Archive

Moustiers-Sainte-Marie, Dép. Alpes-de-Haute-Provence F

Fayencen aus Moustiers in CERAMICA CH

Geschichte der Fayencen aus Moustiers

Liste der wichtigsten Dekore

Bibliographie (Dank geht an die Académie de Moustiers)

Diese Liste, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, enthält die wichtigsten Werke über Fayencen von Moustiers :

  • Dr Jean-Claude Alary, Les chinois de grand feu, un décor méconnu des faïences de Moustiers, Nîmes, 2008.
  • Dr Jean-Claude Alary, Les grotesques, un décor original de la faïence de Moustiers du XVIIIème siècle, Nîmes, 2014.
  • Louis Arnavon, Une collection de faïences provençales, Marseille, 1902.
  • Marius Bernard, Catalogue de faïences et porcelaines, Marseille 1911.
  • Dr. J. Chompret, J. Bloch, P. Alfassa, Répertoire de la faïence française, S. Lapina, 1935, 6 volumes.
  • Denise Collard, Les faïences de Moustiers : Sèvres et Limoges, RMN, Paris, 1988.
  • Collectif, Trésors des collections privées, musée de Grasse, 1992.
  • Charles Damiron, La faïence artistique de Moustiers, Vve Blot, Lyon, 1919.
  • Jean-Charles Davillier, Histoire des faïences de Moustiers, Marseille et autres, Castel, Paris, 1863.
  • J.-E. Doste, Notice historique sur Moustiers et ses faïences, M. Olive, Marseille, 1874.
  • Eugène Fouque, Moustiers et ses faïences, Remondet-Aubin, Aix-en-Provence, 1891.
  • Dorothée Guillemé Brulon, Moustiers et Marseille, Edition Massin, 1997.
  • Louis Julien, L’art de la faïence à Moustiers, Édisud, Aix-en-Provence ,1991.
  • Louis et Andrée Julien, Faïenciers de Moustiers, biographies et pièces marquées, Equinoxe, Barbentane, 1998.
  • Gilbert-Jean Malgras, Nouveau Tardy – Moustiers, ABC collection, 1985.
  • Jacques Mompeut, Les faïences de Moustiers, Édisud, Aix-en-Provence, 1980.
  • Georges Piolino, Le décor aux grotesques, Delémont, 1998.
  • Marcel Provence, Le musée de Moustiers, Macabet, Vaison-la-Romaine, 1936.
  • Marcel Provence, Olérys, Edition du Feu, Aix-en-Provence 1930
  • Abbé Henry Requin, Histoire de la faïence artistique de Moustiers, Paris, 1903.
  • Henry-J. Reynaud, Faïences de Moustiers, XVIIe et XVIIe siècles, Genève, 1952.
  • Henry-J. Reynaud, Faïences anciennes de Moustiers, Berne, 1961.

Müller, Anna, Grosshöchstetten BE, Keramikerin

Keramiken in der École d’arts appliqués, La Chaux-de-Fonds

Arbeiten von Anna Müller in CERAMICA CH

Anna Müller (1892-1968) war die Tochter des Pfarrers Bernhard Müller (1860-1935) und seiner Frau Anna Müller-Gerber (1863-1931) aus Grosshöchstetten BE (Nachruf Der BUND 5.7.1968). Vom Wintersemester 1911/1912 bis zum Wintersemester 1913/1914 wurde sie an der Keramischen Fachschule in Bern als Porzellanmalerin bzw. Keramikerin ausgebildet (Messerli 2017, 70-71 und Schülerlisten). Dabei lernte sie u.a. Frieda Lauterburg, Elisabeth Strasser, Adolf Schweizer und Hans-Rudolf Wittwer kennen, der später als Keramikmaler auch für die DESA in Steffisburg, Emil Loder in Luzern bzw.  bei der Ziegler’schen Tonwarenfabrik in Schaffhausen arbeitete und malte.

Bereits im Januar 1911 zeigte Anna Müller zusammen mit Oswald Kohler (Schüpbach), Adolf Gerber-Kohler (damals noch Schüpbach) und Johann Röthlisberger (Langnau) Keramiken, die im Rahmen eines von Paul Wyss geleiteten Töpferkurses des Handwerkervereins Langnau entstanden waren (Der Bund 18.1.1911). Der Ausstellungsort war die «Kunstindustrie-Ausstellung des Kantonalen Gewerbemuseums in Bern».

Ausstellungsfoto Landesausstellung Zürich 1914 (Conradin 1914).

Ausstellungsbesprechung zur Landesausstellung in der Zeitung Der Bund 9.10.1914.

1914 stellte Anna Müller zusammen mit Adolf Gerber, Johannes Röthlisberger und Frieda Lauterburg auf der Landesausstellung in Zürich aus. Vermutlich arbeitete sie zu diesem Zeitpunkt auch in der Werkstatt Gerber in Langnau.

 

Terrine im Stil Alt-Langnau” von Adolf Gerber, Langnau, signiert “AM”, was als Anna Müller aufgelöst werden kann. Foto Andreas Heege, heutiger Standort unbekannt.

Set von Vorratsdosen signiert “AM”, möglicherweise in der Werkstatt von Adolf Gerber in Langnau entstanden.

Der Entwurf zu den Vorratsdosen fand sich im Werkstattnachlass von Adolf Gerber.

Arbeiten von Anna Müller vor 1916, in Franziska Anner, Die kunstgewerbliche Arbeit der Frau in der Schweiz, Chur 1916, Taf. 41.  Der Einfluss des Bernischen Kunstgewerbelehrers Paul Wyss ist unverkennbar.

1916 wurden ihre keramischen Arbeiten durch Franziska Anner in der Publikation “Die kunstgewerbliche Arbeit der Frau in der Schweiz” gewürdigt (Anner 1916; Besprechung in der NZZ 31. Juli 1917). Für Teile der 1916 gezeigten Keramiken (u.a. die Fruchtschale auf hohem Fuss, fanden sich Transparent-Umzeichnungen im archivalischen Nachlass der Hafnerei Röthlisberger in Langnau. Hat Anna Müller also zeitweise auch dort gearbeitet?

Nach diesem Datum gibt es keine Anhaltspunkte mehr für weitere keramische Arbeiten oder Ausstellungen. Beim Tod der Mutter wird 1931 als Aufenthaltsort St. Stephan BE angegeben. Beim Tod des Vaters 1935 Burgdorf BE. Das wird verständlich, wenn man bedenkt, dass sie 1932 Leiterin des Greisenasyls Burgdorf wurde (Der BUND 19.12.1931).

Nachruf 1968.

1948-1957 leitete sie ein Alten- und Pflegeheim in Laupen BE und von 1957 bis 1965 arbeitete sie in einer Buchhandlung in Interlaken BE, bevor sie in ihren letzten Lebensjahren nach Grosshöchstetten zurückkehrte (Nachruf im BUND 5.7.1968).

Bibliographie:

Anner 1916
Franziska Anner, Die kunstgewerbliche Arbeit der Frau in der Schweiz, Chur 1916.

Conradin 1914
Christian Conradin, Der Bazar im Dörfli, in: Heimatschutz. Zeitschrift der Schweizer. Vereinigung für Heimatschutz 9, 1914, Heft 6, 89-98.

Messerli 2017
Christoph Messerli, 100 Jahre Berner Keramik. Von der Tuner Majolika bis zum künstlerischen Werk von Margrit Linck-Daepp (1987-1983). Hochschulschrift (Datenträger CD-ROM), Bern 2017, bes.  70-71.

Muttenz BL, Mascarin, Mario (1901-1966)

Breitrandteller von Mario Mascarin, Privatbesitz.

Mario Mascarin  (* 17.05.1901 in Rivarolo Ligure – † 19.06.1966 in Muttenz)
war ein italienischstämmiger, bedeutender Keramiker. Seine Keramiken und seine Sonderkurse für Berufsleute an der Kunstgewerbeschule  in Zürich (1951-1953) und die Teilnahme an verschiedenen Ausstellungen im In- und Ausland prägten die Arbeiten zahlreicher anderer Keramikerinnen und Keramiker der Schweiz (Geiger 1967).

Über sein Leben und sein Werk informieren verschiedene digitale Medien (Miriam Baumeister) und Publikationen, denen die folgenden Kurzinformationen entnommen sind (Baeriswyl-Descloux 2007; Barten 1998; Filliol/Lambercy/Schnyder u.a. 2006, dazu Webseite: www.mascarin.ch mit zahlreichen Keramikfotos).

1901 Geburt in Rivarolo Ligure (Italien), Jugend in Venedig.
1920 bis 1923 machte er zunächst eine Ausbildung als Buchhalter und leistete Militärdienst. 1924/25 Studienaufenthalt in Wien, journalistische Tätigkeit zu arbeiten.
1926 erster Kontakt mit Keramik in einer Manufaktur in Nove di Bassano in Italien eine 1927/28 Kunstkritiker und Journalist im Tessin.
1929-1932 Sonderkorrespondent in Norwegen. Anschliessend dort im Exil und Ausbildung zum Keramiker in einer kleinen Töpferei.
1932 Rückkehr ins Tessin, Arbeit als Kunstkritiker.
1936-1940 Freier Mitarbeiter der Töpferwerkstatt Waidberg in Zürich.
1940 bis 1943 Betriebsleiter der Kunstkeramikabteilung der Ziegelei Thayngen. Dort Kontakt zu den Schweizer Keramikern Edouard Chapallaz und Philippe Lambercy.
1944-1946 Betriebsleiter der Keramikfirma Paul Eisen-Picard (Peba)  in Basel. Diese Firma lässt sich zwischen 1919 und 1954 im Schweizerischen Handelsamtsblatt nachweisen.
1946-1966 eigenes Keramikatelier in Muttenz.
1951-1953 Sonderkurse für Berufsleute an der Kunstgewerbeschule  in Zürich.
1959 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Schweizer Keramik (ASK).

Fünf Teller (1950-1966), gemarkt, aus der Werkstatt Mascarin, Privatsammlung

Mario Mascarin gilt als Pionier der Steinzeugkeramik in der Schweiz und als Vorreiter in Glasurtechniken bei hohen Temperaturen. Zwischen 1955 und 1965 stellte er seine Werke an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland aus (Liste in Filliol/Lambercy/Schnyder u.a. 2006, 7), zuletzt 1965 in der grossen Ausstellung zur Keramik der Schweiz im Helmhaus in Zürich (Schnyder 1966). 2006 konnte ein Teil der Keramiksammlung aus dem Familiennachlass auf einer Sonderausstellung gezeigt werden (Filliol/Lambercy/Schnyder u.a. 2006). 2017 wurden Stücke aus seiner Herstellung auf der Ausstellung “Von der Ziegelfabrik Hofen zum Tonwerk Thayngen” in Thayngen gezeigt (Schiendorfer 2017).

Marken und Keramiken von Mario Mascarin unter Keramik Signaturen Schweiz.
Keramik von Mario Mascarin im Schweizerischen Nationalmuseum in Zürich
und im Musée Ariana in Genf. Keramiken auch im Museum für Gestaltung Zürich.

Bibliographie:

Baeriswyl-Descloux 2007
Baeriswyl-Descloux, Michèle: Mascarin, Mario. In: Historisches Lexikon der Schweiz.

Barten 1998
Sigrid Barten, Mario Mascarin, in: Cerâmica da Suìça do Renascimento aos nossos dias. Ceramics from Switzerland from Renaissance until the Present. Museu Nacional do Azulejo, Lissabon 1998, 160-165.

Filliol/Lambercy/Schnyder u.a. 2006
Claude Filliol/Philippe Lambercy/Rudolf Schnyder u.a., Mario Mascarin – La Ceramica, Riehen 2006.

Geiger 1967
Benno Geiger, Erinnerungen an Mario Mascarin, in: Schweizer Keramik 3, Januar 1967.

Schiendorfer 2017
Andreas Schiendorfer, Thayngens Beitrag zu moderner Kunstkeramik, in: Thaynger Anzeiger, 5. Dezember 2017.

Schnyder 1966
Rudolf Schnyder, Schweizer Keramik der Gegenwart, in: Keramikfreunde der Schweiz Mitteilungsblatt 69, 1966, 3-8.

Nyon VD, Die Steingutmanufakturen (1)

Roland Blaettler, 2019

Für die beiden historischen Steingutfabriken in Nyon, die im 19. Jahrhundert rund zehn verschiedene Firmennamen trugen, wies die bisher publizierte Dokumentation grosse Lücken auf. Wir haben versucht, diese Lücken möglichst gut zu schliessen, indem wir verschiedene Bestände des Gemeindearchivs Nyon, wie etwa die Protokolle der Gemeinde, konsultiert haben. Für die jüngste Zeit haben wir eine Fülle an wertvollen Informationen in der Waadtländer Presse gefunden, namentlich über die Plattform «Scriptorium», die von der Bibliothèque cantonale et universitaire in Lausanne verwaltet wird. Allerdings ist die Zeit für solche Nachforschungen bei einem Projekt wie dem unseren zwangsläufig begrenzt, und wir mussten uns häufig auf Stichproben beschränken. In diesem Bereich, der offensichtlich weniger prestigeträchtig ist als die Porzellanbranche und der noch viele Unklarheiten birgt, bräuchte es systematischere Archivrecherchen und eine Erweiterung des Forschungsfelds.

Der erste Versuch, die Geschichte des Steinguts aus Nyon zu skizzieren, war ein nicht unterzeichneter Artikel im Journal de Nyon vom 6. und 11. April 1893 mit dem Titel «Industrie de Nyon: La porcelaine et la poterie à Nyon». Verfasst hat den Text Jules Michaud, Direktor der Manufacture de poteries fines, des Unternehmens, das direkt von der alten Porzellanmanufaktur abstammte. Michaud stützte sich damals auf die nicht sehr ergiebigen Archive der Manufaktur, die heute im Gemeindearchiv von Nyon lagern (ACN, R 810, Fonds Fernand Jaccard – diese Archivschachtel umfasst ebenfalls das Typoskript von Michauds kleiner Studie). Enthalten sind hauptsächlich eine Reihe von notariellen Urkunden zu bestimmten Eigentumsübertragungen an der Spitze der Manufaktur oder zum Erwerb von Grundstücken im 19. Jahrhundert. Spätere Dokumente betreffen ausschliesslich Vorgänge zur Anstellung von Albert Jaccard als Direktor im Jahr 1936.

Aloys de Molin eher kurz auf das Kapitel der Steingutproduktion in Nyon ein (De Molin, 1904, 73 und 74). Er beschreibt die Reorganisation der Porzellanmanufaktur, als Dortu und seine Gesellschafter 1809 beschliessen, selbst in die Steingutproduktion einzusteigen. De Molin dokumentierte insbesondere die Liquidation der Manufaktur im Jahr 1813, die Gründung der neuen Gesellschaft, die sich ausschliesslich dem Steingut widmete unter dem Namen «Bonnard et Cie», sowie den Eintritt von Jean-Louis Robillard ins Unternehmen. Dabei stützte er sich auf das erwähnte Unternehmensarchiv (De Molin 1904, 74–79).

Thérèse Boissonnas-Baylon interessiert sich in ihrem Beitrag aus dem Jahr 1918 unter dem Titel «Faïenceries et faïenciers de Lausanne, Nyon et Carouge» ausschliesslich für die Geschichte ihrer Vorfahren, der Familie Baylon, in der Genferseeregion. Sie hat als Erste zu diesem Thema systematische Nachforschungen in den kantonalen Archiven des Kantons Waadt sowie in den kommunalen Archiven von Lausanne und Nyon angestellt. Auch heute noch basiert unser Wissen über die erste Steingutmanufaktur, seit sich Moïse II Baylon in Nyon niedergelassen hatte bis zum Tod von Georges-Michel de Niedermeyer, hauptsächlich auf ihrer Arbeit (Boissonnas-Baylon 1918, 69–83).

1985 versuchte Edgar Pelichet ein komplettes Bild der Steingutindustrie in Nyon zu zeichnen, das auch die Gegenwart umfasste, bis zur Schliessung der Manufacture de poteries fines im Jahr 1978. Der Autor stützte sich stark auf die Arbeiten seiner Vorgänger und auf Aussagen ehemaliger Mitarbeiter der verschiedenen Unternehmen, ohne genaue Referenzen zu den verschiedenen Quellen vorzulegen. Das Werk von Pelichet enthält so viele ungenaue Angaben und Fehler, dass es nur mit grösster Vorsicht verwendet werden kann (Pelichet 1985/2).

Wir haben die Geschichte der verschiedenen Steingutmanufakturen, die es in Nyon zwischen dem Ende des 18. und dem 20. Jahrhundert gegeben hat, in drei Perioden aufgeteilt: die erste Manufaktur – die zweite Manufaktur – die Manufacture de poteries fines de Nyon SA.

Die erste Manufaktur:

– Die Baylons, 1779–1814

– Niedermeyer und Mülhauser, 1814–1829

– Fol-Lugeon, 1831–1841 (?)

Die Baylons, 1779–1814

Die erste Herstellung von Steingut in Nyon kann Moïse II Baylon zugeschrieben werden (1736–1793). Nachdem er 1779 nach einem kurzen Aufenthalt in Genf aus Lausanne eingetroffen war, richtete er sich in einem Gebäude ein, das er erworben hatte. Es befand sich am Anfang der Route de Lausanne, auf der Seeseite (Boissonnas-Baylon 1918, 71–72). Zwischen 1773 und 1775 weilte Moïse im Ausland, um die Herstellung von «moderner Fayence» zu studieren (d. h. Steingut – Boissonnas-Baylon 1918, 70–71). 1784 erhielt er von der Obrigkeit in Bern eine Befreiung vom «kleinen Zoll» für die Beförderung seiner Produkte in die französischsprachigen und die deutschsprachigen Teile des Kantons (De Molin 1904, 19–20; Boissonnas-Baylon 1918, 75–76).

Als er sich in Nyon niederliess, produzierte Baylon höchstwahrscheinlich vor allem zunächst gewöhnliche, blei-zinnglasierte Fayencen. Mit der Zeit und nachdem er die erforderlichen Rohstoffe gefunden hatte, begann er mit der Produktion von Steingut, wie eine Erklärung von Ferdinand Müller, dem Gesellschafter von Dortu, vor dem stellvertretenden Landvogt von Nyon am 5. März 1787 zu bestätigen scheint. Müller war angeklagt, heimlich die Überführung der Porzellanmanufaktur von Nyon nach Genf vorzubereitet zu haben. Er behauptete, dass er keinesfalls die Absicht hegte, in Genf ein ähnliches Unternehmen zu eröffnen wie in Nyon [eine Porzellanmanufaktur], sondern eine «Fabrik für Pfeifenerde oder englische Erde und Fayence, da es dem Land daran mangle; und um der Keramikfabrik von Herrn Baylon nicht zu schaden, die hier bereits angesiedelt sei, habe er sich entfernt» (De Molin 1904, 34). Baylon stellte 1787 aber bereits Steingut her – bezog sich die mögliche Konkurrenz, die Müller angeblich vermeiden wollte, also hauptsächlich auf die gewöhnliche Fayence?

In Schloss Nyon (Inv. 4105) gibt es ein Heft mit Notizen aus den Jahren 1828–1834, die hauptsächlich von Antoine Louis Baylon, dem Enkel von Moïse II, verfasst wurden. Er unterstützte damals seine Mutter an der Spitze der Manufaktur, die von seinem Vater Abraham in Carouge gegründet worden war. Antoine hielt darin u. a. die Anleitungen seines Grossvaters für die Herstellung von Steingut fest (Maggetti 2017). Isabelle Dumaret hat dieses Dokument als Erste ausgewertet und leitete daraus ab, dass Moïse nicht in der Lage war, vor 1790 Steingut zu produzieren, wenn er effektiv ab 1789 seine ersten Versuche in Angriff nahm (Dumaret 2006, 21, 65).

Wir wissen übrigens, dass der Genfer Chemiker und Naturwissenschaftler Henri-Albert Gosse, einer der Förderer der Genfer Steingutfabrik in Les Pâquis, Moïse Baylon im Juni 1788 besuchte, und zwar unter dem Vorwand, Apothekertöpfe bestellen zu wollen. Effektiv wollte er sich aber diskret über die Herstellungsverfahren informieren. Baylon soll ihm «wunderbaren weiss-blauen Ton» gezeigt haben, der seinen Aussagen zufolge aus der Nähe von Nyon kam. Gosse ging aber davon aus, dass der betreffende Ton eher aus Köln oder Limoges stammte. Baylon übergab ihm gar eine Brennprobe, «die ziemlich weiss war, deren glasartiger Überzug ab einer bestimmten Dicke jedoch grünlich schimmerte» (Entwurf eines Briefs von Gosse an Marc-Auguste Pictet, 2. Juni 1788, zitiert in: Sigrist und Grange 1995, 34).

Unabhängig vom genauen Zeitpunkt, zu dem die Geschichte des Steinguts in Nyon ihren Lauf nahm, konnte Moïse seinen Erfolg nicht lange geniessen: 1793 verstarb er frühzeitig. Seine Witwe Sophie, geb. Dapples (1751–1814), führte den Betrieb weiter, zuerst alleine, anschliessend ab 1798 gemeinsam mit ihrem Sohn Albert. Nachdem auch Albert 1803 jung verstorben war, stand Sophie alleine an der Spitze des Unternehmens, während ihr Sohn Abraham sich einige Monate zuvor der Steingutfabrik von Louis Herpin in Carouge angeschlossen hatte.

Die von den Baylons im Jahr 1784 erlangten Zollbefreiungen waren ausdrücklich mit der Verpflichtung verbunden, ihre Produkte bis mindestens 1803 zu kennzeichnen (Boissonnas-Baylon 1918, 76). Dennoch sind wir immer noch nicht in der Lage, die Kennzeichnung und die Produktion der Baylons in Nyon zu identifizieren, weder in der Kategorie normale Fayence noch beim Steingut. Möglicherweise wurde bei dieser Kennzeichnung schlicht der Familienname «Baylon» als Blindmarke eingedrückt. In diesem Fall wäre Abraham Baylon, der die Leitung der Manufaktur Herpin in Carouge 1802 übernommen hatte, gezwungen gewesen, eine andere Kennzeichnung zu wählen. Eine Marke «BAYLON À CAROUGE» ist zwar belegt, allerdings wurde sie insgesamt nur an vier Objekten festgestellt (Dumaret 2006, 62–63, Abb. 38a und 38b). In der Kollektion des Musée de Carouge sind einige Teller, wohl frühe Werke, mit «BAYLON» in sehr kleinen Buchstaben gekennzeichnet und heben sich klar von der geläufigsten Kennzeichnung aus Carouge ab. Vielleicht sollte diese Spur noch weiterverfolgt werden.

Aloys de Molin, Kurator des Archäologischen Museums in Lausanne (Musée archéologique) und erster Historiker der Porzellanmanufaktur in Nyon, hat sich offenbar für diese Frage interessiert. 1903 hat er für das Lausanner Museum einige Fayencen mit einem Kornblumendekor erworben, die er vage mit «Nyon» assoziierte (MCAHL 29384; MCAHL 29385; MCAHL 29310; MHL AA.MI.989).

Das Historische Museum in Vevey (Musée historique) bewahrt seinerseits einen Teller mit fassoniertem Rand, der aus der gleichen Produktion stammen könnte (MHV 57).

Das Kornblumenmotiv wies offensichtlich eine starke Assoziation mit den Werken aus Nyon auf. In den Fällen, die uns interessieren, ist klar, dass diese Fayencen aus der Schweiz und höchstwahrscheinlich aus der Waadt stammen. Wir können allerdings nicht mehr dazu sagen. Wenn sie aus Nyon stammen, würden die formspezifischen und stilistischen Merkmale auf jeden Fall darauf hinweisen, dass sie eher nach Moïses Tod hergestellt wurden.

De Molin hat ebenfalls Steingut gekauft, auch mit Kornblumendekor, z.B. ein unvollständiges Service, das 1906 «Baylon» zugeordnet wurde (MCAHL 30095; MCAHL 30094; MCAHL 30100; MCAHL 30110; MCAHL 30098; MCAHL 30101). Allerdings gehen wir heute davon aus, dass es aus englischer Produktion stammt, auch wenn die Herkunft nicht genauer ermittelt werden konnte (Mitteilung von Diana Edwards und John Mallet, London).

Weiter gibt es noch zwei Kompottschalen, die ebenfalls mit Kornblumen verziert sind und die wahrscheinlich gleichzeitig erworben wurden, deren Machart aber eher rudimentär ist (MCAHL 30105). Diese Objekte entsprechen augenscheinlich keiner in England oder in Frankreich bekannten Typologie. Die Dicke des Scherbens, die grünliche Färbung des Überzugs und die etwas verblasste Bemalung weisen auf eine Produktion hin, die noch nicht voll ausgereift war, eine Produktion, die an die Probe erinnert, die Moïse Baylon Henri-Albert Gosse bei seinem Besuch im Juni 1788 (siehe oben) übergeben hatte.

Bei den anderen Steingutobjekten, die wahrscheinlich aus der Westschweiz stammen und die allenfalls den Baylons von Nyon zugeordnet werden könnten, weisen wir auf zwei Teller im Nationalmuseum in Zürich hin, deren Spiegel eine Kornblumenzweig ziert und deren Fahne vier einzelne Kornblumen aufweist (SNM LM-21910). Im Eingangsregister des Museums werden sie als «spätes Steingut aus Nyon» qualifiziert. Sie wurden einmal der Fabrik Nägeli in Kilchberg (Spühler 1981, Abb. 6) zugeordnet. Allerdings teilte Rudolf Schnyder diesen Standpunkt nicht.

Pelichet versuchte den Baylons aus Nyon eine Produktion von mehrfarbig dekorierten, glasierten Fayencen zuzuordnen, deren technische und ästhetische Raffinesse offensichtlich nicht den Fähigkeiten des kleinen Unternehmens aus Nyon entsprach (Pelichet 1985/2, 15 und 16 – MHPN MH-FA-4104). Solches Steingut stammt tatsächlich aus der Manufaktur von François-Antoine Anstett in Haguenau (Département Bas-Rhin, Frankreich).

Es sei noch darauf hingewiesen, dass Marino Maggetti im Hinblick auf die verschiedenen Steingutproduktionen in der Genferseeregion (Nyon, Carouge und Charmot in Jussy) seit einigen Jahren einen archäometrischen Ansatz verfolgt. Die ersten Ergebnisse wurden 2017 veröffentlicht (Maggetti und Sernels 2017). Da aber Muster fehlen, die klar den Baylons aus Nyon zugeordnet werden können, lassen sich die Produkte aus Nyon bislang auf diesem Wege ebenfalls nicht ermitteln.

 

Niedermeyer und Mülhauser, 1814–1829

Nach dem Tod von Sophie Baylon-Dapples übernahm ihr Schwiegersohn, Georges-Michel de Niedermeyer (1767–1829), 1814 das Unternehmen im Namen seiner Ehefrau Charlotte (1780–1844; Boissonnas-Baylon 1918, 82). Als ausgebildeter Musiker war Niedermeyer mit der Keramiktechnik nicht vertraut. Um dies zu kompensieren, tat er sich vermutlich 1818/19 mit Pierre Mülhauser (1779–1839) zusammen, nachdem dieser sein Genfer Atelier für Porzellanmalerei geschlossen hatte.

Charles Roch konnte während seiner Suche in den alten Registern der Gemeinde Nyon feststellen, dass Mülhauser im Januar 1819 ein Gesuch zur Erlangung des Niederlassungsrechts eingereicht hatte (Roch 1916, 160). Die Verbindung zwischen Niedermeyer und Mühlhauser hielt bis 1824, als Mülhauser nach Genf zurückkehrte, um anschliessend in Migette (Doubs) die künstlerische Leitung einer Fabrik für Steingut und Ziegel zu übernehmen (Roch 1916, 161).

Die für diese Periode belegten Blindmarken setzen sich aus den Familiennamen zusammen, «NIEDERMEYER et MULHAUSER» (MHPN MH-2003-115) oder «niedermeyer et mulhauser» (MCAHL 30460). Es finden sich auch Marken mit einem «Tippfehler»: «NIEDEERMYER et MULHAUSER» (zwei Beispiele im Musée Ariana, Inv. 013498; 013496). Aus der Zeit vor dem Eintritt von Mülhauser oder nach seinem Abgang sind uns keine Firmenmarken bekannt. Es stellt sich die berechtigte Frage, ob Niedermeyer in diesen zwei Perioden, als er alleine an der Spitze des Unternehmens war, überhaupt produziert hat.

Georges-Michel de Niedermeyer verstarb am 3. Dezember 1829 (Gazette de Lausanne, 9. Februar 1830, S. 5). Fast zwei Jahre nach seinem Tod versuchte seine Witwe Charlotte, das Grundstück und die Gebäude zu verkaufen. In der Ausgabe vom 23. September 1831 veröffentlichte die Gazette de Lausanne (S. 7) folgende Anzeige: «Am Samstag, 1. Oktober 1831, wird Frau Niedermeyer, geb. Baylon, in Form einer öffentlichen Versteigerung […] die Gebäude, Höfe, Nebengebäude und Gärten, die sie in Nyon am Seeufer in der Nähe des Hafens besitzt, wo früher eine Steingutfabrik war […], zum Verkauf anbieten. Der Umfang beträgt insgesamt rund 526 Klafter […]». Dort erfährt man übrigens, dass das Anwesen auch «ein unbebaubares Stück Land von rund 120 Klaftern» umfasste, «En Collovrey [Colovrex] rière Nyon genannt, auf dem Erde für die Fabrik entnommen wurde» (wahrscheinlich Töpferton, der für die gängigsten Produktionen verwendet wurde.

Die Produktion aus der Periode «Niedermeyer und Mülhauser» wird mit vier Objekten in den Kollektionen des Schlosses Nyon und des kantonalen Museums für Archäologie und Geschichte in Lausanne (Musée cantonal d’archéologie et d’histoire) dokumentiert (MHPN MH-FA-4103; MCAHL 30460; MHPN MH-FA-1625; MHPN MH-2003-115).

Das Musée Ariana besitzt sechs Exemplare, fünf Teller und eine Platte. Drei Teller weisen gedruckte Motive auf: zwei Illustrationen einer Fabel von La Fontaine (eines der Motive wurde signiert vom Genfer Graveur Pierre Escuyer [1749–1834]) und ein Fähnrich, flankiert von einem Schild mit dem Genfer Wappen (MAG N 0068 – Pelichet 1985/2, Abb. S. 18 – N 0069 und AR 05121). Die handgemalten Verzierungen, die Kornblumen und die Blumenkränze (z. B. MAG 013497 und N 0186) sind klare Hinweise auf die zeitgleichen Produkte der Manufaktur von Dortu. Das Nationalmuseum besitzt drei mehrfarbig verzierte Teller (blau, grün, gelb und violett-schwarz) bzw. mit einem Fries aus Weinranken und einem Geflecht aus Pflanzen mit Blumen (SNM LM-62020 und LM-19566, LM-19567).

Fol-Lugeon, 1831-1841 (?)

Offenbar wurde die Manufaktur anlässlich des erwähnten Verkaufs von 1831 – und nicht 1829, wie Pelichet behauptet (Pelichet 1985/2, 19) – von Jean-Louis Fol, einem Geschäftsmann aus Genf, übernommen. Seine Frau Jeanne-Marie Pernette Elisabeth, geb. Lugeon, und er hatten im Herbst 1830 einen positiven Bescheid für ihre Niederlassung in der Gemeinde Nyon erhalten (Gemeindearchiv Nyon [ACN], Bleu-A 51, Sitzung vom 1. November 1830). Die Niederlassungsbewilligung wurde ihnen am 14. Januar 1831 ausgestellt (ACN, Bleu-A 51, Sitzung vom 28. Januar). Da diese Vorgänge vor der Transaktion abgewickelt wurden, können wir nicht ausschliessen, dass Fol schon 1830 mit der Witwe Niedermeyer Kontakt aufgenommen hatte, um sich mit dem Unternehmen vertraut zu machen.

Pelichet erwähnt eine Fabrik «Fol et Lugeon», die seit 1829 bestanden haben soll (Pelichet 1985/2, 19). Das einzige Dokument aus dieser Periode, das im MHPN aufbewahrt worden ist, eine Preisliste der Fabrik, zeigt die beiden Familiennamen nacheinander und nicht mit einem «et» verbunden (reproduziert in: Pelichet 1985/2, 19). Fol hat den Namen seiner Frau einfach seinem Namen hinzugefügt, vielleicht weil seine Frau oder ihre Familie am Geschäft beteiligt waren.

Pelichet gibt das Ende der Manufaktur mit 1841 an, allein mit der Angabe, dass das Gebäude damals abgerissen wurde. Da gekennzeichnete Stücke aus dieser Periode äusserst selten sind, zweifeln wir daran, dass die Produktion wirklich zehn Jahre fortgeführt wurde. Die Produkte aus dieser Zeit, die mit dem eingeprägten Familiennamen «Fol» gekennzeichnet waren, sind tatsächlich rar.

Das Schloss Nyon und das kantonale Museum für Archäologie und Geschichte in Lausanne besitzen kein einziges Stück, das Musée Ariana insgesamt nur zwei: einen runden Teller ohne Verzierung (MAG R 0316) und einen achteckigen Teller mit einem Zierrand und einem blauen Umdruckdekor von schlechter Qualität. Zu sehen ist ein Genrebild mit der Unterschrift «La crème» (MAG 001001). Das Bild zeigt eine geschäftige Frau mit einem Kind in einer ländlichen Küche. Auch wenn der bedruckte Teller aus technischer Sicht keine Glanzleistung ist, belegt er doch, dass Jean-Louis Fol Ambitionen hatte. Die Preisliste der Manufaktur, die von Pelichet teilweise reproduziert wurde, zeigt, dass Fol ein ziemlich umfangreiches Formensortiment hatte, insbesondere für Teller, Schüsseln und Platten (Pelichet 1985/2, 19).

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

Gemeindearchiv von Nyon [ACN], Série Bleu A, Registres de la Municipalité – R 810, Fonds Fernand Jaccard.

Waadtländer Presse, consultée sur le site Scriptorium de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne

Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, , 38-40, 266.

Boissonnas-Baylon 1918
Thérèse Boissonnas-Baylon, Faïenceries et faïenciers de Lausanne, Nyon et Carouge. Nos Anciens et leurs œuvres. Recueil genevois d’art VIII, 1918, 55-112.

De Molin 1904
Aloys de Molin, Histoire documentaire de la manufacture de porcelaine de Nyon, 1781-1813, publiée sous les auspices de la Société d’histoire de la Suisse romande et de la Société vaudoise des beaux-arts. Lausanne 1904.

Dumaret 2006
Isabelle Dumaret, Faïenceries et faïenciers à Carouge. Arts à Carouge: Céramistes et figuristes. Dictionnaire carougeois IV A. Carouge 2006, 15-253.

Maggetti 2017
Marino Maggetti, Analyse historique et technologique du carnet de notes du faïencier carougeois Antoine Louis Balyon. Revue des Amis suisses de la céramique 131, 2017, 124-157.

Maggetti et Serneels 2017
Marino Maggetti et Vincent Serneels, Étude archéométrique des terres blanches poreuses («faïences fines») des manufactures de Carouge, Jussy, Nyon et Turin. Revue des Amis suisses de la céramique 131, 158-222.

Pelichet 1985/2
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. Nyon 1985.

Roch 1916
Charles A. Roch, La manufacture de porcelaine des Pâquis (Genève, 1787), Pierre Mülhauser et l’établissement de peinture sur porcelaine du Manège (Genève, 1805-1818). Indicateur d’antiquités suisses, Nouvelle série, 18/2, 1916, 154-162.

Sigrist et Grange 1995
René Sigrist et Didier Grange, La faïencerie des Pâquis. Histoire d’une expérience industrielle, 1786-1796. Genève 1995.

Spühler 1981
Theodor Spühler, Zürcher Fayence- und Steingutgeschirre aus dem “Schooren”, Kilchberg ZH von 1793 bis 1820. Ein Beitrag zur Zürcher Töpferei im 18. und 19. Jahrhundert. Kilchberg 1981.

