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Chur, Dornach, Annina Vital (1910-1988), Keramikerin

Keramik von Annina Vital in CERAMICA CH

Theres Urech-Grazioli und Konrad Urech in Zusammenarbeit mit Andreas Heege, 2020

Die Engadinerin Annina Vital wurde am 30. Juni 1910 als Tochter von Jon Vital (1879–1954) und Emilia Vital-Vital (1884–1976) in Chur geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit und Jugend zusammen mit ihrer vier Jahre jüngeren Schwester Ines in St. Moritz, wo ihr Vater Lehrer war.

Sie besuchte 1926 in Bern zunächst die Kunstgewerbeschule und wechselte 1927 an die Keramische Fachschule, die damals in der Felsenburg am Klösterlistutz untergebracht war. Dort schloss sie im April 1930 mit dem Diplom als keramische Malerin ab.  Keramikfachlehrer war zu ihrer Zeit der deutsche Keramiker Johann Jakob Hermanns (1879–1937), der 1913 Mitbegründer der Berner Sektion des Schweizerischen Werkbunds war.  Anschliessend folgten ihre Wanderjahre. Sie arbeitete bei der “Desa” in Steffisburg, in Rheinfelden und schliesslich in der Töpferei Meister in Dübendorf-Stettbach. In Marburg a/Lahn arbeitete sie in leitender Stellung in der Töpferwerkstatt Ketzerbach «bei Fräulein [Elizabeth] Schäfer» (Siepen 1923). Über drei Monate verbrachte sie 1931 zudem in Paris, wo sie unter anderem die Akademie des berühmten Bildhauers Aristide Maillol besuchte, der sie durchaus zur Plastikerin ausbilden wollte. Sie aber zog es vor, der Keramik und der Keramikmalerei treu zu bleiben und liess sich stattdessen in Bulle bei Peter Messerli noch zusätzlich zur Dreherin ausbilden.

1933 richtete sie an der Reichsgasse 44 in Chur eine eigene Töpferwerkstatt ein, die sie bis 1953 selbständig führte. Hier experimentierte sie mit Glasuren, Farben und Maltechniken und entwickelte mehr und mehr den ihr eigenen Stil. In einer unglaublichen Vielfalt an Formen, Farben und Techniken im Erarbeiten von Gebrauchs- und Schmuck-Keramik, aber auch von Zeichnungen, Gemälden, Buchillustrationen, Wandmalereien, Skulpturen,  Fresken und Öfen sowie Mosaiken zeigte sich ihre schöpferische Gestaltungskraft. Der Ton für ihre Kunstwerke stammte von der Firma Landert in Embrach (ZH).

Aus Annina Vitals Zeit in Chur kennen wir nur wenige absolut datierte Stücke, die sich chronologisch eindeutig einordnen lassen. Das sind einerseits Keramiken, die in einem Artikel des Jahres 1940 abgebildet wurden und andererseits die sieben Stücke, die 1953 vom Rätischen Museum angekauft wurden (Inv. H1970.251–257). Vermutlich war Annina Vitals Umzug in diesem Jahr der Auslöser, dass Prof. Joos, der damalige Konservator des Rätischen Museums in Chur, sieben Keramiken erwarb.

Eine besondere Beachtung verdient das Markenzeichen von Annina Vital, das sie auf allen ihren Schöpfungen angebracht hat. Die meist schwungvoll gezeichnete Marke ist als Verbindung ihrer Initialen A und V unmittelbar zu erkennen.

Schliesslich übersiedelte Annina Vital 1953 nach 20 Jahren künstlerisch erfolgreicher Tätigkeit in Chur zusammen mit ihren Eltern in ein kleines Atelierhaus nach Dornach in der Nähe des Goetheanums. Ihr Kundenkreis erweiterte sich in Dornach durch die zahlreichen Goetheanum-Besucher weit über die Grenzen der Schweiz hinaus.

2018/2019 wurde das künstlerische Lebenswerk von Annina Vital in einer Gedenkausstellung zu ihrem 30. Todestag im KunstSchauDepot der Stiftung Trigon in Dornach gewürdigt. 2021 wird vor allem ihr keramisches Werk in einem Aufsatz präsentiert werden (Urech-Grazioli/Urech/Buess 2021, in Vorb.).

Bibliographie:

De Martinis, Marika (1982): Annina Vital, eine bemerkenswerte Bündner Künstlerin. Bündner Jahrbuch 1982, 17–25.

Schmid, Martin (1940): Eine Churer Töpferei. Bündnerisches Haushaltungs- und Familienbuch 1940, 19–23.

Siepen, Bernhard (1923):Töpferwerkstatt Ketzerbach, in: Kunst und Kunstgewerbe, Blätter für Wertarbeit, Nürnberg Nr. 3, 1923, 68–70.

Urech, Otto (1990): Annina Vital 1910–1988 (Nachruf). Bündner Jahrbuch 32, 1990, 148–149.

Urech-Grazioli, Theres  und Urech, Konrad  sowie Buess, Jürg (2021): Annina Vital – Bündner Keramikkünstlerin (1910–1988). Mitteilungsblatt Keramikfreunde der Schweiz 135, 2021, 123-162.

Clarens VD, Poterie du Pays de Vaud (Pierre Cuendet und André Nicole)

Roland Blaettler 2019

Am 1. Januar 1948 vermeldete das Schweizerische Handelsamtsblatt (SHAB) den Zusammenschluss zwischen André Nicole, der seit einigen Monaten als Keramiker an der Rue du Torrent 2 in Clarens eingetragen war (Band 65, 1947, 3438), und Pierre Cuendet (1916–1986), einem anderen Keramikkünstler. Sie bildeten damals mit der Firma «Cuendet & Nicole» eine Kollektivgesellschaft, die an der obigen Adresse angemeldet war. Der Tätigkeitsbereich wurde mit folgenden Worten beschrieben: «Atelier de céramique et décorations» (SHAB, Band 66, 1948, 674).

In Wahrheit arbeitete das Tandem wohl bereits seit einiger Zeit zusammen: Die erste Erwähnung der Marke «Poterie du Pays de Vaud» in der Waadtländer Presse geht denn auch in das Jahr 1945 zurück, als eine Werbeanzeige der Dekorationsboutique «Atelier 33» am Place Bel-Air in Yverdon erschien. Die Anzeige macht die Liebhaber von Kunstobjekten darauf aufmerksam, dass «wir uns die alleinige Vertretung der Werke der Poterie du Pays de Vaud (Clarens-Montreux) für Yverdon und Umgebung gesichert haben. Über die Festtage stellen wir die zauberhaften Keramikfiguren mit Schweizer Trachten aus, die von der Schweizerischen Verkehrszentrale die höchste Auszeichnung erhalten haben: ‹Die schönsten Reisesouvenirs›.» (Journal d’ Yverdon vom 22. Dezember 1945, 11). Im folgenden Jahr eröffnete das Keramikerduo ein Postcheckkonto mit der Bezeichnung «Poterie du Pays de Vaud, Cuendet & Nicole» (SHAB, Band 64, 1946, 286). Im gleichen Jahr erläuterte das Amtsblatt von Vevey vom 28. August (S. 4), dass die Schützen des «Jubilé»-Wettkampfs von Corsier einen Steingutteller erhielten, «kunstvoll verziert mit dem antiken Emblem der Gesellschaft, ausgeführt von der Poterie du Pays de Vaud in Clarens».

Die beiden von uns erfassten Gedenkteller stammen ebenfalls aus dem Jahr 1946. Einer befindet sich im Museum von Montreux (MM 1075A) und der andere im Historischen Museum von Lausanne (MHL AA.VL 2012 C 7493). Diese beiden Objekte sind Fayencen, veredelt mit Aufglasurmalerei oder sogar vergoldeten Partien. Die Ausführung dieser frühen Werke ist relativ ungelenk, die Formen sind schwer, das Email weist Brennmängel auf und der Malerei fehlt es an Finesse und Präzision.

Zwischen 1947 und 1953 druckte das Annuaire Vaudois, in dem die lokalen Unternehmen erfasst sind, eine Werbeanzeige der Töpferei ab, in der kleine Keramikfiguren, Vasen und «Teller für Gesellschaften und Abteien» angepriesen wurden. Im Amtsblatt von Vevey, zwischen 1951 und 1954, erwähnte eine andere Anzeige (zum Beispiel in der Ausgabe vom 6. November 1954, S. 5) folgende Angebote: «Porzellanbrand. Grosse Auswahl an zu dekorierenden Fayencen. Nach Zeichnungsvorlage gedrehte Stücke. Brand, Emaillierung von Liebhaberwerken». Eine zweite Adresse erscheint ab 1947, möglicherweise jene des Ladens: Rue Centrale 14.

Die Marke «Poterie du Pays de Vaud» scheint nach 1954 zu verschwinden, wie auch der Zusammenschluss zwischen Cuendet und Nicole.

Pierre Cuendet machte in seinem Atelier in Clarens alleine weiter. 1958 registrierte er ein neues Postcheckkonto mit der Bezeichnung «Pierre Cuendet, Poterie de Clarens» (SHAB, Band 76, 1958, 1362). Eine Anzeige, die im Amtsblatt von Vevey vom 10. September 1971 (S. 11) erschien, pries die Produkte der Poterie de Clarens in der Rue des Artisans 14 an: Keramik für Verkleidungen, Cheminéedekor, Skulpturen. 1973 schloss sich Cuendet mit seiner Tochter Sophie van der Mije zusammen, die ebenfalls Töpferin war (L’Est Vaudois vom 17. Dezember 1973, 2).

Aus dem Nachruf auf Pierre Cuendet im Est Vaudois erfahren wir, dass der Töpfer eine Ausbildung an der Kunstschule in Lausanne, mit der Ausrichtung Skulptur und Malerei absolvierte, bevor er sich der Keramik zuwandte. Diese Disziplin übte er bis an sein Lebensende aus (Ausgabe vom 31. Januar 1986, S. 3).

