), hat vor allem für das wichtige frühe 19. Jahrhundert, aber auch für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts keine Einheiraten belegen können (so erstmals Wellinger-Moser 2007, 254). Nur für einen ursprünglich katholischen Bernecker Hafner – Leondus Federer, Sohn von Joseph Federer – lässt sich anhand der Kirchenregister von Steffisburg ergänzend zeigen, dass er sich vor 1819 in Heimberg niederliess, später jedoch nach Berneck zurückwanderte (Kirchenrodel Steffisburg 17, 163 Nr. 23. Fünf seiner Kinder starben 1822, 1825 und 1828 und sind im Kirchenrodel Steffisburg verzeichnet: 22,99; 22,111; 23,9 und 10). Er vermählte sich am 26. November 1819 in Münsingen mit der aus Dachsen im Kanton Zürich stammenden Witwe Elisabeth Rubli, die 1816 Caspar Joder aus Steffisburg (kein Hafner!) geheiratet hatte. Letzterer war bereits am 18. März 1818 verstorben (Kirchenrodel Steffisburg 17, 141 und 22, 84 Nr. 27). Bei der Taufe des 1824 geborenen Sohnes in Steffisburg war der Hafner Franz Joseph Kurer von Berneck Pate (Kirchenrodel Steffisburg 10, 214).

Sind also nicht eingeheiratete Keramikmalerinnen für die Stilübertragung nach Berneck verantwortlich, so bleiben eigentlich nur Gesellenwanderungen als Begründung für den typologischen und stilistischen Wissenstransfer übrig.  Heute wissen wir aufgrund der Arbeiten von Andreas Kistler, dass zwischen dem ersten in der Region Heimberg nachweisbaren Gesellen Johann Michael Kurer im Jahr 1823 und dem letzten dokumentierten Gesellen Joseph Anton Ritz aus dem Jahr 1905 weitere 6 Gesellen aus Altstätten, 5 Gesellen aus Au, 5 Gesellen aus Balgach, 11 Gesellen aus Berneck und  ein Geselle aus Marbach in die Listen der bernischen Fremdenkontrolle eingetragen  wurden. Verschiedene Gesellen aus Berneck arbeiteten ein bis zwei Jahre in der Region Heimberg-Steffisburg.  Der zeitnahe Transfer von Wissen und Dekormotiven findet auf diesem Wege eine plausible Erklärung. Zugleich wird deutlich: Keramik aus der Region Berneck dürfte teilweise kaum von der Keramik aus der Region Heimberg-Steffisburg zu unterscheiden sein. Aus diesem Grund wird in den Datenbankbeschreibungen immer der Terminus Keramik „Heimberger Art“ verwendet.  Für Objekte, die aus dem Antiquitätenhandel angekauft wurden, muss die Frage nach dem Herstellungsort letztlich ungeklärt bleiben, auch wenn z.B für die Masse des einfachen Gebrauchsgeschirrs aus Graubünden wohl von einer Herkunft aus der Region Berneck ausgegangen werden kann. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass wir keinerlei Vorstellung davon haben, was im unmittelbar benachbarten, vorarlbergischen Lustenau für Keramik gefertigt wurde.

Keramik aus Berneck

Das älteste Auftreten dunkler Grundengobe wird von Leo Broder für Berneck zu einem Zeitpunkt angenommen, da sie in Heimberg noch gar nicht verwendet wurde. Dies ist nicht vorstellbar, da Berneck sicher nicht das Primärzentrum dieser Entwicklung ist. Broders Annahme stützt sich auf einen 1772 datierten Teller, dessen Draperie-Dekor kaum vor den 1830er-Jahren denkbar ist (Broder 1955, Abb. auf S. 51. Broder 1975, Abb. auf S. 3). Jedoch trägt der Teller den Ortsnamen «Bernang» und ist damit möglicherweise tatsächlich ein wichtiger Zeuge für die Produkte dieses Ortes im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts (Historisches und Völkerkundemuseum St. Gallen, HVMSG 8347).

Keramik aus dem Historischen und Völkerkundemuseum in St. Gallen

Fast noch wichtiger ist eine kleine Feldflasche, die der hessische Töpfergeselle Konrad Pistor von seiner Wanderschaft, auf der er wie sein Grossvater Heimberg besuchte, aus Berneck, seinem letzten Arbeitsort (November 1848 bis Mai 1849), mit nach Hause brachte. Sie trägt auf der Vorderseite seinen Namen und die Datierung 1849, dazu auf der Vorder- und Rückseite einen eingeritzten umlaufenden, für Heimberg in Ritztechnik und Inhalt untypischen Spruch und im Wappenschild, das mit textilen Behängen versehen ist, einen nach links schreitenden Bären, was dem Berner Wappen sehr nahe kommt (Gresky 1969, 39 Abb. 8. Broder 1975, 7, Bild links unten). Der Bär trägt jedoch, wie auf Bärendarstellungen in Bäriswil, ein Halsband und meint damit offensichtlich nicht das Berner Kantonswappen, sondern steht wohl als sprechendes Wappen für Berneck genauso wie für Bäriswil. Ganz ähnlich ist ein 1840 datiertes Rasierbecken mit schwarzer Grundengobe des Bernecker Maurermeisters Johannes Kurer verziert (HVMSG 7278a).

Keramik aus dem Historischen und Völkerkundemuseum in St. Gallen

Eine sehr flache Kragenrandschüssel mit roter Grundengobe und weissem Malhorndekor sowie einem entsprechenden Zierstreifen mit geritztem Blumendekor trägt das Motto: «Es leben die Hafner in Bernneg» (HVMSG 9764), sodass am Produktionsort Berneck wohl kein Zweifel bestehen kann. Eine Schüssel mit identisch verzierter Randzone und dem Spruch «Liebe den Nächsten wie dich selbsten» verwahrt die SST (Inv. 568).

Keramik aus dem Historischen und Völkerkundemuseum in St. Gallen

Betrachtet man die Keramik «Heimberger Art» in den Museen in Berneck, Heiden, St. Gallen, Frauenfeld und Triesenberg, so finden sich zahlreiche Stücke deren Dekormotive tendenziell nicht heimbergisch sind. Hierzu gehören zwei flache Schüsseln (Typ SR 17) mit vier Figuren (Taufzug?) wohl nicht Berner Tracht (Museum Heiden, ohne Inv.) bzw. einem Haus eher nicht Berner Bauart (RMC H1970.185), ein Henkeltopf (Typ HTR 12) von 1849 (HVMSG 2010-01), eine Kaffeekanne untypischer Form von 1827 (Walsermuseum Triesenberg, ohne Inv.) und eine flache Schüssel SR 17 von 1852 (HVMSG 9129), der zahlreiche weitere Beispiele angeschlossen werden können (HVMSG 8656 und 8657, Museum Heiden ohne Inv., RMC H1971.914, OMB 2010.1494).

Keramik aus dem Historischen und Völkerkundemuseum in St. Gallen

Diese Stücke zeigen teilweise auch Übereinstimmungen mit einem in Berneck erhaltenen Musterbuch einer Keramikmalerin (Ortsmuseum Berneck, OMB ohne Inv.; z. B. OMB 2010.1567, 2009.1123).

Musterbuch aus dem Ortsmuseum Berneck

Die grosse Variabilität der gemalten Dekore wird auch bei einem Vergleich z. B. von Terrinen aus dem Rätischen Museum Chur bzw. dem Historischen und Völkerkundemuseum in St. Gallen deutlich.

Keramik aus dem Rätischen Museum in Chur

Alle diese Stücke werden im Churer Museumsinventar der Produktion von St. Antönien zugeschrieben, vermutlich aufgrund der Tatsache, dass das erste der Stücke (RMC H1970.238.) 1907 aus dem Besitz von Andreas Lötscher d. J., dem letzten Hafner von St. Antönien, erworben wurde. Der grösste Teil  (RMC H1973.831, H1973.836, H1973.841, H1973.956, H1973.841, H1973.956, H1973.958) stammt jedoch aus der Sammlung von Margrith Schreiber von Albertini in Thusis und wurde vor 1973 als «St. Antönier-Geschirr» aus dem Antiquitätenhandel angekauft. Die Bearbeitung der Keramik der Hafnerei Lötscher von St. Antönien (Heege 2019) hat mittlerweile zweifelsfrei ergeben, dass alle diese Terrinen nicht der dortigen Produktion entstammen. Ein weiteres Stück dieser Terrinengruppe stammt zusammen mit einem passenden Henkeltopf dagegen aus Privatbesitz in Rodels (RMC Inv. H1984.1, H1984.2) und belegt mit verschiedenen Exemplaren aus bündnerischen Museen die weite Verbreitung dieser Ware in Graubünden.

Keramik aus dem Historischen und Völkerkundemuseum in St. Gallen

Dagegen werden die zahlreichen Terrinen der Sammlung des Historischen und Völkerkundemuseums in St. Gallen, von denen hier nur eine kleine Auswahl gezeigt werden kann, im Museumsinventar, wohl aufgrund der Kantonszugehörigkeit, ohne weitere Diskussion der Produktion von Berneck zugeschrieben.

Keramik „Heimberger Art“ aus dem Kanton Bern.

Vergleicht man die gemalten Motive andererseits z. B. mit Stücken, die in Oberdiessbach im Emmental im Gebrauch erhalten geblieben sind oder aus Sammlungen in Burgdorf oder Mürren stammen (BuumeHus in Oberdiessbach, ohne Inv.; SMB IV-918; Sammlung Fahrländer-Müller K82), und daher mit grosser Wahrscheinlichkeit der Produktionsregion Heimberg zugewiesen werden dürfen, so fällt eine grosse Übereinstimmung auf, die beim momentanen Stand der Forschung nur mit Erstaunen zur Kenntnis genommen werden kann, will man nicht annehmen, dass mit Heimberger Produkten über eine Distanz von circa 200 km bis nach Graubünden bzw. Liechtenstein gehandelt wurde (vgl. auch die Funde aus dem Berner Verbrauchermilieu: Heege 2010b, 89 Abb. 77). Es bleibt der gut begründete Verdacht, dass wir im St. Galler Rheintal neben den potentiellen Produktionsorten Kandern im Südschwarzwald (Eisele 1929; Eisele 1937; Gebhardt-Vlachos 1974; Schüly 2002) und Steckborn TG (Heege 2016, 64-66) mindestens ein weiteres wichtiges Produktionszentrum der „Keramik Heimberger Art“ vor uns haben, dessen Absatzgebiet bis in die Kantone Schaffhausen (Heege 2010, 67–69), Thurgau, Zürich (Hoek/Illi/Langenegger u.a. 1995, Taf. 9,181–182; Taf. 10,184.186; Frascoli 2004, Taf. 13,75, um 1800?; Taf. 17,124, terminus post quem 1905), St. Gallen, Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden (Obrecht/Reding/Weishaupt 2005, 102, Kat. 179), Graubünden (vgl. RMC) sowie das Fürstentum Liechtenstein (Heege 2016) und nach Vorarlberg (Heege 2016, 62-64) gereicht haben dürfte. Darüber hinaus müssen wir angesichts der Funde vergleichbar dekorierter Keramik z. B. aus Schwäbisch Hall (Gross 1994) und der Produktion schwarzgrundiger Keramik in Mittelfranken (Bauer 1971; Bauer 1979; Bauer/Wiegel 2004) möglicherweise mit weiteren württembergischen Produktionsorten als Lieferanten auch für die östlichen Regionen der Schweiz rechnen.