Nyon VD, Die Steingutmanufakturen (2)

Roland Blaettler 2019

Für die beiden historischen Steingutfabriken in Nyon, die im 19. Jahrhundert rund zehn verschiedene Firmennamen trugen, wies die bisher publizierte Dokumentation grosse Lücken auf. Wir haben versucht, diese Lücken möglichst gut zu schliessen, indem wir verschiedene Bestände des Gemeindearchivs Nyon, wie etwa die Protokolle der Gemeinde, konsultiert haben. Für die jüngste Zeit haben wir eine Fülle an wertvollen Informationen in der Waadtländer Presse gefunden, namentlich über die Plattform «Scriptorium», die von der Bibliothèque cantonale et universitaire in Lausanne verwaltet wird. Allerdings ist die Zeit für solche Nachforschungen bei einem Projekt wie dem unseren zwangsläufig begrenzt, und wir mussten uns häufig auf Stichproben beschränken. In diesem Bereich, der offensichtlich weniger prestigeträchtig ist als die Porzellanbranche und der noch viele Unklarheiten birgt, bräuchte es systematischere Archivrecherchen und eine Erweiterung des Forschungsfelds.

Der erste Versuch, die Geschichte des Steinguts von Nyon zu skizzieren, war ein nicht unterzeichneter Artikel im Journal de Nyon vom 6. und 11. April 1893 mit dem Titel «Industrie de Nyon: La porcelaine et la poterie à Nyon». Verfasst hat den Text Jules Michaud, Direktor der Manufacture de poteries fines, des Unternehmens, das direkt von der alten Porzellanmanufaktur abstammte. Michaud stützte sich damals auf die nicht sehr ergiebigen Archive der Manufaktur, die heute im Gemeindearchiv von Nyon lagern (ACN, R 810, Fonds Fernand Jaccard – diese Archivschachtel umfasst ebenfalls das Typoskript von Michauds kleiner Studie). Enthalten sind hauptsächlich eine Reihe von notariellen Urkunden zu bestimmten Eigentumsübertragungen an der Spitze der Manufaktur oder zum Erwerb von Grundstücken im 19. Jahrhundert. Spätere Dokumente betreffen ausschliesslich Vorgänge zur Anstellung von Albert Jaccard als Direktor im Jahr 1936.

Aloys de Molin geht eher kurz auf das Kapitel der Steingutproduktion in Nyon ein. Er beschreibt die Reorganisation der Porzellanmanufaktur, als Dortu und seine Gesellschafter 1809 beschlossen, selbst in die Steingutproduktion einzusteigen. De Molin dokumentierte insbesondere die Liquidation der Manufaktur im Jahr 1813, die Gründung der neuen Gesellschaft und die sich ausschliesslich dem Steingut widmete unter dem Namen «Bonnard et Cie», sowie den Eintritt von Jean-Louis Robillard ins Unternehmen. Dabei stützte er sich auf das erwähnte Unternehmensarchiv (De Molin 1904, 74–79).

Thérèse Boissonnas-Baylon interessiert sich in ihrem Beitrag aus dem Jahr 1918 unter dem Titel «Faïenceries et faïenciers de Lausanne, Nyon et Carouge» ausschliesslich für die Geschichte ihrer Vorfahren, der Familie Baylon, in der Genferseeregion. Sie hat als Erste zu diesem Thema systematische Nachforschungen in den kantonalen Archiven des Kantons Waadt sowie in den kommunalen Archiven von Lausanne und Nyon angestellt. Auch heute noch basiert unser Wissen über die erste Steingutmanufaktur, seit sich Moïse II Baylon in Nyon niedergelassen hatte bis zum Tod von Georges-Michel de Niedermeyer, hauptsächlich auf ihrer Arbeit (Boissonnas-Baylon 1918, 69–83).

1985 versuchte Edgar Pelichet ein komplettes Bild der Steingutindustrie in Nyon zu zeichnen. Seine Studie umfasste auch die Gegenwart bis zur Schliessung der Manufacture de poteries fines im Jahr 1978. Der Autor stützte sich stark auf die Arbeiten seiner Vorgänger und auf Aussagen ehemaliger Mitarbeiter der verschiedenen Unternehmen, ohne genaue Referenzen zu den verschiedenen Quellen vorzulegen. Das Werk von Pelichet enthält so viele ungenaue Angaben und Fehler, dass es nur mit grösster Vorsicht verwendet werden kann (Pelichet 1985/2).

Wir haben die Geschichte der verschiedenen Steingutmanufakturen, die es in Nyon zwischen dem Ende des 18. und dem 20. Jahrhundert gegeben hat, in drei Perioden aufgeteilt: die erste Manufaktur (siehe «Nyon, Die Steingutmanufakturen [1]) – die zweite Manufaktur und die Manufacture de poteries fines de Nyon SA.

Die zweite Manufaktur:

 – Dortu & Cie, 1807-1813

– Jean-André Bonnard & Cie, 1813-1814/18

– Robillard et Cie, 1818-1832/33

– Période Delafléchère, 1833 (?)-1845

– François Bonnard, 1845-1859

– Bonnard & Gonin, 1859-1860

– Manufacture de poteries S. A., 1860-1917

– Zusammenarbeit mit Pflüger Frères et Cie, 1878-1883

– Zusammenarbeit mit Nora Gross,

Dortu & Cie, 1807-1813

Dortu & Cie, 1807-1813 in CERAMICA CH

Die von Jacob Dortu geleitete Porzellanfabrik litt im Laufe ihrer Geschichte unter einer bedauerlichen Diskrepanz zwischen dem Produktionsvolumen und dem Absatz der Produkte: Investitionen, Lagerbestände und Schulden stiegen ständig an, aber der Umsatz hielt nicht Schritt. Im Jahr 1801 wurde das alte Unternehmen aufgelöst und ein neues gegründet («Dortu, Soulier, Monod & Cie»). Ein damals erstelltes Fabrikbuch (Livre de fabrique) gab eine klare Einschätzung der Situation und empfahl, die Aktivitäten auf «günstigere» Produkte auszurichten und «aufwändige Muster nur zur Verzierung und zur Ausstattung des Ladens» herzustellen (Archives du Château de Nyon, Inv. 4189). Parallel zu dieser Neuausrichtung der Porzellanproduktion bemühte sich Jacob Dortu um die Entwicklung anderer, preiswerterer Produkte, inspiriert von den Entwicklungen in der englischen Keramikindustrie, vor allem bei Wedgwood in Etruria (Staffordshire).

Seit Anfang der 1790er-Jahre versuchte Dortu, sich durch den Vertrieb von Wedgwoods Produkten, vor allem Steingut und Steinzeug, zusätzliche Einnahmequellen zu sichern. Um die Zukunft besorgt, begann er sein eigenes Sortiment zu diversifizieren, indem er günstigere Produkte anbot in der Hoffnung, damit ein breiteres Publikum zu erreichen. Dabei liess er sich weitgehend von den Innovationen der englischen Keramikindustrei inspirieren.

«Terre étrusque» – Die erste von der Fabrik eingeführte Neuheit war sogenannte «etruskische Erde», die sich durch einen dichten und feinen rotbraunen Scherben auszeichnete. Bei dieser Art Keramik, einem unglasierten Schrühbrand, wurde der Ton bei einer hohen Temperatur gebrannt, um ihn möglichst undurchlässig zu machen. Eine chemische Analyse zur Frage der Porösität dieses Produkts steht noch aus, aber man ist versucht, es mit  jüngerem, industriell hergestellten Feinsteinzeug zu vergleichen (Anmerkung Andreas Heege: In der deutschsprachigen Archäologie gehört diese Keramik zum Steingut, international wird sie auch als “english industrial ceramics” oder “red stoneware” klassifiziert). Die Verzierungen sind ausnahmslos mit schwarzer Glasurfarbe aufgetragen, was dieser Produktion ein Aussehen verleiht, das offensichtlich an griechisch-römische Töpferwaren erinnern soll. Die figürlichen Dekorationen sind immer, oft etwas unbeholfen, als «antike» Szenen gestaltet.

In den Rechnungsbüchern erscheint diese Produktion 1807 unter dem Oberbegriff «Töpferwaren». Auch spezifischere Bezeichnungen wie «Ägyptische Keramik» oder «Nankin» finden sich unter dieser Überschrift, die sich wahrscheinlich auf unterschiedliche Farbtöne beziehen. Die letztgenannte Bezeichnung könnte sich auf einen beigegelben Scherben beziehen, den wir in ein oder zwei Fällen vorgefunden haben (Das entspräche dann etwa der englischen “caneware”, Ergänzung Andreas Heege).

Die uns überlieferten Exemplare dern «terre étrusque» sind relativ selten. In formaler Hinsicht verwendete Dortu im grossen Ganzen die geläufigen Porzellanformen, insbesondere für Tassen, Schalen und Teekannen sowie für einige Zuckerdosen (MHPN MH-FA-3098; MHPN MH-FA-3063; MHPN MH-2013-13; MHPN MH-FA-1357; MHPN MH-FA-1280; MHPN MH-FA-3062; MHPN MH-FA-1356; MY EPM.Alim.71).

Für andere Zuckerdosen sowie für die verschiedenen Milch-, Wasser- und Rahmkannen entwarf er neue Profile, die im Allgemeinen runder und fliessender waren (MHPN MH-FA-3095; MHPN MH-FA-3096; MHPN MH-FA-1267; MHPN MH-FA-3065; MHPN MH-1995-60). Reliefauflagen, zum Beispiel am Ansatz der Henkel, sind selten (MHPN MH-FA-3096).

In den Rechnungsbüchern der Manufaktur wurden unter der Rubrik «Töpferwaren» auch offensichtlich anspruchsvollere oder dekorativere Formen erwähnt, wie «etruskische Vasen», «vases à tremper» (?), «Zwiebeltöpfe» oder «grosse, hornförmige Wandvasen» und sogar «Apothekengefässe». Pelichet beschreibt eine Vase mit zwei Henkeln in Form eines weiblichen Maskarons, ein Objekt, das er angeblich im Museum von Nyon vorfand, das wir aber nicht wiederfinden konnten (Pelichet 1985/2, Abb. S. 25). Das Schweizerische Nationalmuseum in Zürich bewahrt eine bauchige, urnenförmige Kanne, mit Sockel und röhrigem Ausguss, die als «Kaffeekanne» bezeichnet wird (SNM LM-24253). Wir sind versucht, sie als «Chevrette» (Apothekengefäss) zu bezeichnen, in Analogie zu einer anderen Steingut-Chevrette, die kürzlich in der Sammlung Reber entdeckt wurde (Unil MH-RE-522). Die Zürcher «Kaffeekanne» ist sehr schwer, unserer Meinung nach zu schwer für ein Tischservice. Sollte sich unsere Ansicht bestätigen, hätten wir das erste Apothekengefäss aus «Terre étrusque» identifiziert, eine Spezialität.

Die Rechnungsbücher enthalten nur Daten für die Jahre 1807 und 1808. Angesichts der angegebenen Mengen ist es offensichtlich, dass diese Produktion ein begrenztes Phänomen blieb.

Die Gefässe in «terres étrusques» trugen in der Regel die Blindmarke «DORTU et Cie» (MHPN MH-FA-1280) oder «Dortu et C.e» (MHPN MH-FA-3095).

Schwarzes Steingut (Grès fin noir) – Dortu versuchte sich auch an schwarzem Feinsteinzeug (bzw. Steingut), dessen Ton in der Masse gefärbt und nach dem Vorbild von Wedgwoods Black basalt  bzw. Basaltware geformt wurde (MHPN MH-FA-1365; MHPN MH-FA-1364). Die Produktion begann offenbar zur gleichen Zeit wie die der «terres étrusques». Obwohl die wenigen bekannten Exemplare dieses schwarzen Steinguts gut ausgeführt und schön sind, wurde diese Produktion wahrscheinlich aus wirtschaftlichen Gründen bald wieder aufgegeben, da das Herstellungsverfahren zu komplex und zu teuer war. Die Rechnungsbücher enthalten einige seltene Erwähnungen von «schwarzer Keramik», insbesondere mit «rotem Dekor».

Die wenigen Blindmarken, die auf schwarzem Steinzeug gefunden wurden, übernehmen die Bezeichnung «DORTU et C.e» (MHPN MH-FA-1365).

Steingut – Es war offensichtlich Dortus Hauptziel, das Vorzeigeprodukt der modernen englischen Keramik, “creamware” – Steingut (in der Fabrik «terre de pipe»/«Pfeifenerde» genannt, modern: «white-bodied industrial earthenware»), zu imitieren. Laut dem Bericht, der bei der Auflösung der Fabrik im Jahr 1813 erstellt wurde (siehe unten), war die Produktion offenbar erst ab 1809, nach mehreren Jahren kostspieliger Experimente, rentabel.

In der Zwischenzeit hatte das Unternehmen eine weitere Umstrukturierung erfahren: Am 1. Januar 1809 wurde die ehemalige einfache Gesellschaft durch eine Aktiengesellschaft ersetzt. In den Statuten der Firma «Dortu, Soulier, Doret & Cie» vom 9. Dezember 1808 ist ihr Zweck eindeutig festgelegt: Herstellung und Verkauf von Porzellan, «terre[s] de pipes» und «poteries étrusques» (Bonnard 1934/1, 115).

Das Ergebnis der Forschungen von Dortu war sehr überzeugend: ein Produkt, das in jeder Hinsicht mit dem besten europäischen Steingut der damaligen Zeit vergleichbar war. Und Dortu scheute keine Mühen, um seine Produkte attraktiv zu gestalten.

 

Er entwickelte mitunter komplexe Formen wie Körbe mit durchbrochenern Wandung, Sockelvasen mit mascaronförmigen Henkeln oder Vases cornets (MHPN MH-FA-1053; MBS 1908.38; MHPN  ).

 

Auf dem Gebiet des gemalten Dekors entwickelte er eine ganze Reihe von Motiven, von nüchternen Pflanzenfriesen – in Anlehnung an bestimmte Wedgwood-Dekore (MHPN MH-FA-3070) – bis hin zu einfarbigen Landschaften, die in den französischen Fabriken jener Zeit sehr verbreitet waren (MHPN MH-FA-4102). Zudem kreierte er Dekore mit einer bemerkenswerten Beherrschung der Polychromie, die in den Nyoner Fabriken des 19. Jahhunderts unerreicht bleiben sollten (MHPN MH-FA-1053; MHPN MH-FA-4100).

Dortu brachte auch Umdruckdekore an, wahrscheinlich vor seinen Konkurrenten in Carouge, mit Motiven von Schweizer Trachten oder Ansichten von römischen Monumenten (MHPN MH-FA-2288; MHPN MH-FA-2289; MHPN MH-FA-1803; MHPN MH-FA-2290).

Das bei der Liquidation der Fabrik im Januar 1813 erstellte Inventar weist einen Bestand an Steingut im Wert von über 25 361 Livres aus gegenüber 3585 Livres an «terres étrusques» und 85 326 Livres an Porzellan. Es wird davon ausgegangen, dass das Porzellan mit Sicherheit aus einer mehr als vierjährigen Produktion stammte (Archives du Château de Nyon, inv. 4193).

Im selben Jahr zog Jacob Dortu nach Carouge, um dort gemeinsam mit seinem Schwiegersohn Bernard Henri Veret und dessen Neffen Auguste Bouverot ein neues Unternehmen zu gründen (siehe Kapitel «Die Steingutmanufakturen von Carouge»). Zunächst war seine Produktion in Carouge derjenigen der Jahre in Nyon sehr ähnlich. In vielen Fällen ermöglichen es die Blindmarken («Dortu et C.e» in Nyon – «Dortu, V. et B.» oder «Dortu, Veret et Ce» in Carouge), die Produkte von dem einen oder anderen Standort zu unterscheiden.

Verschiedene Gefässtypen mit einem kleinen Boden, wie Schalen, Tassen oder Sahnekännchen, haben jedoch unabhängig vom Herstellungsort keine Marke. In solchen Fällen ist eine klare Zuteilung nicht immer möglich. Wir sind uns nicht sicher, ob z.B. die Tasse mit dem Kornblumenmotiv, das wohl in die gleiche Linie wie das Motiv auf Porzellan gehört (MCAHL 31645), tatsächlich aus Nyon stammt.

Es stammt zweifellos von Dortu, aber das betreffende Motiv wurde in seinem Unternehmen in Carouge identisch übernommen (MCAHL 30018bis; MHPN MH-FA-1826; MCAHL 29314bis; MCAHL 30072; MCAHL 30080). Stücke, die sowohl eine Marke von Dortu in Nyon als auch ein Kornblumenmotiv zeigen, sind selten: Das Nationalmuseum besitzt eine zylindrische Teekanne und eine urnenförmige Zuckerdose auf einem Sockel (SNM LM-22841.1; LM-22841.2).

 

Das Steingut von Dortu ist in der Regel mit den gleichen Marken versehen wie die «terres étrusques»: «Dortu et C.e» (MHPN MH-FA-3180) oder «DORTU et C.e» (MHPN MH-FA-3070). Bemerkenswert sind auch die Varianten «DORTU ET C.e» (MHPN MH-FA-1803), «DORTU et C.» (MHPN MH-FA-4100) und «DORTU ET C.» (Versalien in Kursivschrift) (MHPN MH-FA-4101).

Die letztgenannte Variante ist nur auf Tellern zu finden und wird oft von eingestempelten Herstellungszeichen in Form eines Kreises oder Sternchens begleitet. In diesem Stadium der Forschung verfügen wir nicht über genügend Vergleichsdaten, um diese verschiedenen Varianten zu interpretieren.

Jean-André Bonnard & Cie, 1813-1814/1818

Jean-André Bonnard & Cie, 1813-1814/1818 in CERAMICA CH

Angesichts der verzweifelten finanziellen Lage der Porzellan-, «terre étrusque»- und «terre de pipe»-Fabrik, setzten die Aktionäre am 31. Januar 1813 eine fünfköpfige Kommission unter dem Vorsitz von Pierre-Louis Roguin de Bons (17561840) ein, die eine Bilanz erstellen und Vorschläge für die Zukunft machen sollte. In den Augen der Kommission erforderte die Aufrechterhaltung einer Keramikindustrie in Nyon die Auflösung des ehemaligen Unternehmens «Dortu, Solier, Doret & Cie» und die Gründung einer neuen Einheit, die sich auf die Herstellung von Steingut beschränken sollte. In einer Plenarsitzung am 3. März beschloss die Generalversammlung der Aktionäre, den Markennamen «Dortu et C.e» aufzugeben und ihn auf künftigen Produkten durch «Commandite de Nyon» oder die Kurzformel «Comte de Nyon» zu ersetzen. Dieser Marke sind wir bis heute nicht begegnet. Sie wurde wahrscheinlich nie verwendet.

Bereits im April erwarben Jean-François Delafléchère, Pierre-Louis Roguin de Bons und Jean-André Bonnard (1780–1859) die Manufaktur einschliesslich Fabrikationsgeheimnis (Archives du Château de Nyon, Protocole de la liquidation de 1813; De Molin 1904, 74-79). Am 23. Mai 1813 bestätigte die Aktionärsversammlung den Verkauf des Unternehmens an eine Kommanditgesellschaft, die von Jean-François Delafléchère, Jean-André Bonnard, Moïse Bonnard, seinem Vater, Pierre-Louis Roguin de Bons, Augustin-Alexandre Bonnard und André-Urbain Delafléchère de Beausobre gegründet wurde (De Molin 1904, 82 – Die Identität der Eigentümer ist in zwei notariellen Urkunden von 1814 und 1817 über Landkäufe belegt (Archives communales de Nyon [ACN], R 810).

Das Fabrikationsgeheimnis wurde von seinem wichtigsten Produzenten, Jacob Dortu, gehütet, der es nur ungern preisgab. Mit dem Argument, dass Dortu sein Verfahren nur dank der vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Mittel entwickeln konnte, überzeugte ihn die Kommission schliesslich davon, seine Kenntnisse gegen eine Entschädigung von 200 Louis d’Or zu lüften. Nach Abschluss des Geschäfts im Juni 1813 verliess Dortu Nyon, um sich in Carouge niederzulassen.

 

Das Fabrikationsgeheimnis wurde Jean-André Bonnard anvertraut, der gleichzeitig die Leitung des Unternehmens übernahm. Der neue Firmenname lautete «Jean-André Bonnard & Cie» und die Blindmarke «Bonnard et C.e» (MHPN MH-FA-3183; MHPN MH-FA-10015).-FA-3183; MHPN MH-FA-10015).

Im Gegensatz zu dem, was Pelichet behauptet, hat uns die Ära «Bonnard et Cie» nicht nur Objekte ohne Dekor hinterlassen. Tatsächlich setzte die Fabrik den ornamentalen Stil von Dortu fort, wenn auch in vereinfachter Form: einfarbige Pflanzenbordüren (MHPN MH-FA-4070; MHPN MH-FA-4418A) oder Kornblumen ohne braun-ockerfarbene Blätterzweige (MHPN MH-2009-7B).09-7B).

Das neue Unternehmen war sogar innovativ, indem es durchbrochen gearbeitete Keramiken und solche mit rotbrauner Engobe unter Glasur bemalt im Angebot hatte (MHPN MH-FA-10016; MHPN MH-FA-10017; MHPN ), eine Technik, die anschliessend von Robillard übernommen wurde.

In der Manufaktur wurden weiterhin so komplexe Modelle wie die geflochtenen Körbe hergestellt, die in jeder Hinsicht mit denen aus der Dortu-Zeit vergleichbar sind (MAG 016840 und 016841; Valangin 9361b VAL).

Robillard et Cie, 1818-1832/33

Robillard et Cie, 1818-1832/33 in CERAMICA CH

Am 17. Dezember 1814 erwarb die Firma «Jean-André Bonnard et Cie» ein angrenzendes Grundstück, um ihr Unternehmen zu vergrössern. In der notariellen Urkunde wird neben den bereits genannten Miteigentümern auch ein gewisser Jean-Jacques-Louis Robillard aus Genf erwähnt (ACN, R 810).

Robillard, ein in Genf geborener Franzose und Geschäftsmann, liess sich am 21. Juni 1813 in Nyon nieder (Pelichet 1985/2, 27). De Molin ist der Ansicht, dass die Belastung als Direktor der Fabrik für Bonnard zu gross geworden war, sodass Robillard 1814 die «effektive Leitung» der Fabrik übernahm (De Molin 1904, 84-85). Wir wissen nicht, ob de Molin über eine andere Quelle verfügte oder ob er die in dem oben genannten Dokument enthaltenen Informationen einfach interpretierte. Fand der Wechsel in der Geschäftsführung zwischen dem 17. und 31. Dezember 1814 statt? Eine notarielle Urkunde vom 2. Juni 1818 belegt, dass Moïse und Jean-André Bonnard ihre Anteile (jeweils ein Sechstel) an die vier verbleibenden Miteigentümer «André-Urbain De La Fléchère de Beausobre (1754-1832), Pierre-Louis Roguin de Bons (1756-1840), Jean-François De La Fléchère und Jean-Jacques-Louis Robillard … ungeteilte Miteigentümer» verkauften (De Molin 1904, 85; ACN, R 810). Augustin-Alexandre Bonnard-Crousaz erschien nicht mehr namentlich in der Urkunde; er hatte sich offensichtlich vor der Transaktion zurückgezogen, da jeder Miteigentümer zum Zeitpunkt des Verkaufs ein Sechstel des Grundstücks zurückbehielt.

Es ist nicht auszuschliessen, dass die Änderung des Firmennamens erst zu diesem Zeitpunkt, nach dem Weggang von Jean-André Bonnard, erfolgte, im Gegensatz zu dem, was de Molin und später auch Pelichet postulierten. In der betreffenden notariellen Urkunde heisst es: «Die vorliegende Bürgschaft beeinträchtigt in keiner Weise die privatschriftliche Entlastung der Firma Jean André Bonnard & Compagnie durch Bürgschaftsversprechen, Störungen, Räumungen und andere rechtliche Klauseln».

Auch diesnmal wird der Firmenname geändert. Künftig lautete er «Louis Robillard & Compagnie», die Fabrikmarke setzte sie sich aus dem Namen des Direktors zusammen: «ROBILLARD».

Unter der neuen Leitung entwickelte sich das Unternehmen nach den Worten von Jules Michaud (siehe oben) erfreulich. In der Gazette de Lausanne vom 28. August 1821 (S. 3) erschien folgende Anzeige: Mangels eines Depots in dieser Stadt für ihre Artikel, deren vorzügliche Qualität allgemein bekannt ist, machen «MM. L. Robillard & comp., Inhaber und Direktor der ehemaligen Porzellan- und Pfeifentonfabrik in Nyon, die Konsumenten von Payerne und Umgebung darauf aufmerksam, dass sie ihre Bestellungen direkt an sie richten können, die sie mit aller Sorgfalt ausführen werden, und zwar zu Preisen und Bedingungen, die für den Käufer äusserst vorteilhaft sind».

Im Jahr 1824 fühlten sich die Unternehmer Robillard et Cie aus Nyon bereit für eine neue Unternehmung jenseits der Landesgrenzen. 1822 hatten Jean-Marie und Joseph Marie Charmot, zwei Notabeln aus Sciez bei Thonon (Haute-Savoie), vom König von Sardinien das Privileg erhalten, in ihrer Töpferei im Weiler Jussy Steingut und Fayence herzustellen (Maire 2008, 437). Da sie die für diese Umstellung notwendige Technologie nicht beherrschten, machten die Gebrüder Charmot Robillard et Cie den Vorschlag, sich als Kommanditisten an ihrem Unternehmen zu beteiligen, «unter der Bedingung, dass sie ihr Fabrikationsgeheimnis teilten».

Am 13. März 1824 wurde zwischen Robillard, der ordnungsgemäss mit einer Vollmacht ausgestattet war, und den Gebrüdern Charmot ein Abkommen geschlossen. Pelichet bildet ein von den Eigentümern aus Nyon unterzeichnetes Dokument ab, das mit 24. April datiert ist und die Umsetzungsmodalitäten dieses Vertrags festlegt (Pelichet 1985/2, 30 und 31). Die Unternehmer aus Nyon investierten 40 000 Livres de Savoie und hatten demgemäss Anspruch auf ihren Anteil am Gewinn. De Molin erwähnt ein 1826 datiertes Schreiben, aus dem hervorgeht, dass die Gebrüder Charmot um eine Frist für die Zahlung ihrer Zinsen ersuchten. Er leitete daraus ab, dass die Geschäfte schlecht liefen (De Molin 1904, 86); vermutlich nicht schlechter als in den meisten Betrieben dieser Art. Tatsächlich produzierte die savoyische Manufaktur ohne Unterbruch bis 1839 und nahm die Arbeit im Folgejahr wieder auf – mit einem leicht geänderten Firmennamen. Sie wurde 1848 geschlossen (Maire 2008, 440). Uns ist nicht bekannt, zu welchem Zeitpunkt sich die Waadtländer Investoren aus dem Geschäft zurückgezogen haben.

Die Qualität der Produkte von Jussy kann durchaus mit jener des Steinguts aus Nyon verglichen werden (siehe beispielsweise MHPN MH-FA-466; MHL AA.MI.2265; Unil MH-RE-331; Unil MH-RE-332; Unil MH-RE-333).

Um auf Nyon zurückzukommen, stellt Aloys de Molin fest, dass Robillards Ausscheiden aus der Fabrik geheimnisumwittert bleibt, und weist lediglich darauf hin, dass er sie «1832 noch mit grossem Erfolg betrieb» (De Molin 1904, 86). Der Autor bezieht sich wahrscheinlich auf den Almanach pour le commerce et l’industrie, der 1832 in Lausanne veröffentlicht wurde und in dem die Firma unter dem Namen «L. Robillard et Compe, fabrique de terre de pipes» erwähnt wird (S. 77). Dieses Jahrbuch wurde unter der Schirmherrschaft des kürzlich vorher von Louis Pflüger und Benjamin Corbaz gegründeten Bazar vaudois veröffentlicht. Am Rande sei bemerkt, dass Robillard einer der ersten Waadtländer Hersteller war, der seine Produkte auf dem Bazar zum Verkauf anbot (Le Conteur vaudois, Nr. 46, 1881, 1–2). Pelichet ist kategorischer und stellte schlicht fest, dass Robillard sich 1832 aus dem Geschäft zurückgezogen hätte (Pelichet 1985/2, 27). Auch hier gibt der Autor keine Quellen an und wir gehen davon aus, dass seine Behauptung einfach auf einer etwas gewagten Interpretation der oben erwähnten Passage aus Molins Werk beruht. In Wirklichkeit sind die Dinge nicht so einfach: In der Ausgabe der Gazette de Lausanne vom 11. Oktober 1833 (S. 5) finden wir einen Eintrag, dem wir entnehmen, dass der Generalintendant der Zölle die Senkung der Einfuhrzölle auf Rohstoffe und die Abschaffung der Ausfuhrzölle aus dem Kanton auf Industrieprodukte für eine Reihe von Betrieben ankündigte, darunter… «MM. Robillard et Ce à Nion [sic], fabrique de poterie fine». War dieser Firmenname im Jahr 1833 noch in Kraft? Wäre der Beauftragte für die Zollgebühren nicht über eine mögliche Änderung informiert worden? Es ist auch denkbar, dass der Tod von André-Urbain Delafléchère im Jahr 1832 Robillards Weggang aus dem einen oder anderen Grund provoziert haben könnte.

Auf jeden Fall war de Molin der Meinung, dass Robillards Weggang dem Unternehmen einen schweren, ja fatalen Schlag versetzt hatte (De Molin 1904, 86). In einer von der Gazette de Lausanne am 22. März 1879 veröffentlichten Geschichte der Fabrik in Nyon (S. 3) lobte der Journalist, der sich wahrscheinlich auf Informationen des damaligen Direktors Jules Michaud berief, die Tätigkeit von Robillard, «dessen Genauigkeit, Standhaftigkeit, Sinn für Ordnung und Sparsamkeit dieser Fabrik einen Ruf der Aufrichtigkeit verliehen haben, an den sich die ältere Generation von Nyon noch erinnert. Herr Robillard ging in den Ruhestand und hinterliess seinen Nachfolgern eine florierende Industrie und genaue Angaben über das Herstellungsverfahren, was sie jedoch nicht daran hinderte, schlechte Geschäfte zu machen».

 

Im Rahmen des von uns untersuchten Steinguts aus Nyon ist die Produktion unter Robillard logischerweise besser vertreten als die der vorangegangenen Perioden, da er relativ lange lebte. Der Pinseldekor entwickelte sich zunächst in Anlehnung an die vorangegangene Periode, mit Pflanzenfriesen und Kornblumen (MAF C 455; MHPN MH-FA-4664; MHPN MH-FA-4665; MHPN MH-FA-4668; MHPN MH-FA-4666O und -4667L; MHPN MH-FA-4669D; MHPN MH-FA-2806; MHPN MH-FA-1802; MHPN MH-FA-3882; MHPN MH-FA-3882bis).

 

Robillard griff in radikalerer Weise die Dekore mit rotbrauner Engobe von Bonnard auf (MHPN MH-2005-2C; MHPN MH-2005-2A; MHPN MH-2005-2B), knüpfte auch wieder an die monochrom gehaltenen Landschaften an (in diesem Fall Blau), die in kreisförmigen Medaillons oder ohne Rahmen platziert wurden.

 

Einige dieser Motive sind mit bemerkenswerter Sorgfalt gemalt (MHPN MH-FA-3905; MHPN MH-FA-4733; MHPN MH-FA-4734; MHPN MH-FA-4735; MHPN MH-FA-4736), andere haben einen eher spontanen Stil (MHPN MH-FA-3387; MHPN MH-FA-1823) und wieder andere zeigen eine fast ungezügelte Freiheit des Strichs (MHPN MH-FA-3389; MHPN MH-FA-4074).

Man wäre versucht, die ersten Beispiele als die frühesten anzusehen, wäre da nicht dieses Milchkännchen mit einem sehr sorgfältig ausgeführten Dekor, aber mit einer Marke, die wir im Prinzip der nachfolgenden Periode zuschreiben (MHPN MH-FA-1822).

Offensichtlich war es Robillard, der das dem Porzellan entlehnte Motiv «Aux Immortelles/Strohblumenmuster» in das Repertoire der Steingutwaren aufnahm (MHPN MH-2015-527 –siehe auch ein Milchkännchen unter MAG 018469).

 

Robillard führte auch wieder Umdruckdekore ein (aus der Zeit Bonnards ist uns kein Beispiel dieses Typs bekannt), mit klassischen Sujets von Schweizer Trachten nach Schweizer Kleinmeistern wie Franz Hegi (MHPN MH-1999-104; MHPN HM-2009-6) oder Ansichten der Schweiz, die von den lithographierten Illustrationen der Lettres sur la Suisse von Désiré-Raoul Rochette et al. inspiriert waren, veröffentlicht zwischen 1823 und 1832 (MHPN MH-FA-3212). Aus derselben Serie bewahrt das Musée Ariana einen Teller mit der Ansicht des Rheinfalls (MAG 018464).

Was die Formen betrifft, so hat Robillard das Sortiment mit verschiedenen Versionen von Suppenschüsseln, Terrinen (MHPN MH-FA-1658; MHPN MH-2015-366; MHPN MH-FA-4073) und Warmhalteplatten (MHPN MH-FA-3882; MHPN MH-2003-117; MHPN MH-FA-3184) erheblich erweitert. Das Schweizerische Nationalmuseum in Zürich besitzt eine elegante ovale Terrine auf einem Sockel mit hohen Griffen (SNM LM-86565). Die Manufaktur hielt einige bewährte Formen bei, wie die unvermeidlichen Körbe, die fast identisch mit denen der vorangegangenen Perioden waren (MHPN MH-FA-3186; Valangin 9360b und 9361a VAL; MAHN AA 1406 und 1407). Neben der aus dem Porzellan übernommenen zylindrischen Teekanne führte Robillard eine modernere Variante mit bauchigem Korpus und ausbiegendem Rand ein (MHPN MH-FA-3111).

Das Musée Ariana besitzt u. a. zwei Arten von Kaffeekannen auf hohem Fuss mit birnenförmigem oder eiförmigem Korpus und ausbiegendem Rand (MAG 015131 und AR 12605),) eine Nachtlampe (MAG 014818) und eine kleine ovale Schale mit Auflagendekor aus einer alten Form der Porzellanfabrik (MAG 018461– zum Porzellanmodell siehe MHPN MH-PO-1544; MHPN MH-PO-4277A und -B).

Pelichet verweist auf eine gedruckte Preisliste von Robillard, die im Museum von Nyon aufbewahrt wird, die wir aber nicht gefunden haben. In dieser Liste seien neben eher konventionellen Produkten, Zahnstocherbehälter, Weihwasserbecken, Spucknäpfe, Malerpaletten sowie Büsten von Voltaire und Rousseau aufgeführt. (siehe MHPN MH-FA-1663; MHPN MH-FA-1495 – Pelichet 1985/2, 26-28).

Période Delafléchère, 1833 (?)-1845

Période Delafléchère, 1833 (?)-1845 in CERAMICA CH

Nach dem Tod von André-Urbain Delafléchère de Beausobre im Jahr 1832 und dem Weggang von Robillard wurden die Anteile fortan zwischen Pierre-Louis Roguin de Bons, Jean-François Delafléchère und den Erben von André-Urbain aufgeteilt: Jules-François, ein Cousin von Jean-François, und Emmanuel-Théodore Delafléchère. Die Identität der Miteigentümer wurde in einem Brief vom 8. April 1840 an Antoine Abram Hegg, Stadtrat von Nyon, bestätigt, in dem es um einen Grundstückstausch ging und in dem mitgeteilt wurde, dass diese vier Personen «ungeteilte Eigentümer der Fabrik und der dazugehörigen Gebäude» seien (ACN, R 810). Roguin de Bons starb einige Monate später, am 11. November 1840. Da die Erben von Roguin offenbar mit der Familie Delafléchère verschwägert waren (siehe unten), kann man sagen, dass das Unternehmen definitiv eine Familienangelegenheit geworden war.

Laut Pelichet, der wieder keine Quellen angibt, wurde die Fabrik nach dem Weggang von Robillard von Jules-François Delafléchère geleitet (Pelichet 1985/2, 32). Da wir keinen Hinweis auf einen genaueren Firmennamen gefunden haben, verwenden wir die etwas vage Bezeichnung «Ära Delafléchère».

 

Derselbe Autor glaubt auch, dass zu diesem Zeitpunkt die neue Marke «NYON» eingeführt wurde. Nach unserem heutigen Kenntnisstand sind wir mit dieser Arbeitshypothese einverstanden.

