Walserama
Stiftung Walserkultur
Alpstrasse 11
7437 Nufenen
Tel.: 081 6641402
E-Mail: stiftung-walserkultur@bluewin.ch
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Keramik des Walseramas in CERAMICA CH
Die im Jahr 2016 gegründete Stiftung zur Wahrung der Walserkultur an der Bernhardinerstrasse hat sich in erster Linie die Rettung des Kulturerbes der Rheinwalder Walser, insbesondere der noch vorhandenen Objekte aus Haushalt, Stall und den verschiedenen Tätigkeiten zur Aufgabe gemacht. In einer weiteren Phase werden diese geretteten Artefakte ausgestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht . Zu diesem Zweck konnte die Stiftung den historischen Bünlastall in Nufenen (alte Suste erbaut ca. 1680-1700) erwerben und sanieren. Hier wird momentan die Sammlung, die aus Objekten der Region Hinterrhein/Rheinwald besteht, auf Wunsch Einzelpersonen oder Gruppen gezeigt.
Aus dem etwas umfangreicheren Sammlungsbestand der Stiftung wurden 63 Keramikobjekte ausgewählt und dokumentiert (14 Irdenware, 5 Fayence, 27 Steingut, 12 Steinzeug und 5 Porzellan). Alle diese Objekte stammen aus dem Verbrauchermilieu der Region Hinterrhein/Rheinwald, die, wie die übrigen Talschaften Graubündens, in der Regel durch Hausierer oder Säumer mit Haushaltskeramik versorgt wurde. Die Keramik wurde ausserhalb des Kantons oder sogar im Ausland produziert. Lokal hergestellte Keramik gibt es nicht. Bündnerische Keramik aus St. Antönien oder Bugnei fehlt erklärlicherweise aufgrund der Distanzen. Das vorhandene Keramikspektrum des Walseramas deckt sich mit wenigen Ausnahmen ansonsten sehr gut mit den Vorstellungen, was man in einer so jungen Museumsgründung in Graubünden an Keramik erwarten kann. Es sind Exponate aus quasi allen nach Graubünden exportierenden Herstellungsregionen vertreten.
Hierzu gehören Schüsseln mit scharfkantigem Kragenrand und Henkeltöpfe mit charakteristischem Horizontalstreifendekor aus der Region Berneck SG. Sie dürften in die Zeit zwischen etwa 1870 und 1920 gehören.
Selbstverständlich ist auch manganglasiertes Geschirr mit den charakteristischen Kaffeekannen und Suppenschüsseln vertreten, wobei zwei Kaffeekannen, aufgrund der Blindmarken aus der Tonwarenfabrik Aedermannsdorf SO stammen und zu den jüngsten Produkten dieser Keramikgattung gehören (um 1935-1950).
Importe aus der Region des Genfersees sind ebenfalls vorhanden. Man erkennt sie regelhaft an der hellgelben Glasur über der weissen Grundengobe und den charakteristischen Formen. Im Kanton Graubünden sind vor allem die zylindrischen Henkeltöpfe (Milchtöpfe) beliebt, aber auch zylindrische Vorratsgefässe (Einmachtöpfe) vorhanden. Die Masse dieser Objekte scheint aus der Zeit um 1900 bzw. dem frühen 20. Jahrhundert zu stammen.
Jüngere Henkeltöpfe aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind auch vorhanden. Der Henkeltopf mit den braunen Horizontalstreifen lässt sich stilistisch der Töpferei Otto Dünner (ab 1904 oder 1909?) oder der Tonwarenfabrik Dünner AG (ab 1938 bis 1999) aus Kradolf-Schönenberg im Kanton Thurgau zuordnen (Heege 2016, 100-101). Keramik dieser Töpferei fand sich verschiedentlich in Graubünden (MRS_1986.6039, MTS_2020-12, MVO_2041_V587, NH-KL_NH_ohneInv_01, OMS_44). Es gibt auch Vergleichsobjekte im Schweizerischen Nationalmuseum in Zürich (SNM LM-71489) und in der Ortsgeschichtlichen Sammlung Berneck (Inv. 2010-1587).