Keramik in der Art der „Thuner Majolika“ aus Berneck

Für die Spätphase der Bernecker Hafnerei im späten 19. Jahrhundert liegen bislang ebenfalls erst wenige Anhaltspunkte vor. Der Hafner Richard Grüninger aus Berneck nahm 1883 mit einer «Collection Töpferwaren» an der ersten Landesausstellung in Zürich teil (Messerli Bolliger 1991, 17). 1883 gelangten laut Inventarbucheintrag drei seiner Röstiplatten mit ausgeprägtem Kragenrand als Geschenk in das Musée d’art et d’histoire de Neuchâtel (MAHN). Zwar handelt es sich um typisch deutschschweizerische Gefässformen, jedoch überrascht der Dekor, der bei beiger bzw. roter Grundengobe durchaus nicht den üblichen Heimberger Gepflogenheiten entspricht: Neben schwarzem Malhorndekor findet sich weisser und mehrfarbiger Schablonendekor (Blaettler/Ducret/Schnyder 2013, Taf. 79,7–9).

Keramik von Richard Grüninger aus Berneck, 1883, Musée d’art et d’histoire de Neuchâtel (MAHN)

In den 1880er-Jahren wurde von verschiedenen Seiten, u. a. vom «Kaufmännischen Direktorium» in St. Gallen, versucht, die offenbar wirtschaftlich schwierige Situation der Hafner in Berneck zu verbessern. Die Gründe für den ausbleibenden wirtschaftlichen Erfolg sah man in St. Gallen im Fehlen «einer eleganten Form und dem Mangel einer reizvollen Bemalung». Als Hilfsmittel wurde ein Zeichenkurs durchgeführt (Reallehrer Nüesch) und das St. Galler Industrie- und Gewerbemuseum zeigte den Hafnern in einer 14-tägigen Wanderausstellung «einwandfrei gestaltete und bemalte» Töpferwaren (Boesch 1968, 180 leider ohne Quellenangaben). Leider ist nicht bekannt, was damals den Hafnern zur Veranschaulichung vorgeführt wurde. Anhand erhaltener Fotos

und im Ortsmuseum Berneck verwahrter Produkte scheint jedoch klar zu sein, dass angeregt wurde, Keramik in der Art oder mit dem Blumen- und Edelweiss-Dekor der «Thuner Majolika» zu fertigen (Museum Heiden ohne Inv., OMB Inv. 2010.1579, 2010.1580, 2010.1581, Geschenk aus Töpferei Trudi Hanselmann). Die auf dem Bild gezeigte Stegkanne ist erhalten (OMB ohne Inv.), ausserdem eine andere Ausfertigung eines Tellers mit Kantonswappen (OMB 2010.1535). Daneben zeigt das Bild auch verzierte flache Schüsseln mit Kragenrand und zeittypisches Gebrauchsgeschirr mit Horizontalstreifendekor bzw. in Form typischer «Heimberger» Terrinen.

Keramik in der Art der Thuner Majolika aus Berneck (Sammlung Ortsmuseum Berneck)

Diesen Massnahmen scheint jedoch kein durchschlagender Erfolg beschieden gewesen zu sein. «Die Vorarlberger Fuhrleute, die vorzeiten ganze Ladungen voll Kacheli und Beckeli in ihr Ländchen hinüberführten, blieben aus» (Boesch 1968, 209).

Aus einer der letzten Töpfereien in Berneck haben sich im Ortsmuseum Berneck auch die Reste einer zwölfteiligen Ansichtskartenserie erhalten, die wohl aus dem Jahr 1923 stammt  (aus Anlass der  Rheintaler Gewerbeschau) und ein seltenes Zeugnis dieses langsam aussterbenden Handwerks darstellt. Die vollständige Serie findet sich hier.

Zusammenfassung

Der vorliegende Befund ist also wohl so zu deuten, dass es sich in Liechtenstein wie in Vorarlberg und Graubünden bei der Keramik mit schwarzer, weisser, roter oder beiger bzw. oranger Grundengobe um Import aus einem oder mehreren noch nicht sicher identifizierten Produktionsorten, vor allem wohl aber aus Berneck handeln dürfte, wobei das Vorkommen «echter» Heimberger Stücke ohne naturwissenschaftliche Untersuchungen letztlich nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Welche Gefässformen und Dekore der Keramik «Heimberger Art» tatsächlich in Berneck produziert wurden, liesse sich wohl nur mit Hilfe von Ausgrabungen oder naturwissenschaftlichen Analysen klären. An beidem mangelt es bis heute. Eine grundlegende Aufarbeitung der Hafnereigeschichte der Region Berneck wäre sehr wünschenswert. Wenn in der Datenbank  als Herstellungsort „Berneck“ angegeben wird, so ist damit aus der Sicht der Objekte im Kanton Graubünden immer die „Region Berneck“ gemeint und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass künftig auch Teile Vorarlbergs dazugeschlagen werden müssen oder sich Nachweise finden, dass identische Keramik auch an anderen Orten im Kanton St. Gallen erzeugt wurde. Eine Abgrenzung von Keramik „Heimberger Art“, die im Kanton Zürich u.a. in Winterthur in der Fabrik Hanhart erzeugt wurde, ist momentan nicht möglich.

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Besançon, Manufaktur Casamène (Doubs, F)

Siehe auch Nyon VD, Les manufactures des faïence fine (2)

Roland Blaettler, 2019

In den Archiven des Geschichts- und Porzellanmuseums von Nyon (Musée historique et des porcelains de Nyon MHPN) stiessen wir beim Durchblättern des Werkstatthefts des Lausanner Ingenieurs Frédéric Gonin – der später an der Spitze der Manufaktur von Nyon stand – in Bezug auf einen Brennversuch gelben Kochgeschirrs auf folgende rätselhafte Notiz: «In Casamène brannten wir …». Im Industriequartier Casamène, in einem Vorort von Besançon (Doubs, F), wurde unter anderem auch Steingut hergestellt und das oben erwähnte Zitat lässt vermuten, dass Gonin in dieser Manufaktur arbeitete. Das kurze Kapitel über diese Fabrik im Buch über das Steingut und die Steingutfabriken der Franche-Comté von Louis und Suzanne de Buyer (De Buyer et de Buyer 1983) bestätigt diese Information nicht nur, es spricht sogar von einer nicht unwichtigen Verbindung zwischen den Unternehmern aus Nyon und der Steingutfabrik in Besançon, die bis heute auf Schweizer Seite nicht erwähnt wurde. Die Manufaktur von Casamène (die erste ihrer Art an diesem Standort), so erfährt man, wurde 1841 von zwei Unternehmern aus Nyon gegründet: «Herr de Bons, ehemaliger Regierungsstatthalter des Kantons Waadt, und Herr de Flachère [sic]» (de Buyer und de Buyer 1983, 103 – Die Autorin und der Autor beziehen sich zudem auf eine am 2. Juli 1841 in Besançon paraphierte Amtshandlung).

De Bons beteiligte sich möglicherweise an der Ausarbeitung des Projekts, war aber bei der Realisierung nicht mehr dabei: Er starb am 11. November 1840. Einige Jahre nachdem sie die Leitung des Unternehmens in Nyon übernahmen, haben scheinbar einige leitende Mitglieder der Waadtländer Fabrik eine zweite Manufaktur auf französischem Boden gegründet (für Beispiele der Produktion in Besançon siehe MHPN MH-FA-3876-1; MHPN MH-FA-3876-2; MHPN MH-FA-3876-3; MHL AA.MI.991, MPE Nr. 22). Frédéric Gonin seinerseits wird als «technischer Berater» erwähnt (de Buyer und de Buyer 1983, 104). Die Unternehmung scheint von Erfolg gekrönt gewesen zu sein: 1844 wurden laut de Buyer 120 Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigt. Die Steingutobjekte von Casamène weisen schwarzbraune und manchmal sogar zweifarbige Drucke auf. In letzterem Fall findet sich ein schwarzbraunes Motiv auf dem Spiegel und blaue oder rote Motive auf der Fahne des Tellers.

Zu den von den de Buyers illustrierten Beispielen gehört ein Teller mit einer Ansicht von Thun im Spiegel. Diese ist in allen Punkten mit jener identisch, die mehr oder weniger gleichzeitig auf Produkten aus Nyon auftaucht (MHPN MH-FA-535; MHPN MH-FA-10023B).

Die Verzierungen der Fahnen sind zwar anders, aber das Motiv in der Mitte stammt offensichtlich aus der gleichen Gravur. Offenbar zirkulierten zwischen Nyon und Casamène eine Reihe von Motiven. Dies würde auch das Vorhandensein von eher exotischen Sujets in Nyon erklären, die das französische Soldatenleben illustrieren, zum Beispiel mit dem Kreuz der Ehrenlegion (La Croix d’honneur; MHPN MH-2003-127; MHPN MH-FA-10022; MHPN MH-FA-1827) oder der humoristischen Darstellung des Alltags in Napoleons Armeen, die in den französischen Produktionen weitverbreitet waren (MHPN MH-2003-126).

Im Katalog des Musée de Sèvres zitieren Alexandre Brongniart und Denis-Désiré Riocreux im Abschnitt «Casamène»: «Drei Stück perfektioniertes Steingut, mit einer harten Glasur auf der Basis von Borverbindungen, hergestellt unter der Leitung von H. Gonin, Bauingenieur, 1844». Zu dieser kleinen Objektgruppe gehört ein Teller mit «Arabeskenfriesen, Ansicht von Zürich» und zwei «englische Tassen mit Blumen und Landschaften». Alle diese Verzierungen waren zweifarbig blau und schwarz gedruckt (Brongniart und Riocreux 1845, Kat. Nr. 21). Der Hinweis, dass Personen aus Nyon an der Schaffung dieser Manufaktur beteiligt waren, sowie die Beziehung zwischen diesen beiden Herstellungsorten würden ganz klar vertieftere Recherchen verdienen, die jedoch den Rahmen unserer Arbeit sprengen.

Das Abenteuer der Nyoner Unternehmer in der Franche-Comté kam mit dem Konkurs der Familie Delafléchère in Nyon ebenfalls zu einem abrupten Ende. In der Tat wechselte die Manufacture de Casamène 1845 den Besitzer und auch die Ausrichtung der Produktion (de Buyer und de Buyer 1983, 105).

Übersetzung Stephanie Tremp

Bibliographie:

Brongniart et Riocreux 1845
Alexandre Brongniart et Denis-Désiré Riocreux, Description méthodique du Musée céramique de la Manufacture royale de porcelaine de Sèvres. Paris 1845.

De Buyer et de Buyer 1983
Louis de Buyer et Suzanne de Buyer, Faïences et faïenceries de Franche-Comté. Besançon 1983.

Biel BE, Laubscher, Hafnerei

Andreas Heege,  Alfred Spycher, Jonathan Frey,  2025

Zu den Hafnern der Stadt Biel liegen bislang keine umfangreicheren Forschungen vor. Das Stadtgeschichtliche Lexikon der Stadt Biel nennt Hafner mit den Namen:  Bitto, Laubscher, Schaltenbrand, Schöni, Wannenmacher und Witz (vgl. Bourquin/Bourquin 1999, Stichwort Hafner). Zu ergänzen wären aufgrund anderer Quellen noch die Namen Hausher, Meyer (Biel-Mett), Monin, Riner,  Ritter (Biel-Bözingen), Schauenberg, Sali. Die Hafner gehörten in der frühen Neuzeit zur „Zunft zum Wald“. Für sie ist aus dem Jahr 1743 immerhin eine Zunftordnung überliefert (Schwab 1921, 18-20; auch Boschetti-Maradi 2006, 186-187).