Quellen

Schweizerisches Handelsamtsblatt (konsultiert auf der Website e-periodica.ch)

Waadtländer Presse (konsultiert auf der Website Scriptorium der Kantons- und Universitätsbibliothek Lausanne)

 

 

Colovrex GE und Ferney-Voltaire (Ain, F), die Töpfereien Knecht

Die Keramik der Töpferei Knecht in CERAMICA CH

Roland Blaettler 2019

Im Jahr 1822 kam Henry-Arnold Knecht (1802-1878), aus Wald (ZH), als Arbeiter in die Töpferei Braissant in Ferney-Voltaire. Nach der Heirat mit der Tochter des Besitzers, wurde er 1827 dessen Nachfolger (Clément 2000, 77). 1855 erhielt er von den Genfer Behörden eine Niederlassungsbewilligung, die es ihm erlaubte, auf Genfer Territorium eine Zweigniederlassung zu gründen. Sein Sohn Lucien (1837-1890) liess sich in Colovrex nieder, 1872 wurde er Genfer Bürger (Clément 2000, 79). Er übernahm im Jahr 1878 die Leitung der beiden Werkstätten nach dem Tod seines Vaters. Im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) ist Lucien erst am 28. März 1883 als Leiter der Firma «L. Knecht à Colovrex-Bellevue» eingetragen (Bd. 1, 1883, 496), vermutlich weil vor diesem Datum die Genfer Niederlassung als Filiale von Ferney-Voltaire galt.

Im Dezember 1890, einen Tag nach Luciens Tod, schloss sich seine Witwe Marie-Jeanne, geb. Dailledouze (gestorben 1905), mit ihren drei Söhnen Arnold (1862-1921), Stanislas (1863-1941) und Louis (1870-1952) zu einer Kollektivgesellschaft unter dem Namen «Veuve Knecht & ses fils» zusammen. Das Unternehmen hatte seinen Sitz in Colovrex mit einer Niederlassung in Ferney. Das Tätigkeitsfeld umfasste «Keramik und Ofenbau, Drainagerohre und Ziegel» (SHAB, Bd. 9, 1891, 459).

Dieses Unternehmen wurde 1905, nach dem Tod von Marie-Jeanne, aufgelöst, und ihre drei Söhne gründeten eine neue Firma unter dem Namen «Knecht frères». Louis hatte seinen Wohnsitz in Colovrex, Stanislas und Arnold in Ferney (SHAB Bd. 23, 1905, 222). Arnold zog sich 1914 aus dem Geschäft zurück (SHAB, Bd. 32, 1914, 597).

Ab dem 31. Dezember 1926 gingen die beiden Filialen eigene Wege, zumindest in rechtlicher Hinsicht: Der Firmenname «Knecht frères» wurde gelöscht. Stanislas (oder sein Sohn Robert? – siehe Clément 2000, 79) übernahm Ferney und Louis übernahm Colovrex, unter dem Namen «Louis Knecht», Herstellung von «Gebrauchskeramik aller Art, Baukeramik, Schornsteinröhren, Schornsteinkappen und Abflussrohren» (SHAB, Bd. 45, 1927, 211).

Das Genfer Unternehmen ging 1954 in die Hände von Georges Knecht (1906-1982) über (SHAB, Bd. 72, 1954, 2456). Dieser hielt die Produktion praktisch bis zu seinem Tod aufrecht, der Firmenname wurde im Mai 1983 von Amtes wegen gelöscht, «nach Tod und Einstellung des Betriebs» (SHAB, Bd. 101, 1983, 1818).

Was die Werkstatt in Ferney betraf, so wurde sie in den letzten Jahren ihres Bestehens von Robert Knecht (1897-1951), dann von seiner Witwe geführt. Der Betrieb schloss 1958 seine Pforten (Clément 2000, 79).

Die französischen und schweizerischen Werkstätten der Familie Knecht produzierten weitgehend die gleichen Typen – hauptsächlich als engobierte und glasierte Irdenwaren.

Die Familie Knecht aus Colovrex vermarktete ihre Produkte in einem weiten Umkreis, ihr Absatzmarkt reichte von der Genfer Region bis zum Neuenburger Jura und sogar bis in den Kanton Solothurn (nach aktuellem Stand unserer Recherche). Zu den charakteristischsten Gefässtypen aus dem Ende des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehören die «Willkommenskannen» oder vaterländischen Kannen mit applizierten Weinblättern als Auflagendekor und Wappen der Kantone Waadt, Neuenburg und Bern (MHL 0170 MH); MLS 240001; MHPN MH-2015-9; MHPN MH-2015-8; MHPN MH-1998-113; MHPN MH-2014-10; MHPN MH-FA-10018A; MHPN MH-2015-187; MHPN MH-1998-299; MHPN MH-2012-64; MVVE 2411; MVVE 2355).

Das Musée historique et des porcelaines in Nyon bewahrt die einzigen beiden bisher bekannten gemarkten Beispiele: eines mit der gestempelten Blindmarke «Lucien Knecht – Colovrex-Bellevue Genève» (MHPN MH-2015-9), datiert 1893, das andere mit der Marke «Knecht Frères – Colovrex-Bellevue Genève» (MHPN 2014-10), datiert 1905. Die Blindmarke der ersten Kanne würde eher dafür sprechen, dass Luciens Witwe sein Zeichen nach seinem Tod 1890 weiter benutzte. Einige Exemplare des gleichen Typs werden der Werkstatt von Ferney zugeschrieben (Ferney-Voltaire 1984, 294 und 297; Clément 2000, 83).

Ein zweiter Gefässtyp, der zur gleichen Zeit und im gleichen Verbreitungsgebiet sehr beliebt war, ist der zylindrische Milchtopf mit verdicktem und gekehltem Rand und schematischen Verzierungen mit floralen oder geometrischen Motiven (MRVT Nr. 67; MRVT Nr. 68; MRVT BR 4a; MRVT BR 4; MPA 914; MPA Bv 4; MPA Bv 15; MPA Bv 12; MPA Bv 5; MWH H 2523; MWH H 2563; MVVE ; MVB Nr. 1; MPE Nr. 8).

Solche Töpfe sind in Colovrex bis Mitte der 1950er-Jahre bezeugt (De Freire de Andrade und de Chastonay 1956, Abb. 5). Die Sammlung von Georges Amoudruz im Musée d’ethnographie in Genf enthält eine grosse Anzahl von Beispielen, die meisten davon werden Colovrex zugeschrieben. In der gleichen Sammlung befinden sich mehrere Gedenkkrüge der gleichen Form mit Daten zwischen 1914 und 1967 (ETHEU 103619 und ETHEU 103569 beispielsweise).

Gefässe desselben oder eines sehr ähnlichen Typs sind jedoch in vielen anderen Töpfereien bezeugt, vor allem in Renens (VD – MRVT Nr. 26) oder im benachbarten Frankreich (Savoie, Ain – siehe z.B. Lahaussois und Pannequin 1996, 82; Sèvres 1999, 122-126; Clément 2000, 80-81; Dufournet 1979, Abb. 5-9, 16, 17-19, 22). Es sei darauf hingewiesen, dass französische Töpfer diesen Gefässtyp als «Jura-Topf» bezeichneten (Dufournet 1979, 298).

Der Anteil der Hafner Knecht an dieser enormen Anzahl von Gefässen ist kaum identifizierbar, da kein Exemplar, zumindest nach heutigem Kenntnisstand, sicher ihre Handschrift trägt. Gleiches gilt für die Fülle des meist undekorierten Gebrauchsgeschirrs, wie es in der gesamten Westschweiz gefunden wurde (z.B. MM 1014; MM 920; MPE 2938; MHL AA.VL 90 C 690; MVB 380B; MVM M 203). Alle diese Formen wurden sehr wohl von den Knechts hergestellt (siehe eine Preisliste der Firma Knecht für Ferney und Colovrex, mit Zeichnungen der Formen, spätes 19. bis frühes 20: Clément 2000, 82), aber nicht nur von ihnen! In solchen Fällen haben wir auf eine spezifische Zuordnung verzichtet und den Oberbegriff «Keramik aus dem Genferseegebiet» verwendet.

Siehe «Région lémanique, les poteries engobées (Ende 19. bis 20. Jahrhundert)».

Übersetzung Stephanie Tremp

Bibliographie :

Blaettler/Ducret/Schnyder 2013
Roland Blaettler/Peter Ducret/Rudolf Schnyder, Ceramica CH. Inventaire national de la céramique dans les collections publiques suisses, 1500-1950, t. I: Neuchâtel. Sulgen 2013, 202.

Clément 2000
Alain Clément, La poterie de Ferney: deux siècles d’artisanat. Yens-sur-Morges/Saint-Gingolph 2000.

De Freire de Andrade et de Chastonay 1956
Nadège de Freire de Andrade et de Philibert Chastonay, La dernière poterie rustique genevoise. Archives suisses d’anthropologie générale, XXI, 1956, 8-141.

Dufournet 1979
Paul Dufournet, Les ateliers frères de poterie de Vanzy (Haute-Savoie) et de Vanchy (Ain). In: Le Monde alpin rhodanien. Revue régional d’ethnologie 1-4. Artisanat et métiers de tradition, 281-316.

Ferney-Voltaire 1984
Ferney-Voltaire. Pages d’histoire. Ferney-Voltaire/Annecy 1984.

Lahaussois et Pannequin 1996
Christine Lahaussois et Béatrice Pannequin, Terres vernissées, sources et traditions. Paris 1996.

Sèvres 1999
L’art de la terre vernissée, du Moyen Age à l’an 2000, cat. d’exposition, Sèvres/Arras, Musée national de céramique/Musée des beaux-arts. Paris 1999.