In den Archiven des Geschichts- und Porzellanmuseums von Nyon (Musée historique et des porcelains de Nyon MHPN) stiessen wir beim Durchblättern des Werkstatthefts des Lausanner Ingenieurs Frédéric Gonin – der später an der Spitze der Manufaktur von Nyon stand – in Bezug auf einen Brandversuch gelber Kochkeramik auf folgende rätselhafte Notiz: «In Casamène brannten wir …». Im Industriequartier Casamène, in einem Vorort von Besançon (Doubs, F), wurde unter anderem auch Steingut hergestellt und das oben erwähnte Zitat lässt vermuten, dass Gonin in dieser Manufaktur arbeitete. Das kurze Kapitel über diese Fabrik im Buch über das Steingut und die Steingutfabriken der Franche-Comté von Louis und Suzanne de Buyer (De Buyer et de Buyer 1983) bestätigt diese Information nicht nur, es spricht sogar von einer nicht unwichtigen Verbindung zwischen den Unternehmern aus Nyon und der Steingutfabrik in Besançon, die bis heute auf Schweizer Seite nicht erwähnt wurde. Die Manufaktur von Casamène (die erste ihrer Art an diesem Standort), so erfährt man, wurde 1841 von zwei Unternehmern aus Nyon gegründet: «Herr de Bons, ehemaliger Regierungsstatthalter des Kantons Waadt, und Herr de Flachère [sic]» (de Buyer und de Buyer 1983, 103 – Die Autorin und der Autor beziehen sich zudem auf eine am 2. Juli 1841 in Besançon paraphierte Amtshandlung).

De Bons beteiligte sich möglicherweise an der Ausarbeitung des Projekts, war aber bei der Realisierung nicht mehr dabei: Er starb am 11. November 1840. Einige Jahre nachdem sie die Leitung des Unternehmens in Nyon übernahmen, haben scheinbar einige leitende Mitglieder der Waadtländer Fabrik eine zweite Manufaktur auf französischem Boden gegründet (für Beispiele der Produktion in Besançon siehe MHPN MH-FA-3876-1; MHPN MH-FA-3876-2; MHPN MH-FA-3876-3; MHL AA.MI.991, MPE Nr. 22). Frédéric Gonin seinerseits wird als «technischer Berater» erwähnt (de Buyer und de Buyer 1983, 104). Die Unternehmung scheint von Erfolg gekrönt gewesen zu sein: 1844 wurden laut de Buyer 120 Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigt.

 

Die Steingutobjekte von Casamène weisen schwarzbraune und manchmal sogar zweifarbige Drucke auf. In letzterem Fall findet sich ein schwarzbraunes Motiv auf dem Spiegel und blaue oder rote Motive auf der Fahne des Tellers. Zu den von den de Buyers illustrierten Beispielen gehört ein Teller mit einer Ansicht von Thun im Spiegel. Diese ist in allen Punkten mit jener identisch, die mehr oder weniger gleichzeitig auf Produkten aus Nyon auftaucht (MHPN MH-FA-535; MHPN MH-FA-10023B).

Die Verzierungen der Fahnen sind zwar anders, aber das Motiv in der Mitte stammt offensichtlich aus der gleichen Gravur. Offenbar zirkulierten zwischen Nyon und Casamène eine Reihe von Motiven bzw. Kupferdruckplatten.

Dies würde auch das Vorhandensein von eher exotischen Sujets in Nyon erklären, die das französische Soldatenleben illustrieren, zum Beispiel mit dem Kreuz der Ehrenlegion (La Croix d’honneur; MHPN MH-2003-127; MHPN MH-FA-10022; MHPN MH-FA-1827) oder der humoristischen Darstellung des Alltags in Napoleons Armeen, die in den französischen Produktionen weitverbreitet waren (MHPN MH-2003-126).

Im Katalog des Musée de Sèvres zitieren Alexandre Brongniart und Denis-Désiré Riocreux im Abschnitt «Casamène»: «Drei Stück perfektioniertes Steingut, mit einer harten Glasur auf der Basis von Borverbindungen, hergestellt unter der Leitung von H. Gonin, Bauingenieur, 1844». Zu dieser kleinen Objektgruppe gehört ein Teller mit «Arabeskenfriesen, Ansicht von Zürich» und zwei «englische Tassen mit Blumen und Landschaften». Alle diese Verzierungen waren zweifarbig blau und schwarz gedruckt (Brongniart und Riocreux 1845, Kat. Nr. 21). Der Hinweis, dass Personen aus Nyon an der Schaffung dieser Manufaktur beteiligt waren, sowie die Beziehung zwischen diesen beiden Herstellungsorten würden ganz klar vertieftere Recherchen verdienen, die jedoch den Rahmen unserer Arbeit sprengen.

Anfang Februar 1845 verstarb Jean-François Delafléchère. In der Feuille d’Avis de Lausanne vom 4. Februar 1845 (S. 1) meldete das Tribunal des Bezirks Nyon den Tod des ehemaligen Syndikus und legte unter der Rubrik «Bénéfices d’inventaires» die Fristen für die Eingaben eventueller Schuldner fest. Im Gegensatz zu dem, was de Molin schreibt (De Molin 1904, 86), war es Jean-François und nicht Jules-François Delafléchère, der in diesem Jahr verstarb. Pelichet spricht seinerseits von einem Bankrott der beiden Cousins Jean-François und Jules-François (Pelichet 1985/2, 32). Tatsache ist, dass die Familie Delafléchère sich in einem Zustand des Zerfalls befand.

In seiner Ausgabe vom 19. August 1845 (S. 4) gab die Gazette de Lausanne bekannt, dass «die Kommissionen des Zivilgerichts des Bezirks Nyon, die mit der Liquidation der Vermögenswerte der drei Anteile von Jean-François Delafléchère, Emmanuel-Théodore Delafléchère und Jules-François Delafléchère beauftragt sind, das schöne Etablissement in Nyon, die Manufacture de porcelaine et de terre de pipe de Nyon […], öffentlich versteigern lassen […] Die vorbereitende Versteigerung wird am 1. September […] und die endgültige Versteigerung am folgenden Tag stattfinden». Im Anschluss an die oben genannten Versteigerungen wurde der Verkauf der Fabrik am 11. November 1845 in Anwesenheit der Richter, die die Anteile von Jules-François, Emmanuel und dem verstorbenen Jean-François De La Fléchère vertraten, notariell beurkundet. Diese Richter «handelten als Bevollmächtigte von Françoise-Louise, Tochter des verstorbenen Georges-Augustin Roguin, geschiedene Ehefrau des oben genannten Jean-François De La Fléchère, und Anne-Louise De La Fléchère, Tochter des verstorbenen André-Urbain De La Fléchère.» Diese Parteien «verkauften im Anschluss an die Versteigerung François Bonnard, dem Sohn von Jean-André, der anwesend war und das Angebot annahm, die Pfeifentonfabrik von Nyon […]» (ACN, R 810).

Das Abenteuer der Nyoner Unternehmer in der Franche-Comté kam mit dem Konkurs der Familie Delafléchère in Nyon ebenfalls zu einem abrupten Ende. In der Tat wechselte die Manufacture de Casamène 1845 den Besitzer und auch die Ausrichtung der Produktion (de Buyer und de Buyer 1983, 105).

Wie bereits erwähnt, kennen wir den genauen Namen des Unternehmens während der «Ära Delafléchère» nicht. Was die Fabrikmarke betrifft, so könnte die Blindmarke «NYON» für diesen Zeitraum relevant sein.

 

Ein Milchkännchen MHPN MH-FA-1822 gibt dazu einen interessanten Anhaltspunkt. Aufgrund der Qualität des Scherbens und des gemalten Dekors steht dieses Gefäss in direkter Folge zu den oben erwähnten Tonwaren mit sorgfältig ausgeführten Landschaften, versehen mit den «Robillard»-Marken. Und dieses Übergangsstück trägt tatsächlich die Marke «NYON».

 

Die Manufaktur Delafléchère produzierte auch monochrome Landschaften, die in einem weniger sorgfältigen Stil ausgeführt wurden (MHPN MH-FA-4390A; MHPN MH-FA-4390B; MHPN MH-FA-4390C; MHPN MH-FA-4390D) und so an die mindere Qualität der gemalten Landschaften der Robillard-Ära erinnern (MHPN MH-FA-3387; MHPN MH-FA-1823; MHPN MH-FA-3389; MHPN MH-FA-4074).

Es folgen Landschaften, die teilweise von Pflanzenmotiven umrahmt sind und architektonische Elemente aufweisen (MHPN MH-FA-1820; MHPN MH-FA-1810; MHPN MH-FA-1807; MHPN MH-FA-1815; MHPN MH-FA-1811; MHPN MH-FA-1818; MHPN MH-FA-1809; MHPN MH-FA-1813; MHPN MH-FA-3981; MHPN MH-FA-4743), die an ähnliche Motive erinnern, wie sie Baylon in Carouge ausführte (siehe z. B. Dumaret 2006, Abbildungen. 4 und 5). In Nyon hingegen werden die Bauten nicht sehr detailliert wiedergegeben; man beachte vor allem die dreieckigen Dächer, die allen Gesetzen der Perspektive trotzen (MHPN MH-FA-1809; MHPN MH-FA-1821).

Die Manufaktur stellte auch Umdruckdekore her, die zum Teil Sujets aus der Robillard-Zeit wieder aufnahmen (ML 2012-20-1-B; ML 2012-20-1-C; ML 2012-20-1-D; ML 2012-20-1-E; ML 2012-20-1-A). Diese Motive, Ansichten der Schweiz, Landschaften des Genfersees oder französische Militärszenen, sind auf klassischen  Tellern mit flachem Boden und auf neuen Formen wie einem Milchkännchen mit vieleckigem Korpus angebracht (MHPN MH-FA-1376).

Vermutlich kurz nach 1840 erschien eine neue Generation von Umdruckdekoren, manchmal mit denselben Hauptmotiven, aber mit einem relativ komplexen Fahnendekor (MHPN MH-FA-4112; MHPN MH-FA-3907; MHPN MH-FA-535; MCAHL 31920; MCAHL 31919; MHPN MH-1998-106; MHPN MH-1998-104; MHPN MH-FA-3908; MHPN MH-1998-105; MHPN MH-1998-108; MHPN MH-FA-3113; MHPN MH-1998-109; MHPN MH-1998-33; MHPN MH-FA-10022; MHPN MH-FA-1827; MHPN MH-2003-126; MHL AA. 46 .B.3; MHL AA.46.B.4). Diese Dekore erinnern an die Produkte der Manufaktur in Casamène (siehe oben und MHPN MH-FA-535).

Bei dieser Produktion wurden die Profile der Teller völlig neu gestaltet: Der Boden ist vertieft, der Teller ruht auf einer Art Absatz, der durch die Verlängerung der Aussenwand gebildet wird.

Bei einem der beiden neuen Modelle wurde die Fahne zusätzlich vertikal gerippt (MHPN MH-FA-2917; MHPN MH-FA-10024; MHPN MH-FA-10025; MHPN MH-FA-10023B). Im Allgemeinen ist das Profil der Stücke viel feiner und präziser als bei den älteren Tellermodellen. Diese wesentlich raffiniertere Produktion ist wahrscheinlich auf die von Ingenieur Frédéric Gonin in Casamène gemachten Entwicklungen zurückzuführen.

 

 

Die Stücke wurden von einem neuen Markenzeichen begleitet, das in der Farbe des Dekors gedruckt und oft neben der traditionellen Blindmarke «NYON» angebracht wurde: ein Schild mit dem Waadtländer Wappen, umrahmt von den Worten «Canton de Vaud – Manufacture de Nyon». Die Marke existierte in zwei Versionen, der Schild wurde entweder von Weizenähren (MHPN MH-FA-3907) oder von Lorbeerzweigen (MHPN MH-1998-104) flankiert. Bei Exemplaren, die mit einem grünen Druckmotiv verziert sind, ist die Glasur systematisch in einem ausgeprägten gelblichen Farbton gehalten (z. B. MHPN MH-1998-105; MHPN MH-FA-1827).

In den Waadtländer Sammlungen ist dieser neue Produktionstyp vor allem durch Teller vertreten, aber das Musée Ariana bewahrt auch einige birnenförmige Milchkännchen mit vieleckigem Korpus (MAG 001003, 018479), eine urnenförmige Zuckerdose mit geschwungenem Deckel (MAG 013490), eine eiförmige Kaffeekanne auf einem Standfuss mit ausbiegendem Rand (MAG 014447) und glockenförmige Tassen mit gekantetem Korpus und spitzen Henkeln (MAG 014917 und 018477).

Eine Tasse und ihre Untertasse werden im Musée d’art et d’histoire de Neuchâtel aufbewahrt (MAHN AA 1687 und 1688), während das Nationalmuseum eine Teekanne mit 12-eckigem Korpus besitzt (SNM LM-17976). Es ist anzumerken, dass keine dieser Formen die neue Druckmarke trägt, die offenbar den Tellern vorbehalten war.

François Bonnard, 1845-1859

François Bonnard, 1845-1859 in CERAMICA CH

Wie bereits erwähnt, wurde die Fabrik Delafléchère öffentlich versteigert und am 11. November 1845 von François Bonnard, dem Sohn von Jean-André, einem der ehemaligen Miteigentümer des Unternehmens, gekauft. Pelichet gibt an, dass Bonnard sich für kurze Zeit mit einem gewissen Henri Veret zusammentat und die Marke «Bonnard & Veret» führte (Pelichet 1985/2, 34). Wir sind nie auf diese Marke gestossen, und es gibt auch keine Dokumente, die sich auf diese Verbindung beziehen.

Ein Eintrag in der Gazette de Genève vom 11. Mai 1847 (S. 4) gibt zu denken: «Fabrik für Töpfer- und Fayencewaren in Nyon zu vermieten. Es wird vorgeschlagen, Aktien von 300 französichen Francs Gewinn bringend anzulegen, zur Unterstützung der Herstellung von weisser und brauner Fayence sowie Kochgeschirr im Pariser Stil. Die Person, die die Fabrik leiten wird, ist Aktionär». Festzustehen scheint, dass die Fabrik von François Bonnard 1848 funktionierte, und zwar ziemlich gut, denn sie wurde an der Zweiten Schweizerischen Industrieausstellung in Bern, wo sie unter der Ausstellernummer 381 registriert war, mit einer Silbermedaille ausgezeichnet. In dem von Ludwig Stantz nach der Ausstellung herausgegebenen technischen Bericht heisst es: «Das Geschirr aus Nyon ist schöner als das aus Zürich [Scheller-Fabrik], und in der Verarbeitung sogar schöner als das aus Baden. […] Es ist strahlend weiss, der Scherben ist schwerer, hat aber einen schönen Klang. Die Teller haben eine ‹Porzellanform› [mit einem Absatz oder vertieftem Boden]» (Frei 1951, 6 und 7).

Das MHPN besitzt Kopien einer Rechnung und eines Begleitschreibens an den Händler Germain Lugon in Martigny, datiert Februar 1853. Die Rechnung trägt den Briefkopf «Manufacture de terre de pipe de François Bonnard». Offenbar bestand die Lieferung hauptsächlich aus unverzierten Stücken. In dem von einem gewissen Fritz Bonnard unterzeichneten Brief, wohl Abkürzung für François, erfahren wir andererseits, dass dieser auf verschiedene dekorierte Stücke in seinem Sortiment hinweist «auf verschiedenen Stücken zwei kleine blaue und grüne Zeichnungen, es sind Blumensträusse […] Ich bringe auch blaue oder grüne Netze auf dem Rand der Stücke an […] Ich mache auch Abdrücke und habe in den letzten Jahren einige verkauft, aber im Moment sind sie nicht im Sortiment. Ich werde diese Produktion innerhalb eines Monats wieder in Gang bringen.» Am Rande sei bemerkt, dass die von Lugon am 7. Februar aufgegebene Bestellung erst am 23. Mai eingelöst wurde (an diesem Tag wurden die Waren versandt). Die Fabrik scheint nicht sehr reaktionsfreudig gewesen zu sein. Ausserdem muss man zugeben, dass die Produkte, die dem Einzelhändler angeboten wurden, nicht sehr attraktiv waren: Pinseldekore, die, gelinde gesagt, äusserst minimalistisch sind, und nicht sorgfältig ausgeführte Druckmotive (siehe unten).

François Bonnard nahm auch an der dritten Schweizer Ausstellung von 1857 in Bern teil. Er hatte die Ausstellernummer 796 und war mit einem «grossen Sortiment an weissem Geschirr, teilweise mit gedruckten Dekoren» (Messerli Bolliger 1991, 16) vertreten. Die drei ausstellenden Schweizer Hersteller von Steingut – Scheller in Zürich (Kilchberg), Antoine Baylon in Carouge und Bonnard in Nyon– wurden vom Autor des technischen Berichts, Pompey Bolley, ziemlich streng beurteilt, da er ihre Produkte als minderwertig gegenüber denen ihrer englischen und sogar deutschen Konkurrenten ansah, die dichtere, festere und weissere Steingutware anboten. Für Teller wurden sowohl die «Fayenceform» (ohne Standring) als auch die «Porzellanform» (mit Standring) verwendet. Unter dem Gesichtspunkt der Dekore sind die einzigen wirklich zufriedenstellenden Ergebnisse die von Scheller. Bolley lobte die beiden welschen Manufakturen für ihre Fischplatten. Er anerkannte auch, dass die drei Schweizer Manufakturen gute Fortschritte gemacht hätten, vor allem bei der Ausführung von Pinsel- und Umdruckdekoren (Frei 1952, 3-4). In diesem Jahr mussten sich Bonnard und Baylon mit einer ehrenvollen Erwähnung begnügen, während Scheller eine Silbermedaille davontrug.

In einem Artikel über die Steingutmanufaktur, der in der Gazette de Lausanne vom 22. März 1879 (S. 3) veröffentlicht wurde, wird auf die Zeit von François Bonnard wie folgt aufmerksam gemacht: «1845 wieder aufgekauft, machte die Töpferei bis 1859 bescheidene, aber doch ansehnliche Fortschritte […]». In der Ausgabe vom 25. März der gleichen Zeitung (S. 2) reagierte ein anonymer Leser – sehr wahrscheinlich kein anderer als Jules Michaud, der Direktor der Manufacture de poteries fines – auf den obigen Artikel mit Bedauern, dass der Autor François Bonnard nicht erwähnt habe, «den Mann, der von 1845 bis 1859 an der Spitze dieser Einrichtung stand [… und] der neben der bisherigen Produktion von weissem Geschirr […] eine spezielle Produktion von braunem Kochgeschirr mit brillianter glänzender Glasur [terre à cuire brune avec vernis brillant, heute würden wir dieses Geschirr als Kochgeschirr mit schwarzbrauner Manganglasur bezeichnen, Einfügung Andreas Heege] einführte, und, wenn auch in kleinem Umfang, blauen Umdruckdekor […]». Ein anonymer Leser, wahrscheinlich Jules Michaud selbst, schrieb in seiner Antwort auf diesen Leserbrief, dass «F. Bonnard den Mut hatte (wohl 1850), in Nyon einen neuen Versuch zu unternehmen, Porzellan herzustellen. Er machte sogar einige Brände, aber da das Ergebnis nicht sehr ermutigend war, verzichtete er auf eine Weiterführung der Produktion» (Gazette de Lausanne, 29. März 1879, 3).

Die Identifizierung der Produktion aus der Zeit von François Bonnard ist problematisch. Es ist keine Marke bekannt, die ihm zugeschrieben werden könnte. Es ist höchstens anzunehmen, dass er die Marke «NYON» seiner Vorgänger weiterverwendete. Diese Marke ist noch in der nächsten Phase der Firma bezeugt. Hatte Bonnard auf der Ausstellung von 1848 Stücke aus seinem Bestand gezeigt, die aber aus der vorhergehenden Produktionsperiode stammten? Von den Pinseldekoren, die er 1853 erwähnt, sind uns keine Exemplare bekannt. Möglicherweise stammte das eine oder andere undekorierte Fayenceexemplar mit der Marke «NYON» aus seiner Produktion.

Bonnard & Gonin, 1859-1860

Bonnard & Gonin, 1859-1860 in CERAMICA CH

Frédéric Gonin (1819–1864), eine noch wenig bekannte Persönlichkeit, spielte eine herausragende Rolle in der Entwicklung der Keramikindustrie von Nyon, die in ihrer ganzen Tragweite noch nicht bekannt ist, wie wir oben im Zusammenhang mit den Verbindungen zwischen bestimmten Nyoner Unternehmern und der Fabrik von Besançon-Casamène angedeutet haben. Die Texte beschreiben ihn manchmal als Bauingenieur, manchmal als Industriechemiker. Wir wissen, dass Gonin die École Centrale des Arts et Manufactures in Paris besucht hatte, wo er in die Keramiktechnologie eingeführt wurde (siehe unten). Anschliessend arbeitete er in mehreren Keramikfabriken in Frankreich, insbesondere in Casamène, wo er mit den Verantwortlichen des Unternehmens der Delafléchère aus Nyon in Kontakt kam. Seine Anwesenheit in Nyon ist bereits 1858 in seinem Werkstattbuch bezeugt.

Zu seiner Beziehung zu François Bonnard gibt de Molin lediglich an, dass dieser die Fabrik bis 1860 in Partnerschaft mit Gonin, einem Lausanner Bauingenieur, betrieb (De Molin 1904, 86). Pelichet hingegen erklärt, dass sich die beiden Männer «sehr schnell» an der Spitze des Unternehmens wiederfanden. Gonin erscheint hier als Neffe des Nyoner Bankiers Louis Gonet, der ihm und seinem Vater Benjamin Gonin bereits 1848 zu einer Beteiligung an der Firma verholfen haben soll (Pelichet 1985/2, 34). Pelichet scheint sich auf ein offizielles Dokument zu stützen, das uns nicht bekannt ist. Der Autor gibt auch an, dass Gonin Chemie und Physik an der Sekundarstufe in Yverdon unterrichtete, bevor er «einige Monate in einer Fayencefabrik in Bordeaux verbrachte».

In dem oben zitierten Artikel in der Gazette de Lausanne vom 22. März 1879 (der wahrscheinlich von oder in Zusammenarbeit mit Jules Michaud verfasst wurde) heisst es eindeutig, dass Bonnards Fabrik «[…] bescheidene, aber ansehnliche Fortschritte machte bis ins Jahr 1859, als sie in die Hände von Herrn F. Gonin, einem ehemaligen Studenten der Ecole centrale des Arts et Manufactures, überging, der sie vergrösserte und ihre Verfahren verbesserte […]». Im Stadtarchiv von Nyon befinden sich mehrere notarielle Urkunden über die Fabrik, die auch unseren Mann betreffen (ACN, R 810). Am 21. Januar 1859 zum Beispiel «anerkennt Frédéric Gonin, dass er François Bonnard die Summe von 11.200 Francs schuldet, die aus dem unbezahlten Teil des Erwerbs stammt, den der Schuldner soeben vom Gläubiger für die Summe von 20.000 Francs durch eine vom unterzeichnenden Notar unmittelbar vor dem vorliegenden erhaltene Urkunde getätigt hat. […] Der Schuldner verpflichtet sich, sein Vermögen im Allgemeinen zu veräussern und erklärt, dass er dem Gläubiger das soeben erworbene Grundstück, das sich [es folgt die Aufzählung des Grundstücks, auf dem sich die Fabrik und die verschiedenen Gebäudeteile befinden], durch eine besondere Hypothek und im ersten Rang abtritt». Daraus geht hervor, dass Gonin gerade einen bedeutenden Teil des Unternehmens (zwei Drittel) von Bonnard gekauft hatte. Wenige Wochen später, am 15. Februar 1859, wird in einer weiteren Urkunde «der Erwerb eines Wohnhauses mit zwei Mühlen am Chemin Sous-Bel-Air […] von Jean Roydor […], zugunsten der Herren François Bonnard und Frédéric Gonin aus Lausanne, in Nyon», festgehalten. Noch am selben Tag deckten die beiden Partner den Betrag durch einen Heimfallvertrag zugunsten der Kantonalbank.

 

Unserer Meinung nach wurde die Partnerschaft zwischen Bonnard und Gonin und die Umbenennung in «Bonnard & Gonin» genau im Jahr 1859 wirksam, als Letzterer Miteigentümer der Manufaktur wurde. Dies würde das besondere Motiv eine bekannten Kaffeeschale erklären, deren Umdruckdekor das Fabrikgebäude mit der abgekürzten Marke «B & G» und der Jahreszahl «1859» auf dem Dach zeigt (MHPN MH-2003-123).

Erinnern wir uns auch an das Zeugnis des Lesers der Gazette de Lausanne, der die persönlichen Verdienste von François Bonnard in Erinnerung rief und klar festhielt, dass er das Haus von 1845 bis 1859 geleitet habe (siehe oben). Im Katalog der oben erwähnten Berner Ausstellung von 1857 wird François Bonnard, und nur er, als ausstellender Unternehmer genannt. Aus Gonins Werkstattbuch wissen wir jedoch, dass Gonin spätestens ab Herbst 1858 den Kontakt zur Fabrik wieder aufgenommen hatte.

Im Archiv des MHPN befindet sich tatsächlich ein Werkstattbuch von Frédéric Gonin mit Anmerkungen, die vom November 1858 bis zum 12. Januar 1864 datiert sind. Der Umschlag trägt ein vorgedrucktes Etikett der École centrale des arts et manufactures in Paris für das Schuljahr 1841-1842 und die Töpferklasse (von Professor Ferry). Gonin gab auch den Namen des Schülers ein. Das Notizbuch wurde nie im schulischen Kontext verwendet, sondern diente hauptsächlich als Werkstattbuch. Der Inhalt besteht aus einer Reihe von technischen Hinweisen, von denen die meisten sehr knapp gehalten sind. Im November 1858 nahm Gonin eine Bestandsaufnahme der Tonvorräte der Fabrik vor und reparierte im Dezember den alten Brennofen. Später baute er einen neuen Ofen. War es der «neue Steinkohleofen», den er im November 1859 erfolgreich einweihte? Die meisten Anmerkungen betreffen eine beeindruckende Anzahl von Tests von Tonmassen, Glasuren oder Farben für Steingut und für braunes und gelbes Kochgeschirr (aus französischem Dieulefit- oder Bresse-Ton). Für Steingut experimentierte er mit verschiedenen Mischungen auf der Basis von Kölner Ton (wahrscheinlich Vallendar), weissem Morez und Sand aus Tavannes oder Cruseilles.

Unter den Farben, mit denen er experimentierte, erwähnt er ein «fliessendes Blau», das sicherlich dem Flowing Blue der englischen Umdruckdekore entsprach (MHL AA.MI.994; MHL AA.MI.995).

Um den Kölner Ton zu sparen, streckt er ihn manchmal mit schweizerischem Cuvaloup-Ton (oder Couvaloup, eine Tonart, die zwischen Saint-Cergue und La Givrine vorkam).

Aus dem Werkstattbuch geht hervor, dass Gonin, um die verschiedenen Tonmassen zu unterscheiden, mit denen er experimentierte, die Stücke mit Stempelmarken versah, dem Zeichen «NYON» oder einem Kreuz (MHL AA.MI.992; MHL AA.MI.997), einer Praxis folgend, die sich in Casamène offenbar bewährt hatte (siehe MHPN MH-FA-3876-1).

Diese technischen Markierungen, die nicht systematisch angebracht wurden, erscheinen manchmal zusammen mit der Druckmarke des neuen Unternehmens: «BONNARD & GONIN» oder «POTERIE FINE BONNARD & GONIN», in einer ovalen Form, mit zwei Fischen verziert, die jeweils die Erwähnung «NYON» und «SUISSE» tragen (MHPN MH-2015-388; MHPN MH-2015-37; MHPN MH-FA-4113).

Gonins Notizbuch enthält auch eine Liste der Druckplatten, die für die gedruckten Dekore verwendet wurden, mit Angabe der dargestellten Themen: «Flora» – «Musikbordüre» – «Jagd» – «Schweizer Schlösser» – «Eichenlaub» – «Schweizer Bordüre» – «Chalets» – «Deutschland» – «Rosen» – «Marmoriert». Im Inventar, das beim Verkauf der Anlagen an die neue Gesellschaft im Jahr 1860 erstellt wurde, wird ein «Galvanisiergerät» erwähnt. Hat Gonin seine Platten selbst im Galvanisierverfahren hergestellt?

Einige der von Gonin erwähnten Sujets sind auf den Objekten unseres Inventars deutlich zu erkennen, sowohl in der Zeit von «Bonnard & Gonin» als auch in den ersten Jahren der Aktiengesellschaft ab 1860:

– Dekor «Chalets»: MHPN MH-2015-388.
– Dekore «Chalets» mit Bordüre aus «Eichenblättern»: MHPN MH-FA-10020A et –C; MHPN MH-FA-2885; MHL AA.46.B.17F; MHL AA.46.B.17C; MHL AA.46.B.17D; MHPN MH-FA-10018B.
– Dekor «Chalets», mit Bordüre aus «Rosen»: MHL AA.MI.994.
– Nur «Rosen»-Bordüre: MPE 1177A.

– Dekore «Schweizer Schlösser» mit «Schweizer Bordüre» (?): MHPN MH-FA-4173; MHPN MH-FA-4113; MHPN MH-2015-443; MHPN MH-2015-445.
– Dekore «Schweizer Schlösser», mit «Rosen»-Bordüre: MHPN MH-FA-465; MHPN MH-2015-448; MHL AA.46.B.5; MHL AA.46.B.9.
– Dekore «Schweizer Schlösser», mit Bordüre aus «Eichenblättern»: MHPN MH-2013-45F; MHPN MH-2013-45E; MHPN MH-2013-45C.
– Dekor «Jagd», mit «Rosen»-Bordüre: MHPN MH-FA-4175.
– Dekore «Jagd», mit Bordüre aus «Eichenblättern»: MHPN MH-2003-122F; MHPN MH-2003-122E; MHPN MH-2003-122B; MHPN MH-2003-122A; MHPN MH-2003-122C; MHPN MH-2003-122D.

CERAMICA CH enthält auch Ansichten der Schweiz, die in Gonins Notizbuch nicht enthalten sind:

– Ansichten der Schweiz, mit «Rosen»-Bordüre: MHPN MH-2003-123; MHPN MH-2003-124; MHPN MH-FA-465; MHPN MH-2003-125; MHPN MH-2015-338; MHPN MH-2011-22; MHPN MH-2011-23; MHL AA.46.B.7; MHL AA.46.B.8; MHL AA.46.B.10; MHL AA.46.B.6; MM 1203.
– Ansichten der Schweiz mit «Schweizer Ansichten» (?): MHPN MH-FA-4113; MHPN MH-FA-4111; MHPN MH-FA-3928; MHPN MH-2015-444; MHPN MH-2015-446; MHL AA.MI.992.
– Ansichten der Schweiz mit Bordüre aus «Eichenblättern»: MHPN MH-2013-45C.

Nebenbei sei bemerkt, dass Gonin zweifarbige Umdruckdekore übernahm, die in Casamène bezeugt sind (in diesem Fall für ein Jagdsujet mit Musikbordüre in Blau und Schwarz – MHPN MH-2015-37).

Die Blindmarke «NYON» wurde auch in der Zeit von Bonnard & Gonin weiter verwendet, offenbar mit der neuen Funktion einer technischen Marke, aber vielleicht nicht ausschliesslich. Was die Druckmarke betrifft, so wissen wir nicht, ob sie systematisch angebracht wurde, da dies beispielsweise bei Kaffeeschalen und Untertassen offensichtlich nicht der Fall war. Wir stellen auch fest, dass auf der Rückseite der Stücke Ziffern eingeprägt sind (siehe z. B. MHPN MH-2015-37; MHPN MH-FA-4113). Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Zahlen-Blindmarken als Grössenangabe dienten. Die angetroffenen Nummern (für die beiden Zeiträume «Bonnard & Gonin» und «Manufacture de poteries S. A.» sind: 2 (Teller, Durchm. 190-194 mm), 3 (Teller, Durchm. 210 mm), 5 (Milchkännchen, Höhe 170 mm – Teekanne, Höhe 158 mm).

Manufacture de poteries S. A., 1860-1917

Manufacture de poteries S. A., 1860-1917 in CERAMICA CH

Die Episode Bonnard & Gonin war nur von kurzer Dauer. Im Stadtarchiv von Nyon befindet sich eine notarielle Urkunde vom 16. August 1860 mit dem Titel «Erwerb der Steingutfabrik in Nyon von Frédéric Gonin aus Lausanne und François Louis Bonnard aus Nyon zugunsten der Aktiengesellschaft (ACN, R 810). Daraus geht hervor, dass Gonin, ein in Nyon ansässiger Bauingenieur, und Bonnard, ein Kaufmann in Nyon, ersterer «Eigentümer zu zwei Dritteln» den Betrieb an eine am 23. April 1860 gegründete Aktiengesellschaft verkauften («beurkundet bei Notar Bernard in Lausanne»). Die Gesellschaft wurde von Louis Gonet, Bankier in Nyon, mit einer Vollmacht von Adolphe Burnand, wohnhaft in Lausanne, ehemaliger Direktor der Waadtländer Kantonalbank, vertreten, der in dem Dokument als «einer der Geschäftsführer der Gesellschaft» bezeichnet wird. Der Verkauf erfolgte zu einem Preis von 90’000 Franken. Gonin erhielt 11’200 Franken in bar, mit denen er seine Hypothekarschulden bei den Robillard-Erben begleichen konnte, sowie Aktien der neuen Gesellschaft im Wert von 48’800 Franken.

Frédéric Gonin wurde somit einer der Hauptaktionäre des Unternehmens und einer seiner Direktoren. Am 22. Mai 1860, einen Monat nach ihrer Gründung, unterzeichnete die Aktiengesellschaft bei der Caisse d’épargne de Nyon einen Kreditvertrag über 10.000 Franken. In dieser notariellen Urkunde werden Frédéric Gonin und Adolphe Burnand als Verwalter genannt (ACN, R 810). Gonin behielt in der Tat die technische Leitung, während Burnand (1799-1877), der kein anderer als sein Schwiegervater war, wahrscheinlich den finanziellen Aspekt des Unternehmens leitete (für eine kurze Biographie des ersten Direktors der Kantonalbank, siehe in der Revue historique vaudoise, 47, 1939, 111).

Die Gazette de Lausanne würdigte in ihrer Ausgabe vom 3. August 1861 (S. 2) den Aufschwung, den die neue Gesellschaft und Gonin der Fabrik in Nyon verliehen hatten. Der Wert der Jahresproduktion wurde auf 100’000 Franken erhöht, und zwar mit «Steingut, weiss oder bedruckt und braunem oder gelbem Kochgeschirr». Das Unternehmen beschäftigte etwa fünfzig Personen und verfügte über modernste Anlagen und Fertigungstechniken (zahlreiche Maschinen und Mühlen mit hydraulischem Antrieb, Druckdekor auf den Tonwaren mit galvanischen Kupferplatten). Diese Verbesserungen sind Gonin zu verdanken, «der 15 Jahre lang in den wichtigsten Töpferfabriken Frankreichs beschäftigt war, denen er auch als Direktor vorstand».

1861 schenkten Gonin und Burnand dem neu gegründeten Musée industriel de Lausanne eine Reihe von Objekten aus ihrer Fabrik für pädagogische Zwecke (MHL AA.MI.992; MHL AA.MI.994; MHL AA.MI.997).

Die Gruppe umfasste einen unveröffentlichten Dekor, den wir mit einiger Sicherheit der Manufaktur zuschreiben können (MHL AA.MI.995), sowie ein halbfertiges Exemplar (MHL AA.MI.996).

In der Fabrik setzte Gonin einfach seine Arbeit fort, wie das Werkstattbuch bezeugt. Er experimentierte weiter mit den Materialien, insbesondere mit dem Brennen von Kochgeschirr, und versuchte fortwährend, die Effizienz des Brennvorgangs durch Experimente mit verschiedenen Brennstoffen zu verbessern. Die Notizen enden im Januar 1864, zwei Monate vor seinem Tod. Am 15. März 1864 veröffentlichte L’Estafette (S. 4) einen kurzen Nachruf, in dem sie den frühen Tod von «Herrn Gonin bedauerte, dem Leiter der Töpferfabrik von Nyon, einem Betrieb, den dieser kultivierte Mann, der sich durch seine umfassenden Kenntnisse ebenso auszeichnete wie durch die Freundlichkeit seines Charakters, vor einigen Jahren übernommen und auf eine sehr gute finanzielle Basis gestellt hatte».