Im Zusammenhang mit dem bernischen Ofenbauer Wilhelm Emanuel Dittlinger (1718-1799) konnte jetzt ein Stammbaum der durch zwei Heiraten eng verbundenen Bieler Hafnerfamilie Laubscher zusammengestellt werden, der an dieser Stelle zugänglich gemacht werden soll.

Stammbaum der Hafner Laubscher, Biel (PDF)

Laubscher Biel_Stammbaum (Excel-Tabelle)

Die Laubscher wurden 1483 in Biel eingebürgert. In der Familie Laubscher gibt es zwei Hafnergenerationen.

Jakob Samuel Laubscher (1676-1733)
Er machte in den 1690er-Jahren seine Lehre bei Meister Hans Heinrich Hess in Bern (Boschetti-Maradi 2006, 180).  1702 finden wir ihn in Büren a. d. Aare bzw. in Biel.  Am 9. April 1704 brennt durch sein Verschulden die Ziegelhütte in Biel ab. Dafür wurde er für zwei Jahre aus der Stadt verbannt. Er begab sich nach Vevey (damals BE, heute VD), wo er Judith Calandre/Calander heiratete und am 12. Oktober 1707 die Tochter Anna Maria taufte, die später den Hafner Wilhelm Emanuel Dittlinger aus Bern heiraten sollte. 1710 kam dort eine weitere Tochter Anna-Jeanne-Madelaine zur Welt, 1711/1712 vermutlich auch der erste Sohn und spätere Hafner Samuel Laubscher (1711/1712 – ?), bevor das Paar spätestens 1712 wieder nach Biel zog. Dort kamen die übrigen Kinder zur Welt. Aus unbekannten Gründen sollte Jakob Emanuel Laubschers Ehefrau 1712 der Stadt Biel verwiesen werden. In den folgenden Jahren gibt es Hinweise auf zahlreiche Nachbarschaftsstreitigkeiten. 1726 wird anlässlich einer Kreditaufnahme bei der „Zunft zum Wald“ das Haus des Hafners an der Klostergasse in Biel erwähnt (Archivalien zu Jakob Samuel Laubscher).

Samuel Laubscher (1711/1712 – ?)
Samuel Laubscher wurde vermutlich in Vevey geboren, lebte aber später mit seinen Eltern in Biel. Anlässlich eines Streits mit dem Hafnergesellen Michel Blanck finden wir ihn 1730 als Gesellen bei der Witwe Fruting in Bern in Diensten (vermutlich Elisabeth Reinli, -1743, Witwe von Jakob Fruting, 1672-1728, siehe Stammbaum der Hafner Fruting von Bern). Im Todesjahr des Vaters befindet sich Samuel in Biel, wo er zusammen mit seiner Mutter für einen Zunftkredit von 20 Kronen das elterliche Haus als Pfand einsetzt. Vermutlich 1740 heiratete er Maria Elisabeth Dittlinger, die Schwester des Berner Hafners Wilhelm Emanuel Dittlinger (1718-1799, zur Person Boschetti-Maradi 2006, 180). 1740 wurde ihm von den Berner Hafnermeistern Fruting und Herrmann als Vertretern der bernischen Hafner  vorgeworfen, er habe unberechtigterweise seinem Schwager Dittlinger bei der Anfertigung eines Meisterstücks („Gupfenofen“ = Kachelofen mit Ofenturm) geholfen. Die Vorwürfe liessen sich jedoch nicht erhärten und das Verfahren gegen Dittlinger wurde fallengelassen. Anfang 1741 nahm er einen weiteren Kredit von 20 Kronen auf das Haus in der Klostergasse auf, das ihm im Erbgang nach 1733 zugefallen war. Wegen Ehestreits lebte seine Ehefrau Maria Elisabeth Dittlinger 1742 eine Zeit in Bern, wo sie auch den ersten Sohn Wilhelm Samuel bekam. Letzterer ertrank 1751 in der Schüss. Bei der Geburt der Tochter Maria Margreth 1744 in Biel, war der Berner Hafner Johann Rudolf Fruting Pate. Die Tochter starb mit 10 Jahren 1754 „im Kloster“. Für die Jahre 1741-1744 blieb Samuel den Hypothekenzins auf sein Haus  schuldig und Anfang 1746 wurde über ihn der Konkurs (Geldstag) eröffnet.

Der Bieler Schuhmacher David Schöni kaufte für seinen Sohn, den Hafner Ludwig Schöni, aus der Konkursmasse den vor dem Nidau-Tor an der Landstrasse gelegenen Brennofen für 30 Kronen und überliess ihn ihm zur Nutzung. Er verkaufte die „Brennhütte mit allem Zubehör“ (d.h. inkl. des Ofens) schliesslich erst 1773 an seinen Sohn.

1758 wurde ein weiterer Sohn Emanuel Daniel in Bern geboren. Er lebte allerdings nur zwei Jahre. Das Todesdatum und der Sterbeort von Samuel und seiner Ehefrau sind derzeit nicht bekannt. (Archivalien zu Samuel Laubscher)

Weder von Jakob Samuel Laubscher, noch von Samuel Laubscher scheinen sich Kachelöfen oder Geschirrkeramik erhalten zu haben.

Bibliographie:

Boschetti-Maradi 2006
Adriano Boschetti-Maradi, Gefässkeramik und Hafnerei in der Frühen Neuzeit im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 8), Bern 2006.

Bourquin/Bourquin 1999
Werner Bourquin/Marcus Bourquin, Biel, Stadtgeschichtliches Lexikon, von der Römerzeit bis Ende der 1930er Jahre, Büro Cortesi (Hrsg.), Biel 1999.

Schwab 1921
Fernand Schwab, Beitrag zur Geschichte der bernischen Geschirrindustrie (Schweizer Industrie- und Handelsstudien 7), Weinfelden/Konstanz 1921.

 

Biel BE, Schöni, Hafnerei

Andreas Heege,  Alfred Spycher, 2025

Zu den Hafnern der Stadt Biel liegen bislang keine umfangreicheren Forschungen vor. Das Stadtgeschichtliche Lexikon der Stadt Biel nennt Hafner mit den Namen:  Bitto, Laubscher, Schaltenbrand, Schöni, Wannenmacher und Witz (vgl. Bourquin/Bourquin 1999, Stichwort Hafner). Zu ergänzen wären aufgrund anderer Quellen noch die Namen Hausher, Meyer (Biel-Mett), Monin, Riner,  Ritter (Biel-Bözingen), Schauenberg und Sali. Die Hafner gehörten in der frühen Neuzeit zur „Zunft zum Wald“. Für sie ist aus dem Jahr 1743 immerhin eine Zunftordnung überliefert (Schwab 1921, 18-20; auch Boschetti-Maradi 2006, 186-187).

Die Hafner Schöni sind in Biel im 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit drei Hafnergenerationen vertreten (Stammbaum). Die Schöni sind ein Geschlecht aus Thun, das in Biel 1623 eingeburgert wurde (Archivalien zu den Hafnern). Der Vater der ersten Hafner – David Schöni (1700-1773) war Schuhmacher und besass ein Haus in Biel an der Untergasse. Er hatte vier Söhne, von denen zwei Hafner wurden: Ludwig (1724-1795) und Hans Jacob (1738-1803). Während der Vater 1750 für den ersten Sohn eine Brennhütte vor dem Nidau Tor aus dem Konkurs des Hafners Samuel Laubscher (1711/1712 – ?) erwarb (SABB [Stadtarchiv Biel/Bienne] Zunft zum Wald 14/1. Wald Urbar TOM I, 66), ist unklar, wo der zweite Sohn Hans Jacob (1738-1803) seine Hafnerei hatte. Arbeitete er in der Werkstatt seines Bruders mit? 1773 erwarb Ludwig (1724-1795) die Brennhütte von seinem Vater (StAB Bez Biel B 467, 102, 3.3.1773). Ob er sie an seine beiden Hafnersöhne Johann Peter (1768-1845) bzw. Johann Jakob (1773-1822) weitervererbte, ist nicht belegt. Beide Söhne werden jedoch zweifelsfrei als Hafner bzw. Hafnermeister in Biel bezeichnet. Für Peter findet sich 1841 die Angabe „gewesener Hafnermeister“. Für Johann Peters Sohn Abraham Alexander (1796-1880) finden sich nur 1820 und 1821 Hinweise, dass er in der väterlichen Hafnerei arbeitete. Danach machte er Karriere als Wirt, Weinhändler, Politiker, Gerichtspräsident, Regierungsstatthalter und Bernischer Grossrat. Johann Jakob, jünger (1798-1860), der Sohn von Johann Jakob (1773-1822), wurde ebenfalls Hafner, doch haben wir über ihn keine weiteren Informationen. Es ist davon auszugehen, dass spätestens mit seinem Tod 1860 die Hafner Schöni in Biel keine Kachelöfen oder Geschirrkeramik mehr produzierten.

Produkte der Hafner Schöni sind nicht bekannt.

Bibliographie:

Boschetti-Maradi 2006
Adriano Boschetti-Maradi, Gefässkeramik und Hafnerei in der Frühen Neuzeit im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 8), Bern 2006.

Bourquin/Bourquin 1999
Werner Bourquin/Marcus Bourquin, Biel, Stadtgeschichtliches Lexikon, von der Römerzeit bis Ende der 1930er Jahre, Büro Cortesi (Hrsg.), Biel 1999.

Schwab 1921
Fernand Schwab, Beitrag zur Geschichte der bernischen Geschirrindustrie (Schweizer Industrie- und Handelsstudien 7), Weinfelden/Konstanz 1921.

Biel BE, Witz, Hafnerei

Andreas Heege,  Alfred Spycher, 2025

Zu den Hafnern der Stadt Biel liegen bislang keine umfangreicheren Forschungen vor. Das Stadtgeschichtliche Lexikon der Stadt Biel nennt Hafner mit den Namen:  Bitto, Laubscher, Schaltenbrand, Schöni, Wannenmacher und Witz (vgl. Bourquin/Bourquin 1999, Stichwort Hafner). Zu ergänzen wären aufgrund anderer Quellen noch die Namen Hausher, Meyer (Biel-Mett), Monin, Riner,  Ritter (Biel-Bözingen), Schauenberg und Sali. Die Hafner gehörten in der frühen Neuzeit zur “Zunft zum Wald”. Für sie ist aus dem Jahr 1743 immerhin eine Zunftordnung überliefert (Schwab 1921, 18-20; auch Boschetti-Maradi 2006, 186-187).

Die Hafner Witz aus Biel lassen sich zwischen dem frühen 18. und dem mittleren 19. Jahrhundert mit drei Generationen nachweisen, in denen jeweils zwei oder drei Hafner tätig waren (Stammbaum; Quellen). Nur für Hans Peter Witz  ist der Standort seines Hauses in der Bieler Untergasse nachgewiesen (StAB Bez Biel B 468, 133). 1785 wurde er vom Chorgericht wegen „schlechter Kinderzucht, Abhaltung der Kinder vom Schulbesuch und seltenem Gottesdienstbesuch“ ermahnt (Chorgerichtsmanuale Biel 1778-1789, ohne Seitenzahl).

Bielerhaus in Ligerz, Dorfgasse 55, Reste eines Kachelofens von 1770, Foto Beat Burkhardt, Weingut Bielerhaus.