Cornol JU, Fayencemanufaktur (1760-1824)

Ursule Babey 2019

Die archäologische Erforschung

Über die Fayencemanufaktur in Cornol wussten wir bis zum Beginn des 3. Jahrtausends nur das, was Gustave Amweg, Kunsthistoriker für die Region Jura veröffentlicht hatte (Amweg 1941). 2003 ereignete sich am Rande der ehemaligen Fabrik (heute ein Restaurant) ein Erdrutsch, und wir kamen auf die Idee, den Inhalt der ausplanierten Erdschichten zwischen dem Gebäude und einem davor verlaufenden Bach zu untersuchen. Die Schichten quollen über von Keramikfragmenten jeglicher Art. Die archäologischen Grabungen, die in drei Etappen durchgeführt wurden (2003, 2004, 2007), erbrachten ein Inventar von etwa 100.000 Scherben aus der Abfallhalde der Werkstatt. Sie bildeten die Arbeitsgrundlage für neue Erkenntnisse zur Produktion der Fayencefabrik Cornol-Lion d’Or. Neben der verwendeten technischen Keramik (Brennkapseln, Brennhilfen usw.) brachte die Deponie eine beträchtliche Anzahl von Schrübränden zum Vorschein, die Rückschlüsse auf Formen und Verzierungen ermöglichten, sowie Fragmente von weisser Fayence, bemalt und unbemalt, Tafelgeschirr mit manganschwarz glasierter Rückseite («à cul noir») oder mit manganviolettem Spritzdekor («moucheté»). Ausserdem gab es Fragmente aus Pfeifenton (Steingut) und Ofenkacheln.

Die Ausgrabung förderte jedoch keine Strukturen zutage, die mit dem Betrieb der Manufaktur in Zusammenhang standen.

Weihwasserbecken mit Rocaillenmotiv und Strahlendekor. Gemodelter Schrühbrand. Höhe: 16,3 cm, um 1760-1770. Ausgrabungen von Cornol-Lion d’Or (Foto: OCC-SAP, B. Migy). Ref. CAJ 37, Pl.40.389.

Fragment eines Tellers mit fassoniertem Rand, emodelter Schrühbrand. Relief einer Blumengirlande. Durchmesser: ca. 32 cm, spätes 18. oder frühes 19. Jahrhundert. Ausgrabung von Cornol-Lion d’Or. (Foto: OCC-SAP, B. Migy). Ref. CAJ 37, Pl. 39.375.

Henkel oder Griff(?) in Form eines plastischen Satyrs , gemodelter Schrühbrand. Höhe: 3 cm, spätes 18. Jahrhundert. Ausgrabung von Cornol-Lion d’Or. (Foto: OCC-SAP, B. Migy). Ref. CAJ 37, Pl.26.225.

Die Untersuchung der Abfallhalde wurde durch die Auswertung relevanter Auszüge aus Archiven mehrerer öffentlicher Sammlungen ergänzt. Die historischen Quellen ermöglichten es, die verschiedenen Akteure, die mit der Fayencemanufaktur verbunden waren (Gründer, Besitzer, Produktionsleiter, Töpfer, Maler, Arbeiter, Händler), genauer zu beschreiben wie auch ihre wirtschaftlichen Strategien, ihr soziales Umfeld, ihre Geschäftstätigkeit sowie die Geschäftsübergabe. Anhand einer Beschreibung der Produktionswerkzeuge, nebst einer Erwähnung von gewissen technischen und kommerziellen Aspekten, konnte man Rückschlüsse auf die Produktion selbst ziehen. Schriftliche Unterlagen der Manufaktur sowie das Firmenarchiv fehlen jedoch vollständig.

 

Rasierbecken mit weisser Fayenceglasur, das Cornol, dank eines Vergleichs mit einem Schrühbrandexemplar zugeschrieben werden kann. Der Schrühbrand hat die gleichen Merkmale: Form des Randes, Lage der Haltevertiefung für den Daumen, Form des halbkreisförmigen Ausschnitts für den Hals. Museum der Kulturen, Basel, Inv. VI.4411. (Foto: OCC-SAP, B. Migy). Ref. CAJ 37, S. 182, Abb. 128.

Allgemeiner Kontext

Die Geschichte der Keramik aus Cornol beginnt schon Ende des 17. Jahrhunderts. Vermutlich stellten die Töpfer Tafelgeschirr aus lokalen Rohstoffen, wie den blauen Oxford-Mergeln, her, die sich vor etwa 160 Millionen Jahren auf dem Grund eines flachen Meeres bildeten und grosse, äusserst dichte Ablagerungen aus einem homogenen, sehr feinen und kompakten Ton enthielten. Dieser ist in der Ajoie sehr verbreitet und in der letzten Jurafalte auf dem Gebiet von Cornol leicht zugänglich. Die in der Ortschaft bereits etablierte Töpfertradition gab sicherlich den Ausschlag, in Cornol die einzige Fayencemanufaktur im alten Bistum von Basel zu gründen.

Als das Unternehmen 1760 gegründet wurde, dominierte die Stahlindustrie den Wirtschaftssektor. Diese Holzkohle verschlingende Industrie, die für das finanzielle Gleichgewicht des Staates, der die gesamte Betriebs- und Absatzkette kontrollierte, notwendig war, wurde vom Fürstbischof Jakob Christoph Blarer von Wartensee gefördert. Er erkannte all ihre Vorteile und nutzte sie bereits 1575, um die schwankende Wirtschaft des Basler Bistums wieder anzukurbeln. Sie überschattete die Entwicklung anderer holzbasierter Industrien, insbesondere die Keramik-produktion.

Geschichte der Fayencemanufaktur

Georges Humbert Triponez (1727-1767), ein junger Jurist am fürstbischöflichen Hof, war erst 33 Jahre alt und ohne beruflichen Hintergrund in der Keramikherstellung, als er am 25. Juni 1760 die Erlaubnis zur Gründung einer Fayencemanufaktur in Cornol beantragte. Wir wissen nichts über seine Beweggründe: Weder seine Herkunft, noch seine juristische Ausbildung, noch sein Familienkreis haben ihn zu diesem unternehmerischen Abenteuer gedrängt, das im wirtschaftlichen Kontext des Ancien Régime eine avantgardistische Dimension annahm. Tatsächlich gab es damals in der Region noch sehr wenige Unternehmer im modernen Sinne des Wortes.

Die einzige plausible Erklärung für diesen Schritt ist die allgemeine Begeisterung für Fayence in der Mitte des 18. Jahrhunderts in ganz Ostfrankreich, insbesondere in der Region Comté, sowie die Tatsache, dass Triponez in Besançon Jura studierte. Zufällig traf er in der Stadt Pruntrut zwei Fayencler, die einen Standort für die Einrichtung einer Werkstatt suchten. Er beschloss, nicht nur nach einem geeigneten Ort zu suchen, sondern auch gleich selber alles aus dem Nichts aufzubauen. Die Genehmigung wurde ihm problemlos erteilt, man gewährte ihm ein Herstellungsmonopol, das Recht, Rohstoffe zu nutzen und Holz zu kaufen, sowie das Recht, ausländische Spezialisten einzustellen, die sogar von der Ausreisegebühr befreit wurden. Triponez stieg gut ins Keramikgeschäft ein, denn seine Fayencemanufaktur befand sich in der Ajoie, weit entfernt von den Stahlwerken, dem Monopol und dem Haupteinkommen der Staatskasse. Doch diese vielversprechenden Anfänge waren nur von kurzer Dauer. In Wirklichkeit wurde er von der Gemeinde Cornol als Fremder betrachtet, der zudem ausländische Arbeitskräfte ins Dorf brachte. Und neben den endlosen finanziellen Problemen, mit denen er zu kämpfen hatte, war er ständig Opfer von Scherereien, sogar von körperlicher Aggression. 1766 war er gezwungen, sich mit Charles Exchaquet de Court zusammenzuschliessen, der das Ziel hatte, in seinem Dorf selbst eine Fayencefabrik zu eröffnen. Die Zusammenarbeit fand ein jähes Ende durch den plötzlichen Tod von Triponez im Alter von kaum 40 Jahren. Der durch Schulden belastete Betrieb wurde sukzessive von verschiedenen Gläubigern entweder allein oder in Konsortien übernommen. Bis zum Ende des Ancien Régime wurde das Unternehmen niemals profitabel. Abgesehen von der anfänglichen Unterstützung durch den Fürstbischof erhielt die Fayencemanufaktur keine weitere Hilfe, weder von der Korporation noch von der lokalen Bevölkerung, Letztere entwickelte sogar eine offene Feindseligkeit ihr gegenüber.

Die Französische Revolution und die Eingliederung der Region nach Frankreich war eine harte Zeit für das kleine Unternehmen, das seine Produktion auf Dachziegel umstellte, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Region noch sehr wenig verbreitet waren. Ausserdem verschwand die Herstellung von Fayence im ersten Viertel dieses Jahrhunderts vollständig, während die Ziegelproduktion bis 1861 überlebte. In jenem Jahr wurde das Gebäude von einem Gastwirt übernommen, der eine Töpferei mit zwei Öfen einrichtete. Seine Werkstatt produzierte etwa zehn Jahre lang.

Gamme de produits fabriqués

Tischgeschirr, Geschirr zum Auftragen und Servieren, Hygienegeschirr und Ofenkacheln, die Produkte von Cornol unterschieden sich in Bezug auf ihre Funktion nicht von zeitgleichen anderen Fayencemanufakturen. Das Unternehmen nutzte alle Marktlücken und Nischenprodukte, die damals in Mode waren, im Rahmen seiner Ressourcen und technischen Möglichkeiten.

Auf der formalen und dekorativen Ebene wurden zahlreiche Stile miteinander vermischt, sie waren Ausdruck der historischen Veränderungen und existenziellen Schwierigkeiten, mit denen die Manufaktur zu kämpfen hatte. Es gab dementsprechend nicht einen «Cornol»-Stil, sondern mehrere.