Es liegt auf der Hand, dass sich die Art der Produktion mit der Gründung der Aktiengesellschaft nicht grundlegend änderte, da der wichtigste Techniker weiterhin die Leitung innehatte. Die Marke «Bonnard & Gonin» wurde offensichtlich fallen gelassen, aber nicht systematisch ersetzt, da viele Stücke unmarkiert blieben (MHPN MH-2015-443; MHPN MH-2015-444; MHPN MH-2015-445; MHPN MH-2015-446; MHPN MH-2013-45F; MHPN MH-2013-45E; MHPN MH-2013-45C; MHPN MH-FA-10018B).

 

 

Eine verbesserte Tonmasse namens «Cailloutage» (bei der der Sand in der Zusammensetzung durch zerkleinerten Feuerstein ersetzt wird) wurde eingeführt, wahrscheinlich von Gonin selbst. Diese Sorte wird von einer neuen Kennzeichnung begleitet, mit gestempelten (MHPN MH-2015-448) oder gedruckten (MHPN MH-2011-22; MHPN MH-2003-122F; MHPN MH-FA-10014; MHPN MH-2003-118) Zeichen. Die neuen Blindmarken enthalten nun die Initialen «MN» (Manufaktur Nyon); die Druckmarken zeigen ein Schild mit dem Wappen der Stadt Nyon.

 

Unter dem Kochgeschirr, das einen bedeutenden Teil der Produktion von Nyon ausgemacht haben muss, haben wir bisher nur ein einziges Exemplar identifiziert: eine manganglasierte Terrine (MHPN MH-1997-34), deren Pressmarke «NYON» zusammen mit einer «2» die Datierung eher erschwert.

Die ersten Jahre nach Gonins Tod sind kaum dokumentiert, weder im Stadtarchiv noch in den Sammlungen. Die Feuille fédérale suisse veröffentlichte in der Nr. 9 vom 29. Februar 1868 den Katalog der Schweizer Teilnehmer an der Pariser Weltausstellung 1867. Auf Seite 243 findet sich unter der Rubrik «Porzellan, Steingut und andere Luxuskeramik» nur einen Aussteller: Die Manufacture de poteries de Nyon (Direktor Versel) mit Teilen eines «Kochgeschirrs». Le Conteur vaudois vom 16. Februar 1867 (S. 2), der einen Überblick über die in Paris anwesenden Waadtländer Aussteller veröffentlichte, gab einen etwas ausführlicheren Kommentar zu den von der Fabrik ausgestellten Töpferwaren ab: «braunes Kochgeschirr […] Wir bewunderten die elegante Form der meisten Objekte, der tiefe Preis macht sie für jedermann erschwinglich; in dieser Hinsicht finden wir, dass diese Ausstellung Erwähnung verdient; sie erlaubt dem Handwerker, auf seinem Tisch Gegenstände von anmutiger und leichter Form aufzustellen und sich so eine Art Luxus zu gönnen». Das Museum Nyon besitzt «eine Preisliste von Objekten aus braunem Kochgeschirr – S. A. de la Manufacture de poterie de Nyon» auf der Rückseite eines Briefbogens mit dem gedruckten Briefkopf «Manufacture de poteries fines et de terres à cuire – F. Versel, directeur-gérant». Ein gewisser F. Versel leitete also spätestens ab 1867 den Betrieb. Der einzige Versel, den wir in der damaligen Presse ausfindig machen konnten, ist ein gewisser François Versel, Geschäftsführer und Sekretär des Friedensrichters in Nyon.

Bereits 1869 trat eine Person in Erscheinung, die der Fabrik fast ein halbes Jahrhundert lang ihren Stempel aufdrücken sollte: Jules Michaud (1840–1917). In einem Artikel in der Gazette de Lausanne vom 22. März 1879, der die Geschichte der Fabrik nachzeichnete und den wir bereits mehrfach zitiert haben, heisst es, dass «Herr Michaud die Fabrik seit 10 Jahren leitete». In einer Urkunde über Wasserrechte vom September 1880 wird Jules Michaud als Geschäftsführer der «Manufacture de poterie de Nyon, société anonyme constituée le 23 avril 1860» (ACN, R 810) genannt.

In einem Artikel über die Eidgenössische Ausstellung der Schönen Künste 1880 in Lausanne schrieb La Revue vom 25. Mai 1880 (S. 3) in Bezug auf die Manufaktur, dass «[…] sie seit etwa zwei Jahren Steinzeugartikel in Form von Krügen, Kannen, Zuckerdosen, Teekannen herstelle, alle gelb glasiert und ohne jegliche Verzierung. Jetzt produziere sie mehr und sogar bessere Produkte [die Keramiken realisiert für die Gebrüder Pflüger, siehe unten]». Die Verwendung des Begriffs «Steinzeug» ist eindeutig missbräuchlich. Gemäss dem Artikel in der Gazette de Lausanne vom 22. März 1879 begann Jules Michaud «um den Monat September 1878, nach mehreren Monaten eifriger und ununterbrochener Arbeit, nach unaufhörlichen Rückschlägen und zahllosen Versuchen», eine künstlerischere Linie zu entwickeln. Diese neue Produktion wurde in Zusammenarbeit mit der Firma Pflüger Frères et Cie, Inhaberin des Bazar vaudois in Lausanne, lanciert. In diesem Fall war das Unternehmen Pflüger Frères et Cie für die Dekore zuständig.

Die Zusammenarbeit mit Pflüger Frères & Cie, 1878–1883

Pflüger Frères & Cie, 1878–1883 in CERAMICA CH

In Artikel «La porcelaine et la poterie à Nyon», erschienen im Journal de Nyon vom 6. und 11. April 1893, schilderte Jules Michaud die Episode folgendermassen: «Die Manufaktur wagte einen neuen Versuch, indem sie für MM Pflüger & Cie und mit ihrer Mithilfe den neuen Zweig der Kunsttöpferei mit Schlickerfarben entwickelte […] es wurden prächtige Stücke hergestellt, einige Sendungen sogar in ferne Länder verschickt, aber der sehr hohe Selbstkostenpreis dieser Artikel begrenzte ihren Verkauf und die Produktion wurde bald eingestellt».

Der Bazar vaudois, eine echte Lausanner Institution, wurde 1831 von Louis Pflüger dem Älteren (der 1858 starb) und Benjamin Corbaz (1786-1847) in Chemin-Neuf gegründet. Ziel des Unternehmens war es, alle Produkte des Waadtländer Handwerks und der Industrie nach einem originellen Prinzip zu vermarkten: Die Hersteller übergaben ihre Produkte dem Bazar auf Kommission, der eine Lagergebühr und eine Provision auf den Verkaufspreis erhob. Nach einigen Jahren verliess Corbaz das Unternehmen, um sich ganz seiner früheren Tätigkeit als Buchhändler und Verleger zu widmen. Nach und nach wurde das Sortiment des Bazars um schweizerische und später um ausländische Produkte erweitert. Im Jahr 1856 wurde der nun stattliche Laden an die Place Saint-François verlegt (J. Z. 1871; Monnet 1881; Bridel 1919; Bridel 1931).

Nach dem Tod von Louis übernahm sein Sohn Philippe (1820–1895) das Unternehmen in Partnerschaft mit Charles Burnand aus Moudon. Ab 1877 nahm das Unternehmen offenbar den Namen «Pflüger Frères et Cie» an (Monnet 1881). Zu diesem Zeitpunkt traten wahrscheinlich zwei der Söhne von Philippe, Charles (1849–1927) und Marcus (1851–1916), in das Unternehmen ein. Der Vater war offensichtlich dabei, seine Nachfolge vorzubereiten. Die Übergabe nahm im Februar 1882 mit der Gründung einer neuen Kommanditgesellschaft konkrete Formen an, in der Charles und Marcus «unbeschränkt haftende Gesellschafter» waren, während Philippe Pflüger und Charles Burnand Kommanditisten waren (Schweizerisches Handelsamtsblatt [SHAB], Bd. 1, 1883, S. 106).

Ein dritter Sohn von Philippe Pflüger, Louis (1847–1893), wird im Zusammenhang mit dem Basar nicht erwähnt, aber es ist sicher, dass er eine Rolle im Keramikabenteuer der Geschwister spielte. Obwohl ihn der künstlerische Weg reizte, insbesondere die Malerei, versuchten seine Eltern zunächst vergeblich, ihn in das Familienunternehmen einzubinden. In den Jahren 1870–1872 konnte er schliesslich eine Ausbildung beim französischen Blumenmaler Joseph-Eugène Gilbault in Lausanne beginnen, bevor er nach Paris ging, wo er bei dem Landschaftsmaler Pierre Dupuis und dem Blumenmaler Victor Leclaire weitere Erfahrungen sammelte. Nach seiner Rückkehr nach Lausanne widmete sich Louis eine Zeit lang der Ölmalerei, vor allem aber der Aquarellmalerei, wobei er eine ausgeprägte Vorliebe für florale Themen hatte. Er nahm an mehreren Ausstellungen in der Schweiz und in Brüssel teil (Vuillermet 1908).

In seinem Eintrag für das Lexikon der Schweizer Künstler, für den er sich auf Informationen der Familie des Künstlers bezog, beschrieeb Charles Vuillermet Louis Pflüger als «Maler und Keramiker». Weiter führte er aus, dass sich Louis «einige Jahre lang der Keramik widmete. Nachdem ihm die Genfer Kunstschule hervorragende Dekorateure zur Verfügung gestellt hatte, schuf er eine in unserem Land neue Industrie: die Herstellung von Kunsttöpferwaren, bekannt unter dem Namen ‹Nyon›». Diese Töpferware wurde mit Auflagen- und reliefdekor sowie Scharffeuermalerei verziert […] Pflüger leitete die Fabrik in Nyon von März 1878 bis zum 27. Januar 1882» (Vuillermet 1908). Louis Pflüger als Keramiker zu bezeichnen, ist eine Übertreibung, auch wenn er sich im Laufe der Zeit ein wenig mit dem Medium vertraut gemacht haben mag. Was den Mythos betrifft, nach dem er die Fabrik leitete, so entstammt er offensichtlich der Fantasie der Familie. Auf diese Fehlinterpretationen werden wir später zurückkommen.

Die Gebrüder Pflüger begnügten sich also nicht damit, die Produkte des Waadtländer Handwerks und der Industrie zu vertreiben, sondern beschlossen im Frühjahr 1878, eine eigene Produktion zu lancieren, deren Leitung Louis anvertraut wurde. Da die Wahl auf das Gebiet der Keramik fiel, sollte diese neue Aktivität in Synergie mit dem Werk in Nyon entwickelt werden, das allein in der Lage war, das Basiswissen, die geeigneten Rohstoffe und die erforderliche technische Infrastruktur bereitzustellen. Louis Pflüger, der Künstler der Geschwister, sollte die ästhetische Linie der Produkte in einem eigens dafür eingerichteten Atelier in den Fabrikräumen entwerfen (La Revue vom 25. Mai 1880, S. 3). Die Dekore wurden auf die von den Drehern und Formern der Fabrik vorbereiteten Stücke gemalt und modelliert. Offenbar stand Louis Pflüger an der Spitze einer kleinen Gruppe von Dekorateuren, Malern und Modellierern, die wahrscheinlich von der Genfer Ingenieurschule rekrutiert wurden (die Kunstgewerbeschule wurde erst 1903 gegründet).

 

Viele der Dekore sind signiert, meist mit einfachen Initialen. Nur zwei Namen erscheinen vollständig: Junod, offenbar aus Neuenburg, und Engel (MHPN MH-FA-2137; MHPN MH-2013-42).

Bei einem Teil dieser sogenannten Kunstkeramik wurden die Dekore polychrom, mit Engoben oder Schlicker, auf eine farbige Grundengobe (meist braun-schwarz) gemalt und mit einer farblosen Glasur überzogen (z. B. MHPN MH-FA-3127; MHPN MH-FA-2686; MHPN MH-1998-307; MHPN MH-2011-29). Eine andere Kategorie von Objekten, die damals für Aufsehen sorgte, wurde mit der gleichen Technik dekoriert, jedoch mit floralen und tierischen Motiven in Flach- und Hochrelief versehen, die modelliert und vor dem Färben und Glasieren aufgetragen wurden (z. B. MHPN MH-2011-27; MHPN MH-2000-108; MHPN MH-2011-31). Zur ersten Gruppe gehören Motive eines gewissen historistischen Eklektizismus (MHPN MH-FA-3127; MHPN MH-FA-2686; MHPN MH-1998-307; MHPN MH-1998-308; MHPN MH-2015-49; MHPN MH-2013-39). Das Schweizerische Nationalmuseum in Zürich bewahrt einen braunen Krug mit Motiven, die den Stil «Alt-Thun» aus zeitgenössischen Fabriken in Steffisburg und Heimberg imitieren, (SNM LM-80590). Dieses Objekt ist repräsentativ für den Beginn der Produktion, wie das auf dem Zinndeckel eingravierte Datum bezeugt: «St. 29 Oktober 1878». Der Erfolg dieser Art von Töpferwaren bei der Kundschaft, die dem aufblühenden internationalen Tourismus zu verdanken war, spielte sicherlich bei der Entscheidung der Gebrüder Pflüger mit, sich überhaupt auf dieses Abenteur einzulassen. Doch schon bald wandten sie sich einem weniger folkloristischen Stil zu.

Die keramische Basis dieser Kreationen war entweder eine herkömmliche rote oder eine feine beige Irdenware (vielleicht das oben erwähnte gelbliche «Steinzeug»?) oder eine feine weisse Steingutmasse. Diese Artikel tragen eindeutige Marken mit dem Schriftzug «PF & Cie» und sind begleitet von einem Fisch.

 

Einige erscheinen als Pinselmarken (MHPN MH-FA-4215; MHPN MH-2015-44), andere als Ritzmarken (MHPN MH-FA-4433A; MHPN MH-FA-4220) oder in einer weissen Engobe-Kartusche in der Art der «Alt Thun»-Keramik (MHPN MH-2015-40). Auch Blindmarken kommen vor (MHPN MH-2009-1).

Die Marke wurde im November 1880 offiziell eingetragen (Bundesanzeiger, 1880, Band IV, Buch 48, 64) mit der Eintragungsnummer 197. Das in der amtlichen Veröffentlichung wiedergegebene Muster entspricht demjenigen der Blindmarke. Die gleiche Zeichnung wurde in einer Anzeige von Pflüger wiedergegeben, in der die Eröffnung eines zweiten Ausstellungsraums im «Chalet» angekündigt wurde, einem Anbau des Grand Bazar, der kürzlich gegenüber dem Bahnhof von Flon errichtet worden war und speziell für die Ausstellung von «Haus»-Keramik konzipiert war (L’Estafette, 29. Juli 1880, S. 3, und 8. Dezember 1880, S. 1). Die fragliche Anzeige enthält eine Warnung an die Kundschaft: «Da täglich schweizerische und französische Töpferwaren fälschlicherweise für Produkte aus der Fabrik in Nyon verkauft werden, verlangen Sie bitte die untenstehende Marke.» Ab dem Frühjahr 1879 veröffentlichten die Gebrüder Pflüger regelmässig Anzeigen in der Lausanner Presse, in denen sie für ihre «Kunstkeramik aus der Manufaktur in Nyon» warben.

Aufgrund ihres farbenfrohen und manchmal sogar spektakulären Charakters zogen Pflügers Inszenierungen die ganze Aufmerksamkeit der damaligen Kommentatoren auf sich und stellten die übrige Produktion von Nyon (wahrscheinlich nicht ohne Grund) in den Schatten. Im Katalog der Zürcher Landesausstellung von 1883 hat die Fabrik die gleiche Ausstellernummer wie Pflüger Frères und erscheint sogar als eine Art «Unteraussteller». Pflüger Frères et Cie erhielten ein Diplom «für ihr kunstvolles Steingut mit Auflagendekor und für ihre Verdienste bei der Einführung dieser Industrie in der Schweiz» (Messerli 1991, 17-18 und Anmerkung 124; Le Nouvelliste vaudois, 4. April 1883, S. 3).

Die Einschätzung der Jury erscheint uns etwas übertrieben. Die berühmten Auflagendekore waren keine Erfindung der Pflüger. Sie lehnten sich wahrscheinlich an die Kreationen an, die zur gleichen Zeit – und mit höherer Virtuosität – von der Töpferei von Eugène Hécler entwickelt wurden, die zwischen 1881 und 1907 in Ferney-Voltaire tätig war (Clément 2000, 87-91; siehe auch MAHN AA 1343; MAHN AA 3351; MAHN AA 1342; MAHN AA 1344). Ein ähnlicher Stil findet sich bei Picolas & Degrange in Carouge (Dumaret 2006, Abb. 91) oder bei Alexandre Schwarz in seiner Poterie des Délices in Genf (eingetragen im SHAB am 13. Januar 1883 [Bd. 1, 1883, 42] – das Musée Ariana bewahrt eine Vase mit braun-schwarzem Hintergrund, die mit einem polychromen Blumenstrauss im Auflagendekor verziert ist, MAG AR 07896). Die beiden letztgenannten Hersteller stellten diese Art von Keramik in der Keramikabteilung der Zürcher Landesausstellung 1883 neben den Kreationen von Pflüger aus (Journal de Genève, 11. Mai 1883, 1).

In der Waadtländer Presse wurden die Bemühungen der Gebrüder Pflüger in Nyon damals mit Begeisterung aufgenommen. Sie wurden mit einigem Nachdruck als die grossen Erneuerer der Nyoner Keramiktradition und als Begründer eines neuen, für die Entwicklung der Waadtländer Wirtschaft vielversprechenden Industriezweigs gefeiert (siehe zum Beispiel einen Artikel über die Eidgenössische Kunstausstellung in L’Estafette vom 26. Mai 1880, S. 5). Dieser Enthusiasmus führte sogar zu Fehlinterpretationen: Hier und da liest man zum Beispiel, dass die Pflügers die Fabrik in Nyon aufgekauft oder sogar gegründet hätten. Auch wenn diese neue Kunstkeramik ohne ihre Initiative – und ohne die finanziellen Investitionen, in die sie wahrscheinlich eingewilligt haben – niemals das Licht der Welt erblickt hätte, darf man nicht vergessen, dass die Gebrüder Pflüger ohne das technische Wissen eines Michaud und seiner Mitarbeiter niemals in der Lage gewesen wären, eine einzige Keramik zu entwerfen.

Die Zusammenarbeit dauerte vier Jahre. Nach der Familientradition hörte Louis am 27. Januar 1882 auf, «die Fabrik in Nyon zu leiten» (Vuillermet 1908). In einer Anzeige in der Lausanner Presse im Dezember 1883 (z.B. in der Gazette de Lausanne vom 1. Dezember 4) teilte Pflüger Frères seinen Kunden mit, dass «unsere bisher in Nyon ansässigen Werkstätten ab dem 1. September 1883 nach Lausanne verlegt worden sind». In der Anzeige werden ausserdem folgende Dienstleistungen angeboten: «Verkauf von Modellierton und Brennen von Stücken». Unserer Meinung nach handelt es sich bei der nach Lausanne verlegten Werkstatt um eine Dekorationswerkstatt, die höchstens mit einem Muffelofen ausgestattet war, der ausschliesslich dem Einbrennen von Dekoren diente. Im Jahr 1884 erschien eine Reihe von Anzeigen, die für «Malkurse und Privatstunden von Herrn Louis Pflüger warben, spezialisiert auf Blumenmalerei auf Seidenstoff, Porzellan und Steingut sowie Aquarellmalerei». Das Studio befand sich in der der Avenue de Villamont Nummer 17. Im folgenden Jahr heisst es in einer weiteren Ankündigung, dass «MM. Pflüger Frères & Cie. von nun an am 1. und 15. eines jeden Monats Porzellan brennen und für den Versand der gebrannten Stücke sorgen werden. Zudem bieten sie ein komplettes Sortiment aller Artikel für Porzellanmalerei an». Die Familie Pflüger hatte eindeutig eine neue Marktlücke ausgemacht, nämlich die der unabhängigen und mehr oder weniger laienhaften Porzellanmaler. In sämtlichen Werbeanzeigen des Unternehmens wird die künstlerische Töpferei nicht mehr erwähnt. Im Jahr 1886 boten sie im Rahmen der «Töpferfabrik am Bahnhof Flon» einen Tonmodellierkurs «für Damen» an (L’Estafette vom 6. Januar 1886, 2); einige Monate später kündigten sie im gleichen Chalet du Flon, dem einstigen Mekka ihrer berühmten Töpferei, eine Ausstellung «künstlerischer und industrieller Erzeugnisse an, die Ausländer interessieren könnten» an (Feuille d’avis de Lausanne vom 27. Mai 1886, 1).

1888 organisierten die Pflügers eine Keramikausstellung im Athénée in Lausanne, auf der «Hunderte» verzierte Fayencen und Porzellan von etwa vierzig Ausstellern präsentiert wurden, unter denen sich auch ihre Kunden befunden haben müssen, oder eher Kundinnen, denn «es sind vor allem die Damen, die sich in dieser zarten und anmutigen Kunst auszeichnen» (Feuille d’avis de Lausanne vom 10. September 1888, 4). Es gab auch Produkte aus der «Fabrik der Herren MM. Pflüger».

 

L’Estafette vom 16. September (S. 5) berichtet in ihrem Artikel über «drei schöne Schalen», die Louis Pflüger ausgestellt hat und die «auf eine besondere Art und Weise behandelt wurden; diese Arbeit erinnert mehr an Ölmalerei als an Keramik». Diese Beschreibung entspricht genau dem einzigen uns bekannten Objekt mit einer Lausanner Marke der Pflügers (MHPN MH-2000-174).

Falls Louis Pflüger in Lausanne tatsächlich Keramik herstellte, beschränkte er sich wahrscheinlich auf die Dekoration von Wandtellern oder Schalen, die von der einen oder anderen Töpferei im Biskuitzustand geliefert wurden; der Endbrand konnte in seinem Muffelofen erfolgen. Wir glauben nicht, dass die Lausanner Werkstatt in der Lage war, so komplexe Objekte wie vormals in Nyon zu produzieren.

Die laufende Produktion

Nach der Schliessung der Dekorationswerkstatt der Gebrüder Pflüger in Nyon scheint die Fabrik noch einige Zeit lang Keramik im gleichen naturalistischen Stil hergestellt zu haben, wie zwei Stücke aus den Jahren 1883 bzw. 1884/1885 belegen (MHPN MH-2015-42; MHPN MH-2015-51).

Diese späteren Objekte sind lediglich mit einem gemalten oder eingravierten «Nyon» gekennzeichnet; mehrere von ihnen sind von Gaston Fresnoy, einem Keramiker aus dem Departement Côte-d’Or, signiert (MHPN MH-2015-42; MHPN MH-2015-51; MHPN MH-1999-22; MHPN MH-FA-4064). Im Archiv der Stadt Nyon befindet sich ein Sparbuch auf seinen Namen aus dem Jahr 1899, das wahrscheinlich von der Fabrik ausgegeben wurde (in: ACN, R 810).

 

Eine signierte Vase zeugt ebenfalls von einer Zusammenarbeit mit dem Nyoner Maler Jules Gachet (MHPN MH-2015-39).

Die laufende Produktion der Manufaktur ist bis heute spärlich dokumentiert. An der Landesausstellung 1883 in Bern stellte die Fabrik laut Katalog «weisses Geschirr» (Steingut) und braunes Kochgeschirr aus. Auf der Waadtländer Ausstellung in Vevey im Jahr 1894 scheint die Fabrik in Nyon weniger Platz eingenommen zu haben als die Töpfereien in Renens, «aber ihre Produkte sind anmutig. Es gibt einige schöne Dekore gemalt mit Scharffeuerfarben. Bemerkenswert ist eine Schale mit einem ländlichen Motiv im Auflagendekor» (L’Estafette, 7. August 1894, 1). Die Manufaktur wurde mit einer Goldmedaille und einem Diplom ausgezeichnet (L’Estafette vom 7. August 1894, 7).

Die Gazette de Lausanne vom 2. Oktober 1894 (S. 1) kommt in einem ausführlicheren Bericht auf die Produktionsart von Pflüger zurück: «Fayencen und Kunsttöpferwaren mit Auflagendekor haben seit einiger Zeit unter der geschickten Leitung der Herren Pflüger, deren Werkstätten vor einigen Jahren von Nyon nach Lausanne verlegt wurden, eine neue und glänzende Entwicklung genommen; aber es sind ausschliesslich die aktuellen Töpferwaren, die auf der Ausstellung gezeigt werden: […] die blauen Verzierungen auf jedem Stück sind nicht dem Pinsel des Künstlers zu verdanken, sondern einem einfachen ausgeschnittenen Pappstempel, der mit Farbe bestrichen und kunstvoll wie ein Siegel auf dem Scherben angebracht wurde. […] es gibt noch einige Modelle künstlerischer Fayencen, die mit einem Pinsel verziert wurden; aber die Firma musste die Herstellung dieses Artikels aufgeben, da er nicht mehr ausreichend rentabel war».

Offensichtlich bestand um die Jahrhundertwende die dekorative Produktion der Motive in Nyon fast ausschliesslich aus Umdruck- (MHPN ; MHPN MH-2013-46; MHPN MH-2000-114; MHPN MH-FA-513; MHPN MH-1999-81; MH-FA-3041) oder sogar Schablonendekoren.

Bemalte Exemplare sind relativ selten und scheinen das Werk von – meist weiblichen – Dekorateuren von ausserhalb der Institution zu sein. Diese Künstlerinnen signierten in der Regel ihre Werke und stellten sie oft einzeln aus (MHPN MH-2015-391; MHPN MH-2015-392; MHPN MH-2011-32).

 

Im Juni und Juli 1896 widmete der Courrier de la Côte mehrere Artikel den verschiedenen lokalen Industrien, die auf der Genfer Landesausstellung präsentiert wurden. In der Ausgabe vom 19. Juli wurde die Gruppe 36, zu der auch Keramikunternehmen gehörten, erwähnt. Für die Manufacture de poteries de Nyon hob der Journalist «künstlerisches Geschirr von grosser Schönheit» hervor, mit hauptsächlich floralen Motiven und bemalt mit Scharffeuerfarben. Sie waren dem Talent von Fräulein Teysseire aus Nyon oder Lizzie Bourquin, einer Lehrerin für Malerei in Versoix, zu verdanken (MHPN MH-2011-32).

Die letztgenannte Künstlerin präsentierte unter anderem ein Service im «alten Nyoner Stil». Die Manufaktur gewann eine Silbermedaille. Vermutlich zeigte das Unternehmen immer wieder Arbeiten von externen Dekorateuren an seinem Verkaufsstand. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Fabrik manchmal Werke bei diesen Künstlern in Auftrag gab, zum Beispiel die Stücke, die sowohl eine Signatur als auch die Marke des Unternehmens tragen (MHPN MH-2011-32).

Nora Gross, 1916-1918

Nora Gross in CERAMICA CH

Pelichet stellte fest, dass die Fabrik in den Jahren 1916–1918 mit der Lausanner Künstlerin Nora Gross (1871-1929) zusammenarbeitete (Pelichet 1985/2, 36). An der von L’Œuvre organisierten Wanderausstellung zum Thema «Arts du feu» im Jahr 1916 stellte Gross mehrere Objekte aus Nyon aus: ein schwarz-weisses Service, Teedosen, Schalen und Bonbonnièren (Gazette de Lausanne, 27. Mai 1916, 3; Les arts du feu 1916, Kat. Nr. 141-145). In einem Bericht über die ebenfalls von L’Œuvre organisierte Exposition d’intérieurs ouvriers in Lausanne 1918 erwähnt der Berichterstatter «ein Tisch- und ein Kaffeeservice, schwarz-weiss dekoriert, komponiert von Frau Nora Gross und ausgeführt von der Töpferei Michaud in Nyon, ein schönes Beispiel dafür, was durch die wohlverstandene Zusammenarbeit von Kunst und Industrie erreicht werden kann» (Tribune de Lausanne, 3. Dezember 1918, 2). Das Musée historique de Lausanne bewahrt die einzigen bekannten Beispiele dieser Zusammenarbeit: sechs Gefässe mit den Initialen der Künstlerin, eines davon mit der Jahreszahl «1916» (MHL Nr. 11; MHL Nr. 13; MHL Nr. 15; MHL Nr. 16; MHL Nr. 24 und MHL Nr. 27).

Im Allgemeinen kennen wir nur sehr wenige Exemplare aus der laufenden Produktion der Fabrik vor den 1920er-Jahren. Die meisten von ihnen haben einen ziemlich dicken und kalten weissen Scherben. Die Umdruckdekore sind von durchschnittlicher Qualität.

 

Eine neue Blindmarke ist bezeugt: «MANUF. de POTERIE NYON» (MHPN MH-2011-32; MHPN MH-2013-46), neben der verkürzten Form «NYON» (MHPN MH-2000-114; MHPN MH-FA-3066). Die erste Fassung ist für 1899, die zweite für 1903 bezeugt. Wir gehen davon aus, dass diese Marken zwischen 1880 und 1920 in Gebrauch waren.

 

Jules Michaud starb im Februar 1917, nachdem er das Unternehmen fast fünfzig Jahre lang geleitet hatte. Sein Sohn Louis, der von ihm in die Keramiktechnologie eingeführt wurde, trat die Nachfolge an. Unter seiner Leitung stellte sich die Fabrik in Nyon den neuen Herausforderungen der Moderne. Dieses letzte Kapitel wird separat unter der Rubrik «Nyon, Manufacture de poteries fines de Nyon S. A.» behandelt.

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

Archives communales de Nyon [ACN], Série Bleu A, Registres de la Municipalité – R 810, Fonds Fernand Jaccard.

La presse vaudoise, consultée sur le site Scriptorium de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne.

 Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 40-56.

Boissonnas-Baylon 1918
Thérèse Boissonnas-Baylon, Faïenceries et faïenciers de Lausanne, Nyon et Carouge. Nos Anciens et leurs œuvres. Recueil genevois d’art VIII, 1918, 55-112.

Bridel 1919
Georges-Antoine Bridel, Une figure originale du Lausanne d’il y a cent ans: Le libraire Benjamin Corbaz (1786-1847). Revue historique vaudoise, 27/10-11, 1919, pp. 304-317, 321-332.

Bridel 1931
Georges-Antoine Bridel, Le Bazar vaudois. À propos de son histoire. Feuille d’avis de Lausanne, 10 novembre 1931, p. 8.

Brongniart et Riocreux 1845
Alexandre Brongniart et Denis-Désiré Riocreux, Description méthodique du Musée céramique de la Manufacture royale de porcelaine de Sèvres. Paris 1845.

Clément 2000
Alain Clément, La poterie de Ferney: deux siècles d’artisanat. Yens-sur-Morges/Saint-Gingolph 2000.

De Buyer et de Buyer 1983
Louis de Buyer et Suzanne de Buyer, Faïences et faïenceries de Franche-Comté. Besançon 1983.

De Molin 1904
Aloys de Molin, Histoire documentaire de la manufacture de porcelaine de Nyon, 1781-1813, publiée sous les auspices de la Société d’histoire de la Suisse romande et de la Société vaudoise des beaux-arts. Lausanne 1904.

Dumaret 2006
Isabelle Dumaret, Faïenceries et faïenciers à Carouge. Arts à Carouge: Céramistes et figuristes. Dictionnaire carougeois IV A. Carouge 2006, 15-253.

Frei 1951
Karl Frei, Die Keramik an den schweizerischen Industrie- und Gewerbeausstellungen in Bern 1848 und 1857, 1. Teil. Revue des Amis suisses de la céramique 20, 4-7.

Frei 1952
Karl Frei, Die Keramik an den schweizerischen Industrie- und Gewerbeausstellungen in Bern 1848 und 1857, 2. Teil. Revue des Amis suisses de la céramique 21, 3-6.

J. Z. 1871
J. Z., Souvenirs d’un vieux Lausannois. La fondation du Bazar vaudois et l’exposition vaudoise des produits de l’industrie. Le Conteur vaudois, 9/48, 1871, p. 1.

Les arts du feu 1916
Exposition des arts du feu. Verrerie, céramique, émaux, vitraux, mosaïque. Cat. d’exposition, Genève, La Chaux-de-Fonds, Neuchâtel, Zurich, Lausanne 1916.

Maggetti 2017
Marino Maggetti, Analyse historique et technologique du carnet de notes du faïencier carougeois Antoine Louis Balyon. Revue des Amis suisses de la céramique 131, 124-157.

Maggetti et Serneels 2017
Marino Maggetti et Vincent Serneels, Étude archéométrique des terres blanches poreuses («faïences fines») des manufactures de Carouge, Jussy, Nyon et Turin. Revue des Amis suisses de la céramique 131, 158-222.

Maire 2008
Christian Maire, Faïence fine française 1743-1843. Le triomphe des terres blanches. Le Mans/Paris 2008.

Messerli Bolliger 1991
Barbara E. Messerli Bolliger, Der dekorative Entwurf in der Schweizer Keramik im 19. Jahrhundert. Zwei Beispiele: Das Töpfereigebiet Heimberg-Steffisburg-Thun und die Tonwarenfabrik Ziegler in Schaffhausen. Revue des Amis suisses de la céramique 106, 7-100.

Monnet 1881
L[ouis] M[onnet], 50e anniversaire de l’ouverture du Bazar vaudois. Le Conteur vaudois, 19/46, 1881, pp. 1-2.

Pelichet 1985/2
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. Nyon 1985.

Roch 1916
Charles A. Roch, La manufacture de porcelaine des Pâquis (Genève, 1787), Pierre Mülhauser et l’établissement de peinture sur porcelaine du Manège (Genève, 1805-1818). Indicateur d’antiquités suisses, Nouvelle série, 18/2, 1916, 154-162.

Sigrist et Grange 1995
René Sigrist et Didier Grange, La faïencerie des Pâquis. Histoire d’une expérience industrielle, 1786-1796. Genève 1995.

Spühler 1981
Theodor Spühler, Zürcher Fayence- und Steingutgeschirre aus dem “Schooren”, Kilchberg ZH von 1793 bis 1820. Ein Beitrag zur Zürcher Töpferei im 18. und 19. Jahrhundert. Kilchberg 1981.

Vuillermet 1908
Charles Vuillermet, Louis Pflüger. In: Carl Brun (éd.), Schweizerisches Künstler-Lexikon, t. II. Frauenfeld 1908, 546.

Nyon VD, Guex, Louis (1910-1988), Kunstkeramik

Roland Blaettler, 2019

Keramik von Louis Guex in CERAMICA CH

Arnold Louis Guex (1910-1988) wurde in Essert-Pittet geboren und wuchs in Lausanne auf. Seine Ausbildung absolvierte er an der Schweizerischen Schule für Töpferei in Chavannes-près-Renens. Laut den Recherchen des Geschichts- und Porzellanmuseums von Nyon aus den 1990er-Jahren arbeitete er anschliessend ein Jahr lang in Schaffhausen (eventuell in der Keramikfabrik Ziegler). 1931 wurde er vom bedeutenden Keramiker Paul Bonifas in Ferney-Voltaire angestellt. Guex ist mit einer Gruppe von Arbeitern, die in den verschiedenen Töpfereien von Ferney angestellt waren, auf einer mit 1932-1938 datierten Fotografie zu sehen. In der Bildlegende steht, dass er als Former bei Bonifas arbeitete (Ferney-Voltaire 1984, 270). Aufgrund der Schwierigkeiten infolge der Weltwirtschaftskrise sah sich Letzterer gezwungen, zwischen 1931 und 1932 drastisch Personal abzubauen. Vermutlich gehörte auch Guex zu den betroffenen Arbeitern – auf jeden Fall wurde er im Herbst 1932 von der Manufacture de poteries fines in Nyon angestellt. Die Einwohnerkontrolle von Nyon registrierte seinen Zuzug im September: Er kam aus Lausanne und gab als Beruf «Keramikformer» an.

An der Seite des Vorarbeiters Josué Rieben und des Leiters des Dekorationsateliers Henri Crétenet spielte Louis Guex in den 1930er-Jahren bei der Erneuerung der Produktion der Manufaktur von Nyon eine wichtige Rolle. Er kreierte neue Formen und verbesserte die Technik der Keramikherstellung mit Hilfe von Gipsformen deutlich (siehe Kapitel «Manufacture de poteries fines de Nyon S. A.»).