Von Hans Peter Witz (1742-1788) oder seinen Vater Hanspeter Witz (1710-1777) sind im Bielerhaus in Ligerz die Reste eines „P. Witz, 1770“ signierten Kachelofens erhalten (Historisch-biographisches Lexikon der Schweiz 7, 578. Schweizerisches Künstlerlexikon, hrg. v. C. Brun 3, 518/519). Hans Peter Witz (1742-1788) machte 1787 Konkurs (SABB Zunft zum Wald 63, 28 ).

Bibliographie:

Boschetti-Maradi 2006
Adriano Boschetti-Maradi, Gefässkeramik und Hafnerei in der Frühen Neuzeit im Kanton Bern (Schriften des Bernischen Historischen Museums 8), Bern 2006.

Bourquin/Bourquin 1999
Werner Bourquin/Marcus Bourquin, Biel, Stadtgeschichtliches Lexikon, von der Römerzeit bis Ende der 1930er Jahre, Büro Cortesi (Hrsg.), Biel 1999.

Schwab 1921
Fernand Schwab, Beitrag zur Geschichte der bernischen Geschirrindustrie (Schweizer Industrie- und Handelsstudien 7), Weinfelden/Konstanz 1921.

Biel-Mett BE, Kohler, Kachelofen- und Tonwarenfabrik A.G.

Keramik der Kachelofen- und Tonwarenfabrik Kohler A.G. in CERAMICA CH

Andreas Heege, 2022

Die spätere Ofenfabrik Kohler A.G. wurde auf den 1. Juli 1898 von drei Geschäftsleuten aus Mett bzw. Biel gegründet.

Bericht  „Illustrierte Schweizerische Handwerker-Zeitung“ 1898, Nr. 27, 536.

Karl Kohler (aus Oberschopfheim im Grossherzogtum Baden), Karl Grimm (aus Burgdorf BE) und Fritz Keller (Ingenieur aus Oberthal BE) bildeten zusammen die Kommanditgesellschaft  „Kohler, Grimm & Cie“ (SHAB 16, 1898, No. 264). Als Geschäft wurde angegeben „Kachelofen- und Thonwaarenfabrik“. Die Fabrik befand sich beim Bahnhof Biel-Mett.

 

Im September 1898 suchte die Ofenfabrik Mitarbeiter und Rohmaterial (Braunstein): Anzeige in „Der Grütlianer“ 15.7.1899 und Brief von Fritz Keller an den Louis Rollier, Professor für Stratigraphie und Paläontologie an der ETH Zürich.

Am 2. Oktober 1898 erschien eine erste Werbeanzeige im „Journal du Jura“ und am 3. November 1898 auch im „Tagblatt der Stadt Biel“.

Wegen des frühzeitigen und unerwarteten Todes von Fritz Keller (4. Februar 1899, 40. Lebensjahr; Journal du Jura, Nummer 29, 4. Februar 1899; Seeländer Bote, Band 50, Nummer 15, 4. Februar 1899) wurde die Firma auf den 15. Mai 1899 in „Kohler & Grimm“ umfirmiert (SHAB 17, 1899, No. 175).

Werbeanzeige „Journal du Jura“ 14.9.1899.

Auf der Kantonalen Ausstellung in Thun erhielt die Firma im August 1899 für ihre Fayence-Kachelöfen eine Goldmedaille (Journal du Jura, Nummer 186, 9. August 1899), was die Firma zu einer weiteren Werbekampagne veranlasste. Als Mitbewerber erscheinen die Firma Wannenmacher & Cie in Biel (Ehrenddiplom) und A. Weber in Biel (Silbermedaille).

1905 preist die Firma in der Zeitschrift „Nebelspalter“ auch Gartenfiguren an.

1906, 9. April Aus der Kommanditgesellschaft „Kohler & Grimm“ wurde die „Kohler & Grimm A.G., Ofen- und Tonwarenfabrik in Mett“. Das Gesellschaftskapital betrug Fr. 140.000 in Form von 28 Namensaktien (SHAB 24, 1906, No. 158, 632).

1911, 21. Juni Karl Grimm schied aus dem Verwaltungsrat aus. Statt seiner rückte Karl Kohler, Sohn (1887-1966) nach (SHAB 29, 1911, No. 157, 1091).

1913, 4. Mai, Statutenrevision, Die bisherige Firmenbezeichnung wurde in „Kohler A.G.“ abgeändert (SHAB 31, 1913, No. 173, 1256).

1918 Eine Privatganzsache zeigt die Firmenmarke „OKM“ und belegt zugleich, dass die Ofenfabrik auf der Landesausstellung in Bern 1914 erfolgreich vertreten war.

Werbeanzeigen in der Zeitschrift „Heimatschutz“ bzw. der „Schweizerischen Bauzeitung“ belegen das Aussehen produzierter Kachelöfen in den Jahren 1920 und 1922.

Unterschiedliche Ofentypen zeigen auch die Werbeanzeigen des Jahres 1925 in der Zeitschrift „Das Werk“.

An der KABA (Kantonalbernische Ausstellung) 1924 in Burgdorf gewann die Firma eine Goldmedaille für ihre Öfen (Der BUND, 9. 10. 1924). Ein besonderer Ofen wurde nach Entwürfen von Architekt Hektor Egger aus Langenthal hergestellt (siehe Bild aus „Das Werk“ 1925). Berichterstattung 1 über die KABA; Berichterstattung 2 über die KABA.

     

Weitere Kachelofenbilder gab es 1926 und 1927 in der „Schweizerischen Bauzeitung“ bzw. in der Zeitschrift „Das Werk“.

Kacheln der Kohler A.G. tragen in dieser Zeit rückseitig Marken „Kohler Biel“, oft dazu einen Stern und eine Zahl. Frieda Lauterburg aus Langnau bemalte offenbar überwiegend  Kacheln dieses Herstellers mit ihren Ofenbildern und Dekoren.

Materialsuche in der NZZ, 1942 und 1945.

Die Zeit des Zweiten Weltkrieges war vor allem durch zunehmende Materialknappheit bestimmt.  Wie die Produkte oder Öfen in dieser Zeit aussahen, ist bislang nicht erforscht.

1943 stellte die Firma auch keramische Reklame-Buchstaben her. Werbeanzeige in „Der Bund“, 1.4.1943.

1966 Karl Kohler-Ritter (26.August 1887-12. Juli 1966) schied aufgrund Todes aus dem Verwaltungsrat aus (Nachruf, Bieler Tagblatt, Nummer 160, 12. Juli 1966). Nachfolger und einziges Mitglied des Verwaltungsrates wird Peter Kohler (SHAB  84, No. 287, 1966, 3880). Zu diesem Zeitpunkt bezweckte die Firma die Fabrikation und den Handel mit technischer Keramik sowie Heiz-, Industrie- und Laboröfen.

1967 Am 8. August wurde die ganze Firma ein Raub der Flammen.

1978 Wurde die Firma in Octavia AG umbenannt und der Geschäftszweck bestand neu aus dem Vertrieb von alkoholischen und nichtalkoholischen Getränken (SHAB 96, 1978, No. 231, 2829). Wie lange am Standort Biel nach 1967 noch Kachelöfen gefertigt wurden, ist unklar. 1967 werden offenbar alte Lagerbestände als „Antike Kachelöfen“ verkauft (NZZ, Nummer 1355, 31. März 1967).

Eine wissenschaftliche, archivbasierte  Bearbeitung der Firmengeschichte und der Produkte der Bieler Kachelofenfabrik steht aus.

Blankenburg BE, Abraham Marti (1718-1792)

Blankenburg, Abraham Marti in CERAMICA CH

Andreas Heege, ]onathan Frey, Alfred Spycher, Andreas Kistler, 2023

Abraham Marti wurde im Jahr 1718 in Fraubrunnen im Berner Mittelland als ältester Sohn des Hafners Hans Rudolf Marti (1691–1742) und seiner Frau Anna Barbara Reutlinger (1699–1744) geboren. Er starb  am 18. Juli 1792 in Blankenburg, in der heutigen Gemeinde Zweisimmen. Bis 1741 wurden noch drei Brüder, Johannes, Jakob und Peter, geboren, von denen später auch Jakob (1736-1813) als Hafner in Fraubrunnen arbeitete.

Abraham Marti heiratete am 25. November 1740 in Oberburg Magdalena Hamm (1712–1784) von Münchenbuchsee. In einem Ehebrief erhielten sie die Zusage von Hans Rudolf Marti, das Hafnerhaus und ein halbes anstossendes Haus nutzen zu können. Für den 14. Januar 1742 ist eine erste Kindstaufe belegt, der bis 1746 drei weitere folgen sollten. Heirat und Ehevertrag dürften auch bedeuten, dass Abraham ab 1740/41 die elterliche Werkstatt in Fraubrunnen übernahm. Am 17. Mai 1742 starb sein Vater Hans Rudolf im Alter von nur 51 Jahren und am 4. Oktober 1744 seine Mutter Anna Barbara im Alter von 45 Jahren. Nach ihrem Tod kam es 1745 zu einer Erbteilung zwischen den vier Söhnen, in deren Folge Abraham Marti das elterliche Haus mit allen darauf ruhenden Lasten übernahm. Offenbar waren diese jedoch zu gross, sodass er das Haus bereits im Jahr 1746 an den Vogt seiner drei Brüder, den Metzgermeister und Wirt Hans Georg Marti (1710–1754) aus Fraubrunnen, verkaufte. Er erhielt dafür 1000 Pfund, jedoch lag die Schuldsumme bei 1058 Pfund. Abraham Marti musste beim Verkauf also sogar noch etwas zahlen. Offenbar blieb er jedoch zur Miete in der Liegenschaft wohnen, denn im März 1748 verzeichnete der Rodel der zuständigen Pfarrkirche von Grafenried den Tod des einzigen Sohnes des Abraham Marti «von Fraubrunnen, dem Hafner».

Unbekannte, wohl familiäre Gründe (zeitweiliges böswilliges Verlassen der Familie?) führten schliesslich zu Abrahams Wegzug aus Fraubrunnen. Möglicherweise war der Tod seines einzigen Sohnes im Jahr 1748 der Anlass zu dieser Krise. Für das Jahr 1748 lässt sich eine Kachelofenarbeit von ihm in Schloss Wimmis (Kastlanei Niedersimmental) nachweisen. Aus den Jahren 1749 und 1750 gibt es keine archivalischen Informationen.

Zwischen 1751 und 1757/58 ist anschliessend die Anwesenheit von Abraham Marti und seiner Familie in Saanen archivalisch gut belegt. Aufgrund von datierter Keramik dürfte der dortige Produktionsbeginn aber schon im Jahr 1749 liegen. Die Lage der Werkstatt kennen wir nicht. Aus der Produktionsphase in Saanen ist ein kleines, aber wichtiges Geschirrspektrum erhalten. Es ist eine Zeit des stilistischen Übergangs, weg von blau-weissem hin zu polychromem Unterglasur-Pinseldekor, den er farblich expressiv einsetzte und mit eigenständigen Töpfersprüchen kombinierte. Das Motivspektrum auf den Tellern und Platten verfestigte sich seit diesem Zeitpunkt und es entwickelte sich eine Art immer wiederkehrendes und später nur im Detail variiertes Standardrepertoire.

Vermutlich weil der Landvogt von Blankenburg Aufträge zu vergeben hatte, verlegte Abraham Marti 1757 oder 1758 seine Werkstatt nach Betelried bei Blankenburg, in die unmittelbare Nähe des Landvogteischlosses. Dort reparierte er spätestens ab 1759 die alten Kachelöfen und stattete das Landvogteischloss nach und nach mit neuen Öfen aus.