Der rosafarbige Milchtopf mit dem schablonierten und aufgespritzten Blumendekor gehört in eine in Graubünden häufige, aber immer ungemarkte Keramikgruppe der 1920er-1950er-Jahre. deren Produktionsort unbekannt ist. Möglicherweise wurde diese Ware vor allem über Versandhauskataloge (z. B. Jelmoli, Zürich) vertrieben.
Eine bunte Jugendstilkanne stammt aus dem Kanton Bern und wurde wohl zwischen 1916 und 1920 in der “DESA” in Steffisburg hergestellt.
Eine kleine Schnapsflasche (Stöpsel fehlt) wurde um 1935/1936 in der Luzerner Keramik unter Emil Loder hergestellt. Als Dekoration zeigt sie Bauerntanzszenen nach Renaissancevorbildern.
Zwei weitere Irdenwareobjekte finden auch andernorts in Graubünden Parallelen:
Aus der Keramikfabrik Heinrich Landert in Embrach im Kanton Zürich stammt ein patentierter Milchentrahmer, der vermutlich für eher kleinere Haushaltsmengen gedacht war.
Eine typische, innen weiss engobierte Schüssel wurde durch die Firma Chapuis & Cie. in Bonfol im Kanton Jura hergestellt.
Die wenigen vorhandenen Fayencen spiegeln ebenfalls die Situation im übrigen Graubünden.
Überraschend ist allein die Tatsache, dass das älteste Stück der Sammlung (ca. 1700-1750?) ein unverzierter Fayence- Breitrandteller ist. Identische Formen im Rätischen Museum tragen ansonsten als Auftragsarbeiten die Wappen reicher Bündner Familien (von Salis, von Planta: z.B. RMC_H1971.501, RMC_H1971.1103, RMC_H1971.1105).
Eine schöne, bunt bemalte Schüssel gehört zu einem charakteristischen Gefässtyp, der sowohl im Rätischen Museum , als auch in zahlreichen Museums- und Privatsammlungen in Graubünden (ME-STM 0362, ME-STM 0364, ME-STM 0365, ME-STM 3363, HMP 2230, 2074, 2199) vertreten ist und für den ausserhalb Graubündens bislang der Nachweis fehlt. Momentan gehen wir davon aus, dass dieser Schüsseltyp an zahlreichen Orten in der Lombardei und im Piemont (u.a. Pavia, Lodi, Cunardo und Premia) zwischen etwa 1750 und 1850 gefertigt worden sein kann (Novasconi/Ferrari/Corvi 1964; Martelli/Bianchetti/Volorio 2003, 94-98; Salsi 2001, Kat. 204; auch Musei Civici die Pavia Inv. H185, H191, H194, H195), doch fehlen offenbar umfangreichere italienische Studien zum Thema. Warum gerade dieser Schüsseltyp in Graubünden so beliebt war und wer ihn importierte (Direktimport durch Säumer?), entzieht sich unserer Kenntnis.
Aus der Fayenceproduktion des Kantons Zürich in Kilchberg-Schooren liegt ein Teller mit Schuppenrand vor. Da der zentrale Spruch “Der Freundschaft geweiht” mit einer Schablone aufgemalt wurde, können wir wohl von einer Datierung um die Mitte des 19. Jahrhunderts ausgehen. Leider sind nur wenige Kilchberg-Schooren-Fayencen datiert, sodass uns immer noch ein verlässliches Gerüst für die Datierung der Dekorentwicklung fehlt (vgl. zuletzt Ducret 2021).
Selbstverständlich dürfen Fayence-“Boccalini” wohl aus italienischer Produktion der zweiten Hälfte oder des späten 19. Jahrhunderts nicht fehlen. Auch hier ist der exakte Hersteller unbekannt. Parallelen sind u.a. aus dem Puschlav und dem Engadin bekannt (KM-SMP_024, CPS_0054).
Erstaunlicherweise hat sich auch die Werkstatt von Heinrich Meister und Gertrud Meister-Zingg in Dübendorf-Stettbach bei Zürich in der Zeit des Zweiten Weltkrieges oder kurz danach mit der Produktion dieser Gefässform befasst.