Louis Guex verliess die Manufaktur 1946, um sich selbstständig zu machen. Er wurde im Februar 1947 mit dem Vermerk «Atelier de céramique, rue du collège 10» in das Händlerregister der Gemeinde Nyon eingetragen (Archives communales de Nyon [ACN], Orange P-1). Ab diesem Jahr erscheint er in den Waadtländer Telefonbüchern mit der Firmenbezeichnung «Louis Guex, Céramique d’art». Im Schweizerischen Handelsamtsblatt wird sein Atelier erst am 7. Juni 1948 registriert (SHAB, Bd. 66, 1948, 1662).

Uns ist nicht bekannt, wie sein Atelier aussah. Das Gemeindearchiv gibt keine Hinweise auf Baulichkeiten und Einrichtungen, die eine amtliche Bewilligung erfordert hätten.

Guex arbeitete weiter mit Steingut und fertigte dekorative Stücke bescheidener Grösse an, die sich durch eine sorgfältige Endbearbeitung auszeichnen. Für die Herstellung seiner Keramiken verwendete er hauptsächlich das Giessverfahren in Gipsmodeln, sein grosses Fachgebiet. Die «industrielle» Vergoldung, die kein Polieren erfordert, verleiht seinen Kreationen einen besonderen Reiz (MHPN MH-2003-9; MHPN MH-2010-58; MHPN MH-2003-10; MHPN MH-1994-4; MHPN MH-1994-13; MHPN MH-2015-379; MHPN MH-2015-54; MHPN MH-2000-77; MHPN MH-2015-374; MHPN MH-FA-4640).

Seine Herstellermarke, selten gestempelt (Blindmarke) und manchmal auf Etiketten gedruckt, besteht aus dem in Fischform gezeichneten Familiennamen des Keramikers, umrandet von den Worten CÉRAMIQUE und NYON (MHPN MH-FA-4640; MHPN MH-2010-58; MHPN MH-2003-9).

Louis Guex ging 1957 in Konkurs. Laut dem Schweizerischen Handelsamtsblatt wurde der Konkurs am 2. August 1957 eröffnet und am 18. November 1958 abgeschlossen (SHAB, Band 78, 1960, 1459). Im Januar 1959 verliess er Nyon und zog nach Renens, von wo er bereits im Dezember zurückkehrte. Im Mai 1960 liess sich Guex in Lausanne nieder.

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

Archives Communales de Nyon [ACN], Orange P-1, Händlerregister

Schweizerisches Handelsamtsblatt, eingesehen auf der Website e-periodica.ch

 Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 65, 438.

Ferney-Voltaire 1984
Ferney-Voltaire. Pages d’histoire. Ferney-Voltaire/Annecy 1984.

Nyon VD, Isaac, Édouard – Atelier für Kunststeingut

Roland Blaettler, 2019

Keramik von Édouard Isaac in CERAMICA CH

In einer den verschiedenen Keramikwaren aus Nyon gewidmeten Broschüre erwähnt Edgar Pelichet in den Kategorien „Steingut und engobierte Irdenware“, das 1918 von Édouard Isaac gegründete Atelier für «Kunststeingut». Isaac war zuerst in der Rue Saint-Jean 3 ansässig, später  in der Rue de la Gare und schliesslich arbeitete er in der Rue Neuve «in einer Werkstatt der Schraubenfabrik, die seiner Familie gehörte» (Pelichet 1985/2,45). Der Autor zitiert einmal mehr keine Quellen für diese Angaben.

Im Schweizerischen Handelsblatt vom 7. Dezember 1917 ist ein Jules Frédéric Édouard eingetragen als Firmenchef des Hauses «E. Isaac, Kunststeingut», mit Domizil an der Rue Saint-Jean 3d (Bd. 35, 1917, 19319). In der Publikation wird präzisiert, dass Isaac von Beruf Kunstmaler war.

Zwischen 1919 und 1922 figuriert Isaac im Indicateur vaudois als «Steingutdekorateur», immer noch ansässig in der Rue Saint-Jean. Die Erwähnung scheint Pelichets Behauptung, Isaac habe seine Stücke selbst geformt, zu widersprechen (Pelichet 1985/2, 45). Die wenigen Keramiken, die wir untersuchen konnten, deuten darauf hin, dass Isaac einfach feines Steingut dekorierte, das industriell hergestellt und sehr wahrscheinlich als Schrühbrand (Biscuit) von der Manufacture de poteries fines in Nyon geliefert wurde.

Was seine Verbindung zur Industrieellenfamilie Isaac von Nyon angeht, können wir nach unserem derzeitigen Kenntnisstand nur vermuten, dass Jules Frédéric Édouard vielleicht ein Sohn oder Neffe von Charles-Édouard Isaac (1851–1925) war, der die Schraubenfabrik «Jules Issac et fils S. A.» zwischen 1906 und 1916 leitete (Schweizerisches Handelsblatt [SHAB], Bd. 25, 1907, S. 439 – Nachruf auf Charles-Édouard, in: Bekanntmachung von Lausanne vom 30. Oktober 1925, 20).

Abgesehen von einem Teller mit dem Firmenemblem im Stil des Historismus (MHPN MH-2012-101), der offenbar als Werbung für das neue Atelier gedacht war, bewahrt das Schloss Nyon einen Gedenkteller (MHPN MH-2010-60) und eine Reihe von Tellern mit Papageiendekor (MHPN MH-2000-73A; MHPN MH-2000-73B; MHPN MH-2000-73C; MHPN MH-2000-73D).

Édouard Isaacs Firmenmarke (Herstellermarke, Signatur) besteht aus seinen Initialen «E I», einem Fisch und der Initiale «N» für Nyon (MHPN MH-2010-60; MHPN MH-2000-73B).

Isaacs Keramikproduktion endete vermutlich im Verlauf des Jahres 1922.

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

La presse et les annuaires vaudois, consultés sur le site Scriptorium de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne.

La Feuille officielle suisse du commerce, consultée sur le site e-periodica.ch.

Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 440

Pelichet 1985/2
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. Nyon 1985.

Nyon VD, Kaeppeli, Hermann, Kunstkeramik, 1917-1923

Roland Blaettler, 2019

Hermann Kaeppeli (1883-1970), ursprünglich aus Mühlau AG, war Inhaber des 1907 von seinen Eltern geerbten Geschäfts, eines Gemischtwarenladens mit einem breiten Sortiment an Spezialitäten (Tapeten, Chemikalien, Farben, Glaswaren, Töpferwaren, Porzellan, Korbwaren, Lebensmittel, Spielwaren – Schweizerisches Handelsamtsblatt, Bd. 25, 1907, 261). Die erste offizielle Erwähnung einer Ausweitung seiner Aktivitäten auf die «Herstellung von Kunstkeramik» erfolgte im Juni 1917 (SHAB, Bd. 35, 1917, 1015). Im darauffolgenden Jahr wurde Kaeppeli zum ersten Mal im Indicateur vaudois als «Hersteller von Kunstkeramik» unter der gleichen Adresse wie sein Geschäft aufgeführt: Grand’Rue 26. Am 28. Juni 1917 registrierte Kaeppeli seine Firmenmarke, die eine Genferseebarke in einem Rechteck darstellt, ergänzt mit den Initialen «KR» (Kaeppeli Rüegger) und den Erwähnungen «Fabrikmarke» und «Nyon» (SHAB, Bd. 35, 1917, 1090), siehe MHPN MH-2015-451.

Eine Variante dieser Marke, diesmal mit den Initialen «HK» (Hermann Kaeppeli), wurde 1944 eingetragen; das Geschäftsfeld wurde durch die Begriffe «Fayence, Steinzeug, Porzellan, Farben und Glasuren, Utensilien für keramische Arbeiten» charakterisiert (SHAB, Bd. 63, 1945, 394). Offensichtlich handelte es sich um eine rein kommerzielle Marke, auch wenn die Erwähnung «Fabrikmarke» beibehalten wurde.

Anlässlich der Weihnachtsfeiertage 1917 veröffentlichte Kaeppeli eine Anzeige, in der er seine «Kunstkeramik aus Nyon» anpries. Sie zeigte zudem eine doppelte Ausführung seiner Firmenmarke und sechs Zeichnungen von Vasen, darunter zwei Vasen dekoriert mit Meerjungfrauen (MHPN MH-2015-451). Eine weitere Vase war mit einem Dekor versehen, der einem Stück fein gravierten Steinguts, das wir den Gebrüdern Richard zugeschrieben hatten, sehr ähnlich ist (MHPN MH-FA-432). Der Werbetext riet auch, «die Marke ‹La petite barque› zu verlangen» (Feuille d’avis de Vevey vom 24. Dezember 1917, 4).

Bei der zweiten Person, deren Name in der Regel in der Marke, nicht aber im Firmennamen auftauchte, handelte es sich um Oscar Rüegger (1882-1960), der sich im Indicateur vaudois, wo er von 1915 bis 1919 eingetragen war, als «Porträtist» bezeichnete. Er wohnte in der Rue du Vieux-Marché 13, ab 1919 dann in der Rue de Rive 20. Wir wissen nur sehr wenig über ihn, ausser dass er ursprünglich aus Rothrist AG stammte und bereits seit einigen Jahren in Nyon lebte, ersuchte er doch am 11. Januar 1915 bei der Gemeindeverwaltung um ein Leumundszeugnis (Archives communales de Nyon [ACN], Bleu A-74). Er wollte von der Berner Regierung eine Lizenz für den Verkauf von Ansichtskarten und Militärbildern erwerben. Eines ist sicher: Er war kein Töpfer. Neben Kaeppeli war Rüegger offensichtlich auch für die Dekoration der Stücke verantwortlich. Die meisten Objekte tragen, abgesehen von der Firmenmarke mit der Genferseebarke, die Erwähnung «von OR» oder einfach die Initialen «OR» (MHPN MH-2015-521).

Die Ähnlichkeit zwischen Kaeppelis Produkten und denen der Gebrüder Richard –sowohl in Bezug auf die Technik als auch auf die Ästhetik – ist gelinde gesagt beunruhigend und veranlasste Pelichet zu der Aussage, dass Hermann Kaeppeli und «Herr Reusser [sic] einige Stücke für die Richards gemacht hätten» (Pelichet 1985/2, 44). Tatsache ist, dass Kaeppeli sich selbst als «Fabrikant» bezeichnete und dass die ordnungsgemäss eingetragene Fabrikmarke daher auch nicht bloss das Zeichen eines ausführenden Angestellten der gebrüder Richard sein kann. Ausserdem wird Kaeppeli im Indicateur vaudois bis 1923 als Fabrikant erwähnt, während die Töpferei Richard Frères bereits 1921 Konkurs angemeldet hatte.

Im März 1918 beantragte Kaeppeli die Genehmigung zum Bau eines Gebäudes in der Rue Nicole, in dem ein Geschäft und Lagerräume untergebracht werden sollten (ACN, Bleu A-76, Sitzung vom 25. März 1918). Einige Wochen später informierte er die Stadtverwaltung schriftlich über seine Absicht, auf dem geplanten Gelände einen Ofen zum Brennen von Töpferwaren («Glasuren und Ton») zu bauen. Das Gesundheitsamt äusserte Vorbehalte wegen der Gerüche und Dämpfe, die eine solche Anlage verursachen könnte (ACN, Bleu A-76, Sitzung vom 15. April 1918). Wir haben keine Spur von diesen «Lagerräumen und des Geschäfts» gefunden, es sei denn, sie waren Teil des «Labor»-Projekts, das zur gleichen Zeit auftauchte. Am 12. April 1918 bat Kaeppeli die Behörden um die Erlaubnis, einen kleinen Ofen in einem technischen Raum im Hinterhof seines Ladens aufstellen zu dürfen. Er erläuterte sein Projekt folgendermassen: «Um Erfahrungen zu sammeln, ist im Labor ein Muffelofen zum Brennen von Glasuren und Tonwaren geplant, aber vorerst handelt es sich nur um wissenschaftliche Versuche.» Im Dezember erhielt er die Erlaubnis, sein Labor mit einem Elektromotor auszustatten, um eine Farbmühle, einen Mischer bzw. eine Strangpresse zur Aufbereitung der Tonmassen und eine Töpferscheibe anzutreiben.

Die im Stadtarchiv Nyon aufbewahrte Akte enthält einen Plan der Anlage, aus dem hervorgeht, dass der Raum, der mit einem kleinen Ofen und einer Töpferscheibe ausgestattet war, insgesamt 6 m auf 4,80 m mass (ACN, Blue K-315.46). Es ist schwer vorstellbar, wie eine Produktion, die diesen Namen verdient, auf so kleinem Raum und mit so begrenzter Ausstattung hätte gedeihen können. Angesichts der geringen Anzahl der vom Museum Nyon gesammelten Objekte ist es auch wahrscheinlich, dass die Produktion von Kaeppeli nie sehr umfangreich war. Ausserdem zeigt ein Vergleich mit den Produkten der Hafnerei Richard, dass sie einige technische Schwächen aufweisen, wie z.B. eine oft unregelmässige und stellenweise zu dünne Glasur. Könnten diese Keramiken dennoch in Kaeppelis Labor hergestellt – oder zumindest verziert – worden sein?

In seinen Arbeitsnotizen, die im Musée du Château de Nyon aufbewahrt werden, vermerkt Pelichet, dass die Firma, nach Informationen, die ihm von der Witwe von Auguste Richard gegeben wurden, 1923 von Hermann Kaeppeli (siehe unten) übernommen wurde. Aus den Protokollen der Stadtverwaltung erfahren wir jedoch, dass Gustave Besson, der «neue Besitzer der Töpferei Richard Frères En Prélaz», im April 1923 um einen Aufschub der Zahlung seiner Grunderwerbssteuern bat, da «die Fabrik erst in den letzten Tagen in Betrieb genommen werden konnte» (Blue A-79, Sitzung vom 29. April 1923). Bezeugt die von Pelichet überlieferte Aussage der Witwe Richard nicht, auch wenn sie vielleicht nicht präzise ist, dass es Kontakte zwischen den beiden Unternehmen gab? Erstaunlich ist auch die Ähnlichkeit zwischen der Fischvase der Hafner Richard (MHPN MH-2015-432) und der von Rüegger dekorierten – und signierten –Vase (MHPN MH-FA-4729). Zu beachten ist, dass letztere keine Werkstattmarke trägt und beide Objekte eine eingravierte Nummer «16» auf dem Sockel haben.

Diese kleine Produktion bleibt ein Rätsel mit vielen ungeklärten Fragen. War es eine völlig eigenständige Produktion? Haben Kaeppeli und Rüegger Objekte dekoriert, die in der Töpferei der Gebrüder Richard oder seines Nachfolgers hergestellt und gebrannt wurden, oder hat Rüegger für die Töpferei der Gebrüder Richard gearbeitet, bevor er sich mit Kaeppeli zusammengetan hat? Hat Kaeppeli wirklich bis 1923 produziert?

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen

Archives communales de Nyon [ACN], Séries, Bleu A, Registres de la Municipalité – Bleu K.

Waadtländer Presse und Jahresbücher, konsultiert in der Datenbank Scriptorium der Kantons- und Universitätsbibliothek Lausanne.

Schweizerisches Handelsamtsblatt, eingesehen auf der Website e-periodica.ch

Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 63-64, 436.

Pelichet 1985/2
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. Nyon 1985.

Nyon VD, La Poterie commune und ihre Nachfolger, Richard Frères

Roland Blaettler,  2019

Die Stadt Nyon war von jeher Heimat vieler Töpfer, Ziegelmacher und Ofenbauer. Am bekanntesten waren offensichtlich die Mitglieder der Familie Bezençon: Samuel I (gest. 1787), wohnhaft in Nyon seit 1738, sein Sohn Samuel II (gest. 1802) und sein Enkel Isaac, dessen Tätigkeit als Töpfer bis 1832 nachgewiesen ist (Pelichet 1985/2, 11 und 12; Kulling 2001, 238-240).

Pelichet schrieb Isaac Bezençon eine Reihe von Gefässen aus engobierter Irdenware zu: einen Krug von 1796 (MHPN MH-FA-4061) sowie Platten und Teller, ausgeführt für den ortsansässigen Schiffer Jacques Popelu in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts (MHPN MH-FA-521; MHPN MH-FA-520; MHPN MH-FA-519; MHPN MH-FA-536).

In einem Artikel mit dem Titel «Nyon und seine Industrien» stellte der Conteur vaudois vom 2. April 1881, S.1 lapidar fest, dass «die gewöhnlichen Töpferwaren […] zahlreich seien», eine Aussage, die etwas rätselhaft bleibt. Gemäss unserer Kenntnisse über das ausgehende 19. Jahrhundert wissen wir, dass neben der Manufacture de poterie fine ein weiterer Keramikbetrieb in der Rue de la Poterie 7 existierte, der offensichtlich keine «gewöhnlichen Töpferwaren» herstellte. Die “Poterie commune” widmete sich der Produktion von Irdenware. Durch ihren Namen unterschied sie sich auch von der Manufacture de poterie fine, die edles Steingut produzierte. Pelichet vermutete, dass die Einrichtung um 1896 von einem gewissen Boehler gegründet wurde (Pelichet 1985/2, 43).

Witwe Philippe, 1883-1885

Tatsächlich findet sich aber schon 1883 eine Erwähnung der Poterie commune im offiziellen Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) unter dem Firmennamen «Veuve Philippe». Der Betrieb wurde zu dieser Zeit von Marie Madeleine Pauline, geborene Musset aus Moens im Departement Ain, geleitet. Sie war die Witwe von Jean Christ Philippe. Die im Handelsamtsblatt angezeigte Tätigkeit bestand in der Herstellung und dem Verkauf von Alltagsgeschirr, d.h. von engobierter und glasierter Irdenware (SHAB Bd. 1, 1883, 355). Es ist zu vermuten, dass die Töpferei zuvor vom verstorbenen Jean Christ geleitet wurde, aber der Eintrag im SHAB weist nicht auf eine Namensänderung hin, sondern erscheint als Ersteintrag. Wie dem auch sei, zwei Jahre später heiratete die Witwe Philippe einen gewissen Jean Bœhler, vielleicht einen ehemaligen Mitarbeiter, aus Soufflenheim, dem berühmten elsässischen Töpferzentrum. Das Unternehmen wurde danach unter dem Namen des Ehemanns weitergeführt (SHAB, Bd. 3, 1885, 582).

Jean Bœhler, 1885-1902

1890 erhielt Bœhler einen Preis für seine Keramiken, die er auf der Gartenbauausstellung in Nyon zeigte (La Revue, 27. September 1890, 1). 1893 findet man ihn erneut unter den Preisträgern (La Revue, 22. September 1893, 2). 1896 beteiligte er sich an der Nationalen Ausstellung in Genf (Genf 1896/1, 408, Ausstellernummer 4163). Bei dieser Gelegenheit gab er dem Publikum mittels öffentlicher Vorführungen auf der Drehscheibe kostenlos Einblick in seine Arbeit (Courrier de la Côte vom 19. Juli 1896). Die ausgestellten Produkte wurden als «glasierte Töpferware, Typ Majolika» beschrieben.

Wie viele seiner Kollegen in der Genferseeregion, die die Technik der engobierten Irdenware anwendeten, bot Bœhler vor allem Töpferwaren ohne Dekor für den täglichen Gebrauch an. Seine Unterschrift erscheint am unteren Rand des «Tableau des mesures de poterie cuite adoptées par la Fédération des ouvriers tourneurs de la région de Genève, Ferney, Renens, Annecy et zones environnantes et de Messieurs les patrons soussignés» (wiedergegeben in: Ferney-Voltaire 1984, 264-265). Siehe auch das Kapitel «Les poteries engobées de la région lémanique».

Der vom Journalisten des Courrier de la Côte verwendete Begriff «Typ Majolika» deutet darauf hin, dass der Töpfer von Nyon auch raffinierter verarbeitete Töpferwaren herstellte, die er mit farbigen Glasuren veredelte. Sehr wahrscheinlich waren seine Produkte nie mit einer Marke gekennzeichnet. Wir sind aber dennoch versucht, drei verzierte, kegelstumpfförmige Krüge mit gleichem Henkeltypus Boehler zuzuschreiben; alle drei Objekte sind in ihrem Dekor mit «Nyon» bezeichnet, zwei davon sind datiert. Das erste Exemplar, das im Musée du Château de Nyon aufbewahrt wird, zeigt ein Muster aus weisser und grüner Marmorierung auf rotbraunem Grund. Die Kanne ist mit dem Datum «2. Oktober 1888» und den Initialen «E. M.» versehen (MHPN MH-1996-73).

Wir hatten das Stück zunächst der Töpferei Knecht aus Colovrex zugeschrieben, bis wir im Musée de la vigne, du vin et de l’étiquette in Aigle eine zweite, formal sehr ähnliche Kanne entdeckten, die jedoch mit einem applizierten Reliefdekor aus Weinranken verziert ist und die Jahreszahl «1888» sowie die Initialen «A:R» trägt. (MVVE 1515). Das Design der Ornamente ist dem der berühmten «Willkommenskannen» der Familie Knecht aus Colovrex (GE) sehr ähnlich, aber die Verarbeitung ist deutlich anders. In diesem Fall wurden die Blätter gemodelt, aber die Trauben und Stiele wurden von Hand gefertigt, bevor sie appliziert wurden, während bei der Töpferei Knecht nicht nur die Blätter, sondern auch die Trauben gemodelt wurden. In der Amoudruz-Sammlung des Musée d’ethnographie in Genf befindet sich eine dritte Kanne, die unsere Zuschreibung an die Werkstatt in Nyon zu bestätigen scheint: Gekennzeichnet mit der Inschrift «Nyon», aber ohne Datum, hat sie die gleiche Form und das gleiche Marmorierungsmuster wie das Beispiel aus dem Museum in Nyon. (ETHEU 103238).

Jean Bœhler meldete 1902 Konkurs an (Feuille d’avis de Lausanne vom 16. Mai 1902, 16 – SHAB, Bd. 20, 1902, 1042).

Poterie commune de Nyon S. A., 1905-1909

Die neuen Besitzer der Firma, Robert Matthey und Robert de Rham, legten 1902 der Stadtverwaltung Pläne für den Wiederaufbau der Töpferei vor (Archives communales de Nyon [ACN], Bleu A-69, Sitzung vom 19. November 1902). Im Dezember 1905 gründeten sie eine Aktiengesellschaft, die «Poterie commune de Nyon S. A.», mit dem Zweck, «den unter diesem Namen bekannten Betrieb, die Herstellung und den Verkauf von gewöhnlichen Töpferwaren sowie alle auf diesem Gebiet tätigen oder damit zusammenhängenden Unternehmungen zu erwerben und zu betreiben.» Der Vorstand bestand aus drei Mitgliedern: Robert de Rham, Präsident, wohnhaft in Lausanne, Robert Matthey und Georges André, beide in Nyon ansässig (SHAB, Bd. 23, 1905, 2027).

Es ist nicht bekannt, ob die 1902 angekündigten Arbeiten durchgeführt wurden, aber 1906 wurden neue Pläne von der Aktiengesellschaft vorgelegt (ACN, Bleu A-70, Sitzung vom 5. Februar 1906). Von 1907 bis 1909 erwähnt der Indicateur vaudois die Manufacture de poterie commune in der Rue de la Poterie 7, mit einem gewissen Billon als Direktor. Das Unternehmen gewann einen Preis auf der Gartenbauausstellung 1908 in Nyon (La Revue vom 10. September, 2). Im selben Jahr nahm die Stadtverwaltung zur Kenntnis, dass die «Société anonyme de la Poterie commune» fortan dem Fabrikgesetz unterstand, da sie 15 Personen beschäftigte (ACN, Bleu A-71, Sitzung vom 12. Oktober 1908). Etwa ein Jahr später erhielt das Unternehmen die Erlaubnis, seine Lagerbestände zu liquidieren (ACN, Bleu A-72, Sitzung vom 8. November 1909).

Henriette Morello, 1910-1912
Théophile Thomas-Morello, 1912-1916

1910 meldete der Indicateur vaudois einen neuen Direktor der Firma: Jules Meylan. In seiner Sitzung vom 7. Oktober 1910 erfuhr der Gemeindevorstand, dass die «Poterie commune» von jetzt an «Henriette Morello, poterie» heissen würde (ACN, Bleu A-72). Marthe-Henriette Morello, ursprünglich aus Turin (SHAB, Bd. 28, 1910, 662), ist im Handelsregister als Geschäftsführerin eingetragen (ACN, Orange P-1). Es ist wahrscheinlich, dass sie Mieterin der Einrichtungen war, die sich noch im Besitz der Aktiengesellschaft befanden. Ein Leumundszeugnis wurde ausgestellt für «Fräulein Henriette Morello, geboren in Ferney-Voltaire am 31. Januar 1878, italienischer Abstammung, Töpferin, die seit dem 1. Januar 1910 in Nyon wohnt und sich schon früher für längere Zeit dort aufgehalten hat» (ACN, Bleu A-73, Sitzung vom 19. Februar 1912).

Kurze Zeit später heiratete Henriette Morello den aus Paris stammenden Théophile Thomas. Die Töpferei ging im November 1912 auf den Namen des Ehemannes über (SHAB, Bd. 30, 1912, 2060). Die Verbindung währte nicht lange, am 8. November 1914 verkündete die Gazette de Lausanne (S. 3) die traurige Nachricht: «Herr Thomas-Morello, der Vorsteher der Poterie commune de Nyon […] ist Anfang September in der Schlacht an der Marne auf dem Feld der Ehre gefallen». Henriette führte die Töpferei, offenbar ohne Änderung des Firmennamens, bis 1916 weiter. Am 8. September 1916 wurde der Firmenname definitiv gelöscht (SHAB, Bd. 34, 1916, 1394). Im Mai desselben Jahres informierte Henriette die Gemeinde über ihre Absicht, das Haus ihres verstorbenen Mannes umzubauen, sehr wahrscheinlich, um sich dort zur Ruhe zu setzen (ACN, Bleu A-75, Sitzung vom 8. Mai 1916).

Laut den Aufzeichnungen der Einwohnerkontrolle von Nyon wurde Henriette Morello 1910 von ihren drei Brüdern begleitet: Abel, ausgebildeter Töpfer, wurde 1882 in Vanchy (Ain) geboren, er liess sich 1921 in Bonneville (Haute-Savoie) nieder; Louis und Charles, die als Arbeiter eingetragen waren, beide 1893 bzw. 1894 in Renens (VD) geboren, verliessen Nyon 1920, der erste zog nach Ferney-Voltaire, der zweite nach Marseille.

Die Morellos sind ein typisches Beispiel für ausgewanderte Töpferfamilien – in diesem Fall aus Italien –, die weit weg von ihrer Heimat auf der Suche nach Arbeit waren. Irgendwann liess sich der Vater der Morellos in Ferney-Voltaire nieder (Geburt von Henriette), einige Jahre später in Vanchy (Geburt von Abel), einem Ort mit ebenfalls langjähriger Töpfertradition. Später fanden sich die Morellos in Renens wieder, wo die letzten beiden Söhne geboren wurden. Die Geschichte erinnert natürlich an das harte Schicksal dieser ewig entwurzelten Menschen, aber sie zeigt auch die unvermeidlichen persönlichen Verbindungen auf, die zwischen den verschiedenen Töpferzentren der Genferseeregion im weitesten Sinne geknüpft wurden.

Die Poterie commune beteiligte sich 1913 an der Gartenbauausstellung in Nyon mit «Kunstkeramik und Gebrauchskeramik» (Feuille d’avis de Lausanne vom 12. September 1913, 3). Bei der Gebrauchskeramik handelte es sich mit Sicherheit um eine undekorierte und relativ standardisierte Produktion, wie sie von den meisten Werkstätten in der Genferseeregion ausgeführt wurde (z.B. MHPN MH-1996-78; MHPN MH-FA-4427A; MHPN MH-1996-77; MHPN MH-2013-32). Aber welche Stücke wurden der Kunstkeramik zugeordnet?

Das Musée du Pays-d’Enhaut in Château-d’Œx bewahrt einen Teller, der mit einem äusserst bescheidenen Blumenmuster verziert und auf der Rückseite mit «Nyon 1913» markiert ist (MPE 2995).

Die Zuschreibung «künstlerisch» wäre passender für diese flache Platte aus dem Musée du Château de Nyon, die mit einem Sgraffitodekor mit vertieftem Hintergrund verziert ist und von einer in Nyon nie gesehenen Modernität zeugt (MHPN MH-2011-30). Sie stammt ebenfalls aus dem Jahr 1913, mit eingravierter Marke «Gervais Abel – Noviodunum (der römische Name der Stadt Nyon, eine Marke, die Régis Richard einige Jahre später durchsetzte)».

Gemäss Pelichet arbeiteten die Brüder Morello eine gewisse Zeit für die Nachfolger ihrer Schwester, die Brüder Richard (Pelichet 1985/2, 43). Hatte Abel Morello zwei Vornamen, Abel Gervais? In den Dokumenten der Einwohnerkontrolle findet man keine entsprechende Erwähnung. In diesem Fall scheint «Gervais» ein Familienname zu sein, der in Frankreich weit verbreitet war, ganz zu schweigen von dem alteingesessenen Zweig in Cartigny GE. Das Museum von Nyon besitzt zwei weitere Stücke, die in der gleichen dekorativen Technik wie die Platte von 1913 hergestellt wurden und beide die Ritzmarke «AG» (wahrscheinlich die Initialen von Abel Gervais) tragen: eine Schale mit zwei weiteren Ritzmarken – «Noviodunum» und «Lebrane L» (MHPN MH-1999-105) und eine ebenfalls mit «Nyon» bezeichnete Vase (MHPN MH-2015-348).

Durch seine Form und seinen Dekor nimmt die Vase eindeutig ein Modell vorweg, das typisch für die Produktion der Brüder Richard sein wird, die 1916 die Nachfolge von Henriette Morello antraten (MHPN MH-2015-432; MHPN MH-FA-4041, HPN MH-2015-432; MHPN MH-FA-4041).

Der damaligen Presse (siehe unten) entnehmen wir, dass Régis Richard bereits 1915 erste Versuche in diese neue Richtung in Angriff nahm. Die beiden mit «AG» gekennzeichneten Objekte gehören vielleicht zu dieser experimentellen Phase, die Richard mithilfe des Töpfers Abel Gervais in der Werkstatt von Morello ausführte. Was die Platte von 1913 betrifft, so ist sie wahrscheinlich zu früh datiert, um mit Richard in Verbindung gebracht zu werden, auch wenn sie seinen eingravierten Namen trägt. Daher diese andere Hypothese: Abel Gervais, ein besonders begabter Töpfer, führte unter den Thomas-Morello den innovativen Stil ein, der später von den Richards weiterentwickelt wurde. Derselbe Gervais (oder sein Chef Théophile Thomas) wäre auch der Erfinder der Marke «Noviodunum».

Richard Frères et Cie, 1916-1917 – Richard Frères, 1917-1921

Der Firmenname «Richard Frères et Cie» wurde am 29. Mai 1916 im offiziellen Schweizerischen Handelsamtsblatt eingetragen, wo zu lesen ist, dass Régis und Auguste Richard (Albert, der dritte Bruder, erscheint zu diesem Zeitpunkt noch nicht) sich mit Camille Schultz aus Genf zusammenschlossen (SHAB, Bd. 34, 1916, 870). Am 5. September verzeichnete dieselbe Quelle das Ausscheiden von Régis, der durch seinen Bruder Albert als Teilhaber ersetzt wurde (SHAB, Bd. 34, 1916, 1383). Und erst am 19. September nahm die Stadtverwaltung eine Mitteilung der Präfektur zur Kenntnis, die besagte, dass der Name der ehemaligen Töpferei Thomas-Morello fortan «Poterie de Nyon – Richard Frères et Cie» lautete und dass das Unternehmen dem Fabrikgesetz unterstand (ACN, Bleu A-75). Am selben Tag bat Régis Richard um die Nutzung des Salons im zweiten Stock des Lancaster-Gebäudes, um zwischen dem 1. und 15. Oktober mithilfe von «Professor [Georges] Vallotton und M. Monod, Aquarellist» eine Ausstellung von Malerei, Keramik und Goldschmiedekunst zu veranstalten.

Von Anfang an scheint Louis-Régis Richard (1893-1940) der Künstler dieser jungen Geschwister gewesen zu sein (der Jüngste war kaum zwanzig Jahre alt). Seine Eintragung bei der Einwohnerkontrolle qualifizierte ihn als «Maler-Dekorateur». Albert (geboren 1895) wurde als Industrieller registriert, ebenso Auguste (1896-1938). Die Richards stammten ursprünglich aus Nyon VD und Coinsins VD.

Unter der neuen Leitung blieb die Töpferei der traditionellen Technik der engobierten Irdenware treu, aber in einer Form, die raffinierter sein sollte und die mit ihren relativ modernistischen Sgraffitodekoren mit vertieftem Hintergrund (Champlevé) offen künstlerische Ambitionen zeigte. Zu Beginn des Unternehmens unterscheiden wir zwei Produktionslinien: Diejenige mit technischer und ästhetischer Raffinesse war wahrscheinlich Régis’ persönliche Arbeit, von ihm entworfen und dekoriert, aber in der Werkstatt des Unternehmens gebrannt. Diese Linie trägt generell eine Marke mit dem Monogramm «RR» (MHPN MH-2015-347; MHPN MH-2015-412; MHPN MH-FA-251A; MHPN MH-FA-251B; MHPN MH-2000-113; MHPN MH-2015-184; MHPN MH-2015-352; MHPN MH-2015-351; MHPN MH-2015-185).4; MHPN MH-2015-352; MHPN MH-2015-351; MHPN MH-2015-185).

m ersten Jahr veröffentlichte die Familie Richard in der Presse zwei Arten von Werbeanzeigen, aus denen eine klare Unterscheidung zwischen der Basisproduktion und der persönlicheren Produktion hervorging. Die Absicht von Régis war, diese zwei Linien in den Köpfen zu verankern. Eine Anzeige verwies auf die «Poterie de Nyon – Richard Frères & Cie – Spécialité de poterie artistique – Poterie commune et fantaisie» (z.B. in Lausanne artistique vom 17. Juni 1916). Die zweite Anzeige stellte die «Poteries artistiques Novio Dunum – Régis Richard, céramiste, Nyon – Spécialités de vases, cache-pots, bibelots, suspensions, plats décorés» ins Zentrum (Lausanne artistique vom 9. Juli 1916). Es sieht so aus, dass Régis sich eine Zeit lang die Marke «Noviodunum» angeeignet hat. Erstaunlich ist, dass diese Marke nur selten auf den Stücken in Verbindung mit dem Monogramm «RR» erscheint (MHPN MH-FA-251A; MHPN MH-FA-251B), während sie manchmal neben der Blindmarke von «Richard Frères et Cie» zu finden ist (MHPN MH-1999-106; MHPN MH-2015-432; MHPN MH-2015-346). Im letzten Fall könnten diese Doppelmarken auf Modelle hinweisen, die Régis für die Firma entworfen hatte.

Was die «kollektive» Produktion der Töpferei betrifft, so trägt sie zunächst eine eingestempelte, fischförmige Blindmarke mit dem abgekürzten Firmennamen «R. F. & Cie» und der Erwähnung «Déposé» (eingetragenes Warenzeichen, gesetzlich geschützt) (MHPN MH-199-106; MHPN MH-2015-432; MHPN MH-2015-401; MHPN MH-FA-4248). Es ist anzumerken, dass diese Marke noch bis 1920 erscheint, ungeachtet der Änderung des Firmennamens im Jahr 1917 (siehe unten und MHPN MH-1998-94). Es gibt auch mehrere Varianten von Marken, die nur aus dem Nachnamen «Richard» bestehen, entweder eingeritzt (MHPN MH-2015-519; MHPN MH-2015-399; MHPN MH-2015-395; MHPN MH-2015-180; MHPN MH-FA-4040) oder eingestempelt (MHPN MH-2011-25).