Im Jahr 1761 musste er sich vor dem Chorgericht Zweisimmen wegen einer Tochter mit dem Namen Elisabeth verantworten. Diese hatte er mit Margreth Wälten aus Lenk ausserehelich gezeugt. Sie wurde am 2. Juli 1761 in der Kirche Zweisimmen getauft. Im Herbst desselben Jahres erwarb Abraham Marti in Betelried, einem Ortsteil von Blankenburg, in der heutigen Gemeinde Zweisimmen für nur 25 Bernkronen ein kleines Wohnhaus und ein Werkstattgebäude, das später sogenannte Obere Haus. Es kann nur vermutet werden, dass er in der vorangehenden Zeit am selben Ort mit seiner Werkstatt eingemietet war, wird er in den Verkaufsverträgen doch als in Betelried wohnhaft bezeichnet. 1763 kaufte er für 37 Bernkronen einen weiteren, unmittelbar benachbarten «Hausstock», d. h. eine Haushälfte mit Bescheuerung, im sogenannten Unteren Haus. Vom Kaufpreis blieb er 30 Bernkronen schuldig. 1784 starb seine Ehefrau Magdalena im Alter von 72 Jahren. Abraham selbst verstarb acht Jahre später am 18. Juli 1792 im hohen Alter von 74 Jahren.

Nach seinem Tod vermietete die jüngste Tochter Elisabeth (1761–1805) das Obere Haus mit der Werkstatt an den Hafner Johann Jakob Hächler (1763–1811) von Hasle bei Burgdorf und arbeitete («diente») wohl auch in dessen Werkstatt. Sie selbst blieb im Unteren Haus wohnen. Nach ihrem Tod 1805 konnte Hächler 1806 das Werkstattgebäude im Oberen Haus für nur 80 Bernkronen oder 200 Schweizer Franken von der Gemeinde Fraubrunnen kaufen. Das Gebäude bestand aus Stube, Nebenstübli, einer Küche, dem Gaden, der als Töpferwerkstatt genutzt wurde, und dem Brennofen unter dem gleichen Dach. Ausserdem gehörte dazu eine kleine Scheune mit zwei Ställen und einer Heubühne sowie ¼ Juchart Land (ca. 900 m2) mit Bäumen und Garten. Dem Einwohnerverzeichnis von 1806 kann entnommen werden, dass die Werkstatt offenbar zunächst florierte, denn Hächler beschäftigte immerhin drei Gesellen und einen Lehrling. Nach dem Tod seiner ersten Frau Katharina Dällenbach von Aeschlen im Jahr 1808 und einer zweiten Heirat mit der Witwe Susanna Weissmüller (1779–1839) aus Zweisimmen im Jahr 1810 starb Hächler bereits 1811 im Alter von nur 48 Jahren.

Das Obere Haus mit der Töpferei übernahm seine Heimatgemeinde Hasle als Unterpfand für existierende Schulden. Noch 1827 bestand die Hafnerwerkstatt im Haus, jedoch fand mit grosser Wahrscheinlichkeit keine Keramikproduktion mehr statt. Das Haus wurde Ende des 19. Jahrhunderts abgerissen, das Grundstück um 1980 modern überbaut. Das Untere Haus verkaufte die Gemeinde Fraubrunnen als Vormund der verstorbenen Elisabeth Marti 1806 für 300 Kronen an den Schärer Peter Allenbach; es steht heute noch (Blankenburg, Hüsy-Stutz 6).

In Museen und Sammlungen der Schweiz, Deutschlands und Englands haben sich bis heute etwa 230 keramische Objekte erhalten, die der Produktion von Abraham Marti zugeschrieben werden können. Hervorzuheben sind die Bestände im BHM, MAG, MAHN und SNM. 46 dieser Objekte tragen Jahreszahlen zwischen 1749 und 1789 (MAG AR 906). Dies entspricht der Blankenburger Produktionsphase Martis. Bei den frühesten Stücken sind deutliche Bezüge zum bernischen Mittelland und der Region Fraubrunnen zu erkennen (MAG R 172). Grundlage für die Zuweisung von Keramik zur Produktion von Abraham Marti sind vor allem die wenigen mit seinen Initialen versehenen Objekte, von denen das Musée Ariana das eindrucksvollste Stück besitzt (MAG AR 932). Keramiken, die laut Inschriften und Initialen für Landvögte in Blankenburg und hochrangige Persönlichkeiten im Umfeld Blankenburgs gefertigt wurden, stützen diese Gruppenbildung zusätzlich. Demnach produzierte Marti Geschirr mit einer weissen Grundengobe und blauem oder polychromem Unterglasur-Pinseldekor, in sehr charakteristischen Formen sowie mit stilistisch eindeutig bestimmbaren Beschriftungen. Die in der Literatur immer wieder zu findende Angabe, es handele sich um Blankenburger oder Simmentaler «Fayence», d. h. eine Keramik mit einer Blei-Zinnglasur und Inglasurmalerei, ist falsch. Auch weitere, früher dem Simmental zugeschriebene Keramikgruppen entstammen wohl nicht seiner Werkstatt (vgl. Wyss 1966, 15–23, nicht dem Simmental zuzurechnen sind Wyss 1966, Taf. 1 und 2, Abb. 1–8). Die Zuschreibung «Simmental» kann heute nur noch im eingeschränkten Masse aufrecht erhalten werden und sollte künftig lediglich das Werk Abraham Martis umfassen.

Das museal erhaltene Keramikspektrum Martis wird von den typischen flachen Platten dominiert, die rückseitig normalerweise keine Aufhängeöse tragen, also nur in einem Tellerbord verwahrt werden konnten. Andere Gefässformen sind ausgesprochen selten überliefert: Es finden sich zwei Butterfässer, eine Teekanne, eine Flasche, zwei Tintengeschirre, zwei Töpfe und mehrere Wandbrunnen bzw. Handwaschbecken. Eine archäologische Überlieferung gibt es zu Abraham Marti leider nicht. Bodenfunde aus dem Verbrauchermilieu fehlen vollständig. Da das Werkstattgebäude in Betelried um 1980 überbaut wurde, besitzen wir leider auch keinerlei weitergehende Informationen zur Werkstatt und zu eventuellen Produktionsabfällen.

Stammbaum Abraham Marti

Bibliographie

Heege/Frey/Spycher u.a. 2023
Andreas Heege/]onathan Frey/Alfred Spycher u.a., Keramik aus Blankenburg, Abraham Marti (1718–1792), ein bernischer Landhafner, Bd. 16 (Schriften des Bernischen Historischen Museums), Bern 2023.

Bonfol (bei Porrentruy) JU

Keramik aus Bonfol in CERAMICA CH

Ursule Babey 2019

Die kleine Gemeinde Bonfol, an der Grenze zwischen dem Kanton Jura und dem Elsass (F) gelegen, ist vor allem für die aussergewöhnliche Qualität ihres Tons bekannt. Eine lange Tradition des Töpferhandwerks zieht sich durch die Geschichte des Orts. Die frühesten Aufzeichnungen über die Verwendung des hervorragenden Tons für Keramikprodukte stammen aus den Stadtrechnungen der nahe gelegenen Stadt Delsberg, deren Behörden am 15. August 1544 einen Kachelofen für das Rathaus bei Küna, Sohn des Henri von Bonfol, bestellt haben. Archäologische Untersuchungen erlauben uns derzeit nicht Kachelöfen aus Bonfol zu identifizieren. Auch lässt sich mithilfe von Dokumenten nicht belegen, ob Bonfols Töpfer die Waldglashütten von Court (BE, 1699–1714) mit Schmelztiegeln für die Produktion von Trinkgläsern belieferten. Dank anderer Ausgrabungen, die während des Baus der Autobahn A16-Transjurane stattfanden (Porrentruy-Grand’Fin und Rebeveulier-La Verrerie), konnte man das im 18. und 19. Jahrhundert weit verbreitete Alltagsgeschirr identifizieren, das aus Bonfoler Werkstätten stammt. Keramikanalysen stützen diese Zuordnung. Der Erfolg dieser Keramikprodukte ist auf zwei Faktoren zurückzuführen: Zuallererst auf den geologischen Zufall, der einen natürlich feuerfesten Ton hervorbrachte, sowie auf die für den Abbau des Rohstoffs günstige geopolitische Lage des Orts.

Geologische Besonderheit und die damit verbundenen technischen Einschränkungen in der Verarbeitung des Rohstoffs

Bei den abgebauten Rohstoffen, die als «argiles bigarrées de Bonfol» – «bunte Bonfol-Tone» bezeichnet werden, handelt es sich um Tone fluvialen Urspungs aus dem Ende des Tertiärs. Sie liegen in Form von kleinen linsenförmigen Ablagerungen vor. Durch das fast vollständige Fehlen von Kalk in ihrer Zusammensetzung sind die Tone hitzebeständig. Bonfol-Ton erfordert keine aufwändige Behandlung, er wurde praktisch so verwendet, wie er aus dem Boden kam. Nach einer Zeit der Reifung unter freiem Himmel folgte eine Säuberung durch Entfernen der mit blossem Auge sichtbaren unerwünschten Einschlüsse wie zum Beispiel Holzpartikel, Blätter oder Kieselsteine. Diese Arbeit wurde durch die Töpfer kurz vor der Formgebung auf der Drehscheibe durchgeführt. Es wurden dem Ton keine weiteren Zusätze oder Magerungspartikel hinzugefügt. In der Schweiz sind bis heute keine weiteren vergleichbaren Tonvorkommen mit dieser Qualität bekannt.

Das Fehlen von Kalziumoxid hat neben dem positiven Aspekt der Feuerfestigkeit des Tons auch einen negativen Aspekt: Die Glasur haftet schlechter am Scherben, was die Töpfer in der damaligen Zeit dazu zwang, eine transparente Glasur auf Bleibasis zu verwenden, die leicht an ihrem gelblichen Farbton zu erkennen ist. Die Glasurzubereitung in Handmühlen stellt nicht nur ein Gesundheitsrisiko für die Handwerker dar, dazu kommt, dass diese Art von Glasur gegen Säuren wenig beständig ist und dadurch in Kontakt mit Lebensmitteln und Getränken löslich ist.

Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts brannte man die Produkte in grossen, stehenden Öfen, die mit Holz befeuert wurden. Der Raubbau an den Waldflächen war derart gross, dass einige Werkstattleiter  empfindliche Bussen wegen Waldfrevels (Holzdiebstahls) bekamen, die das eher fragile wirtschaftliche Gleichgewicht ihrer Unternehmen gefährdeten. Um dieses Problem durch Reduktion des Holzverbrauchs so weit wie möglich zu begrenzen, haben die Töpfer ihre Produkte in nur einem Durchgang gebrannt (Einzelbrand), eine an diesen Typ Keramik angepasste Lösung.

Um Keramik herzustellen, braucht es als Voraussetzung nicht nur reichliche Tonvorkommen, gleichzeitig muss auch die Zugangsmöglichkeit zu dieser Ressource sichergestellt sein. Unter dem Ancien Régime gehörte der Ton, wie Eisenerz oder Steinvorkommen, zum Bergregal und war somit Eigentum des Fürstbischofs von Basel. Um jedoch die Produktivität der Töpfer nicht zu behindern, erlaubte dieser den freien Zugang zu den Tonvorkommen, ohne dass dafür Zahlungen an die Herrschaft fällig wurden. Die einzige Bedingung war, dass die beim Tonabbau entstandenen Gruben abgesperrt werden mussten, um Knochenbrüche des Viehs zu verhindern. Zudem mussten die Gruben am Ende der Nutzung wieder zugeschüttet werden.