 

Kleiner Fayenceteller mit flachem geradem Rand und blauer Inglasurmalerei ohne schwarze Einfassungslinien («qualité non contournée»). Durchmesser: 19,6 cm, Anfang 19. Jahrhundert. Ausgrabung von Cornol-Lion d’Or. (Foto: OCC-SAP, B. Migy). Ref. CAJ 37, Pl. 57.484.

Flacher, Fayenceteller mit gekehltem, fassoniertem Rand, Inglasurmalerei mit Einfassungslinien «en qualité contournée». Manganviolett gemalter Blumenstrauss im Spiegel, bestehend aus Nelken und Glockenblumen, und vier verschiedenen Blumenzweigen auf der Fahne. Überfeuerter und reduzierend gebrannter Fehlbrand. Durchmesser: 26 cm, um 1760-1770. Ausgrabungen von Cornol-Lion d’Or. (Foto: OCC-SAP, B. Migy). Ref. CAJ 37.

Einige intakte Stücke aus Schweizer Museen konnten mit den gefundenen Fehlbränden in Verbindung gebracht werden, darunter eine Suppenschüssel, die früher Lenzburg zugeschrieben wurde, und eine Reihe von flachen Tellern mit vielpassigem Rand, die auf der Rückseite mit einem «C» gemarkt sind.

Es war nicht möglich, die bei der Ausgrabung gefundenen Gegenstände mit den Namen von Handwerkern, die im Archiv gefunden wurden, in Verbindung zu bringen, da keine signierten Gegenstände vorlagen. Einzig ein Reisepass für Fayenceverkäufer, der den Stempel der Fayencemanufaktur aus dem Jahr 1770 trug, ermöglichte es, die mit einem «C» gekennzeichneten Stücke mit Jean-Baptiste Snamenatzky, Fayencler und damaliger Direktor und Pächter der Fayencemanufaktur, in Verbindung zu bringen. Sehr wahrscheinlich stammte Snamenatzky aus einem osteuropäischen Land. Seine Anwesenheit in Cornol ist von April 1769 bis zu seinem Tod 1795 bezeugt. Verheiratet war mit einer Bürgerin von Bassecourt, mit der er sieben Kinder hatte, darunter drei Söhne, die ebenfalls später Fayence herstellten.

Fayenceteller mit Nelkendekor und blauer Pinselmarke «C» auf der Rückseite, Inglasurmalerei. Das «C» für Cornol nimmt einen grossen Teil des Siegels der Manufaktur ein. Die Motive mit der Nelke und den Glockenblumen ähneln Dekoren, die unter den Fragmenten der Ausgrabung des Lion d’or gefunden wurden. Um 1770. Museum der Kulturen, Basel, inv. VI.3385. (Photo : OCC-SAP, B. Migy). Réf. CAJ 37, p. 194, Fig. 144.

 

Siegel aus rotem Siegellack mit dem Wappen der Fayencemanufaktur von Cornol. In der Mitte steht der Buchstabe C in Blumenform, umringt von stilisierten Zweigen und der Inschrift: «FAYANCERIE DE CORNOL 1770». Durchmesser: 2,8 cm. Archiv des ehemaligen Bistums Basel, Pruntrut, GHFAM 4, Reisepass vom 7. April 1770. Ref. CAJ 37, S. 134, Abbildungen 63 und 64.

 

Bibliographie :

Amweg Gustave, Les arts dans le Jura bernois et à Bienne. II. Arts appliqués. Chez l’auteur, Porrentruy 1941.

Babey Ursule, Johann Jacob Frey. Le faïencier qui aimait trop la porcelaine – deux essais d’implantation dans le Jura méridional. Revue des Amis suisses de la céramique 123, 2010, 29-49.

Babey Ursule, Archéologie et histoire de la terre cuite en Ajoie, Jura, Suisse (1750-1900). Les exemples de la manufacture de faïence de Cornol et du centre potier de Bonfol. Office de la culture et Société jurassienne d’Emulation. Cahier d’archéologie jurassienne CAJ 37. Porrentruy 2016.  Pour se procurer un exemplaire : https://www.jura.ch/fr/Autorites/Archeologie-2017/Publications/Les-cahiers-d-archeologie-jurassienne-CAJ.html

Couvet NE

Keramik aus Couvet?
Fayencen, «covets» (Glutbecken) und andere Irdenwaren

Roland Blaettler, 2013

Die Geschichte der Keramik von Couvet (Val-de-Travers) gab mangels solider Quellen gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts Anlass zu zahlreichen Spekulationen. Die wohl gewagteste Hypothese postulierte die Existenz einer Produktion von Faïence in Couvet bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dies würde die Beherrschung einer relativ komplexen Technologie voraussetzen, die sicherlich einer gewissen Anzahl von Kachelofenbauern im Neuenburgerland und vielleicht sogar im Val-de-Travers bekannt war.

Die Fayence von Couvet  – Die Idee wurde 1892 von Charles Alfred Michel und Alfred Godet in einem kurzen, gemeinsam verfassten Artikel lanciert, der im Musée neuchâtelois erschien (Michel und Godet 1892). In ihrem Text ziehen die beiden Autoren vorsichtig den Schluss, dass es eine solche Fabrikation gab, sie versuchen auch, sie etwas näher zu beschreiben. Ein eher schwieriges Unterfangen, denn, so sagen sie, «die Stücke […] von Couvet weisen eine augenfällige Analogie auf zu denen aus den Fabriken im Elsass, in Delft oder Marseille». Der Artikel ist mit einer Keramik aus dem Neuenburger Museum für Kunst und Geschichte illustriert, die wir heute der Region Lunéville zuordnen (MAHN AA 1887), sowie mit einer Kaffeekanne aus der Durlacher Manufaktur in Deutschland (MAHN AA 1709)

Die Fayencen aus den Sammlungen des Musée d’art et d’histoire und des Musée régional du Val-de-Travers, die gemäss den alten Museums inventaren Couvet mehr oder weniger sicher zugeschrieben werde, sind erstaunlich vielfältig: Es gibt eindeutig belegte Exemplare aus Ostfrankreich (Lunéville und Region, Épinal oder Rambervillers, in den Vogesen), Süddeutschland, Delft und sogar feine luxemburgische Steingutstücke! (MAHN AA 1928; MAHN AA 1887; MAHN AA 2127; MAHN AA 2130; MRVT Nr. 1; MAHN AA 1721; MAHN AA 1311; MAHN AA 2134; MAHN AA 2135; MAHN AA 2137; MAHN AA 2129; MRVT Nr. 56; MAHN AA 1904; MAHN AA 1927 und 1920; MAHN AA 1709; MRVT Nr. 90; MRVT Nr. 92; MAHN AA 1998-15; MRVT Nr. 73; MRVT Nr. 45; MAHN AA 1926; MRVT Nr. 49; MRVT Nr. 2655c; MAHN AA 1905 und 1906; MRVT Nr. 95; MRVT Nr. 94; MRVT Nr. 34; MRVT Nr. 35; MRVT Nr. 31 und 36; MRVT Nr. 71; MRVT Nr. 72; MAHN AA 2133; MAHN AA 1513; MAHN AA 1908 und 1914).

In den meisten Fällen zeugen diese Beispiele von einem erprobten Know-how und einer soliden Kenntnis der Technik. Es können keineswegs Stücke sein, die beispielsweise von einem Kachelofenbauer stammen, der in auftragsarmen Zeiten nebenbei noch Geschirr produzierte. Vielmehr handelt es sich bei den genannten Fayencen in der Regel um eine vorindustrielle Produktion, die ein gewisses Mass an Personal und Einrichtungen erforderte, Bedingungen, die sicherlich Spuren im lokalen Bauerbe oder in Archivdokumenten hinterlassen hätten.

Unter den Couvet zugeschriebenen Fayencen findet man eine umfangreiche und vollkommen geschlossene Gruppe von Schalen, Tassen, Untertassen, Tellern und Kaffeekannen, dekoriert mit mehrfarbiger oder violetter monochromer Inglasurmalerei. Besonders gut vertreten ist ein violetter monochromer Dekor, der ein kleines Haus zeigt, flankiert von zwei Bäumen mit Laub in Schwämmeldekor, fast schon ein Emblem der «faïence de Couvet» (z.B. MAHN AA 1998-15; MRVT Nr. 73; MRVT Nr. 94; MRVT Nr. 34; MRVT Nr. 35). Allein das Musée régional du Val-de-Travers besitzt etwa fünfzig Exemplare davon. Durch ihre Formen, die Handschrift ihrer Maler und einige ihrer Dekore sind diese Fayencen jedoch eindeutig Teil der Produktion der Durlacher Fayencemanufaktur in Baden-Württemberg (Durlach 1975). Der süddeutsche Keramikspezialist René Simmermacher legt aufgrund neuerer Forschungen hingegen nahe, dass einige dieser Fayencen der Manufaktur Mosbach (Baden-Württemberg), einem stark von Durlach geprägten Betrieb, zugeschrieben werden können (insbesondere MRVT Nr. 56; MAHN AA 1904; MAHN AA 1998-15; MRVT Nr. 73; MRVT Nr. 94; MRVT No 94).

Eine derart ausgeprägte Präsenz dieser Art vonFayence im Neuenburgerland und insbesondere im Val-de-Travers ist natürlich überraschend. Sicherlich hat Durlach seine Produkte in die Schweiz exportiert, aber vor allem in die süddeutschen Grenzregionen. In diesem Fall, und insbesondere auch in Bezug auf den «Häuschen»-Dekor aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, kann man nur von einem besonderen Umstand ausgehen: Etwa ein Handelsaustausch im Zusammenhang mit der Ausfuhr von Uhren oder die Durchreise eines deutschen Wanderhändlers?

Die Glutbecken «les covets»

In den Neuenburger Sammlungen befinden sich vier Beispiele von Glutbeckenaus glasierter Irdenware, die eindeutig aus einer einzigen Werkstatt stammen, deren Standort noch zu bestimmen ist (MLS 270307; Valangin Nr. 5; MRVT Nr. 98; MLS 270308).