Beim Steingut sind, wie üblich, zahlreiche europäische Hersteller vertreten, darunter auch solche aus der Schweiz.
Hervorzuheben ist ein zylindrischer Henkeltopf (Milchtopf) mit Deckel aus der Zeit um 1850-1860, dessen Form sich auch im Musterbuch der Manufaktur Scheller in Kilchberg-Schooren unter Nr. 18 findet. Der blaue, immer leicht verlaufen wirkende Umdruckdekor “Rosen”, ist für die Scheller’sche Manufaktur auch andernorts zahlreicher belegt (Ducret 2007, 89-90 Abb. 300-303).
Möglicherweise stammt auch eine ungemarkte Ohrenschale mit Schwämmeldekor aus Kilchberg-Schooren.
Die Ziegler’sche Tonwarenfabrik in Schaffhausen ist mit einer kleinen, gemarkten Terrine vertreten, die wohl bald nach 1876 entstanden sein dürfte (Ziegler-Keramik 2003, 27).
Ein weiterer Teller mit Pinsel- und Schablonendekor entstand vermutlich erst in der Zeit um 1940-1950. Er trägt einen Teil des “Unser Vater”-Gebetes “Unser täglich Brot gib uns heute”, was in dieser Zeit sehr typisch ist.
Blumenmalereien auf Steingutgeschirr waren auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer noch beliebt und wurden von unterschiedlichen Herstellern produziert. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Teller aus der Manufacture de poteries fines de Nyon S. A., der zwischen etwa 1940 und 1950 entstanden sein dürfte (vgl. HMO.8249). Im Prinzip setzt dieser Teller die Motivtraditionen fort, die schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts in Kilchberg-Schooren begannen und vor allem auch charakteristisch für die süddeutschen Steingutmanufakturen waren.
Zwei ungemarkte Teller dürften um 1850-1860 in Zell am Harmersbach entstanden sein (vgl. HMD_SaPa_109, ME-STM 1137, 1138, 1468, 1470, alle gemarkt ZELL), jedoch lassen sich Teller aus Kilchberg-Schooren davon nur schlecht unterscheiden (vgl. auch Ducret 2007).
Ebenfalls in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts gehört eine Ohrenschale mit schwarzem Umdruckdekor, die bei Utzschneider und Cie. im französischen Sarreguemines entstand.
Zahlreich belegt sind die typischen Hygiene- und Waschgeschirre des späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Meist handelt es sich um die Produkte grosser deutscher oder französischer Hersteller, wie Villeroy & Boch in Mettlach oder Wallerfangen.
Gut vertreten sind aber auch die mitteldeutschen Werke in Elsterwerda oder Colditz mit ihren typischen, grossen Formnamen, die als Blindmarke mitgegossen wurden.
Eine besonders schöne Jugenstil-Waschschüssel wurde in der Steingutfabrik von Franz Anton Mehlem in Poppelsdorf bei Bonn hergestellt.
Zwei weitere Steingutobjekte stammen aus der Steingutfabrik im hessischen Wächtersbach bzw. der Schramberger Majolika-Fabrik im württembergischen Schramberg. Sie datieren ebenfalls in das frühe 20. Jahrhundert.
Graues und kobaltblau bemaltes Steinzeug “Westerwälder Art” ist mit typischen Vorratsgefässen und Mostkannen vertreten.
Doppelhenkeltöpfe dieser Form wurden im 18. Jahrhundert entwickelt und bis ins 20. Jahrhundert kontinuierlich produziert. Jüngere Töpfe sind zylindrisch. Eingestempelte Litermarken unter einem Henkel verweisen auf eine Produktion im 20. Jahrhundert. Die in der Schweiz verwendeten Töpfe können aus dem elsässischen Oberbetschdorf stammen oder wurden aus dem deutschen Westerwald importiert. Da sie wasserdicht und chemisch stabil sind, eignen sie sich besonders gut für die Einlagerung von Sauerkraut oder anderem saurem Gemüse, für Butterschmalz oder die mehrmonatige Konservierung von Eiern mit Hilfe von Wasserglas (wasserlösliche glasartige, also amorphe, nicht-kristalline Alkalisilikate, Verbindungen mit der Zusammensetzung M2O · n SiO2 mit n = 1 bis 4), was auf der Innenseite der Gefässe charakteristische weisse, steinartig harte Spuren hinterlässt.