Die Organisation der Töpfer

Bis ins 19. Jahrhundert war der Gebrauch von feuerfesten Keramikgefässen weit verbreitet, da die meisten Menschen am offenem Feuer oder auf einem holzbefeuerten Kochherd kochten. Das in Bonfol produzierte Geschirr war perfekt an die Bedürfnisse der Bevölkerung angepasst und daher sehr begehrt. Im Bewusstsein des De-facto-Monopols aufgrund der Qualität ihres Rohmaterials haben sich die Töpfer, bewusst oder unbewusst, auf sehr originelle und unabhängige Weise organisiert. Ihre sozioökonomische Gruppe war innerhalb des Orts von grosser Bedeutung: Mehr oder weniger die gesamte Bevölkerung war an der Produktion beteiligt, entweder direkt (Töpfer, Töpferinnen, Gesellen und Lehrlinge) oder als Arbeiter bei der Gewinnung von Ton, beim Holzschlag oder beim Verkauf der Waren. Diese Situation begünstigte die Bindung zwischen den Familien, was in einer starken beruflichen Endogamie und einem ausgeprägten Gefühl des Unter-sich-Seins zum Ausdruck kam.

Erst wenn sich die Töpfer der Aussenwelt, vor allem den in Pruntrut ansässigen Korporationen stellen mussten, schlossen sich die Werkstattleiter zusammen. Dabei ging es vor allem darum den Ausbildungsverpflichtungen, insbesondere der Gesellenwanderung zu entgehen. Dieses Ziel erreichten sie dann auch.

Aufgrund  der guten Beschaffenheit und der einfachen Verarbeitbarkeit des Bonfol-Tons, verfügten die Töpfer nur über begrenzte Kenntnisse ihres Handwerks. Sie kannten und beanspruchten nur dieses von Generation zu Generation weitergegebene Wissen, was sie daran hinderte, sich anderswo in anderen Arbeitsumgebungen zurechtzufinden. Sie blieben daher im Dorf ansässig. Es gibt nur wenige Beispiele von ausgewanderten Töpfern. Meistens arbeiteten sie allein in Familienwerkstätten, bestenfalls zusammen mit einem Sohn, einem Lehrling oder einem Gesellen. Nur für den Keramikbrand mussten sie sich mit ihren Kollegen arrangieren, denn im 19. Jahrhundert gab es nicht so viele Brennöfen wie Töpfer. Man geht davon aus, dass die gemeinsame Nutzung oder Vermietung von Töpferöfen üblich war, obwohl es an Beweisen in Form von notariellen Urkunden fehlt.

Um den Verkauf ihrer eher zerbrechlichen Waren sicherzustellen, hatten die Bonfol-Töpfer einen unschlagbaren Verkaufspreis zum Ziel. Zu diesem Zweck reduzierten sie ihre Investitionen in Zeit, Energie und Geld in der ganzen Produktionskette: Der Ton wurde praktisch ohne grosse Vorbereitung verwendet, die Formen der Gefässe waren einfach und standardisiert, die mit dem Malhorn angebrachten stilisierten Dekore bewegten sich in einer begrenzten Farbpalette (Weiss, Dunkelbraun, grünliche Akzente). Nur Stücke, die auf den Tisch kamen, werden bemalt,  Kochgeschirr und Lagerbehälter waren dagegen ohne Dekor und glasiert werden nur Behälter, die mit Lebensmitteln und Flüssigkeiten in Kontakt kamen. Die Glasur bestand aus Bleiglätte, die normalerweise in Basel eingekauft werden musste. Zudem wurden die Produkte nur einmal gebrannt, um Brennmaterial zu sparen.

Während das ästhetische Ergebnis dieser Produktionskostenreduzierung fragwürdig ist, ist die wirtschaftliche Effizienz klar erwiesen. Dank der mineralogischen, petrografischen und chemischen Analysen, die von Gisela Thierrin-Michael durchgeführt wurden, war es möglich, diese ganz besondere Produktion zu charakterisieren, sie aufgrund der beschriebenen Merkmale mit blossem Auge zu identifizieren und in der Folge ohne Analyse zu erkennen. Ihr Platz sowie ihr wirtschaftliches Gewicht innerhalb der reichlich vorhandenen Gebrauchskeramik der Neuzeit wurde so gebührend evaluiert.

Keramik aus Bonfol wurde in fast der ganzen Schweiz nördlich der Alpen, in Süddeutschland und Ostfrankreich verkauft, das grosse Absatzgebiet ist entweder urkundlich oder durch archäologisches Fundmaterial gut belegt. Ein Beweis dafür ist beispielsweise die Marktordnung der Stadt Freiburg (CH), die eine Ausnahme für die Töpfer von Bonfol vorsah, die als einzige nicht Ortsansässige nur zugelassen wurden, weil sie ein begehrtes Gut lieferten, das anderswo nicht produziert werden konnte. Die Produkte wurden von den Strassenhändlern und Hausierern, die manchmal mit der ganzen Familie unterwegs waren, und auf den Jahrmärkten der Grossstädte von Händlern an die Kunden verkauft. Der Verkaufserfolg machte die bescheidenen Handwerker weder reich noch zu anerkannten Bürgern. Man verstand sich nicht als Individuum oder Künstler, weshalb die Keramik normalerweise unsigniert blieb. Die Arbeit konnte die Armut der Töpfer nicht beseitigen, wie Inventare nach dem Tod verschiedener Produzenten zeigen, aber sie garantierte ihre Unabhängigkeit, die ihnen wichtiger gewesen zu sein scheint.

Dreibeinkanne aus Bonfol. Höhe: 26 cm. Ende 18.  bis Anfang 19. Jahrhundert. Porrentruy-Grand’Fin. Aus der Sammlung des Amts für Kultur der Republik und Kanton Jura – Abteilung Archäologie. Foto: OCC-SAP, Bernard Migy.

Palette der hergestellten Produkte

Im Allgemeinen zeichnet sich die Keramik aus Bonfol durch ihre warme, bräunlich ockergelbe Farbe aus, die durch das Auftragen einer transparenten, gelben Glasur direkt auf einen durch Eisenoxid rot brennenden Ton entsteht (Gelb + Rot = Braun). Die Töpfer verwenden zwischen Scherben und Glasur keine zusätzliche Engobe. Die Bruchstellen zeigen eine reichlich vorhandene, kieselsäurehaltige, feine Magerung (zwischen 20 und 30 Prozent des Volumens), deren grösste Körner selten 2 mm überschreiten. Diese Magerung besteht hauptsächlich aus grossen quarz- und eisenhaltigen Tonknollen in leuchtend rotbrauner Farbe, sekundär aus Kalifeldspat, Plagioklas, Glimmer oder Hornblende. Alle Bestandteile liegen in einer oft faserigen Matrix.

Röstiplatte. Durchmesser: 31 cm. Porrentruy-Grand’Fin. Spätes 18. und frühes 19. Jahrhundert. Aus der Sammlung des Amts für Kultur der Republik und Kanton Jura – Abteilung Archäologie. Foto: OCC-SAP, Bernard Migy.

Das Koch- und Vorratsgeschirr ist ohne Dekor. Hingegen werden Essgeschirr und sogar Nachttöpfe  systematisch mit Malhorndekor auf der Grundlage einer weiss brennenden Malengobe versehen. Letztere erscheint gelb unter der gelben Glasur, manchmal wird auch grüne oder dunkelbraune Glasur appliziert, um das Stück zu veredeln. Unglasierter Malhorndekor ist sehr selten.

Dreibeinpfanne mit hohlem Griff aus Bonfol. Durchmesser: 24 cm. Porrentruy-Grand’Fin. Spätes 18. und frühes 19. Jahrhunderts. Aus der Sammlung des Amts für Kultur der Republik und Kanton Jura – Abteilung Archäologie. Foto: OCC-SAO, Bernard Migy.

Die wegen ihrer feuerfesten Eigenschaften gefragte Keramik aus Bonfol besteht in erster Linie aus einer Reihe von Produkten, die zum Kochen auf offenem Feuer oder im Ofen geeignet sind, im Allgemeinen sind sie ohne Dekor. Das Caquelon ist nach wie vor das wichtigste Stück dieses Kochgeschirrs, sehr beliebt und weitum verkauft machte es die Region um Porrentruy bekannt. Ursprünglich und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war es ein einfacher runder Kochtopf mit flachem Boden oder mit drei Füssen mit einem horizontalen, meist hohlen Stiel. Einige Exemplare haben einen Kragenrand. Die Töpfe werden fast nie verziert. Ihr Durchmesser variiert zwischen 15 und 30 cm. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts sind sie manchmal beidseitig glasiert. Ergänzt wird das Kochgeschirr durch Ofengefässe oder ovale Bräter, Bratpfannen mit und ohne Füsse sowie Dreibeinkannen, die man in die Glut stellen konnte.

Das Sortiment ist jedoch nicht auf Kochgefässe beschränkt. Derselbe Ton wurde für Mehrzweckformen (Terrinen in Kegelstumpfform ohne Ausguss oder Henkel) sowie für Geschirr (kalottenförmige Teller, Röstiplatten) verwendet. Runde Vorratstöpfe mit zwei vertikalen Henkeln mit Kragenrand, verschiedene Deckeltypen und Nachttöpfe mit breit ausbiegendem Rand ergänzen die Palette.

Ab 1820 wurden in mehreren Ziegelfabriken mit dem lokalen Ton auch Dachziegel hergestellt, ein Handwerk, das von einem Töpfer ins Leben gerufen wurde, der damit die Produktionspalette diversifizierte. Die Dachziegelproduktion wurde ab 1889 mechanisiert. Nach einem Brand im Jahr 1919 wurden die Aktivitäten in der Ziegelei eingestellt. Ziegel aus der mechanisierten Ziegelei, die mehr als hundert Jahre alt sind, bedecken noch heute Dächer der Region, was zeigt, dass feuerfester Ton auch erfolgreich für andere Zwecke verwendet werden kann.

Niedergang, industrielle Wiederbelebung und Ende der Massenproduktion

Bestand die Töpfergemeinde 1751 aus nur 9 Vertretern, stieg die Anzahl der Töpferbetriebe ab 1764 auf 24, von 1770 bis 1813 stabilisierte sich die Zahl zwischen 24 und 35 Familienoberhäuptern mit diesem Berufsstand. Die blühendste Periode war der Zeitraum zwischen 1817 und der Mitte des 19. Jahrhunderts.1821 existierten 57 Werkstätten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es dagegen zu einem starken und plötzlichen Rückgang der Töpferbetriebe, 1876 waren es nur noch 15 Töpfer. Was die Stärke dieses Handwerks sowohl lokal als auch regional und sogar auch international ausmachte – der natürlich feuerfeste Ton – verursachte auch seinen Untergang. Die technische Routine, die mit einer selbstgewählten Isolation einherging, verhinderte, dass man sich der Entwicklung der Wirtschaftswelt und insbesondere der Konkurrenz neuer Materialien bewusst wurde. Diese Materialien wurden von den Kunden als praktischer und widerstandsfähiger angesehen. Die fehlende Infragestellung des eigenen Wirtschaftsmodells ging auf Kosten der Kreativität und der Anpassung an die Nachfrage. Die traditionelle Produktion wurde, so gut es ging, bis zum Ersten Weltkrieg aufrechterhalten.