Die Museumsinventare liefern uns keine nützlichen Informationen über ihre Herkunft, auch wenn die lokale Tradition vorgibt, dass diese «covets», wie sie in der Regionalsprache genannt werden, ihren Ursprung in Couvet haben. Nach einer immer noch weit verbreiteten, aber von Linguisten ernsthaft in Frage gestellten Interpretation leitet sich der Ortsname sogar von dem Namen «covet» ab, als Beweis dient das alte Wappen von Couvet aus dem Jahr 1890 mit drei brennenden Glutbecken. Der Ortsname – Covès in seiner ältesten Form – ist bereits im 14. Jahrhundert bezeugt, «lange bevor dort Glutbecken produziert werden konnten», wie William Pierrehumbert zu Recht betont (Pierrehumbert 1926, 155).

Es besteht kein Zweifel, dass der Bezirk Couvet im 18. und 19. Jahrhundert eine der grössten Konzentrationen von Töpfern im Kanton aufwies: Im Jahr 1817 zählte man siebzehn Töpfereien (Montandon 1921, 219). Wie Léon Montandon bereits 1921 feststellte, gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass sie «covets« produzierten.

Ein möglicher Ursprung der Glutbecken könnte Bonfol im Jura sein, ein Produktionszentrum, das zumindest seit dem 17. Jahrhundert für seine feuerfeste Keramik weit und breit bekannt war. Im Jahr 1809 hatte Bonfol etwa dreissig Töpfer, die ihre Waren auf den Märkten in den Freibergen, in La Chaux-de-Fonds und Neuenburg verkauften, ganz zu schweigen von den Absatzmärkten in der Deutschschweiz (Amweg 1941, 344-347). Aus technologischer oder sogar stilistischer Sicht könnten diese Objekte Bonfols Produktion zugeordnet werden (Babey 2003). Das Problem liegt aber darin, dass bis heute kein Objekt dieser Art in der Ajoie oder im übrigen Jura gefunden wurde, auch nicht in Sammlungen oder unter Ausgrabungsobjekten (Mitteilung von Ursule Babey). Die Frage nach der Herkunft der Neuenburger «covets» bleibt daher problematisch.

Die Töpferei in Champs Girard – Zwischen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts sind Töpfer der Familien Borel und Petitpierre am Ort mit dem Flurnamen Champs Girard, auf den Höhen von Couvet, nachgewiesen. Der letzte bekannte Töpfer, Jules Petitpierre (1839-1913), praktizierte dort offenbar die Technik der engobierten Irdenware, manchmal «unbeholfen verziert, im Stil von Porrentruy». Die Dekore aus mehrfarbigen Engoben wurden mit dem Malhorn aufgetragen «wie in Heimberg» (Michel et Godet 1892, 59; Petitpierre 1965).

Der Brennofen in Champs Girard wurde 1942 im Zuge einer Restaurierung des Gebäudes abgebrochen. Die damals vor Ort gefundenen Gegenstände waren Töpfe, Schüsseln und Deckeltöpfe (vom Typ der «toupines», also Schmalztöpfe, die insbesondere von der Familie Knecht in Colovrex hergestellt wurden) dunkelbraun oder beige engobiert (Petitpierre 1965, Schwarz-Weiss-Fotografie, S. 5)

Das Neuenburger Museum für Kunst und Geschichte besitzt drei Objekte (MAHN AA 2065; MAHN AA 3289; MAHN AA 1784), die in den alten Inventaren der Töpferei von Champs Girard zugeschrieben werden und die Werke des Grossvaters von Jules Petitpierre, Henri-Louis Borel-Vaucher, sein könnten.

Vollständiger Text in: Blaettler/Ducret/Schnyder 2013, 35-36, 60, 194 – Letzte Aktualisierung: März 2019

Übersetzung Stephanie Tremp

Bibliographie:

Amweg 1941
Gustave Amweg, Les arts dans le Jura bernois et à Bienne, t. II: Arts appliqués, Porrentruy 1941.

Babey 2003
Ursule Babey, Produits céramiques modernes. Ensemble de Porrentruy, Grand’Fin, Porrentruy 2003.

Blaettler/Ducret/Schnyder 2013
Roland Blaettler/Peter Ducret/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH I: Neuchâtel (Inventaire national de la céramique dans les collections publiques suisses, 1500-1950), Sulgen 2013.

Durlach 1975
Durlacher Fayencen, 1723–1847, Ausstellungskatalog, Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Karlsruhe 1975.

Michel et Godet 1892
Charles Alfred Michel et Alfred Godet, Les faïences du Val-de-Travers, in: Musée neuchâtelois, 1892, 55-61.

Montandon 1921
Léon Montandon, Potiers de terre neuchâtelois, in: Musée neuchâtelois, 8, 1921, 217-220.

Petitpierre 1965
André Petitpierre, La poterie de Couvet, in: Feuillet Dubied, 9, 1965, 4-5.

Pierrehumbert 1926
William Pierrehumbert, Dictionnaire historique du parler neuchâtelois et suisse romand,  Neuchâtel 1926.

 

Couvet NE, Töpferei in Champs Girard

Roland Blaettler, 2013

Zwischen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts sind Töpfer der Familien Borel und Petitpierre am Ort mit dem Flurnamen Champs Girard, auf den Höhen von Couvet, nachgewiesen. Der letzte bekannte Töpfer, Jules Petitpierre (1839-1913), praktizierte dort offenbar die Technik der engobierten Irdenware, manchmal «unbeholfen verziert, im Stil von Porrentruy». Die Dekore aus mehrfarbigen Engoben wurden mit dem Malhorn aufgetragen «wie in Heimberg» (Michel et Godet 1892, 59; Petitpierre 1965).

Der Brennofen in Champs Girard wurde 1942 im Zuge einer Restaurierung des Gebäudes abgebrochen. Die damals vor Ort gefundenen Gegenstände waren Töpfe, Schüsseln und Deckeltöpfe (vom Typ der «toupines», also Schmalztöpfe, die insbesondere von der Familie Knecht in Colovrex hergestellt wurden) dunkelbraun oder beige engobiert (Petitpierre 1965, Schwarz-Weiss-Fotografie, S. 5).

Das Neuenburger Museum für Kunst und Geschichte besitzt drei Objekte (MAHN AA 2065; MAHN AA 3289; MAHN AA 1784), die in den alten Inventaren der Töpferei von Champs Girard zugeschrieben werden und die Werke des Grossvaters von Jules Petitpierre, Henri-Louis Borel-Vaucher, sein könnten.

Vollständiger Text in: Blaettler/Ducret/Schnyder 2013, 194 – Letzte Aktualisierung: März 2019

Übersetzung Stephanie Tremp

Bibliographie:

Blaettler/Ducret/Schnyder 2013
Roland Blaettler/Peter Ducret/Rudolf Schnyder, CERAMICA CH I: Neuchâtel (Inventaire national de la céramique dans les collections publiques suisses, 1500-1950), Sulgen 2013.

Michel et Godet 1892
Charles Alfred Michel et Alfred Godet, Les faïences du Val-de-Travers, in: Musée neuchâtelois, 1892, 55-61.

Petitpierre 1965
André Petitpierre, La poterie de Couvet, in: Feuillet Dubied, 9, 1965, 4-5.

 

Dübendorf-Stettbach, Meister & Co., Kunsttöpferei (1920-1961)

Heinrich Meister 1894-1972 (Foto Archiv Meister & Co., Christine Hobi)

100 Jahre Meister-Keramik

Richard Kölliker 2020 (Ergänzungen nach SHAB durch Andreas Heege)

Meister-Keramik in CERAMICA CH

Heinrich (auch Heinz oder Heinz-Tobias) Meister (*7. Juli 1894 in Binningen bei Basel; † 11. April 1972 in Dübendorf), wuchs in Münster im Elsass auf. Seine Matura legte er in Colmar ab. Ab 1912 verfolgte er ein Architekturstudium an der ETH Zürich. Dort lernte er seinen späteren Geschäftspartner, Josef Kövessi aus Debrecen (Ungarn), kennen, der Staatswissenschaften studierte und eine Dissertation über die Tonwarenindustrie in der Schweiz verfasste (Kövessi 1923). 1919 brach Heinrich Meister das Studium ab und begann in der Kunsttöpferei Albert Wächter-Reusser in Feldmeilen bei Zürich ein keramisches Praktikum, wobei seine Arbeit im Entwerfen und Bemalen von Keramik bestand. Josef Kövessi arbeitete bereits dort und lernte laut Arbeitszeugnis bis zum März 1920 alle wichtigen keramischen Arbeiten. Die erhaltenen Objekte von Albert Wächter im Schweizerischen Nationalmuseum belegen, dass die Werkstatt zeittypische Formen und Dekore herstellte, wie sie zeitgleich auch in der Region Heimberg-Steffisburg gefertigt wurden. Dies sind die Vorbilder, die Heinrich Meister und Josef Kövessi bei ihrer kurzen keramischen Ausbildung kennenlernten.