Nach der Gründung der Firma, die er in der ersten Zeit präsidierte, distanzierte sich Régis Richard ziemlich schnell von ihr, um sich ganz seinen persönlichen Kreationen zu widmen. Im Rahmen der von L’Œuvre zwischen Mai und November 1916 organisierten «Exposition des arts du feu» mit Stationen in Genf, La Chaux-de-Fonds, Neuchâtel, Zürich und Lausanne erschien Régis Richard im Katalog unter seinem persönlichen Namen, ohne Erwähnung der Firma. Er wurde als «Keramiker, av. Viollier 3 in Nyon» beschrieben. An der Ausstellung präsentierte er 29 Stücke, darunter grosse und mittlere Urnen (zu Preisen von 54 und 35 Franken); eine Vase mit Fischdekor (7.–); eine Vase, Storch und Fuchs (7.50); Vasen mit grünen und blauen Sternen (6.50); eine Vase, Stier (5.–); eine Vase, fliegende Störche (4.50); eine Vase, Eichhörnchen (4.–); eine Vase, Reiher (4.–); Bonbondosen, griechischer oder Renaissance-Dekor (2.–); Vasen, Windhunde (7.-); eine rauchschwarze Vase (7.–); Pétronelle (1.70) und dekoratives Geschirr (Les arts du feu 1916, S. 42). In seiner der Ausstellung gewidmeten Chronik äusserte sich der damalige Kunstkritiker und Sekretär von L’Œuvre, Paul Perret, erbarmungslos über diese Kreationen: «Das merkwürdige Verfahren von Herrn Régis Richard, der seine Töpferwaren mit Engoben verziert und danach die Farbe des darunterliegenden Scherbens freikratzt, hat etwas Trockenes und Armseliges an sich und scheint mir die schönsten Eigenschaften des Materials zu missachten. Dieses Defizit wird durch die solide Zeichnung nicht immer wettgemacht» (Gazette de Lausanne, 27. Mai 1916, 3).

Noch im selben Jahr nahmen die Richards am «Comptoir d’échantillons de Lausanne» teil. Der Journalist von Lausanne artistique (22. Juli 1916, 1) hebt in seinem Bericht die «gekratzten Stücke» von Régis hervor: «Dieses Verfahren ist in der Schweiz völlig neu […] Seine ersten Versuche stammen aus dem Jahre 1915 und nach einer schwierigen Phase gelang es Herrn Richard letzten Endes, Stücke von gutem Geschmack und nicht zu teuer herzustellen. Die Formen werden vom Haus Richard Frères et Cie hergestellt […] Er übernimmt die Anfertigung von Kunstkeramik jeglicher Art auf Bestellung. Seine Dekorationswerkstätten befinden sich in Nyon, rue de Rive Nr. 26, wo Besucher immer eine interessante Auswahl all seiner Artikel vorfinden.»

Im November 1916 beantragte die Firma die Genehmigung zur Installation eines Elektromotors und einer Strangpresse in den «zu der Société anonyme de Poterie commune gehörenden Räumlichkeiten». Wir erfahren dabei auch, dass die Firma über ein Geschäft in der Rue de la Gare 34 verfügte (ACN, Bleu A-75, Sitzung vom 27. November 1916). Der Name der Töpferei wurde im Mai des folgenden Jahres, nach dem Ausscheiden des Teilhabers Camille Schultz, geändert: Sie hiess nun «Richard Frères» (SHAB, Bd. 35, 1917, 962).

Der Indicateur vaudois aus dem Jahr 1917 unterscheidet noch zwei Firmennamen, allerdings mit ein und derselben Adresse: «Poterie Noviodunum – Régis Richard» und «Richard Frères». Die Unterscheidung wurde in den folgenden Jahren nicht beibehalten und erschien nie im Schweizerischen Handelsamtsblatt.

In Wirklichkeit war Régis Richard eben dabei, sich von Nyon zu lösen, um ein neues Unternehmen aufzubauen. Im Oktober 1917 gründete er zusammen mit Oscar-Joseph Bairiot, einem in Nyon lebenden Belgier, eine offene Handelsgesellschaft mit Sitz in Genf (2, rue de la Tour-Maîtresse), die sich der Herstellung und dem Handel von Kunst- und Gebrauchskeramik widmete (SHAB, Bd. 35, 1917, 1749). Um ihre Pläne zu verwirklichen, übernahmen Richard und Bairiot im Januar 1918 die bekannte Töpferei der Söhne von Alexandre Liotard in Ferney-Voltaire (Ferney-Voltaire 1984, 287 – Clément 2000, 71, der Autor der Publikation bezeichnet Richard als «erbärmlichen Keramiker»). Bereits im Dezember zog sich Bairiot aus dem Geschäft zurück, der Genfer René Nicole kaufte seine Anteile, der Hauptsitz des Hauses «R. Nicole et R. Richard» wurde daraufhin nach Plainpalais in Nicoles Haus verlegt (SHAB, Bd. 36, 1918, 1986). Im Februar 1920 verkaufte Régis Richard seinerseits seine Anteile an Nicole, der damit Alleininhaber eines Unternehmens wurde, das bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs einen gewissen Erfolg haben sollte (Clément 2000, 71-75; Rivollet 1998).

Régis wagte ein letztes Abenteuer, als er sich mit dem Architekten Henri Miège aus Ferney zusammentat, um gemeinsam mit ihm «La Grande Poterie artistique R. M. C. de Ferney-Voltaire» auf die Beine zu stellen, ein ambitioniertes, angeblich grandioses Projekt, von dem man nie wieder hören sollte … (Ferney-Voltaire 1984, 287).

Während dieser Zeit hatten Auguste und Albert Richard in Nyon die Pläne für eine neue Fabrik in Martinet, im Quartier En Prélaz an der Strasse nach Saint-Cergue, hinterlegt (ACN, Bleu A-76, Sitzung vom 23. September 1918). Im Januar des folgenden Jahres wurden die Arbeiten auf Wunsch des Staatsrats unterbrochen (ACN, Bleu A-77, Sitzung vom 6. Januar 1919); trotz dieses Zwischenfalls wurde das Bauvorhaben abgeschlossen, denn im August erhielten die Eigentümer die Genehmigung, ihren Elektromotor in die neuen Räumlichkeiten zu verlegen (ACN, Bleu A-77, Sitzung vom 18. August 1919). Das Kommunalarchiv von Nyon besitzt Pläne der neuen Fabrik, auf denen die Anordnung von zwei grossen Öfen zu sehen ist (ACN, Bleu K-315.52). Die Räumlichkeiten waren für die Unterbringung von etwa zwanzig Arbeitern ausgelegt. Der neue Aufschwung der Fabrik sollte nur von kurzer Dauer sein: Am 5. September 1921 nahm die Stadtverwaltung den Konkurs von Richard Frères zu Protokoll (ACN, Bleu A-78); laut dem Schweizerischen Handelsamtsblatts wurde das Unternehmen im August aus dem Register gestrichen (SHAB, Bd. 39, 1921, 1611).

Albert Richard wanderte 1922 nach Frankreich aus und Auguste verliess im folgenden Jahr die Ufer des Genfersees Richtung Compiègne.1929 kehrte er nach Nyon zurück, wo er bis zu seinem Tod blieb. Was Régis betrifft, so verliess er Nyon 1924, er liess sich in Marseille nieder, verstarb aber in Vence.

In seinen Arbeitsnotizen, die im Musée du Château de Nyon aufbewahrt werden, vermerkt Pelichet, dass die Firma, nach Informationen, die ihm von der Witwe von Auguste Richard gegeben wurden, 1923 von Hermann Kaeppeli übernommen wurde. Aus den Protokollen der Stadtverwaltung erfahren wir jedoch, dass Gustave Besson, der «neue Besitzer der Töpferei Richard Frères En Prélaz» im April 1923 um einen Aufschub der Zahlung seiner Grundsteuern bat, da «die Fabrik erst in den letzten Tagen in Betrieb genommen werden konnte» (Bleu A-79, Sitzung vom 29. April 1923). Im Schweizerischen Handelsamtsblatt ist Besson am 12. Mai als Leiter der Keramikfabrik an der route de Trélex eingetragen (Bd. 41, 1923, 976). Im folgenden Monat meldete die Präfektur, dass der Betrieb von Besson, elf Arbeiter beschäftigte und somit dem Fabrikgesetz unterstand (Bleu A-79, Sitzung vom 14. Mai 1923). Am 2. Oktober 1924 verkündete die Feuille d’avis de Lausanne (S. 8) den Konkurs des Betriebs. Er erscheint namentlich zum letzten Mal im Indicateur vaudois von 1925. Das Gebäude «neueren Datums, mit Töpferwerkstatt, Wohn- und Büroräumen» wurde am 6. April 1925 zum öffentlichen Verkauf ausgeschrieben (SHAB, Bd. 43, 1925, 502).

Im darauffolgenden Jahr wird im selben Verzeichnis zum ersten und letzten Mal ein gewisser E. Besson, Töpfer, rue de la Poterie (wahrscheinlich in den Räumlichkeiten der ehemaligen Poterie commune) erwähnt.

Die Marke «Noviodunum» erscheint auch – diesmal ohne weitere Fabrikmarke –auf einer bisher unbekannten Produktion, deren Zuordnung etwas problematisch bleibt. Es handelt sich um eine Art feines Steingut mit sehr weissem Scherben, bedeckt mit einer Farbschicht (einer Art Engobe?) und verziert mit der gleichen Technik des Sgraffitodekors mit vertieftem Hintergrund (MHPN MH-2015-393; MHPN MH-2012-60; MHPN MH-2015-394; MHPN MH-2015-396; MHPN MH-FA-4045; MHPN MH-2015-470; MHPN MH-FA-4632).

Gewisse stilistische Ähnlichkeiten mit der Produktion der engobierten Irdenware veranlassen und dazu, diese Kategorie von Objekten den Brüdern Richard zuzuschreiben, jedoch ohne absolute Gewissheit. Die gleiche Technik findet sich auf Objekten mit der Marke «Kaeppeli und Rüegger», allerdings sind die Dekore sowie die Verarbeitung von minderer Qualität (siehe MHPN MH-2015-405; MHPN MH-2015-494; MHPN MH-2000-85A und das Kapitel «Nyon, Kaeppeli et Rüegger»)

Übersetzung Stephanie Tremp

Quellen:

Archives communales de Nyon [ACN], Série Bleu A, Registres de la Municipalité – Série Bleu K – Orange P1, Registre des commerçants

La presse et les annuaires vaudois, consultés sur le site Scriptorium de la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne

Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 60–64.

Clément 2000
Alain Clément, La poterie de Ferney: deux siècles d’artisanat. Yens-sur-Morges/Saint-Gingolph 2000.

Ferney-Voltaire 1984
Ferney-Voltaire. Pages d’histoire. Ferney-Voltaire/Annecy 1984.

Genève 1896/1
Exposition nationale suisse Genève 1896. Catalogue de l’art ancien. Groupe 25. Genève 1896.

Kulling 2001
Catherine Kulling, Poêles en catelles du Pays de Vaud, confort et prestige. Les principaux centres de fabrication au XVIIIe siècle. Lausanne 2001.

Pelichet 1985/2
Edgar Pelichet, Les charmantes faïences de Nyon. Nyon 1985.

Rivollet 1998
Karin Rivollet, La poterie René Nicole à Ferney-Voltaire, 1919-1939. Genève 1998.

Nyon VD, Porzellanmanufaktur – relative Chronologie der Produktion

Roland Blaettler 2019

Bisher sind uns aus der Porzellanmanufaktur in Nyon nur zwei datierte Objekte bekannt: die «Trembleuse» des Musée Ariana aus dem Jahr 1796, mit Signatur des Malers Étienne Gide und verziert mit zwei ländlichen Szenen nach Debucourt und Taunay (MAG AR 05607), sowie ein Medaillon, signiert und datiert mit «J. Pernaux, den 16. Febr. 1792», das einst von Siegfried Ducret veröffentlicht und von Pelichet zitiert wurde (Ducret 1962; Pelichet 1985/1, 30).

Johann Joseph Hubert Pernaux (geb. 1772), Sohn des Ludwigsburger Drehers Jean Pernaux, ist laut Pelichet zwischen 1786 und 1801 in Nyon als Maler belegt (Pelichet 1985/1, 30). Im Gegensatz zur «Trembleuse» trägt das Medaillon keine Marke mit dem Fisch.

Die ehemaligen Buchhaltungsunterlagen der Manufaktur vor 1793 sind als Quelle nicht sehr hilfreich, bis auf eine Ausnahme: Das Hauptbuch von 1787 bis 1794 erlaubt es, die Tassen mit den Silhouetten der Familie von Moïse Bonnard auf das Jahr 1789 zu datieren (MHPN MH-PO-2280; MHPN MH-PO-2281; MHPN MH-PO-2282; MHPN MH-PO-2283; MHPN MH-PO-2284; MHPN MH-PO-2285).

Für die folgenden Perioden ist das Journal der Jahre 1793 bis 1801 wohl ausführlicher, was die Art der gehandelten Objekte betrifft, aber im höchsten Grade lückenhaft. Wie Laurent Droz feststellt, werden in diesem Dokument nur die Barverkäufe am Bilanzstichtag und ein Teil der Verkäufe durch die Händler erwähnt (Droz 1997, 46). Auch wenn diese Verkäufe detailliert aufgeführt sind, sind die Dekore nicht immer ausreichend genau beschrieben.

Bei personalisierten Motiven (Zahlen, Wappen) ermöglichen die Bücher manchmal, eine chronologische Spanne von einigen Jahren festzulegen, zum Beispiel bei Bestellungen von wichtigen Kunden wie Anna Pieri Brignole-Sale (MHPN MH-2008-48) oder Georg Gustav von Wrangel (MHPN MH-PO-1423 und -1422; MHPN MH-2007-150).

Seit einigen Jahren versuchen wir, eine relative Chronologie der Produktion in Nyon zu erstellen, wobei wir uns aufgrund der Seltenheit der dokumentierten Hinweise fast ausschliesslich auf die detaillierte Untersuchung der Objekte stützen. Unser Ansatz berücksichtigt ein Maximum an materiellen Kriterien: die Art des Scherbens (Farbe im reflektierten Licht, Lichtdurchlässigkeit im durchscheinenden Licht), die Form, der Dekor, die Vergoldung und die Ausgestaltung der Marke. Auf den folgenden Seiten versuchen wir zu beschreiben, was unserer Meinung nach die besonderen Merkmale jeder Phase der Produktionsentwicklung sind. Es ist das erste Mal, dass wir die Ergebnisse unserer Beobachtungen veröffentlichen, die sich in erster Linie auf die in CERAMICA CH vorgestelltenPorzellane beziehen. Ein Ansatz wie der unsere ist als evolutionärer Prozess zu betrachten und kann ständig an neue Erkenntnisse angepasst werden. Die chronologischen «Meilensteine», die wir in unseren Datierungen vorschlagen, sind daher als vorläufige Daten zu betrachten.

Die Arbeit am vorliegenden Keramikkorpus hat uns zudem ermöglicht, einige Kriterien zu präzisieren, wie beispielsweise einzelne Markentypen, die nun dank der Entdeckung des «Cuénod-Services» für die Jahre 1784/85 belegt sind (MHPN MH-2013-117; MHPN MH-2013-113M; MHPN MH-2013-112E; MHPN MH-2013-106; MHPN MH-2013-105B; MHPN MH-2013-111; MHPN MH-2013-101; MHPN MH-2013-108A; MHPN MH-2013-104; MHPN MH-2013-102; MHPN MH-2013-110; MHPN MH-2013-109; MHPN MH-2013-103; MHPN MH-2013-107).

Die Untersuchung einiger wenig verbreiteter Dekore lässt vermuten, dass es sich dabei wahrscheinlich um einzelne Aufträge handelt, die in den Geschäftsbüchern dokumentiert und datiert wurden (MHPN MH-PO-3906; MHPN MH-PO-2868; MHPN MH-2015-95; MHPN MH-PO-3230).H-PO-3230).

Das von Maria Anna von Roll bestellte Service konnte ihr so klar zugeordnet werden, erlaubt doch das Todesdatum der Solothurner Patrizierin im Jahr 1795 einen Terminus ante quem für die betreffenden Objekte festzulegen (MHPN MH-2007-200; MHPN MH-PO-4232; MCAHL 30021; MAHN AA 2390).

Soweit möglich, haben wir unsere untersuchten Objekte mit den Informationen verglichen, die uns die alten Buchhaltungsunterlagen liefern, hauptsächlich für die Jahre nach 1793. Die Rechnungsbücher ermöglichen es auch, das Auftauchen einer Reihe von späten Dekoren (nach 1795) und von als «neu» bezeichneten Formen in den Beständen der Manufaktur ziemlich genau zu lokalisieren (siehe unten).

Die ersten Jahre, 1781–1785

In einem Brief an Ihre Exzellenzen in Bern vom Februar 1787 erklärte Ferdinand Müller, dass die Verantwortlichen der Manufaktur, nachdem sie im August 1785 von den Berner Behörden eine Zollbefreiung erhalten hatten, einen neuen Ofen bauen liessen, um das Produktionsvolumen zu erhöhen und «um die Zukunft des Unternehmens zu sichern» (De Molin 1904, 29). In einem Memorandum vom 23. März, das an dieselben Behörden gerichtet war, ging Müller auf die 1785 getätigten Investitionen ein und schrieb: «Nach einem Versuch im Kleinen entwickelte er [der Bittsteller] seine Herstellung …». (De Molin 1904, 40).

Die Formen

In unserer chronologischen Klassifizierung zeichnen sich die frühesten Jahre vor 1785 – die Zeit, die dem von Müller erwähnten «Versuch im Kleinen» entsprechen könnte – durch oft eher bescheidene Formen mit einfachen runden Henkeln und modellierten, fruchtförmigen Deckelgriffen aus wie bei Zuckerdosen und Saucentöpfchen (MHPN MH-PO-4278; MHPN MH-2007-193; MHPN MH-2007-162B; MHPN MH-PO-1443). Der gleiche Typ von Griffen und Henkeln ist auch bei frühen Suppentassen bezeugt (MHPN MH-PO-4241; MHPN MH-PO-1315 und -1314; MHPN MH-2015-96).

Die frühesten Teekannen sind sehr klein und haben einen kugelförmigen Körper (MHPN 2015-116; MHPN MH-2015-117; SNM LM-61686). Bald darauf erscheinen jedoch Teekannen von konventionellerer Grösse, die dem «Litron»-Typ entsprechen, mit einem zylindrischen Bauch, aber einer abgerundeten Schulter, einem runden Ausguss und einem spitzen Henkel (MHPN MH-PO-4287). Das Musée Ariana bewahrt ein Übergangsmodell auf, das den gleichen Körper und die gleiche abgerundete Schulter aufweist, aber mit achtseitigem Ausguss und einem runden Henkel mit zungenförmiger Daumenrast (MAG AR 10671). Diese Teekanne kündigt eine neue Form an, die um 1785 aufzutauchen scheint: zylindrischer Körper, schräge, leicht abgerundete Schulter, sechsseitiger Ausguss, runder Henkel mit zungenförmiger Daumenrast.

Das Musée Alexis Forel bewahrt ein frühes Exemplar dieses neuen Typs (MAF C 519), der sich mit einigen äusserlichen Änderungen bis zum Ende der Produktion halten sollte.

Die Kaffeekannen haben von Anfang an einen birnenförmigen Bauch; der Henkel ist zunächst rund (MHPN MH-PO-1411; MAG 018257) und später spitz zulaufend wie bei der Teekanne (MHPN MH-2015-168; MHPN MH-1999-49; MHPN MH-PO-4288; MHPN MH-2015-153). Die fruchtförmigen Deckelgriffe werden relativ schnell durch die Tannenzapfenform ersetzt, die sich fast durch die gesamte Produktion hindurch hielt (z. B. MHPN MH-1999-47; MHL AA.MI.2142). Sahne- und Milchkannen haben zunächst einen beutelartigen Bauch, der auf drei Rocaillefüssen steht, und einen runden Henkel (MHPN MH-PO-4289). Bei höheren Modellen findet man spitze Henkel (MHPN MH-2015-97; MHPN MH-2008-9) oder hohe quadratische Henkel (MHPN MH-PO-1433; MAG AR 10692). Die Teedosen sind von Anfang an zylindrisch geformt mit einer zunächst abgerundeten Schulter wie bei den ersten «Litron»-Teekannen (Gonin 2018a, Abb. S. 12), dann mit einer schrägen Schulter (MHPN MH-PO-1432); sie werden in den folgenden Perioden so gut wie nicht verändert, ausser dass die Schulter eckiger wird. Aus den Rechnungsbüchern erfahren wir, dass die Manufaktur die Teedosen oft mit Metalldeckeln lieferte.

Die Tassen sind entweder glockenförmig mit einem runden Henkel (MHPN MH-PO-1593 und -1594; MHPN MH-2015-130) oder vom Typ «Litron» – in den Rechnungsbüchern als «Becher» bezeichnet –, aber mit einem relativ ausgeprägten Kegelstumpfprofil; auch hier sind die Henkel zunächst rund und glatt (MHPN MH-PO-3229; MHPN MH-2007-169; MHPN MH-2008-1A; MCAHL 29356). Die allerersten Schalen für den Konsum von heissen Getränken – in der Regel Tee – sind relativ niedrig mit ausladendem Rand (MHPN MH-PO-1406; MHL AA.VL 88 C 463). Bald darauf wird der Tassenrand höher und gerade (MHPN MH-2007-198; MHPN MH-2015-165); die zugehörigen Untertassen sind relativ tief (MHPN MH-PO-1346 und -1347).

Die «Trembleuses», in den Rechnungsbüchern als «déjeuners à la Reine» bezeichnet, sind in der Regel leicht kegelstumpfförmig und mit zwei Henkeln versehen, die zunächst eine abgerundete Form mit einer Spitze (SNM LM-52049; Gonin 2017, Abb. 42), dann eine quadratische Form mit abgesetztem oberem Ansatz (MHPN MH-2007-154; MHPN MH-2005-100) aufweisen. Diese geradlinigen Henkel wurden während des Brennvorgangs fast immer verformt. Zuckerdosen, die zunächst eine halbkugelige Form haben (MHPN MH-PO-4278), nehmen relativ schnell ein zylindrisches Profil an, zunächst mit einem abgerundeten Boden und einem gewölbten Deckel (MHPN MH-1999-47; MHPN MH-PO-4286). Der abgeschrägte Boden, der später zur Regel wird, setzt sich bereits in der gleichen Periode durch (MCAHL 30027). Die frühen Saucentöpfchen sind relativ schlank, haben einen einfachen runden Henkel und einen Deckel mit einem modellierten Griff in Form einer Frucht (MHPN MH-2007-193; MHPN MH-2007-162B; MHPN MH-PO-1443).

DieSuppentassen, die in den Archiven der Manufaktur in Anlehnung an die Terminologie der französischen Fabriken «Schalen» genannt werden, sind zunächst halbkugelig mit einfachen runden Henkeln und fruchtförmigem Griff  (MHPN MH-PO-4241; MHPN MH-PO-1315 und -1314; MHPN MH-2015-96).

Was die Teller und Dessertteller anbetrifft, so weisen sie von Anfang an die klassische Form auf, die im Laufe der Zeit nicht wesentlich verändert wurde, mit einem fassonierten Rand, der abwechselnd aus sechs kleinen und sechs grossen Lappen besteht (MAF C 505). In dieser frühen Phase sind sie jedoch zwischen Rand und Absatz relativ dick und daher wesentlich schwerer als spätere Versionen. Das MHPN bewahrt ein frühes und wahrscheinlich einzigartiges Beispiel eines Tellers mit einem gemodelten Rand auf (Motiv aus sich kreuzenden Palmzweigen). Es muss sich um ein Einzelstück handeln, da diese Ausführung in der Produktion von Nyon sonst nicht mehr auftaucht (MHPN MH-PO-3089).

Einige komplexere Gefässe, wie die Zuckerdose mit festem Untersetzer, sind in dieser Periode noch selten. Das einzige bekannte Modell ist oval mit profilierten Pilaster-Motiven auf Bauch und Deckel. Der Griff des Deckels war ursprünglich in Form einer Frucht geformt, wie ein intaktes Exemplar im Musée Ariana zeigt. Beim Beispiel aus dem Schloss Nyon weist der Griff in Form eines Tannenzapfens Klebstoffspuren auf, was auf eine Reparatur mit einem Ersatzgriff hindeuten könnte (MHPN MH-2013-111). Beide Exemplare weisen Brennrisse auf. Es ist denkbar, dass diese seltene Form wegen ihrer zu grossen Zerbrechlichkeit beim Brennen schnell aufgegeben wurde.

Schon bald tauchen komplexere, übernommene Formen auf, wie diese runden Körbe, deren durchbrochene Teile in diesem Stadium ein Muster aus geraden Bögen aufweisen. Der Untersetzer ist ausgestattet mit doppelten, sich gegenüberliegenden Blättern. An den Rändern verläuft ein Motiv eines gedrehten Bandes im Relief (MHPN MH-2009-10B und -11B). Diese frühe Form gibt es auch in einer ovalen Version (Martinet 1911, Abb. S. 18).

Die ersten Vasen mittlerer Grösse (25–27 cm Höhe) haben in der Regel einen urnenförmigen Körper auf einem gemodelten Sockel (MHPN MH-PO-3110; SNM LM-6038MAG AR 10661; Pelichet 1985/1, Abb. 116 und 157), wobei die einzige formale Variation in den Griffen besteht, die entweder quadratisch, in Form eines Widderkopfes oder in Form eines weiblichen Maskarons gestaltet sein können. Besonders hervorzuheben ist die prunkvolle Vase, die den Berner Behörden 1782 geschenkt wurde und heute im Bernischen Historischen Museum aufbewahrt wird (BHM H/951 – Droz 1997, 25; Pelichet 1985/1, 163, Abb. 8 und 9), auf der man sieht, dass die Manufaktur bereits die gesamte Palette der Dekortechniken beherrschte: Unterglasurblau, Poliergold mit Mustern, und den Guss dreidimensionaler Formen. Nur wenige Brennrisse, die unter dem breiten, vergoldeten Blattfries am Boden des Objekts verborgen sind, zeigen in diesem Fall, dass die junge Manufaktur die Grenzen ihrer technischen Möglichkeiten erreicht hatte.

Die Dekore

In Nyon, wie in allen europäischen Manufakturen, bildete der Blumendekor das Rückgrat des ornamentalen Repertoires. Im Bereich der Blumensträusse ist der Einfluss aus Paris klar erkennbar. Man denkt dabei vor allem an Clignancourt, an die Manufacture de la Reine oder die Manufacture de Locré.

Die Blumenmotive dieser frühen Periode zeichnen sich durch eine lockere, fast gestische Malweise aus, die in ihrer frühesten Phase nicht sehr sorgfältig ist (MHPN MH-PO-4278; MHL AA.VL 88 C 463). Nach und nach wird die Ausführung präziser, mit ausladenden Sträussen und einer harmonischeren Komposition (MHPN MH-2009-10B und -11B). Die Farben sind kontrastreicher als in den späteren Sträussen, im Blattwerk sind Schatten und Blattadern deutlich stärker ausgeprägt. Die Sträusse sind meist sehr dicht und fast immer um eine Rose herum angeordnet (MHPN MH-2007-193; MHPN MH-2015-168; MHPN MH-PO-1387; MHPN MH-PO-1593 und -1594; MAF C 506).

Das Kornblumenmotiv wird in Nyon, einmal mehr unter dem Einfluss der Pariser Produktionen, ausgiebig interpretiert. Die Variationen dieses Themas waren nahezu grenzenlos: Man trifft auf Darstellungen in Form von Zweigen oder einzelnen Blüten, Girlanden und Kränzen. In dieser frühen Phase wird das Thema jedoch vor allem in Form von Zweigen, begleitet von einigen gestreuten Blüten, behandelt (MHPN MH-PO-4347).

In den Bereichen Landschaft und belebte Szenen zeigen die ersten Versuche noch einen eher pastosen Pinselstrich (MHPN MH-PO-4241). Etwa zur gleichen Zeit hatte die Manufaktur jedoch einen nicht identifizierten Künstler in ihren Reihen, der ihr bester Figurenmaler war und dem die meisten der von François Boucher inspirierten Szenen mit grossen Figuren zu verdanken sind (MHPN MH-PO-1315 und -1314). Von derselben Hand stammen wahrscheinlich insbesondere das prächtige Service im Nationalmuseum (SNM LM-97902) und eine Suppenschüssel mit Untersetzer im Musée Ariana (MAG AR 12641). Die Dekore des Typs «Marseille» (MHPN MH-PO-1429 und -1430; MCAHL 29804; MCAHL 29805; MAF C 518; MHL AA.MI.2142) sowie andere Landschaften, die in dieser Zeit als Miniaturen hergestellt wurden (MCAHL 29370; MCAHL 29356; MCAHL 29395; MHPN MH-PO-4346), verwenden genau die gleiche Palette an Malfarben wie die Dekore à la Boucher. Wir sind geneigt, alle diese Werke der gleichen Hand zuzuschreiben.

Wie die Prunkvase, die die Porzellanhersteller 1782 den Berner Behörden schenkten, bezeugt (Pelichet 1985/1, Abb. 9), führte die Manufaktur bereits in den frühen Jahren komplexe Dekore aus, die polychrome Emailmalerei und blaue Unterglasurmalerei miteinander kombinierten (MHPN MH-2008-1A; MCAHL 29370; MCAHL 29356; MCAHL 29395; MHPN MH-PO-4346; MHPN MH-PO-1402; MCAHL 28702; MHPN MH-PO-4283; MHPN MH-PO-4284; MHPN MH-2007-168; MHPN MH-PO-4243; MHPN MH-PO-1390; MHPN MH-2007-144; MHPN MH-2015-22; MHPN MH-2015-13). Diese Kombination von blauen mit mehrfarbig emaillierten Motiven stellte eine zusätzliche Komplikation im Herstellungsprozess dar. Die Manufaktur scheint diese dekorative Technik spätestens um 1790 aufgegeben zu haben.

Bei den häufiger vorkommenden Motiven fällt auf, dass die ornamentalen Muster (Flechtbänder, Girlanden) oft etwas zu kompakt sind, es ihnen an Weite mangelt und sie häufig zu klein bemessen wirken (MHPN MH-2015-116; MHPN MH-2015-460; MHPN MH-PO-1329; MHPN MH-2015-96; MHPN MH-2005-100). Die Monogramme sind häufig unausgewogen oder sogar nicht eingemittet (MHPN MH-2007-169). Die Insektendekore sind eine frühe Ausführung, aber auch hier scheinen die Motive zunächst unterdimensioniert zu sein, obwohl sie subtil gemalt sind (MHPN MH-2015-456; MHPN MH-2015-457).

Dekore in Unterglasurblau

In den deutschen Staaten und in Nordeuropa boten die meisten Porzellanmanufakturen systematisch eine Auswahl an blauen Dekoren in Unterglasurmalerei an, die eher im unteren preislichen Bereich ihres Sortiments angesiedelt war. Ein Trend, der sich vor allem in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts deutlich verstärkte.

Nyon verfolgte eine ähnliche Strategie. Am Anfang dieser Produktion bot die Manufaktur Motive mit europäischen Blumen an, aber nur für eine kurze Zeitspanne. Diese Art der Malerei erwies sich wahrscheinlich als zu kostspielig für diese Produktkategorie und wurde um 1790 offenbar aufgegeben (MHL AA.MI.2141).

In der Zeit von 1790-1795 trifft man auf einen Dekor mit Girlanden und Zweigen (MCAHL 30806K; MHPN MH-PO-2843bis und -1590; MCAHL 30806A; MAF C 502; MHV 2106); aber in Nyon, wie auch in den deutschen Manufakturen, war das am weitesten verbreitete und beliebteste blaue Motiv zweifellos das Strohblumenmuster (MHV 2115; MCAHL 30806E; MCAHL 30806G; MHPN MH-PO-3912; MCAHL 30806D; MHPN MH-PO-4352). In den Rechnungsbüchern von Nyon scheint der «blaue Dekor» nach 1795 wieder an Bedeutung zu gewinnen. Das Motiv wird nicht angegeben, aber das Strohblumenmuster ist zu diesem Zeitpunkt offenbar die einzige Verzierung, die noch ausgeführt wird.

Der Scherben und die Manufakturmarken

In den allerersten Jahren, vor 1785, hat das Porzellan ein ausgeprägt weisses und eher kaltes Aussehen. Im Durchlicht betrachtet, zeigt der Scherben eine starke Transparenz und einen hellen, gelblichen Farbton.

Die Marken sind klein und kompakt mit einer Fülle von Details (siehe z. B. MHPN MH-PO-4388; MHPN MH-PO-1411). Das Unterglasurblau neigt zu einem dunklen, schiefergrauen Ton.

Um 1784/85, wie die flachen Teller und Schüsseln des «Cuénod-Service» bezeugen, die höchstwahrscheinlich zwischen Herbst 1784 und Anfang 1785 geliefert wurden, werden die Marken länger, die Körper der Fische sind stilisierter und bestehen aus zwei Linien, die sich auf Höhe des Schwanzes nicht berühren, die Flossen werden durch zwei einfache Bogenlinien dargestellt, die am Körper entlang gezogen werden. Andere Fischmarken sind sehr schmal und stilisiert (siehe MHPN MH-2013-113M; MHPN MH-2013-112E; und -3). Zur selben Zeit zeigt der Scherben mit seinem ausgeprägten rotbraunen Farbton im Allgemeinen eine deutlich reduzierte Lichtdurchlässigkeit. Im reflektierten Licht nimmt das Porzellan einen wärmeren Farbton an.

Die Jahre 1785–1790

Dies ist wahrscheinlich die turbulenteste Zeit in der Geschichte der Manufaktur: 1786 verliess Dortu Nyon und zog nach Berlin, während Müller heimlich eine Verlegung der Firma nach Genf plante. Müller wurde überführt und ausgewiesen. Eine neue Gesellschaft wurde gegründet und Jean-Georges-Jules Zinkernagel, ein einfacher Vorarbeiter, übernahm vorübergehend die Leitung des Unternehmens. Nach seiner Rückkehr nach Nyon wurde Dortu im April 1787 zunächst zur Persona non grata erklärt. In der Zwischenzeit unternahm Zinkernagel die notwendigen Schritte, um ein Haus und ein Grundstück, die dem Staat gehörten, an einem Ort namens Croset zu erwerben. Der Kauf des Hauses «Ducoster» wurde am 7. Juni 1787 abgeschlossen. Die Käufer waren Henri Veret, Moïse Bonnard, Zinkernagel und Dortu, wobei Letzterer wahrscheinlich angefragt wurde, um die Zukunft der Manufaktur zu sichern (De Molin 1904, 47-50; Droz 1997, 27-32). Das Unternehmen zog ohne grosse Verzögerung in das neue Gebäude um, vielleicht mit nur einigen Monaten der Unterbrechung. In den endlich grosszügigeren Räumlichkeiten, ausgestattet mit erneuerter Infrastruktur, kam das Unternehmen wieder in Fahrt.

Die Formen

Etwa ab 1785 tauchen ambitioniertere Gefässformen wie Suppenschüsseln oder Schüsseln auf. Zum Beispiel dieses seltene Modell mit einem doppelt gewölbten Bauch, horizontalen Griffen in Form von Zweigen mit blattförmigen Attaschen und einem Deckelgriff in Form von sich kreuzenden Zweigen (MHPN MH-2015-143). Eine ovale Version – von der bisher nur ein verziertes Beispiel aus einer Privatsammlung bekannt ist (Mitteilung von Grégoire Gonin) – zeichnet sich durchein reliefiertes Pilastermotiv auf Bauch und Deckel aus (MHPN MH-PO-1581).

Eine sehr ähnliche Form mit zitronenförmigem Deckelgriff wurde offenbar von der Pariser Manufaktur in der Rue Thiroux hergestellt (auch Manufacture de la Reine genannt – Blanchet et associés, Drouot-Richelieu, Auktion vom 28. Juni 2019, Los 124). Etwa zur gleichen Zeit erscheint eine runde Terrine mit einem modellierten, zitronenförmigen Griff (MHPN MH-2007-176), die auf die oben genannte Suppenschüssel zurückzuführen ist, ein Modell, das sich etwas später im Service «Trevor» (MHPN MH-PO-3802bis) wiederfinden wird. Generell sind relativ wenige Schüsseln und Suppenschüsseln aus Nyoner Porzellan bekannt.