Sortiment der industriellen Keramikproduktion von Bonfol: Teigwarenschüssel, Schmalztopf, Kaffeekanne, Fondue-Caquelon, Ofenformen, Bräter, 1920-1950. Sammlung Fondation des poteries de Bonfol. Foto: OCC-SAP, Bernard Migy.

Im 20. Jahrhundert konzentrierte sich die Produktion in Fabriken, das Sortiment der Produkte änderte sich mehrmals, was wohl als Versuch zu werten ist, sich dem Markt besser anzupassen. Drei Unternehmen wurden gegründet: Fabrique de céramique Bregnard et Cie SA (1912-1957); Fabrique Chappuis et Cie, die zur Céramique d’Ajoie SA wurde (1924-1949) und die CISA SA (Céramiques industrielles SA, 1951-1999).Trotzdem ging die Massenproduktion von Gebrauchskeramik Ende der 1950er-Jahre endgültig zurück, obwohl gerade in diesem Zeitraum eine Fabrik für Boden- und Wandbeläge (CISA) gegründet worden war (1950) und ein Unternehmen mit grossem handwerklichem Know-how und künstlerischer Ausrichtung (von der CISA durch Armand Bachofner übernommen) gegründet wurde (1950). Diese letzten beiden Unternehmen wurden 1991 respektive 1999 geschlossen.

Felicitas Holzgang, Keramikmeisterin sowie Kuratorin des Töpfereimuseums in Bonfol, ist künftig alleine verantwortlich für die Weitergabe des überlieferten Wissens. Das mit der Keramikproduktion verbundene Kulturerbe wird im Töpfereimuseum (www.jurapoterie.ch) bewahrt.

Übersetzung Stephanie Tremp

Bibliographie:

Babey Ursule, Produits céramiques modernes. Ensemble de Porrentruy, Grand’Fin. Office de la culture et Société jurassienne d’Emulation, Porrentruy, 2003. (Cahier d’archéologie jurassienne 18). Accès en ligne : http://doc.rero.ch/record/21328?ln=fr

Emmanuelle Evéquoz et Ursule Babey, Rebeuvelier-La Verrerie, redécouverte d’un passé préindustriel. Office de la culture et Société jurassienne d’Emulation, Porrentruy, 2013. (Cahier d’archéologie jurassienne 35). Accès en ligne : http://doc.rero.ch/search?p=20190117172250-JE

Jonathan Frey, Court, Pâturage de l’Envers. Une verrerie forestière jurassienne du début du 18e siècle. Vol. 3: Die Kühl- und Haushaltskeramik. Berne, 2015.

Babey Ursule, Archéologie et histoire de la terre cuite en Ajoie, Jura, Suisse (1750-1900). Les exemples de la manufacture de faïence de Cornol et du centre potier de Bonfol. Office de la culture et Société jurassienne d’Emulation, Porrentruy, 2016. (Cahier d’archéologie jurassienne 37). Pour se procurer un exemplaire : https://www.jura.ch/fr/Autorites/Archeologie-2017/Publications/Les-cahiers-d-archeologie-jurassienne-CAJ.html

Boult (Haute-Saône) F, Manufaktur von Claude Gautherot (1752 und 1772)

Objekte in CERAMICA CH

Fayencen aus der Franche-Comté in Solothurner Sammlungen

Roland Blaettler 2019

Im 18. Jahrhundert war die Westschweiz ein sehr wichtiges Absatzgebiet für die Manufakturen der Franche-Comté. Dementspre­chend findet man viele Beispiele in Schweizer Sammlungen, vor allem entlang dem Jura-Südfuss, von denen man denkt, dass sie ursprünglich von dort herkom­men.

Zu dieser verhältnismässig schlecht dokumentierten Gruppe gehört eine beachtliche Reihe von Fayencen mit einer Marke, die einem «g» gleicht und die von Rudolf Schnyder als «cg» gelesen wurde (siehe z. B. SFM 36; SFM 34; SFM 38). Dementsprechend werden solche Fayencen heute der Manufaktur von Claude Gautherot in Boult im Departement Haute-Saône zugewiesen (Rosen 2013, 17–22).

Claude übernahm die Direktion des von seinem Vater Jacques Gautherot gegründeten Unternehmens nach dessen Tod im Jahr 1762, bevor er eine zweite Fabrik in dem nahe bei Boult gelegenen Le Cordonnet einrichtete. Die Dekore von Boult (oder Le Cordonnet) sind oft Imitationen von verbreiteten Dekoren der lothringischen Manufaktur von Chambrette in Lunéville, insbesondere des camaieu-violetten, sogenannten «Kranichdekors» (bei dem es sich eigentlich um einen Phönix chinesischer Herkunft handelt) und seiner Varianten (SFM 36; SFM 34; SFM 38; SFM 39; SFM 37; SFM 35; HMO 8712). Zum originalen «Kranichdekor» siehe z. B. MAHN AA 1666; MAHN AA 1668; MAHN AA 1664; Schny­der 1973, Abb. 9 und Rosen 2013, 17–19.

In den 1940er Jahren reklamierte Maria Felchlin diese Produkte für Matzendorf als Erzeugnisse der damals noch schlecht dokumentierten Periode von 1812–1820 (Felchlin 1942, 25–26). Felchlin stützte ihre Zuschreibung mit dem Hinweis, dass sich 1808 der Fayencier Marx Frei von Lenzburg in Matzendorf auf­hielt (Felchlin 1968, 160–161). Da damals der «Kranichdekor» in seiner originalen Form gleich wie auch andere Dekore der Lunéviller Produktion Lenzburg zugewiesen wurde, schien dies Sinn zu machen. Der Irrtum konnte erst 1973 durch Rudolf Schnyder aufgedeckt und korrigiert werden (Schnyder 1973).

Man wird übrigens feststellen, dass fast alle Fayencen mit «Kranichdekor», die im Kanton Solothurn aufgenommen wurden, aus der privaten Sammlung von Maria Felchlin kommen. Siehe auch «Matzendorf/Aedermannsdorf, Fayencemanufaktur».

Bibliographie:

Felchlin 1942
Maria Felchlin, Die Matzendorfer Keramik. Ein Beitrag zur Geschichte der schweizerischen Keramik, in: Jahrbuch für solothurnische Geschichte 15, 1942, 1–72.

Felchlin 1968
Maria Felchlin, Matzendorf in der keramischen Welt, in: 968–1968: Tausend Jahre Matzendorf, Solothurn 1968, 151–216.

Rosen 2013
Jean Rosen, De Lunéville à la Franche-Comté: un exemple de diffusion précoce des décors de la Manufacture Chambrette, vers 1755-1760, in: Deuxième table ronde franco-suisse: Faïences et faïenceries de l’Arc jurassien et ses marges. Procédés techniques et décors. L’apport des sources et de l’archéologie, Fribourg 2013, 15-22.

Schnyder 1973
Rudolf Schnyder, Fayencen 1740–1760 im Gebiet der Schweiz, Zürich 1973.

Bugnei GR, Töpferei Sep Anthoni Deragisch (Vater und Sohn)

Jau Baibel Bugien Cafe 1842 – Ich trinke gern Kaffee!  Sicher das eindrucksvollste Werk von Sep Antoni Deragisch aus Bugnei.

Keramik aus Bugnei in CERAMICA CH

Andreas Heege 2019

Die Hafnerei in Bugnei, Gemeinde Tavetsch, Bezirk Surselva im Bündner Oberland am Fusse des Oberalppasses geht auf Sep (Josef) Antoni Deragisch (*13. März 1815, + 6. August 1882, Lebensdaten nach HLS), den Sohn eines katholischen Bauern zurück (alle Informationen basieren auf: Curti 1920; Gadola/Curti 1929; Frei 1947, 31; Creux 1970, 128–129, Kat. 4 und 5; Schnyder 1979, 331. Freundliche Hinweise lieferte auch Tarcisi Hendry, Museum La Truaisch, Sedrun. Unveröffentlicht: Haldner 1982. Ohne weitere eigenständige Informationen: Jenny 1991, 136; Erstveröffentlichung dieses Textes Heege 2016).

Sep Antoni Deragisch machte seine Lehre bei dem Hafner Fidel Wölfle in Wangen im Allgäu. 1920 war das Original seines Gesellenbriefes von 1834 noch im Besitz der Familie (Curti 1920, 270, Verbleib unbekannt). Nach dem Abschluss der Lehre gründete er in seinem Heimatdorf in seinem Haus einen eigenen Töpfereibetrieb.

Sep Antoni d. J. (*21. September 1842, + 27. Oktober 1930)

Sein Sohn und Nachfolger Sep Antoni d. J. (*21. September 1842, + 27. Oktober 1930), der in Flüelen die Hafnerlehre bei einem nicht überlieferten Meister absolvierte, stellte die Produktion wohl bald nach 1918 ein, wobei das genaue Schlussjahr unbekannt ist (Curti 1920). Er dürfte der Gewährsmann für die Informationen gewesen sein, die sich in den Veröffentlichungen von Pater Notker Curti aus dem Benediktinerkloster Disentis finden.

 

Überblick über das hauptsächliche Produktionsspektrum von Bugnei, Sammlung des Klostermuseums Disentis.

Einen Eindruck von der produzierten Keramik vermitteln die Sammlungsbestände des Rätischen Museums, die teilweise von Pater Notker Curti und von Sep Antoni Deragisch d.J. selbst stammen sowie der grösste Bestand in der Sammlung des Klostermuseums Disentis. Daneben gibt es entsprechende Keramik in der Sammlung des Museums La Truaisch in Sedrun sowie im Museum Nutli Hüschi in Klosters. Erhalten hat sich auch ein in romanischer Sprache geschriebenes Geschäftsbuch mit Eintragungen von 1866–1882 (also wohl von Sep Antoni Deragisch d. Ä., Transkription Tarcisi Hendry, 2021) sowie ein bislang nicht ausgewertetes Skizzenbuch mit Datierungen ab 1875 (zumindest teilweise also wohl von Sep Antoni Deragisch d. J.; RMC Inv. H1981.1134, H1982.12). Sollte Pater Notker in seinem Aufsatz von 1920 dieses Skizzenbuch vor Augen gehabt haben, so ergibt sich eine Diskrepanz zwischen den handschriftlichen Daten im Buch und Notkers Zuordnung. Notker Curti nimmt an, dass es sich vor allem bei den Zeichnungen der Kachelöfen um Skizzen von Sep Antoni Deragisch dem Älteren handelt. Diese Information kann er eigentlich nur vom letzten Hafner selbst haben, denn das Buch liefert dafür keinen Beleg.

Es enthält darüberhinaus einen technischen Schnitt durch einen typischen stehenden Töpferofen, wie er im 19. Jahrhundert in der Deutschschweiz erwartet werden kann. Ob der holzgefeuerte Töpferofen in Bugnei jedoch ebenfalls diesem Bautypus entsprach, ist unbekannt.

Skizzenbuch aus dem Rätischen Museum: Töpferofenquerschnitt, Kachelofen, Gebrauchsgeschirr (RMC H1981.1134).

Daneben gibt es zahlreiche Skizzen zu Kachelöfen. Sep Antoni Deragisch d. Ä. begeisterte sich offenbar vor allem für den Dekor und den Kachelofenstil des biedermeierlichen Empire bzw. des beginnenden Historismus. Gleichzeitig wurden im Skizzenbuch aber auch andere technische Details notiert (z. B. eine wasserradgetriebene Töpferscheibe oder Glasurmühle) und offenbar im eigenen Betrieb gefertigte Gefässformen skizziert.