Wasserglas wurde u.a. in Apotheken und Drogerien unter dem Namen Garantol verhandelt.
Schenkkannen mit einfachem Ritz- oder Pinseldekor sind quasi nicht genauer datierbar. Sie wurden noch bis weit ins 20. Jahrhundert in identischer Form und Dekoration hergestellt (Dippold/Zühlcke/Scheja 2008, 491-507).
Aus der Sammlung des Walseramas wurde nur wenig Porzellan aufgenommen, da die vorhandenen Stücke meist ungemarkt sind oder erst nach 1950 angefertigt wurden. Es gibt davon nur wenige Ausnahmen.
Dabei handelt e sich z.B. um zwei japanische Porzellan-Teller aus Kutani, Kaga Provinz, die wohl im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gefertigt wurden. Sie stammen aus dem Besitz von Dr. Andreas Trepp aus Nufenen “Haus Gruaba” (27.10.1887-30.08.1945), der als Tuberkulosearzt seit 1931 Direktor des Quezon Instituts bei Manila und Leibarzt von Manuel L. Quezon, dem ersten Präsidenten der Philippinen, war (gestorben 1.8.1944). Er floh mit Quezon während der Eroberung der Philippinen durch Japan via Australien in die USA, wo er 1942 ankam. Möglicherweise stellen die Teller ein früheres Reisemitbringsel oder ein Geschenk an Dr. Trepps Eltern in Nufenen dar.
Wesentlich profaner ist eine Suppenterrine aus bayerischem Porzellan, die in die Zeit zwischen 1930 und 1950 datiert werden kann.
Den Abschluss bilden eine Sauciere und eine ovale Platte mit Aufglasur-Druckdekor. Die beiden wurden 1942 und 1950 gerfertigt.
Dank
Die CERAMICA-Stiftung dankt den Mitarbeitern des Walseramas, vor allem aber J.F. Tschopp, sehr herzlich für die freundliche und interessierte Unterstützung der Inventarisationsarbeiten.
Bibliographie:
Dippold/Zühlcke/Scheja 2008
Christine Dippold/Sabine Zühlcke/Dagmar Scheja, Westerwälder Gebrauchsgeschirr von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre. Teil 1: Texte und Firmenverzeichnis. Teil 2: Katalog der Gefässe und Nachdrucke ausgewählter Warenverzeichnisse, Nürnberg 2008.
Ducret 2007
Peter Ducret, Bedrucktes Steingut aus der Manufaktur Scheller in Kilchberg, in: Keramik-Freunde der Schweiz, Mitteilungsblatt Nr. 119/120, 2007.
Ducret 2021
Peter Ducret, Seltene Dekore auf Fayencen der Manufaktur Nägeli in Kilchberg, in: Revue Keramikfreunde der Schweiz 136, 2021, 51-82.
Heege 2016
Andreas Heege, Die Ausgrabungen auf dem Kirchhügel von Bendern, Gemeinde Gamprin, Fürstentum Liechtenstein. Bd. 2: Geschirrkeramik 12. bis 20. Jahrhundert, Vaduz 2016.
Martelli/Bianchetti/Volorio 2003
Alessandro Martelli/Gianfranco Bianchetti/Paolo Volorio, La manifattura delle ceramiche di Premia (1808–1862), Villadossola 2003.
Novasconi/Ferrari/Corvi 1964
Armando Novasconi/Severo Ferrari/Socrate Corvi, La ceramica Lodigiana, Lodi 1964.
Salsi 2001
Claudio Salsi, Museo d’Arti Applicate – Le ceramiche, Tomo secondo, Milano 2001.
Ziegler-Keramik 1993
Museum zu Allerheiligen (Hrsg.), Ziegler-Keramik. Ziegler’sche Thonwarenfabrik AG Schaffhausen (1828-1973), Schaffhausen 1993.