Ebenfalls eher selten ist der neue Typ der Suppentasse, der zur gleichen formalen Familie wie die oben erwähnte Suppenschüssel gehört: Das Gefäss steht auf einem Standring und hat zwei Henkel mit zungenförmiger Daumenrast, der Deckelgriff ist in Form von sich kreuzenden Blättern gestaltet (MHPN MH-PO-1397). Das Musée Ariana bewahrt ein Exemplar dieses Typs mit dem dazugehörenden Untersetzer auf (MAG 015739). Die Grundform der Suppentasse hat eine etwas weiter ausladende Wandung als früher und einen pinienzapfenförmigen Deckelgriff; die Henkel sind rund mit einer zungenförmigen Daumenrast (MHPN MH-2015-124; MHPN MH-PO-1326 und -1325). Dieses Modell wird bis 1795 beibehalten, manchmal mit leichten Profiländerungen.

Die Untertasse einer «Trembleuse» stellt eine Kuriosität dar: Es ist das einzige uns bekannte Beispiel aus Nyon, bei dem die Stabilität der Tasse durch einen durchbrochenen Ring und nicht durch eine Vertiefung gewährleistet wurde (MHPN MH-PO-1486). Ein neuer Typ «Trembleuse» scheint um 1785 ins Sortiment aufgenommen worden zu sein. Er ist leicht kegelstumpfförmig und hat einen neuartigen, gegenläufig geschwungenen Henkel, die Daumenrast ist in Form eines dreilappigen Blattes gestaltet (MHPN MH-2007-196 – siehe auch MAG AR 01267). Das Musée Ariana besitzt eine «Trembleuse», die aufgrund ihrer ungewöhnlichen Grösse den Charakter eines Prunkstücks hat (MAG AR 05606 – Pelichet 1985/1, Abb. 42). Dieses Beispiel ist einzigartig und hat runde Henkel und eine Daumenrast in Form eines dreilappigen Blattes.

Die Teekanne nimmt bis auf wenige Details nach und nach ihre endgültige Form an: eine leicht schräge Schulter oder eine schmalere flache Schulter, ein sechsseitiger Ausguss, der weiter unten am Gefässkörper angebracht ist, ein abgerundeter, bandförmiger Henkel mit einer zungenförmigen Daumenrast (MHPN MH-2015-167; MAF C 517A; MHPN MH-2015-99; MHPN MH-2015-159; MHPN MH-2003-137).

Das Grundmodell der Kaffeekanne (auch der Milchkanne oder Heisswasserkanne) behält seinen birnenförmigen Bauch bei, ist aber ausgeprägter und hat einen runden Henkel mit einer Daumenrast, die die Form einer einfachen Zunge oder eines modellierten Blattes haben kann. Der Ausguss zeigt künftig eine gemodelte Zierleiste in Form von Blättern (MHPN MH-2011-38; MHPN MH-PO-1295; MCAHL 30805E).

Zur gleichen Zeit führte die Manufaktur einen neuen Kaffeekannentyp ein, der ziemlich genau auf einem Modell der Wiener Manufaktur basiert: ein zylindrischer Körper auf drei gemodelten Rocaille-Füssen mit einem gebogenen Ausguss sowie hohem durchbrochenem Henkel und blattförmiger Daumenrast (MAG AR 10691, MAG AR 05236, MAG 007622 – Bobbink-De Wilde 1992, Abb. S. 39). Diese Form hat sich wahrscheinlich nicht durchgesetzt, da nur wenige Exemplare überliefert sind. Eine andere Form der Kaffeekanne, von der wir nur ein Exemplar kennen, wurde wahrscheinlich nie in die normale Produktion aufgenommen (MHPN MH-PO-1472).

Bei den Milchkännchen zeichnet sich eine neue Form ab, die sich in der folgenden Periode mit einer schlankeren Silhouette durchsetzen sollte: Die Kanne steht auf einem Standring, der Bauch ist gestreckt kugelig. Das Kännchen ist mit einem hohen Henkel und einer breiten Ausgussöffnung versehen (MHPN MH-2013-102; MAFC 517D).

In der gleichen Periode fanden wir eine äusserst seltene Form mit eiförmigem Bauch auf Standring und mit einem ausladenden Ausguss sowie einem runden Henkel mit einem vorstehenden oberen Ansatz, der aus zwei sich kreuzenden Zweigen besteht (MHPN MH-2015-119). Eine Form, die offenbar den Status eines Prototyps behielt. Dieses Beispiel – wie auch die Beispiele für Kaffeekannen – zeigt, dass die Manufaktur in dieser Phase ihrer Entwicklung offensichtlich bemüht war, ihr Formensortiment zu erneuern.

Zwischen 1785 und 1790 erscheinen zwei neue Zuckerdosen ovaler Form mit festem Untersetzer: Die erste hat einen doppelt gewölbten Deckel, Wandung und Untersetzer sind vierpassig fassoniert (MHPN MH-PO-3074; MAG AR 01343). Das zweite, etwas spätere Modell hat einen doppelt gewölbten Bauch und ein Reliefmuster aus vier Pilastern auf der Wand und dem Deckel, wobei der Griff des Deckels aus sich kreuzenden Bändern geformt ist. Die letzte Form ist direkt vom Porzellan aus Clignancourt inspiriert (MHPN MH-PO-3006;  MAG AR 10654; MAG AR 01119; MAG 00616 – für das Modell aus Clignancourt siehe MAG AR 01670 oder MAG AR 01570).

Ebenfalls von Clignancourt inspiriert ist ein neues Korbmodell ohne Untersetzer – die unteren Schlaufen der ineinander verschlungenen Ruten bilden einen Fuss. Das Modell wird in den Geschäftsbüchern geheimnisvoll als «Form von Sèvres» bezeichnet und ist in einer ovalen (MCAHL 30807C) oder runden Version erhältlich (MHPN MH-PO-1362 – für das Modell aus Clignancourt siehe MAG AR 01602 oder MAG AR 01683).

Der klassische Korb mit Untersetzer wurde verändert: Die Bögen der durchbrochenen Teile sind nun U-förmig gebogen, der Untersetzer ist mit einem einzigen gekehlten Blatt verziert und die Ränder des Korbes und des Untersetzers sind glatt (MHPN MH-2015-22; MCAHL 30877A und -B). Dieses Modell hielt sich bis zum Ende der Produktion.

Das Profil der «Litron»-Tasse zeigt nun eine weniger ausgeprägte Kegelstumpfform, die Mehrheit der Henkel ist nunzweipassig mit zweigeteilter unterer Befestigung (MHPN MH-PO-1360 und -1361; MCAHL HIS 55-3827 und -3829; MHPN MH-PO-1514); Es ist anzumerken, dass auch diese Form im Pariser Porzellanrepertoire belegt ist, sei es in Clignancourt oder in der Manufacture de la Courtille (für Pariser Modelle siehe z. B. MAG AR 02232 oder MAG AR 01470).

Ein seltenes Tassenmodell zeichnet sich durch seine halbkugelige Form, den mehrpassigen Rand und den muschelförmigen Henkel mit Daumenrast aus. Dieser Typ, der wahrscheinlich den in den alten Büchern der Manufaktur erwähnten «tasses découpées avec anse» entspricht, war aufgrund der unbequemen Form des Randes offensichtlich nicht so erfolgreich (MHPN MH-PO-2291A). Aus dieser Zeit sind auch grosse, gedeckelte «Litron»-Tassen bekannt, die einen gegenläufig geschwungenen Henkel und eine blattförmig, geformte Daumenrast haben (MHPN MH-PO-1446 und -1447; MHPN MH-2007-113).

Bemerkenswert ist auch ein Bechermodell (CLS MURO 1257) und (MHPN MH-PO-1467 und –1466), das in den bekannten Sammlungen nicht häufig vorkommt.

Vermutlich wurde in dieser Phase auch das längliche Tablett mit fassoniertem Rand eingeführt, das vor allem als Untersetzer für Saucentöpfchen oder andere Gefässe diente (MHPN-MH-PO-1438; CLS MURO 1255; MHPN MH-PO-4284; MHPN MH-PO-1497 bis -1505). Dieses Modell, um 1785 eingeführt, wird mindestens ein Jahrzehnt lang hergestellt.

Die Dekore

Die Blumendekore bleiben zunächst ausgeprägt malerisch, einige wenige Beispiele zeugen von höchstem handwerklichem Können (MHPN MH-2015-144; MHPN MH-PO-1397; MHPN MH-2007-176; MBL-20093). Um 1785 zeichnet sich ein Maler durch seine ganz eigene Art der Zusammenstellung von Blumensträussen aus: Der Strauss ist oft um eine Rose herum aufgebaut und lässt eine Blume an einem langen Stiel herauswachsen (MHPN MH-2015-143; MAF C 506). Sehr grosse Blumensträusse wie auf der Platte MHPN MH-2015-144 sind selten, und das vorliegende Beispiel zeugt von einer für unsere Manufaktur eher aussergewöhnlichen malerischen Meisterschaft. In diesem Fall zeigt sich das Blumenmotiv in seiner ganzen, unvergleichlichen Pracht, ganz im Sinne des Geistes, der sich noch auf die Epoche Ludwigs XV. beruft.

In kleineren Sträussen ist jedoch bereits ein Trend zu einer kontrollierteren und systematischeren Ausführung zu erkennen: Die Farbe wird verdünnt und weniger konstrastreich aufgetragen, die Blätter sind monochromer gehalten (MHPN MH-2015-130; MHPN MH-2007-185; MHPN MH-PO-1473 und -1474).

Die Kornblumen erscheinen wie in der vorherigen Periode in Form von grossen Zweigen (MCAHL 32840; MHPN MH-2015-174) und dann immer systematischer in Form eines Streumusters von kleineren, stilisierten Zweigen (MHPN MH-2015-167; MHPN MH-PO-3104 und -3105; MHPN MH-2015-173). Parallel dazu tauchen erste Dekore mit vereinzelten Kornblumen auf, oft in schachbrettförmig oder diagonal angeordneten Mustern (MHPN MH-2015-162; MHPN MH-2015-164; MHPN MH-PO-1442 und -1443). In dieser Phase entstand auch ein Dekor, der sich als dauerhaft erfolgreich erweisen sollte: die Kombination von Kornblumengirlanden mit einer reichen Goldborte, die zunächst mit einem ausgespartem Mäander (MHPN MH-2015-99) und später mit einem ausgesparten Flechtband verziert wurde- Diese Version setzte sich schliesslich durch: Sie wurde praktisch bis in die letzten Jahre der Produktion unter dem Namen «Kornblumengirlande, griechisch Gold» hergestellt (MHPN MH-2007-201; MHPN MH-2007-107; MCAHL 30924). Deutlich seltener sind die Motive mit Stiefmütterchen in Form von Zweigen oder einzelnen Blüten (MHPN MH-2015-124; MHPN MH-2015-125; MHPN MH-2007-102).

In dieser Zeit scheint auch der in den Büchern der Manufaktur als «Millefleurs» bezeichnete Dekor zu entstehen: ein Streumuster mit kleinen Blumen, meistens Rosen, später kommen Stiefmütterchen dazu (MAF C 519; MHPN MH-PO-1433; MHPN MH-PO-1434; MHPN MH-PO-1438; MHPN MH-PO-1388 und -1389; MHPN MH-2015-169). Zu diesem Zeitpunkt sind die Stiele kurz.

In Motiven, die menschliche Figuren darstellen und in gewisser Weise an die von Boucher inspirierten Szenen der ersten Periode anknüpfen, sind die Figuren nun deutlich kleiner (MHPN MH-PO-4219; MHPN MH-PO-4218 und -4217; MHPN MH-2015-109; MHPN MH-2015-108; MHPN MH-2015-111; MHPN MH-2015-110; MHPN MH-PO-1446 und -1447). Diese anspruchsvollen und kostspieligen Dekore müssen in der Produktion eher selten gewesen sein. Die Qualität der Malerei ist nach wie vor hervorragend und könnte vom Maler der grossen Figuren der frühen Jahre stammen.

Ein weiterer bedeutender Künstler zeichnet sich durch seine Medaillons mit Themen aus, die von den «Boucher-Kindern» inspiriert sind. Sie sind manchmal mehrfarbig, aber hauptsächlich einfarbig in Grau oder Purpurrot ausgeführt (MHPN MH-2007-113; MAG 015830).

Bemerkenswert ist der neue Trend, belebte Szenen in verzierte Rahmen einzubetten, wie bei dem berühmten Service mit Medaillons, die mit rosafarbener Borte eingefasst sind (MHPN MH-2003-137; MHPN MH-2007-114; MHPN MH-2008-2; MHPN MH-2008-46A; MHPN MH-2008-46B; MHPN MH-PO-1587). Die Silhouetten – und Monogramme – zeugen von einer zunehmenden Kunstfertigkeit, auch wenn das Motiv manchmal noch unterdimensioniert erscheint (MHPN MH-PO-1418; MHPN MH-2015-16; MHPN MH-PO-1381; MHPN MH-2011-38; MHPN MH- 2008-6; MCAHL 30061). Die Tassen mit den Bildnissen der Familienmitglieder von Moïse Bonnard, einem der wichtigsten Geldgeber der Manufaktur, sind eine wertvolle Referenzgruppe, da sie zu den wenigen Stücken gehören, die anhand der Geschäftsbücher der Manufaktur genau datiert werden können, in diesem Fall auf 1789 (MHPN MH-PO-2280; MHPN MH-PO-2281; MHPN MH-PO-2282; MHPN MH-PO-2283; MHPN MH-PO-2284; MHPN MH-PO-2285).

Insektenmotive sind immer noch beliebt, sie bleiben leicht und luftig (MHPN MH-PO-3939; MHPN MH-PO-1316; MHPN MH-PO-1391 und -1428). Die ersten Trophäen stammen aus der ersten Periode und wurden gewöhnlich mit einem Band an einer Bordüre befestigt (Pelichet 1985/1, Abb. 40 und 49). Künftig sind sie in Medaillons auf gelbem oder hellgrauem Grund zu sehen (MHPN MH-2015-98; MHPN MH-2007-173 – MAG 015739; MAG AR 01263MAG AR 10661; MAG AR 10767). Die Deckeltasse mit Trophäen, ausgeführt in Graumalerei (MHPN MH-PO-4180 und -4181), ist ein Einzelfall, der den innovativen Geist der Malerwerkstatt in dieser Phase der Entwicklung und Perfektionierung der Manufaktur verdeutlicht.

Die Bestellungen zur Ergänzung von bestehendem Tafelgeschirr

Die Manufaktur in Nyon ahmte mehrmals Dekore aus anderen Ländern nach, um den einen oder anderen Kunden zufriedenzustellen, der ein ausländisches Porzellanservice ergänzen oder neu bestücken wollte. Bei diesen Anpassungen bewiesen die Maler aus Nyon, vor allem in den Jahren 1785–1795, ein bemerkenswertes Geschick und einen Sinn für Details. Die Kunst des Kopierens beschränkte sich im Allgemeinen auf gemalte Dekore, da die Reproduktion von Formen aufgrund der Notwendigkeit, geeignete Giessformen herzustellen, sehr kostspielig war.

Die am häufigsten kopierten Produkte sind entweder chinesisches Exportporzellan (z. B. das «Cuénod-Service»: MHPN MH-2013-106; MHPN MH-2013-117; siehe auch MHPN MH-PO-3959; MHPN MH-PO-1310; MCAHL 30877A und -B; MHPN MH-PO-1462; MCAHL HIS 55-3617, -3618 und -1618; MCAHL 24617; MHPN MH-2019-99; MHPN MH-2015-126; MHPN MH-2015-12 – für das Modell siehe MAG 8770) oder Porzellan aus Paris (MHPN MH-2007-120 – für das Modell siehe MAG AR 1544 – MHPN MH-2008-52A; MHPN MH-2007-137; MHPN MH-2007-115bis; MHPN MH-PO-3109). Die Manufaktur reproduzierte auch – und zwar brillant – einen komplexen Dekor aus japanischem Exportporzellan (MHPN MH-PO-4238 – für das Originalmodell siehe MAG AR 11976).

Unter Liebhabern sind die Nyoner Versionen des «Ronda»-Dekors der Manufaktur von Tournai (MHPN MH-2015-459; MCAHL 29495) oder einiger klassischer Meissener Dekore (MHPN MH-2010-19A; MHPN MH-PO-3878; MHPN MH-PO-4237) wohlbekannt. Seltener sind Nachschöpfungen von Tafelgeschirr aus Sèvres (MHPN MH-PO-1272 und -1513; MHPN MH-PO-1507 und -1508). In einigen Fällen bewahren die Waadtländer Museen die Modelle zusammen mit ihren Kopien auf (MHPN MH-2013-117; MHPN MH-2013-106 – MHPN MH-PO-4235 und -4236 – MHPN MH-PO-3878; MHPN MH-2015-497 – MHPN MH-2015-153; MHPN MH-2015-152; MHPN MH-2015-147; MHPN MH-2015-146 – MCAHL 29490; MCAHL 29491 – MHPN MH-2010-19A; MHPN MH-2010-19C und -G).

Die Jahre 1790–1795

Um 1790 hatte die Manufaktur die Turbulenzen der Müller-Affäre überwunden und ihre Produktiont konnte sich in neuen Räumlichkeiten an ihrem endgültigen Standort in Le Croset wieder entfalten. Die Fabrik und insbesondere die Dekorationswerkstatt waren nun wieder voll funktionsfähig. Das Produktionsvolumen wuchs von nun an in einem stetigen Rhythmus – sogar zu stetig, da sich die Lagerbestände zwischen 1790 und 1795 und erneut zwischen 1797 und 1801 immer weiter anhäuften (Droz 1997, 42-44). Die Überproduktion erwies sich mehr denn je als selbst verursachtes Übel, das die wirtschaftliche Gesundheit des Unternehmens unwiderruflich untergraben würde. Trotz der äusserst lückenhaften Quellenlage stellt Droz einen erheblichen Anstieg der Verkaufszahlen fest, insbesondere zwischen 1790 und 1793. Anhand der verfügbaren Lohndaten schätzt er, dass die Belegschaft der Manufaktur noch nie so gross war wie zwischen 1790 und 1798 (Droz 1997, 51).

Die Formen

Unter den häufigsten Formen sind einige nun für eine gewisse Zeit etabliert, wie die Körbe, die Zuckerdosen oder die Teekannen. Bei Letzteren sind nur noch Detailvariationen zu beobachten, wie etwa die immer stärker ausgeprägte Höhe des Randes, der den Deckel festhält (MCAHL 30792C; MCAHL 29485 und 29486) oder die Form der Daumenrast, die anstelle einer einfachen Lasche wie ein ausgeschnittenes Blatt aussehen kann (MHPN MH-2007-134C und -D; MHPN MH-PO-4306; MHPN MH-2015-115).

Eine neue, nur selten anzutreffende Tassenform mit einem halbkugeligen, von einer Schale abgeleiteten Körper und einem runden Henkel mit Lasche tritt in Erscheinung (MHPN MH-2007-166). Bei der «Litrontasse» hat das Grundmodell immer noch einen zweipassigen Henkel mit einer zweigeteilten unteren Lasche, wird aber jetzt auch mit einem viereckigen Henkel angeboten (MHPN MH-PO-1623 und -1624; MHPN MH-PO-4304 und -4300; MHPN MH-PO-1423 und -1422).

Die «Trembleuse» erhielt ebenfalls vereinfachte quadratische Henkel und einen etwas gewölbteren Deckel; die Fahne der Untertasse ist weniger gekrümmt und der Hohlraum für die Tasse weniger tief (MHPN MH-PO-1539 und -1540; MHPN MH-PO-1268 und -1269; MHPN MH-2008-48). Die Suppenschale behält ihre Form bei, erhält aber neue Henkel, die oben gegabelt sind und blattförmige Attaschen haben (MHPN MH-PO-1352; MCAHL 30067 und 30066; MHPN MH-PO-1275, für ein späteres Beispiel).

Das neue Standardmodell für Milch- (oder Sahne-) kännchen, das bereits in der vorherigen Periode skizziert wurde, hat eine höhere, urnenartige Form auf einem meist pokalartigen Fussl, eine ausladende Ausgussöffnung und einen hohen Henkel (MHPN MH-PO-1779; MHPN MH-PO-4302; MHPN MH-PO-1316). Eine seltene Variante hat eine umgekehrte Helmform (MHPN MH-PO-4307).

Die Kaffeekanne behält zunächst ihre birnenförmige Silhouette auf einem einfachen Standring, mit einem gemodelten Ausguss und einer blattförmigen Daumenrast (MHPN MH-PO-1336; MHPN MH-PO-1295; MCAHL 30805E). Aber eine neue Standardform ist im Begriff, sie zu ersetzen, ausgestattet mit einem fast eiförmigen Bauch, entweder auf einem Standring oder einem pokalartigen Fuss stehend, wobei die Daumenrast weiterhin blattförmig ist und der Ausguss immer noch gemodelt. (MCAHL 29488; MHPN MH-2015-118; MCAHL 30806I). Eine weitere Neuheit, die anscheinend keine grosse Verbreitung fand, ist ein Modell mit urnenförmigem Bauch auf einem Standring, mit einem ziemlich komplizierten, gegenläufig geschwungenen Henkel mit blattförmiger Daumenrast und gegabelter unterer Befestigung (MHPN MH-PO-494). Dieses seltene Modell gibt es auch mit einem einfacheren Henkel (MHPN MH-2015-101).

In den frühen 1790er-Jahren erweiterte die Manufaktur ihr Sortiment an Formen für festliches Tafelgeschirr erheblich. In dieser Zeit entstanden die beiden grössten bis heute bekannten Serien, das Service «Trevor» und das Service «Napolitain» (siehe Kapitel «Nyon, Porzellanmanufaktur – Die berühmten Services»). In diesem Zusammenhang erscheinen unserer Meinung nach auch die ersten Modelle von Flaschenkühlern, die in den Büchern als «seau à bouteille» bezeichnet werden (MHPN MH-PO-1518 – MAG 007615; MAG AR 01180; MAG AR 01329; MAG AR 01330), (MCAHL 30021 – MAG AR 01327;  MAG AR 05583; MAG AR 05584; MAG 019291; MAG 019292) und Kühlgefässe für Gläser mit schrägem oder geradem Rand (MCAHL 30924) (MHPN MH-PO-1532 – SNM LM-52837 –MAG AR 04487; MAG AR 04488). Alle drei Arten von Gefässen haben die gleiche Art von Griffen in Form von horizontalen Henkeln, die sich überkreuzende Zweige darstellen, mit aufgesetzten blattförmigen Befestigungen.

Weiterhin gibt es doppelte Konfitürennäpfe mit festem, ovalem Untersetzer (MCAHL 29808; MHPN MH-2007-180; MHPN MH-PO-1546), dreifache Konfitürennäpfe auf dreieckigem Untersetzer (MHPN MH-PO-3175; MHPN MH-PO-3499) und eine Butterdose mit festem Untersetzer und einem doppelt gewölbten Deckel, dessen Griff wie ein zu einer Schleife gebogener Ast geformt ist (MCAHL 30795; MHPN MH-2015-95).

Eine weitere neue Form ist die Sauciere mit ovalem Untersetzer und vierpassigem, fassoniertem Rand, die möglicherweise für das Service «Napolitain»entworfen wurde (MHPN MH-PO-1542; MHPN MH-PO-1544). Das Musée du Château de Nyon bewahrt eine Variante in Weiss auf, bei der es sich um den Prototyp dieses Modells handeln könnte und das wahrscheinlich nie in die Produktion aufgenommen wurde (MHPN MH-PO-4277A und -B).

Das Service «Napolitain» besteht vor allem aus grossen, gedeckelten Gefässen, zwei Suppenschüsseln und zwei Gemüseschüsseln (oder Terrinen), die wahrscheinlich für diesen Anlass geschaffen wurden. Die Suppenschüsseln (MHPN MH-PO-1730) sind eine Weiterentwicklung der Terrinen, die um 1785 erschienen, und unterscheiden sich offensichtlich durch ihre Grösse und die aufwendig ausgearbeitete Form der Deckelgriffe. Die ovalen Terrinen oder Gemüseschalen (MHPN MH-PO-1534) sind eine gewagte Innovation mit ihrem gerippten Deckelabschluss.

Im Bereich der rein dekorativen Objekte bietet die Manufaktur nun auch Töpfe für Blumen mit Zwiebeln an, die nach den Fabrikbüchern als «Kamingarnituren» zusammengestellt wurden. Diese Behälter für Zwiebelpflanzen, die vor allem in der Pariser Produktion dieser Zeit relativ weit verbreitet waren, werden alle nach demselben, von der Architektur oder von Möbeln inspirierten Schema entworfen, jedoch in drei verschiedenen Formaten: rechteckig, quadratisch oder «halbmondförmig» (MHPN MH-2015-156; MHPN MH-2015-154; MHPN MH-2015-155; MACHL HIS 55-3310; MCAHL HIS 55-3311; MCAHL HIS 55-3312; MHPN MH-2015-102).

Die mittelgrossen Vasen aus dieser Zeit sind entweder Vasen in Kegelform, ein Typ, der in unserem Korpus nicht vertreten ist (siehe Pelichet 1957, Abb. S. 93), oder die in den Archiven als «Büffelkopfvasen» bezeichneten Vasen, von denen das MHPN ein spätes Exemplar mit minimalistischem Dekor aufbewahrt (MHPN MH-PO-486 – siehe auch MAG AR 05602; MAG AR 05603).

Ebenfalls in den frühen 1790er-Jahren wurden die grössten Objekte, die je in Nyon entworfen wurden, hergestellt: urnenförmige Potpourri-Vasen auf einem hohen Pokalfuss, von denen insgesamt zwei Exemplare bekannt sind. Das erste, das mit zwei – selbst im europäischen Vergleich – ausserordentlich reichen Trophäen verziert ist, befindet sich heute im Schlossmuseum von Nyon (MHPN MH-2015-178), das zweite in den Sammlungen des Musée Ariana (MAG 008635).

Die Dekore

Die Blumendekore haben nun eine Art Reifegrad erreicht, in dem alles perfekt beherrscht zu sein scheint, jedoch auf Kosten einer gewissen naturalistischen Ausdruckskraft. Die Farbtöne sind oft zurückhaltend und leuchtend, bei Grüntönen sogar durchscheinend; Blumen und Blätter erscheinen nicht sehr plastisch (siehe zum Beispiel MCAHL HIS 55-3838; MHPN MH-PO-4207 und -4208; MCAHL HIS 55-3827 und -3829). Im Allgemeinen wird der Strauss als eine unter mehreren Verzierungen betrachtet (MHPN MH-2012-69; MHPN MH-2009-14). Bei der Verarbeitung in Streumotiven wird lediglich ein ausgewogenes Verhältnis zu den anderen goldenen Motiven angestrebt, wie etwa beim von Roll-Service (MCAHL 30021; MHPN MH-2007-200).

Kornblumendekore gibt es von nun an in einer erstaunlichen Vielfalt von Ausführungen: Zweige (MHPN MH-2015-172), vereinzelte Blüten, blaue (MCAHL 29808) oder purpurrote Kornblumen (MHPN MH-PO-1715) – die Mischung aus blauen und purpurroten Kornblumen scheint nicht vor 1795 belegt zu sein –, zufällig angeordnete oder geordnete Muster (MHPN MH-PO-1336; MHPN MH-PO-1398), Kornblumen in einem Kranz oder in Girlanden (MHPN MH-2007-107).

Der Dekor «Mille-fleurs» wird durch die Hinzufügung kleiner Stiefmütterchen variiert, während die Blumenstiele immer länger und die Blätter weiter vereinfacht werden (MHPN MH-2007-188; MCAHL 30792C; MCAHL 29807C; MCAHL 30792G; MCAHL HIS 55-3841). Ab etwa 1795 wird das Motiv «Millefleurs, riche dorure» (wobei die Vergoldung in der Regel aus zwei Arten von übereinanderliegenden Blattgirlanden besteht – MCAHL 29807B) zu einem der häufigsten Dekore in der oberen Mittelklasse und bleibt als solches fast bis zum Ende der Produktion erhalten.

Immer mehr Dekore kombinieren florale Elemente mit mehr oder weniger komplexen Ornamenten: Blumen in Medaillons sind in einen reichen Ornamentfries eingebettet wie beim Dekor «Trevor» (MHPN MH-PO-3802bis); Blumengirlanden werden an Borten mit verschiedenen Motiven befestigt (MHPN MH-2007-121; MHPN MH-2015-486) wie im besonderen Fall des Dekors «Napolitain» (MHPN MH-PO-1534). Nebenbei bemerkt waren die Dekore «Trevor» und «Napolitain» so beliebt, dass sie praktisch bis zum Ende der Produktion beibehalten wurden, manchmal in vereinfachter Form und fast hauptsächlich auf Trinkgeschirr (MHPN MH-2015-20; MHPN MH-PO-1409 und -1410; MAF C 516A; MAF C 516B).

Die belebten Szenen, in den Archiven «Hirtenszenen» genannt, werden immer häufiger als Miniaturen in Medaillons mit dicker Goldborte dargestellt. Die Themen sind fast durchwegs galante Szenen (MHPN MH-PO-1268 und -1269; MHPN MH-PO-1285 und -1286). Grössere Figuren tauchen wieder auf, vor allem im beliebten Reigen der Schweizer Trachten, die getreu nach den druckgrafischen Quellen der populärsten Schweizer Kleinmeister dargestellt werden (MHPN MH-PO-4306; MHPN MH-PO-4295; MHPN MH-2008-45; MHPN MH-PO-4305 und -4298; MHPN MH-PO-4303 und -4299). Eine genaue Untersuchung dieser Themen würde zeigen, dass die Manufaktur zu dieser Zeit noch über mehrere Maler verfügte, die in der Lage waren, die menschliche Figur angemessen darzustellen.

Die Darstellung realer Landschaften, wie auf dem prächtigen Tee- und Kaffeeservice mit Ansichten von Nyon, Coppet und Genf (MHPN MH-PO-1279; MHPN MH-PO-1295; MHPN MH-PO-10076), ist unserer Meinung nach eine absolute Neuheit im Repertoire von Nyon und wird sich auf Einzelfälle beschränken (man denke nur an die grosse Potpourri-Vase im Musée Ariana, die mit Ansichten von Lausanne und Saint-Maurice verziert ist). Dieses Ensemble, das sich auch durch meisterhaft ausgeführte Goldornamente auszeichnet, ist höchstwahrscheinlich eine Auftragsarbeit, ebenso die Schale aus einem Trinkservice, einzig in ihrer Art, mit einer Darstellung eines Meeresufers (MHPN MH-2007-187). Die Zuckerdose, die Teekanne und eine Tasse mit Untertasse konnten in verschiedenen Privatsammlungen ausfindig gemacht werden.

Zur gleichen Zeit produzierte Nyon ein hochwertiges Tee- und Kaffeeservice mit Landschaftsmalereien im vorromantischen Stil des Zürcher Porzellans (MHPN MH-MHPN MH-2007-166; MHPN MH-PO-1376; MHPN MH-2007-167 – für die Teekanne mit Untersetzer und Spülschale, siehe MAG AR 10737; MAG AR 10738; MAG AR 10739). Ein weiteres bemerkenswertes Trinkgeschirr ist mit belebten Landschaften in Medaillons verziert, eingerahmt von rosa Borten (MHPN MH-2003-137; MHPN MH-2007-114; MHPN MH-2008-2; MHPN MH-2008-46A; MHPN MH-2008-46B; MHPN MH-PO-1587 – für die Kaffeekanne, siehe MAG 018710). Wir glauben, dass wir diesen Dekor dem Maler Johann Joseph Hubert Pernaux aus Ludwigsburg zuschreiben können. Dies ist das erste Mal, dass ein Dekor aus Nyon einem identifizierten Maler zugeschrieben werden kann, mit Ausnahme des Falls von Étienne Gide (siehe weiter unten).

In der Gruppe der Tiermalerei fertigte die Manufaktur zu dieser Zeit eine Reihe von Dekoren an, Kartuschen mit Szenen zeigen, die in purpurroter, monochromer Maltechnik ausgeführt wurden. In der Regel wurden Schafe oder Rinder dargestellt. Das Musée du Château de Nyon besitzt dazu ein Exemplar (MHPN MH-2015-123). Die in der gleichen Maltechnik, aber nicht unbedingt vom gleichen Maler bemalte «Kamingarnitur» aus dem Schloss Hauteville, machen diese zu einem der bemerkenswertesten Ensembles in der bekannten Produktion von Nyon. Wir konnten die vom Maler verwendeten Druckquellen identifizieren: zwei Stiche des deutschen Künstlers Gottlieb Friedrich Riedel (1724–1784), der übrigens intensiv mit der Ludwigsburger Manufaktur zusammenarbeitete (MHPN MH-2015-156; MHPN MH-2015-154; MHPN MH-2015-155). Seltsamerweise sind diese in Purpurrot gehaltenen Tierszenen alle von einem mehr oder weniger grossen hellgrünen Bereich begleitet. Die gleiche Farbkombination findet sich auch auf einer «Trembleuse» aus dem Musée Ariana, wo die grüne Farbe fast das gesamte Objekt bedeckt (MAG AR 05608).

In den frühen 1790er-Jahren hatte die Manufaktur die Gelegenheit, mehrere prestigeträchtige Aufträge für Kunden in Norditalien auszuführen. Uns sind insbesondere drei Fälle bekannt, die sich alle in den Beständen des Schlossmuseums von Nyon befinden. Das Museum bewahrt mehrere Stücke eines Service mit den Allianzwappen der Familien Vallesa und Filippa di Martiniana (MHPN MH-2002-300; MHPN MH-1999-120; MHPN MH-2015-452) sowie eine «Trembleuse» aus einem Porzellansatz für die berühmte Gräfin Anna Pieri Brignole-Sale (MHPN MH-2008-48). In der Sammlung findet man auch eine Tasse und einen Dessertteller, die für einen der besten Kunden der Manufaktur, Graf Georg Gustav von Wrangel, hergestellt wurden, der von 1789 bis 1792 schwedischer Minister in Genua war (MHPN MH-PO-1423 und -1422; MHPN MH-2007-150). Diese Objekte sind repräsentativ für die hochwertige Produktion und zeugen von dem hohen Niveau, das die Dekorateure in Nyon insbesondere bei der Ornamentmalerei erreichten.

Auch die Trophäendekore erreichen eine Art Höhepunkt in ihren Ausführungen (MACHL HIS 55-3310; MCAHL HIS 55-3311; MCAHL HIS 55-3312; MHPN MH-PO-4182 und -4183; MHPN MH-2012-100; MHPN MH-PO-1302), wobei das spektakulärste Beispiel in diesem Genre die grosse Vase ist, die mit komplexen Trophäen geschmückt ist, die Liebe und Musik einerseits und Jagd und Fischfang andererseits preisen (MHPN MH-2015-178). Die Verteilung der Themen in den beiden Trophäen ist natürlich kein Zufall, man hat offensichtlich versucht, ein Objekt zu entwerfen, das eine weibliche und eine männliche Seite zeigt. Es fällt auf, dass die Farbpalette Mitte der 1790er-Jahre kühler und kontrastreicher wird, da andere, philosophische oder sogar freimaurerische Themen auftauchen (MHPN MH-PO-3103; MHPN MH-2015-118).

Es ist unbestritten, dass die Künstler aus Nyon in dieser Zeit der intensiven Kreativität die grössten Schätze ihrer Vorstellungskraft im Bereich der Ornamentmalerei entfalteten. Sie entwarfen ein ganzes Repertoire an Motiven, die oft vollkommen originell waren und Bänder, Girlanden, Borten und Flechtdekore kombinierten. Das Sortiment zeugt nicht nur von grossem Einfallsreichtum, sondern auch von erstklassiger Handwerkskunst (MHPN MH-PO-1412 und -1413; MCAHL 29308; MHPN MH-PO-1260; MHPN MH-2007-179; MCAHL 29309; MHPN MH-PO-1341; MHPN MH-2007-155; MHPN MH-PO-1444 und -1445; MHPN MH-2007-124MHPN MH-PO-1352; MCAHL 30067 und 30066; MCAHL HIS 55-3551; MCAHL 30805D; MHPN MH-2015-31). In dieser Zeit entstandauch eines der einfachsten Dekore des Repertoires, das in den Büchern der Manufaktur als «grecque violette, or» bezeichnet wird (MCAHL 29333). Aufgrund der trotz der Vergoldung relativ geringen Kosten blieb dieses Muster bis in die letzten Jahre der Herstellung in Mode.