Zu den Produkten der Werkstatt Deragisch äusserte sich Pater Notker vermutlich auf der Basis der von ihm zusammengetragenen Klostersammlung sowie der nach Chur an das Rätische Museum vermittelten Stücke folgendermassen:

«Die gangbaren Hausierwaren bieten leider nicht viel an Dekor und Form. Sie teilen sich in zwei Gruppen: In Gebrauchs- und Ziergegenstände. Zur ersten Abteilung gehören all die verschiedenen Töpfe, Krüge und Häfen, vom einfachen unglasierten Blumentopf bis zum grossen Kaffeekrug, die grösseren Stücke meist dunkel, fast schwarz (RMC Inv. H1971.459, KMDis Inv. 1999-350, U15, RMC Inv. H1971.451, H1971.460. Alle Stücke, die das RMC heute verwahrt, wurden von Pater Notker angekauft. Weitere typische Bügelkannen: KMDis Inv. 1999-347, U20, U22, U24, U32, RMC Inv. H1971.1174, H1973.885, H1984.3 (Kauf in Rodels). Kaffee- und Teekannen: KMDis Inv. 1999-351, U31, U34, RMC Inv. H1971.451, H1971.460), die anderen schmutzigweiss oder gelbbraun, die Blumentöpfe gern grün (KMDis Inv. U16, 1999-344, U21–U23). Mit Verzierungen war man in Bugnei stets sparsam, das schwarze Geschirr ist ohne Schmuck, das helle wird mit einem mageren Blattkranz, dem Rest von Deragischs Empirekunst, oder mit dünnem Punktdekor abgemacht (KMDis Inv. U1, U4, RMC Inv. H1971.477, KMDis Inv. U6. Weitere Stücke, die hier stilistisch wohl zugeordnet werden können: KMDis Inv. 1999-346, U5, U18, U137 und U137a (Tassen, Kauf in Bugnei 1947), RMC Inv. H1964.233 (Kauf in Trun 1910), H1970.203, H1971.478, H1971.1164 (Fehlbrand, Kauf in Bugnei in der Werkstatt Deragisch).

Originell sind fast nur die sog. broccas, die allerdings sehr altertümlich anmuten. Es sind Bauernkrüge, heute meist für Kaffee verwendet, mit kleinem rundem Ausguss und zwei Henkeln, einem kleinen dem Ausguss gegenüber und einem grösseren gedrehten Traghenkel. Da dieser aber das gefüllte Gefäss nicht trägt, wird er mit Draht oder Schnur verstärkt. Zwei Löcher an den Henkelansätzen dienen zur Befestigung der Verstärkung. Auch die Ziergegenstände sind nicht sehr dekorativ, weder in Form noch Farbe.

Nicht nur die rohen Weihwasserkessel (RMC Inv. H1970.216, H1970.217. Weitere: KMDis Inv. 1996-298, 1996-299, RMC Inv. H1971.474. In der Klostersammlung Disentis ist für eine der Weihwasserbecken-Rückseiten ein «JAD» signierter Model erhalten: KMDis Inv. 1999-345) und Kruzifixe (KMDis Inv. U109a),…, auch die Leuchterchen (ev. KMDis Inv. U7, RMC Inv. H1971.453) sind recht plump und manchmal wenig ansprechend in der Färbung. Besser machen sich die einfachen dunklen Tintengeschirre mit runden Löchern als Verzierung (KMDis Inv. U10, ausserdem wohl zuzuordnen U26, Kauf in Tavetsch 1926, U139, Kauf in Bugnei 1947). Auch die Bilderrahmen aus gedrehten Schnüren in Blauviolett und Weiss sind gar nicht übel (KMDis Inv. U122, auch KMDis Inv. U2). Vielleicht das Beste stellen die Giessfassbecken (romanisch: butschidas) dar, die mit ihren Gehängen und Festons noch lebhaft an die Lehrzeit des alten Deragisch erinnern (RMC Inv. H1973.455, gut vergleichbar: KMDis Inv. U29). Leider ist die Färbung oft nicht sehr ansprechend, ein Mittelding zwischen Weiss und Grün. Kurz, was in Tavetsch hergestellt wurde, ist für eine Kundschaft berechnet, die einfache billige Ware wünschte und an Form und Farbe keine grossen Anforderungen stellte, weil sie mit dem Geschirr nicht präsentieren wollte…» (Curti 1920, 272–273).

Es gibt darüber hinaus eine Reihe von Beobachtungen, die Pater Notker nicht mitteilt. So tragen die Bügelkannen auf der Bodenunterseite gelegentlich eine eingeritzte Zahl, die sich auch auf der Unterseite des zugehörigen Deckels wiederfindet. Dies erleichterte nach dem Ausnehmen des Töpferofens die Zuordnung der passgenau angefertigten Deckel zu jedem Gefäss. Daneben ist auf die Verzierung des schwarzbraun glasierten Geschirrs mit eingeritzten Wellenlinien oder Rollstempeldekor hinzuweisen.

Ein Aktenbeschwerer in der Sammlung des Rätischen Museums trägt die eingepressten Initialen des Herstellers «J a D», den rechteckigen Abdruck eines Models mit einem Herz-Jesu-Motiv, flankiert von zwei Engeln, und zudem die Blindmarken «BUGNEI» und «Tujetsch» (RMC Inv. H1970.221, KMDis Inv. U13.). Die beiden Blindmarken finden sich auch bei einem der kleinen Henkeltöpfe und dem Tintengeschirr und bestätigen auf diese Weise die Zuordnung zur Hafnerei Deragisch. Das Herz-Jesu-Motiv findet sich auch auf der Vorderseite eines kleinen grünen Kerzenleuchters, des rechteckigen Beckens von 1912, auf der Schulter eines Blumentopfes (KMDis Inv. U21) und seitlich am Sockel des Kruzifixes. Die Vorderseite des Sockels ziert ein schwach abgedrücktes Lamm-Gottes-Motiv, das sich identisch im Spiegel einer flachen Kragenrandschüssel findet (KMDis U006). Die rückseitige Auflage eines Streichholzhalters zeigt eine halbplastische Büste in einem Perlkreis (RMC H1971.453). Dieselbe Auflage findet sich sowohl an einem Blumentopf (KMDis Inv. U23), der zusätzlich mit gedrehten Schnüren verziert ist, als auch an der keramischen Einfassung eines Hausaltärchens (KMDis Inv. U150).

Kachelofen (H. 148 cm, Br. 117 cm, T. 72 cm), der bis zum September 1980 im Töpferhaus Deragisch, Via Romana 5, in Bugnei stand. Teile von identisch verzierten Wandfliesen gelangten auch ins Museum Al Truaisch in Sedrun.

Daneben produzierten Vater und Sohn Deragisch in unbekanntem Umfang offenbar auch Kachelöfen mit grün, gelb oder schwarzbraun glasierten Kacheln, die zusätzlich ein Zickzackmuster aufweisen konnten (Einzelkachel RMC Inv. HXIII.220, Erwerb von Pater Notker, Disentis; weitere Kacheln verwahrt das Museum in Sedrun). Für diese Musterung, die auch bei einem rechteckigen, schnurverzierten Kasten vorkommt (RMC H1971.454), wurde in der Werkstatt ein Gipsmodel verwendet, der sich heute im Rätischen Museum befindet (RMC HXIII.227). Die Gesimskacheln waren oft dunkelbraun gehalten und mit mageren Blumengirlanden versehen. Ein solcher Ofen stand zumindest bei Deragisch selbst im Haus (Curti 1920, 272–273). Er gelangte aufgrund von Umbauarbeiten im Töpferhaus 1980 in das Rätische Museum (Jenny 1991, Abb. S. 131; RMC H1980.224).

Nach Pater Notker Curti handelte Sep Antoni Deragisch mit seiner Keramik im ganzen Bündner Oberland zwischen Bugnei und Ilanz. Zeitweise hatte er Geschirr-Niederlagen in Ilanz, Disentis und Trun. Ob Teile seiner Keramik auch den Weg zu Käufern in Chur oder sogar weiter rheinabwärts bis nach Liechtenstein fanden, entzieht sich unserer Kenntnis. Die abgelegene Produktion von Tavetsch reflektiert, bei erkennbarer Eigenständigkeit, vor allem die typologischen Elemente und Dekormoden des 19. Jahrhunderts der Deutschschweiz bzw. Süddeutschlands.

Dank

Ich danke Pater Theo Theiler, dass er mir den Zugang zu den Stücken aus dem KMDis ermöglicht hat. Ein Gesamterfassung der Klostersammlung konnte 2020 realisiert werden. Darüber hinaus verwahrt das SNM zwei Objekte (einen Kinderkochherd aus Keramik; einen Krug), die angeblich in Bugnei hergestellt worden sein sollen (SNM Inv. LM-60575, LM-114745). Ausserdem gibt es offenbar Keramik aus Bugnei in einer mir nicht zugänglichen Privatsammlung in Flims-Waldhaus (Creux 1970, 129 Kat. 4). Konrad Schmid in Chur danke ich, dass ich seine schöne kleine Sammlung begutachten durfte. Über weitere Keramiken verfügen das Museum der Kulturen in Basel sowie die Museen in Ilanz, Sedrun, Trun und Klosters. Im Familienbesitz erhaltene Keramiken bearbeitet demnächst Livia Deragisch, aus Bugnei.

Neue, umfassende Monographie zum Thema: 

Hendry/Heege 2022
Tarcisi Hendry/Andreas Heege, Vischala da Bugnei – Keramik aus Bugnei, La historia dall hafnaria Deragisch (1835-1920) – Die Geschichte der Hafnerei Deragisch (1835-1920). Sedrun 2022.

Bibliographie

Creux 1970
René Creux, Volkskunst in der Schweiz, Paudex 1970.

Curti 1920
Notker Curti, Eine Töpferei im Tavetsch, in: Bündnerisches Monatsblatt, 1920, Heft 9, 269-273.

Frei 1947
Karl Frei, Keramik des Mittelalters und der Neuzeit, in: Kunstgewerbemuseum Zürich (Hrsg.), Ausstellung Schweizerische Keramik von der Urzeit bis heute, Zürich 1947, 27-46.

Gadola/Curti 1929
Guglielm Gadola/Notker Curti, La Fabrica da vischalla da tiara cotga a Bugnei, in: Il Glogn, calender dil pievel, annalas per historia, litteratura e cultura romontscha 3, 1929, 34-37.

Haldner 1982
Priska Haldner, Die Töpferei von Sep Antoni Deragisch in Bugnei Tavetsch. Maschinenschriftliches Manuskript im Rätischen Museum Chur, 1982, Chur.

Heege 2016
Andreas Heege, Die Ausgrabungen auf dem Kirchhügel von Bendern, Gemeinde Gamprin, Fürstentum Liechtenstein. Bd. 2: Geschirrkeramik 12. bis 20. Jahrhundert, Vaduz 2016.

Jenny 1991
Valentin Jenny, Handwerk und Industrie in Graubünden im 19. Jahrhundert. Bestrebungen zur Förderung von Handwerk und Einführung von Industrie als Massnahme zur Hebung des Volkswohlstandes, Chur 1991.

Schnyder 1979
Rudolf Schnyder, Bündner Keramik-, Glas und Lavezsteingewerbe, in: Hans Erb, Das Rätische Museum, ein Spiegel von Bündens Kultur und Geschichte, Chur 1979, 328-347.