Dübendorf-Stettbach, die Hafnerei-Liegenschaft in den 1950er-Jahren (Foto Archiv Meister & Co., Christine Hobi)

Heinrich Meister und sein Kollege Kövessi gründeten schliesslich mit Unterstützung des Onkels Albert Meister 1920 in Stettbach, einem Ortsteil von Dübendorf zunächst etwas informell den eigenen Betrieb «Meister & Kövessi, Werkstätte für Kunst & Kunstgewerbe», nachdem der Onkel eine Liegenschaft mit einem passenden Haus und Werkstattgebäude sowie einer Turbine zur Stromerzeugung gekauft hatte. In der Liegenschaft hatten sich bereits vorher eine Hafnerei, eine Sägerei und eine Drechslerei befunden. Heinrich Meister bezeichnete in späteren Jahren Josef Kövessi als den “eigentlichen Gründer” der Firma. Er war der Fachmann für Keramik, während Heinrich Meister als Geschäftsführer, Kassierer, Korrespondent und Keramikentwerfer fungierte. Kurzfristig war auch der elsässische Töpfermeister Alphons Braun am Aufbau der Werkstatt beteiligt. Dessen Steinzeugfabrik in Thayngen war kurz vorher eingegangen, sodass Meister und Kövessi günstig Material und Maschinen erwerben konnten. In die Töpferei wurde ein mit Holz und Kohle zu befeuernder, grosser Muffelofen eingebaut, den man begehen konnte. Dessen Steuerung bereitete am Anfang erhebliche Schwierigkeiten. Er wurde 1925 durch einen topmodernen elektrischen Brennofen ersetzt, jedoch nicht abgebrochen, sondern noch eine zeitlang wegen seiner Grösse parallel weiterbenutzt. Auch die korrekte Einstellung der Glasuren war am Anfang offenbar schwierig.  Ab Mitte 1920 lief die Produktion an. Töpfermeister Braun schied nach gerichtlichen Auseinandersetzungen schon vor der offiziellen Firmengründung wieder aus.

Unter dem 1. Januar 1921 wurde Heinrich Meister, zusammen mit seinem Onkel, offiziell im Schweizerischen Handelsamtsblatt als Kunstkeramik-Werkstatt «Meister & Cie.» gemeldet (SHAB 39, No. 29; S. 221 vom 30.1.1921). Das Firmenlogo hiess jedoch «A. Meister, Werkstätte für Kunstkeramik».

Mustermesse Basel 1922, Stand von Meister & Co. in der Gruppe XII, Kunstgewerbe  (Foto Archiv Meister&Cie, Christine Hobi).

Bereits im Produktionsjahr 1921 finden wir Heinrich Meister auf der Mustermesse in Basel, wo er die Kollektion vorstellte.

Werbung für die MUBA, Zeitschrift “Die Tat, 5. März 1943”.

Meister & Co. stellten während der ganzen Zeit Ihres Bestehens regelmässig auf der MUBA aus (Offizelle Kataloge der MUBA).

Keramikmalerin Gertrud Meister-Zingg (1898-1984) im Malatelier in den 1930er-Jahren (Foto Archiv Meister & Co., Christine Hobi).

Nach einer ersten Bewerbung und Teilzeitarbeit im Jahr 1922 stiess ab März 1923 die Keramikmalerin Gertrud Zingg (*2. August 1898 in Bern; † 2. März 1984 in Uster) aus Bern zur Werkstattmannschaft dazu. Sie hatte von Wintersemester 1914/1915 bis Wintersemester 1918/1919 an der Gewerbeschule in Bern, u. a. bei Jakob Hermanns, die Ausbildung zur Keramikerin gemacht (vgl. Schülertabelle in Messerli 2017, 228-229). Heinrich Meister und sie heirateten im August 1924. In Stettbach leitete Gertrud Zingg die Malabteilung. 1927 wurde die Tochter Christine geboren, die ab 1947 eine Lehre als Keramikmalerin im elterlichen Betrieb absolvierte.

Benno Geiger (1903-1979) als Mitarbeiter in der Werkstatt Meister (Foto Archiv Meister & Co., Christine Hobi).

Einer der ersten Töpferlehrlinge im Betrieb war von 1920-1922 Benno Geiger aus Engelberg (1903–1979). Von 1923-1925 arbeitete er als Geselle in der Werkstatt.  Von 1935 bis 1948 leitete er schliesslich die kunstkeramische Abteilung der Tonwarenfabrik Aedermannsdorf und übernahm von 1941 bis 1969 die Leitung der Keramischen Fachschule in Bern.

Am 1. Januar 1924 kam es zur Umfirmierung der Kunstkeramikwerkstatt «Meister & Co.» (SHAB 43, No. 117, S901, vom 23. Mai. 1925). Mitgesellschafterin wurde bis zu ihrem Tod im Jahr 1948 Heinrichs Mutter, die Witwe Wilhelmine Meister, geb. Stehlin (SHAB 66, No. 235, S. 2711, 7.10.1948). Josef Kövessi stieg 1925 aus der Firma aus und ging zurück nach Ungarn, da es Meinungsverschiedenheiten über den einzuschlagenden Kurs der Werkstatt gegeben hatte. Onkel Albert Meister wanderte dagegen von 1926 bis 1930 nach Brasilien aus und gründete schliesslich in Zurzach eine Kolonialwarenhandlung.

1925 Die NZZ schrieb am 13. Oktober: “Die Räume der Kunsthalle [Bern] sind mit den Werken unserer in der Gesellschaft Schweiz. Malerinnen und Bildhauerinnen vereinigten Künstlerinnen geschmückt. Mit sicherer Hand hat die Jury Akzente von eindringlicher Kraft gesetzt… Auch in der Keramik sind große Fortschritte festzustellen. Ich erinnere nur an die schöngeformten Schalen und Teller von G. Meister-Zingg, an Clara Vogelsangs technisch vollendete Krüge und Schalen. Von Adele Schwander sind hübsche und brauchbare Tassen und Schalen da…”

1926 erfolgte die Aufnahme von Heinrich und Gertrud Meister in den Schweizerischen Werkbund (SWB). Heinrich Meister wurde Mitglied im Vorstand der Sektion Zürich. Gertrud Meister-Zingg war zudem Mitglied in der Gesellschaft Schweizer Malerinnen, Bildhauerinnen und Kunstgewerblerinnen (GSMBK).

1927 erfolgten erste Exporte nach Deutschland, Frankreich und in die USA. Zu diesem Zeitpunkt machte man überwiegend Fayenceglasuren und daneben wenig Engobeware und viele Terracotten, meist in Form grosser Gartenvasen und modellierter Blumentöpfe. Daneben fertigte man Kleinplastiken und Tiere, Gartenfiguren und grosse Kübel in gesintertem Klinkerton sowie Keramik mit den zeittypischen Laufglasuren, einfarbigen Kunstglasuren, Craquelé, Matt- und Alkaliglasuren. Heinrich Meister reagierte mit den Entwürfen seiner Werkstatt auch erfolgreich auf die »Neue Sachlichkeit» und die zunehmend modern werdende Ornamentlosigkeit der Keramik.

1927 beteiligten sich Meisters an der Ausstellung “Céramiques Suisses” im Musée d’Art et d’Histoire in Genf.

In den Dreissigerjahren gab es eine erste Blütezeit der Firma. Die Firma war auch an weiteren Messen, u.a. in Frankfurt präsent und kooperierte eng mit dem Zürcher Heimatwerk. 1931 beteiligte sich die Firma Meister&Cie. an der Firma Wullschleger&Cie mit Sitz in Olten, deren Arbeitsbereich der Handel- mit Möbeln, Gold- und Silberwaren, Keramik, Tapeten und Stoffen war. Offenbar versuchte man auf diesem Wege einen zusätzlichen Absatzkanal zu entwickeln (SHAB 49, No. 215, 2001 vom 16.9.1931). Auch das Wiedererwachen des «Heimatstils» in den späten 1930er-Jahren als Reaktion auf die Neue Sachlichkeit ging an der Werkstatt und ihren Keramiken nicht vorbei, da die Kunden solche Produkte wünschten. Keramik im Heimatstil war vor allem auch bei US-amerikanischen Auslandsschweizern sehr beliebt. Man fertigte Gefässe mit Alpenblumen, Vögeln, Fischen, Zirkus, Sennenleben, Tessinerhäusern, Engadinerhäusern, Sprüchen, Sportdarstellungen etc. Heinrich Meister sprach später von einem «Rück- und Sündenfall». 1939 waren Meister&Cie auch auf der Landesausstellung in Zürich vertreten.

Ab etwa 1930 bis 1959 amtierte Heinrich Meister auch als Präsident des Verbandes Schweizerischer Töpfermeister und Tonwarenfabrikanten, der 1959 von der Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Keramiker (ASK) abgelöst wurde, zu dessen Gründungsmitgliedern Heinrich Meister zählte.

Werbepostkarte Meister Keramik, um 1950.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einem erneuten Aufschwung des Betriebs, auch da die Kontakte in die USA wieder aufgenommen werden konnten. Allerdings verlangten die amerikanischen, wie die deutschen, schwedischen und kanadischen Kunden jedes Jahr einen neue, exklusive Kollektion, was eine grosse Herausforderung an Entwerfer und Produktion darstellte. Bis zu 20 Mitarbeitende waren nach dem Krieg beschäftigt. Viele Absolventinnen und Absolventen der Keramischen Fachschulen der Schweiz waren über einen kürzeren oder längeren Zeitraum im Betrieb tätig, so z.B. Annina Vital (später Heimtöpferei Chur) und Margret Loder-Rettenmund (später Luzerner Keramik). Am 2. Internationalen Keramischen Kongress in Zürich 1950 hielt Heinrich Meister eines der Hauptreferate über die Geschichte der Schweizer Keramik.

Heinrich Meister und Gertrud Meister-Zingg in den 1950er-Jahren (Foto Archiv Meister&Cie, Christine Hobi).

Ende der 1950er Jahre beschäftigte sich Heinrich Meister mit dem Plan, anstelle des Betriebs eine Einrichtung der praktischen Erwachsenenbildung als Zweig der Migros-Klubschule einzurichten. Die Pläne zerschlugen sich und 1961 erfolgte altershalber und wegen nachlassender Nachfrage die Schliessung des Betriebs (Tages-Anzeiger, Zürich, 3. Januar 1962).

Heinrich und Gertrud Meister-Zingg gehören zur «zweiten Generation der modernen Schweizer Keramiker», die sich durch ein vielfältiges Experimentieren mit Formen, Farben und Dekoren auszeichnete. Als Quereinsteiger wurde Heinrich Meister zu einem international anerkannten «Modeschöpfer» der Keramik. Er kreierte Formen von seltener Originalität und Frische. Zu den gebräuchlichsten Erzeugnissen gehörten Vasen, Lampenkörper für die Inneneinrichtung und Gebrauchskeramiken wie Schalen, Krüge etc. Gertrud modellierte nebst ihrer Malertätigkeit viel Figürliches.