Der Scherben und die Manufakurmarken

Um 1790 hat das Porzellan überwiegend einen angenehm cremigen, elfenbeinweissen Farbton. Bei Betrachtung im Durchlicht zeigt es oft eine geringe Lichtdurchlässigkeit und einen ausgeprägten rotbraunen Farbton. Auf ein und demselben Objekt kontrastieren diese dunklen Bereiche manchmal mit helleren Flecken, die deutlich durchscheinender sind. Die Fischmarken werden in der Regel sorgfältig und mit einer eher ausladenden Geste mit allen erforderlichen Details ausgeführt: Augen, Mund, Flossen (siehe z. B. MHPN MH-PO-4230; MCAHL HIS 55-3838; MHPN MH-2015-172; MCAHL 30803; MHPN MH-PO-1471; MHPN MH-2015-543; MHPN MH-PO-3802bis; MHPN MH-2007-121; MHPN MH-PO-1259; MHPN MH-PO-1341; MCAHL 30805E; MCAHL 30805C).

Zwischen 1790 und 1795 beginnt die Fischmarke zu zerfallen (MCAHL 30021; MHPN MH-2008-49; MCAHL 30795; MHPN MH-PO-1291; MHPN MH-PO-1285; MHPN MH-2008-48; MHPN MH-PO-1417).

Die Jahre nach 1795

Trotz der besonders mangelhaften Quellen nach 1793 schätzt Droz, dass die Jahre 1798–1801 durch einen schlechten Geschäftsgang und insbesondere durch einen zunehmenden Mangel an Liquidität gekennzeichnet waren. Ungeachtet dieser ungünstigen Konjunktur konnte die Produktion bis 1801 auf demselben Niveau gehalten werden. Die Verkäufe hingegen stiegen nicht in gleichem Masse an. Das «Fabrikbuch» der Manufaktur, das Droz auf das Jahr 1801 datiert, während Pelichet es auf 1799 datiert hatte, zieht eine klare Bilanz über das quälende Problem der Überproduktion (Droz 1997, 53–55). Die Verantwortlichen des Unternehmens zogen die Konsequenzen aus dieser alarmierenden Feststellung: Die Produktion wurde gedrosselt, während sich der Absatz zwischen 1801 und 1805 erholte und das Unternehmen seine Schulden abbauen konnte. Die Rettungsversuche waren längerfristig leider ohne Erfolg: Das Unternehmen wurde 1808 aufgelöst. Am 31. Dezember desselben Jahres wurde eine neue Gesellschaft namens «Dortu, Soulier, Doret und Cie» gegründet, die die Aktiven und Passiven der vorherigen Gesellschaft («Dortu, Soulier, Monod und Cie») übernahm.

Die Formen

Um 1795 sowie in wenigen Jahren danach wird eine Reihe von Formen noch einmal erneuert. Oft beschränken sich die Änderungen auf «kosmetische» Retuschen, wie im Fall der Teekanne, die lediglich einen neuen, gegenläufig geschwungenen Henkel erhält und eine wenig ausgeprägte, aufgerollte Daumenrast aufweist (MHPN MH-PO-3965; MCAHL 32849; MHPN MH-PO-1475; MHPN MH-PO-1292; MCAHL 29819; MCAHL 32846). Man beachte auch den deutlich höheren Rand und den Knauf des Deckels in Form einer einfachen Kugel.

Der gleiche Henkeltyp findet sich auch bei einigen grossen Tassen (MHPN MH-2015-495 und -496; MHPN MH-2007-178). Die gängige «Litron»-Tasse zeigt zunächst den quadratischen Henkel, den man schon früher gesehen hat (MHPN MH-2007-134H und -J; MHPN MH-PO-1477 und -1478), bevor der runde, glatte Henkel, der in den frühen Jahren der Manufaktur zur Regel und um 1800 allgemein üblich wurde, wieder zum Einsatz kam (MHPN MH-2007-141; MCAHL 30000; MHPN MH-2007-171; MHPN MH-2007-119A und -B). Eine weitere Henkelvariante erlebte in den letzten Jahren ein kurzes Dasein (MCAHL 31644; MCAHL 30796 und 32832; MHPN MH-2007-161; MHPN MH-PO-1588); sie wurde offenbar im Zusammenhang mit der «terre étrusque» entwickelt, die ab 1807 hergestellt wurde (MHPN MH-FA-3060).

In dieser Zeit entstanden zwei neue Modelle von Deckel-Tassen: eine grosse «Litronform» mit quadratischem Henkel und einem Deckel mit abgerundetem Tannenzapfengriff (MCAHL 30804B) und eine niedrige Tasse mit doppelt gewölbter Wandung und einem Deckel mit demselben Griff (MHPN MH-2015-121). Ein ähnlicher Deckel mit doppelter Ausbuchtung und abgerundetem Tannenzapfen findet sich auf einer späten Version der «Trembleuse» (MHPN MH-2007-115). Eine kleine, grob gearbeitete, glockenförmige Tasse mit einem doppelspitzigen Henkel erlebte in der Spätphase der Produktion ein kurzes Dasein (MHPN MH-PO-3090). Die Spülschalen (in den Rechnungsbüchern als «jattes à eau/Wasserschalen» bezeichnet) wurden nun immer mit einem Standring angeboten (MCAHL HIS 55-3416; MCAHL 30007; MHPN MH-PO-3225; MHPN MH-PO-1282).

Bei einer Reihe von Gefässen, deren Profile völlig neu gestaltet wurden, war die Erneuerung der Form radikaler, wie etwa beim Sahnekännchen (oder Milchkännchen), das sich nun mit abgerundetem, kegelstumpfförmigem Baucheinem hohen, gebogenen Henkel und einem breiten Ausguss zeigt. Es sind mehrere Versionen bekannt, die sich in der Gestaltung der Henkelansätze unterscheiden: Beide Ansätze sind blattförmig (MHPN MH-PO-3912; MCAHL 29397); der obere Ansatz bleibt blattförmig, hingegen ist der untere Ansatz mit einer Schraube im Relief verziert (MHPN MH-PO-1440; MCAHL 30806F); der obere Ansatz ist ohne Verzierung, der untere zeigt wiederum eine Schraube (MHPN MH-2007-134B).

Die Silhouette der Zuckerdose mit festem Untersatz wurde ebenfalls völlig neu gestaltet, der Untersetzer hat einen aufgebogenem Rand, die Dose hat einen geschweiften Deckel mit gerader Oberseite. Bemerkenswert sind die beiden seitlichen Griffe in Form von hängenden, fixierten Ringen (MHPN MH-1999-16; MCAHL 30070; MCAHL 29403). In Wirklichkeit ist diese Form von einem relativ seltenen Modell abgeleitet, das etwa zwischen 1790 und 1795 entstanden sein muss und einen doppelt gewölbten Bauch und einem Untersetzer mit fassoniertem Rand aufweist (Pelichet 1985/1, Abb. 179; MAF C 524; CLS MURO 1282A; MAHN AA 2390). Die neue Version zeichnet sich durch eine kantigere Form aus, eine Tendenz, die bei vielen der nach 1795 entstandenen Formen zu beobachten ist; auch die Ausarbeitung des durchbrochenen Deckelgriffs ist bemerkenswert, dessen relative Komplexität an diejenige erinnert, die wir weiter unten bei einigen Innovationen finden werden, insbesondere bei der Gestaltung der Henkel.

Der Untersetzer für Teekannen behielt lange Zeit seine ursprüngliche Form bei. Er war vierpassig (MCAHL 32840; MHPN MH-PO-1551; MHPN MH-PO-1305). Um 1795 wurde er ebenfalls durch ein neues Modell ersetzt (MCAHL 30018; MHPN MH-PO-1485; MHPN MH-PO-1293; MHPN MH-PO-4316; MHPN MH-2008-3). Die Teedose hatte künftig ein rechteckiges Profil (MAF C 526C; MHPN MH-PO-3007).

Etwa zur gleichen Zeit wurde eine Suppenschale eingeführt, die in den Rechnungsbüchern als «etruskisch» bezeichnet wird (Pelichet 1985/1, Abb. 147). Sie fehlt im vorliegenden Zusammenstellung, die jedoch ein Beispiel des passenden Untersetzers zu diesem Modell enthält (MHPN MH-2015-107). Gegen Ende der Produktion tauchte ein anderer Typ auf, eine einfache Halbkugelform auf einem hohen Fuss mit etwas altmodischen Henkeln mit blattförmiger Daumenrast. Wir kennen dieses Modell nur in Verbindung mit dem Strohblumendekor in Unterglasurblau (MHPN MH-PO-4352 – Musée Ariana, Inv. AR 2003-534).

Die Butterdose wird leicht überarbeitet: Der Deckel hat nun einen quadratischen Griff mit blattförmig geformten Ansätzen (MCAHL 30017; MHPN MH-2007-202 – Musée Ariana, Inv. AR 01196).

Die Zuckerdose hat nun einen konischen Bauch mit gerundetem Unterteil das auf einem Standring ruht (MCAHL 30006; MHPN MH-2015-137; MHPN MH-PO-1278 – zu diesem letzten Beispiel ist zu bemerken, dass die neuen Formen manchmal neben den alten existieren konnten: MHPN MH-2015-104). Eine Variante der neuen Zuckerdose hat zwei Griffe in Form von hängenden, fixierten Ringen (MCAHL 29492; MHPN MH-PO-1294; MHPN MH-PO-127). Dasselbe Konzept eines konischen Bauches auf einem Sockel findet sich auch beim neuen Modell einer Wasser- oder Milchkanne mit einem hohen Henkel und einer gegabelten unteren Befestigung (MHPN MH-PO-3964; MCAHL 30009; MHPN MH-2010-18C; MHPN MH-2015-132; MHPN MH-2015-133; MHPN MH-2015-134).

Das MHPN bewahrt übrigens eine ungewöhnlich frühe Toilettengarnitur auf, die aus einer Waschkanne und zugehöriger Schüssel besteht (MHPN MH-PO-3189).

Das Grundmodell der Kaffeekanne wurde nur im Detail verändert: Die blattförmige Daumenrast wurde angereichert – manchmal – mit einer inneren Lasche (MHPN MH-PO-492; MCAHL 30890; MHPN MH-2015-113). Parallel dazu taucht nach 1795 ein neuer Typ auf (MHPN MH-PO-494) mit einem urnenförmigen Bauch auf einem gekehlten Standring, der eine Weiterentwicklung des in der vorherigen Periode erprobten Modells zu sein scheint. Die überarbeitete Version hat einen neuen Henkel und eine Ausgussöffnung, die teilweise mit einem Blatt-Relief bedeckt ist (MCAHL 30065). In seiner vollendeten Form (MHPN MH-2010-18A und -18B; MHPN MH-2015-100; MAF C 526A) ist der Henkel rund mit einer inneren Lasche und einer eingerollten Daumenrast; der untere Ansatz stösst an eine gemodelte Verzierung, ein Detail, das an den Henkel des neuen Wasserkrugs erinnert (siehe oben).

Die Erneuerung der Formen, die die Manufaktur in einem Zeitraum unternahm, den wir zwischen 1795 und 1798 ansetzen, erstreckte sich auch auf komplexere Formen im Zusammenhang mit dem Tafelgeschirr. In dieser Phase verzeichnet Droz eine relativ hohe Auslastung (gemessen z. B. an den Löhnen), auch wenn die Verkaufszahlen bereits zu stagnieren begannen.

Das Kühlgefäss zum Beispiel zeigt nun einen zylindrischen Körper mit abgerundetem Unterteil auf einem Standring (MCAHL HIS 55-3841). Auch hier fallen zuerst die aufwendig ausgearbeiteten Seitengriffe auf. Im Bezug auf den «Stand der Waren im Laden» erwähnt das Journal der Manufaktur vom 1. Juli 1801 «Kühlgefässe, neue Form», die unverziert 20 Pfund pro Stück kosteten, während die «alte Form» sich auf 12 Pfund belief (MCAHL 30021).

Im selben Dokument werden Saucieren mit der Bezeichnung «neue Form» aufgeführt, ein Modell, das 1795 und 1796 in den Rechnungsbüchern erwähnt wurde (MHPN MH-2015-93 – Das Nationalmuseum bewahrt ein Beispiel zusammen mit seinem Untersetzer, Inv. LM-42112). Der Henkel dieser Sauciere zeigt Ähnlichkeiten mit dem Henkel der neuen Modelle der Wasser- und Kaffeekanne.

In die gleiche Richtung geht auch der neue Gläserkühler, der im Wesentlichen dem alten Modell mit schrägen Zinnen nachempfunden ist, aber hier mit aufwendig gestalteten Griffen versehen wurde (MHPN MH-2015-142).

Das neue Formenrepertoire umfasste auch eine Terrine (CLS MURO 585), die sich ebenfalls durch ihre etwas manierierten Griffe auszeichnet. Die Form war offensichtlich nicht sehr erfolgreich: Neben dem Exemplar im Schloss La Sarraz mit seinem einfachen Dekor (man wollte diese Form, die die Lager überfüllte, billig absetzen) sind nur zwei weitere Beispiele bekannt; das erste ist in Blondel 1902 abgebildet, das zweite befindet sich in einer Privatsammlung und weist ein Dekor «mille-fleurs, reiche Vergoldung» (Mitteilung von Grégoire Gonin) auf. Im Allgemeinen kamen diese neuen, ehrgeizigen Formen, die wesentlich teurer waren als die alten Modelle, zu einer Zeit heraus, als der Markt sich verschlechterte, weshalb sie in Museums- und Privatsammlungen sehr selten sind.

Das letzte grosse Vasenmodell, das in Nyon entstand, war wahrscheinlich die Potpourri-Vase «Medici», die 1796 und 1801 in den Rechnungsbüchern erwähnt wird. Das Musée du Château de Nyon besitzt mehrere Beispiele mit minimalem Dekor oder sogar aus weissem Porzellan (MHPN MH-PO-4233; MHPN MH-2015-176; MHPN MH-PO-489), während das Musée Ariana ein Exemplar mit etwas kunstvoller ausgearbeitetem Dekor besitzt (Inv. AR 05601). Ariana bewahrt auch eine «reich verzierte» Variante der «Medici»-Vase mit komplexen seitlichen Griffen, die mit den Griffen der oben erwähnten neuen Formen übereinstimmen (Inv. AR 01283; AR 01284 – für moderne Repliken dieser Version siehe MCAHL 28696B und MHPN MH-1999-45). Der Fall der «Medici»-Vase ist ein Beispiel für die zunehmenden Schwierigkeiten der Manufaktur beim Absatz ihrer teuersten Produkte. Da sich die weissen Formen in den Lagern stapelten, versuchte man, sie zu erschwinglicheren Preisen zu verkaufen, indem man sie mit sparsamen Verzierungen wie etwa vergoldete Ränder und schwarze Hervorhebungen versah (siehe MHPN MH-PO-4233) oder monochrom violette Sträusse ohne Vergoldung malte (im Landesmuseum Zürich befinden sich zwei Exemplare dazu Inv. LM-5163).

Die Dekore

Die Blumenstraussmotive werden beibehalten, wobei sie «grafischer» und steifer behandelt werden, hingegen wird die Farbpalette wieder kontrastreicher. Häufig werden die Sträusse von einem blauen Netz begleitet, das mit goldenen Doppelstrichen durchkreuzt ist (MCAHL 29402; MHPN MH-PO-1658; MHPN MH-1999-16). Charakteristisch für die späteren Jahre sind Rosen mit stark ausgeprägten ovalen Blütenblättern (z. B. auf MHPN MH-2003-2 mit einem solchen Strauss in einem für die Zeit nach 1800 typischen, monochromen Braunton) und das Vorhandensein eines kräftigen Blaus, das oft zum Abblättern neigt.

Kornblumendekore stellten weiterhin grosse Kontingente innerhalb der Produktion: Streumuster mit Zweigen oder einzelnen Blüten in Blau, Purpurrot oder auch «gemischte Kornblumen» in Blau und Purpurrot. In dieser Zeit entfaltete sich eine neue Variante von Kornblumen – oft in Reihen angeordnet – mit zweifarbigem grün-gelbem Laub (MHPN MH-PO-1440; MHPN MH-PO-1362; CLS MURO 1276; CLS MURO 1286 und 1285; CLS MURO 1281; CLS MURO 1278). Der «Stand der Waren» vom Juli 1801 erwähnt eine beträchtliche Menge an unvergoldeten Kornblumendekoren, was nicht unbedingt eine Strategie zum Abbau von Überschüssen widerspiegelt, denn wie die Liste für die Lotterie von 1809 (Bonnard 1934/2 und 3) belegt, dienten diese Dekore ohne Vergoldung in erster Linie dazu, Porzellan zweiter Wahl abzusetzen, und dies wahrscheinlich in allen Perioden der Manufaktur. Derselbe Eintrag, der offenbar nur bemaltes Porzellan «zweiter Klasse» erwähnt, zeigt deutlich, dass die verschiedenen Kornblumenmotive – mit oder ohne Vergoldung – bei weitem die grössten Lagerbestände darstellten, gefolgt mit einigem Abstand vom Dekor «Griechisch Violett, Gold» (siehe weiter unten).

Die Dekore «mille-fleurs, Goldrand» (MCAHL 30792B; MCAHL 30017) und «mille-fleurs, reich vergoldet» (MCAHL 29807B; MCAHL 29807C) waren in gewisser Weise das Äquivalent zu den Kornblumen, jedoch in der höheren Preiskategorie (1809 war ein flacher Teller verziert mit «mille-fleurs, reich vergoldet» 5 Pfund wert, und etwas mehr als 3 Pfund kostete der Kornblumendekor mit Vergoldung – Bonnard 1934/2). Im Journal der Manufaktur haben wir zwischen 1795 und 1801 ein Dutzend mehr oder weniger vollständige Dinnerservices aufgelistet, von denen einige nach Italien exportiert wurden. Acht von ihnen waren mit dem Dekor «Mille-fleurs, reich vergoldet» ausgestattet. Dieses Streumuster bestand ausnahmslos aus Rosen, Stiefmütterchen und Fantasieblümchen. In dieser letzten Phase sind die Stiele der Hauptblüten lang, die Blätter haben immer das gleiche schematisierte Aussehen (zwei runde Blätter bei den Rosen, ein längliches Blatt bei den Stiefmütterchen) und der Goldrand besteht durchweg aus den gleichen Arten von übereinander gelegten Blattgirlanden.

Der vereinfachte «Trevor»-Dekor blieb bis zur Jahrhundertwende auf Trinkgefässen oder vereinzelten Objekten erhalten (MAF C 516A; MAF C 516B). Das in der vorherigen Periode eingeführte Motiv «Stiefmütterchen, Rosen, Gold sandfarben» (MHPN MH-PO-4211) wurde weiterentwickelt, wobei das Pflanzengeflecht von Seladongrün zu Schwarz (MHPN MH-2007-135; MCAHL HIS 55-3823) und dann zu Purpurrot überging und schliesslich der Hintergrund weggelassen wurde (MHPN MH-2007-141). Wie bei den Streumustern weisen die Blüten nun längliche Stiele auf.

Zu den Innovationen gehörte der Dekor «Medaillons mit Rosen und Stiefmütterchen, purpurrotes Band» (MCAHL 30008; MCAHL 30007; MHPN MH-2015-100), eingeführt um 1795. Das Muster «Perlen, Blumengirlanden» ist seit 1793 mit einer grauen Perlenborte belegt (MHPN MH-PO-1403 und –1404), erlebte aber seinen eigentlichen Aufschwung in der von uns untersuchten Zeitspanne in der Ausführung mit blauen Perlen (MHPN MH-2010-18P und -18K). Grégoire Gonin hat ein Trinkservice mit diesem Dekor und einem Monogramm «CB» als Auftrag von Caroline Burnand aus Yverdon identifiziert, das laut den Büchern der Manufaktur 1795 geliefert wurde (Gonin 2019).

Ebenfalls neu sind die Motive «Kranz aus Rosen» (MHPN MH-PO-1291; MHPN MH-PO-3176) oder «blauer Kranz, Gold sandfarben» (MHPN MH-PO-1491 und -1492). Ein ziemlich präziser Eintrag in den Rechnungsbüchern ermöglichte uns die Datierung des Dekors «violetter Kranz, griechisch Gold» den Pelichet einst als «service bâlois» (Basler Service) bezeichnete (MHPN MH-PO-3906; MHPN MH-PO-2868 – siehe «Service Fischer»).

Der Blumenkranz auf farbigem Hintergrund existiert bereits 1793 mit einem braunen Hintergrund. Vielleicht galt das auch für die Variante mit goldenem Hintergrund (MHPN MH-2007-134C und -D; MHPN MH-2007-134B; MHPN MH-2007-134A). Der schwarze Hintergrund hingegen wird erst ab 1796 in den Büchern erwähnt (MCAHL 30804A; MCAHL 30804B; MHPN MH-2007-136).

 

Der Genfer Maler Étienne Gide (1761– nach 1804) nimmt in der Geschichte der Manufaktur einen besonderen Platz ein. Er ist der einzige Künstler, der Werke signiert hat, in diesem Fall zwei, von denen eines kürzlich in der Sammlung des Musée du Château de Nyon (MHPN MH-2015-132) entdeckt wurde. Zudem profiliert er sich offensichtlich als der beste Figurenmaler der Jahre 1795–1800. Seine Werke zeugen von einem ausgesprochen persönlichen Stil, der vor allem in seinen sehr grossen Figuren zum Ausdruck kommt (MHPN MH-2015-132; MHPN MH-2015-133; MHPN MH-2015-134).

Gide arbeitete auch in kleinerem Massstab, insbesondere bei den Schweizer Trachten (MHPN MH-PO-1420; MHPN MH-2007-184). Pelichet berichtet, dass er 1796 infolge seines übermässigen Alkoholkonsums nur knapp einer Ausweisung wegen nächtlicher Ruhestörung entging (Pelichet 1985/1, 29).

Das sehr schöne Frauenporträt in monochromem Violett auf blauem Hintergrund, das zur gleichen Zeit entstand und im Schloss Nyon aufbewahrt wird, ist höchstwahrscheinlich das Werk eines anderen talentierten Malers (MHPN MH-2015-21). Im Allgemeinen gibt es nur relativ wenige Dekore, die menschliche Figuren zeigen, wobei sich die häufigsten immer noch auf das Thema der Schweizer Trachten beziehen. Sie werden nun in satteren Farben gehalten und mit Goldborten eingefasst (MHPN MH-2003-3; MHPN MH-2015-129).

Um die Jahrhundertwende kommen die «Russschwarzen Figuren» sowie die «Schwarzen Figuren» auf, die Genreszenen, Allegorien und andere mythologische Themen darstellen (MHPN MH-PO-3219; MHPN MH-PO-1454; MHPN MH-PO-3220; MHPN MH-PO-1475; MHPN MH-2015-137; MHPN MH-2015-136; MHPN MH-PO-3225). In dieser Phase ist die Qualität der Malerei zunehmend uneinheitlich. Da die Stücke nicht mehr systematisch markiert wurden, schrieb man diese Art der Produktion oft der Genfer Werkstatt von Pierre Mülhauser zu, was unserer Meinung nach etwas zu voreilig geschah.

In diesem Zusammenhang sind auch einige Tiermotive zu erwähnen, darunter Szenen, die von Jean-Baptiste Oudry inspiriert sind (MHPN MH-PO-3221; MHPN MH-PO-3222).

Die Streumuster mit Schmetterlingen und anderen Insekten blieben weiterhin ein beliebtes Thema. Sie sind nun systematisch begleitet von einer kleinen, goldenen Kettenbordüre. Die Schmetterlinge werden grösser und präziser dargestellt, sie sind auch in einer sehr dichten Farbpalette gemalt (MHPN MH-2008-53; MHPN MH-2015-104; MHPN MH-PO-1278). Nach 1800 werden die Insekten noch imposanter und sind meist mit einem Schlagschatten versehen (MHPN MH-PO-1292; MHPN MH-PO-1293; MCAHL 30802). Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dieser Dekor häufig imitiert, vermutlich in Frankreich, wie die der Manufaktur in Nyon völlig fremden Formen nahelegen (MCAHL 30802A; MCAHL 30802C; MHPN MH-PO-1321). Da die Exemplare aus Nyon aus dieser Zeit keine Marken aufweisen, ist die Unterscheidung manchmal schwierig, da die Form das einzige entscheidende Kriterium bleibt.

Das Thema der Trophäen taucht in dieser späten Phase gelegentlich wieder auf, meist in Verbindung mit der goldenen Kette (MHPN MH-2015-183; MAF C 529). Auch hier ist die malerische Qualität deutlich zurückgegangen. Im Bereich der Ornamentmalerei wird der Dekor «griechisch Violett» noch lange praktiziert werden, vor allem wegen seiner fast zeitlosen Schlichtheit (MCAHL 29401; MHPN MH-2007-202). Der Dekor «Rosengirlanden, graublaues Band, Lorbeer in Gold» wurde 1795 offenbar für einen besonderen Auftrag entworfen (MHPN MH-2015-95; MHPN MH-PO-3230). Dekore, die Blumenkränze, Kordeln oder Bänder kombinieren und wahrscheinlich in der vorherigen Periode entstanden sind, werden mit leichten Variationen beibehalten (MHPN MH-PO-1515 und -1567), beispielsweise in der Farbgebung eines Bandes (MHPN MH-PO-1464 und -1465; MHPN MH-2007-156). Neu ist eine kuriose Komposition, die traditionell als «Kornfelddekor» bezeichnet wird (MHPN MH-2015-113; MHPN MH-2008-3). Der sehr späte Dekor «blaues Band, Gold» (MHPN MH-2007-159; MHPN MH-2007-105) wird manchmal von einer grossen Rosette in der Mitte begleitet, ein sekundäres Motiv, das man nach 1800 regelmässig findet (MHPN MH-2015-107; MHPN MH-PO-4231; MHPN MH-PO-1262 und -1263; MHPN MH-2007-178).

Im Kontext der reich ausgestatteten Ornamente bietet das Repertoire nun verschiedene Arten von Rankenfriesen an (in den Büchern als «Arabesken» bezeichnet) mit Früchten, Blumen, Vasen oder Pfeilen. Einige sind Weiterentwicklungen von Ausführungen, die sich offenbar seit einigen Jahren bewährt hatten, die nun aber mit neuem Nachdruck behandelt werden. Bemerkenswert ist das auffallende, leuchtende Blau der späten Version des Dekors «Arabesken, blaue Vasen» (MHPN MH-2007-108). Andere Motive sind echte Neuheiten wie die «Arabesken, Vasen auf blauem Hintergrund» (MHPN MH-2015-107; MHPN MH-2015-128; MHPN MH-PO-4231). Der Dekor «schwarze Arabesken, Hintergrund aus sandfarbigem Gold» stammt aus den frühen 1790er-Jahren (MCAHL 30067 und 30066; MCAHL HIS 55-3551). Ein Vergleich mit der MHPN-Nummer MH-PO-1363 zeigt, wie sehr die malerische Ausführung in der letzten Periode an Präzision und Sensibilität verloren hat. Um 1805 wurde der goldene, sandfarbene Hintergrund des Friesbandes durch feine vergoldete Zweige ersetzt (MHPN MH-PO-4389; MHPN MH-2007-161), deren malerische Qualität noch weiter abnahm. Um die Jahrhundertwende erschienen «graue Arabesken, reich vergoldet» in luftigeren Kompositionen (MHPN MH-PO-1262 und -1263; MHPN MH-2007-178). Ebenfalls neu, aber häufiger anzutreffen, ist das Motiv «rote Kette, Rosen und Stäbe, Gold» (MHPN MH-2007-171). In der gleichen Zeit wurden auch farbige Hintergründe, kombiniert mit leichten, goldenen Blumen entworfen (MHPN MH-2007-119A und -B; MHPN MH-2007-119C und -D; MHPN MH-PO-1265 und -1264). Bei den Dekoren, die andere Materialien imitieren, geht das Motiv «holzartig» auf die frühen Jahre der Manufaktur zurück und findet sich hier und da ab 1795 (MAF C 531; MHPN MH-PO-1480).

Die Dekore «Weiss und Gold» erlebten aufgrund ihrer relativ niedrigen Kosten einen spektakulären Aufschwung. Dies galt insbesondere für die Motive «Lorbeer Gold» (MAF C 527; MCAHL 30341; MHPN MH-PO-3228) und «Goldkette» (MAF C 526A; MAF C 526D; MHPN MH-2015-121; MHPN MH-2015-138). In der Liste der Waren, die zwischen Juli und Dezember 1805 in den Laden kamen, lieferten beispielsweise die Verzierungen «Weiss und Gold» zusammengenommen das zweitgrösste Kontingent nach dem Kornblumenmotiv ohne Vergoldung (1526 bzw. 2247 Stück).

Aufglasur-Dekore ohne Vergoldung waren, wie wir oben erfahren haben, in erster Linie dazu gedacht, den Absatz von Porzellan zweiter Wahl, das mit dem einen oder anderen Brennfehler behaftet war, zu erleichtern. Lange Zeit wurde diese Funktion allein durch die Stücke mit Kornblumenmotiv erfüllt. Ab Ende der 1790er-Jahre wurde das niedrige Preissegment mit neuen Motiven wie «griechisch Braun» (MHPN MH-PO-10053) angereichert. Nach 1800 wurde das Sortiment an preiswerten Dekoren noch vielfältiger und ihre Verwendung beschränkte sich nicht mehr unbedingt nur auf fehlerhafte Stücke. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Verantwortlichen der Manufaktur, nachdem sie die selbstverursachte Schieflage, die an der wirtschaftlichen Gesundheit des Unternehmens nagte, festgestellt hatten, mit allen Mitteln versuchten, billigere Produkte zu entwickeln, die ihnen helfen konnten, die Lagerbestände zu verringern.

Zu «Griechisch Braun» gesellten sich «Griechisch Gelb mit braunem Rand» (MCAHL 29819; MCAHL 29814) und «Griechisch Grün mit braunem Rand» (MHPN MH-PO-1379). Weiter finden sich aufwendigere Muster, die meist aus beige-gelben oder braun-roten Borten bestehen und mit Kränzen oder geflochtenen Pflanzen verziert sind (MHPN MH-PO-1439; MBL 20098; MCAHL 31647; MBL 20097; MAF C 528A; CLS MURO 585; MBL 20101; MHPN MH-PO-1588; MHPN MH-PO-2259). Eines der am weitesten verbreiteten Dekore in dieser Kategorie, natürlich neben dem Kornblumenmotiv ohne Vergoldung, war offenbar das Muster «Girlanden ohne Gold» (MCAHL 29322; MCAHL 29403; MCAHL 30065). Wie der Name in den Rechnungsbüchern andeutet, war der Dekor «Stäbchen nach Pariser Vorbild» von einem Motiv inspiriert, das in einer der vielen Pariser Manufakturen der damaligen Zeit hergestellt wurde (MHPN MH-PO-1400; MHPN MH-PO-1516 und -1517). Das Musée Adrien-Dubouché in Limoges (Inv. ADL 11056) bewahrt eine Schale mit demselben Dekor auf, die der Pariser Manufaktur Locré-Russinger zugeschrieben wird.

Der Scherben und die Marken: Ab etwa 1795 sieht der Scherben wieder weisser und kälter aus. Die Durchsichtigkeit ist sehr ausgeprägt und zeigt zudem einen leicht gelblichen Farbton.

Die Marken werden zunehmend skizzenhaft (siehe zum Beispiel MHPN MH-2008-52A; MHPN MH-2015-95; MHPN MH-PO-4389; MHPN MH-2015-161; MHPN MH-2015-465 bis hin zu einer vagen Andeutung des ursprünglichen Motivs, einer Art Kaulquappe, bestehend aus einem Oval und einem einfachen Strich (MHPN MH-2007-148; MHPN MH-PO-4389; MHPN MH-PO-3228; MHPN MH-2015-176; MHPN MH-PO-3912). Um die Jahrhundertwende wurde die Marke immer mehr weggelassen. Im Gegensatz zu den Behauptungen anderer Autoren ist das Fehlen der Marke in früheren Perioden eher die Ausnahme. In den letzten Jahren der Produktion erscheinen einige Formen dicker und weniger gut ausgearbeitet, was wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass gewisse Giessformen aus Kostengründen nicht mehr erneuert wurden.

Nachbestellungen von Tafelgeschirr

Bei der Untersuchung des vorliegenden Materials sind wir auf drei Fälle gestossen, in denen ein Ensemble von Nyoner Porzellan ein offensichtlich späteres Stück enthält, das in der Regel von geringerer Qualität ist als die anderen Exemplare (MHPN MH-2007-185; vergleiche MHPN MH-1999-65 und MHPN MH-1999-57 und -62; MHPN MH-2015-495 und -496); in zwei dieser Fälle ist der «Eindringling» auch noch ohne Marke. In einem ersten Schritt ist man versucht, diese Gegenstände als einfache moderne Fälschungen zu betrachten, insbesondere wenn die Marke fehlt. Eine genauere Untersuchung der «verdächtigen» Objekte, insbesondere ihrer Bemalungen, zeigt jedoch, dass diese vollkommen mit der Palette der Manufaktur übereinstimmen und dass die Art und Weise, wie bestimmte sekundäre Elemente wie etwa Blumenmotive bemalt wurden, dem Stil der Manufaktur entspricht, wenn auch einem eher späten Stil. Andererseits konnten wir bei der Durchsicht der Geschäftsbücher feststellen, dass die Manufaktur nicht nur ausländische Services ergänzte, sondern auch eigene Serien. Es kam nämlich recht häufig vor, dass Kunden ein einzelnes Stück bestellten, um ein bereits vor einiger Zeit erworbenes Service zu vervollständigen, beispielsweise einen verlorenen oder zerbrochenen Deckel, und oft mit einem Dekor, der nicht mehr unbedingt im gängigen Sortiment enthalten war. In den oben genannten Fällen mit Nachbestellungen, die 15 oder 20 Jahre nach den ursprünglichen Stücken ausgeführt wurden (besonders deutlich wird dies bei der MHPN-Nummer MH-1999-65), wird deutlich, dass das handwerkliche Können nicht mehr auf der Höhe der Zeit war, zumindest für die anspruchsvollsten Teile des Motivs wie die menschliche Figur.

Übersetzung Stephanie Tremp

Bibliographie:

Blaettler 2017
Roland Blaettler, CERAMICA CH III/1: Vaud (Nationales Inventar der Keramik in den öffentlichen Sammlungen der Schweiz, 1500-1950), Sulgen 2017, 21-37.

Blondel 1902
Auguste Blondel, La porcelaine à l’Exposition de céramique suisse ancienne. In: Nos Anciens et leurs œuvres. Recueil genevois d’art II, 1902, 115-134.

Bobbink-De Wilde 1992
Hilde Bobbink-De Wilde, Porcelaines de Nyon. Collections du Musée Ariana de Genève et du Musée historique et des porcelaines de Nyon. Musées et collections 3. Genève 1992 (1ère édition: 1983).

Bonnard 1934/2
Georges Bonnard, Trois documents relatifs à la manufacture de porcelaine de Nyon. II. In: Indicateur d’antiquités suisses 36/3, 1934, 208-213.

Bonnard 1934/3
Georges Bonnard, Trois documents relatifs à la manufacture de porcelaine de Nyon. III. In: Indicateur d’antiquités suisses 36/4, 1934, 273-283.

De Molin 1904
Aloys de Molin, Histoire documentaire de la manufacture de porcelaine de Nyon, 1781-1813, publiée sous les auspices de la Société d’histoire de la Suisse romande et de la Société vaudoise des beaux-arts. Lausanne 1904.

Droz 1997
Laurent Droz, Les comptes de la manufacture de porcelaine de Nyon, 1791-1813. Aspects économiques, mémoire de licence, Université de Lausanne 1997.

Ducret 1962
Siegfried Ducret, Unbekanntes Porzellan, in: Weltkunst 4, 1962, 9.

Gonin 2018a
Grégoire Gonin, Le vieux Nyon. Splendeur et fragilité d’une porcelaine, in: Passé simple 31, 4-12.

Gonin 2019a
Grégoire Gonin, La porcelaine de Nyon et ses acteurs socio-économiques: le «déjeuner Burnand» (1795) de sa commande à sa dispersion et à sa réapparition contemporaines. Revue des Amis suisses de la céramique 133, 3-14.

Martinet 1911
Aimé Martinet, Guide de l’amateur de porcelaine de Nyon, 1781-1813. En souvenir d’une exposition de porcelaine de Nyon à la salle Thellusson. Genève 1911.

Pelichet 1985/1
Edgar Pelichet, Merveilleuse porcelaine de Nyon. Nouvelle édition remaniée et définitive. Lausanne 1985.