Eine Auswahl an Meister-Keramiken wird im Schweizerischen Nationalmuseum und im Museum für Gestaltung Zürich aufbewahrt.

Ausstellungen mit und über Heinrich Meister:

Maria Weese und Heinz Meister, Keramische Ausstellung, 6. Juli bis 10. August 1924, Kunstgewerbemuseum Zürich

Schweizerische Landesausstellung “Landi”, Keramischer Pavillon, 1939, Zürich

«Den Meister zeigen» – Objekte aus der Sammlung Erika Munz und historische Dokumente aus dem Geschäfts- und Familienarchiv Meister. 26. September bis 18. Oktober 2014, Reformiertes Kirchgemeindezentrum, Dübendorf.

Meister Keramiken – eine kleine Fotosammlung

Bibliographie:

Richard Kölliker, Vom Geschäft mit der schönen Form. Meister & Cie. – Kunstkeramische Werkstätte Dübendorf-Stettbach, 1920 bis 1961. Heimatbuch Dübendorf, Jahrbuch 68, 2014, 25-50.

Richard Kölliker, Meister-Keramik – Heinrich und Gertrud Meister-Zingg und ihre Kunstkeramik Werkstatt in Dübendorf-Stettbach 1920–1961. Privatdruck, Schaffhausen 2014.

Josef Kövessi, Die Tonwarenindustrie in der Schweiz. Diss., Universität Zürich, 1923.

Kupper, Roland, Auf der Suche nach der modernen Form: Meister-Keramik 1920-1961. Sammler-Anzeiger – Gazette des Collectionneurs 35, Nr. 4, 2015, 4.

Erwin Kunz, Aus der Vergangenheit der ehemaligen Töpferei Meister in Stettbach. Neujahrsblatt Zürich 11, Zürich 1966, S. 7-16.

Christoph Messerli, 100 Jahre Berner Keramik
von der Thuner Majolika bis zum künstlerischen Werk von Margrit Linck-Daepp (1987-1983). Hochschulschrift (Datenträger CD-ROM), Bern 2017.

Wegleitungen des Kunstgewerbemuseums der Stadt Zürich, Nr. 55, Keramische Ausstellung Weese, E. Maria und Heinz Meister, Zürich 1924.

Dünnglasierte Fayence

Thin-glazed faience in CERAMICA CH

Jonathan Frey, 2019

Definition, Merkmale, Herstellung

Dünnglasierte Fayence unterscheidet sich von der «echten» Fayence in erster Linie durch einen wesentlich dünneren Glasurauftrag, der oft die Drehrillen durchscheinen lässt. Die Gefässe sind meistens nur einseitig auf der Aussen- oder Innenseite mit einer weissen Fayenceglasur überzogen, welche mit einer manganvioletten, grünen und blauen –selten auch gelben – Inglasurmalerei versehen ist. Die jeweils andere Seite ist entweder unglasiert oder mit einer grünstichigen Bleiglasur versehen. Selten treten auch beidseitig undekorierte weisse und meergrüne Fayenceglasuren auf. Die Bodenunterseite ist abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen immer unglasiert.

Die Farbe des stets sehr fein gemagerten Scherbens reicht von einem hellen Beigeweiss über ein blasses Ziegelrot bis hin zu einem kräftigen Ziegelrot. Archäometrische Untersuchungen zeigen, dass für die dünnglasierten Fayencen ein Ton verwendet wurde, dessen Kalkgehalt zwischen 7 und 20 Prozent lag und dass der Zinnanteil in der Glasur jenem von Fayencen mit dicker Glasur des 18. Jahrhunderts entspricht. Nach Ausweis von mit Glasur gefüllten Kalkspatzen und weiteren makroskopischen Beobachtungen wurde dünnglasierte Fayence zweifach gebrannt, das heisst die lederhart getrockneten Gefässe wurden erst geschrüht, dann mit Fayence- und Bleiglasur überzogen, bemalt und bei maximal 950° C nochmals gebrannt. Aus chemischer und technologischer Sicht ist dünnglasierte Fayence der Fayence mit dicker Glasur somit ebenbürtig. In sehr seltenen Fällen, nämlich bei weniger als einem Prozent der derzeit erfassten Gefässe, liegt unter der Fayenceglasur eine weisse Grundengobe. Diese Gefässe hätten eigentlich mit einer Bleiglasur versehen werden sollen, wurden aber nach dem Schrühbrand in der Werkstatt vertauscht und irrtümlich mit einer Fayenceglasur versehen (Frey 2015, 55–56; 241–244; Frey 2019, 71; Heege/Kistler 2017, 107–108; Thierrin-Michael 2015, 313, 324–326).

Gefässformen

Das Spektrum der Gefässformen umfasst Krüge, Humpen, Stülpdeckelterrinen mit Grifflappen, Näpfe oder Schalen mit eingezogenem Rand und gegenständigen Grifflappen, Schüsseln mit Leistenrand, Schüsseln mit verkröpftem Rand, Teller mit Fahne und Randlippe sowie Teller mit gerader Fahne. Hinzu kommen Steck- und Stülpdeckel. Nur als Einzelstücke belegt sind Apothekenabgabegefässe, Blumenvasen, Doppelhenkeltöpfe, Stegkannen, Giessfässer, Waschbecken, Rasierbecken, Henkelschüsseln, Scherzgefässe  und Salznäpfchen  (MAG G37; MAG R225; MAHN AA 1173; MAHN AA 1174; MAHN AA 1570; MAHN AA 1572; MAHN AA 1573; MAHN AA 1574; MAHN AA 1575; MAHN AA 1576; MAHN AA 1577; MAHN AA 1578; MAHN AA 1579; MAHN AA 1580; MAHN AA 1811; MAHN AA 1820; MAHN AA 1827). In der Ausprägung der Rand- und Bodenformen entsprechen die Gefässe den bleiglasierten Irdenwaren des 17. und 18. Jahrhunderts in der Nordwestschweiz und im Kanton Bern. Typische Fayenceformen wie Fächerplatten oder Formelemente wie Standringe kommen dagegen nicht vor. Betreffend der Gefässformen steht die dünnglasierte Fayence der bleiglasierten Irdenware somit näher als Fayencen im traditionellen Sinne (Frey 2015, 221; Heege/Kistler 2017, 107).

Glasur- und Malfarben, Dekormotive

Bei den Hochformen wie den Krügen, Humpen und Blumenvasen finden sich vereinzelt plastische Auflagen in Form von Engeln, Frauenköpfen, Putti, Blumen, Eicheln oder Wappen. Die bislang nur als Bodenfunde belegten Stülpdeckelterrinen mit beidseitig weisser Fayenceglasur besitzen gegenständige Grifflappen, die mit reliefierten geflügelten Putti, seltener auch mit reliefierten Palmetten verziert sind.

Das häufigste Dekormotiv bei den Krügen, Stegkannen und Humpen sind Tulpen. Sie kommen als axialsymmetrisches Tulpensträusschen oder als in den eigenen Stiel eingerollte Tulpe vor. Dieser bildet demnach einen medaillonartigen Rahmen für die Tulpe. Die Blüten- und Stielblätter können rund oder spitz, manganviolett, blau und grün oder sehr selten auch gelb sein. Bei der Mangan-Grün-Blau-Malerei sind die Kontur- und Binnenlinien immer Manganviolett, während bei der Blau-Malerei sowohl die Linien- wie auch die Flächenfarben blau sind. Neben den Tulpen sind selten auch Glockenblumen, Blüten mit zwiebelförmigen Blättern, Blatt- und Blütengirlanden, Vögel auf Zweigen und Sterne belegt.

Eingerollte Tulpen und Tulpensträusschen sind auch bei den Breitformen wie den Schüsseln mit verkröpftem Rand, den Tellern mit Fahne und Randlippe und den Tellern mit gerader Fahne als zentrales Motiv im Spiegel häufig. Hinzu kommen stehende Tulpen, die durch einen geraden Stiel und symmetrisch angebrachte Stielblätter gekennzeichnet sind und als Motiv im Spiegel dienten. Die drei verschiedenen Tulpenmotive werden auf der Fahne oft durch drei Tulpen ergänzt, deren S-förmig geschwungenen Stiele aus dem Randscheitel oder der Fahnenkante erwachsen. Bei den in Mangan-Blau-Grün-Malerei ausgeführten Tulpendekoren sind die Blütenblätter alternierend in Manganviolett, Grün und Blau gehalten. Diese sollten die im 17. Jahrhundert so beliebten bunt gemusterten gefederten Tulpen nachempfinden. Man findet in dieser Gefässzone aber auch weit gespannte Bogenreihen, die von keulenartigen, grünen schmalen Ovalen getrennt werden, radial verlaufende, lange schmale Blütenblätter, die insgesamt wie der Blütenkranz einer Sonnenblume wirken, und Sterndekore. Die kleinen Fahnen der Schüsseln mit verkröpftem Rand sind fast immer mit einer einfachen Bogenreihe verziert, wobei die Bogenfelder mit grünen oder blauen Halbkreisen ausgefüllt sind. Bei der Blau-Malerei kommen auch rein ornamentale Motive wie der Zickzack oder der Laufende Hund vor.

Neben den Tulpen findet man im Spiegel der Teller den Vogel auf Zweig, Sterne und selten Architekturdarstellungen wie Kirchen oder Schlösser (Frey 2015, 224–236; Heege/Kistler 2017, 107–108).

Zeitliches Vorkommen und Entwicklung der Malfarben

Dünnglasierte Fayence tritt kurz nach der Mitte des 17. Jahrhunderts auf, wie ein 1657 datierter Krug mit Mangan-Grün-Blau-Gelb-Malerei aus dem Fitzwilliam Museum in Cambridge zeigt (FWMC C.2966-1928) zeigt. Nur wenige Jahre jünger ist ein ins Jahr 1663 datierter Krug im Musée Ariana und Bodenfunde von dünnglasierten Fayencen aus der Burg Rötteln bei Lörrach in der Nähe von Basel, welche 1678 ein Raub der Flammen wurde.

Nach Ausweis eines 1669 datierten Tellers aus dem Museum Blumenstein in Solothurn (MBS  1905.174) und der Bodenfunde von Court, Sous les Roches (1673–1699), Solothurn, Palais Besenval (vor 1705), Court, Pâturage de l’Envers (1699–1714) und Solothurn, Stadttheater (vor 1729) waren dünnglasierte Fayencen spätestens im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts im Grossraum Solothurn weit verbreitet. In Court, Sous les Roches und Solothurn, Stadttheater macht sie 13 % respektive 16 % der Haushaltskeramik aus. Auf der Glashütte von Court, Pâturage de l’Envers sind es im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts dann schon ein Viertel aller Gefässe. Im Grossraum Solothurn war dünnglasierte Fayence zu dieser Zeit somit das dominierende repräsentative Tafelgeschirr. Anders sah die Situation im Berner Mittelland aus, enthält der Fundkomplex Burgdorf, Kornhaus (vor 1715) doch nur einige wenige Fragmente blau bemalter dünnglasierter Fayencen. Während in Burgdorf, Kronenplatz (vor 1734) dünnglasierte Fayencen dann sogar vollständig fehlen, erreichen sie im Fundkomplex Bern, Waisenhausplatz (etwa 1700-1740) nur noch einen Anteil von 0,5 %. Da ab den 1730er Jahren jahrdatierte Gefässe aus Museen ausbleiben – ein 1750 jahrdatierter Teller aus dem Museum Laufen bildet die einzige Ausnahme – scheint die dünnglasierte Fayence ab den 1730er Jahren langsam zu verschwinden. Es ist wohl kein Zufall, dass just in diesem Jahrzehnt in Deutschland, Frankreich und auch der Schweiz zahlreiche Fayencemanufakturen entstehen, welche wohl die lokale Herstellung der dünnglasierten Fayence konkurrenzierten.

Die jahrdatierten Gefässe und die sicher datierten archäologischen Fundkomplexe Court, Sous les Roches (1673­-1699), Solothurn, Palais Besenval (vor 1705), Court, Pâturage de l’Envers (1699–1714) und Solothurn, Stadttheater (vor 1729) zeigen übereinstimmend, dass bis um 1700 Gefässe mit Mangan-Grün-Blau-Malerei dominierten. Ebenso wurde die gelbe Flächenfarbe nur selten verwendet; sie kam spätestens im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts ausser Gebrauch.

Kurz vor 1700 kommen im Gegenzug die ersten dünnglasierten Fayencen mit Blau-Malerei auf, wie die Bodenfunde von Court, Sous les Roches und ein 1699 jahrdatierter Krug aus dem Schlossmuseum Burgdorf zeigen. Die blau bemalten Gefässe drängten im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts die dünnglasierten Fayencen mit Mangan-Grün-Blau-Malerei allmählich zurück, wie die Funde von Court, Pâturage de l’Envers eindrücklich zeigen. Dass in den Fundkomplexen Burgdorf, Kornhaus (vor 1715) und Burgdorf, Kronenplatz (vor 1734) nur dünnglasierte Fayencen mit Blau-Malerei vorkommen, dürfte jedoch sowohl zeitlich wie auch regional bedingt sein (Frey 2015, 244–248).

Neben den Gefässen mit Mangan-Grün-Blau-Malerei kommen bereits auf der Glashütte von Court, Sous les Roches beidseitig weiss glasierte, sonst aber nicht dekorierte Stülpdeckelterrinen vor. Diese sind in ähnlicher Form auch noch auf der Glashütte von Court, Pâturage de l’Envers gebräuchlich. Unter den in den Museen erhaltenen Gefässen fehlt diese repräsentative Form des Tafelgeschirrs wohl nur deshalb, weil die Bemalung fehlt und somit auch keine Jahrdatierung vorhanden sein kann. Bereits auf der Glashütte von Court, Sous les Roches ist mit einer Schüssel mit eingezogenem Rand  ein dünnglasiertes meergrünes Fayencegefäss vorhanden. Weitere Stücke stammen von der Glashütte Court, Pâturage de l’Envers und aus der Latrine unter dem Solothurner Stadttheater. Das Vorkommen meergrüner dünnglasierter Fayencen ist bemerkenswert, wurden meergrüne Fayencen doch bereits in den 1630er Jahren in Frankreich als farbliche Nachahmung der aus Asien importierten, höchst exklusiven Celadon-Ware gefertigt.

Verbreitungsgebiet und zeitliche Entwicklung

Dünnglasierte Fayence findet sich in mehreren Fundstellen im südlichen Jura, am Jurasüdfuss, im Berner Mittel- und Oberland, einzelne Fundpunkte liegen aber auch im Aargau und im Raum Basel (ausgefüllte Punkte).

(Fundortliste zur Kartierung: siehe Frey 2015,  Abb. 189 und 217, Stand 2015)

Das Verbreitungsgebiet der musealen Belege (Kreise) reicht wesentlich weiter, bestärkt jedoch das archäologische Verbreitungsbild, indem es dieses einschliesst. Der Fundrayon der archäologischen Nachweise ist bedeutend grösser als das Absatzgebiet der meisten Hafnereien im 18. Jahrhundert, das einen Radius von 30 Kilometer beziehungsweise einen Tagesmarsch kaum je überschritt. Demnach muss die dünnglasierte Fayence in mehreren, möglicherweise auch gleichzeitig produzierenden Hafnereien hergestellt worden sein. Der 1664 datierte Teller aus dem Museum Blumenstein sowie Bodenfunde von dünnglasierten Fayencen in den Fundkomplexen Court, Sous les Roches (1673–1699), Solothurn, Palais Besenval (vor 1705), Court, Pâturage de l’Envers (1699–1714) und Solothurn, Stadttheater (vor 1729) deuten auf Solothurn als Produktionsort hin. Dazu passt, dass die spätestens 1697 in Solothurn schriftlich belegte Hafnerei Wysswald spätestens ab 1734 hochwertige Fayencen produzierte. Ein möglicherweise vom Hafner Christen von Allmen 1726 für sich selbst gefertigter Teller mit Blau-Malerei (BHM 20778) belegt, dass spätestens im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts auch im Berner Oberland dünnglasierte Fayence produziert wurde. Sichere Nachweise von Produktionsorten dünnglasierter Fayence werden jedoch erst Bodenfunde von entsprechenden Töpfereiabfällen liefern können (Frey 2015, 248; Heege/Kistler 2017, 107).

Der barocke Tulpenwahn

Ursprünglich in Zentralasien beheimatet, gelangte die Tulpe in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach Europa, wo sie sich dank des eifrigen Austauschs unter Botanikern rasch in den wichtigsten Hauptstädten verbreitete. Bereits in der zweiten Jahrhunderthälfte bereicherten reiche Stadtbürger ihre repräsentativen Schaugärten mit der neuen Blume. Eigens angelegte Tulpengärten wurden zu einem Statussymbol der Oberschicht, welche diese durch spezialisierte Blumenmaler in Buchform verewigen liessen. Besonders beliebt waren Tulpen, deren Blütenblätter eine zweifarbige Musterung in flammenförmigen Linien aufwiesen, weswegen man diese Ausprägung auch als geflammte oder gefederte Tulpen bezeichnete. Der Reiz dieser Blütenmuster lag auch darin, dass sie zufällig und unberechenbar auftraten, weshalb es nicht gelang, sie durch Züchtungen zu reproduzieren. Als Folge davon stiegen im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts die Preise für die Zwiebeln gewisser Tulpensorten in exorbitante Höhen, was 1637 in den Niederlanden zum Platzen der ersten Spekulationsblase der modernen Wirtschaftsgeschichte führte. Nichtsdestotrotz hielt die Beliebtheit der Tulpe ungeschmälert an: Wem echte Tulpen zu teuer waren, schaffte sich wenigstens Tafelgemälde von Tulpensträussen an. Noch günstiger waren natürlich mit Tulpen verzierte Alltagsgegenstände, und so findet man spätestens ab der Mitte des 17. Jahrhunderts ornamentale Tulpenmotive etwa auf niederländischen Keramikfliesen, bernischen Kanzeln und repräsentativen Zinngefässen. Es überrascht deshalb nicht, dass sich Tulpen als Motiv für repräsentatives Tafelgeschirr wie die dünnglasierte Fayence besonders eigneten und deshalb von den lokalen Hafnern im Verbreitungsgebiet der dünnglasierten Fayence aufgenommen wurden (Frey 2015, 236–240).

Frz.:  Faïence à revêtement mince

Engl.: thin-glazed faience

Bibliographie:

Frey 2015
Jonathan Frey, Court, Pâturage de l’Envers. Une verrerie forestière jurassienne du début du 18e siècle. Band 3: Die Kühl- und Haushaltskeramik, Bern 2015.

Frey 2019
Jonathan Frey, Die Haushaltskeramik aus der Latrine unter dem Stadttheater von Solothurn, datiert vor 1729, in: Denkmalpflege und Archäologie Kanton Solothurn 24, 2019, 55-76.

Heege/Kistler 2017
Andreas Heege/Andreas Kistler, Poteries décorées de Suisse alémanique, 17e-19e siècles – Collections du Musée Ariana, Genève – Keramik der Deutschschweiz, 17.-19. Jahrhundert – Die Sammlung des Musée Ariana, Genf, Mailand 2017.

Thierrin-Michael 2015
Gisela Thierrin-Michael, Archäometrische Untersuchung ausgewählter Grosswarenarten, in: Jonathan Frey, Court, Pâturage de l’Envers. Une verrerie forestière jurassienne du début du 18e siècle. Band 3: Die Kühl- und Haushaltskeramik, Bern 2015, 299–326.